Alex Schwers - Ox

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Interviews & Artikel
Alex Schwers
Jazz ist gute Fick-Musik
Alex Schwers zweiter Vorname
könnte auch „Facettenreich“
lauten. Denn seine Band--Vita
liest sich wie das Who’s Who
des deutschen Punkrocks:
HASS, SLIME, MIMMI’S,
KNOCHENFABRIK,
EISENPIMMEL. Aber auch Sonny Vincents Band gehört
mittlerweile zu seiner Musiker-Biographie. Zudem organisiert
er die größten Punkrock-Festivals ihrer Sparte – das Ruhrpott
Rodeo im Sommer und um Weihnachten das Punk im Pott.
Aber nicht nur im Punkrock ist Alex zu Hause, auch
AvantJazz liegt dem sympathischen Schlagzeuger. Wie es ist,
zwischen den Musiksparten zu wechseln, verrät er im
Interview.
Du hast ja wieder einige Projekte am Laufen. Gibt’s gerade
Prioritäten?
SLIME haben Priorität. In diesem Jahr stehen eine Menge
Konzerte und eine neue Platte an, auf die ich mich sehr freue.
Das Ruhrpott Rodeo hält mich das ganze Jahr über ziemlich auf
Trab. Dieses Jahr wird’s richtig gut.
EISENPIMMEL haben gerade eine Rock-Oper mit dem Titel
„Viva la Nix!“ veröffentlicht. Ist das die Oi!-trifizierung des
Musikdramas?
Ja, eine Dreifach-Vinyl-Rock-Oper – ziemlich krass. Ein über 100
Minuten langes Lehr-Hörspiel zum Thema Wirtschaftskrise, mit
über dreißig Songs, von Wortbeiträgen durchsetzt. Die Arbeit im
Studio hat mehrere Jahre gedauert.
Das Ruhrpott Rodeo fand ja sonst immer zu Pfingsten statt,
in diesem Jahr erstmals im August. Warum der
Terminwechsel?
Im August ist es leichter, Bands zu buchen, und es ist nachts nicht
so kalt.
Ich hätte ja fast darauf gewettet, dich im Mai auf dem
Jazzfestival in Moers zu treffen, das sonst zeitgleich mit dem
Ruhrpott Rodeo stattfand. Seit einiger Zeit hast du ein Projekt
mit dem Saxophonisten Jan Klare von THE DORF. Er ist in
diesem Jahr der Kurator für die Konzerte des Festivals in der
Stadtkirche. Werden wir uns in Moers über den Weg laufen?
In Moers war ich früher öfter, ich sollte mir definitiv dieses Jahr
Jans Projekt angucken! Das mit Jan Klare ist weniger Jazz, eher
Avantgarde-Groove oder so. Wir versuchen etwas zu machen,
was es in der Form noch nicht gegeben hat. Das sind für mich
keine neuen Gefilde. Ich war zwischendurch immer
avantgardistischer unterwegs. Ich liebe Musik im Allgemeinen,
und Punkrock ist ein großer Teil davon. Jan hat mich vor zwei
Jahren angeschrieben und gefragt, ob ich Lust habe, als Gast mit
seinem Orchester THE DORF zu spielen. Das hat mich gefreut
und daraus ist die Zusammenarbeit entstanden.
Auch mit FM Einheit von EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und
Caspar Brötzmann hast du zusammengearbeitet ...
Ja, wir waren zusammen im Studio. Mit der Musik von FM Einheit
und Caspar bin ich aufgewachsen. Es hat mich gefreut, mit ihnen
zu spielen, obwohl beide auf einem ziemlichen Kunsttrip sind.
Dagegen bin ich auf jeden Fall Punk. Ich hoffe, die Aufnahme
erblickt bald noch das Licht der Welt.
Wie unterscheidet sich das Spielen beim Punk und beim
Jazz, wo lag die Herausforderung?
Ich spiele zwischen den Welten. Bei SLIME ist sicher nicht alles
typisch Punkrock und das mit Jan Klare ist für Jazzer bestimmt oft
unpuristisch. Es hat für mich nichts mit Verstellen zu tun. Ich
spiele das, was die Musik gerade braucht. Bei SLIME ist die
benötigte Energie eine große Herausforderung. Wenn wir länger
nicht gespielt haben, sind die ersten Konzerte eine sportliche
Angelegenheit. Bei Gigs mit Jan brauche ich mehr Konzentration.
Wie stehst du zum Improvisieren? Erwarten uns auf
Konzerten von SLIME und EISENPIMMEL demnächst
mehrminütige Schlagzeugsoli?
Ich bestehe auf dreißigminütige Schlagzeugsoli bei SLIME und
EISENPIMMEL! Improvisieren ist nichts Neues für mich. Schon in
meinen ersten Bands wurde teilweise improvisiert. Ich kannte
Miles Davis, bevor ich SEX PISTOLS kannte.
Aber Punkrock hat dich doch eher angezogen. Wie Helge
Schneider schon so treffend sang: „Jazz ist keine gute FickMusik“.
Punkrock ist ja auch nur eine Randnotiz des Rock, wenn man’s
mal gesamt betrachtet. Übrigens kann man zu Jazz hervorragend
ficken, also teilweise.
Wo siehst du die generellen Unterschiede zwischen der Jazzund Punk-Szene, gibt es Parallelen?
Leute, die extrem in Musik eintauchen, sind vom Grundcharakter
sehr ähnlich. Egal, ob Jazz, Punk oder Metal. Trotzdem sind das
verschiedene Welten. Mir tut es weh, wenn Punks über Jazz
abkotzen und umgekehrt. Für mich gibt’s guten Punkrock und
guten Jazz. Und es gibt scheiß Punk und kack Jazz. Aber ich
betone, dass ich mit Jazz nicht Dixieland- oder Real-Book-Zeug
meine.
Ich bin durch NOMEANSNO und die VICTIMS FAMILY zum
Thema Jazzcore gekommen. VICTIMS FAMILY waren auch
schon auf dem Ruhrpott Rodeo zu Gast. Besteht die Chance,
dass du dem oftmals konservativen Punk-Publikum noch
mehr solcher Bands präsentierst?
Vor Jahren bin ich mit befreundeten Musikern für drei Wochen in
eine Berghütte nach Andalusien gefahren, um Songs für meine
Soloplatte zu schreiben. Ralph Spight von VICTIMS FAMILY, der
auch in Jello Biafras THE GUANTANAMO SCHOOL OF
MEDICINE spielt, wollte kurzfristig mitfahren. Leider war alles
schon fest geplant und kein Platz mehr frei. Das wäre sicher toll
gewesen. VICTIMS FAMILY und NOMEANSNO haben mir immer
viel bedeutet. Mittlerweile geht’s mir im Punkrock um den
perfekten Drei-Minuten-Song und im Jazz um die musikalische
Grenzüberschreitung. Das Vermischen beider Stile interessiert
mich nicht so. Dem konservativen Punk-Publikum kann man nicht
genug grenzüberschreitende Bands präsentieren. Ich mache das
ja immer mal wieder.
Was macht für dich denn den perfekten Drei-MinutenPunkrock-Song aus und was die absolute
Grenzüberschreitung?
Ein komplexes Thema. Man kann dreißig Songs schreiben und
einer davon ist geil, und man weiß selbst nicht warum. Mit der
Grenzüberschreitung ist das ähnlich. Es gibt nichts Schlimmeres,
als Leute die um jeden Preis Grenzen überschreiten wollen. Wenn
da nicht irgendwas ist, was von alleine raus muss, sollte man es
lassen.
Wie wär’s mit einem Konzert mit dir und Jan auf dem
Ruhrpott Rodeo? Wie würden die Leute reagieren?
Da habe ich tatsächlich schon mal darüber nachgedacht. Keine
Ahnung, vielleicht pogen sie ja oder gehen Bier holen.
Deine Festivals gelten ja mittlerweile als die größten ihrer
Sparte. Was hat dir in den letzten Jahren am meisten Kummer
bereitet?
Das Wetter, die Love Parade, randalierende Dumpfpunks und
Ordnungsämter!
Dumpfpunks gehören wohl mit zu deinem Besucherklientel.
Ist das Ruhrpott Rodeo ein Refugium? Wo gibt es für dich
Grenzen?
Wenn man drei Tage auf einem Festival zeltet, will man ja die Sau
rauslassen. Das soll so sein. Ich kann aber nicht nachvollziehen,
wenn jemand Sanitäter attackiert, die einem Verletzten zu Hilfe
eilen. Auch diese krampfhafte Security-Aversion ist total daneben.
Ohne Secus geht so was eben nicht. Der Anteil an Deppen ist
über die Jahre kleiner geworden. Zu 99% mag ich die Leute, die
kommen, sehr gern.
Das absolute Highlight?
Es gab zu viele. Ich freue mich dieses Jahr total auf Michael
Monroe, früher Sänger von HANOI ROCKS. Insgesamt hat man
die schönsten Momente im Kreis der Crew, wenn die Sonne
scheint und alles gut läuft. Unvergessen auch der erste SLIMEAuftritt nach 16 Jahren, der auch mein erster mit SLIME war. Da
war auf allen Seiten, bei der Band und im Publikum, viel Adrenalin
im Spiel.
Welche Projekte stehen bei dir zukünftig an?
Ich nehme gerade eine Platte mit Jan Klare auf. Demnächst
trommle ich für den Rapper Frauenarzt und sitze seit einem
gefühlten Jahrhundert an meiner Soloplatte.
Frauenarzt? Wie kam es dazu? Wie stehst du zu den Texten?
Kann man ihn mit EISENPIMMEL vergleichen, die ja auch
bekanntlich mit den Klischees spielen? Er kommt aber nicht
so rüber, als wären seine Texte für ihn Satire.
Ein Freund, der für ihn Gitarre spielt, hat mich gefragt, ob ich das
mache. Frauenarzt will eine etwas punkigere Platte machen.
Vielleicht erkennen wir die Satire nicht so direkt wie bei
KASSIERER oder EISENPIMMEL. Ich kenne ihn kaum, werde mir
aber mal was anhören. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist,
Platten für irgendwelche Leute einzutrommeln. Vielleicht hast du
ja Platten im Schrank, auf denen ich spiele, ohne es zu wissen.
Zu guter Letzt: In welche Richtung geht dein Soloprojekt?
Es wird ziemlich breit gefächert sein, eine Ansammlung von
Songs der letzten Jahre, die ich mit verschiedenen Leuten
aufgenommen habe, zum Beispiel mit Olli von DIE
ABSTÜRZENDEN BRIEFTAUBEN oder Bela B. Nächste Woche
gehe ich mit Highko von BONSAI KITTEN ins Studio. Ich hoffe,
die Platte ist bald fertig.
Jenny Kracht
Webseite
© by Ox-Fanzine / Ausgabe #126 (Juni/Juli 2016)
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