Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz Somatoviszerale Sensibilität und Schmerz 1. Einleitung 2. Somatoviszerale Sensibilität 2.1 Mechanorezeption 2.2 Tiefensensibilität 2.3 Thermorezeption 2.4 Viszerale Sensibilität 3. Zentrale Weiterleitung und Verarbeitung 4. Schmerz 4.1 Schmerzqualitäten und Schmerzkomponenten 4.2 Physiologie der Nozizeption 4.3 Pathologische Schmerzphänomene 4.4 Schmerztherapie Quelle: Birbaumer & Schmidt Kap. 15 & 16 1. Einleitung • Die somatoviszerale Sensibilität ist Teil des gesamten sensorischen Systems • Funktionsprinzipien: Hierarchische Organisation Sensoren Thalamus sensorischer Cortex Assoziationscortex 2. Somatoviszerale Sensibilität • Die relevanten Sensoren liegen in Haut, Muskeln, Gelenken und Eingeweiden • Somatoviszerale Sensibilität: o Mechanorezeption (Haut; exterozeptives System, Oberflächensensibilität) o Tiefensensibilität (Muskeln, Gelenke, Sehnen; propriozeptives System) o Thermorezeption o Viszerale Sensibilität (innere Organe, enterozeptives System): • Rezeptoren: o Mechanosensoren o Thermosensoren o Chemosensoren o Nocizeptoren 1/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz 2.1 Mechanorezeption Mechanosensoren - in behaarter und unbehaarter Haut - nehmen 4 sensorische Qualitäten auf (Druck, Berührung, Vibration, Kitzeln) Abb. B&S 15.1 - Punktförmige Sensibilität (Tastpunkte) - Mittlere Empfindungsschwelle bei 0,01 mm (10 µm) Eindrucktiefe Abb. B&S 15.2 - Raumschwellen: zeigen räumliches Auflösungsvermögen; hoch auf Zunge, Finger, Lippen (1-3 mm) Typen von Sensoren - alle verbunden mit schnellleitenden, markhaltigen Aβ Nervenfasern - aufteilbar nach: 1. Lokalisation 2. Adaptationsgeschwindigkeit 3. Funktion Abb. B&S 15.3 & 4 1. Drucksensoren (Intensitätsdetektoren): - Merkel-Zelle - Ruffini-Körperchen - Tastscheibe 2. Berührungssensoren (Geschwindigkeitsdetektoren): - Meissner-Körperchen - Haarfollikelsensor 3. Vibrationsmesser (Beschleunigungsdetektoren): - Pacini-Körperchen [4. Freie Nervenendigungen] 2/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz Lokalisation Haarfollikelsensor Funktion Korium, behaarte Haut Geschwindigkeits- Adaptation mittelschnell detektor Meissner-Körperchen Korium, unbehaarte Haut Merkel-Zelle Geschwindigkeits- mittelschnell detektor Epidermis, unbehaarte Intensitätsdetektor langsam Haut Pacini-Körperchen Ruffini-Körperchen Subkutis, behaarte und Beschleunigungs- sehr schnell unbehaarte Haut detektor Korium, behaarte und Intensitätsdetektor langsam Korium, behaarte Haut Intensitätsdetektor langsam unbehaarte Haut Tastscheibe 2.2 Tiefensensibilität (Propriozeption) Wahrnehmung von: - Stellung der Glieder (Stellungssinn) - Passive oder aktive Bewegung der Gelenke (Bewegungssinn) - Widerstand gegen Bewegungen (Kraftsinn) Rezeptoren: - Gelenksensoren (Mechanosensitive Sensorkörperchen) - Muskeln (Muskelspindeln) Abb. Pinel 9.12, 9.13 - • Sehnen (Golgi-Sehnenapparate) Gemeinsam mit Informationen aus Labyrinthrezeptoren und Efferenzkopien aus dem zentralen motorischen System ermöglicht die Tiefensensibilität die Wahrnehmung des Körpers im Raum Abb. B&S 15.8 3/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz 2.3 Thermorezeption Wahrnehmung von Sensoren - Kälte (Kältesinn) - Wärme (Wärmesinn) - Spezielle Kalt- u. Warmsensoren; - Proportional-Differential-Sensoren; - Vermutlich freie Nervenendigungen Zone der Indifferenztemperatur Abb. B&S 15.10 - mittlerer Temperaturbereich, in welchem eine vollständige Adaptation der Temperaturempfindung stattfindet - 33-35 °C unbekleidet - oberhalb/unterhalb dieses Bereichs dauernde Warm/Kaltempfindungen - Warm-/Kaltschwellen abhängig von Abb. B&S 15.11 1. Ausgangstemperatur 2. Geschwindigkeit der Temperaturänderung 3. Größe des Hautareals 2.4 Viszerale Sensibilität Mehrzahl der Nerven in Brust-, Bauch-, Beckenraum ist afferent. Sensoren - Viscerosensoren - Weiterleitung über Nervus vagus (parasympathisch) Nervus splanchnicus (sympathisch) Nervi pelvici (parasympathisch) - Information meist unbewusst - Homöostatische Kontrolle mit autonomer Gegenregulation - Mit Biofeedback trainierbar 4/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz Beispiele: Viscerorezeptoren im kardiovaskuläres System - Drucksensoren in Aortenbogen und Karotissinus messen peripheren Blutdruck - Dehnungssensoren in Vorhofwänden messen Füllungsstand Viscerorezeptoren im pulmonalen System - Chemosensoren messen Sauerstoff- und Kohlendioxydkonzentrationen Viscerorezeptoren im Magen-Darm-Trakt - Dehnungsrezeptoren in Hohlwänden (Füllung, Sättigung, Stuhldrang) - Thermosensoren in Speiseröhre - Mechanorezeptoren für Motilität - Chemosensoren zur Messung von Speisebestandteilen 3. Zentrale Weiterleitung und Verarbeitung somatoviszeraler Reize Aufsteigende somatosensorische Bahnen Abb. BS 16.13, Pinel 8.20, 8.21 Afferenzen der Sensoren vereinigen sich zu peripheren Nerven und treten in das Rückenmark ein. Dort laufen Afferenzen des somatoviszeralen Systems im Hinterstrang oder im Vorderseitenstrang nach zentral Hinterstrang - über Hinterwurzel in das Rückenmark - ohne Verschaltung im Hinterstrang ipsilateral nach zentral - auf Hinterstrangkerne (N. gracilis, N. cuneatus) in Medulla oblongata 5/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz - Kreuzung nach kontralateral und mediale Schleifenbahn (Tractus lemniscus medialis) zum Thalamus - von hier zum sensorischen Cortex und Assoziationscortex Vorderseitenstrang: - Synaptische Verschaltung im Hinterhorn - kontralateral im Vorderseitenstrang nach zentral - Direkt oder über Formatio reticularis oder Tectum zum Thalamus - Zum sensorischen Cortex und Assoziatiosncortex Somatosensorischer Cortex P. 8.22; RLB 8.16 - Primärer (S-I) und sekundärer (SII) somatosensorischer Cortex - somatotop organisiert (somatosensorischer Homunculus) - S-II erhält Projektionen aus S-I; beide projizieren in Assoziationscortex - Jedes Neuron erhält Information über Art und Ort der Reizung 4. Schmerz Schmerz ist Teil der somatoviszeralen Sensibilität. Es existieren Sensoren, die nur auf potentiell gewebsschädigende Reize (“Noxen“) reagieren (Nozizeptoren) und die Information an das ZNS weiterleiten. Merkmale: - Beeinflusst durch psychologische Prozesse - Signal- und Warnfunktion - Nozizpetion (Aufnahme, Weiterleitung und Interpretation noxischer Signale) nicht synonym mit Schmerz! 6/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz Schmerzqualitäten Abb. B&S 16.1 - somatisch (Oberflächen- u. Tiefenschmerz) vs. viszeral (Eingeweideschmerz) - akut (Signalfunktion) vs. chronisch (physiologische Bedeutung?) Schmerzkomponenten - sensorisch-diskriminative Komponente Abb. B&S 16.2 - affektive Komponente - vegetative Komponente - motorische Komponente - kognitive Bewertung, Verhalten, Konsequenz auch sozialer & psychologischer Kontext hat Einfluss auf Schmerzbewertung Subjektive Algesimetrie - Messung der subjekt. Schmerzwahrnehmung Abb. B&S 16.4 - Gemessen werden: Schwelle (Beginn d. Schmerzhaftigkeit) Intensität (eingeschätzte Stärke) Toleranz (Stärke bei Stopp) Nozizeption - Nozizeptoren sind polymodal, reagieren auf mechanische, chemische, thermische Reize Abb. B&S 16.9 - freie Nervenendigungen - Direkte oder indirekte Stimulation - Sensibilisierung der Nozizeptoren durch chem. Mediatoren - Vermittlung über dünne, markhaltige Aδ und marklose CFasern Zentrale Verschaltung Aufsteigende Bahnen - Hinterhorn Vorderseitenstrang (Tractus Abb. B&S 16.10 spinothalamicus)Thalamus Cortex 7/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz - motorische u. autonome Reflexbögen - Transmitter: Glutamat, Neuropeptide (Substanz P) Absteigende Bahnen - Cortex Hirnstamm Hinterhornzellen im Rückenmark Abb. B&S 16.10 - Gate-Control-Theorie (Melzack & Wall 1965): Schrankenkontrolle im Hinterhorn präsynaptisch durch Afferenzen und durch absteigende Hemmsysteme - Endogene Schmerzkontrollsysteme: 1. Endogene Opioide 2. Zentrale Areale (Periaquäduktales Grau, Formatio reticularis, N. Raphe) mit serotonergen/noradrenregen Bahnen Stressinduzierte Analgesie - Unter akutem Stress tritt Unterdrückung der Schmerzwahrnehmung auf - evolutionär adaptiv - vermittelt durch endogene Opiate - Sicherheitssignale können stress-induzierte Analgesie aufheben durch lokale HormonAusschüttung im Rückenmark Pathologische Schmerzphänomene - Übertragener (projizierter) Schmerz: Abb. B&S 16.12 1. Bei Nervenreizung wird Schmerz im Versorgungsgebiet des Nerven wahrgenommen Abb. B&S 16.13 2. Head-Zonen: Afferenzen aus Haut und Eingeweiden konvergieren, Eingeweideschmerzen als 8/9 Biopsychologie SoSe – Somatoviscerale Sensibilität & Schmerz Oberflächenschmerzen interpretiert Abb. B&S 16.17 - Phantomschmerz & Kort. Reorg. nach Amputation: Nach 40 – 70% der Arm- oder Handamputationen; oft dauerhaft; assoziiert mit Ausmaß kortikaler Reorganisation Chronische Schmerzen - > 6 Monate - Mit oder ohne Organursache - 5% aller Schmerzpatienten chronisch - Kopfschmerz > Rückenschmerz > Gesicht > Tumor - Psychologische Beteiligung (außer Tumor) Schmerztherapie - pharmakologisch (Analgetika, Narkose, Psychopharmaka) Abb. B&S 16.24 - physikalisch (Wärme, Kälte, Gymnastik, elektrische Reizung, Chirurgie) - psychologisch (Entspannung, VT, Hypnose) 9/9