Die neuen Medienmacher Wie Konzerne Marketing

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Die neuen Medienmacher
Wie Konzerne Marketing als Journalismus verkaufen
von Lutz Frühbrodt
Vor ein paar Jahren noch war Dominik Wichmann Chefredakteur des
Wochenmagazins „Stern“. Nun wird Wichmann Chefredakteur beim
Mercedes-Stern. Der gelernte Journalist soll nämlich für den schwäbischen
Autokonzern ein eigenes Medienhaus aufbauen. Manfred Bissinger wiederum hat sich schon vor längerer Zeit aus dem Journalismus verabschiedet.
Früher fungierte der Alt-Linke als Chefredakteur der Wochenzeitung „Die
Woche“. Nach deren Exitus 2002 avancierte er zum Leiter der für
Kundenmagazine zuständigen Tochtergesellschaft des Verlags Hoffmann
und Campe. Seit drei Jahren leitet er nun seine eigene Agentur namens
Bissinger plus, die vor allem digitale Inhalte für Unternehmen liefert.
Zwei prominente Beispiele, zwei Fingerzeige dafür, dass seit geraumer
Zeit eine regelrechte Wanderungsbewegung stattfindet, bei der
Journalisten von den klassischen Verlagshäusern zu unternehmenseigenen Medien wechseln. Aus der Krisenregion geht es in den
vermeintlich sicheren Hafen. Unternehmensmedien boomen – und diese
Entwicklung wird für die öffentliche Meinungsbildung nicht ohne Folgen
bleiben.
„Wir freuen uns schon, wenn Apple über die Arbeitsbedingungen in China
berichtet oder Coca-Cola über die Segnungen der Globalisierung“, höhnte
bereits vor einigen Jahren der 2014 verstorbene Mitherausgeber der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), Frank Schirrmacher, in einem
Essay über die Zukunft des Journalismus. Noch sind die Vorahnungen des
Kulturkritikers Schirrmacher in dieser Form nicht eingetreten. Doch hat
beispielsweise Coca-Cola Deutschland im Jahr 2013 seine Unternehmenswebsite in ein Jugendmagazin namens „Journey“ umgewidmet. Die
Website verzeichnet nach einem rasanten Wachstum nun immerhin über
vier Millionen Besuche pro Jahr.
Coca-Cola bildet beileibe keine Ausnahme: Viele Unternehmen in
Deutschland arbeiten mit ganz ähnlichen Publikationen, einige davon
haben sogar einen gesellschaftspolitischen Einschlag. So bietet die
Deutsche Post DHL allen Interessierten kostenlose Logistiknachrichten und
breitet in einem „Zukunftsblog“ ihre Visionen von Technik, Wirtschaft und
Gesellschaft aus. Die Deutsche Bank hat auf YouTube einen eigenen
Kanal für ihre „Economy Stories“ eingerichtet: In dreiminütigen Videos
werden vor allem jungdynamische Gründer und Macher vorgestellt. Das
Online-Magazin der Elektronik-Kette Mediamarkt setzt dagegen ganz auf
Unterhaltung und gewinnt dazu auch prominente Schauspieler wie Daniel
Brühl für ein Interview.
Content Marketing: Die billige Alternative zur Werbung
Ist dies tatsächlich ein neuer Trend? Kundenmagazine gibt es in
Deutschland schon seit zwei Jahrzehnten. Doch die publizistische
Beschallung hat seit einigen Jahren eine neue Dimension erreicht – vor
allem die Digitalisierung der Kommunikation hat dies möglich gemacht.
Heute können Unternehmen nicht mehr nur wie beim klassischen
Corporate Publishing mit gedruckten Hochglanzzeitschriften die Bestandskunden erreichen, sondern auch die Kundschaft von morgen. Auf seiner
„Customer Journey“ kann nämlich der potentielle Kunde an verschiedenen
digitalen „Touch Points“ angesprochen werden, wie es im Marketingsprech
heißt. Dabei wollen Unternehmen die potentiellen Käufer mit „werthaltigen“
Inhalten anlocken, sei es über ihre eigenen Onlinemagazine und Themenseiten, sei es über Blogs und Videokanäle, sei es über Smartphone-Apps.
„Unternehmen entdecken zunehmend die Kraft von selbst publizierten,
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hochwertigen Inhalten, von Themen und von News“, schreibt Bernhard
Fischer-Appelt, Inhaber einer großen Hamburger Medienagentur, in einem
einschlägigen Ratgeberbuch. Und weiter: „Sie übernehmen gelegentlich die
Rolle von Publizisten und entwickeln eigene Plattformen für die
Publikationen. Der Weg zu einer klassischen Verleger-Rolle ist für einige
Unternehmen nicht mehr weit.“ Die Anbieter entsprechender Dienstleistungen verknüpfen solche Statements gerne mit eingängigen Slogans
wie „Marken werden zu Medien!“ oder „Jedes Unternehmen zu einem
Medienhaus!“. Als großes Vorbild wird hier oft der Softdrink-Hersteller Red
Bull genannt, der vor allem seine Extremsport-Events in konzerneigenen
Medien inszeniert. Das Red Bull Media House verfügt über eigene
Zeitschriften und Fernsehsender und hat jüngst sogar einen Buchverlag
gegründet.
Die Methode hinter diesem medialen Paradigmenwechsel heißt Content
Marketing (CM). Ihre Verfechter preisen sie als Alternative zur Werbung an,
denn immer mehr Mediennutzer blockieren Banner und schalten bei Spots
einfach ab – und dies im doppelten Sinne. Statt leerer Werbeversprechen
will das CM die Konsumenten mit individuell nutzbaren Inhalten gewinnen,
die höchstens indirekt mit den zu verkaufenden Produkten zu tun haben
sollen. „Don’t talk about products, talk around products“, lautet die Devise
des Content Marketing. Nicht immer halten sich die Unternehmen daran.
Content Marketing ist als Konzept der kommerziellen Kommunikation vor
einigen Jahren von den USA nach Europa gekommen. Gemessen am
allgemeinen Bekanntheitsgrad erreichte es den alten Kontinent zwar auf
leisen Sohlen, dafür aber mit aller Macht. In der Kommunikationszunft gilt
CM deshalb schon länger als das „nächste große Ding“. Die Buchautoren
Klaus Eck und Doris Eichmeier behaupten gar, CM werde die gesamte
Unternehmenskommunikation auf Dauer verändern: „Was auf Unternehmen zukommt, ist eine Content-Revolution.“ Was wie ein wohlfeiler
Werbespruch klingen mag, ist gar nicht so weit von der Realität entfernt. In
der von der Otto-Brenner-Stiftung herausgegebenen Studie „Content
Marketing: Wie ‚Unternehmensjournalisten’ die öffentliche Meinung
beeinflussen“ haben Annette Floren und der Autor dieses Textes die
Kommunikationsstrategien der 30 im Deutschen Aktienindex (DAX)
notierten Konzerne unter die Lupe genommen. Das Ergebnis dieser
Analyse: Alle 30 DAX-Unternehmen setzen mindestens zwei CMInstrumente ein. Einige Konzerne führen sogar regelrechte CM-Offensiven,
allen voran die Autohersteller BMW, Daimler und Volkswagen, aber auch
die Deutsche Post DHL, der Technologiekonzern Siemens sowie der
Wasch- und Pflegemittelgigant Henkel.
Ein weiteres Ergebnis: CM dient den Unternehmen nicht nur dazu, ihr
Image aufzupolieren, Kunden zu binden und indirekt den Verkauf ihrer
Produkte anzukurbeln. Es soll auch für einen subtilen Transfer von Werten
genutzt werden – in diesem Fall meist für Werte wie Materialismus und
Konsumismus, für Wettbewerbsdenken und Individualismus sowie für
unkritische Technikgläubigkeit. Wie das funktioniert? Meist kommen die
Inhalte in einer journalistischen Aufmachung daher und wirken auf den
ersten Blick oft sogar, als hätten unabhängige Redaktionen sie produziert.
Dieser Eindruck ist durchaus beabsichtigt, denn die seriöse Aufmachung
steigert die Glaubwürdigkeit und damit auch die „Aufnahmebereitschaft“ bei
den Nutzern. Damit treten die Unternehmenspublikationen in Konkurrenz
zu den klassischen Medien. Derzeit geschieht dies vor allem im Verbraucher- sowie im Lifestyle- und Unterhaltungsjournalismus, die sich
ohnehin immer wieder für PR-Aktionen einspannen lassen. Harmlos ist
diese Entwicklung dennoch nicht: Gerade jüngere Mediennutzer schauen
nicht immer auf den Absender einer Information, solange sie nur
interessant für sie ist. So könnte sich die schleichende „Kolonialisierung der
Lebenswelten“ (Jürgen Habermas) fortsetzen, nun verstärkt im und über
den privaten Medienkonsum.
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Berufsbild »Markenjournalist«
Und möglicherweise geht die Entwicklung noch weit darüber hinaus.
Anfang des Jahrtausends haben Konzerngranden wie Jürgen Schrempp
von Daimler und Verbandschefs wie der damalige BDI-Präsident Hans-Olaf
Henkel ohrenbetäubend für eine neoliberale „Wende“ der Wirtschafts- und
Sozialpolitik getrommelt. Seit der Finanzkrise 2008/09 üben sich
Konzernchefs meist in vornehmer Zurückhaltung, wenn es um politische
Meinungsäußerungen in der breiten Öffentlichkeit geht. Das schlechte
Image der Großbanken hat auf die gesamte Unternehmenswelt abgefärbt.
Content Marketing bietet dagegen die Möglichkeit, marktliberale Grundwerte auf Schleichwegen zu vermitteln, ohne dass sich die Top-Manager
zu sehr aus dem Fenster lehnen müssen. Einige Unternehmensmedien
wagen sich allerdings auch schon direkt aufs politische Feld, etwa in der
Fluchtdebatte, der beispielsweise das „Evonik Magazin“ vor einem Jahr
eine ganze Ausgabe widmete. Damit könnten Konzernmedien auf mittlere
Sicht auch zu Konkurrenten der klassischen Medienhäuser im (wirtschafts-)
politischen Journalismus werden. In Schweden gibt es schon Großbanken,
die Wirtschafts- und Finanznachrichten über eigene Internet-TV-Sender
verbreiten. Der große Vorteil: Ihre „Botschaften“ können die Unternehmen
so direkt unter die Leute bringen, ohne dass sie durch lästig-kritische
Journalisten gefiltert werden.
Und das tun sie durchaus mit stolzgeschwellter Brust. Gerne nennen sich
die CM-Produzenten, ob sie nun zur Firmenkommunikation gehören oder
Mitarbeiter von Medienagenturen sind, „Unternehmensjournalisten“ oder
auch „Markenjournalisten“. Die Namensgebung deutet es an: Das Berufsbild des Journalisten soll uminterpretiert werden. Der Redakteur oder Autor,
der für die klassischen Medien arbeitet, soll keinen Monopolanspruch mehr
auf „den“ Journalismus erheben dürfen. Geht es nach dieser neuen Lesart
der kommerziellen Kommunikation, ist der Auftragsschreiber mit sofortiger
Wirkung gleichrangig zu behandeln. Damit wird zugleich der Journalismus
auf seine äußere Hülle reduziert. Seine konstituierenden Merkmale,
nämlich Unabhängigkeit und Neutralität, sollen in den Hintergrund gedrängt
werden.
Klar ist: Je stärker die Invasion des Content Marketing in den öffentlichen
Raum ausfällt, desto stärker ist der unabhängige Journalismus gefährdet.
Ohnehin befindet er sich seit Jahren in einer tiefen ökonomischen und
politischen Krise. Für die klassischen Medienhäuser müsste die Strategie
daher eigentlich glasklar sein: Sie müssen sich unverwechselbar und
unentbehrlich machen! Sie sollten unverfälschten, von PR-Tricksereien
befreiten und unabhängigen Journalismus betreiben und sich dezidiert auf
das Politische und gesellschaftlich Relevante konzentrieren. Und wenn sie
Verbraucherjournalismus betreiben, dann sollten sie ihren Lesern
demonstrieren, dass sie objektive Testkriterien anwenden und folglich eine
hundertprozentige Unabhängigkeit und Nachvollziehbarkeit garantieren
können. So könnten sie wieder ein Alleinstellungsmerkmal für Produkte
gewinnen, die ihr Geld auch tatsächlich wert sind.
Zweifelhafte Werbemethoden breiten sich aus
Eine solche Strategie kann im deutschsprachigen Raum durchaus Erfolg
haben. Das zeigen die positiven Bilanzen der „Neuen Zürcher Zeitung“, der
„Zeit“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Und im Zeitschriftenmarkt wachsen
die Bäume zwar nicht in den Himmel, aber es droht auch nicht das große
Waldsterben. Sind das alles Ausnahmen? Die Mehrheit der Medienhäuser
scheint dies so wahrzunehmen, denn statt eine Strategie strikter
Unabhängigkeit und inhaltlicher Seriosität zu verfolgen, fährt der Zug bei
ihnen in genau die entgegengesetzte Richtung: seichte Inhalte,
tendenziöser Thesenjournalismus, ethisch zweifelhafte Werbemethoden.
Gemeint ist damit nicht zuletzt das bei Onlinemedien angesagte Native
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Advertising, bei dem Werbung wie ein redaktioneller Inhalt erscheinen soll.
Meist werden die Native Ads zwar mit „Anzeige“ oder „Sponsored by“
gekennzeichnet, aber Ziel des Werbetreibenden ist dennoch, dass der
Mediennutzer dies übersieht und den vermeintlichen Artikel als einen
journalistischen Beitrag wahrnimmt. Damit wird Native Advertising zum
publizistischen Komplizen des Content Marketing und muss deshalb
ethisch als genauso bedenklich eingestuft werden, sofern es nicht deutlich
als solches erkennbar ist. Solche „Verunreinigungen“ des waschechten
Journalismus sind dem einst klaren und scharfen Profil der klassischen
Medien abträglich. Dies umso mehr angesichts einer viel fundamentaleren
allgemeinen Glaubwürdigkeitskrise, die die Medien derzeit durchmachen
müssen (Stichwort „Lügenpresse“). Beschleunigt wird der Verwässerungsprozess dadurch, dass vor allem die größeren Medienkonzerne ihre
geschäftlichen Aktivitäten nicht nur digitalisieren, sondern auch
diversifizieren – mit dem Resultat, dass sie deutlich weniger Journalismus
und stattdessen vor allem gewinnträchtige Serviceportale im Internet
betreiben.
Die Verzahnung von E-Commerce und Journalismus
Dahinter steht eine grundsätzliche Neuausrichtung: Die Übernahme von
nicht-journalistischen Internetportalen oder vielversprechenden Technologie-Startups mit vermeintlichem Silicon-Valley-Pioniergeist gelten vielen
Konzernstrategen als die Wachstumstreiber von heute – und vor allem von
morgen. Besonders weit fortgeschritten ist dieser Prozess beim Berliner
Axel-Springer-Konzern. Einige Medienkonzerne treiben die Verzahnung
von Publizistik und E-Commerce sogar auf der operativen Ebene voran: So
gründete Gruner und Jahr zu einer Zeitschrift für schönes Wohnen den
passenden E-Shop, bei dem die angepriesenen Möbel gleich erstanden
werden können. Das mag wie eine clevere Geschäftsidee wirken, aber
eben nicht wie eine Publizistik, die auf ihre Unabhängigkeit pocht. Aus
anderen Verlagen ist zu hören, dass sie Online-Shops erworben haben, um
deren Produkte – deutlich verdeckter als beim oben genannten Beispiel –
verstreut über ihre Artikel bei ihren Lesern ins Spiel zu bringen. Das sind
die ersten Ansätze zu einem Content Marketing, das die klassischen
Medienhäuser in eigener Sache betreiben.
Besonders deutlich wird dies bei Hubert Burda Media: Der Münchener
Medienkonzern unterhält Plattformen wie die Singlebörse ElitePartner, das
Reiseportal Holidaycheck, den E-Commerce-Shop Cyberport und das
digitale Karrierenetzwerk Xing. „Wir verfolgen ganz klar eine ContentOffensive“, heißt es bei Xing. Konkret: Nach dem Themenportal
„Spielraum“ („So stoppen Sie nervige Kollegen“) erschien im Oktober 2015
erstmals das Wirtschaftsmagazin „Klartext“, das in das Netzwerk integriert
ist. Als Herausgeber fungiert der marktradikale Roland Tichy, ehemals
Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“. „Klartext“-Chefredakteurin Jennifer
Lachmann, früher bei der „Financial Times Deutschland“, hat angekündigt,
sie wolle „der deutschen Wirtschaft eine Stimme zu geben“. Was in der
Praxis bedeutet: Neben einigen wenigen Gewerkschaftern kommen vor
allem Top-Manager zu Wort.
Klassische Verlage als Dienstleister für Content Marketing
Auch die Medienkonzerne wollen also offenbar vom großen Schwenk hin
zum Content Marketing profitieren und konnten bereits einschlägige
Erfahrungen als CM-Dienstleister sammeln. Deutsche Branchenführer wie
Axel Springer, Bertelsmann (Gruner und Jahr), Holtzbrinck und Burda
betreiben schon seit längerer Zeit gesonderte Einheiten für Corporate
Publishing. Inzwischen ist daraus der sehr viel größere, um das
Digitalgeschäft erweiterte Markt für Content Marketing erwachsen, der die
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Verlagsszene noch einmal zusätzlich in Bewegung gebracht hat. So hat
Bertelsmann die „Gruner und Jahr“-Tochter „Territory“ gegen Burdas „C3 –
Creative Code and Content“ in Stellung gebracht, das aus einer Fusion mit
der marktführenden Agentur KircherBurkardt entstanden ist.
Was passiert hier gerade? Befindet sich der Medienmarkt im
Anfangsstadium eines größeren Umbruchs, bei dem die Digitalisierung
völlig neue Strukturen hervorbringt? Noch gilt, dass Medien für NichtMedienunternehmen bloß ein Mittel zum Zweck darstellen. Umgekehrt
bilden sie für Medienunternehmen den Zweck schlechthin – bisher. Denn
wie lange noch lässt sich so eine strikte definitorische Trennung
aufrechterhalten, wenn sich klassische Medienkonzerne in ihrer
Gesamttätigkeit – und damit institutionell – immer weiter vom Journalismus
entfernen, während Unternehmen anderer Branchen in unterschiedlichem
Ausmaß, aber doch zunehmend das betreiben, was sie als „Journalismus“
verkaufen?
Hier zeichnet sich eine gewisse Branchenkonvergenz ab, durch die eine
klare Trennung und problemlose Unterscheidbarkeit geringer werden
könnten. Das trifft insbesondere dann zu, wenn Nicht-Medienunternehmen
auf die Idee kommen, Medienunternehmen aufzukaufen, weil diese bereits
über starke, etablierte Marken verfügen. So erwarb Amazon-Chef Jeff
Bezos die renommierte „Washington Post“. Und schon vor ihm kauften
einige milliardenschwere Unternehmer – pikanterweise aus der Rüstungsindustrie – diverse französische Zeitungen und Zeitschriften. Auf dem
deutschen Markt für Publikumsmedien wäre dies ein Novum, doch im
Fachmedienmarkt haben sich einige Unternehmen bereits ihre eigenen
Fachzeitschriften gekauft.
Diese Konvergenzbewegung wird dadurch verstärkt, dass die
Medienunternehmen selbst am Content Marketing beteiligt sind. Sie
beteuern zwar, dass sie „chinesische Mauern“ zwischen ihren CM-Units
und ihren journalistischen Redaktionen hochgezogen hätten. Doch die
Mauern könnten Risse bekommen, sobald die Medienhäuser verstärkt
Umsätze mit nichtmedialen Geschäften machen und daraus den Schluss
ziehen, es anderen, „normalen“ Unternehmen gleichtun zu müssen. So
platziert das US-Magazin „Forbes“, bekannt für seine Listen der reichsten
und mächtigsten Menschen der Welt, gesponserte Artikel bereits ganz
selbstverständlich neben journalistischen Beiträgen. Noch ist das ein
Extrembeispiel. Doch das Selbstverständnis der Medienhäuser hat sich in
der Strukturkrise seit Anfang der Nuller Jahre gewandelt, die publizistische
Mission ist stärker in den Hintergrund getreten. Und mit dem Vormarsch
der Unternehmensmedien und dem so verschärften Wettbewerb wird die
betriebswirtschaftliche Komponente weiter an Bedeutung gewinnen.
Ein gefährliches Spiel
Alles deutet also darauf hin, dass die klassischen Medienhäuser – nicht
alle, aber auch nicht wenige – ein gefährliches Spiel spielen. Indem sie
quasi um jeden Preis Werbeeinahmen erzielen wollen, lassen sie sich auf
fragwürdige Werbemethoden und Geschäftsmodelle ein. Sie geben durch
die Diversifizierung ihre eindeutige Identität und ihr scharfes Profil auf. Und
sie mischen bei einem Geschäft mit – dem Content Marketing –, das sie als
ihren „natürlichen Feind“ betrachten müssten. Sägen sie damit den ohnehin
schon dünnen Ast ab, auf dem sie sitzen? Auf jeden Fall dürfen sie sich
nicht wundern, wenn das Vertrauen der Mediennutzer weiter schwindet,
weil die qualitativen Unterschiede zu Unternehmenspublikationen geringer
werden.
Damit setzt sich jene Entgrenzung des Journalismus fort, die schon vor
mehr als einem Jahrzehnt der renommierteste deutsche Medienforscher,
Siegfried Weischenberg, festgestellt hat: Zunächst hat die Strukturkrise die
Medien anfälliger für PR-Einflüsse gemacht. Dann haben Internetportale
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wie T-Online und Web.de die Boulevardisierung mit ihren UltralightVarianten von Journalismus vorangetrieben. Seit einigen Jahren erleben
zudem mehr oder minder alternative Politblogs linker oder rechter Couleur
eine Hochkonjunktur. Und dazu kommt nun die digitale Offensive der
Unternehmensmedien. Über kurz oder lang könnte damit das klassische
Modell der öffentlichen Meinungsbildung in Gefahr geraten, bei dem
unabhängige Medien die Wirklichkeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
beobachten und für die Öffentlichkeit aufbereiten und einordnen.
Gegenhalten und gegensteuern, hieße deshalb das Gebot der Stunde.
Doch wie gut stehen die Chancen, dass die Politik die Problematik
erkennt? Eingriffe in das Mediensystem, zumal auf der Produzentenseite,
gelten als äußerst heikel. Deshalb ist einmal mehr die Bildungspolitik
gefragt, die die Medienkompetenz der Nutzer auch mit Blick auf die
Absichten der Unternehmensmedien schulen sollte. Dies allein reicht aber
noch nicht. Bei allen Unternehmensmedien müsste der Absender klar
erkennbar sein. Deshalb sollten hier Journalistenverbände und
Verbraucherzentralen an einem Strang ziehen, um einen Ethik-Kodex für
das Content Marketing durchzusetzen. Sonst könnte es – ganz im Geiste
der Warnung Frank Schirrmachers – durchaus passieren, dass eines
Tages ein VW-Verkehrsmagazin über die Einhaltung von Abgasnormen
berichtet oder uns ein Adidas-Blog über die Geschehnisse bei der FIFA auf
dem Laufenden halten will. Und wir alle das auch noch für ganz normal
halten.
Aus: »Blätter« 1/2017, Seite 114-120
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