Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten in Züricher Sicht

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Zwei deutsche
Kreuzzugsgeschichten
in Züricher Sicht
Eine Replik
Von
HANS EBERHARD MAYER
Privatdruck Kiel 2008
(Im Buchhandel nicht erhältlich.)
f) (1/60].
MONUMENTA
GERMANIAE
Ich habe diese Arbeit am 26. 3. 2006 dem Mittellateinischen Jahrbuch
angeboten. Nach mehr als zwei Jahren, in denen außer einer telefonischen
Eingangsbestätigung nichts geschehen war, zog ich sie am 19. 5. 2008
zurück und erhielt am 23. 5. 2008 die erstaunliche Mitteilung, Manuskript
und Diskette seien nicht auffindbar. Für den Druck hier habe ich die Arbeit
unwesendich ergänzt.
In der Zeitschrift Crusades Band 4 (2005) S. 177-178 hat Christoph T.
Maier aus Zürich das Buch von Nikolas Jaspert, "Die Kreuzzüge"
(Darmstadt 2003), besprochen. Das ist nicht irgendeine Zeitschrift,
sondern die, die alle Kreuzzugsforscher lesen. Und es ist nicht irgendein
Rezensent, sondern der Herausgeber des Besprechungsteils. Christoph
T. Maier hat Jaspert vor allem besprochen im Vergleich zur 9. Auflage
meiner "Geschichte der Kreuzzüge" 1• Im Prinzip ehrt es mich, wenn
ich zum Gradmesser werde, aber es ehrt mich natürlich weniger, wenn
der Vergleich so negativ für mich ausfällt wie hier. Ich frage mich nach
der Lektüre der Rezension auch, wer hier eigentlich besprochen wird,
Jaspert oder ich, denn ich bekomme fast ein Drittel der Rezension
(16 von 51 Zeilen).
Der Verfasser beginnt mit einer außergewöhnlich preisenden Laudatio auf mich, die mir willkommen wäre, stünde sie nicht im Widerspruch zu der dann folgenden Vituperatio. Beides paßt nicht zusammen.
Wenn ich so schlecht bin, wie später behauptet, dann bin ich nicht so
gut, wie eingangs gesagt. Oder umgekehrt. Meine Konzeption der Kreuzzüge, so heißt es, sei problematisch, was zu tun habe "with all those
elemems of the history of the medieval crusades which the author
[i. e. ich] chose to ignore. By excluding all aspects of the crusading
movement which feil outside the crusades to the Holy Land of the
twelfth and thirteenth centuries and the crusader states of the Latin East,
Mayer has stubbornly refused to integrate a wealth of scholarly work,
primarily clone in Britain and the United States, which puts forward
1) Hans E. MAYER, Geschichte der Kreuzzüge (Stuttgart 1965; 92000).
Inzwischen ist 2005 die "Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage"
erschienen.
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HANS EBERHARD MAYER
the now predominant (mein Kursivsatz) view of the medieval crusade
movement as consisting of numerous crusades launched against
supposed enemies of the Church both within and on the peripheries of
Christendom throughout the later Middle Ages and into the modern
era". Endlich ("finally") hätten Lehrer und Schüler der Universitäten des
deutschen Sprachraums "a competent up-to-date guide" zu dem Thema
in der eigenen Sprache. Herablassend ist noch der mildeste Ausdruck,
der mir dazu einfällt. Und der letzte Satz: "The story told by Jaspert is
different, more modern and ultimately much more complex than the
one available in Mayer's Geschichte der Kreuzzüge". Man merkt dem
Rezensenten die Erleichterung ordentlich an, daß es damit nun ein Ende
hat. Aber hat es das? Nicht alle sind einer Meinung mit Christoph T.
Maier. Im Jahre 2005, Jaspert war schon seit Mitte 2003 auf dem Markt
und hatte die zweite Auflage erreicht, wurden von der deutschen
Fassung meines Buches 726 Exemplare verkauft, von der englischen 2004
607 Exemplare, 2005 waren es 528. Für die spanischen und arabischen
Übersetzungen liegen mir keine Absatzzahlen vor, aber es ist gut, daß
es erstere gibt, denn wenn alle Welt mich als hoffnungslos unmodern
bereits zu den Akten gelegt haben wird, liest mich vielleicht noch ein
einsamer Leuchtturmwärter in Feuerland, der von Gelehrtenquerelen
nichts weiß. Eine polnische Übersetzung ist soeben (2008) in Krakau
erschienen.
Gegenüber dieser Breitseite ist die eigentliche Besprechung von
Jasperts Buch jenseits des bereits vorgeführten Lobes dann seltsam
unkonkret. Der Rezensent lobt das in der Tat geschickte Layout, das der
ganzen Reihe gemeinsam ist und das sich primär an Studenten und
Prüflinge wendet, denen das Buch helfen soll. Sechs Zeilen widmet er
dem Inhalt des Buches, preist J asperts zuverlässige Gelehrsamkeit und
lobt seinen Stil als sehr lesbar, wie es einem guten Handbuch anstehe.
Kritisch wird nur vermerkt, daß das Buch für das, was es sich vorgenommen habe, zu knapp sei. Aber das wird sofort den Reihenheraus-
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik
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gebernund deren Vorgaben angelastet. Hätte Jaspert nur 50-100 Seiten
mehr gehabt, so liest man, dann wäre das Buch noch viel gründlicher,
es hätte "greater depth and substance". Hier werden Buchteile, die nie
geschrieben wurden, schon einmal vorbeugend für gut erklärt. Ich kann
mich an ein solches Verfahren nicht erinnern, aber es zeigt, daß der
Rezensent durchaus erkannt hat, daß man auf 160 Seiten Haupttext die
Kreuzzüge unter Einschluß aller Neben- und Folgeerscheinungen bis
1492 und 1525 nicht schildern kann, was hier aber versucht worden ist.
Wenn der Platz nicht ausreicht für das, was gemacht werden sollte
(Kreuzzüge im HL Land, in Spanien, im Baltikum, gegen Ketzer und
Schismatiker und gegen weltliche Feinde der Kirche, Ritterorden), dann
hätte man das Angebot der Herausgeber ablehnen müssen, wenn diese
nicht mehr Platz gewähren. Oder man hätte das Programm zusammenstreichen müssen. Denn zaubern kann niemand.
Implizit bezichtigt mich Christoph T. Maiers Verdikt des mangelnden Verständnisses für die moderne Forschung, und das auch noch vorsätzlich {"stubbornly"). Es geht hier um eine alte Debatte, vereinfachend
gesagt, ob nur Züge ins Hl. Land Kreuzzüge seien, wenn sie die sonstigen Kriterien {Ausschreibung durch den Papst, das Kreuzzugsgelübde
sowie geistliche [Ablaß] und weltliche Privilegien für die Kreuzfahrer)
erfüllen, über die Einigkeit besteht, oder ob man unter dem Begriff auch
die spanische Reconquista, die Kämpfe des Deutschen Ordens in
Preußen, Litauen und Polen, die politischen Züge gegen die durchaus
rechtgläubigen späten Staufer in Italien und sonstige Feinde des
Papsttums, die Bekämpfung von Häretikern wie der Albigenser, oder die
Züge gegen die Türken nach dem Fall des Hl. Landes an die Mamluken
1291 subsumieren müsse, weil alle diese Züge die soeben zitierten
Kriterien aufwiesen, auch wenn sie geographisch oder sachlich ein
anderes Ziel hatten als die Hl.-Land-Kreuzzüge. Die Vertreter dieser
weiteren Auffassung folgen im wesentlichen der Definition der Mehrzahl der mittelalterlichen Kanonisten, die bestrebt waren, der Kirche ein
6
HANS
EBERHARD MAYER
scharfes Schwert gegen jedweden Feind zu schmieden. Ich vertrat 1965
die enge Definition und forderte auf, zu einer klaren, eindeutigen und
allseits anerkannten Definition der Kreuzzüge zu kommen, sonst werde
sich die Forschung im Kreise drehen2 . Zu solcher Einheitlichkeit
leider nicht gekommen, denn
ist es
mit seiner ganzen Autorität propagierte
der brillante und einflußreiche englische GelehrteJonathan Riley-Smith
in Cambridge die sachlich, geographisch und chronologisch weite
Definition der Züge, vor allem in seiner bisher in drei Auflagen
erschienenen Schrift "What Were the Crusades?", dem Katechismus der
Pluralisten3 . Bei seinen Schülern las man es dann ebenso. Einer von
ihnen, Norman Housley, den Riley-Smith den "leading apologist for
pluralism" nennt 4 , war noch päpstlicher als der Papst 5. Für ihn waren
die von ihm untersuchten - mit sehr viel Brillanz untersuchten - inneritalienischen Kriege des Papsttums im 13. Jahrhundert und die sogenannten Späten Kreuzzüge nach 1291 alles echte Kreuzzüge, und die Vertreter einer traditionelleren Sichtweise sahen sich expressis verbis des
Vorurteils bezichtigt ("prejudice" 6). Im Jahre 1986 behauptete er dann
sogar apodiktisch: "It should be stressed that this broad definition of
the crusade is the only one which contemporary sources permit" und
bemühte als Zeugen sogar den "indirect assent of the 'silent majority"' 7 ,
2) MAYER, Geschichte der Kreuzzüge (wie Anm. 1) 1. Auflage, S. 258-265.
Ab 1985 weggelassen, stattdessen in der 9. Auflage Anm. 108.
3) Jonathan Rn.EY-SMTIH, What Were the Crusades? (London/Basingstoke
11977) S. 11-17; 32002, S. XI-XII, 1-8. Dazu die Rezension von Hans E.
MAYER in: Speculum 53 (1978) S. 841 f.
4) Jonathan Rn.EY-SMTIH, The Crusading Movement and Historians, in: The
Oxford lllustrated History of the Crusades (Oxford 1995) S. 9.
5) Norman HOUSLEY, The ltalian Crusades. The Papal-Angevin Alliance and
the Crusades against Christian Lay Powers 1254-1343 (Oxford 1982) S. 1-9.
Leidenschaftsloser DERS., The Later Crusades 1274-1580 (Oxford 1992) S. 1-6.
6) HOUSLEY, ltalian Crusades (wie Anm. 5) S. 3.
7) HOUSLEY, The Avignon Papacy and the Crusades 1305-1378 (Oxford 1986)
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
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bei der man sich frägt, wie man denn ihren ausdrücklich beschworenen
Enthusiasmus mißt, wenn sie selbst sich nicht artikuliert. Daß es im
13. Jahrhundert, als Ketzer und mißliebige Staufer bekämpft wurden, zu
einem breiten Corpus antipäpstlicher Kreuzzugskritik kam 8, wird als
unbeachtlich angesehen9. Und die Idee, daß bei den Kanonisten und
ihren modernen Anhängern in einem wunderlichen Purzelbaum von
Vereinfachung nicht die Sache selbst, sondern ihr äußeres Gewand
triumphiert haben könnte, kam bei den Pluralisten offenbar niemandem.
Es ist natürlich nicht von ungefähr, daß sich Christoph T. Maier so auf
die Seite der Cambridger Schule schlägt, denn er gehört selbst dazu und
hat seine Dissertation bei Riley-Smith geschrieben.
Aber man beendet eine Debatte nicht dadurch, daß man den eigenen
Sieg verkündet. Mindestens war es verfrüht für Christoph T. Maiers
apodiktische Feststellung, seine Auffassung sei "now predominant". Es
ist freilich eine Eigentümlichkeit der Cambridger Schule, den endgül-
S. 4. DERS., Religious Warfare in Europe, 1400-1536 {Oxford 2002) S. 11-12
bleibt bei seinen früheren Thesen.
8) Palmer A. THROOP, Criticism of the Crusade. A Study of Public Opinion
and Crusade Propaganda {Amsterdam 1940).
9) Ganz offen apologetisch, ja in einem schwer vorstellbaren Ausmaß
parteiisch, ist Elizabeth SmERRY, Criticism of Crusading 1095-1274 {Oxford
1985), ebenfalls eine Dissertation, die unter der Leitung von Riley-Smith
angefertigt wurde und der pluralistischen These folgt. Ich habe (in einem
Taschenbuch!) eine ganze Seite auf konkrete Beispiele für diese Haltung
verwendet: Hans E. MAYER, The Crusades {Oxford 2 1988) S. 320-321. Den
Kritikern spricht Siberry durchweg jede Repräsentation der öffentlichen
Meinung ab, alles nur esoterische Zirkel ohne öffentliche Resonanz. Meinungen
und Handlungen der Gegenseite brauchen dagegen nur bezeugt zu sein, um
schon als glaubwürdig zu gelten. Die vehemente Kritik am Kinderkreuzzug
erspart sie sich, indem sie darlegt, er passe nicht in die von ihr gewählte pluralistische Definition. Das ist ja richtig, aber rein formal. Eine Kreuzzugsgeschichte ohne Kinderkreuzzug wäre ein Unding, bei einem Buch über die
Kreuzzugskritik ist es nicht anders.
8
HANS EBERHARD MA YER
tigen Sieg ihrer Theorien laut zu verkünden. Riley-Smith sprach bereits
1993 in einer Debatte mit mir davon, daß "the party for pluriformity
... has won the day" 10. Wenn es ein Sieg war, war er nur kurzlebig,
denn gerade in den letzten Jahren haben J ean Flori und Alain Demurger, beides wahrhaftig keine Leichtgewichte in der Kreuzzugsforschung,
dezidiert Stellung bezogen für eine Kreuzzugsdefinition, in der Jerusalem
von zentraler Bedeutung ist. In einem sehr lesenswerten Aufsatz hat
Flori die Thesen von Riley-Smith und ihre Entwicklung über die Jahre
untersucht 11 und ist dabei durchaus deutlich geworden 12: "Le debat
sur ce point est loin d' etre clos ... Malgre les affirmations triomphantes
des pluralistes, aujourd'hui en position de force - grace surtout
l'influence determinante de Jonathan Riley-Smith et de ses disciples,
- i1 me semble abusif de dire que "tout le monde" s'est desormais rallie
sans condition cette these." Flori hat auch darauf hingewiesen, daß
Giles Constable sich dagegen zu verwahren hatte, von den Pluralisten
mir nichts dir nichts als einer der ihren vereinnahmt zu werden 13 .
Und Constable ist auch nicht der einzige, dem dies zustößt (siehe unten
S. 25 Anm. 45). Im Jahre 2006 hat dann Dernurger ebenso dezidiert,
wenn auch etwas weniger süffisant als Flori, eine Lanze gebrochen für
Jerusalem als Herz der Kreuzzugsbewegung: "Qu'est-ce qui differencie
croisade et guerre sainte? Ni les indulgences, ni la sauvegarde accordee
a
a
10) Jonathan Rn.EY-SMITH, History, the Crusades and the Latin East,
1095-1204. A Personal View, in: Crusaders and Muslims in Twelfth Century
Syria, hg. von Maya SHATZMILLER (The Medieval Mediterranean 1; Leiden
1993) s. 9 f.
11) Jean FLOR!, Pour une redefmition de la croisade, Cahiers de civilisation
medievale 47 {2004) S. 329-349.
12) Ebd. S. 329 f.
13) Giles CONSTABLE, The Historiography of the Crusades, in: The Crusades
from the Perspective of Byzantium and the Muslim World, hg. von Angeliki
E. LAIOU und Roy P. MOTIAHEDE (Washington, D. C. 2001) S. 13.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
9
par l'Eglise, ni le fait de combattre les musulmans ou les paiens
Alors quoi? tout simplement Jerusalem. Dans la croisade, il y a Jerusalem et le pelerinage penitentiel. Dans la guerre sainte, non . . . En
oubliant Jerusalem et en negligeant l'etude des mots, les tenants de la
definition pluraliste de la croisade n' ont fait que definir la guerre
sainte" 14.
Darum also geht es Christoph T. Maier in seiner Rezension von
J aspert, im wesentlichen um eine seit langem geführte Diskussion
zwischen Riley-Smith und Housley auf der einen Seite und mir auf der
anderen, von Giles Constable als die Sichtweise der Pluralisten und
Traditionalisten bezeichnet 15 • Wem es wie Christoph T. Maier ein
Dorn im Auge ist, wenn einer nicht auf der Seite der Pluralisten steht,
der hat, wie die Meinungen von Flori und Dernurger zeigen, noch viel
Arbeit vor sich, bis alle Welt bekehrt ist. Denn es gibt immerhin auch
noch die Popularisten, vertreten vor allem durch Paul Alphandery, für
die die Päpste nur eine minder wichtige Rolle spielten, weil diese nur
auf die in der Volksfrömmigkeit wurzelnde Bewegung reagierten, sie
aber nicht selbst hervorbrachten 16, es gibt Gelehrte wie Ernst-Dieter
Hehl, die man in der Forschung mit dem eher unpräzisen Etikett
"Generalisten" versehen hat und die glauben, jede Definition sei hier
schädlich, weil sie den Kreuzzug so oder so zu einem Krieg der Kirche
mache und ihn damit von der allgemeinen Entwicklung der mittel-
14) Alain DEMURGER, La papaute entre croisade et guerre sainte (fin xe debut :xme siede), in: Regards croises sur la guerre sainte. Guerre, ideologie et
religion dans l'espace mediterraneen latin, Actes du Colloque international tenu
ala Casa de Velazquez (Madrid) du 11 au 13 avril2005, hg. von Daniel BALOUP
und Philippe JOSSERAND (Toulouse 2006) S. 130 f.
15) CONSTABLE, Historiography (wie Anm. 13) S. 1-22.
16) Paul ALPHANDERY, La Chretiente et l'idee de croisade, 2 Bände (Paris
1954. 1959).
10
HANS EBERHARD MA YER
alterliehen Gesellschaft trenne 17. Und zum Schluß sind da noch die
entschiedenen Ikonoklasten, vertreten durch Christopher Tyerman, der
die Ansicht vedocht, Kreuzzüge gebe es erst seit 118718 , der aber doch
festhielt an der Vorrangstellung der Züge ins Hl. Land. Das tat sogar
Riley-Smith, der 1981 ungeachtet seiner auch dort vorgetragenen weiten
Definition der Kreuzzüge schrieb: ,Jerusalem was ... the touchstone
against which all other crusades were tested" 19 •
Die Cambridger pluralistische Sicht ist das, was Christoph T. Maier
als "modern" und "predominant" bezeichnet. Modern im Sinne von
"zeitlich jünger" war es vielleicht, als er seine Rezension schrieb, aber
er meint es natürlich auch im Sinne von "fortschrittlich", "besser". Und
da ist der Begriff ein Kennzeichen so manchen öffentlichen, auch wissenschaftlichen, Diskurses. Die Moderne und damit den Fortschritt nehmen
etwa auch die Protagonisten der gründlich verunglückten deutschen
Rechtschreibriform für sich in Anspruch, ein retrogrades Machwerk,
das, kaum eingeführt, in wesentlichen Teilen reformiert werden mußte.
WennJaspert moderner ist als Mayer, dann ist er doch auch besser, wird
hier insinuiert. Erstmals ("for the first time") erhalte der Leser, so
schreibt Christoph T. Maier, mit dem Buch von J aspert hier in Deutsch-
17) Ernst D. HEHL, Was ist eigentlich ein Kreuzzug?, Historische Zeitschrift
259 (1994) s. 297-336.
18) Christopher TYERMAN, The Invention ofthe Crusades (Basingstoke 1998).
Das Buch ist geschrieben mit dem Charme eines Außenseiters. Aber solche
Forscher haben eine Funktion im Forschungsbetrieb, denn sie zwingen uns
dazu, unsere Positionen zu überdenken. Weil aber Tyerman die ansonsten
prästabilierte Harmonie der englischen Kreuzzugsforschung stört, wird er mit
ätzendem Urteil bedacht. RlLEY-SMITII, What Were the Crusades? (wie
Anm. 3), 3. Auflage, S. XI, 102 wirft ihm nicht nur .,idiosyncratic approach"
vor, sondern auch, die Schrift sei .,not intellectually rigorous enough to be
convincing". Es ist in England wirklich gefährlich, kein Pluralist zu sein.
19) Louise und Jonathan RlLEY-SMITII, The Crusades. Idea and Reality
1095-1274 (Documents of Medieval History 4; London 1981) S. 2.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
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land eine Einführung in die mittelalterliche Kreuzzugsbewegung, "which
acknowledges and represents the enormaus advances of crusade studies
over the past four decades". Man muß aber bei solchen Äußerungen in
einer so sehr auf dem Vergleich zweier Werke basierenden Rezension
immer auch den dann zulässigen Umkehrschluß ziehen: Der andere hat
das eben nicht fertiggebracht, er ist nicht "modern", was eigentlich nur
den Schluß zuläßt, er sei "stubbornly" hinter der Zeit. Nun ist uns
allerdings Christoph T. Maier bisher den Beweis schuldig geblieben, daß
wenigstens er es besser kann, denn eine Kreuzzugsgeschichte hat er nicht
geschrieben, obwohl seit der Drucklegung seiner Dissertation jetzt zwölf
Jahre verstrichen sind und er ja zu wissen glaubt, was so ein Kreuzzug
eigentlich war und was in ein solches Buch hineinmuß. Nun wird man
zum Caesar aber am besten durch die tatsächliche Unterwerfung
Ägyptens, weniger dadurch, daß man dem Mark Anton vorhält, er habe
es wohl versucht, aber nicht geschafft. Angesichts des Umstandes, daß
die Pluralisten in den Theorien der mittelalterlichen Kanonisten
gefangen sind, wäre es ein leichtes, ihre Forderungen als "ultramontan"
zu charakterisieren20, aber das wäre so falsch wie "modern". Einer der
Größten unseres Faches, Jean Richard, hat übrigens noch 1996, als
Housley den Sieg der Pluralisten bereits mehrfach verkündet hatte,
ausgeführt, er halte sich in seiner "Histoire des Croisades" an die
"terminologie courante", in der die Kreuzzüge die Zeit von 1095 bis
1291 umfaßten21 . Keine Albigenserkreuzzüge, keine Kreuzzüge gegen
20) Das ist weniger abwegig, als man meinen möchte. Als FLOR!, Pour une
redefinition {wie Anm. 11) S. 340 bei Sylvia SCHEIN, Fideles crucis. The Papacy,
the West, and the Recovery of the Holy Land 1274-1314 {Oxford 1991) S. 6 in
Bezug auf Housleys Thesen auf den Satz stieß: "The idea is a tempting one for
any Guelf historian to adopt", kommentierte er das mit: "(elle n'ose sans doute
pas employer le terme d'ultramontain!)".
21) Jean RlCHARD, Histoire des Croisades {Ohne Ort [Paris] 1996) S. 7. Es ist
blankes Wunschdenken, wenn RlLEY-SMITH, What were the Crusades? {wie
12
HANS EBERHARD
MA YER
die Staufer, kein Fränkisches Griechenland, nicht einmal die Geschichte
der Lusignans auf Zypern, obwohl Richard einer der ersten Kenner des
mittelalterlichen Zypern ist, keine Stedinger, keine Reconquista, kein
Kreuzzug im Baltikum, keine Kreuzzüge ins östliche Mittelmeer im
14. und 15. Jahrhundert. Und doch ein großartiges Buch. Nur: Wo blieb
denn da der Aufschrei der Pluralisten? Oder mißt man dort mit zweierlei Maß, den einen mit der Elle, den anderen mit dem Meter?
Da Historiker zwangsläufig nie bei den Ereignissen präsent sind, die
sie schildern, kann nicht ausbleiben, daß es zu divergierenden Interpretationen kommt. Aber wir alle hämmern den Studenten ein, daß in
der Tagesarbeit die willbaren Fakten stimmen müssen. Da wir dies als
Anforderung weitergeben, müssen wir uns selbst daran halten. Sehen
wir also zu, wie es damit in dem Buch von Jaspert steht, dem der
Rezensent bescheinigt, "his schalarship is up-to-date and reliable".
Jaspert hatte mir im Mai 2003 sein Buch geschenkt, dabei auch meinen
Kommentar erbeten. Sofort fand ich nur die Zeit, die chronologische
Liste auf S. 78 zu korrigieren, die dringend reparaturbedürftig war.
Damit kam ich für Jasperts zweite Auflage noch rechtzeitig. Die ganze
Reihe, in der J aspert hier publizierte, ist erklärtermaßen (S. VTI) für den
universitären Lehrbetrieb gedacht und insbesondere auch zur Prüfungsvorbereitung. Wer aber als Prüfling die Liste S. 78 in ihrer Fassung von
2003 für die Prüfung verinnerlicht hätte, wäre mit 6 falschen J ahreszahlen (von 34) und einem verkehrten Herrschernamen ins Examen gegangen. Gutgläubig. Wenn es ihm von der zweiten Auflage an insoweit
besser geht, verdankt er das auch dem altmodischen T raditionalisten aus
Anm. 3), 3. Auflage, S. 102 sagt, Richard habe gleichwohl die pluralistische
Position im Prinzip akzeptiert. Was RICHARD S. 7-8 wirklich schreibt, ist etwas
anderes: Die Expeditionen gegen muslimische Mächte des Ostens "ne se sont pas
terminees avec le :xme siede, tout en prenant un nouveau caractere du fait du
renouveau de la menace turque". Ausdrücklich sagt er also, daß die Züge nach
1291 etwas anderes waren als davor.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
13
Kiel. Aus arbeitsökonomischen Gründen mußte ich den Rest meines
Kommentars verschieben, bis ichJaspert am 14. November 2004 deshalb
schrieb. Ich reproduziere nachstehend den Inhalt dieses Briefs, so
abgeändert, daß auch Außenstehende verstehen können, was gemeint ist.
Ich habe damals ausdrücklich Spanien und das Baltikum ausgeklammert,
davon verstünde ich nichts. Rezensiert habe ich das Buch damals nicht,
obwohl ein Geschenk das nicht unbedingt hätte verhindern müssen, da
sich anders ein Autor durch geschickt gerichtete Geschenke von
Rezensionen freikaufen könnte. Ich hatte aber im Auge, daß mit Jaspert
ein fähiger Kollege noch eine Dauerstelle suchte. Da wollte ich kein
Störfeuer liefern. Nachdem er diese jetzt in Bochum erhalten hat, kann
ich meine Zurückhaltung aufgeben und muß diesangesichtsder Provokation von Christoph T. Maier auch tun, um das enorme Gefälle
zwischen J asperts Buch und meinem, das Maier konstatieren zu können
glaubt, auf das zu reduzieren, was angebracht sein mag.
Ich hatte in meinem Brief folgende Monita, die überwiegend nun erst
in einer dritten Auflage Berücksichtigung finden können:
- S. 18 und so durchgehend wird Tankred, der am Ersten Kreuzzug
teilnahm und zweiter Herrscher von Antiochia wurde, als Tankred von
Lecce bezeichnet, obgleich über ihn vor dem Aufbruch in den Osten
nichts bekannt ist. Ich halte die Bezeichnung für eine Verwechslung
mit dem sizilischen Gegenkönig Tankred von Lecce aus dem Ende des
12. Jahrhunderts.
- S. 21: Die Bezeichnung crucesignatus für Kreuzfahrer gebe es
erstmals im 13. Jahrhundert. Sie begegnet verbreitet aber schon seit
118822 •
- S. 22: Die Kreuzfahrer seien auf Zeit in den geistlichen Stand
versetzt worden und hätten der kirchlichen Rechtsprechung unter-
22) Michael MARKOWSKI, Crucesignatus,]ourna! ofMedieval History 10 (1984)
s. 160.
14
HANS EBERHARD MA YER
standen. Aber wie soll man sich das denn vorstellen? Sie erhielten keine
Tonsur, die nach dem bekannten Dictum den Kleriker macht, und keine
Weihegrade. Der kirchlichen Rechtsprechung unterstanden Kreuzfahrer
nur in Kreuzzugsdingen, anders die Kleriker, die in allem der kirchlichen Judikatur unterstanden.
- S. 36 wird die Kreuzzugschronik des Guibert von Nogent unter
dem Titel Gesta Dei per Francos zitiert. Der letzte Editor, R. B. C.
Huygens, legt großen Wert auf den Handschriftenbefund, und danach
heißt das Werk Deigestaper Francos. Eine Quisquilie? Nein, denn auch
wir würden uns dagegen wehren, daß unsere Titel verändert werden,
und im Literaturverzeichnis ist es ja auch richtig. Auch im Kleinen muß
das Willbare stimmen. Ein größerer als wir alle drei, der Philosoph
Pierre Bayle, sagte von sich, er sei in minimis rebus perscrutatissimus
perscrutator. Diesem Ideal hänge ich jedenfalls an.
- S. 37 wird einer der übelsten Scharfmacher bei der rheinischen
Judenverfolgung 1096 als Graf Emicho von Leiningen bezeichnet, aber
das ist eine unzutreffende, wenn auch in der Literatur häufig anzutreffende Namensform. Richtig muß er heißen Emicho von Flanheim (bei
Worms) 23 .
- S. 38 wird König Balduin I. von Jerusalem zwei Jahre älter
gemacht als sein Bruder Gottfried von Bouillon (* ca. 1060) gemacht.
Balduin war aber der jüngste von drei Brüdern24, so daß er erst nach
1060 geboren wurde, wenn man an 1060 für Gottfried festhält, was
J aspert und ich tun.
- S. 38: Boemund "von Tarent" für einen der Anführer des Ersten
Kreuzzuges liest man allenthalben, auch bei mir durch neun Auflagen
23) Hannes MÖHRING, Graf Emicho und die Judenverfolgungen von 1096,
Rheinische Vierteljahresblätter 56 (1992) S. 103.
24) Siehe Hans E. MAYER, Artikel Baudouin 1er, in: Nouvelle Biographie
Nationale [beige] 3 (1994) S. 21.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik
15
hindurch. Ich habe es erst jetzt korrigiert, nachdem Rudolf Hiestand
gezeigt hat, daß er zeitgenössisch nie so genannt wurde und der Papst
ihn 1105 Herr von Bari nannte25 .
- S. 39 ist die Rede von Raimund IV. von St.-Gilles als "Herzog von
Toulouse". Dort war er nur Graf.
- S. 42 wird gesagt, genuesische und englische Schiffe hätten
Baumaterial für die Belagerung Jerusalems 1099 "herbeigebracht".
Richtig ist "geliefert", denn aus den Schiffsplanken selbst machte man
Belagerungstürme.
- S. 42 liest man, Gottfried von Bouillon habe sich nach seiner
Herrscherwahl advocatus sancti Sepulcri genannt. Soweit man weiß, hat
er sich selbst nie so bezeichnet, sondern er wurde lediglich von Erzbischof Daibert von Pisa einmal so genannt 26 .
- S. 42 liest man, Amulf von Chocques sei 1099 zum Patriarchen
von Jerusalem gewählt worden, aber in Wahrheit wurde er damals nur
in unklarer Weise Leiter der Kirche von Jerusalem, was S. 101 dann
richtig steht. Patriarch wurde er erst 1112.
- S. 43 wird die Bezeichnung "Fürstentum Antiochia" darauf
zurückgeführt, daß der erste lateinische Herrscher "Fürst" Boemund von
Tarent gewesen sei. Ein Fürstentitel für Boemund vor dem Ersten
Kreuzzug greift zu hoch, zu Tarent siehe oben. Für den Fürstentitel der
antiochenischen Herrscher wird man eine andere Erklärung suchen
müssen.
- S. 44 liest man, Ordnungszahlen hätten in der Forschung bei den
Kreuzzügen diejenigen Züge erhalten, die von Königen angeführt
25) Rudolf HIESTAND, Boemondo I e la prima crociata, in: ll Mezzogiorno
normanno-svevo e le Crociate, hg. von Giosue MUSCA (Centro di studi
normanno-svevi. Atti 14; Bari 2002), S. 66 Anm. 2. Für Jasperts Erstauflage kam
das zu spät.
26) Literatur zu der Frage bei MAYER, Geschichte (wie Anm. 1; 102005) S. 346
Anm. 32.
16
HANS EBERHARD
MAYER
worden seien. Aber dann hätten der Erste und der Vierte Kreuzzug
nicht gezählt werden dürfen, und der Fünfte eher auch nicht, denn die
Führungsrolle des Königs Johann von Jerusalem war ja bescheiden,
zeitweise kehrte er dem Heer vor Damiette den Rücken.
- S. 45 heißt es, nach der Eroberung von Tyrus 1124 sei die Lage im
Königreich J erusalem stabilisiert gewesen, aber solange Askalon
unerohen war, also bis 1153, kann man von einer Stabilisierung der
Lage nicht sprechen.
- S. 45: Edessa sei am 24. Dezember 1144 wieder an die Muslime
gefallen. Besser ist der 23. Dezembe?7.
- S. 45: Die Kreuzzugsbulle Eugens ill. ist nach ihren Anfangsworten zu zitieren als Quantum (nicht Quantam; so auch S. 61, 63, 64,
dort erst unten richtig) predecessores.
- S. 47: Hier ist von der leichten Reiterei der Turcopoles die Rede.
Es sollte Turcopoli heißen, so jedenfalls benutzen die Gesta Francorum,
Raimund von Aguilers, Puleher von Chartres, Albert von Aachen,
Wilhelm von Tyrus und auch der Bericht "De constructione castri
Saphet" 28 das Wort. Eine Form Turcopolis ist mir nicht geläufig.
- S. 48 wird das Itinerarium pergrinorum als Quelle für die Eroberung Zyperns durch Richard Löwenherz benutzt. Es ist in diesem Teil
lediglich eine Übersetzung von Ambroise, L'Estoire de la Guerre Sainte.
- S. 50 ist von den Qateinischen) Königen von Konstantinopel nach
1204 die Rede. Es muß Kaiser heißen.
27) Baron MAc GUCKIN DE SLANE {Übersetzer), Ibn Khallikan's Biographical
Dictionary 1 (Paris 1842) S. 540.
28) De constructione castri Saphet. Construction et fonctions d'un chateau
fort franc en Terre Sainte, hg. von R. B. C. HUYGENS {Koninklijke Nederlandse Akademie van W etenschappen, Afdeling Letterkunde, Verhandelingen
Nieuwe Reeks 111; Amsterdam 1981) S. 185.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
17
- S. 51: Nikolaus von Köln zog beim Kinderkreuzzug nicht den
Rhein hinab, sondern hinauf, denn er wollte ja über die Alpen nach
Italien.
- S. 53 liest man über Friedrich II. 1229 vom "bizarren Schauspiel
eines gebannten Kreuzfahrers, der im vollen Kaiserornat in der Grabeskirche auftrat". Das trifft die Sache nicht. Er ging dort unter der Krone,
und daß es ein einfacher, wenn auch politisch bedeutsamer Vorgang
war, tritt in den Quellen deutlich hervor.
- S. 54: Eine Kreuzfahrerburg heißt Gibelacar, von arabisch Akkar,
nicht Gibelca?9 .
- S. 56 liest man, die Franziskaner hätten bald nach 1335 "am Grabe
Christi den liturgischen Dienst feiern" dürfen und "pflegen noch heute
das Grab Christi". Das geht so nicht, denn das Aediculum über dem
Grab ist außen wie innen griechisch-orthodox, und die Orthodoxen
würden eine Grabpflege durch die Franziskaner nicht zulassen.
- S. 58 geht es um die Finanzierung der Kreuzzüge. Kehrte der
Kreuzfahrer zurück, heißt es dort, ging das an die Kirche verpfändete
Land wieder an ihn zurück, fiel er, dann wurde es an seine Erben
übertragen. Hier fehlt ein wichtiges Zwischenglied. Der heimgekehrte
Kreuzfahrer erhielt sein Land ja nur dann wieder, wenn er die Pfandsumme zurückzahlte, sonst hätten die Klöster ein miserables Geschäft
gemacht. Die beiJaspert erwähnte gewinnträchtige Nutzung des Besitzes
während der Dauer der Kreuzfahrt war ja nur die Verzinsung des gegen
das Pfand ausgeliehenen Kapitals.
- S. 59: Die meisten Kreuzfahrer seien verarmt zurückgekehrt,
- wenn sie denn überhaupt zurückkehrten. Aber so schlimm war es
29) Siehe Reinhold RöHRICHT, Regesta regni Hierosolymitani (Innsbruck
1893) Nr. 477 und die Belege bei Paul DESCHAMPS, Les ch~teaux des croises
en Terre Sainte 3 (Bibliotheque archeologique et historique 90; Paris 1973)
s. 307-308.
18
HANS EBERHARD MA YER
nicht. Die früheren Schätzungen, vor allem von John France, mit
66-75 Prozent Verlustquote beim Ersten Kreuzzug sind wohl zu hoch.
Riley-Smith hat weniger geschätzt und dafür mehr gerechnet und
kommt auf 35-37 Prozent30. Die meisten kamen also zurück, sonst
wäre die Begeisterung rasch abgekühlt.
- S. 70 liest man, bis kurz vor dem Zweiten Kreuzzug habe das
Bündnis zwischen J erusalem und Damaskus die Verhältnisse in Palästina
bestimmt. Das ist nicht falsch, aber unvollständig, weil es den Leser zu
der Annahme verleiten muß, beim Zweiten Kreuzzug 1147/1148 sei es
mit der Allianz dann zuende gewesen. Merkwürdigerweise überlebte sie
den Kreuzzug und dauerte, wenn auch in abgeschwächter Form, noch
weiter bis 1154.
- In einer Zeittafel (S. 78) für die Geschichte der Kreuzfahrerstaaten,
die das chronologische Gerüst für dieses Kapitel gibt, finden sich
folgende anfechtbaren Datierungen: 1120 Errichtung der Siedlung Magna
Mahumeria (al-Bira) bei Jerusalem durch die Grabeskirche. Das wird
kaum richtig sein, denn bereits Gottfried von Bouillon (t 1100) hatte
den Ort an das Hl. Grab geschenkt3 1.
- Ebd.: 1123 Pactum Warmundi: Privilegierung Venedigs. Das Privileg gehört zu Anfang 1124, denn das Jahr 1123 in der Datierung ist
more Veneto gerechnet, wo das Jahr am 1. März begann. Demzufolge
gehört auch die als nächster Eintrag erwähnte Eroberung von Tyrus zu
1124.
- Ebd.: Ca. 1130-84 Wilhelm von Tyrus. Das erste Jahr ist die
Geburt, das zweite aber nicht sein auf 1186 fallendes Todesjahr, sondern
das seines Rücktritts als Kanzler32 .
30) Jonathan RlLEY-SMTIH, Casualties and the Number of Knights on the
First Crusade, Crusades 1 (2002) S. 17-18.
31) RöHRICHT, Regesta (wie Anm. 29) Nr. 74.
32) Hans E. MAYER, Die Kanzlei der lateinischen Könige von J erusalem 1
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik
19
- Ebd.: 1154 Eroberung von Damaskus durch Zengi. Nicht Zengi
(t 1146), sondern sein Sohn Nur ad-Din übernahm 1154 Damaskus, und
die Stadt wurde nicht erobert, sondern öffnete ihm freiwillig die Tore.
- Ebd.: 1163 König Amalrich I. vonJerusalem erläßt die "Assise de
la ligece". Mehr als "sechziger Jahre" kann man hier nicht sagen, der
Eindruck, man wisse das Jahr genau, führt in die Irre. Die Ordnungszahl bei Amalrich ist unangebracht, denn der früher als Amalrich II.
bekannte König hieß in Wahrheit Aimerich, ein Name mit anderer
Wurzel. So differenzieren auch die Siegel der beiden und ihre Urkunden.
Das steht schon seit 1985 in meiner Kreuzzugsgeschichte.
- Ebd.: 1165 Reise des Johannes von Würzburg nach Palästina. In
seiner Neuedition desJohann von Würzburg (1994) S. 27-28 ist R. B. C.
Huygens eher für 1160.
- Ebd.: 1216-1225 Episkopat des Jakob von Vitry in Akkon. Jakob
ging zwar 1225 nach Europa zurück, legte sein Bischofsamt aber erst
1228 niede? 3•
- S. 79: Unter dem Nachfolger Gottfrieds von Bouillon, also unter
Balduin I. (1100-1118), habe das Königreich Jerusalem beinahe seine
maximale Ausdehnung erreicht. Das ist unhaltbar, denn Tyrus wurde
erst 1124, Askalon erst 1153 erobert, und im Ostjordanland war die
Ausdehnung der fränkischen Herrschaft wesentlich langsame?4 •
- S. 79: Das Bündnis Jerusalem-Damaskus sei 1147 zerbrochen.
Siehe dazu oben.
(Schriften der Menumenta Germaniae Historica 40, 1; Hannover 1996)
s. 247-249.
33) Philipp FUNK, Jakob von Vitry. Leben und Werke (Beiträge zur
Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3; Leipzig und Berlin
1909)
s. 55-57.
34) Hans E. MAYER, Die Kreuzfahrerherrschaft Montreal. J ordanien im
12. Jahrhundert (Abhandlungen des Deutschen Palästinavereins 14; Wiesbaden
1990)
s. 159.
20
HANS EBERHARD MAYER
- S. 80 wird das Todesjahr des Wilhelm von Tyrus mit 1190 angegeben. Er starb tatsächlich 118635.
- Ehd.: Wilhelm von Tyrus kehrte 1167 in die Kreuzfahrerstaaten
zurück. Das ist gewiß zu spät. Es könnte 1165 gewesen sein, ich selbst
glaube an 116636 .
- Ebd.: Wilhelm von Tyrus soll neben seiner Kreuzzugschronik und
den verlorenen Gesta Orientalium principum noeh "kleinere Werke"
geschrieben haben. Mir fällt da außer den Canones des Dritten Laterankonzils nichts ein.
- S. 81: Antiochia habe 1187-1190 "umfangreiche Gebiete" eingebüßt, 1241 habe dafür das Königreich Jerusalem fast die gleiche
Ausdehnung gehabt wie vor 1187. Mir scheint weder das eine noch das
andere haltbar, denn 1188 blieb Saladins Kampagne gegen Antiochia
ohne durchgreifenden Erfolg, und 1241 fehlte dem Königreich J erusalem
für die alte Größe mindestens ganz Samaria, also ein sehr erhebliches
Gebiet.
- S. 83 wird die Hochzeit Isabellas von Jerusalem mit Kaiser
Friedrich II. auf 1223 angesetzt. Sie erfolgte 1225, 1223 war die Verlobung.
- S. 85: Die Ibelins, die führende Adelsfamilie der Kreuzfahrerstaaten, hätten sich fälschlicherweise auf ein Adelsgeschlecht aus der
Champagne zurückgeführt. Die "Lignages d'Outremer" 37 aus dem
späten 13. Jahrhundert dichten ihnen eine Abstammung von emem
Grafen von Chanres an, nicht aus der Champagne.
35) Rudolf HIESTAND, Zum Leben und zur Laufbahn Wilhelms von Tyrus,
Deutsches Archiv 34 {1978) S. 350-353.
36) Wilhelm von Tyrus, Chronicon, hg. von R. B. C. HUYGENS (Corpus
Christianorum. Continuatio Mediaevalis 63; Turnhout 1986) S. 879 f.
37) Lignages d'Outremer, hg. von Marie-Adelaide NJELEN (Documents relatifs
l'histoire des croisades 18; Paris 2003) S. 97. Das war auch schon der alten
Edition von 1843 zu entnehmen.
a
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
21
- S. 88: Nur im Frühjahr habe man problemlos ins östliche
Mittelmeer fahren können. Aber im Sommer ging es auch. Venedig
hatte seine Abfahrtstermine ostwärts gehend im Frühjahr (März oder
Ostern), dann wieder im August. Die Augustfahrer riskierten natürlich,
im Osten überwintern zu müssen. Dennoch sagt Wilhelm von Tyrus,
die Ankunft von Pilgerschiffen am Wendepunkt von Sommer zu Herbst
sei iuxta consuetudinem gewesen, die Genuesen fuhren zum Dritten
Kreuzzug im August ab, unmittelbar vor der Überfahrt ins Hl. Land
hatte Markgraf Wilhelm Langschwert von Monderrat am 23. August
1176 für Genua geurkundet38 .
- S. 89: Das Pactum Warmundi von angeblich 1123. Zu 1124 als
richtigem Jahr siehe oben. Historisch wirksam wurde übrigens nicht das
Pactum selbst, sondern seine königliche Bestätigung von 112539 •
- S. 91 werden die Juden zu einer "Großgruppe" der einheimischen
Bevölkerung gemacht. InJerusalem gab es im 12. Jahrhundert nach dem
Bericht des Benjamin von Tudela gerade einmal vier Juden, in Akkon
200, und das war die größte Gemeinde im Reich40 .
- S. 92 f.: Die muslimischen Bauern im Königreich J erusalem sollen
"rechtlich frei" gewesen sein. Aber es waren natürlich abhängige
Grundholden mit prozentualen Abgaben an den Herrn und einer
Kopfsteuer.
38) Wilhelm von Tyrus, Chronicon (wie Anm. 36) S. 525. Annali Genovesi
2, hg. von Cesare IMPERIALE DI SANT'ANGELO (Fonti per la storia d'ltalia;
Genua 1901) S. 35-36; DERS. (ed.), Codice diplomatico della Repubblica di
Genova 2 (Fonti per la storia d'Italia; Rom 1938) S. 234 Nr. 105.
39) David ]ACOBY, Venetian Privileges in the Latin Kingdom of J erusalem, in:
Montjoie (Festschrift HansE. Mayer), hg. von Benjamin Z. KEDAR, Jonathan
Rn.EY-SMTIH und Rudolf HIESTAND (Aldershot 1997), passim.
40) Hans Peter RüGER (Übersetzer), Syrien und Palästina nach dem
Reisebericht des Benjamin von Tudela (Abhandlungen des Deutschen Palästinavereins 12; Wiesbaden 1990) S. 34, 41.
22
HANS EBERHARD MAYER
- S. 96: 1120 und Magna Mahumeria siehe oben.
- Ebd.: Magna Mahumeria habe 1155 rund 450 Einwohner, 1187
etwa 700 gehabt. Das sind Hochrechnungen aus RÖHRICHT, Regesta
Nr. 302. Bezeugt ist nur die Zahl der Familienvorstände: 93 + 50, und
ob die offensichtlich nachgetragene zweite Gruppe der Zuwachs bis 1187
ist, wie hier unterstellt wird, ist völlig offen.
- S. 97: Hier wird der Eindruck erweckt, Erbinnen aus dem Adel
hätten beim servise de mariage den Gatten relativ frei wählen können.
Der König habe drei Kandidaten präsentiert, aber die Dame habe nicht
notgedrungen einen davon nehmen müssen. So war es nicht. Sie war an
die drei Kandidaten gebunden, es sei denn, sie konnte glaubhaft machen,
sie werde dadurch zu einer Mesalliance gezwungen. Wählte der König
seine Kandidaten sorgfältig, mußte sie einen der drei nehmen.
- S. 97: Königskrönungen in der Grabeskirche gab es nicht schon
seit 1118, sondern erst seit 1131. Im Jahre 1118 fand überhaupt keine
Krönung statt, sondern Balduin ll. wurde erst 1119 gekrönt, aber in
Bethlehem.
- S. 101 wird das Todesjahr des Patriarchen Daibert von Jerusalem
mit 1107 angegeben. Es ist strittig, ich bin für 110641 .
- Ebd.: Der Patriarch vonJerusalem sei der wichtigste Grundbesitzer des Königreichs gewesen. Das ignoriert mindestens den König als
Eigentümer der Krondomäne und wird durch die Besitzliste von
JL 14681 nicht nahegelegt, wo allerdings nur der Besitz des Kapitels
ohne den des Patriarchen erfaßt ist.
- Ebd.: Der Patriarch von Jerusalem habe dem Reichsheer 500 Berittene gestellt. Es waren in Wirklichkeit sergens, also Fußsoldaten42 .
41) HansE. MA YER, Genuas gefälschte Goldene Inschrift in der Grabeskirche,
Zeitschrift des Deutschen Palästina· Vereins 116 (2000) S. 72.
42) John of Ibelin, Le Livre des Assises, hg. von Peter W. EDBURY (The
Medieval Mediterranean 50; Leiden 2003) S. 615.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
23
- S. 107: Der jakobitische Patriarch Michael der Große se1 1299
gestorben. Richtig ist 1199.
- S. 150: In den Mutterhäusern der Ritterorden seien die Dignitäre
zu Kapitelssitzungen zusammengekommen. Natürlich tagte auch der
Konvent des Mutterhauses mit, Dignitäre allein sind kein Kapitel.
- S. 151: Die Ritterorden hätten militärisch vorsichtiger taktiert als
andere und offene Feldschlachten gemieden. Das ist aber schon seit
Vegetius Gemeingut der militärischen Lehre, weil das Risiko in der
offenen Schlacht zu hoch ist.
- S. 153: Die Johanniterburg Krak des Chevaliers habe eine
Besatzung von rund 2000 Mann gehabt. Diese Zahl ist mir nicht
geläufig, DESCHAMPS, Chateaux des Croises weiß nichts davon.
- S. 159: Es werden für Jerusalem, Antiochia und Akkon "Schulen
der Buchmalerei" postuliert. Dabei handelt es sich wohl eher um eine
Erfindung von Hugo Buchthal. Was er schrieb, wäre noch gegangen,
aber dann hat J aroslav Folda das in nicht mehr zu verantwortender
Weise ausgebaut mit seinem "Hospitaller Master". Jetzt regt sich
Opposition43 .
- S. 160: Hier ist die Rede von den großen mehrfach abgestuften
Ringmauern der Kreuzfahrerburgen. Sie stammen aber oft erst aus der
Mamlukenzeit.
- S. 160: Eine "in ganz Europa" übliche Feier der Eroberung Jerusalems 1099 ist mir nicht geläufig. Man feierte dies am 15. Juli im
Hl. Land, aber in Europa feierte man an diesem Tag die Divisio apostolorum44.
43) David ]ACOBY, Society, Culture and the Arts in Crusader Acre, in: France
and the Holy Land. Frankish Culture at the End of the Crusades, hg. von
Daniel H. WEISS und Lisa MAHONEY (Baltimore und London 2004) S. 118-120.
Für J aspert kam das zu spät.
44) Hierzu liegt jetzt neues Material vor. Amnon LINDER, A New Day, New
Joy: The Liberation of Jerusalem on 15 July 1099, in: L'idea di Gerusalemme
24
HANS EBERHARD MAYER
- S. 162: Daß Hitler an die Kreuzzüge gedacht haben soll, als er das
"Unternehmen Barbarossa" gegen Rußland ins Werk setzte, wüßte man
gern genauer, denn der kaiserliche Name ließ sich ja auch sonst
verwenden. Auch wüßte ich gern, ob überhaupt feststeht, daß es Hitler
war, der sich den Namen ausdachte, oder am Ende nicht der Generalstab.
Soweit der Befund, und der gilt Christoph T. Maier als "reliable
scholarship". Ich aber stehe vor der Wahl zwischen Pest und Cholera:
Hat der Rezensent all das nicht bemerkt, als er das Buch las, oder hatte
er es gar nicht gelesen, als er es rezensierte? Wenn Rezensionen denn
überhaupt einen Sinn haben sollen, dann doch wohl den, daß man
prospektive Leser über die Stärken und die Schwächen eines Buches
orientiert. Hier bekommt der Leser nur die Stärken vorgesetzt, die
Schwächen soll er sich, der dafür meist nicht gerüstet ist, offenbar selber
zusammensuchen, aber lieber wird er natürlich all das unbesehen
glauben, was er bei Jaspert liest.
Daß der ausgeweitete Kreuzzugsbegriff, wie ihn Christoph T. Maier
für die praktische Geschichtsschreibung zum Thema verlangt, heutzutage dominant sei, klingt gut. Aber das setzt ein quantitatives Argument
dorthin, wo ein qualitatives benötigt würde, nämlich wenn es die
nella spiritualid. cristiana del medioevo (Pontificio comitato di scienze storiche.
Atti e documenti 12; Vatikanstadt 2003) S. 49 konnte 13 im Hl. Land
entstandene liturgische Handschriften identifizieren, die Hinweise auf das Fest
enthalten. Cristina DONDI, The Liturgy of the Canons Regular of the Holy
Sepulchre of Jerusalem. A Study and a Catalogue of the Manuscript Sources
(Bibliotheca Victorina 16; Turnhaut 2004) S. 13 bringt 18 Handschriften aus
dem Hl. Land zusammen, von denen aber drei keine solchen Hinweise
enthalten. Noch aufschlußreicher ist, daß LINDER S. 49 nur 22 in Europa
entstandene liturgische Handschriften finden konnte, die auf das Fest der
Befreiung Jerusalems Bezug nehmen - 22 von den zahllosen liturgischen
Handschriften des Westens, und von diesen stammen 18 noch aus Frankreich,
so daß für den Rest Europas fast nichts bleibt.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten- Eine Replik
25
Meinung vieler sei, dann müsse das doch richtiger sein als die abweichende Auffassung der wenigen Renitenten, die von dem Cambridger
Manna nicht kosten wollen. Es hat darüber hinaus den argumentativen
Vorteil, daß die Leute auf der anderen Seite des Zauns, die sich von
dieser Art der "Moderne" nicht vereinnahmen lassen wollen, sogleich als
hoffnungslos hinterwäldlerisch abgestempelt sind, ohne daß man sich
einer so deutlichen Sprache befleißigen müßte. Es ist aber nicht zu
verkennen, daß diese weite Auslegung des Kreuzzugsbegriffes ganz
wesentlich eine Angelegenheit von Cambridge und seiner Kreuzzugsschule ist, zu der ja auch Christoph Maier gehört. Außerhalb dieses
erlauchten Zirkels sind die Maßstäbe dann doch nicht mehr dieselben45. Als die Society for the Study of the Crusades and the Latin East
1983 in Cardiff ihren ersten Kongreß abhielt 46 , waren beide Richtungen vertreten. Norman Housley versuchte sich an dem Nachweis, daß
45) Es ist symptomatisch, daß Ril.EY-SMTIH, What Were the Crusades? (wie
Anm. 3), 3. Auflage, S. 102 für die pluralistische Theorie mit einer Ausnahme
nur seine Schüler und sich zitiert. DERS., The Crusading Movement and Historians, in: DERS., lllustrated History (wie Anm. 4) S. 9 hat für die pluralistische
These ohne Beleg Helmut ROSCHER in Anspruch genommen, der aber in seiner
Dissertation Papst Innocenz ill. und die Kreuzzüge (Forschungen zur Kirchenund Dogmengeschichte 21; Göttingen 1969) S. 13 ausdrücklich sagt, eine befriedigende Definition der Kreuzzüge sei zur Zeit nicht möglich. Er ist also keinem
der beiden Lager zuzurechnen. Da sich auch Nikolas JASPERT, Die Kreuzzüge
(Darmstadt 2003) S. IX dagegen wehrt, für den Pluralismus in Anspruch genommen zu werden, fallen mir außerhalb des Cambridger Kreises nur noch in den
USA Michael MARKOWSKI, Crucesignatus (wie Anm. 22) S. 164 und in Israel
Amnon LINDER, Raising Arms. Liturgy in the Struggle to Liberate Jerusalem
in the Late Middle Ages (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle
Ages 2; Turnhaut 2003) S. 121 ein. Man mag dem die Rezension beigesellen, die
der Amerikaner James A. BRUNDAGE von Rn.EY-SMTIH, What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, in: Crusades 4 (2005) S. 189-191 verfaßt hat.
46) Peter W. EDBURY, Crusade and Settlement. Papers read at the First Conference of the Society for the Study of the Crusades and the Latin East (Cardiff
1985).
26
HANS EBERHARD MAYER
die Kreuzzüge gegen Häretiker und gegen politische Feinde des Papsttums lang zurückreichende Wurzeln hatten und vertrat so die weite
Definition. Christopher Tyerman, der 1988 in seinem Standardwerk
"England and the Crusades" im Detail den Zeitraum 1095-1588
erforschte, wollte von der Vorrangstellung der Kreuzzüge ins Hl. Land
nicht lassen und legte dafür ein reiches Material vor47 • Er sagte zu
Recht, daß die meisten nicht donhin gerichteten Züge kritisiert wurden,
weil sie überhaupt stattfanden, während diejenigen ins Hl. Land der
Kritik anheimfielen, wenn es nicht zu ihnen kam. Er wehrte sich
dagegen, daß nun alles über einen Kamm geschoren werden solle in
einer neuen Orthodoxie, als deren Exponenten er Riley-Smith und
Housley ausmachte, auch wenn das beileibe keinen Traditionalisten aus
ihm machte. Tyermans Meinung von der Vorrangstellung des Hl. Landes hat sich dann auch Riley-Smith angeschlossen 48 •
Ja mehr noch. In einem Kongreßvortrag in Teruel im Jahre 2001 hat
Riley-Smith an der pluralistischen Theorie eine geradezu aufsehenerregende Kritik geübt 49 • Dort beschreibt er, wie begeistert er einst
versucht habe, dem Pluralismus eine intellektuelle Basis zu erarbeiten,
wie sicher er sich gefühlt habe, als er zu einer ihn befriedrigenden
Arbeitsdefinition der Kreuzzüge gekommen sei, und welche Freude es
ihm gewesen sei, vor sich ein weites Panorama in Raum und Zeit zu
47) Norman HOUSLEY, Crusades against Christians: their Origins and Early
Development, in dem in Anm. 46 genannten Kongreßband S. 17-36 und
Christopher TYERMAN, The Holy Land and the Crusades of the Thirteenth and
Fourteenth Centuries, ebd. S. 105-112.
48) RILEY-SMITIJ, lliustrated History (wie Anm. 4) S. 9.JASPERT hat sich ausdrücklich gewehrt dagegen, als Pluralist in Anspruch genommen zu werden
{siehe Anrn. 45) und gleichfalls die Vorrangstellung der Hl.-Land-Züge betont.
49) Jonathan RILEY-SMITIJ, The Future of Studies on the Crusades and the
Military Orders. Die Kongreßakten sind im Druck, mir liegt die in Teruel
verteilte maschinenschriftliche Fassung vor.
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik
27
sehen. Und er fährt fort: "But this turned out to be an illusion".
Besonderes Kopfzerbrechen bereitete ihm, der die führende Geschichte
des Johanniterordens bis 1300 vedaßt hat, daß die Mitglieder der
Ritterorden sich der pluralistischen Definition glatt entziehen. Sie
kämpften in der vordersten Front der Kreuzzüge (wie immer man diese
definiert), leisteten aber kein Kreuzzugsgelübde und erhielten keine
Ablässe. Das ist natürlich auch Anlaß für die Traditionalisten zur
Nachdenklichkeit, denn Gelübde und Ablässe gehören auch für sie zum
Kreuzzug unbedingt dazu. Riley-Smith sprach in Teruel auch von einer
"pluralist inelasticity". Christoph T. Maiers Rezension ist ein Beispiel
dafür. Riley-Smith schwor am Ende den Ideen und Hoffnungen seiner
frühen Jahre nicht ab, aber, so sagte er in Teruel, Pluralismus erscheint
ihm heute als "a rather unsatisfactory working hypothesis, because it is
hard to come up with anything better". Nur hat sich dieser erstaunliche
Sinneswandel bis Zürich offenbar noch nicht herumgesprochen50 .
Wie müßte denn eine gute Kreuzzugsgeschichte in Christoph T.
Maiers Sicht aussehen? Wie die von Jaspert natürlich, nur ausführlicher.
Aber gibt es jemand, der das alles kann, der sich über den Kreuzzug ins
Hl. Land 1101 ebenso tiefgründig und sachverständig äußern kann wie
über die Kampagne des Bischofs Henry Despenser von Norwich, der im
Gewand des Kreuzzugs 1383 in Flandern Hundertjährigen Krieg betrieb
und sich damit den Zorn J ohn Wyclifs zuzog? Der sich bei den
Albigensern und in Preußen so gut auskennt wie im Hl. Land, obwohl
Albigensedorschung und Deutschordensgeschichte zwei Gebiete sind,
die jedes für sich den ganzen Mann fordern? Es kann nur zu einer
verflachenden Darstellung führen, wenn man dies alles zusätzlich zu den
Zügen ins Hl. Land zwischen zwei Buchdeckel pressen will. Bei J aspert
50) Bei Rn.EY-SMITii, What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage,
S. XTI finden sich nur noch zarte Andeutungen, drei Zeilen statt der zweieinhalb Seiten in Teruel.
28
HANS EBERHARD MAYER
erhalten die Kreuzzüge im Ostseeraum, das sind volle drei Jahrhunderte,
um die sich ganze Generationen deutscher und polnischer Forscher
verdient gemacht haben, gerade 10 Seiten. Aber die Pluralisten muten
uns zu, dies alles zu beherrschen und zu können, obwohl sie untereinander noch nicht einmal einig sind, wann denn die Kreuzzüge eigentlich
enden; sie glauben nur zu wissen, daß es 1291 nicht wa~ 1 . Umgekehrt
wie Heinrich Heines Politiker predigen die Pluralisten öffentlich Wein,
trinken dann aber heimlich Wasser. Aber unterstellt man einmal, daß
es einen solchen Tausendsassa gibt, der das alles kann, dann müßte ein
so beschaffenes opus magnum doch offenbar im spätmittelalterlichen Teil
umfangreicher sein als im hochmittelalterlichen, denn die Kriegsschauplätze weiten sich nach 1300 aus und das Quellenmaterial vermehrt
sich sprunghaft. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ganz gleich, ob
Pluralist oder Traditionalist, man erforscht entweder das eine oder das
andere, und beides ist ja - damit ich nicht mißverstanden werde - wert,
erforscht zu werden. Die einen wie Housley werfen sich ganz auf die
Zeit nach 1291, auch wenn er eines seiner Bücher schon 1274 beginnen
ließ. Die anderen lassen die Späten Kreuzzüge weitgehend beiseite und
51) Aziz S. ATIYA, The Crusade in the Later Middle Ages (London 1938)
vertrat 1396 (Kreuzzug nach Nikopolis), HOUSLEY einmal1580, ein anderesmal
aber 1700 (HoUSLEY, Later Crusades [wie Anm. 5] und DERS., The Crusading
Movement 1274-1700, in: RILEY-SMITII, lliustrated History [wie Anm. 4]
S. 260), TYERMAN 1588 (Spanische Armada; Christopher TYERMAN, England
and the Crusades 1095-1588 [Chicago und London 1988]). RILEY-SMITH,
lliustrated History (wie Anm. 4) S. 11 zählt auch noch 1521, 1560 auf. DERS.,
What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, S. 89 ist auch für 1588,
zieht aber noch 1798 (Kapitulation Maltas) in Erwägung. FLOR!, Pour une
redefiniten (wie Anm. 11) S. 338 kommentierte diese unaufhörlichen chronologischen Ausweitungen mit Recht wie folgt: "Or c'est h1, me semble-t-il, un
elargissement eminemment hasardeux du concept de croisade qui peut justifier
toutes les derives modernes de l'usage du mot, avec les perils ideologiques et
politiques qui peuvent en decouler."
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik
29
beschäftigen sich praktisch nur mit der Zeit vor 1291. Zwischen
Anspruch und Tat klafft bei den Pluralisten ein sehr großes Loch.
Ich nehme als Beispiel die starke angelsächsische, vorwiegend
britische, Kreuzzugsforschung. RILEY-SMITH, das Haupt der Pluralisten,
hat sich mit den Späten Kreuzzügen nur ganz am Rande befaßt. Sein
Werk "The Knights of St. John in Jerusalem and Cyprus" (London
1967) endet 1310, seine Buch über "The Feudal Nobility and the
Kingdom of Jerusalem" (London 1973) endet 1277. In seiner Kreuzzugsgeschichte "The Crusades" (London 1987) gibt er der Periode 1291-1798
(Ende der J ohanniterherrschaft in Malta), also einem halben Jahrtausend,
gerade 47 Seiten von 255, also 18 Prozent. Bei Bernard HAMILTON,
"The Crusades" (Stroud in Gloucestershire 1998) erhält 1291-1798 von
100 Seiten 16. Bei Thomas MADDEN, "A Concise History of the Crusades" (Lanham in Maryland 1999) sind es 22 von 215 Seiten, d. h.
10 Prozent, und dabei blieb es auch in der 2. Auflage von 2006. Nur die
Kreuzzüge gegen Ketzer und gegen politische Feinde der Kirche im
13. Jahrhundert erhalten in diesen Werken hinreichende Aufmerksamkeit, nicht aber die sogenannten Späten Kreuzzüge. Für diese werden
lediglich knappe Abrisse geboten, wie man sie fast auch jedem Konversationslexikon entnehmen kann. Es sind Epiloge, Lippenbekenntnisse,
selbständige Forschungsbeiträge wollen und können sie nicht sein. Auch
bei Jaspert sind es für Spanien, den Ostseeraum und die Züge gegen
Haeretiker etc. nur 49 von 163 Seiten, d. h. 30 Prozent, wobei er, weil
er ja kein Pluralist sein will, die Späten Kreuzzüge eigentlich nicht
einmal berührt, denn er gibt ihnen S. 55-57 gerade zweieinhalb Seiten.
Wem soll das eigentlich etwas nützen? Riley-Smith hielt mir mit Recht
vor, es seien bei mir in der englischen Übersetzung nur eine Seite
gewesen52 • Eben deshalb, weil es niemandem nützt und ein Buch auf
52} Rll.EY-SMITil, illustrated History (wie Anm. 4} S. 11.
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HANS EBERHARD MA YER
das Niveau des Geschichtszahlenwerks von Karl Ploetz absenkt, habe
ich es in der deutschen Ausgabe seit 1985 weggelassen. Bei der jüngsten
Kreuzzugsgeschichte aus England, die Jonathan PHll.LIPS, auch er ein
Schüler von Riley-Smith, unter dem Titel "The Crusades" (Harlow
2002) vorgelegt hat, sucht man dann selbst den Kampf gegen Ketzer und
rechtgläubige Abtrünnige vergebens, denn sein Buch endet bereits 1197,
unterbietet also die Traditionalisten um ein volles Jahrhundert. Die dann
folgende Zeit bis 1291, erst recht alles spätere, wird schlicht weggelassen,
und von den Nebenschauplätzen hat er nur diejenigen des Zweiten
Kreuzzuges in Spanien und im W endenland. Gegen Kritik aus dem
pluralistischen Lager, die hier durchaus indiziert wäre, dürfte er gefeit
sein, hat er doch S. 4-5 das obligate Bekenntnis zur pluralistischen
These abgelegt. Nur bleibt es auch hier beim bloßen Wort, dem keine
Tat folgt.
Man kann die pluralistische Forderung nach allumfassender Unterrichtung natürlich schon erfüllen, aber nur auf zweierlei Weise.
Entweder macht man ein Sammelwerk wie die von Kenneth SETTON
herausgegebene "History of the Crusades" in 6 Bänden {Madison
1969-1989), dann kann man für alle diese Nebengebiete Spezialisten
unter Vertrag nehmen. Oder man sucht sich ein Spezialgebiet, das
kleiner ist als eine ganze Kreuzzugsgeschichte, dann kann es auch ein
Einzelner, so Christoph T. Maier in seiner hervorragenden Dissertation53 oder Christopher Tyerman in "England and the Crusades"
(1988). Wer aber versucht, eine Kreuzzugsgeschichte nach Christoph
T. Maiers Anforderungen zu schreiben, die mehr sein soll als nur eine
Geschichte der Hl.-Land-Züge mit einem Eschatokoll über die Zeit nach
1291 (oder umgekehrt), wird in dem ihm nicht geläufigen Teil zu einer
53) Christoph T. MAlER, Preaching the Crusades. Mendicant Friars and the
Cross in the Thirteenth Century (Cambridge Studies in Medieval Life and
Thought, fourth series; Cambridge 1994).
Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten - Eine Replik
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Darstellung kommen, die mutatis mutandis dem gleicht, was Voltaire
über die Etymologie schrieb: "C'est une science ou les voyelles ne font
rien et les consonnes fort peu de chose." Davon möchte ich mich
tunliehst freihalten. Bei der Wahl zwischen eng und tief einerseits oder
breit und flach andererseits habe ich mich stets für die erste Variante
entschieden, weil breit u n d tief meiner Meinung nach nicht geht.
Denen aber, die ich gescholten habe, ein Wort zum Trost, denn so
spricht der Apostel Paulus: Quid ergo est, fratres? cum convenitis,
unusquisque vestrum psalmum habet, doctrinam habet, apocalypsim habet,
linguam habet, interpretationen habet; omnia ad aedificationem fiant
(I Cor. 14, 26).
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