Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten in Züricher Sicht Eine Replik Von HANS EBERHARD MAYER Privatdruck Kiel 2008 (Im Buchhandel nicht erhältlich.) f) (1/60]. MONUMENTA GERMANIAE Ich habe diese Arbeit am 26. 3. 2006 dem Mittellateinischen Jahrbuch angeboten. Nach mehr als zwei Jahren, in denen außer einer telefonischen Eingangsbestätigung nichts geschehen war, zog ich sie am 19. 5. 2008 zurück und erhielt am 23. 5. 2008 die erstaunliche Mitteilung, Manuskript und Diskette seien nicht auffindbar. Für den Druck hier habe ich die Arbeit unwesendich ergänzt. In der Zeitschrift Crusades Band 4 (2005) S. 177-178 hat Christoph T. Maier aus Zürich das Buch von Nikolas Jaspert, "Die Kreuzzüge" (Darmstadt 2003), besprochen. Das ist nicht irgendeine Zeitschrift, sondern die, die alle Kreuzzugsforscher lesen. Und es ist nicht irgendein Rezensent, sondern der Herausgeber des Besprechungsteils. Christoph T. Maier hat Jaspert vor allem besprochen im Vergleich zur 9. Auflage meiner "Geschichte der Kreuzzüge" 1• Im Prinzip ehrt es mich, wenn ich zum Gradmesser werde, aber es ehrt mich natürlich weniger, wenn der Vergleich so negativ für mich ausfällt wie hier. Ich frage mich nach der Lektüre der Rezension auch, wer hier eigentlich besprochen wird, Jaspert oder ich, denn ich bekomme fast ein Drittel der Rezension (16 von 51 Zeilen). Der Verfasser beginnt mit einer außergewöhnlich preisenden Laudatio auf mich, die mir willkommen wäre, stünde sie nicht im Widerspruch zu der dann folgenden Vituperatio. Beides paßt nicht zusammen. Wenn ich so schlecht bin, wie später behauptet, dann bin ich nicht so gut, wie eingangs gesagt. Oder umgekehrt. Meine Konzeption der Kreuzzüge, so heißt es, sei problematisch, was zu tun habe "with all those elemems of the history of the medieval crusades which the author [i. e. ich] chose to ignore. By excluding all aspects of the crusading movement which feil outside the crusades to the Holy Land of the twelfth and thirteenth centuries and the crusader states of the Latin East, Mayer has stubbornly refused to integrate a wealth of scholarly work, primarily clone in Britain and the United States, which puts forward 1) Hans E. MAYER, Geschichte der Kreuzzüge (Stuttgart 1965; 92000). Inzwischen ist 2005 die "Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage" erschienen. 4 HANS EBERHARD MAYER the now predominant (mein Kursivsatz) view of the medieval crusade movement as consisting of numerous crusades launched against supposed enemies of the Church both within and on the peripheries of Christendom throughout the later Middle Ages and into the modern era". Endlich ("finally") hätten Lehrer und Schüler der Universitäten des deutschen Sprachraums "a competent up-to-date guide" zu dem Thema in der eigenen Sprache. Herablassend ist noch der mildeste Ausdruck, der mir dazu einfällt. Und der letzte Satz: "The story told by Jaspert is different, more modern and ultimately much more complex than the one available in Mayer's Geschichte der Kreuzzüge". Man merkt dem Rezensenten die Erleichterung ordentlich an, daß es damit nun ein Ende hat. Aber hat es das? Nicht alle sind einer Meinung mit Christoph T. Maier. Im Jahre 2005, Jaspert war schon seit Mitte 2003 auf dem Markt und hatte die zweite Auflage erreicht, wurden von der deutschen Fassung meines Buches 726 Exemplare verkauft, von der englischen 2004 607 Exemplare, 2005 waren es 528. Für die spanischen und arabischen Übersetzungen liegen mir keine Absatzzahlen vor, aber es ist gut, daß es erstere gibt, denn wenn alle Welt mich als hoffnungslos unmodern bereits zu den Akten gelegt haben wird, liest mich vielleicht noch ein einsamer Leuchtturmwärter in Feuerland, der von Gelehrtenquerelen nichts weiß. Eine polnische Übersetzung ist soeben (2008) in Krakau erschienen. Gegenüber dieser Breitseite ist die eigentliche Besprechung von Jasperts Buch jenseits des bereits vorgeführten Lobes dann seltsam unkonkret. Der Rezensent lobt das in der Tat geschickte Layout, das der ganzen Reihe gemeinsam ist und das sich primär an Studenten und Prüflinge wendet, denen das Buch helfen soll. Sechs Zeilen widmet er dem Inhalt des Buches, preist J asperts zuverlässige Gelehrsamkeit und lobt seinen Stil als sehr lesbar, wie es einem guten Handbuch anstehe. Kritisch wird nur vermerkt, daß das Buch für das, was es sich vorgenommen habe, zu knapp sei. Aber das wird sofort den Reihenheraus- Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik 5 gebernund deren Vorgaben angelastet. Hätte Jaspert nur 50-100 Seiten mehr gehabt, so liest man, dann wäre das Buch noch viel gründlicher, es hätte "greater depth and substance". Hier werden Buchteile, die nie geschrieben wurden, schon einmal vorbeugend für gut erklärt. Ich kann mich an ein solches Verfahren nicht erinnern, aber es zeigt, daß der Rezensent durchaus erkannt hat, daß man auf 160 Seiten Haupttext die Kreuzzüge unter Einschluß aller Neben- und Folgeerscheinungen bis 1492 und 1525 nicht schildern kann, was hier aber versucht worden ist. Wenn der Platz nicht ausreicht für das, was gemacht werden sollte (Kreuzzüge im HL Land, in Spanien, im Baltikum, gegen Ketzer und Schismatiker und gegen weltliche Feinde der Kirche, Ritterorden), dann hätte man das Angebot der Herausgeber ablehnen müssen, wenn diese nicht mehr Platz gewähren. Oder man hätte das Programm zusammenstreichen müssen. Denn zaubern kann niemand. Implizit bezichtigt mich Christoph T. Maiers Verdikt des mangelnden Verständnisses für die moderne Forschung, und das auch noch vorsätzlich {"stubbornly"). Es geht hier um eine alte Debatte, vereinfachend gesagt, ob nur Züge ins Hl. Land Kreuzzüge seien, wenn sie die sonstigen Kriterien {Ausschreibung durch den Papst, das Kreuzzugsgelübde sowie geistliche [Ablaß] und weltliche Privilegien für die Kreuzfahrer) erfüllen, über die Einigkeit besteht, oder ob man unter dem Begriff auch die spanische Reconquista, die Kämpfe des Deutschen Ordens in Preußen, Litauen und Polen, die politischen Züge gegen die durchaus rechtgläubigen späten Staufer in Italien und sonstige Feinde des Papsttums, die Bekämpfung von Häretikern wie der Albigenser, oder die Züge gegen die Türken nach dem Fall des Hl. Landes an die Mamluken 1291 subsumieren müsse, weil alle diese Züge die soeben zitierten Kriterien aufwiesen, auch wenn sie geographisch oder sachlich ein anderes Ziel hatten als die Hl.-Land-Kreuzzüge. Die Vertreter dieser weiteren Auffassung folgen im wesentlichen der Definition der Mehrzahl der mittelalterlichen Kanonisten, die bestrebt waren, der Kirche ein 6 HANS EBERHARD MAYER scharfes Schwert gegen jedweden Feind zu schmieden. Ich vertrat 1965 die enge Definition und forderte auf, zu einer klaren, eindeutigen und allseits anerkannten Definition der Kreuzzüge zu kommen, sonst werde sich die Forschung im Kreise drehen2 . Zu solcher Einheitlichkeit leider nicht gekommen, denn ist es mit seiner ganzen Autorität propagierte der brillante und einflußreiche englische GelehrteJonathan Riley-Smith in Cambridge die sachlich, geographisch und chronologisch weite Definition der Züge, vor allem in seiner bisher in drei Auflagen erschienenen Schrift "What Were the Crusades?", dem Katechismus der Pluralisten3 . Bei seinen Schülern las man es dann ebenso. Einer von ihnen, Norman Housley, den Riley-Smith den "leading apologist for pluralism" nennt 4 , war noch päpstlicher als der Papst 5. Für ihn waren die von ihm untersuchten - mit sehr viel Brillanz untersuchten - inneritalienischen Kriege des Papsttums im 13. Jahrhundert und die sogenannten Späten Kreuzzüge nach 1291 alles echte Kreuzzüge, und die Vertreter einer traditionelleren Sichtweise sahen sich expressis verbis des Vorurteils bezichtigt ("prejudice" 6). Im Jahre 1986 behauptete er dann sogar apodiktisch: "It should be stressed that this broad definition of the crusade is the only one which contemporary sources permit" und bemühte als Zeugen sogar den "indirect assent of the 'silent majority"' 7 , 2) MAYER, Geschichte der Kreuzzüge (wie Anm. 1) 1. Auflage, S. 258-265. Ab 1985 weggelassen, stattdessen in der 9. Auflage Anm. 108. 3) Jonathan Rn.EY-SMTIH, What Were the Crusades? (London/Basingstoke 11977) S. 11-17; 32002, S. XI-XII, 1-8. Dazu die Rezension von Hans E. MAYER in: Speculum 53 (1978) S. 841 f. 4) Jonathan Rn.EY-SMTIH, The Crusading Movement and Historians, in: The Oxford lllustrated History of the Crusades (Oxford 1995) S. 9. 5) Norman HOUSLEY, The ltalian Crusades. The Papal-Angevin Alliance and the Crusades against Christian Lay Powers 1254-1343 (Oxford 1982) S. 1-9. Leidenschaftsloser DERS., The Later Crusades 1274-1580 (Oxford 1992) S. 1-6. 6) HOUSLEY, ltalian Crusades (wie Anm. 5) S. 3. 7) HOUSLEY, The Avignon Papacy and the Crusades 1305-1378 (Oxford 1986) Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 7 bei der man sich frägt, wie man denn ihren ausdrücklich beschworenen Enthusiasmus mißt, wenn sie selbst sich nicht artikuliert. Daß es im 13. Jahrhundert, als Ketzer und mißliebige Staufer bekämpft wurden, zu einem breiten Corpus antipäpstlicher Kreuzzugskritik kam 8, wird als unbeachtlich angesehen9. Und die Idee, daß bei den Kanonisten und ihren modernen Anhängern in einem wunderlichen Purzelbaum von Vereinfachung nicht die Sache selbst, sondern ihr äußeres Gewand triumphiert haben könnte, kam bei den Pluralisten offenbar niemandem. Es ist natürlich nicht von ungefähr, daß sich Christoph T. Maier so auf die Seite der Cambridger Schule schlägt, denn er gehört selbst dazu und hat seine Dissertation bei Riley-Smith geschrieben. Aber man beendet eine Debatte nicht dadurch, daß man den eigenen Sieg verkündet. Mindestens war es verfrüht für Christoph T. Maiers apodiktische Feststellung, seine Auffassung sei "now predominant". Es ist freilich eine Eigentümlichkeit der Cambridger Schule, den endgül- S. 4. DERS., Religious Warfare in Europe, 1400-1536 {Oxford 2002) S. 11-12 bleibt bei seinen früheren Thesen. 8) Palmer A. THROOP, Criticism of the Crusade. A Study of Public Opinion and Crusade Propaganda {Amsterdam 1940). 9) Ganz offen apologetisch, ja in einem schwer vorstellbaren Ausmaß parteiisch, ist Elizabeth SmERRY, Criticism of Crusading 1095-1274 {Oxford 1985), ebenfalls eine Dissertation, die unter der Leitung von Riley-Smith angefertigt wurde und der pluralistischen These folgt. Ich habe (in einem Taschenbuch!) eine ganze Seite auf konkrete Beispiele für diese Haltung verwendet: Hans E. MAYER, The Crusades {Oxford 2 1988) S. 320-321. Den Kritikern spricht Siberry durchweg jede Repräsentation der öffentlichen Meinung ab, alles nur esoterische Zirkel ohne öffentliche Resonanz. Meinungen und Handlungen der Gegenseite brauchen dagegen nur bezeugt zu sein, um schon als glaubwürdig zu gelten. Die vehemente Kritik am Kinderkreuzzug erspart sie sich, indem sie darlegt, er passe nicht in die von ihr gewählte pluralistische Definition. Das ist ja richtig, aber rein formal. Eine Kreuzzugsgeschichte ohne Kinderkreuzzug wäre ein Unding, bei einem Buch über die Kreuzzugskritik ist es nicht anders. 8 HANS EBERHARD MA YER tigen Sieg ihrer Theorien laut zu verkünden. Riley-Smith sprach bereits 1993 in einer Debatte mit mir davon, daß "the party for pluriformity ... has won the day" 10. Wenn es ein Sieg war, war er nur kurzlebig, denn gerade in den letzten Jahren haben J ean Flori und Alain Demurger, beides wahrhaftig keine Leichtgewichte in der Kreuzzugsforschung, dezidiert Stellung bezogen für eine Kreuzzugsdefinition, in der Jerusalem von zentraler Bedeutung ist. In einem sehr lesenswerten Aufsatz hat Flori die Thesen von Riley-Smith und ihre Entwicklung über die Jahre untersucht 11 und ist dabei durchaus deutlich geworden 12: "Le debat sur ce point est loin d' etre clos ... Malgre les affirmations triomphantes des pluralistes, aujourd'hui en position de force - grace surtout l'influence determinante de Jonathan Riley-Smith et de ses disciples, - i1 me semble abusif de dire que "tout le monde" s'est desormais rallie sans condition cette these." Flori hat auch darauf hingewiesen, daß Giles Constable sich dagegen zu verwahren hatte, von den Pluralisten mir nichts dir nichts als einer der ihren vereinnahmt zu werden 13 . Und Constable ist auch nicht der einzige, dem dies zustößt (siehe unten S. 25 Anm. 45). Im Jahre 2006 hat dann Dernurger ebenso dezidiert, wenn auch etwas weniger süffisant als Flori, eine Lanze gebrochen für Jerusalem als Herz der Kreuzzugsbewegung: "Qu'est-ce qui differencie croisade et guerre sainte? Ni les indulgences, ni la sauvegarde accordee a a 10) Jonathan Rn.EY-SMITH, History, the Crusades and the Latin East, 1095-1204. A Personal View, in: Crusaders and Muslims in Twelfth Century Syria, hg. von Maya SHATZMILLER (The Medieval Mediterranean 1; Leiden 1993) s. 9 f. 11) Jean FLOR!, Pour une redefmition de la croisade, Cahiers de civilisation medievale 47 {2004) S. 329-349. 12) Ebd. S. 329 f. 13) Giles CONSTABLE, The Historiography of the Crusades, in: The Crusades from the Perspective of Byzantium and the Muslim World, hg. von Angeliki E. LAIOU und Roy P. MOTIAHEDE (Washington, D. C. 2001) S. 13. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 9 par l'Eglise, ni le fait de combattre les musulmans ou les paiens Alors quoi? tout simplement Jerusalem. Dans la croisade, il y a Jerusalem et le pelerinage penitentiel. Dans la guerre sainte, non . . . En oubliant Jerusalem et en negligeant l'etude des mots, les tenants de la definition pluraliste de la croisade n' ont fait que definir la guerre sainte" 14. Darum also geht es Christoph T. Maier in seiner Rezension von J aspert, im wesentlichen um eine seit langem geführte Diskussion zwischen Riley-Smith und Housley auf der einen Seite und mir auf der anderen, von Giles Constable als die Sichtweise der Pluralisten und Traditionalisten bezeichnet 15 • Wem es wie Christoph T. Maier ein Dorn im Auge ist, wenn einer nicht auf der Seite der Pluralisten steht, der hat, wie die Meinungen von Flori und Dernurger zeigen, noch viel Arbeit vor sich, bis alle Welt bekehrt ist. Denn es gibt immerhin auch noch die Popularisten, vertreten vor allem durch Paul Alphandery, für die die Päpste nur eine minder wichtige Rolle spielten, weil diese nur auf die in der Volksfrömmigkeit wurzelnde Bewegung reagierten, sie aber nicht selbst hervorbrachten 16, es gibt Gelehrte wie Ernst-Dieter Hehl, die man in der Forschung mit dem eher unpräzisen Etikett "Generalisten" versehen hat und die glauben, jede Definition sei hier schädlich, weil sie den Kreuzzug so oder so zu einem Krieg der Kirche mache und ihn damit von der allgemeinen Entwicklung der mittel- 14) Alain DEMURGER, La papaute entre croisade et guerre sainte (fin xe debut :xme siede), in: Regards croises sur la guerre sainte. Guerre, ideologie et religion dans l'espace mediterraneen latin, Actes du Colloque international tenu ala Casa de Velazquez (Madrid) du 11 au 13 avril2005, hg. von Daniel BALOUP und Philippe JOSSERAND (Toulouse 2006) S. 130 f. 15) CONSTABLE, Historiography (wie Anm. 13) S. 1-22. 16) Paul ALPHANDERY, La Chretiente et l'idee de croisade, 2 Bände (Paris 1954. 1959). 10 HANS EBERHARD MA YER alterliehen Gesellschaft trenne 17. Und zum Schluß sind da noch die entschiedenen Ikonoklasten, vertreten durch Christopher Tyerman, der die Ansicht vedocht, Kreuzzüge gebe es erst seit 118718 , der aber doch festhielt an der Vorrangstellung der Züge ins Hl. Land. Das tat sogar Riley-Smith, der 1981 ungeachtet seiner auch dort vorgetragenen weiten Definition der Kreuzzüge schrieb: ,Jerusalem was ... the touchstone against which all other crusades were tested" 19 • Die Cambridger pluralistische Sicht ist das, was Christoph T. Maier als "modern" und "predominant" bezeichnet. Modern im Sinne von "zeitlich jünger" war es vielleicht, als er seine Rezension schrieb, aber er meint es natürlich auch im Sinne von "fortschrittlich", "besser". Und da ist der Begriff ein Kennzeichen so manchen öffentlichen, auch wissenschaftlichen, Diskurses. Die Moderne und damit den Fortschritt nehmen etwa auch die Protagonisten der gründlich verunglückten deutschen Rechtschreibriform für sich in Anspruch, ein retrogrades Machwerk, das, kaum eingeführt, in wesentlichen Teilen reformiert werden mußte. WennJaspert moderner ist als Mayer, dann ist er doch auch besser, wird hier insinuiert. Erstmals ("for the first time") erhalte der Leser, so schreibt Christoph T. Maier, mit dem Buch von J aspert hier in Deutsch- 17) Ernst D. HEHL, Was ist eigentlich ein Kreuzzug?, Historische Zeitschrift 259 (1994) s. 297-336. 18) Christopher TYERMAN, The Invention ofthe Crusades (Basingstoke 1998). Das Buch ist geschrieben mit dem Charme eines Außenseiters. Aber solche Forscher haben eine Funktion im Forschungsbetrieb, denn sie zwingen uns dazu, unsere Positionen zu überdenken. Weil aber Tyerman die ansonsten prästabilierte Harmonie der englischen Kreuzzugsforschung stört, wird er mit ätzendem Urteil bedacht. RlLEY-SMITII, What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, S. XI, 102 wirft ihm nicht nur .,idiosyncratic approach" vor, sondern auch, die Schrift sei .,not intellectually rigorous enough to be convincing". Es ist in England wirklich gefährlich, kein Pluralist zu sein. 19) Louise und Jonathan RlLEY-SMITII, The Crusades. Idea and Reality 1095-1274 (Documents of Medieval History 4; London 1981) S. 2. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 11 land eine Einführung in die mittelalterliche Kreuzzugsbewegung, "which acknowledges and represents the enormaus advances of crusade studies over the past four decades". Man muß aber bei solchen Äußerungen in einer so sehr auf dem Vergleich zweier Werke basierenden Rezension immer auch den dann zulässigen Umkehrschluß ziehen: Der andere hat das eben nicht fertiggebracht, er ist nicht "modern", was eigentlich nur den Schluß zuläßt, er sei "stubbornly" hinter der Zeit. Nun ist uns allerdings Christoph T. Maier bisher den Beweis schuldig geblieben, daß wenigstens er es besser kann, denn eine Kreuzzugsgeschichte hat er nicht geschrieben, obwohl seit der Drucklegung seiner Dissertation jetzt zwölf Jahre verstrichen sind und er ja zu wissen glaubt, was so ein Kreuzzug eigentlich war und was in ein solches Buch hineinmuß. Nun wird man zum Caesar aber am besten durch die tatsächliche Unterwerfung Ägyptens, weniger dadurch, daß man dem Mark Anton vorhält, er habe es wohl versucht, aber nicht geschafft. Angesichts des Umstandes, daß die Pluralisten in den Theorien der mittelalterlichen Kanonisten gefangen sind, wäre es ein leichtes, ihre Forderungen als "ultramontan" zu charakterisieren20, aber das wäre so falsch wie "modern". Einer der Größten unseres Faches, Jean Richard, hat übrigens noch 1996, als Housley den Sieg der Pluralisten bereits mehrfach verkündet hatte, ausgeführt, er halte sich in seiner "Histoire des Croisades" an die "terminologie courante", in der die Kreuzzüge die Zeit von 1095 bis 1291 umfaßten21 . Keine Albigenserkreuzzüge, keine Kreuzzüge gegen 20) Das ist weniger abwegig, als man meinen möchte. Als FLOR!, Pour une redefinition {wie Anm. 11) S. 340 bei Sylvia SCHEIN, Fideles crucis. The Papacy, the West, and the Recovery of the Holy Land 1274-1314 {Oxford 1991) S. 6 in Bezug auf Housleys Thesen auf den Satz stieß: "The idea is a tempting one for any Guelf historian to adopt", kommentierte er das mit: "(elle n'ose sans doute pas employer le terme d'ultramontain!)". 21) Jean RlCHARD, Histoire des Croisades {Ohne Ort [Paris] 1996) S. 7. Es ist blankes Wunschdenken, wenn RlLEY-SMITH, What were the Crusades? {wie 12 HANS EBERHARD MA YER die Staufer, kein Fränkisches Griechenland, nicht einmal die Geschichte der Lusignans auf Zypern, obwohl Richard einer der ersten Kenner des mittelalterlichen Zypern ist, keine Stedinger, keine Reconquista, kein Kreuzzug im Baltikum, keine Kreuzzüge ins östliche Mittelmeer im 14. und 15. Jahrhundert. Und doch ein großartiges Buch. Nur: Wo blieb denn da der Aufschrei der Pluralisten? Oder mißt man dort mit zweierlei Maß, den einen mit der Elle, den anderen mit dem Meter? Da Historiker zwangsläufig nie bei den Ereignissen präsent sind, die sie schildern, kann nicht ausbleiben, daß es zu divergierenden Interpretationen kommt. Aber wir alle hämmern den Studenten ein, daß in der Tagesarbeit die willbaren Fakten stimmen müssen. Da wir dies als Anforderung weitergeben, müssen wir uns selbst daran halten. Sehen wir also zu, wie es damit in dem Buch von Jaspert steht, dem der Rezensent bescheinigt, "his schalarship is up-to-date and reliable". Jaspert hatte mir im Mai 2003 sein Buch geschenkt, dabei auch meinen Kommentar erbeten. Sofort fand ich nur die Zeit, die chronologische Liste auf S. 78 zu korrigieren, die dringend reparaturbedürftig war. Damit kam ich für Jasperts zweite Auflage noch rechtzeitig. Die ganze Reihe, in der J aspert hier publizierte, ist erklärtermaßen (S. VTI) für den universitären Lehrbetrieb gedacht und insbesondere auch zur Prüfungsvorbereitung. Wer aber als Prüfling die Liste S. 78 in ihrer Fassung von 2003 für die Prüfung verinnerlicht hätte, wäre mit 6 falschen J ahreszahlen (von 34) und einem verkehrten Herrschernamen ins Examen gegangen. Gutgläubig. Wenn es ihm von der zweiten Auflage an insoweit besser geht, verdankt er das auch dem altmodischen T raditionalisten aus Anm. 3), 3. Auflage, S. 102 sagt, Richard habe gleichwohl die pluralistische Position im Prinzip akzeptiert. Was RICHARD S. 7-8 wirklich schreibt, ist etwas anderes: Die Expeditionen gegen muslimische Mächte des Ostens "ne se sont pas terminees avec le :xme siede, tout en prenant un nouveau caractere du fait du renouveau de la menace turque". Ausdrücklich sagt er also, daß die Züge nach 1291 etwas anderes waren als davor. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 13 Kiel. Aus arbeitsökonomischen Gründen mußte ich den Rest meines Kommentars verschieben, bis ichJaspert am 14. November 2004 deshalb schrieb. Ich reproduziere nachstehend den Inhalt dieses Briefs, so abgeändert, daß auch Außenstehende verstehen können, was gemeint ist. Ich habe damals ausdrücklich Spanien und das Baltikum ausgeklammert, davon verstünde ich nichts. Rezensiert habe ich das Buch damals nicht, obwohl ein Geschenk das nicht unbedingt hätte verhindern müssen, da sich anders ein Autor durch geschickt gerichtete Geschenke von Rezensionen freikaufen könnte. Ich hatte aber im Auge, daß mit Jaspert ein fähiger Kollege noch eine Dauerstelle suchte. Da wollte ich kein Störfeuer liefern. Nachdem er diese jetzt in Bochum erhalten hat, kann ich meine Zurückhaltung aufgeben und muß diesangesichtsder Provokation von Christoph T. Maier auch tun, um das enorme Gefälle zwischen J asperts Buch und meinem, das Maier konstatieren zu können glaubt, auf das zu reduzieren, was angebracht sein mag. Ich hatte in meinem Brief folgende Monita, die überwiegend nun erst in einer dritten Auflage Berücksichtigung finden können: - S. 18 und so durchgehend wird Tankred, der am Ersten Kreuzzug teilnahm und zweiter Herrscher von Antiochia wurde, als Tankred von Lecce bezeichnet, obgleich über ihn vor dem Aufbruch in den Osten nichts bekannt ist. Ich halte die Bezeichnung für eine Verwechslung mit dem sizilischen Gegenkönig Tankred von Lecce aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. - S. 21: Die Bezeichnung crucesignatus für Kreuzfahrer gebe es erstmals im 13. Jahrhundert. Sie begegnet verbreitet aber schon seit 118822 • - S. 22: Die Kreuzfahrer seien auf Zeit in den geistlichen Stand versetzt worden und hätten der kirchlichen Rechtsprechung unter- 22) Michael MARKOWSKI, Crucesignatus,]ourna! ofMedieval History 10 (1984) s. 160. 14 HANS EBERHARD MA YER standen. Aber wie soll man sich das denn vorstellen? Sie erhielten keine Tonsur, die nach dem bekannten Dictum den Kleriker macht, und keine Weihegrade. Der kirchlichen Rechtsprechung unterstanden Kreuzfahrer nur in Kreuzzugsdingen, anders die Kleriker, die in allem der kirchlichen Judikatur unterstanden. - S. 36 wird die Kreuzzugschronik des Guibert von Nogent unter dem Titel Gesta Dei per Francos zitiert. Der letzte Editor, R. B. C. Huygens, legt großen Wert auf den Handschriftenbefund, und danach heißt das Werk Deigestaper Francos. Eine Quisquilie? Nein, denn auch wir würden uns dagegen wehren, daß unsere Titel verändert werden, und im Literaturverzeichnis ist es ja auch richtig. Auch im Kleinen muß das Willbare stimmen. Ein größerer als wir alle drei, der Philosoph Pierre Bayle, sagte von sich, er sei in minimis rebus perscrutatissimus perscrutator. Diesem Ideal hänge ich jedenfalls an. - S. 37 wird einer der übelsten Scharfmacher bei der rheinischen Judenverfolgung 1096 als Graf Emicho von Leiningen bezeichnet, aber das ist eine unzutreffende, wenn auch in der Literatur häufig anzutreffende Namensform. Richtig muß er heißen Emicho von Flanheim (bei Worms) 23 . - S. 38 wird König Balduin I. von Jerusalem zwei Jahre älter gemacht als sein Bruder Gottfried von Bouillon (* ca. 1060) gemacht. Balduin war aber der jüngste von drei Brüdern24, so daß er erst nach 1060 geboren wurde, wenn man an 1060 für Gottfried festhält, was J aspert und ich tun. - S. 38: Boemund "von Tarent" für einen der Anführer des Ersten Kreuzzuges liest man allenthalben, auch bei mir durch neun Auflagen 23) Hannes MÖHRING, Graf Emicho und die Judenverfolgungen von 1096, Rheinische Vierteljahresblätter 56 (1992) S. 103. 24) Siehe Hans E. MAYER, Artikel Baudouin 1er, in: Nouvelle Biographie Nationale [beige] 3 (1994) S. 21. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik 15 hindurch. Ich habe es erst jetzt korrigiert, nachdem Rudolf Hiestand gezeigt hat, daß er zeitgenössisch nie so genannt wurde und der Papst ihn 1105 Herr von Bari nannte25 . - S. 39 ist die Rede von Raimund IV. von St.-Gilles als "Herzog von Toulouse". Dort war er nur Graf. - S. 42 wird gesagt, genuesische und englische Schiffe hätten Baumaterial für die Belagerung Jerusalems 1099 "herbeigebracht". Richtig ist "geliefert", denn aus den Schiffsplanken selbst machte man Belagerungstürme. - S. 42 liest man, Gottfried von Bouillon habe sich nach seiner Herrscherwahl advocatus sancti Sepulcri genannt. Soweit man weiß, hat er sich selbst nie so bezeichnet, sondern er wurde lediglich von Erzbischof Daibert von Pisa einmal so genannt 26 . - S. 42 liest man, Amulf von Chocques sei 1099 zum Patriarchen von Jerusalem gewählt worden, aber in Wahrheit wurde er damals nur in unklarer Weise Leiter der Kirche von Jerusalem, was S. 101 dann richtig steht. Patriarch wurde er erst 1112. - S. 43 wird die Bezeichnung "Fürstentum Antiochia" darauf zurückgeführt, daß der erste lateinische Herrscher "Fürst" Boemund von Tarent gewesen sei. Ein Fürstentitel für Boemund vor dem Ersten Kreuzzug greift zu hoch, zu Tarent siehe oben. Für den Fürstentitel der antiochenischen Herrscher wird man eine andere Erklärung suchen müssen. - S. 44 liest man, Ordnungszahlen hätten in der Forschung bei den Kreuzzügen diejenigen Züge erhalten, die von Königen angeführt 25) Rudolf HIESTAND, Boemondo I e la prima crociata, in: ll Mezzogiorno normanno-svevo e le Crociate, hg. von Giosue MUSCA (Centro di studi normanno-svevi. Atti 14; Bari 2002), S. 66 Anm. 2. Für Jasperts Erstauflage kam das zu spät. 26) Literatur zu der Frage bei MAYER, Geschichte (wie Anm. 1; 102005) S. 346 Anm. 32. 16 HANS EBERHARD MAYER worden seien. Aber dann hätten der Erste und der Vierte Kreuzzug nicht gezählt werden dürfen, und der Fünfte eher auch nicht, denn die Führungsrolle des Königs Johann von Jerusalem war ja bescheiden, zeitweise kehrte er dem Heer vor Damiette den Rücken. - S. 45 heißt es, nach der Eroberung von Tyrus 1124 sei die Lage im Königreich J erusalem stabilisiert gewesen, aber solange Askalon unerohen war, also bis 1153, kann man von einer Stabilisierung der Lage nicht sprechen. - S. 45: Edessa sei am 24. Dezember 1144 wieder an die Muslime gefallen. Besser ist der 23. Dezembe?7. - S. 45: Die Kreuzzugsbulle Eugens ill. ist nach ihren Anfangsworten zu zitieren als Quantum (nicht Quantam; so auch S. 61, 63, 64, dort erst unten richtig) predecessores. - S. 47: Hier ist von der leichten Reiterei der Turcopoles die Rede. Es sollte Turcopoli heißen, so jedenfalls benutzen die Gesta Francorum, Raimund von Aguilers, Puleher von Chartres, Albert von Aachen, Wilhelm von Tyrus und auch der Bericht "De constructione castri Saphet" 28 das Wort. Eine Form Turcopolis ist mir nicht geläufig. - S. 48 wird das Itinerarium pergrinorum als Quelle für die Eroberung Zyperns durch Richard Löwenherz benutzt. Es ist in diesem Teil lediglich eine Übersetzung von Ambroise, L'Estoire de la Guerre Sainte. - S. 50 ist von den Qateinischen) Königen von Konstantinopel nach 1204 die Rede. Es muß Kaiser heißen. 27) Baron MAc GUCKIN DE SLANE {Übersetzer), Ibn Khallikan's Biographical Dictionary 1 (Paris 1842) S. 540. 28) De constructione castri Saphet. Construction et fonctions d'un chateau fort franc en Terre Sainte, hg. von R. B. C. HUYGENS {Koninklijke Nederlandse Akademie van W etenschappen, Afdeling Letterkunde, Verhandelingen Nieuwe Reeks 111; Amsterdam 1981) S. 185. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 17 - S. 51: Nikolaus von Köln zog beim Kinderkreuzzug nicht den Rhein hinab, sondern hinauf, denn er wollte ja über die Alpen nach Italien. - S. 53 liest man über Friedrich II. 1229 vom "bizarren Schauspiel eines gebannten Kreuzfahrers, der im vollen Kaiserornat in der Grabeskirche auftrat". Das trifft die Sache nicht. Er ging dort unter der Krone, und daß es ein einfacher, wenn auch politisch bedeutsamer Vorgang war, tritt in den Quellen deutlich hervor. - S. 54: Eine Kreuzfahrerburg heißt Gibelacar, von arabisch Akkar, nicht Gibelca?9 . - S. 56 liest man, die Franziskaner hätten bald nach 1335 "am Grabe Christi den liturgischen Dienst feiern" dürfen und "pflegen noch heute das Grab Christi". Das geht so nicht, denn das Aediculum über dem Grab ist außen wie innen griechisch-orthodox, und die Orthodoxen würden eine Grabpflege durch die Franziskaner nicht zulassen. - S. 58 geht es um die Finanzierung der Kreuzzüge. Kehrte der Kreuzfahrer zurück, heißt es dort, ging das an die Kirche verpfändete Land wieder an ihn zurück, fiel er, dann wurde es an seine Erben übertragen. Hier fehlt ein wichtiges Zwischenglied. Der heimgekehrte Kreuzfahrer erhielt sein Land ja nur dann wieder, wenn er die Pfandsumme zurückzahlte, sonst hätten die Klöster ein miserables Geschäft gemacht. Die beiJaspert erwähnte gewinnträchtige Nutzung des Besitzes während der Dauer der Kreuzfahrt war ja nur die Verzinsung des gegen das Pfand ausgeliehenen Kapitals. - S. 59: Die meisten Kreuzfahrer seien verarmt zurückgekehrt, - wenn sie denn überhaupt zurückkehrten. Aber so schlimm war es 29) Siehe Reinhold RöHRICHT, Regesta regni Hierosolymitani (Innsbruck 1893) Nr. 477 und die Belege bei Paul DESCHAMPS, Les ch~teaux des croises en Terre Sainte 3 (Bibliotheque archeologique et historique 90; Paris 1973) s. 307-308. 18 HANS EBERHARD MA YER nicht. Die früheren Schätzungen, vor allem von John France, mit 66-75 Prozent Verlustquote beim Ersten Kreuzzug sind wohl zu hoch. Riley-Smith hat weniger geschätzt und dafür mehr gerechnet und kommt auf 35-37 Prozent30. Die meisten kamen also zurück, sonst wäre die Begeisterung rasch abgekühlt. - S. 70 liest man, bis kurz vor dem Zweiten Kreuzzug habe das Bündnis zwischen J erusalem und Damaskus die Verhältnisse in Palästina bestimmt. Das ist nicht falsch, aber unvollständig, weil es den Leser zu der Annahme verleiten muß, beim Zweiten Kreuzzug 1147/1148 sei es mit der Allianz dann zuende gewesen. Merkwürdigerweise überlebte sie den Kreuzzug und dauerte, wenn auch in abgeschwächter Form, noch weiter bis 1154. - In einer Zeittafel (S. 78) für die Geschichte der Kreuzfahrerstaaten, die das chronologische Gerüst für dieses Kapitel gibt, finden sich folgende anfechtbaren Datierungen: 1120 Errichtung der Siedlung Magna Mahumeria (al-Bira) bei Jerusalem durch die Grabeskirche. Das wird kaum richtig sein, denn bereits Gottfried von Bouillon (t 1100) hatte den Ort an das Hl. Grab geschenkt3 1. - Ebd.: 1123 Pactum Warmundi: Privilegierung Venedigs. Das Privileg gehört zu Anfang 1124, denn das Jahr 1123 in der Datierung ist more Veneto gerechnet, wo das Jahr am 1. März begann. Demzufolge gehört auch die als nächster Eintrag erwähnte Eroberung von Tyrus zu 1124. - Ebd.: Ca. 1130-84 Wilhelm von Tyrus. Das erste Jahr ist die Geburt, das zweite aber nicht sein auf 1186 fallendes Todesjahr, sondern das seines Rücktritts als Kanzler32 . 30) Jonathan RlLEY-SMTIH, Casualties and the Number of Knights on the First Crusade, Crusades 1 (2002) S. 17-18. 31) RöHRICHT, Regesta (wie Anm. 29) Nr. 74. 32) Hans E. MAYER, Die Kanzlei der lateinischen Könige von J erusalem 1 Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik 19 - Ebd.: 1154 Eroberung von Damaskus durch Zengi. Nicht Zengi (t 1146), sondern sein Sohn Nur ad-Din übernahm 1154 Damaskus, und die Stadt wurde nicht erobert, sondern öffnete ihm freiwillig die Tore. - Ebd.: 1163 König Amalrich I. vonJerusalem erläßt die "Assise de la ligece". Mehr als "sechziger Jahre" kann man hier nicht sagen, der Eindruck, man wisse das Jahr genau, führt in die Irre. Die Ordnungszahl bei Amalrich ist unangebracht, denn der früher als Amalrich II. bekannte König hieß in Wahrheit Aimerich, ein Name mit anderer Wurzel. So differenzieren auch die Siegel der beiden und ihre Urkunden. Das steht schon seit 1985 in meiner Kreuzzugsgeschichte. - Ebd.: 1165 Reise des Johannes von Würzburg nach Palästina. In seiner Neuedition desJohann von Würzburg (1994) S. 27-28 ist R. B. C. Huygens eher für 1160. - Ebd.: 1216-1225 Episkopat des Jakob von Vitry in Akkon. Jakob ging zwar 1225 nach Europa zurück, legte sein Bischofsamt aber erst 1228 niede? 3• - S. 79: Unter dem Nachfolger Gottfrieds von Bouillon, also unter Balduin I. (1100-1118), habe das Königreich Jerusalem beinahe seine maximale Ausdehnung erreicht. Das ist unhaltbar, denn Tyrus wurde erst 1124, Askalon erst 1153 erobert, und im Ostjordanland war die Ausdehnung der fränkischen Herrschaft wesentlich langsame?4 • - S. 79: Das Bündnis Jerusalem-Damaskus sei 1147 zerbrochen. Siehe dazu oben. (Schriften der Menumenta Germaniae Historica 40, 1; Hannover 1996) s. 247-249. 33) Philipp FUNK, Jakob von Vitry. Leben und Werke (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3; Leipzig und Berlin 1909) s. 55-57. 34) Hans E. MAYER, Die Kreuzfahrerherrschaft Montreal. J ordanien im 12. Jahrhundert (Abhandlungen des Deutschen Palästinavereins 14; Wiesbaden 1990) s. 159. 20 HANS EBERHARD MAYER - S. 80 wird das Todesjahr des Wilhelm von Tyrus mit 1190 angegeben. Er starb tatsächlich 118635. - Ehd.: Wilhelm von Tyrus kehrte 1167 in die Kreuzfahrerstaaten zurück. Das ist gewiß zu spät. Es könnte 1165 gewesen sein, ich selbst glaube an 116636 . - Ebd.: Wilhelm von Tyrus soll neben seiner Kreuzzugschronik und den verlorenen Gesta Orientalium principum noeh "kleinere Werke" geschrieben haben. Mir fällt da außer den Canones des Dritten Laterankonzils nichts ein. - S. 81: Antiochia habe 1187-1190 "umfangreiche Gebiete" eingebüßt, 1241 habe dafür das Königreich Jerusalem fast die gleiche Ausdehnung gehabt wie vor 1187. Mir scheint weder das eine noch das andere haltbar, denn 1188 blieb Saladins Kampagne gegen Antiochia ohne durchgreifenden Erfolg, und 1241 fehlte dem Königreich J erusalem für die alte Größe mindestens ganz Samaria, also ein sehr erhebliches Gebiet. - S. 83 wird die Hochzeit Isabellas von Jerusalem mit Kaiser Friedrich II. auf 1223 angesetzt. Sie erfolgte 1225, 1223 war die Verlobung. - S. 85: Die Ibelins, die führende Adelsfamilie der Kreuzfahrerstaaten, hätten sich fälschlicherweise auf ein Adelsgeschlecht aus der Champagne zurückgeführt. Die "Lignages d'Outremer" 37 aus dem späten 13. Jahrhundert dichten ihnen eine Abstammung von emem Grafen von Chanres an, nicht aus der Champagne. 35) Rudolf HIESTAND, Zum Leben und zur Laufbahn Wilhelms von Tyrus, Deutsches Archiv 34 {1978) S. 350-353. 36) Wilhelm von Tyrus, Chronicon, hg. von R. B. C. HUYGENS (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 63; Turnhout 1986) S. 879 f. 37) Lignages d'Outremer, hg. von Marie-Adelaide NJELEN (Documents relatifs l'histoire des croisades 18; Paris 2003) S. 97. Das war auch schon der alten Edition von 1843 zu entnehmen. a Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 21 - S. 88: Nur im Frühjahr habe man problemlos ins östliche Mittelmeer fahren können. Aber im Sommer ging es auch. Venedig hatte seine Abfahrtstermine ostwärts gehend im Frühjahr (März oder Ostern), dann wieder im August. Die Augustfahrer riskierten natürlich, im Osten überwintern zu müssen. Dennoch sagt Wilhelm von Tyrus, die Ankunft von Pilgerschiffen am Wendepunkt von Sommer zu Herbst sei iuxta consuetudinem gewesen, die Genuesen fuhren zum Dritten Kreuzzug im August ab, unmittelbar vor der Überfahrt ins Hl. Land hatte Markgraf Wilhelm Langschwert von Monderrat am 23. August 1176 für Genua geurkundet38 . - S. 89: Das Pactum Warmundi von angeblich 1123. Zu 1124 als richtigem Jahr siehe oben. Historisch wirksam wurde übrigens nicht das Pactum selbst, sondern seine königliche Bestätigung von 112539 • - S. 91 werden die Juden zu einer "Großgruppe" der einheimischen Bevölkerung gemacht. InJerusalem gab es im 12. Jahrhundert nach dem Bericht des Benjamin von Tudela gerade einmal vier Juden, in Akkon 200, und das war die größte Gemeinde im Reich40 . - S. 92 f.: Die muslimischen Bauern im Königreich J erusalem sollen "rechtlich frei" gewesen sein. Aber es waren natürlich abhängige Grundholden mit prozentualen Abgaben an den Herrn und einer Kopfsteuer. 38) Wilhelm von Tyrus, Chronicon (wie Anm. 36) S. 525. Annali Genovesi 2, hg. von Cesare IMPERIALE DI SANT'ANGELO (Fonti per la storia d'ltalia; Genua 1901) S. 35-36; DERS. (ed.), Codice diplomatico della Repubblica di Genova 2 (Fonti per la storia d'Italia; Rom 1938) S. 234 Nr. 105. 39) David ]ACOBY, Venetian Privileges in the Latin Kingdom of J erusalem, in: Montjoie (Festschrift HansE. Mayer), hg. von Benjamin Z. KEDAR, Jonathan Rn.EY-SMTIH und Rudolf HIESTAND (Aldershot 1997), passim. 40) Hans Peter RüGER (Übersetzer), Syrien und Palästina nach dem Reisebericht des Benjamin von Tudela (Abhandlungen des Deutschen Palästinavereins 12; Wiesbaden 1990) S. 34, 41. 22 HANS EBERHARD MAYER - S. 96: 1120 und Magna Mahumeria siehe oben. - Ebd.: Magna Mahumeria habe 1155 rund 450 Einwohner, 1187 etwa 700 gehabt. Das sind Hochrechnungen aus RÖHRICHT, Regesta Nr. 302. Bezeugt ist nur die Zahl der Familienvorstände: 93 + 50, und ob die offensichtlich nachgetragene zweite Gruppe der Zuwachs bis 1187 ist, wie hier unterstellt wird, ist völlig offen. - S. 97: Hier wird der Eindruck erweckt, Erbinnen aus dem Adel hätten beim servise de mariage den Gatten relativ frei wählen können. Der König habe drei Kandidaten präsentiert, aber die Dame habe nicht notgedrungen einen davon nehmen müssen. So war es nicht. Sie war an die drei Kandidaten gebunden, es sei denn, sie konnte glaubhaft machen, sie werde dadurch zu einer Mesalliance gezwungen. Wählte der König seine Kandidaten sorgfältig, mußte sie einen der drei nehmen. - S. 97: Königskrönungen in der Grabeskirche gab es nicht schon seit 1118, sondern erst seit 1131. Im Jahre 1118 fand überhaupt keine Krönung statt, sondern Balduin ll. wurde erst 1119 gekrönt, aber in Bethlehem. - S. 101 wird das Todesjahr des Patriarchen Daibert von Jerusalem mit 1107 angegeben. Es ist strittig, ich bin für 110641 . - Ebd.: Der Patriarch vonJerusalem sei der wichtigste Grundbesitzer des Königreichs gewesen. Das ignoriert mindestens den König als Eigentümer der Krondomäne und wird durch die Besitzliste von JL 14681 nicht nahegelegt, wo allerdings nur der Besitz des Kapitels ohne den des Patriarchen erfaßt ist. - Ebd.: Der Patriarch von Jerusalem habe dem Reichsheer 500 Berittene gestellt. Es waren in Wirklichkeit sergens, also Fußsoldaten42 . 41) HansE. MA YER, Genuas gefälschte Goldene Inschrift in der Grabeskirche, Zeitschrift des Deutschen Palästina· Vereins 116 (2000) S. 72. 42) John of Ibelin, Le Livre des Assises, hg. von Peter W. EDBURY (The Medieval Mediterranean 50; Leiden 2003) S. 615. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 23 - S. 107: Der jakobitische Patriarch Michael der Große se1 1299 gestorben. Richtig ist 1199. - S. 150: In den Mutterhäusern der Ritterorden seien die Dignitäre zu Kapitelssitzungen zusammengekommen. Natürlich tagte auch der Konvent des Mutterhauses mit, Dignitäre allein sind kein Kapitel. - S. 151: Die Ritterorden hätten militärisch vorsichtiger taktiert als andere und offene Feldschlachten gemieden. Das ist aber schon seit Vegetius Gemeingut der militärischen Lehre, weil das Risiko in der offenen Schlacht zu hoch ist. - S. 153: Die Johanniterburg Krak des Chevaliers habe eine Besatzung von rund 2000 Mann gehabt. Diese Zahl ist mir nicht geläufig, DESCHAMPS, Chateaux des Croises weiß nichts davon. - S. 159: Es werden für Jerusalem, Antiochia und Akkon "Schulen der Buchmalerei" postuliert. Dabei handelt es sich wohl eher um eine Erfindung von Hugo Buchthal. Was er schrieb, wäre noch gegangen, aber dann hat J aroslav Folda das in nicht mehr zu verantwortender Weise ausgebaut mit seinem "Hospitaller Master". Jetzt regt sich Opposition43 . - S. 160: Hier ist die Rede von den großen mehrfach abgestuften Ringmauern der Kreuzfahrerburgen. Sie stammen aber oft erst aus der Mamlukenzeit. - S. 160: Eine "in ganz Europa" übliche Feier der Eroberung Jerusalems 1099 ist mir nicht geläufig. Man feierte dies am 15. Juli im Hl. Land, aber in Europa feierte man an diesem Tag die Divisio apostolorum44. 43) David ]ACOBY, Society, Culture and the Arts in Crusader Acre, in: France and the Holy Land. Frankish Culture at the End of the Crusades, hg. von Daniel H. WEISS und Lisa MAHONEY (Baltimore und London 2004) S. 118-120. Für J aspert kam das zu spät. 44) Hierzu liegt jetzt neues Material vor. Amnon LINDER, A New Day, New Joy: The Liberation of Jerusalem on 15 July 1099, in: L'idea di Gerusalemme 24 HANS EBERHARD MAYER - S. 162: Daß Hitler an die Kreuzzüge gedacht haben soll, als er das "Unternehmen Barbarossa" gegen Rußland ins Werk setzte, wüßte man gern genauer, denn der kaiserliche Name ließ sich ja auch sonst verwenden. Auch wüßte ich gern, ob überhaupt feststeht, daß es Hitler war, der sich den Namen ausdachte, oder am Ende nicht der Generalstab. Soweit der Befund, und der gilt Christoph T. Maier als "reliable scholarship". Ich aber stehe vor der Wahl zwischen Pest und Cholera: Hat der Rezensent all das nicht bemerkt, als er das Buch las, oder hatte er es gar nicht gelesen, als er es rezensierte? Wenn Rezensionen denn überhaupt einen Sinn haben sollen, dann doch wohl den, daß man prospektive Leser über die Stärken und die Schwächen eines Buches orientiert. Hier bekommt der Leser nur die Stärken vorgesetzt, die Schwächen soll er sich, der dafür meist nicht gerüstet ist, offenbar selber zusammensuchen, aber lieber wird er natürlich all das unbesehen glauben, was er bei Jaspert liest. Daß der ausgeweitete Kreuzzugsbegriff, wie ihn Christoph T. Maier für die praktische Geschichtsschreibung zum Thema verlangt, heutzutage dominant sei, klingt gut. Aber das setzt ein quantitatives Argument dorthin, wo ein qualitatives benötigt würde, nämlich wenn es die nella spiritualid. cristiana del medioevo (Pontificio comitato di scienze storiche. Atti e documenti 12; Vatikanstadt 2003) S. 49 konnte 13 im Hl. Land entstandene liturgische Handschriften identifizieren, die Hinweise auf das Fest enthalten. Cristina DONDI, The Liturgy of the Canons Regular of the Holy Sepulchre of Jerusalem. A Study and a Catalogue of the Manuscript Sources (Bibliotheca Victorina 16; Turnhaut 2004) S. 13 bringt 18 Handschriften aus dem Hl. Land zusammen, von denen aber drei keine solchen Hinweise enthalten. Noch aufschlußreicher ist, daß LINDER S. 49 nur 22 in Europa entstandene liturgische Handschriften finden konnte, die auf das Fest der Befreiung Jerusalems Bezug nehmen - 22 von den zahllosen liturgischen Handschriften des Westens, und von diesen stammen 18 noch aus Frankreich, so daß für den Rest Europas fast nichts bleibt. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten- Eine Replik 25 Meinung vieler sei, dann müsse das doch richtiger sein als die abweichende Auffassung der wenigen Renitenten, die von dem Cambridger Manna nicht kosten wollen. Es hat darüber hinaus den argumentativen Vorteil, daß die Leute auf der anderen Seite des Zauns, die sich von dieser Art der "Moderne" nicht vereinnahmen lassen wollen, sogleich als hoffnungslos hinterwäldlerisch abgestempelt sind, ohne daß man sich einer so deutlichen Sprache befleißigen müßte. Es ist aber nicht zu verkennen, daß diese weite Auslegung des Kreuzzugsbegriffes ganz wesentlich eine Angelegenheit von Cambridge und seiner Kreuzzugsschule ist, zu der ja auch Christoph Maier gehört. Außerhalb dieses erlauchten Zirkels sind die Maßstäbe dann doch nicht mehr dieselben45. Als die Society for the Study of the Crusades and the Latin East 1983 in Cardiff ihren ersten Kongreß abhielt 46 , waren beide Richtungen vertreten. Norman Housley versuchte sich an dem Nachweis, daß 45) Es ist symptomatisch, daß Ril.EY-SMTIH, What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, S. 102 für die pluralistische Theorie mit einer Ausnahme nur seine Schüler und sich zitiert. DERS., The Crusading Movement and Historians, in: DERS., lllustrated History (wie Anm. 4) S. 9 hat für die pluralistische These ohne Beleg Helmut ROSCHER in Anspruch genommen, der aber in seiner Dissertation Papst Innocenz ill. und die Kreuzzüge (Forschungen zur Kirchenund Dogmengeschichte 21; Göttingen 1969) S. 13 ausdrücklich sagt, eine befriedigende Definition der Kreuzzüge sei zur Zeit nicht möglich. Er ist also keinem der beiden Lager zuzurechnen. Da sich auch Nikolas JASPERT, Die Kreuzzüge (Darmstadt 2003) S. IX dagegen wehrt, für den Pluralismus in Anspruch genommen zu werden, fallen mir außerhalb des Cambridger Kreises nur noch in den USA Michael MARKOWSKI, Crucesignatus (wie Anm. 22) S. 164 und in Israel Amnon LINDER, Raising Arms. Liturgy in the Struggle to Liberate Jerusalem in the Late Middle Ages (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 2; Turnhaut 2003) S. 121 ein. Man mag dem die Rezension beigesellen, die der Amerikaner James A. BRUNDAGE von Rn.EY-SMTIH, What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, in: Crusades 4 (2005) S. 189-191 verfaßt hat. 46) Peter W. EDBURY, Crusade and Settlement. Papers read at the First Conference of the Society for the Study of the Crusades and the Latin East (Cardiff 1985). 26 HANS EBERHARD MAYER die Kreuzzüge gegen Häretiker und gegen politische Feinde des Papsttums lang zurückreichende Wurzeln hatten und vertrat so die weite Definition. Christopher Tyerman, der 1988 in seinem Standardwerk "England and the Crusades" im Detail den Zeitraum 1095-1588 erforschte, wollte von der Vorrangstellung der Kreuzzüge ins Hl. Land nicht lassen und legte dafür ein reiches Material vor47 • Er sagte zu Recht, daß die meisten nicht donhin gerichteten Züge kritisiert wurden, weil sie überhaupt stattfanden, während diejenigen ins Hl. Land der Kritik anheimfielen, wenn es nicht zu ihnen kam. Er wehrte sich dagegen, daß nun alles über einen Kamm geschoren werden solle in einer neuen Orthodoxie, als deren Exponenten er Riley-Smith und Housley ausmachte, auch wenn das beileibe keinen Traditionalisten aus ihm machte. Tyermans Meinung von der Vorrangstellung des Hl. Landes hat sich dann auch Riley-Smith angeschlossen 48 • Ja mehr noch. In einem Kongreßvortrag in Teruel im Jahre 2001 hat Riley-Smith an der pluralistischen Theorie eine geradezu aufsehenerregende Kritik geübt 49 • Dort beschreibt er, wie begeistert er einst versucht habe, dem Pluralismus eine intellektuelle Basis zu erarbeiten, wie sicher er sich gefühlt habe, als er zu einer ihn befriedrigenden Arbeitsdefinition der Kreuzzüge gekommen sei, und welche Freude es ihm gewesen sei, vor sich ein weites Panorama in Raum und Zeit zu 47) Norman HOUSLEY, Crusades against Christians: their Origins and Early Development, in dem in Anm. 46 genannten Kongreßband S. 17-36 und Christopher TYERMAN, The Holy Land and the Crusades of the Thirteenth and Fourteenth Centuries, ebd. S. 105-112. 48) RILEY-SMITIJ, lliustrated History (wie Anm. 4) S. 9.JASPERT hat sich ausdrücklich gewehrt dagegen, als Pluralist in Anspruch genommen zu werden {siehe Anrn. 45) und gleichfalls die Vorrangstellung der Hl.-Land-Züge betont. 49) Jonathan RILEY-SMITIJ, The Future of Studies on the Crusades and the Military Orders. Die Kongreßakten sind im Druck, mir liegt die in Teruel verteilte maschinenschriftliche Fassung vor. Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten -Eine Replik 27 sehen. Und er fährt fort: "But this turned out to be an illusion". Besonderes Kopfzerbrechen bereitete ihm, der die führende Geschichte des Johanniterordens bis 1300 vedaßt hat, daß die Mitglieder der Ritterorden sich der pluralistischen Definition glatt entziehen. Sie kämpften in der vordersten Front der Kreuzzüge (wie immer man diese definiert), leisteten aber kein Kreuzzugsgelübde und erhielten keine Ablässe. Das ist natürlich auch Anlaß für die Traditionalisten zur Nachdenklichkeit, denn Gelübde und Ablässe gehören auch für sie zum Kreuzzug unbedingt dazu. Riley-Smith sprach in Teruel auch von einer "pluralist inelasticity". Christoph T. Maiers Rezension ist ein Beispiel dafür. Riley-Smith schwor am Ende den Ideen und Hoffnungen seiner frühen Jahre nicht ab, aber, so sagte er in Teruel, Pluralismus erscheint ihm heute als "a rather unsatisfactory working hypothesis, because it is hard to come up with anything better". Nur hat sich dieser erstaunliche Sinneswandel bis Zürich offenbar noch nicht herumgesprochen50 . Wie müßte denn eine gute Kreuzzugsgeschichte in Christoph T. Maiers Sicht aussehen? Wie die von Jaspert natürlich, nur ausführlicher. Aber gibt es jemand, der das alles kann, der sich über den Kreuzzug ins Hl. Land 1101 ebenso tiefgründig und sachverständig äußern kann wie über die Kampagne des Bischofs Henry Despenser von Norwich, der im Gewand des Kreuzzugs 1383 in Flandern Hundertjährigen Krieg betrieb und sich damit den Zorn J ohn Wyclifs zuzog? Der sich bei den Albigensern und in Preußen so gut auskennt wie im Hl. Land, obwohl Albigensedorschung und Deutschordensgeschichte zwei Gebiete sind, die jedes für sich den ganzen Mann fordern? Es kann nur zu einer verflachenden Darstellung führen, wenn man dies alles zusätzlich zu den Zügen ins Hl. Land zwischen zwei Buchdeckel pressen will. Bei J aspert 50) Bei Rn.EY-SMITii, What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, S. XTI finden sich nur noch zarte Andeutungen, drei Zeilen statt der zweieinhalb Seiten in Teruel. 28 HANS EBERHARD MAYER erhalten die Kreuzzüge im Ostseeraum, das sind volle drei Jahrhunderte, um die sich ganze Generationen deutscher und polnischer Forscher verdient gemacht haben, gerade 10 Seiten. Aber die Pluralisten muten uns zu, dies alles zu beherrschen und zu können, obwohl sie untereinander noch nicht einmal einig sind, wann denn die Kreuzzüge eigentlich enden; sie glauben nur zu wissen, daß es 1291 nicht wa~ 1 . Umgekehrt wie Heinrich Heines Politiker predigen die Pluralisten öffentlich Wein, trinken dann aber heimlich Wasser. Aber unterstellt man einmal, daß es einen solchen Tausendsassa gibt, der das alles kann, dann müßte ein so beschaffenes opus magnum doch offenbar im spätmittelalterlichen Teil umfangreicher sein als im hochmittelalterlichen, denn die Kriegsschauplätze weiten sich nach 1300 aus und das Quellenmaterial vermehrt sich sprunghaft. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ganz gleich, ob Pluralist oder Traditionalist, man erforscht entweder das eine oder das andere, und beides ist ja - damit ich nicht mißverstanden werde - wert, erforscht zu werden. Die einen wie Housley werfen sich ganz auf die Zeit nach 1291, auch wenn er eines seiner Bücher schon 1274 beginnen ließ. Die anderen lassen die Späten Kreuzzüge weitgehend beiseite und 51) Aziz S. ATIYA, The Crusade in the Later Middle Ages (London 1938) vertrat 1396 (Kreuzzug nach Nikopolis), HOUSLEY einmal1580, ein anderesmal aber 1700 (HoUSLEY, Later Crusades [wie Anm. 5] und DERS., The Crusading Movement 1274-1700, in: RILEY-SMITII, lliustrated History [wie Anm. 4] S. 260), TYERMAN 1588 (Spanische Armada; Christopher TYERMAN, England and the Crusades 1095-1588 [Chicago und London 1988]). RILEY-SMITH, lliustrated History (wie Anm. 4) S. 11 zählt auch noch 1521, 1560 auf. DERS., What Were the Crusades? (wie Anm. 3), 3. Auflage, S. 89 ist auch für 1588, zieht aber noch 1798 (Kapitulation Maltas) in Erwägung. FLOR!, Pour une redefiniten (wie Anm. 11) S. 338 kommentierte diese unaufhörlichen chronologischen Ausweitungen mit Recht wie folgt: "Or c'est h1, me semble-t-il, un elargissement eminemment hasardeux du concept de croisade qui peut justifier toutes les derives modernes de l'usage du mot, avec les perils ideologiques et politiques qui peuvent en decouler." Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten-EineReplik 29 beschäftigen sich praktisch nur mit der Zeit vor 1291. Zwischen Anspruch und Tat klafft bei den Pluralisten ein sehr großes Loch. Ich nehme als Beispiel die starke angelsächsische, vorwiegend britische, Kreuzzugsforschung. RILEY-SMITH, das Haupt der Pluralisten, hat sich mit den Späten Kreuzzügen nur ganz am Rande befaßt. Sein Werk "The Knights of St. John in Jerusalem and Cyprus" (London 1967) endet 1310, seine Buch über "The Feudal Nobility and the Kingdom of Jerusalem" (London 1973) endet 1277. In seiner Kreuzzugsgeschichte "The Crusades" (London 1987) gibt er der Periode 1291-1798 (Ende der J ohanniterherrschaft in Malta), also einem halben Jahrtausend, gerade 47 Seiten von 255, also 18 Prozent. Bei Bernard HAMILTON, "The Crusades" (Stroud in Gloucestershire 1998) erhält 1291-1798 von 100 Seiten 16. Bei Thomas MADDEN, "A Concise History of the Crusades" (Lanham in Maryland 1999) sind es 22 von 215 Seiten, d. h. 10 Prozent, und dabei blieb es auch in der 2. Auflage von 2006. Nur die Kreuzzüge gegen Ketzer und gegen politische Feinde der Kirche im 13. Jahrhundert erhalten in diesen Werken hinreichende Aufmerksamkeit, nicht aber die sogenannten Späten Kreuzzüge. Für diese werden lediglich knappe Abrisse geboten, wie man sie fast auch jedem Konversationslexikon entnehmen kann. Es sind Epiloge, Lippenbekenntnisse, selbständige Forschungsbeiträge wollen und können sie nicht sein. Auch bei Jaspert sind es für Spanien, den Ostseeraum und die Züge gegen Haeretiker etc. nur 49 von 163 Seiten, d. h. 30 Prozent, wobei er, weil er ja kein Pluralist sein will, die Späten Kreuzzüge eigentlich nicht einmal berührt, denn er gibt ihnen S. 55-57 gerade zweieinhalb Seiten. Wem soll das eigentlich etwas nützen? Riley-Smith hielt mir mit Recht vor, es seien bei mir in der englischen Übersetzung nur eine Seite gewesen52 • Eben deshalb, weil es niemandem nützt und ein Buch auf 52} Rll.EY-SMITil, illustrated History (wie Anm. 4} S. 11. 30 HANS EBERHARD MA YER das Niveau des Geschichtszahlenwerks von Karl Ploetz absenkt, habe ich es in der deutschen Ausgabe seit 1985 weggelassen. Bei der jüngsten Kreuzzugsgeschichte aus England, die Jonathan PHll.LIPS, auch er ein Schüler von Riley-Smith, unter dem Titel "The Crusades" (Harlow 2002) vorgelegt hat, sucht man dann selbst den Kampf gegen Ketzer und rechtgläubige Abtrünnige vergebens, denn sein Buch endet bereits 1197, unterbietet also die Traditionalisten um ein volles Jahrhundert. Die dann folgende Zeit bis 1291, erst recht alles spätere, wird schlicht weggelassen, und von den Nebenschauplätzen hat er nur diejenigen des Zweiten Kreuzzuges in Spanien und im W endenland. Gegen Kritik aus dem pluralistischen Lager, die hier durchaus indiziert wäre, dürfte er gefeit sein, hat er doch S. 4-5 das obligate Bekenntnis zur pluralistischen These abgelegt. Nur bleibt es auch hier beim bloßen Wort, dem keine Tat folgt. Man kann die pluralistische Forderung nach allumfassender Unterrichtung natürlich schon erfüllen, aber nur auf zweierlei Weise. Entweder macht man ein Sammelwerk wie die von Kenneth SETTON herausgegebene "History of the Crusades" in 6 Bänden {Madison 1969-1989), dann kann man für alle diese Nebengebiete Spezialisten unter Vertrag nehmen. Oder man sucht sich ein Spezialgebiet, das kleiner ist als eine ganze Kreuzzugsgeschichte, dann kann es auch ein Einzelner, so Christoph T. Maier in seiner hervorragenden Dissertation53 oder Christopher Tyerman in "England and the Crusades" (1988). Wer aber versucht, eine Kreuzzugsgeschichte nach Christoph T. Maiers Anforderungen zu schreiben, die mehr sein soll als nur eine Geschichte der Hl.-Land-Züge mit einem Eschatokoll über die Zeit nach 1291 (oder umgekehrt), wird in dem ihm nicht geläufigen Teil zu einer 53) Christoph T. MAlER, Preaching the Crusades. Mendicant Friars and the Cross in the Thirteenth Century (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, fourth series; Cambridge 1994). Zwei deutsche Kreuzzugsgeschichten - Eine Replik 31 Darstellung kommen, die mutatis mutandis dem gleicht, was Voltaire über die Etymologie schrieb: "C'est une science ou les voyelles ne font rien et les consonnes fort peu de chose." Davon möchte ich mich tunliehst freihalten. Bei der Wahl zwischen eng und tief einerseits oder breit und flach andererseits habe ich mich stets für die erste Variante entschieden, weil breit u n d tief meiner Meinung nach nicht geht. Denen aber, die ich gescholten habe, ein Wort zum Trost, denn so spricht der Apostel Paulus: Quid ergo est, fratres? cum convenitis, unusquisque vestrum psalmum habet, doctrinam habet, apocalypsim habet, linguam habet, interpretationen habet; omnia ad aedificationem fiant (I Cor. 14, 26).