Schülerarbeitsheft GRUNDLAGENKURS

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Mathe
Plus
Aa
Chen
M
P
A
C
Schülerarbeitsheft
GRUNDLAGENKURS
Erhard Cramer, Johanna Heitzer, Gudrun Henn, Christa
Polaczek, Sebastian Walcher
GRUNDLAGENKURS
Erhard Cramer, Johanna Heitzer, Gudrun Henn,
Christa Polaczek, Sebastian Walcher
Prof. Dr. Sebastian Walcher
Lehrstuhl A für Mathematik
RWTH Aachen
E-Mail: [email protected]
Mathe Plus AaChen (MPAC) ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und
Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und
Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird.
Diese Unterlagen befinden sich noch in der Erarbeitung und sind nur für den persönlichen
Gebrauch bestimmt. Erlaubt ist eine Vervielfältigung zur Nutzung im Unterricht bei der
Endversion, die Anfang 2011 im Netz hinterlegt wird unter: http://www.matha.rwthaachen.de:8062/
© S. Walcher, Aachen, Mai 2011
5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte
1
2
3
4
5
Aussagen und Wahrheitswerte
Einführung . . . . . . . . . . . . .
Begriff der Aussage . . . . . . . .
Exkurs: Zum Begriff der Aussage
Wahrheitswerttafel . . . . . . . .
Operationen mit Aussagen
Einführung . . . . . . . . . . .
Negation einer Aussage . . .
Disjunktion und Konjunktion
Subjunktion und Bijunktion .
Äquivalenz . . . . . . . . . . .
Tautologie und Kontradiktion
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Regeln und Normalform
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz über die disjunkte Normalform . . .
Die McCluskey-Methode . . . . . . . . . .
Exkurs: Zur Lösung des Massenproblems
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Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mengen: Grundbegriffe und Schreibweisen . . . . . . . . . .
Gleichheit von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(Echte) Teilmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mächtigkeit einer Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Mengen zur Beschreibung von Zufallsexperimenten
Quantoren in der Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Aussageformen mit mehreren Variablen . . . . . . .
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mengenlehre: Regeln
Einführung: Verknüpfung von Mengen . . . . . . . . . . .
Vereinigungsmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schnittmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Differenz und Komplement von Mengen . . . . . . . . . .
Kartesisches Produkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Anwendung aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung
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Inhaltsverzeichnis
Einführung: Regeln für Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Assoziativ-, Kommutativ-, Distributiv-, Idempotenzgesetze . 52
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
6
7
8
9
Anwendung: Gleichungslehre
Einführung . . . . . . . . . . . . . .
Aussageformen (z.B. Gleichungen)
Äquivalenz von Aussageformen .
Folgerung bei Aussageformen . . .
Wissensspeicher . . . . . . . . .
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Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
Einführende Beispiele . . . . . . . . . . . . .
Relationen, Zuordnungen und Funktionen .
Wichtige Funktionstypen . . . . . . . . . . . .
Verknüpfungen von Funktionen . . . . . . .
Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . .
Funktionen mit Parametern . . . . . . . . . .
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Abbildungen: Anwendungen
Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . .
Kombinatorik: Abzählen von Mengen . .
Beschreibung von Mengen im R2 und R3
Funktionenräume . . . . . . . . . . . . . .
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Natürliche Zahlen
Einstieg . . . . . . . . . . . . . .
Die Zahlbereiche N und N0 . .
Exkurs . . . . . . . . . . . . . .
Teilbarkeit in N . . . . . . . . .
Zerlegbarkeit und Primzahlen .
Wohlordnung von N . . . . . .
Das Induktionsprinzip . . . . .
Teilbarkeit in Z . . . . . . . . .
Division mit Rest . . . . . . . .
Gemeinsame Teiler . . . . . . .
Exkurs: Euklids Algorithmus .
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10 Induktion und Rekursion
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . .
Induktion als Beweisprinzip . . . . .
Rekursion als Konstruktionsprinzip
Exkurs: Rekursion und Induktion .
Das Summenzeichen . . . . . . . . .
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MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
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Vorwort: MathePlus
Schülerarbeitshefte
MathePlus ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird.
Was ist MathePlus?
Die Initiative ist entstanden, weil der reguläre Mathematikunterricht,
durch Curriculumsreformen bedingt, in immer geringerem Maß auf
die Mathematikanforderungen in vielen Studienfächern, insbesondere
in MINT-Fächern, vorbereitet. MathePlus will hier Akzente setzen und
den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern Wissen und Können
vermitteln, das den Einstieg in solche Studiengänge erleichtert.
Warum MathePlus?
MathePlus ist ein zusätzliches Unterrichtsangebot für Schülerinnen
und Schüler der Sekundarstufe II, das von teilnehmenden Schulen in
Kooperation mit der FH Aachen und der RWTH Aachen entwickelt
und durchgeführt wird. MathePlus kann und soll den regulären Mathematikunterricht nicht ersetzen und kann und soll auch nicht als
vertiefendes Angebot für die Abiturvorbereitung dienen.
Vielmehr werden mathematische Strukturen und Anwendungsbereiche präsentiert, die im regulären Unterricht keinen Platz finden, für
ein MINT-Studium oder andere mathematikhaltige Studiengänge aber
sehr nützlich und wichtig sind. Den Schülern und Schülerinnen sollen über einen frühzeitigen Kontakt mit mathematischen Strukturen
mögliche Ängste vor Abstraktem genommen werden. Über geeignete
Inhalte und Aufgabenstellungen soll die Freude am logischen Denken geweckt werden. Auch echte und relevante Anwendungen der
Mathematik sind Thema. Material zum Download finden Sie (nach
Registrierung) unter dem Punkt »Materialien«.
Grundsätzlich stellen die Autoren Texte und Aufgaben allen Interessierten zur Verfügung (einzige Voraussetzung ist eine Registrierung).
Einsetzbar sind diese Materialien zum Beispiel im Wahlunterricht, insbesondere im künftig vorgesehenen Projektunterricht. Die Unterrichtseinheiten (Lehrtexte und Aufgaben) sind konzipiert für ein Halbjahr
mit 2 Wochenstunden; sie bauen aufeinander auf.
Einsetzbarkeit
8
Schülerarbeitshefte
Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte
Die Schülerarbeitshefte sind als Unterrichtsgrundlage konzipiert, mit
deren Hilfe sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbständig in
das Thema einarbeiten können. Sie beginnen mit einer Einführung
in das übergeordnete Thema und einem Überblick über die nötigen
Vorkenntnisse. Am Ende stehen eine Zusammenfassung und übergeordnete Aufgaben zum Thema. Die Teilkapitel enthalten Einführungen
und Einführungsaufgaben, Basiswissen, Beispiele, einfache Übungsaufgaben, komplexere Aufgaben, Anwendungen und Probleme sowie
Zusammenfassungen des jeweiligen Themengebiets. Neben diesem
»roten Faden« gibt es (am Rand) auch historische und sonstige Anmerkungen, Tipps und Hilfen sowie Merkkästen.
Jedes Heft sollte bei zwei Wochenstunden etwa die Grundlage für ein
Schulhalbjahr bilden. Die Themen der bisher geplanten beziehungsweise erschienenen MathePlus Schülerarbeitshefte sind:
Themen
• Grundlagen
• Folgen und Reihen
• Komplexe Zahlen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
9
Kapitel 1
Aussagen und Wahrheitswerte
Im Folgenden geht es um Aussagen und den Umgang mit Ihnen. Eine
wesentliche Erkenntnis ist: Man kann etwas über die Verknüpfung von
Aussagen herausfinden, ohne die Aussagen zu verstehen oder über
ihre Wahrheitswerte entscheiden zu können. Es geht weniger um die
Objekte als um die Beziehungen zwischen ihnen.
1. Sie sitzen in einem fremden Land in einem Cafe und hören am
Nebentisch folgende Unterhaltungsfetzen mit:
• Alle Gldymix sind ja schließlich Swlabr.
• Beim Schürbeln haben wir auch schon wieder verloren.
• Aber Grmpf ist doch nicht flemp.
• Wir brauchen einfach einen neuen Xlydimac.
• Die Swlabr sind doch alle flemp.
• Was soll ein neuer Xlydimac, wenn wir einen nach dem anderen
reingschürbelt kriegen?
• Grmpf hat immer betont, dass er gerne ein Gldymix ist.
Ihre Kenntnisse der Landessprache sind ersichtlich begrenzt. Trotzdem
merken Sie auf und sind sicher, dass etwas nicht stimmen kann.
Warum?
2. Eine Lampe brennt, wenn die Stellungen dreier Schalter S1, S2 und
S3 die folgenden Bedingungen erfüllen:
Wenn der Schalte S3 angeschaltet ist, muss Schalter S1 ausgeschaltet
sein. Die Schalter S2 und S3 müssen entgegengesetzt geschaltet werden. Wird S1 ausgeschaltet, so muss S2 eingeschaltet sein. S1 und S2
dürfen nicht gleichzeitig eingeschaltet sein.
Bei welchen Schalterstellungen brennt die Lampe?
(Tipp: Führen Sie die Aussage A1 „Schalter A1 ist eingeschaltet“ und
entsprechende Aussagen A2, A3 ein. Spielen Sie dann in einer Tabelle
alle Möglichkeiten durch und entscheiden jeweils, ob die Bedingungen
erfüllt sind.)
Einführung
10
Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte
Aussagen sollen im folgenden als mathematische Objekte betrachtet
werden. Dabei wird es vorwiegend darum gehen, aus vorgegebenen elementaren Aussagen neue Aussagen zusammenzusetzen. Uns
interessiert dann vor allem der Wahrheitswert einer zusammengesetzten Aussage, wenn wir die Wahrheitswerte der vorgegebenen
Elementaraussagen kennen. Wir führen damit eine Art „Rechnen mit
Aussagen“ ein.
Begriff der
Aussage
Beispiele
Arbeitsdefinition:
Eine Aussage A ist eine Behauptung, der auf eindeutige Weise
(sinnvoll) ein Wahrheitswert w (wahr) oder f (falsch) zugeordnet
werden kann.
(1) „Ober, noch ein Bier!“,
„Ach Mensch, ausgerechnet jetzt!“ und
R9
„ 3 (7x − π ) dx “
sind keine Aussagen: Man kann nicht sinnvoll über einen Wahrheitswert entscheiden.
(2) „Herr Müller ist nicht der Cleverste.“,
„Der Pluto ist ein Planet unseres Sonnensystems.“ und „ 4!+11 = 35 “
sind Aussagen, da man (zumindest prinzipiell) über den Wahrheitswert entscheiden kann.
(3) Für einen Schalter können wir die elementare Aussage A formulieren: Der Schalter ist eingeschaltet.
Ist A wahr, so ist der Schalter tatsächlich eingeschaltet, ist A falsch, so
steht der Schalter auf „aus“.
(4) In diesem Beispiel sei die Aussage B gegeben: Die Autobahnabfahrt A1 und A2 liegen auf derselben Autobahn.
Ist die Aussage B wahr, so können Sie von der Abfahrt A1 zur Abfahrt
A2 über eine Autobahn fahren. Ist die Aussage B falsch, so müssen
Sie wenigstens die Autobahn wechseln, um von der Abfahrt A1 zur
Abfahrt A2 zu gelangen. Es könnte sogar sein, dass dieser Weg Sie
über Landstraßen führt.
Fermatsche
Vermutung
(5) „Allemannia Aachen ist der beste Verein von allen.“ ist eine
Aussage, auch wenn ihr sicher nicht alle Menschen den gleichen
Wahrheitswert zuordnen würden.
„Es gibt im Universum einen Planeten, der mit Nuss-Nougat-Creme
gefüllt ist.“ ist eine Aussage, auch wenn eine Entscheidung über den
Wahrheitswert sichtlich Schwierigkeiten bereitet.
„Zu keiner natürlichen Zahl n mit n > 2 gibt es positive ganze Zahlen
a, b, c, so dass an + bn = cn gilt. “ ist eine (unglaublich starke)
Aussage. Seit etwa 15 Jahren wissen Mathematiker, dass sie wahr ist
(Beweis der ’Fermatschen Vermutung’ durch Andrew Wiles). Schon
lange zuvor gab es daran allerdings praktisch keinen Zweifel mehr.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte
11
(6) Schließlich sind auch Gleichungen oder Ungleichungen zwischen
Zahlen Beispiele für Aussagen:
3 · 4 = 12 (w)
5 + 2 > 12 (f)
Gleichungen oder Ungleichungen, in denen noch unbekannte Größen
vorkommen, sind jedoch keine Aussagen. Wir können ihren Wahrheitswert nicht angeben. Er hängt von der Belegung der Variablen ab.
So wird die Gleichung:
x+3 = 7
bei der Belegung x = 4 zu einer wahren Aussage, bei allen anderen
Belegungen für x wird die Gleichung zu einer falschen Aussage.
Zum Begriff der Aussage
Wenn Sie mit der ’Arbeitsdefinition’ von oben nicht so ganz
glücklich sind, ist das verständlich: Gerade von der Mathematik
erwartet man doch präzise und unmissverständliche Festlegungen! Statt dessen liest man hier eine eher unscharfe Beschreibung,
die sichtlich an die Intuition der Leserschaft appelliert.
Das ist für die Mathematik aber (leider) nicht mal so untypisch:
Man geht von gewissen Grundbegriffen aus, die als „intuitiv klar“
angesehen werden, und errichtet darauf Gedankengebäude. Es ist
legitim, auch diese Grundbegriffe weiter klären zu wollen; und
daran wird auch gearbeitet. Aber damit begibt man sich bisweilen
auf ein Feld, das schwere oder auch noch offene Probleme enthält.
Die meisten Menschen, die in oder mit der Mathematik argbeiten,
tun dies auf der Basis „intuitiver Grundvorstellungen“. Das soll
auch für diesen Kurs die Leitlinie sein. Dennoch wollen wir die
Sache noch ein Stück genauer ansehen:
Problem: Ist „Diese Aussage ist falsch.“ eine Aussage? Wenn man
versucht, ihr einen Wahrheitswert zuzuordnen und zugleich ihren
Inhalt berücksichtigt, gerät man in Schwierigkeiten. Das Problem
liegt im Grunde darin, dass die ’Aussage’ etwas über sich selbst
aussagt. Das ist ein Beispiel für eines der undamentalen Probleme,
auf die man beim Versuch einer „ordentlichen Festlegung“ stößt.
(Ein weiteres steckt in „Der Barbier von Sevilla rasiert alle Männer
von Sevilla, die sich nicht selbst rasieren.“)
Unser Modus Operandi: Wir kümmern uns weniger um das Wesen und den Inhalt von Aussagen, als um die Kombination von
und die Beziehungen zwischen Aussagen. Dafür entwickeln wir
einen „Werkzeugkasten“, der vielfachen Nutzen innerhalb und
außerhalb der Mathematik hat.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Exkurs
„Der Barbier von Sevilla
rasiert alle Männer von
Sevilla, die sich nicht
selbst rasieren.“
12
Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte
Übungsaufgaben
3. Entscheiden Sie, ob im folgenden Aussagen vorliegen, und falls ja,
ob diese Aussagen wahr oder falsch sind.
a) Lass mich in Ruhe!
c) x2 = 4 ⇔ x = 2 ∨ x = −2
b) Drei Klöße sind zu viel.
d) 7 − 2x < 15
4. Entscheiden Sie, ob im folgenden Aussagen vorliegen, und falls ja,
ob diese Aussagen wahr oder falsch sind.
a) 3 > 7
d) (−2)3 > (−3)2
b) (−4) 6 (−4)
e) x2 > 0
c) a2 + b2 = c2
5. Betrachten Sie die Zeichenfolge A:
Der Flächeninhalt eines Dreiecks berechnet sich zu F = 12 · g · h.
Warum ist A keine Aussage? Ergänzen Sie A so, dass es sich um eine
Aussage handelt.
6. In die Felder des folgenden Rechtecks sollen die Zahlen 1, 2 und
3 so eingetragen werden, dass in jeder Zeile und in jeder Spalte jede
dieser Zahlen genau einmal vorkommt:
Entscheiden Sie, ob die folgende Aussage wahr ist: Auf der grau
markierten Diagonalen steht entweder in allen Feldern dieselbe Zahl
oder alle drei Zahlen auf dieser Diagonale sind verschieden.
Wahrheitswerttafel
sollen die Zahlen 1, 2 und 3 so eingetragen werden, dass in jeder Zeile
und in jeder Spalte jede dieser Zahlen genau einmal vorkommt.
Eine Tabelle, in der für eine endliche Anzahl von Aussagen Kombinationsmöglichkeiten von Wahrheitswerten angegeben werden,
heißt Wahrheitswerttafel.
A
w
w
f
f
A
w
f
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
C
w
f
w
w
B
w
f
w
f
D
f
n.e.
n.e.
f
(7) Nebenstehend abgebildet sind die Wahrheitswerttafeln für eine
Aussage A und für zwei unabhängige Aussagen A und B.
Bei einer elektrischen Schaltung würden wir die Wahrheitswerttafel
als Auflistung der Kombinationsmöglichkeiten für die Stellungen der
vorhandenen Schalter ansehen.
(8) Zu den folgenden Aussagen gehört die am Rand abgebildete
Wahrheitswertetafel. („n.e.“ steht für „nicht entscheidbar“)
A: Claus ist Nichtschwimmer.
B: Karl kann schwimmen.
C: Unter Claus und Karl ist ein Schwimmer.
D: Claus und Karl können genau das gleiche.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte
7. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für drei unabhängige Aussagen.
8. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für zwei Aussagen, wenn
höchstens eine der beiden Aussagen wahr sein kann.
9. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für drei Aussagen, wenn mindestens eine der Aussagen falsch ist.
10. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für mehrere Aussagen, die
alle verschiedene Wahrheitswerte haben.
11. Eine vollständige Wahrheitswerttafel besitze 16 Zeilen. Wie viele
Zeilen besitzt die vollständige Wahrheitswerttafel, wenn eine weitere
Aussage ohne Zusatzbedingungen hinzugenommen wird?
12. Wie viele Zeilen besitzt die vollständige Wahrheitswerttafel für n
unabhängige Aussagen?
13. Wenn Sie eine Sekunde benötigen, um einen Eintrag in eine
Wahrheitswerttafel zu schreiben, wie lange benötigen Sie dann, um
eine Wahrheitswerttafel für 10 Aussagen auszufüllen? Welche Zeit
brauchen Sie bei 20 Aussagen?
14. Frau Kraus hat drei Tanten: Tante Hedwig, Tante Klara und
Tante Trude. Sie lädt ihre Tanten zum Geburtstag ein. Tante Klara
und Tante Trude sind zerstritten und werden keinesfalls beide zur
Geburtstagsfeier kommen. Tante Klara kommt nur dann, wenn Tante
Hedwig auch kommt. Tante Trude und Tante Hedwig kommen immer
gemeinsam zu Geburtstagsfeiern. Es ist wenigstens eine der Tanten
der Einladung gefolgt. Welche Tanten waren da?
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
13
Übungsaufgaben
15
Kapitel 2
Operationen mit Aussagen
In praktischen Problemen setzen wir aus mehreren Elementarkomponenten größere neue Komponenten zusammen. Dies wird in der
Aussagenlogik dadurch simuliert, dass wir aus Elementaraussagen
neue Aussagen zusammensetzen. Zunächst betrachten wir die Möglichkeiten, aus einer Aussage eine neue Aussage zu formulieren, danach werden wir aus zwei elementaren Aussagen eine neue Aussage
bilden.
Einführung
Wir haben bereits gesehen, dass einer Aussage immer eine „Gegenaussage“ zuzuordnen ist. Betrachten wir die Aussage
Einstieg
A: Der Schalter ist eingeschaltet.
So können wir ihr die Aussage
B: Der Schalter ist nicht eingeschaltet.
gegenüberstellen. Wenn A wahr ist, so ist B falsch und umgekehrt.
Eine der beiden Aussagen muss wahr sein.
Durch die Negation wird eine Aussage A in eine Aussage ¬A
überführt, die genau den umgekehrten Wahrheitswert wie A besitzt.
Sprechweise: non A
Die Werte der Aussage ¬A hängen von der Werten der Aussage
A ab und werden über die nebenstehende Wahrheitswerttafel
definiert.
(9) Wir wollen uns im Beispiel direkt anschauen, dass uns die Negation bei der Formulierung und Lösung von Aufgabenstellungen
wertvolle Dienste leistet. Dazu wurde eine Aufgabe aus dem Buch (mit
dem tatsächlichen Titel) Wie heißt dieses Buch? von Raymond Smullyan
ausgewählt:
In welchem der folgenden drei markierten Kästchen liegt das erwähnte
Bild, wenn höchstens eine der drei aufgedruckten Aussagen wahr ist?
Negation einer
Aussage
A
w
f
¬A
f
w
Beispiele
16
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
Gold
Silber
Blei
Das Bild ist in
diesem
Kästchen
Das Bild ist
nicht in diesem
Kästchen
Das Bild ist
nicht in dem
goldenen
Kästchen
Wir müssen entscheiden, welche der drei folgenden Aussagen wahr
ist:
A: Das Bild ist im goldenen Kästchen
B: Das Bild ist im silbernen Kästchen
C: Das Bild ist im bleiernen Kästchen
Es ist genau eine der drei Aussagen wahr. Die anderen beiden müssen falsch sein. Des weiteren sind auf den Kästchen drei Aussagen
aufgedruckt, von denen höchstens eine wahr sein darf:
Goldenes Kästchen: A
Silbernes Kästchen: ¬ B
Bleiernes Kästchen: ¬ A
Die Wahrheitswerttafel löst die Aufgabe. Da wir wissen, dass nur eine
der Aussagen A, B oder C wahr ist, können wir die Wahrheitswerttafel
von vorne herein auf diese Fälle reduzieren. In jedem Fall können wir
die Wahrheitswerte der Aussagen bestimmen, die auf den Kästchen
aufgedruckt sind.
A
w
f
f
B
f
w
f
C
f
f
w
A
w
f
f
¬B
w
f
w
¬A
f
w
f
Nur in der zweiten Zeile wird die geforderte Bedingung erfüllt. Die
Aussage B ist wahr. Das Bild liegt im silbernen Kästchen.
Übungsaufgaben
15. Bilden Sie die Negation der folgenden Aussagen:
a) Das Innere des Planeten Uranus besteht aus Vanillepudding.
b) 3 > 5 .
c) Alle positiven reellen Zahlen x erfüllen die Ungleichung x2 > 0.
d) Es gibt ein Dreieck mit zwei rechten Winkeln.
16. Formulieren Sie die Negationen der folgenden Aussagen:
A1: Die Schalter S1 und S2 sind beide eingeschaltet.
A2: Von den Schaltern S1 und S2 ist einer eingeschaltet und der andere
ausgeschaltet.
A3: Die Schalter S1 und S2 sind beide ausgeschaltet.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
17
A4: Von den Schaltern S1 und S2 ist wenigstens einer eingeschaltet.
A5: Der Schalter S1 ist ausgeschaltet oder der Schalter S2 ist eingeschaltet.
A6: Wenn S2 ausgeschaltet ist, dann ist S1 eingeschaltet.
Um interessantere Fragestellungen zu behandeln, benötigen wir die
Möglichkeit, Aussagen zusammenzusetzen. Wichtig ist, dass dabei
eine neue Aussage gebildet wird. Der Wahrheitswert der zusammengesetzten Aussage kann wie bei allen Aussagen zwei Werte w oder
f annehmen. Es gilt lediglich, dass ihr Wahrheitswert von den Wahrheitswerten der Elementaraussagen abhängt.
Die Disjunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A ∨ B zu. Sprechweise: A oder B.
Erläuterung
Disjunktion und
Konjunktion
Die Konjunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A ∧ B zu. Sprechweise: A und B.
Die Wahrheitswerte der neuen Aussagen werden über die folgenden Wahrheitswerttafeln definiert.
Disjunktion
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
Konjunktion
A∨B
w
w
w
f
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A∧B
w
f
f
f
(10) Die beiden wichtigsten Verknüpfungen für zwei Aussagen spiegeln genau die Funktionsweisen einer Parallelschaltung und einer
Reihenschaltung von Komponenten wider. Bei der Parallelschaltung
funktioniert das gesamte System, wenn wenigstens eine der Komponenten in der Parallelschaltung funktioniert. Dem entspricht die aussagenlogische Verknüpfung der Disjunktion. Bei der Reihenschaltung
funktioniert das gesamte System nur dann, wenn beide Komponenten
in der Reihenschaltung funktionieren. Dem entspricht die aussagenlogische Verknüpfung der Konjunktion.
Auch in der Umgangssprache begegnen wir täglich Aussagen: „Draußen scheint die Sonne.“, „Ich gehe gleich einkaufen.“, „Sie erhalten 3%
Rabatt.“
Im Alltag gehen wir vorwiegend davon aus, dass eine Aussage wahr
ist. Ansonsten handelt es sich um eine Lüge.
(11) Wir begegnen auch in der Sprache vielen Aussagen, die durch
Verknüpfung elementarer Aussagen mit den Worten „und“ beziehungsweise „oder“ entstehen. Dabei unterscheidet sich die Verbindung
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Beispiele
18
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
zweier Aussagen mit „und“ im Sprachgebrauch nicht von unserer mathematischen Definition. So wird zum Beispiel die Gesamtaussage
„Wir gehen heute ins Kino und danach gehen wir ins Restaurant.“ als
richtig empfunden, wenn beide Komponenten zutreffend sind.
Beim „oder“ verhält es sich jedoch anders. Verbinden wir im Alltag
zwei Aussagen mit „oder“, so unterscheiden wir sprachlich oftmals
nicht, ob wir „entweder ... oder“ meinen, oder ob beide Fälle zutreffend
sein können. Sagt jemand: „Im Urlaub werden wir nach Griechenland
oder in die Türkei fliegen.“ , so meint er in der Regel: „Im Urlaub
werden wir entweder nach Griechenland oder in die Türkei fliegen.“
Bei der Aussage: „35% der Schüler haben einen Mathematik- oder
einen Physik-Leistungskurs gewählt.“, schließt das „oder“ nicht aus,
dass Schüler auch beide Leistungskurse gewählt haben.
In der Mathematik muss die Verknüpfung „entweder ... oder“ von der
Disjunktion, dem einfachen „oder“, klar unterschieden werden, denn
es handelt sich tatsächlich um eine andere Aussage.
Wir kennen daher noch das exklusive Oder (XOR), das über die folgende Wertetabelle definiert wird.
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
AYB
f
w
w
f
(12) Da C: (A ∨ B) sowie D: (A ∧ B) aber auch E: (¬ A) Aussagen sind,
können wir diese weiter miteinander oder mit den Elementaraussagen
verknüpfen. Der Wahrheitswert einer komplexer zusammengesetzten
Aussage lässt sich über eine Wahrheitswerttafel angeben. Betrachten
wir zum Beispiel:
F : [A ∧ (¬B)] ∨ [(¬A) ∧ B]
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
¬A
f
f
w
w
¬B
f
w
f
w
A ∧(¬B)
f
w
f
f
(¬A)∧ B
f
f
w
f
F
f
w
w
f
Es fällt auf, dass die Aussage F bei vorgegebenen Belegungen von
A und B immer denselben Wahrheitswert wie das exklusive Oder
annimmt. Eine solche „Gleichheit“ von Aussagen werden wir als
Äquivalenz bezeichnen.
(13) Wir können nun auch Systeme mit verschiedenen parallel oder in
Reihe geschalteten Komponenten durch Verknüpfungen von Aussagen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
19
simulieren. Ordnen wir dem Funktionieren einer Komponente den
Wahrheitswert w zu, so funktioniert das gesamte System genau dann,
wenn die zugeordnete zusammengesetzte Aussage den Wahrheitswert
w annimmt. So wird das nebenstehenden System durch die Aussage
[(K1 ∨ K2 ) ∧ K3 ] ∨ K4 simuliert.
17. Stellen Sie die Wahrheitswerttafel für die folgenden zusammengesetzten Aussagen auf.
a) (A ∧ B) ∨ ((¬A) ∧ (¬B))
c) (A ∧ B) ∨ C
Übungsaufgaben
b) A ∧ (B ∨ (¬A)) ∧ A
d) (A ∨ C) ∧ (B ∨ C)
18. Geben Sie eine Verknüpfung von Aussagen an, die das unten
abgebildete System simuliert.
19. Wir betrachten für ein Würfelexperiment mit zwei Würfeln die
folgenden Aussagen:
A: „Der erste Würfel zeigt eine ungerade Augenzahl“.
B: „Der zweite Würfel zeigt eine gerade Augenzahl“.
Formulieren Sie die folgenden Aussagen als aus A und B zusammengesetzte Aussagen.
C: „Die Summe der Augenzahlen ist eine gerade Zahl“.
D: „Die Differenz der Augenzahlen ist eine ungerade Zahl“.
E: „Das Produkt der Augenzahlen ist eine ungerade Zahl“.
„Wenn Sie heute bei KPM einkaufen, so erhalten Sie alles zum halben
Preis.“ Mit diesem Satz wird eine weitere wichtige Verknüpfung von
Aussagen vorgestellt, die auch im Alltag häufig auftritt. Ähnlich wie
bereits beim „oder“ wird auch beim „wenn“ umgangssprachlich nicht
sauber gegen eine andere Verknüpfung - dem „genau dann, wenn“ abgegrenzt. Schauen wir uns dafür zum Vergleich einen zweiten Satz
an: „Wenn Sie wenigstens 50% der Aufgaben richtig gelöst haben, gilt
Ihre Klausur als bestanden.“
Der Satz: „Wenn Sie heute bei KPM einkaufen, so erhalten Sie alles
zum halben Preis.“ schließt zunächst einmal nicht aus, dass man auch
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Erläuterung
20
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
an einem anderen Tag alles im KPM zum halben Preis erhält.
Demgegenüber schließt der Satz „Wenn Sie wenigstens 50% der Aufgaben richtig gelöst haben, gilt Ihre Klausur als bestanden.“ im Allgemeinen aus, dass Ihre Klausur auch dann als bestanden gilt, wenn Sie
die Voraussetzung nicht erfüllen. Hier könnte man auch sagen: „Ihre
Klausur gilt genau dann als bestanden, wenn Sie wenigstens 50%
der Aufgaben richtig gelöst haben.“ Die Verknüpfungen „wenn“ und
„genau dann, wenn“ müssen in der Aussagenlogik sauber auseinander
gehalten werden. Sie werden durch zwei verschiedene Verknüpfungen
dargestellt.
Subjunktion und
Bijunktion
Die Subjunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A→B zu. Sprechweise: Aus A folgt B.
Dabei heißt A die Prämisse und B die Konklusion.
Die Bijunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A↔B zu. Sprechweise: A genau dann, wenn B.
Die Wahrheitswerte der neuen Aussagen werden über die folgenden Wahrheitswerttafeln definiert.
Subjunktion
A
w
w
f
f
Beispiele
B
w
f
w
f
Bijunktion
A→B
w
f
w
w
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A↔B
w
f
f
w
(14) Die Situation des Kunden am Kaffeeautomaten folgt der Logik
der Subjunktion. Wir betrachten dafür folgende Aussagen:
A: Der Kunde wirft Geld in den Kaffeeautomaten.
B: Der Kunde erhält Kaffee aus dem Kaffeeautomaten.
A→B: Der Kunde ist zufrieden. Es gibt genau einen einzigen Fall, in
dem die letzte Aussage zu einer falschen Aussage wird und der Kunde
unzufrieden ist. Dieser Fall tritt ein, wenn A wahr und B falsch ist.
(15) Mit Hilfe der Bijunktion können wir eine Formulierung dafür
finden, dass zwei zusammengesetzte Aussagen gleichwertig sind.
Wir könne zum Beispiel feststellen, dass die Aussage A→B genau
dann wahr ist, wenn A den Wahrheitswert f besitzt - und damit ¬A
wahr ist - oder B den Wahrheitswert w besitzt. Wenn wir diese beiden
zusammengesetzten Aussagen weiter mit der Bijunktion verbinden, so
erhalten wir eine Gesamtaussage, die für alle möglichen Belegungen
der Elementaraussagen A und B den Wahrheitswert wahr besitzt. Dies
kann über die folgende Wahrheitswerttafel nachgewiesen werden.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
¬A
f
f
w
w
(¬A)∨B
w
f
w
w
21
A→B
w
f
w
w
[(¬A)∨B]↔[A→B]
w
w
w
w
Wir nennen Aussagen, die in der Bijunktion immer zu einer wahren
Aussage führen, auch äquivalente Aussagen.
20. Stellen Sie die Wahrheitswerttafel für die Aussage
C : ¬ (A ↔ B)
auf. Welche bereits eingeführte logische Verknüpfung ist mit C gleichwertig?
21. Stellen Sie für die folgenden Aussagen die Wahrheitswerttafel auf:
a) (¬A) → B
b) (¬B) ∨ A
c) A → (B ∨ C)
d) (A ∧ B) → C
22. Durch jede mögliche Belegung der letzten Spalte in der Wahrheitswerttafel
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
lässt sich eine Verknüpfung zweier Aussagen definieren. Wie viele
Möglichkeiten für solche Verknüpfungen gibt es?
23. Jede der folgenden Wahrheitswerttafeln beschreibt eine Verknüpfung der Aussagen A und B. Können Sie diese aus den Verknüpfungen
∧ , ∨ sowie der Negation zusammensetzen?
a)
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
w
w
w
f
b)
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
f
w
w
f
A
B
A
B
w
w
w
w
w
f
c) w
d)
f
w
w
f
f
f
w
f
f
w
w
f
f
w
f
f
w
——————————————————————————
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Übungsaufgaben
22
Äquivalenz
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
Wir haben bereits mehrfach gesehen, dass verschiedene zusammengesetzte Aussagen zu derselben Wahrheitswerttafel führen. So ist die
Aussage [ A → B] bei jeder möglichen Kombination der Wahrheitswerte von A und B gleichwertig mit der Aussage [(¬ A) ∨ B]. Eine solche
Gleichwertigkeit von Aussagen wird als Äquivalenz bzeichnet.
Zwei zusammengesetzte Aussagen C und D sind genau dann
äquivalent, wenn ihre Wahrheitswerte bei jeder möglichen Belegung der elementaren Aussagen, aus denen sie zusammengesetzt
sind, übereinstimmen.
Schreibweise: C ⇔ D
Eine Bijunktion kann grundsätzlich den Wahrheitswert f annehmen.
Sind zwei Aussagen C und D äquivalent, so gilt, dass die Bijunktion
dieser Aussagen C↔D bei allen möglichen Belegungen der Elementaraussagen, aus denen C und D zusammengesetzt sind, wahr ist. Die
Äquivalenz zweier Aussagen C und D macht damit auf einer höheren
Ebene eine Aussage über die Bijunktion C↔D.
Beispiele
(16) Wir betrachten die zusammengesetzten Aussagen
C: A∨B und D: A∧B
Für die Bijunktion C↔D ergibt sich die Wahrheitswerttafel:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A∨B
w
w
w
f
A∧B
w
f
f
f
[A∨B]↔[A∧B]
w
f
f
w
Die zusammengesetzten Aussagen C und D sind nicht äquivalent.
(17) Betrachten wir nun die zusammengesetzten Aussagen
C: A∨B und D: B∨A
Für die Bijunktion C↔D ergibt sich die Wahrheitswerttafel:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A∨B
w
w
w
f
B∨A
w
w
w
f
[A∨B]↔[B∨A]
w
w
w
w
Die zusammengesetzten Aussagen C und D sind äquivalent.
Aussagen, die immer wahr oder falsch sind, erhalten noch einen Namen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 2 Operationen mit Aussagen
Eine Aussage, die nur den Wahrheitswert w annehmen kann,
nennen wir Tautologie.
Eine Aussage, die nur den Wahrheitswert f annehmen kann, nennen wir Kontradiktion.
(18) Die beiden Klassiker der Kontradiktion und der Tautologie sind
die zusammengesetzten Aussagen:
23
Tautologie und
Kontradiktion
Beispiele
T: A∨(¬A) (Tautologie)
K: A∧(¬A) (Kontradiktion)
(19) Die Äquivalenz zweier Aussagen C und D lässt sich nun auch
wie folgt formulieren:
Wenn die Bijunktion der Aussagen C und D eine Tautologie ist, so
sind C und D äquivalent.
24. Stellen Sie die Wahrheitswerttafeln für folgende zusammengesetzte Aussagen auf. Welche dieser Aussagen sind Tautologien?
a) A∨(¬A)
c) ¬((¬A)∧(¬B))
e) A∧B∨(A∨B)
b) A∧(¬A)
d) ¬((¬A)∨(¬B))
25. Zeigen Sie, dass es sich bei den folgenden Aussagen um Tautologien handelt. Welche Äquivalenzen von Aussagen erhalten Sie
damit?
a) [A→B]↔[(¬B)→(¬A)]
c) [A∧(A→B)]→B
b) [A→(B→C)]↔[(A∧B)→C]
d) [(A→B)∧(¬B)]→(¬A)
26. Ermitteln Sie eine äquivalente Aussage für die Negation der Konjunktion ¬(A∧B), indem Sie die Negationen der Elementaraussagen
(¬A) und (¬B) verknüpfen.
27. Die Sheffersche Funktion C=A|B für zwei Aussagen ist über die
folgende Wahrheitswerttafel definiert:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A|B
f
w
w
w
Wie lässt sich diese Funktion durch das Oder und die Negation ausdrücken?
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Übungsaufgaben
25
Kapitel 3
Regeln und Normalform
alter kap2-Exkurs von Frau Polaczek
Vergleich zwischen Aussagenlogik und der Welt der Zahlen
Um die mathematische Behandlung der Aussagen noch besser zu
verstehen, soll hier ein Vergleich mit den Zahlen vorgenommen werden. Sowohl bei den Aussagen als auch bei den Zahlen haben wir es
grundsätzlich mit folgenden Kategorien zu tun:
• Objekte
• Operationen (Verknüpfungen)
• Relationen
Beginnen wir mit der Gegenüberstellung der Objekte. Die Objekte
sind auf der einen Seite die Zahlen und auf der anderen Seite die
Aussagen. Beide können durch einen Namen gegeben sein. Bei den
Aussagen benutzen wir dafür A, B, C. Bei den Zahlen benutzen wir
dafür meistens x, y, z oder auch a, b, c. Im konkreten Fall können Zahlen und Aussagen Werte annehmen. Hier besteht nun ein wesentlicher
Unterschied zwischen Aussagen und Zahlen. Denn Aussagen können
lediglich zwei Werte annehmen: w oder f. Demgegenüber
können
√
1
Zahlen unendlich viele Werte annehmen. 5 oder 2 , 7 oder π ... .
Stellen wir nun die Operationen gegenüber. Die Basisoperationen bei
den Zahlen sind die Addition und die Multiplikation. Dabei werden
jeweils zwei Zahlen eine neue Zahl zugeordnet. Bei der Addition gilt:
ZAHL1 + ZAHL2 = ZAHL3
Werden die Zahlen mit konkreten Werten belegt, erhalten wir zum
Beispiel:
5 + 6 = 11.
Da es unendlich viele Werte für Zahlen gibt, ist es nicht möglich, die
Addition und die Multiplikation von Zahlen vollständig über eine Tabelle zu erfassen, die der Wahrheitswerttafel entspricht. Einen kleinen
Einführung
26
Kapitel 3 Regeln und Normalform
Ausschnitt aus einer Additionstabelle könnte man sich aber einmal
anschauen:
x
1
1
2
2
y
1
2
1
2
x+y
2
3
3
4
Die Basisoperationen bei den Aussagen sind die Disjunktion und die
Konjunktion. Wir werden später noch sehen, dass durchaus Ähnlichkeiten zur Addition und Multiplikation von Zahlen bestehen.
Für das Rechnen mit Zahlen kennen Sie Rechenregeln, die das Rechnen erheblich vereinfachen. Entsprechende Regeln werden wir später
auch für die aussagenlogischen Verknüpfungen zusammenstellen.
Verbleiben für die Gegenüberstellung von Aussagen und Zahlen noch
die Relationen. Eine der wichtigsten Relationen zwischen Zahlen
ist die Gleichheit. Wir kennen bei Zahlen Gleichungen der Form:
x + y = y + x. Eine solche Gleichung bedeutet: Egal, mit welchen
Werten die Zahlen x und y belegt werden, nehmen die zusammengesetzten Zahlen x + y und y + x denselben Wert an.
Eine der wichtigsten Relationen für zusammengesetzte Aussagen ergibt sich völlig analog. Wir hatten bereits mehrfach gesehen, dass
verschiedene zusammengesetzte Aussagen zu derselben Wahrheitswerttafel führen können. So ist die Aussage [A→B] bei jeder möglichen
Belegung der Wahrheitswerte von A und B gleichwertig mit der Aussage [(¬A)∨B] . Eine solche Gleichwertigkeit von Aussagen wird als
Äquivalenz bezeichnet.
Ende alter ka2-Exkurs von Frau Polaczek
Einführung
Im Prinzip lasse sich alle Untersuchungen über aussagenlogische Verknüpfungen auf den Vergleich von Wahrheitswerttafeln zurückführen.
Praktisch wird dies jedoch schnell sehr mühsam. Hat man es zum Beispiel mit 10 Elementaraussagen zu tun, so sind schon 210 = 1024 Kombinationen von Wahrheitswerten zu berücksichtigen. Bei 100 Elemtaraussagen hätten Sie es mit 2100 = 102410 ≈ (103 )1 0 = 103 0 Kombinationen zu tun. Das ist nicht machbar: Selbst wenn Sie auf jede
Kombination nur 1 Sekunde verwenden, bräuchten Sie etwas 3 · 1023
Jahre für die Bearbeitung per Hand.
Die Kombination von vielen Elementaraussagen („Schalterstellungen“) ist aber − etwa in der Informatik − eine durchaus häufige und
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 3 Regeln und Normalform
27
sehr anwendungsrelevante Situation. Deshalb sind hier Regeln und
Normalformen wichtig.
Wenn zwei Elementaraussagen A und B gegeben sind, können wir
folgende Wahrheitswertetafel ansehen:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A∧B
w
f
f
f
A∧(¬B)
f
w
f
f
(¬A)∧B
f
f
w
f
(¬A) ∧ (¬B)
f
f
f
w
In den letzten 4 Spalten stehen alle Konjunktionen von A, B und ihren
Negationen. Betrachtet man nur die letzten 4 Spalten (und Zeilen),
so steht in jeder Spalte (und Zeile) genau ein „w“. Mit Hilfe der
Disjunktion lassen sich daraus beliebige Verknüpfungen von A und B
beschreiben:
Beispiele
(20) Konkret betrachtet man A→B wie folgt:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A∧B
w
f
f
f
A∧(¬B)
f
w
f
f
(¬A)∧B
f
f
w
f
(¬A) ∧ (¬B)
f
f
f
w
a→B
w
f
w
w
Verbinde für jede Zeile, in der der Eintrag der letzten Spalte „w“ ist,
genau die Konjunktionen, die dort ebenfalls ein „w“ haben, mit der
Disjunktion ∨ („oder“). In unserem Fall ist also:
Begründe die Richtigkeit des beschriebenen
Vorgehens!
(A→B) ⇔ (A∧B) ∨ ((¬A)∨B) ∨ ((¬A) ∨ (¬B))
disjunktive Normalform
Den Ausdruck rechts nennt man eine disjunktive Normalform. Mit
den Regeln kann man die Sache noch weiter vereinfachen: Es ist
((¬A)∨B) ∨ ((¬A) ∨ (¬B)) = ¬A ∧ (B∨(¬B)) = ¬ A
und damit
(A→B) ⇔ (A∧B) ∨ (¬A) .
(21) Ist durch K mit den am Rand angegebenen Wahrheitswerten
eine Verknüpfung von A und B mit den uns bekannten Operationen
gegeben? Mit den Überlegungen von oben können wir dies ohne
Nachdenken bejahen: Es ist K ⇔ (A∧B) ∨ ((¬A)∧(¬B)) .
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
K
w
f
f
w
28
Satz über die
disjunkte
Normalform
Kapitel 3 Regeln und Normalform
Für zwei oder mehr Elementaraussagen lassen sich die Ergebnisse
unserer Vorüberlegungen in folgendem Satz zusammenfassen:
Satz über die disjunkte Normalform
a) Sind Elementaraussagen A1 , A2 , . . . Ar gegeben, so lässt sich
jede aus A1 , A2 , . . . Ar (mit den eingeführten Verknüpfungen)
zusammengesetzte Aussage K als Disjunktion von Ausdrücken
der Gestalt
C1 ∧ C2 ∧ . . . ∧ C r
darstellen, wobei für jedes i entweder Ci = Ai oder Ci =6=Ai
gilt.
b) Diese Darstellung ist eindeutig.
c) Jede Belegung
A1
...
...
...
...
...
...
...
Ar
...
...
...
S
?
?
...
der Wahrheitswerttafel, die in der letzten Spalte mindestens
ein „w“ enthält, lässt sich als Verknüpfung der
Elementaraussagen A1 , A2 , . . . Ar darstellen.
Aufgaben
28. Stellen Sie die Aussage T mit nachfolgender Wahrheitswerttafel
als Verknüpfung von A1 , A2 und A3 dar:
A1
A2
A3
T
w
w
w
f
w
w
f
w
w
f
w
w
w
f
f
f
f
w
w
f
f
w
f
f
f
f
w
w
f
f
f
f
29. Geben Sie eine Wahrheitswertetafel der Aussage U mit
U = ¬A ∧ (B∨¬C) an.
Die McCluskeyMethode
E. J. McCluskey
* 1929
Folgende, nach dem amerikanischen Informatik-Professor Edward
J. McCluskey benannte Methode dient dem anschließenden „Verkürzen“ von disjunkten Normalformen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 3 Regeln und Normalform
29
Die McCluskey-Methode
Sind (C1 , C2 , . . . Cr ) und (D1 , D2 , . . . Dr ) genau an der Stelle k
verschieden, das heißt Ck = ¬Dk und C j =D j für alle j 6= k, so gilt:
(C1 ∧ C2 ∧ . . . ∧ Cr ) ∨ (D1 ∧ D2 ∧ . . . ∧ Dr )
⇔
C1 ∧ . . . ∧ Ck−1 ∧ Ck+1 ∧ . . . ∧ Cr
Man hat also eine Konjunktion von r − 1 Elementen.
(22) (C1 ∧C2 ∧ C3 ∧ C4 ) ∨ (C1 ∧C2 ∧ ¬ C3 ∧ C4 ) ⇔ C1 ∧ C2 ∧ C4
Beispiele
(23) (A∧B∧C) ∨ (A∧B∧(¬C)) ∨ (A∧(¬B) ⇔ (A∧B) ∨ (A∧(¬B)) ⇔ A
Zur Lösung des Massenproblems
Die disjunktive Normalform löst natürlich unser „Massenproblem“ vieler Elementaraussagen nicht automatisch: So wie wir
es angegangen sind, muss ja immer noch jeder Kombination von
Wahrheitswerten betrachtet werden. Da hilft zum einen die rohe
Gewalt von Computern (schnell sind sie ja) und zum anderen systematisches Anwenden von Regeln, etwa um zu überprüfen, ob
zwei zusammengesetzte Aussagen äquivalent sind.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Exkurs
31
Kapitel 4
Mengen: Grundbegriffe,
Prädikatenlogik und Quantoren
Viele Größen in der Realität lassen sich durch eine einzige Zahl beschreiben. Das Guthaben auf Ihrem Konto oder der Spritverbrauch
eines Wagens bei einer Fahrt von 100 km sind Beispiele dafür. Um
demgegenüber die möglichen Ausgänge beim Würfeln mit einem
gewöhnlichen Würfel zu beschreiben, benötigen wir sechs Zahlen.
Wollen wir über ein solches Experiment weitere Aussagen treffen, ist
es hilfreich, diese sechs Zahlen als eine Einheit zu betrachten. Genau
das leistet der Begriff einer Menge, den wir im Folgenden betrachten
werden.
Einführung
Die Tragfähigkeit abstrakter mathematischer Begriffe zeichnet sich
dadurch aus, dass diese Begriffe geeignet sind, um verschiedenste
Problemstellungen zu beschreiben. So eignen sich Zahlen zum Beispiel dazu, einen Kontostand anzugeben. Mit genau denselben Zahlen
können wir aber auch den Spritverbrauch eines Autos angeben. Alles,
was wir einmal über Zahlen und das Rechnen mit Zahlen wissen,
können wir dann in beiden Situationen verwenden. Hier sollen zur
Einführung drei Beispiele benannt werden, bei denen der neue Begriff
einer Menge später Anwendung findet.
Einstieg
(24) Auf einem Schulfest gibt es einen Stand mit vier Würfeln, die die
folgenden Augenzahlen auf ihren sechs Seiten tragen:
Beispiele
Der erste Würfel trägt die Augenzahlen
222666
Der zweite Würfel trägt die Augenzahlen
333377
Der dritte Würfel trägt die Augenzahlen
4 4 44 4 4
Der vierte Würfel trägt die Augenzahlen
555511
Es wird das folgende Spiel angeboten: Sie wählen einen der Würfel
aus. Dann nimmt der Spielleiter einen Würfel und sie würfeln beide
einmal. Wenn Sie die höhere Zahl würfeln, so haben Sie gewonnen.
Gibt es einen Würfel, den Sie bevorzugt nehmen sollten, um Ihre
Spielchancen zu erhöhen?
Anmerkung
Die Würfel wurden von
dem Statistiker Bradley
Efron (geb. 1938; Professor an der Standford
University) erfunden
und werden nach ihm
auch als Efrons Würfel
bezeichnet.
Efrons Würfel
32
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
(25) Ein praktisches Problem werde genau dann gelöst, wenn eine
Größe x einen Wert annimmt, der die folgende Gleichung erfüllt:
√
√
x · x + 1 = 2x + 3 · x
(Gleichung 1)
um die Größe x zu berechnen, teilen wir zunächst beide Seiten der
Gleichung durch x und erhalten die Gleichung:
√
√
x + 1 = 2x + 3.
Danach quadrieren wir beide Seiten der Gleichung. Nun müssen wir
nur noch die Gleichung
x + 1 = 2x + 3
lösen. Das führt zu dem gewünschten Ergebnis:
x = −2.
Wenn wir nun die Probe machen und x = −2 in (Gleichung 1) einsetzten, so stellen wir fest, dass unter den Wurzeln negative Zahlen
erscheinen. Das berechnete Ergebnis ist gar keine Lösung der Gleichung. Tatsächlich wird die erste Gleichung jedoch von x = 0 erfüllt.
Im Verlauf der Rechnung haben wir offensichtlich die richtige Lösung
verloren und eine falsche Lösung hinzugewonnen. Was ist passiert?
Gerade beim Lösen von Gleichungen ist es eine große Hilfe, die möglichen Lösungen einer Gleichung als Menge zu verstehen und zu
untersuchen, was mit diesen Mengen passiert, wenn man die Gleichung umformt.
y
1
1
x
(26) Die ersten beiden Beispiele sind der Wahrscheinlichkeitstheorie
und der Gleichungslehre zuzuordnen. In beiden Teilbereichen der
Mathematik spielt der Begriff der Menge eine zentrale Rolle. Die
Mengenlehre hilft uns zusätzlich auch, bei geometrischen Problemen
Ordnung zu schaffen. Betrachten Sie die nebenstehende Graphik.
Wie lassen sich die Punkte beschreiben, die zu der grau markierten
Dreiecksfläche gehören?
Alle drei vorgestellten Probleme lassen sich elegant lösen, wenn man
sie mit den Mitteln der Mengenlehre beschreibt.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Arbeitsdefinition „Menge“
Eine Menge M ist eine Zusammenfassung von wohlbestimmten
Objekten zu einem Ganzen. Die Objekte nennt man Elemente
der Menge. Wohlbestimmtheit besagt, dass wir für jedes Objekt
x entscheiden können, ob es zur Menge M gehört oder nicht. Im
ersten Fall schreiben wir x ∈ M , im zweiten x ∈
/M.
Die Angabe, welche Elemente zu einer Menge M gehören, kann
auf verschiedene Arten erfolgen:
Besitzt unsere Menge endlich viele Elemente, wie zum Beispiel
die Lösungen der Gleichung x2 = 16, so können wir die Elemente
explizit angeben:
M = {−4, 4}
Sprechweise: M ist die Menge mit den Elementen −4 und 4.
Daneben gibt es die Möglichkeit, eine Menge über eine oder mehrere Aussageformen, die genau für die Elemente der Menge den
Wahrheitswert w annehmen, zu beschreiben:
33
Mengen:
Grundbegriffe und
Schreibweisen
Anmerkung
Der Begriff einer Menge
wurde von G. Cantor
geprägt. Wie im Fall
der Aussagen hat man
auch hier Probleme mit
einer „exakten“ Grundlegung. Eine Vertiefung
des Thementeils soll
hier aber nicht vorgenommen werden.
M = { x ∈ G | A( x )}
Sprechweise: M ist die Menge der Elemente aus G, die die Aussageform A( x ) erfüllen. In dieser Menge befinden sich nur Elemente einer Grundmenge G, für die die Aussageform A( x ) wahr
wird. Ist die Grundmenge, aus der die Elemente gewählt werden,
aus dem Zusammenhang klar, so finden wir noch die Schreibweise:
M = { x | x2 = 16}
Sprechweise: M ist die Menge der x, die die Gleichung x2 = 16
lösen.
Wir sollten auch davon sprechen können, dass ein Objekt x nicht
Element einer Menge M ist. Wir schreiben dann: x ∈
/ M.
(27) In der Wahrscheinlichkeitstheorie können die möglichen Ausgänge eines Zufallsexperiments als Menge zusammengefasst werden.
Diese Menge wird als Ergebnismenge bezeichnet. Dem Würfeln mit
einem gewöhnlichen Würfel wird die Ergebnismenge
Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}
zugeordnet.
(28) Für eine Gleichung, die mehrere Lösungen besitzt, können diese
Lösungen durch eine Lösungsmenge beschrieben werden. So wird die
Gleichung
x2 = 16
genau dann gelöst, wenn gilt:
x ∈ {−4, 4}
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Georg Cantor
Begründer der
Mengenlehre
1845-1918
Beispiele
34
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
(29) In der Geometrie können geometrische Objekte als Punktmengen
gefasst werden. So können wir den Kreis mit Radius r = 1 und
Mittelpunkt im Ursprung nun exakt beschreiben durch die Menge
aller Punkte, die die zugehörige Kreisgleichung erfüllen:
E = {( x |y) | x2 + y2 = 1}
Zahlbereiche
(30) Zu den wichtigsten Beispielen in der Mathematik gehören die
Zahlbereiche:
N = {1, 2, 3, . . .} ist die Menge der natürlichen Zahlen.
N0 = {0, 1, 2, 3, . . .} ist die Menge, die neben den natürlichen Zahlen
zusätzlich die Null enthält.
Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} ist die Menge der ganzen Zahlen.
p
Q=
| p, q ∈ Z, q 6= 0 ist die Menge der rationalen Zahlen.
q
R ist die Menge der reellen Zahlen. Ihre genaue Beschreibung kann
erst mit dem Grenzwertbegriff erfolgen.
(31) Eine Menge, die kein Element enthält, nennen wir die leere Menge.
leere Menge
Übungsaufgaben
Schreibweise: { } oder ∅.
30. Übertragen Sie die folgenden Mengen in eine aufzählende Form.
Beispiel: M = { x | x2 = 9} lässt sich auch schreiben als: M = {−3, 3}.
M1 = { x |
1
x
= 5 ∨ x = −3}
M2 = {( x |y) ∈ R2 | x + y = 0 ∧ x − y = 3}
n
o
1
M3 = x | x−1 = 0
√
M4 = {z ∈ R | z = 121}
M5 = {y ∈ R | y = (−1)n , n ∈ N}
31. Geben Sie die folgenden Mengen mit einer beliebigen Mengenschreibweise an:
a) Alle natürlichen Zahlen, die sich ohne Rest durch 6 teilen lassen.
b) Alle natürlichen Zahlen, deren letzte Ziffer eine Null ist.
c) Alle geraden ganzen Zahlen.
d) Alle ungeraden ganzen Zahlen.
e) Alle reellen Zahlen, die zwischen −2 und 5 liegen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
32. Geben Sie die Punkte, die zu der nebenstehend abgebildeten Dreiecksfläche gehören, als Menge an.
35
y
1
33. Bei einem gewöhnlichen Würfel ist für die Beschreibung des Würfelexperimentes die Menge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} geeignet. Geben Sie entsprechende geeignete Mengen an, um die Ausgänge des Würfelexperiments mit Efrons Würfeln zu beschreiben.
Der erste Würfel trägt die Augenzahlen
222666
Der zweite Würfel trägt die Augenzahlen
333377
Der dritte Würfel trägt die Augenzahlen
444444
Der vierte Würfel trägt die Augenzahlen
555511
Bisher wurden nur der Begriff einer Menge und Bezeichnungsweisen
für Mengen vorgestellt. Um bei Problemen zu tragfähigen Ergebnissen
zu kommen, benötigen wir Eigenschaften von Mengen und Beziehungen zwischen Mengen. So wie wir bei Zahlen eine Gleichheit
oder Ungleichheit feststellen, wird dies auch für Mengen beschrieben.
Sind zwei Zahlen voneinander verschieden, so haben wir noch eine
Anordnung von Zahlen. Eine der Zahlen ist dann größer als die andere. Sicher fallen Ihnen zahlreiche Beispiele ein, bei denen bereits
die Anordnung von Zahlen hilft, kleinere Probleme zu lösen. Ob man
mit einem Sparguthaben eine gewünschte Anschaffung tätigen kann,
hängt zum Beispiel davon ab, ob der Betrag des Sparvermögens größer
oder kleiner als der Preis des Produktes ist. Die folgenden Begriffsbildungen haben Ähnlichkeit mit der Anordnung von Zahlen und
werden uns auch in die Lage versetzen, die ersten Anwendungen für
Mengen zu verstehen.
Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn jedes Element von A auch Element von B ist und umgekehrt.
1
x
Erläuterung
Gleichheit von
Mengen
A = B : ⇔ ∀ x : [ x ∈ A ↔ x ∈ B]
(32) Bei Mengen ist es egal, in welcher Reihenfolge die Elemente
aufgezählt werden, so gilt:
{ f , r, u, c, h, t, b, a, r } = { f , u, r, c, h, t, b, a, r }
(33) Bei Mengen kommt es nicht darauf an, wie oft ein Element aufgezählt wird. Es gilt zum Beispiel:
{1, 2, 1} = {1, 2}
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Beispiele
36
(Echte) Teilmengen
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Eine Menge T heißt Teilmenge von M, wenn jedes Element von T
auch Element von M ist
T ⊆ M : ⇔ ∀ x : [ x ∈ T → x ∈ M]
Eine Menge T heißt echte Teilmenge von M, wenn T Teilmenge von M ist und M wenigstens ein Element enthält, das kein
Element von T ist.
T ⊂ M : ⇔ [ T 6= M ∧ T ⊆ M]
Beispiele
(34) Punktmengen sind eine wichtige Anwendung der Mengenlehre
in der Geometrie. Mit Hilfe von Punktmengen lassen sich die Beziehungen zwischen Mengen auch besonders gut veranschaulichen. So
erhält man für die Teilmengenbeziehung T ⊂ M das nebenstehende
Bild.
(35) Eines der wichtigsten Beispiele sind die Intervalle als Teilmengen
der reellen Zahlen.
[ a, b] := { x | a 6 x 6 b} abgeschlossenes Intervall
( a, b) := { x | a < x < b} offenes Intervall
( a, b] := { x | a < x 6 b} halboffenes Intervall
[ a, b) := { x | a 6 x < b} halboffenes Intervall
Mächtigkeit einer
Menge
Beispiele
Bei einer endlichen Menge M bezeichnen wir mit | M| die Anzahl
der Elemente in dieser Menge. | M| ist eine natürliche Zahl oder
Null. Wir sprechen auch von der Mächtigkeit der Menge M.
(36) |{0, 1}| = 2
(37) |{ I, N, T, E, R, N, E, T }| = 5
Bemerkung: Sie erinnern sich daran, dass es nicht darauf ankommt,
wie oft die Elemente aufgezählt werden.
(38) Für endliche Mengen gilt offensichtlich:
T ⊆ M → |T | 6 | M|
T ⊂ M → |T | < | M|
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Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
34. Welche Mengen sind gleich, welche nicht? Geben Sie alle vorhandenen Teilmengenbeziehungen an.
M1 = {2, 3, 4} M2 = {4, 3, 2}
M4 = {n ∈ N | n 6 4}
37
Übungsaufgaben
M3 = {n ∈ N | n < 4}
35. Geben Sie alle möglichen verschiedenen Teilmengen der Menge
M = {1, 2, 3} an.
36. Gegeben sei die Menge M = {S, I, A, M}. Ermitteln Sie
S = { T | T ⊆ M ∧ | T | = 2} sowie |S|.
37. Wie viele verschiedene Teilmengen besitzt eine Menge M mit n
Elementen?
Bemerkung: Die Menge der Teilmengen von M heißt Potenzmenge
von M.
38. Die Anzahl der Möglichkeiten, aus einer Menge M mit n Elementen k verschiedene Elemente auszuwählen, spielt in vielen Zusammenhängen eine Rolle. Dies ist genau die Anzahl der Teilmengen von M
mit k Elementen. Man nennt diese Zahlen auch Binomialkoeffizienten
und schreibt dafür (nk). Gelesen wird (nk) als “n über k”.
Probleme und
Anwendungen
Potenzmenge
Binomialkoeffizient
Pascalsches Dreieck
Überlegen Sie sich, warum gilt:
n
n−1
n−1
=
+
k
k
k−1
Erläutern Sie, wie sich die Binomialkoeffizienten über das „Pascalsche
Dreieck“ berechnen lassen.
Blaise Pascal
1623-1662
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
38
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Exkurs
Mengen zur Beschreibung von Zufallsexperimenten
In der Wahrscheinlichkeitsrechnung basiert der Begriff der
Laplace-Wahrscheinlichkeit auf der Mächtigkeit endlicher Mengen.
.
Pierre-Simon
Laplace
1749-1827
Laplace-Experimente
und LaplaceWahrscheinlichkeit
Wir betrachten ein Zufallsexperiment, das endlich viele unterscheidbare Ausgänge besitzen kann. Ein Beispiel dafür ist das
Würfeln mit einem gewöhnlichen Würfel. Das Würfeln hat offensichtlich mit den Zahlen von 1 bis 6 zu tun, die wir zu der
Ergebnismenge zusammenfassen können
Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}
Jeder von Ihnen weiß sicherlich bereits, dass man den Kehrwert
der Mächtigkeit dieser Menge - |Ω1 | - “die Wahrscheinlichkeit für
das Würfeln der Zahl i” nennt, wenn i eine Zahl von 1 bis 6 ist.
Es soll nun noch etwas genauer darauf eingegangen werden, wie
die bisher eingeführten Begriffe für Mengen uns helfen können,
die Situation eines Zufallsexperimentes zu beschreiben. Dafür sollten wir uns zunächst nochmals anschauen, was der Übergang von
der praktischen Tätigkeit des Würfelns zu den Zahlen von 1 bis 6
bedeutet. Wir bilden ein mathematisches Modell der Wirklichkeit.
In diesem Modell führen wir Rechnungen durch. Die Ergebnisse der Rechnungen werden verwendet, um Voraussagen für den
Ausgang von Experimenten in der Wirklichkeit zu formulieren.
Ursache
Experiment
Wirkung
Modell
Rechnung
Voraussage
Für diesen Prozess ist es natürlich eminent wichtig, dass wir eine saubere Zuordnung zwischen Vorgängen in der Wirklichkeit
und den mathematischen Objekten vornehmen. Ein sinnvolles mathematisches Objekt, das mit dem Würfeln zu tun hat, ist nach
obigen Überlegungen die Ergebnismenge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
39
Es liegt zunächst nahe, dem Ausgang des Experiments: “es wird
eine 4 gewürfelt” die Zahl 4 zuzuordnen. Das führt aber zu Konflikten. Denn wir möchten auch für den Ausgang des Experiments: “es wird eine gerade Zahl gewürfelt” eine Entsprechung
im Modell finden. Und diese Entsprechung ist eine Teilmenge von
Ω : A = {2, 4, 6}. Eine Teilmenge einer Menge wie A = {2, 4, 6}
ist leider grundverschieden von einem Element einer Menge wie
die 4. Gleiches in der Wirklichkeit (Ausgang eines Experiments)
sollte auch Gleiches im Modell zugeordnet sein. Insbesondere,
wenn wir damit später rechnen wollen. Die Lösung des Problems
liegt auf der Hand. Dem Ausgang des Experiments: “es wird eine
4 gewürfelt” wird nicht ein Element der Menge Ω - die 4 - zugeordnet, sondern ebenfalls eine Teilmenge, nämlich {4}. Mengen,
die genau ein Element der Ergebnismenge beinhalten, nennen wir
dann Elementarereignis.
Bei einem Laplace-Experiment wie dem Würfeln liegt eine endliche Ergebnismenge vor und es wird davon ausgegangen, dass
jedes Elementarereignis gleich wahrscheinlich ist. Dabei ist ein
Elementarereignis eine Teilmenge der Ergebnismenge mit einem
Element.
Die Wahrscheinlichkeit für Ereignisse aus A kann bei einem Laplace-Experiment über die Mächtigkeit von Mengen wie folgt
angegeben werden:
| A|
.
P( A) =
|Ω|
Wir betrachten einen von Efrons Würfeln, der die Augenzahlen 3 3 3 3 7 7
trägt. Geben Sie eine Ergebnismenge Ω an, so dass das Würfeln mit
diesem Würfel als Laplace-Experiment betrachtet werden kann.
Unter Verwendung des Mengenbegriffs kommen wir nun noch einmal
auf die Logik zurück.
Probleme und
Anwendungen
Quantoren in der
Aussagenlogik
Arbeitsdefinition „Aussageform“
Eine Zeichenfolge A( x1 , x2 , . . . xn ), die variable Größen
x1 , x2 , . . . xn (aus Mengen M 1 , M 2 , . . . M n ) enthält und durch Belegung dieser Variablen in eine Aussage überführt wird, nennen
wir Aussageform.
(39) 2x + 3 = 5 ist eine Aussageform, welche zum Beispiel durch
Belegung der Variablen x ∈ Z in eine Aussage überführt wird (und
zwar durch x = 1 in eine wahre, sonst in eine falsche).
(40) x1 6 x2 ist eine Aussageform, welche z.B. durch Belegung der
Variablen x1 ∈ N, x2 ∈ N in eine Aussage überführt wird.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Beispiele
40
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
(41) „ war einmal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.“
ist eine Aussageform, welche für die Belegung der Variable mit
einem Namen aus dem Aachener Telefonbuch in eine (in der Regel
falsche) Aussage überführt wird.
Wichtige Quantoren
Bei der Formulierung mathematischer Aussagen kommen bestimmte
Textbausteine besonders häufig vor. Die Mathematiker haben für diese
Textbausteine abkürzende Zeichen eingeführt.
Allquantor und Existenzquantor
Seien A( x ) eine Aussageform und M eine Menge. Dann sind
∀ x ∈ M : A( x )
und
∃ x ∈ M : A( x )
Aussagen, die bedeuten:
„Für alle x ∈ M
ist A( x ) wahr.“
bzw.
„Es existiert ein x ∈ M,
für das A( x ) wahr ist.“
∀ nennt man Allquantor, ∃ nennt man Existenzquantor.
Beispiele
(42) ∀ x ∈ N : 2x + 3 = 4 ist eine (falsche) Aussage.
(43) ∀ x ∈ N : 1 6 x ist eine (wahre) Aussage.
(44) ∃ x ∈ Q : 2x + 3 = 4 ist eine (wahre) Aussage.
(45) ∃ x ∈ N : 1 > x ist eine (falsche) Aussage.
Negation
Wie weiter vorn bereits erwähnt, kann man auch Aussagen mit Quantoren und Aussageformen negieren. Die negierten Aussagen kann man
dann meist auch kürzer schreiben. Genauer gilt:
Negation von Aussagen mit Quantoren
¬ (∀ x ∈ M : A( x )) ⇔ ∃ x ∈ M : ¬ A( x )
¬ (∃ x ∈ M : A( x )) ⇔ ∀ x ∈ M : ¬ A( x )
Beispiele
(46) ¬ (∀ x ∈ N : 2x + 3 = 4) ⇔ ∃ x ∈ N : 2x + 3 6= 5
(47) ¬ (∃ x ∈ N : 1 6 x ) ⇔ ∀ x ∈ N : 1 > x
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Aussageformen mit mehreren Variablen
Allgemeiner lassen sich auch aus Aussageformen mit mehreren
Variablen x1 , x2 , . . . xn mit Belegungen xi ∈ M i und Quantoren
Aussagen erhalten.
Beispiel allgemein: ∀ x1 ∈ M 1 ∃ x2 ∈ M 2 : A( x1 , x2 )
Beispiel konkret: ∀ x1 ∈ N ∃ x2 ∈ Z : x1 > x2
Merken sollte man sich dabei nur, dass es auf die Reihenfolge
ankommt!
Beispiel: ∃ x2 ∈ Z ∀ x1 ∈ N : x1 > x2 ist keineswegs äquivalent
zur vorigen Aussage.
Oder in Worten: „Für alle Männer gilt: Es gibt eine Frau, für die
’Sie ist seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“ Ist keineswegs das
gleiche wie „Es gibt eine Frau, so dass für alle Männer ’Sie ist
seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“
Die Negation erhält man durch Ersetzen von ∀ durch ∃, Ersetzen von ∃ durch ∀ und Negieren der Aussageform. Beispiel:
¬ (∀ x1 ∈ N ∃ x2 ∈ Z : x1 > x2 ) ⇔ ∃ x1 ∈ N ∀ x2 ∈ Z : x1 6 x2
Oder in Worten: „Es gilt nicht, dass für alle Männer gilt: Es gibt
eine Frau, für die ’Sie ist seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“
ist gleichbedeutend mit „Es existiert ein Mann, so dass für alle
Frauen ’Sie ist nicht seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“
Vorläufig wollen wir hier aber noch nicht tiefer einsteigen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
41
Exkurs
42
Wissensspeicher
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Eine Menge M ist eine Gesamtheit von Objekten x, bei denen wir
entscheiden können, ob x zu M gehört.
Menge
Schreibweisen für
Mengen
x ist Element von M
x ist kein Element von M
x∈M
x∈
/M
Die Angabe, welche Elemente zu einer Menge M gehören, kann auf
verschiedene Arten erfolgen:
Aufzählende Schreibweise Angabe der Eigenschaften der
Elemente
M = {−4, 4}
M = { x | x2 = 16}
M = { x ∈ G | A( x )}
Leere Menge
Gleichheit von
Mengen
Eine Menge, die kein Element enthält, nennen wir die leere Menge.
Schreibweise: { } oder ∅.
Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn jedes Element von A auch Element von B ist und umgekehrt.
A = B : ⇔ ∀ x : [ x ∈ A ↔ x ∈ B]
Teilmengen
Eine Menge T heißt Teilmenge von M, wenn jedes Element von T
auch Element von M ist.
T ⊆ M : ⇔ ∀ x : [ x ∈ T → x ∈ M]
Eine Menge T heißt echte Teilmenge von M, wenn T Teilmenge von M ist und M wenigstens ein Element enthält, das kein
Element von T ist.
T ⊂ M : ⇔ [ T 6= M ∧ T ⊆ M]
Potenzmengen
Für eine vorgegebene Menge M können wir die Menge aller Teilmengen von M bilden. Dies ist die Potenzmenge von M.
P := { T | T ⊆ M}
Mächtigkeit einer
Menge
Bei einer endlichen Menge M bezeichnen wir mit | M| die Anzahl
der Elemente in dieser Menge.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren
Kurzkontrolle
1. Setzen Sie an die Stelle von ∆ das richtige Symbol ein.
(∈, ∈
/, ⊆, ⊂, =)
a) 3∆R
b) [4, 14]∆R
c) π∆N
d) { x | −2 6 x 6 2}∆[−2, 2]
2. Geben Sie vorhandene Teilmengenbeziehungen oder Identitäten
der Mengen M1 und M2 an.
a)
M1 = { x | −2 6 x 6 2}
M2 = (−2, 2)
b)
M1 = (−2, 2)
M2 = [−2, 2]
c)
M1 = [−2, 2]
M2 = {−2, 2}
3. Geben Sie eine Mengenschreibweise für die skizzierten Mengen
an:
a)
−2
−1
0
1
2
−2
−1
0
1
2
−2
−1
0
1
2
b)
c)
4. M sei die Menge aller Teilmengen von U.
a) Welchen Wert besitzt | M |, wenn |U | = 20.
b) Welchen Wert besitzt |U |, wenn | M | = 64.
5. Beurteilen Sie folgende Aussagen:
a) Jede Menge besitzt ein Element.
b) Die Potenzmenge einer Menge besitzt immer mehr Elemente
als die Menge selber.
c) M sei eine Menge mit endlich vielen Elementen. T sei eine
Teilmenge von M. Dann ist die Mächtigkeit von T kleiner
als die Mächtigkeit von M.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
43
45
Kapitel 5
Mengenlehre: Regeln
Bei den Zahlen kennen wir die beiden Grundrechenarten Addition
und Multiplikation. Wir hatten bereits gesehen, dass für Aussagen
die Disjunktion und die Konjunktion sehr ähnliche Eigenschaften
besitzen. Nun werden wir auch für Mengen zwei Verknüpfungen
beschreiben, bei denen aus zwei alten Mengen jeweils eine neue Menge
gebildet wird. Die Nützlichkeit dieser Operationen soll am Beispiel
der Flächenberechnung motiviert und erläutert werden.
Einführung:
Verknüpfung von
Mengen
Zur Berechnung von Flächeninhalten ist es oftmals eine zielführende
Strategie, die vorgegebene Fläche in Teilflächen zu zerlegen und den
gesuchten Flächeninhalt als Summe von bekannten Flächeninhalten
zu berechnen. Dies soll am folgenden Beispiel nochmals veranschaulicht werden. Zur Berechnung des eingezeichneten Flächeninhaltes F
zerlegen wir die Fläche in zwei Quadrate.
Einstieg
4 cm
F = F1 + F2 = 16 cm2 = 20 cm2
Für zwei Mengen A und B ist die Vereinigungsmenge A ∪ B diejenige Menge, die alle Elemente aus A und alle Elemente aus B
aber sonst keine weiteren Elemente enthält:
A ∪ B := { x | x ∈ A ∨ x ∈ B}
Sprechweise: A vereinigt B.
4 cm
4 cm
2 cm
F1
F2
2 cm
Die Fläche F kann als Punktmenge beschreiben werden. Da die Fläche
F genau diejenigen Punkte enthält, die entweder in F1 oder in F2 enthalten sind, liegt es nahe, eine entsprechende Menge zu definieren.
2 cm
F
2 cm
Nun können wir den Flächeninhalt der Gesamtfläche F als Summe
der Flächeninhalte von F1 und F2 berechnen.
4 cm
Vereinigungsmenge
46
Erläuterung
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
Gilt denn nun immer, dass sich der Flächeninhalt bei der Vereinigungsmenge als Summe der Flächeninhalte der Ausgangsflächen berechnen
lässt? Das folgende Beispiel zeigt, dass dies nicht immer so ist. Die
Fläche F im Bild links ergibt sich als Vereinigungsmenge der folgenden
beiden Flächen F1 und F2 .
Die beiden Flächen überschneiden sich aber in der Mitte des Achsenkreuzes:
Der mit F1 ∩ F2 bezeichnete Flächeninhalt wird doppelt gezählt, wenn
wir die Flächen F1 und F2 addieren. Wir brauchen aber nur den Flächeninhalt der Fläche, die doppelt gezählt wird von der Summe abzuziehen, dann erhalten wir den korrekten Wert. Zunächst einmal geben
wir dieser Punktmenge, die zu beiden Mengen gehört, einen Namen:
Schnittmenge
Für zwei Mengen A und B wird die Schnittmenge A ∩ B wie folgt
gebildet: Die Schnittmenge enthält genau diejenigen Elemente,
die sowohl Element der Menge A als auch Element der Menge B
sind.
A ∩ B := { x | x ∈ A ∧ x ∈ B}
Sprechweise: A geschnitten B.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
47
Ein weiteres Beispiel soll uns zeigen, dass das Entfernen einer Menge
aus einer anderen Menge ebenfalls ein schlagkräftiges Mittel sein kann,
um Flächeninhalte zu berechnen. Uns interessiert der Flächeninhalt
F eines Kreisringes, wie er im nebenstehenden Bild dargestellt ist.
Da sich die Punktmenge des Kreisringes ergibt, wenn wir von der
Kreisfläche des äußeren Kreises mit Radius R die Kreisfläche des
inneren Kreis mit Radius r ausschneiden, können wir die Differenz
der Flächeninhalte eines Kreises mit Radius R und eines Kreises mit
Radius r als Flächeninhalt des abgebildeten Kreisringes ermitteln.
Erläuterung
F = π · R2 − π · r 2
Dies gibt Anlass, Mengen einen Namen zu geben, die dadurch entstehen, dass man von einer Menge Ω die Elemente einer anderen Menge
A entfernt.
Die Differenz zweier Mengen Ω und A ist die Menge Ω, ausgenommen die Elemente, die in A vorkommen.
Differenz und
Komplement von
Mengen
Ω \ A := { x ∈ Ω | x ∈
/ A}
Sprechweise: Ω ohne A Gilt A ⊆ Ω, so bezeichnet man Ω \ A
auch als Komplement von A in Ω. Ist klar, welche Bezugsmenge
Ω zugrunde liegt, so schreibt man auch:
A := Ω \ A
39. Ermitteln Sie den Flächeninhalt der folgenden Figuren, indem Sie
die Figuren geeignet zerlegen:
a
b
c
a = 4 cm b = 1 cm
c = 4 cm d = 2 cm
e = 3 cm
a = 2 cm b = 3 cm
c = 3 cm d = 2 cm
a = 3 cm b = 4 cm
c = 5 cm
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Übungsaufgaben
48
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
40. Gegeben seien die beiden Mengen von Buchstaben:
M1 = { P, I, R, A, T, E, N }
M2 = { M, A, G, I, E, R}
M3 = { G, E, N, I, A, L}
a) Zeigen Sie, dass gilt: ( M1 ∩ M2 ) ∪ M3 6= M1 ∩ ( M2 ∪ M3 )
b) Berechnen Sie:
M4 = M1 ∪ ( M2 ∩ M3 )
M5 = ( M1 \ M2 ) \ M3
M6 = M1 \ ( M2 \ M3 )
c) Lässt sich die Menge M7 = { L, A, M, P, E} aus den vorgegebenen
Mengen produzieren?
41. Zeichnen Sie für die nebenstehend abgebildeten Mengen A und B
die Mengen A ∪ B, A ∩ B sowie A \ B ein.
42. a) Es gelte A ⊆ B. Berechnen Sie A ∪ B.
b) Es gelte A ∩ B = B. Berechnen Sie A ∪ B.
43. Was kann man über zwei Mengen A und B sagen, wenn gilt:
a) A ∪ B = B
b) A ∪ B = ∅
Probleme und
Anwendungen
44. Wie beurteilen Sie die folgende Statistik des Oberstufenkoordinators nach der Kurswahl der Schüler einer Oberstufe?
64 % der Schüler haben keinen Physik-Leistungskurs gewählt.
53 % der Schüler haben keinen Chemie-Leistungskurs gewählt.
14 % der Schüler haben weder einen Physik-Leistungskurs noch einen
Chemie-Leistungskurs gewählt.
45. Wie sieht die Schnittmenge zweier sich durchdringender Vollzylinder aus, wenn sich die Symmetrieachsen wie im nebenstehenden
Bild senkrecht schneiden?
Kartesisches
Produkt
Für zwei Mengen A und B wird das kartesische Produkt A × B
wie folgt gebildet:
A × B := {( a|b) | a ∈ A ∧ b ∈ B}
Sprechweise: A kreuz B.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
(48) Ein wichtiges Beispiel ist die Zahlenebene. Diese Menge geht aus
den reellen Zahlen hervor, indem wir Tupel bilden, bei denen jedes
Element der reellen Zahlen mit jedem kombiniert wird.
49
Beispiele
R2 = R × R = {( x |y) | x ∈ R und y ∈ R}
(49) Ein weiteres Beispiel finden wir in der Wahrscheinlichkeitstheorie.
Ist M die Menge, die die möglichen Ausgänge des Würfelns mit einem
Würfel beschreibt:
M = {1, 2, 3, 4, 5, 6},
so können wir die möglichen Ergebnisse beim Würfeln mit zwei Würfeln durch M2 angeben.
M2 = {( a|b) | a ∈ M und b ∈ M}
Für ein Ereignis der Form A × B ⊆ M2 , mit A ⊆ M und B ⊆ M
können wir nun die Wahrscheinlichkeit berechnen zu:
P( A × B) = P( A) · P( B)
(50) Als drittes Beispiel soll der allgemeine Zylinder aus der Geometrie
benannt werden. Wir wählen ein zusammenhängendes Grundgebiet G
im R2 als Grundfläche aus. Dazu nehmen wir als Höhe das Intervall
I = [0, h]. Das Kartesische Produkt G × I liefert dann die Punktmenge,
die den Zylinder beschreibt. Handelt es sich bei dem Grundgebiet G
um eine Kreisfläche, so sprechen wir auch vom Kreiszylinder. Für das
Volumens eines Zylinders gilt völlig analog zur Wahrscheinlichkeitsrechnung:
V = M(G × I ) = M(G) · M( I )
Dabei ist M ( G ) der Flächeninhalt der Grundfläche und M( I ) die
Länge der Höhe.
46. Gegeben seien die Mengen M = { A, B} und N = {Y, Z }. Ermitteln Sie M × N und N × M. Sind die beiden Mengen gleich?
47. A und B seien endliche Mengen. Was können Sie über | A × B|
sagen?
48. Wenn | A × B| eine Primzahl ist, was können Sie dann über die
Mächtigkeit der Mengen A und B aussagen?
49. Welche Flächen lassen sich durch das Kreuzprodukt zweier Intervalle bilden?
50. Es sei D das Dreieck mit den Eckpunkten A = (0, 0), B = (1, 0)
und C = (0, 1) und I das Intervall I = [0, 2]. Welcher Körper ergibt
sich durch die Menge P = D × I und welches Volumen besitzt dieser
Körper?
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Aufgaben
50
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
51. Stellen Sie den Würfel mit Kantenlänge 1 als Kreuzprodukt zweier
Mengen dar.
52. Die Menge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} ist eine geeignete Ergebnismenge, um das Würfeln mit einem Würfel darzustellen. Nutzen Sie die
Teilmengen A = {1, 3, 5} und B = {2, 4, 6} um folgendes Ereignis als
Menge darzustellen: Beim Würfeln mit zwei Würfeln ist die Augensumme eine gerade Zahl.
Exkurs
Anwendung aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung
Nicht alle Zufallsexperimente, bei denen sich die möglichen Ausgänge durch eine endliche Menge von Zahlen beschreiben lassen,
sind automatisch ein Laplace-Experiment. Das populärste Beispiel hierfür ist sicherlich die Augensumme zweier Würfel. Die
Ergebnismenge kann beschrieben werden durch
Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12}
Die Elementarereignisse sind aber nicht mehr gleich wahrscheinlich. Bei solchen Zufallsexperimenten entfällt jede Handhabe, die
Wahrscheinlichkeit für Ereignisse einfach aus der Mächtigkeit
der Menge zu errechnen. Hier helfen die Begriffe der Schnittund Vereinigungsmenge sowie der Differenz und das kartesische
Produkt von Mengen weiter, denn dadurch können wir aus Elementarereignissen andere Ereignisse zusammensetzen.
Zunächst aber sollten wir noch einen Blick darauf werfen, dass
die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis etwas Ähnliches ist wie
Gewicht oder Länge. Gewicht und Länge sind Eigenschaften von
Objekten, die wir mit einem Messgerät messen können.
Wir hatten bereits geklärt, dass der Ausgang eines Zufallsexperiments durch eine Teilmenge A des Ergebnisraums beschrieben wird. Wir können uns nun vorstellen, dass wir A auf die
Wahrscheinlichkeitswaage legen. Diese Waage zeigt P( A) an - die
Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen des Ereignisses A. Eine solche Wägung sollte intuitiv einige Bedingungen erfüllen. Zunächst
sollte nie ein negatives Ergebnis herauskommen. Nun nehmen
wir zwei Mengen A und B, die kein gemeinsames Element besitzen. Diese beiden Mengen legen wir erst einzeln auf die Waage.
Wenn wir sie anschließend zusammen auf die Waage legen, so
sollte als gemeinsames Gewicht die Summe der Einzelgewichte
herauskommen. Schließlich ist in der Wahrscheinlichkeitsrechnung noch unser Maximalgewicht 1. Legen wir also die gesamte
Ergebnismenge auf die Waage, so muss ihr Gewicht 1 betragen.
Übertragen in unser mathematisches Kalkül bedeutet das:
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
51
1. A ⊆ Ω → P( A) > 0
2. [ A, B ⊆ Ω ∧ A ∩ B = { }] → P( A ∪ B) = P( A) + P( B)
3. P(Ω) = 1
Damit wissen wir nun, was wir tun, wenn wir die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis berechnen, dessen mögliche Ausgänge
eine endliche Menge bilden.
Im ersten Schritt bilden wir ein mathematisches Modell, das uns
glaubhaft erscheint. Dieses Modell besteht aus dem Ereignisraum
und den Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse. Die Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse können wir nicht ganz
willkürlich festsetzen. Die obigen drei Bedingungen liefern zwei
Rahmenbedingungen für diese Wahrscheinlichkeiten der Elementarereignisse. Die erste Bedingung verlangt sinnvoller weise, dass
dieser Wert nie negativ sein darf. Die dritte Bedingung besagt,
dass die Summe aller Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse 1 sein muss.
Wenn wir glaubhaft ein solches Modell aufgestellt haben, können
wir dann mit der zweiten Bedingung, die ein Maß intuitiv erfüllen sollte, Wahrscheinlichkeiten für weitere Ereignisse berechnen.
Wie gut Voraussagen unseres Modells für die Wirklichkeit werden, hängt von uns ab. Es steht und fällt damit, ob unser Modell
zur Beschreibung der Wirklichkeit geeignet ist. Die eine Fehlerquelle liegt in der Auswahl der Elementarereignisse. Des weiteren
können wir den Fehler machen, dass wir die Wahrscheinlichkeiten
für die Elementarereignisse falsch eingeschätzt haben.
Wir sind nun in der Lage das Rätsel der Efronschen Würfel zu behandeln. Für die ersten beiden Würfel wird die Rechnung vorgestellt.
Danach können Sie ausrechnen, welcher Würfel gegen welchen gewinnt.
Der erste Würfel trägt die Augenzahlen
222666
Der zweite Würfel trägt die Augenzahlen
333377
Die Ergebnismenge für den ersten Würfel lautet: Ω1 = {2, 6}
Die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten sind: P1 (2) = 1/2 und
P1 (6) = 1/2
Die Ergebnismenge für den zweiten Würfel lautet: Ω2 = {3, 7}
Die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten sind: P2 (3) = 2/3 und
P2 (7) = 1/3
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Probleme und
Anwendungen
52
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
Für das Würfeln mit beiden Würfeln erhalten wir die Ergebnismenge
Ω = Ω1 × Ω2 mit den Wahrscheinlichkeiten P(i | j) = P1 (i ) · P2 ( j).
Der erste Würfel gewinnt nur dann, wenn er eine 6 und der andere
eine 3 zeigen. Damit ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der erste
Würfel gewinnt, durch P(6|3) = P1 (6) · P2 (3) = 1/3 bestimmt.
Der zweite Würfel ist dem ersten überlegen.
Einführung:
Regeln für Mengen
Mit den drei Verknüpfungen Vereinigungsmenge, Schnittmenge und
Komplement lassen sich aus vorgegebenen Mengen neue bilden. Im
folgenden Kapitel werden Regeln für diese Verknüpfungen zusammengestellt.
Einstieg
Sie kennen es bereits, dass Rechenregeln beim Rechnen mit Zahlen die
Ermittlung des Ergebnisses für eine komplexe Rechnung stark vereinfachen können. Soll zum Beispiel die folgende Rechnung durchgeführt
werden:
x = 3 · 427 + 427 · 7,
so können wir im ersten Schritt für den zweiten Summanden das
Kommutativgesetz der Multiplikation nutzen. Es gilt damit:
x = 3 · 427 + 7 · 427.
Wenn wir nun das Distributivgesetz anwenden, so erhalten wir weiter:
x = (3 + 7) · 427.
Die folgende Rechnung ist dann sehr leicht:
x = 10 · 427 = 4270.
Für die Verknüpfung von Mengen erhalten wir ganz ähnliche Regeln:
Assoziativ-,
Kommutativ-,
Distributiv-,
Idempotenzgesetze
Assoziativgesetze:
( A ∪ B) ∪ C = A ∪ ( B ∪ C ) sowie ( A ∩ B) ∩ C = A ∩ ( B ∩ C )
Kommutativgesetze:
A∪B = B∪A
sowie
A∩B = B∩A
Distributivgesetze:
( A ∩ B) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ ( B ∪ C )
( A ∪ B) ∩ C = ( A ∩ C ) ∪ ( B ∩ C )
Idempotenzgesetze: A ∪ A = A
sowie
A∩A = A
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Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
53
Die Regeln für die Verknüpfung von Mengen lassen sich mit der Aussagenlogik nachweisen. Dies soll am Beispiel des Kommutativgesetzes
für die Vereinigungsmenge gezeigt werden:
A ∪ B = { x | x ∈ A ∨ x ∈ B}
B ∪ A = { x | x ∈ B ∨ x ∈ A}
Nun gilt für die Disjunktion das Kommutativgesetz:
x∈A ∨ x∈B ⇔ x∈B ∨ x∈A
Von daher gilt insgesamt:
x ∈ A∪B ⇔ x ∈ A ∨ x ∈ B ⇔ x ∈ B ∨ x ∈ A ⇔ x ∈ B∪A
Und damit sind die beiden Mengen gleich.
Eine Plausibilität der Rechenregeln kann auch durch die geometrischen Veranschaulichungen für Mengen gezeigt werden. Als Nachweis
gelten diese Graphiken aber nicht. Oft können solche Graphiken einem
die Übersicht über mathematische Zusammenhänge verdeutlichen und
einen Leitfaden für den richtigen Nachweis liefern. Als Beispiel soll
hier das Distributivgesetz ( A ∩ B) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ ( B ∪ C ) vorgestellt
werden:
Erläuterung
53. Überlegen Sie, welche Gesetzte der Aussagenlogik die weiteren
Regeln für Mengen begründen.
Übungsaufgaben
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54
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
54. Welche der folgenden Gleichungen gilt für alle Mengen A, B und
C?
a)
( A \ B) ∩ C = ( A ∩ B) \ ( B ∩ C )
b)
( A ∩ B) \ C = ( A \ C ) ∩ ( B \ C )
c)
A ∩ B = B \ ( B \ A)
55. Wie muss die Menge C gebildet werden, damit folgende Aussagen
wahr sind?
a) ∀ x ∈ C : ( x ∈ A ∧ x ∈ B)
b) ∀ x ∈ C : ( x ∈ A ∨ x ∈ B)
c) ∀ x ∈ C : ( x ∈ A ∧ x ∈
/ B)
d) ∀ x ∈ C : ( x ∈ C → x ∈ B)
56. Alle im Folgenden benutzten Mengen seien Teilmengen einer
Menge Ω. Mit A = Ω \ A sei das Komplement von A in Ω bezeichnet.
Zeigen Sie, dass gilt:
Gesetze von De
Morgan
A∩B = A∪B
sowie
A ∪ B = A ∩ B.
Diese Gleichungen werden auch als Gesetze von De Morgan bezeichnet.
57. Wir betrachten nur Mengen, die Teilmenge einer vorgegebenen
Menge Ω sind.
a) Stellen Sie A ∪ B allein mit Hilfe des Komplements und der Schnittmenge zweier Mengen dar.
August De Morgan
1806-1871
b) Stellen Sie A ∩ B allein mit Hilfe des Komplements und der Vereinigungsmengemenge zweier Mengen dar.
Probleme und
Anwendungen
58. Si seien Teilmengen von T = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Welche Elemente in Si enthalten sind, wird durch die folgende Matrix angegeben:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
S1
1
0
1
1
0
0
0
0
0
S2
1
1
0
0
0
0
1
1
0
S3
0
0
1
0
1
1
0
0
0
S4
0
0
1
1
0
0
0
0
0
S5
1
0
1
1
0
0
1
0
0
S6
0
1
0
0
1
0
0
1
1
S7
0
1
0
0
0
0
0
1
0
S8
1
0
1
0
0
0
1
0
0
S9
0
1
0
1
1
0
0
0
0
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
Steht in der Spalte unterhalb von Si in der Zeile von j eine 1, so gehört
j zur Menge Si sonst gehört j nicht zu Si . So lautet zum Beispiel die
Menge
S1 = {1, 3, 4}.
Gesucht ist eine Auswahl von Mengen Si , so dass die Vereinigungsmenge die Menge T ergibt. Dabei sollen möglichst wenige Mengen Si
benutzt werden.
Bemerkung: Bei dem vorgegebenen Problem handelt es sich um ein
Überdeckungsproblem, das im allgemeinen Fall nicht so leicht wie
das vorgegebene zu lösen ist. Bisher ist noch kein Lösungsverfahren
bekannt, bei dem die Bearbeitungszeit für die Lösung auch bei großen
Problemen (die Menge T enthält viele Elemente und es stehen viele
Teilmengen zur Verfügung) realisierbar ist. In der Praxis wird das
Problem noch dadurch erschwert, dass die Teilmengen Si verschiedene
Kosten verursachen.
Das Lösen eines SUDOKU ist im Übrigen ein Überdeckungsproblem.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
55
56
Wissensspeicher
Anmerkung
Venn-Diagramme dienen zur grafischen Veranschaulichung der
Mengenlehre und wurden nach dem engl.
Mathematiker John
Venn (1894-1923) benannt.
Verknüpfungen von
Mengen:
Vereinigungsmenge,
Schnittmenge,
Differenz,
Komplement
kartesisches Produkt
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
Die Möglichkeiten, aus zwei vorgegebenen Mengen neue Mengen zu
bilden, sollen hier anhand von Graphiken zusammengestellt werden.
Diese Graphiken heißen auch Venn-Diagramme.
Vereinigungsmenge
A ∪ B := { x | x ∈ A ∨ x ∈ B}
Schnittmenge
A ∩ B := { x | x ∈ A ∧ x ∈ B}
Differenz
A \ B := { x ∈ A | x ∈
/ B}
Komplement von A in Ω
Für zwei Mengen A und B wird das kartesische Produkt A × B
wie folgt gebildet:
A × B := {( a|b) | a ∈ A ∧ b ∈ B}
Regeln für die
Verknüpfung von
Mengen
Assoziativgesetze:
( A ∪ B) ∪ C = A ∪ ( B ∪ C ) sowie ( A ∩ B) ∩ C = A ∩ ( B ∩ C )
Kommutativgesetze:
A∪B = B∪A
sowie
A∩B = B∩A
Distributivgesetze:
( A ∩ B) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ ( B ∪ C )
( A ∪ B) ∩ C = ( A ∩ C ) ∪ ( B ∩ C )
Idempotenzgesetze: A ∪ A = A
Regeln von De
Morgan
sowie
A∩A = A
Es gelte: A, B ⊆ Ω.
A∩B = A∪B
sowie
A ∪ B = A ∩ B.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln
57
Kurzkontrolle
1. Setzen Sie an die Stelle von ∆ das richtige Symbol ein.
(∩, ∪, \, ×)
a) N0 = N∆{0}
b) R3 = R2 ∆R
c) N = N0 ∆{0}
d) (−2, 2) = [−2, 2)∆(−2, 2]
2. Bilden Sie die Mengen A ∩ B, A ∪ B, A \ B sowie A × B, wobei
A = (0, 7)
B = [3, 10]
3. Geben Sie eine Mengenschreibweise für die skizzierten Mengen
an:
a)
b)
4. A und B seinen endliche Mengen. Unter welchen
Zusatzvoraussetzungen gelten folgende Regeln:
a) | A ∪ B| = | A| + | B|
b) | A \ B| = | A| − | B|
c) ‘| A × B| = | A| · | B|
5. Beurteilen Sie folgende Aussagen:
a) Die Vereinigungsmenge zweier endlicher Mengen besitzt
immer mehr Elemente als die Mengen, aus denen die
Vereinigungsmenge gebildet wurde.
b) Die Schnittmenge zweier endlicher Mengen besitzt immer
weniger Elemente als die Mengen, aus denen die
Schnittmenge gebildet wurde.
c) Das kartesische Produkt zweier endlicher Mengen besitzt
immer mehr Elemente als die Mengen, aus denen es
gebildet wurde.
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59
Kapitel 6
Anwendung: Gleichungslehre
Die beste aller Gleichungen für eine gesuchte unbekannte Größe x
lautet:
x = Lösung.
Einführung
Das Ziel beim Lösen einer beliebigen anderen Gleichung wie zum
Beispiel
√
√
x · x + 1 = 2x + 3 · x
(Gleichung 1)
besteht darin, diese in die beste aller Gleichungen zu überführen.
In Kapitel 4 hatten wir im zweiten Beispiel bereits Gleichung 1 betrachtet. Die dabei vorgestellten Umformungen enthielten aber offensichtlich Fehler, denn sie führten zu der Gleichung:
Einstieg
x = −2.
Dieser Wert führt nach Einsetzen in die Ausgangsgleichung zu negativen Zahlen unter den Wurzeln und damit zu undefinierten Ausdrücken. Dies gibt Anlass, von vorne herein zu klären, welche Werte
für die gesuchte Lösung überhaupt in Frage kommen. Da Gleichungen
ein Spezialfall der Aussageformen sind, sollen die Begriffsbildungen
allgemein für Aussageformen eingeführt werden.
Grundmenge: Dies ist eine Menge von geeigneten Zahlen, die
vom Anwender ausgewählt wird.
Definitionsbereich: Dies ist eine Teilmenge der Grundmenge.
Sie beinhaltet alle Elemente der Grundmenge, für die die in der
Aussageform auftretenden Terme definiert sind.
Lösungsmenge: Dies ist eine Teilmenge der Definitionsmenge. Sie
beinhaltet alle Elemente, die die Aussageform A( x ) nach Einsetzen für x in eine wahre Aussage überführen.
Aussageformen
(z.B. Gleichungen)
60
Beispiele
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
(51) Gesucht ist ein Quadrat, dessen Flächeninhalt F = 49 cm2 beträgt.
Die zugehörige Gleichung für die Maßzahl a der Kantenlänge des
Quadrates lautet:
a2 = 49
Diese Gleichung besitzt zwei Lösungen: a1 = 7 sowie a2 = −7. Wir
können aber von vorneherein negative Lösungen ausschließen. Die
Grundmenge für die Lösung der Gleichung sollte zu G = R>0 gewählt
werden. Die Lösungsmenge lautet daher: L = {7}.
(52) Die Gleichung
3
3
−
=2
x−1 x+1
besitzt einen eingeschränkten Definitionsbereich.
Er lautet: D = R \ {−1, 1}. Dieser eingeschränkte Definitionsbereich
muss bei Umformung der Gleichung beibehalten werden. Multiplizieren wir die Gleichung mit ( x2 − 1), um die Nenner zu beseitigen, so
sehen wir der umgeformten Gleichung optisch den eingeschränkten
Definitionsbereich nicht mehr an:
3 · ( x + 1) − 3 · ( x − 1) = 2 · ( x 2 − 1).
Die Lösungsmenge der letzten Gleichung lautet: L = {−2, 2}. Dies ist
auch die Lösungsmenge der Ausgangsgleichung, da L ⊆ D.
Aufgaben
59. Geben Sie sinnvolle Grundmengen für die Berechnung der Maßzahlen für folgende Größen an:
a) Stückzahl bei einer Produktion
b) Entfernung
c) Temperatur
d) Kontostand
e) Flächeninhalt eines Grundstücks
f) Prozentzahl
g) Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis
h) Einwohnerzahl
i) Winkel
j) Besucherzahl.
60. Bestimmen Sie die Definitionsmenge der folgenden Gleichungen
in der Grundmenge R.
√
1
1
a) 2
+ =0
b) x2 = 11
x −4 3
√
c)( x )2 = 11
d) lg(1 − x ) = 3
e)x = sin( x )
f) − 2 = lg(2 sin(3x ) − 4)
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
61
Zwei Aussageformen A( x ) und B( x ) heißen zueinander äquivalent, wenn ihre Definitionsbereiche und ihre Lösungsmengen
gleich sind.
Äquivalenz von
Aussageformen
Schreibweise: A( x ) ⇔ B( x )
Als erstes sollen gutartige Beispiele betrachtet werden.
(53) Die Lösungsmenge einer Gleichung ändert sich nicht, wenn auf
beiden Seiten der Gleichung dieselbe Zahl addiert wird:
x+3 = 4 ⇔ x = 1
(54) Die Lösungsmenge einer Gleichung ändert sich nicht, wenn auf
beiden Seiten der Gleichung mit derselben Zahl a ∈ R \ {0} multipliziert wird:
3·x = 9 ⇔ x = 3
Die Einschränkung im zweiten Beispiel führt bereits zu einer Umformung, die die Lösungsmenge einer Gleichung ändert. Multiplizieren
wir beide Seiten einer Gleichung mit a = 0, so kann sich die Lösungsmenge der Gleichung ändern.
(55) Die Gleichung 3 · x = 9 geht nach Multiplikation beider Seiten
der Gleichung mit Null über in die Gleichung:
0·x = 0
und diese letzte Gleichung besitzt die Lösungsmenge L = D, wobei D
die Definitionsmenge der Gleichung ist.
Nun sagen Sie vielleicht, dass keiner so dumm sei, eine Gleichung mit
Null zu multiplizieren. Tatsächlich ist aber die “heimliche Multiplikation” mit Null einer der häufigsten Fehler beim Lösen von Gleichungen.
Dies schauen wir uns an einem einfachen Beispiel an:
(56)
3+x = 4+x
(Gleichung 2)
Wir multiplizieren beide Seiten der Gleichung mit a = x − 2 und
erhalten:
(3 + x ) · ( x − 2) = (4 + x ) · ( x − 2)
(Gleichung 3)
Ausmultiplizieren beider Seiten führt zu:
x2 + x − 6 = x2 + 2x − 8
Addition von a = − x2 − x + 8 auf beiden Seiten der Gleichung führt
zu:
2 = x.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Beispiele
62
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
Dies ist aber keine Lösung der Gleichung 2, denn es gilt:
3 + 2 6= 4 + 2.
Die Lösung x = 2 hat sich bei der Umformung von Gleichung 2
zu Gleichung 3 eingeschlichen. Denn genau für x = 2 wurde in
diesem Schritt mit Null multipliziert. Für x = 2 lautet Gleichung 3
dementsprechend:
0 = 0.
(57) Im vorangegangenen Beispiel haben wir gesehen, dass die Lösungsmenge einer Gleichung vergrößert werden kann. Genauso kann
man bei manchen Umformungen Lösungen verlieren. Hierfür betrachten wir nochmals Gleichung 1 aus dem 2. Beispiel im Einstieg:
√
√
x · x + 1 = 2x + 3 ·
(Gleichung 1)
Diese Gleichung wird für x = 0 gelöst. Wenn wir nun durch x dividieren, so ist diese Operation genau für x = 0 nicht zulässig. Wird der
Sonderfall x = 0 nicht beachtet, verlieren wir die einzige Lösung dieser
Gleichung. Die korrekte Vorgehensweise zur Lösung der Gleichung 1
sieht wie folgt aus:
Wir gehen zunächst davon aus, dass die Grundmenge, in der wir
Lösungen suchen, die reellen Zahlen sind.
Dann bestimmen wir den Definitionsbereich der Gleichung. Dieser
wird durch die Wurzeln eingeschränkt auf:
D = { x | x > −1}
Nun stellen wir fest, dass x = 0 Lösung der Gleichung ist.
Für x 6= 0 ändert sich die Lösungsmenge nicht, wenn wir beide Seiten
der Gleichung durch x dividieren. Alle Lösungen x 6= 0 müssen daher
die Gleichung:
√
√
x + 1 = 2x + 3
erfüllen.
Zwei Wurzeln sind genau dann gleich, wenn die Radikanden gleich
sind. Also muss gelten:
x + 1 = 2x + 3
Dies ist aber nur für x = −2 der Fall und dieser Wert liegt nicht im
Definitionsbereich der Gleichung, gehört damit nicht zur Lösungsmenge. Zusammenfassend lässt sich damit sagen:
Die Lösungsmenge der Gleichung 1 lautet: L = {0}.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
61. Wo steckt der Fehler?
x2 − x2 = x2 − x2 ⇔
x · (x − x) = (x + x) · (x − x) ⇔ : (x − x)
x = x+x ⇔ x = 2·x ⇔ : x
1=2
62. Handelt es sich bei folgenden Umformungen von Gleichungen
immer um Äquivalenzumformungen? Welche Sonderfälle müssen
beachtet werden?
a) Addition derselben reellen Zahl auf beiden Seiten der Gleichung.
b) Addition desselben beliebigen Terms auf beiden Seiten der Gleichung.
c) Multiplikation beider Seiten der Gleichung mit derselben reellen
Zahl.
d) Multiplikation beider Seiten der Gleichung mit demselben Term.
e) Quadrieren beider Seiten der Gleichung.
f) Wurzelziehen auf beiden Seiten der Gleichung.
g) Kehrwertbildung auf beiden Seiten der Gleichung.
h) Termumformung auf einer Seite der Gleichung.
63. Wo steckt der Fehler (falls es einen gibt )?
0 = 0 − 42
−42 = −42
36 − 78 =
169
4
2
13
6−
2
13
6−
2
6
36 − 78 +
=
=
=
=
169
49 − 91 +
4
169 49 − 91 +
nach binom. Formel
4 13 2 √
7−
2
13 13
7−
+
2 2
7
Manchmal lässt es sich beim Lösen einer Gleichung nicht vermeiden,
Umformungen durchzuführen, die die Lösungsmenge verändern. Um
in diesen Fällen genau nachzuhalten, in welcher Beziehung die Ausgangsgleichung und die umgeformte Gleichung stehen, führen wir
noch die folgenden Beziehungen zwischen Gleichungen ein:
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
63
Aufgaben
64
Folgerung bei
Aussageformen
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
Über eine Grundmenge G gelte: Die Aussageformen A( x ) und
B( x ) sind definiert.
A( x ) besitze die Lösungsmenge L1 und B( x ) besitze die Lösungsmenge L2 .
Aus der Aussageform A( x ) folgt die Aussageform B( x ), wenn
gilt: L1 ⊆ L2 .
Schreibweise: A( x ) ⇒ B( x )
Beispiele
(58) Wird eine Gleichung quadriert, so können wir lediglich eine
Folgerung aber keine Äquivalenz zwischen Gleichungen feststellen.
x = 1 ⇒ x2 = 1
Die Gleichung x = 1 besitzt die Lösungsmenge L1 = {1}.
Die Gleichung x2 = 1 besitzt die Lösungsmenge L2 = {−1, 1}.
Es gilt die Beziehung: L1 ⊂ L2 .
(59) Wird die Sinusfunktion auf beiden Seiten einer Gleichung angewendet, so erhält eine Gleichung sogar unendlich viele Lösungen.
x wird dabei im Bogenmaß gemessen:
x = 0 ⇒ sin x = 0
Die Gleichung x = 0 besitzt die Lösungsmenge L1 = {0}.
Die Gleichung sin x = 0 besitzt die Lösungsmenge
L2 = { x | x = π · k, k ∈ Z}.
Aufgaben
64. Berechnen Sie die Lösungen der folgenden Gleichungen in der
Grundmenge R.
a) 11x = x2 − 30
√
√
√
√
b) (3 · x + 5) − (6 · x − 10) = 7 · x − 5 − 2 · ( x − 2)
√
c) x = 14 + 5 · x
3
18
−
=0
x−4 x+1
1
1
1
e) 2
− 2
= 2
x +x x +x
x + 3x + 2
d)
65. In der Technik finden wir viele Gleichungen, die den Zusammenhang zwischen physikalischen Größen in bestimmten Versuchsanordnungen beschreiben. Dabei kommen immer mehrere variable Größen
in einer Gleichung vor. So gilt für die Höhe h(t), in der sich ein Körper
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
65
beim senkrechten Wurf zum Zeitpunkt t befindet, wenn man den
Luftwiderstand mit berücksichtigt:
r
r
r
m
cg
c
cg
h(t) =
· ln cos
· t + v0
· sin
·t
.
c
m
mg
m
m: Masse des Körpers
g: Erdbeschleunigung
v0 : Anfangsgeschwindigkeit
c: Reibungskonstante
Man möchte nun weitere Rechnungen nicht für jeden Spezialfall einzeln durchführen, sondern allgemeine Aussagen unabhängig von den
konkreten Werten für zum Beispiel Masse und Anfangsgeschwindigkeit erhalten. Die folgenden Aufgaben sollen den Umgang mit
Gleichungen üben, in denen mehrere nicht konkretisierte Zahlen vorkommen. Gesucht ist immer eine Lösung für x in Abhängigkeit der
anderen auftretenden Größen:
a + 1x
ax cx
1+x
1
a)
−
=e
b)
=a
i)
= a+
1
b
d
1−x
a
a− x
j)
1
a
1
a
−x 1
+ =
+x a
1
a
x
1
−
+x a
k) 0 = x · tan α −
gx2
2v20 cos2 α
66. In den Anwendungen liegen häufig mehrere Gleichungen für
mehrere zu bestimmende Variablen vor. Soll zum Beispiel 12%-iger
Alkohol mit 84%-igem Alkohol gemischt werden, um 1 l 18% Alkohol
zu erhalten, so entsteht ein lineares Gleichungssystem. Setzten Sie
an, dass Sie x l der 12%-igen Lösung und y l der 18%-igen Lösung
mischen. Es ist hier sinnvoll, die gesuchte Lösung als Tupel ( x |y)
zu verstehen. Die Grundmenge für die gesuchte Lösung ist daher:
G = [0, 1] × [0, 1]. Die erste Gleichung erhalten wir aus der Bedingung,
dass die Mischung 1 l ergibt:
x+y = 1
Die Lösungsmenge dieser ersten Gleichung können wir als Strecke auffassen. Stellen Sie die zweite Gleichung für x und y auf und zeichnen
Sie die Lösungsmenge ebenfalls in das Koordinatensystem ein. Bestimmen Sie die Schnittmenge der beiden Lösungsmengen als gesuchte
Lösung für das Problem.
67. Für welche reellen Zahlen a besitzt das lineare Gleichungssystem
a · x + 3y = a
3x + a · y = a
keine, genau eine oder unendlich viele Lösungen? Geben Sie im Falle
der Lösbarkeit die Lösungsmenge an.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Probleme und
Anwendungen
66
Wissensspeicher
Gleichungen:
Grundmenge,
Definitionsbereich,
Lösungsmenge
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
Bevor eine Gleichung gelöst wird, muss festgestellt werden, welche
Lösungen überhaupt in Frage kommen. Dabei kann die Lösungsmenge sowohl durch das praktische Problem, aus dem die Gleichung
resultiert, als auch durch auftretende Terme eingeschränkt werden.
Grundmenge: Dies ist eine Menge von geeigneten Zahlen, die
vom Anwender ausgewählt wird.
Definitionsbereich: Dies ist eine Teilmenge der Grundmenge.
Sie beinhaltet alle Elemente der Grundmenge, für die die in der
Aussageform auftretenden Terme definiert sind.
Lösungsmenge: Dies ist eine Teilmenge der Definitionsmenge. Sie
beinhaltet alle Elemente, die die Aussageform A( x ) nach Einsetzen für x in eine wahre Aussage überführen.
Gleichungen werden in der Regel dadurch gelöst, dass sie durch Umformungen in andere Gleichungen überführt werden. Dieses Verfahren
führt gesichert zum Ziel, wenn die Lösungsmenge durch die Umformung nicht verändert wird.
Äquivalenz von
Aussageformen
Zwei Aussageformen A( x ) und B( x ) heißen zueinander äquivalent, wenn ihre Definitionsbereiche und ihre Lösungsmengen
gleich sind.
Schreibweise: A( x ) ⇔ B( x )
Kann nach Umformung einer Gleichung nur noch eine Enthaltensrelation für die Lösungsmengen festgestellt werden, so besteht keine
Äquivalenz der Gleichungen mehr.
Folgerung bei
Aussageformen
Über einer Grundmenge G gelte: Die Aussageformen A( x ) und
B( x ) sind definiert.
A( x ) besitze die Lösungsmenge L1 und B( x ) besitze die Lösungsmenge L2 .
Aus der Aussageform A( x ) folgt die Aussageform B( x ), wenn
gilt: L1 ⊆ L2 .
Schreibweise: A( x ) ⇒ B( x )
Wurden solche Umformungen benutzt, so müssen die Endlösungen
daraufhin überprüft werden, ob sie auch die Anfangsgleichungen
lösen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre
67
Kurzkontrolle
1. Über welcher der folgenden Grundmengen besitzen die unten
angeführten Gleichungen Lösungen: Z, Q, R?
a) x2 = 122
b) 5x + 2 = 4
c)
3
=1
x+2
2. Geben Sie den Definitionsbereich in der Grundmenge R für die
folgenden Gleichungen an:
√
p
1
3
2 + 4x = 3 c)
a)
=
b)
5
−
x
( x − 1)2 = 7
( x − 1)2
x2 − 1
3. Ermitteln Sie die Lösungen der Gleichungen aus Aufgabe 2.
4. Beurteilen Sie folgende Aussagen:
a) Der Definitionsbereich einer Gleichung kann nie die leere
Menge sein.
b) Die Lösungsmenge einer Gleichung ist immer eine endliche
Menge.
c) Die Grundmenge einer Gleichung hängt vom
Definitionsbereich ab.
d) Äquivalente Gleichungen besitzen immer dieselbe
Lösungsmenge.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
69
Kapitel 7
Abbildungen: Beispiele und
Grundbegriffe
70
Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
Einführende
Beispiele
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
71
Relationen,
Zuordnungen und
Funktionen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
72
Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
Wichtige
Funktionstypen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
73
Verknüpfungen
von Funktionen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
74
Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
Eigenschaften von
Funktionen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe
75
Funktionen mit
Parametern
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
77
Kapitel 8
Abbildungen: Anwendungen
78
Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen
Modellierung
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen
79
Kombinatorik:
Abzählen von
Mengen
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
80
Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen
Beschreibung von
Mengen im R2 und
R3
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen
81
Funktionenräume
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
83
Kapitel 9
Natürliche Zahlen
Ein Gespräch zwischen Mathefan und Nervmath:
NM: Ich finde die natürlichen Zahlen ja sowas von langweilig!
MF: Ach wirklich? Alle natürlichen Zahlen finden Sie langweilig?
NM: Kann man so sagen. Also gut, die 4 ist eigentlich ganz ok, weil
ich bin ja Fan von Schalke 04, und das ist nicht langweilig.
MF: Aha. Also sind die natürlichen Zahlen doch nicht so langweilig.
NM: Moment! Haben ausgerechnet Sie als Mathesüchtiger die ganze Logik vergessen? Bloss weil ich mal eine natürliche Zahl nicht
langweilig finde, kann ich doch alle anderen immer noch langweilig
finden!
MF: Nein, so einfach geht das nicht. Aber erst mal: Was halten Sie
denn von 1, 2 und 3?
NM: Ja, die sind ganz ok und auch relevant in Sachzusammenhängen.
So was wie ”Ober, noch 3 Biere” kann man ja schon mal benötigen.
Und letztens hat Schalke 04 mal Einsnull im Pokal gegen Bayern
gewonnen. Aber irgendwann, wenn die natürlichen Zahlen zu gross
werden, sind sie nur noch langweilig.
MF: Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: So einfach geht das
nicht! Fassen wir mal zusammen: Sie finden also einige kleine natürliche Zahlen nicht langweilig, aber die meisten schon. Richtig?
NM: Richtig!
MF: Wenn wir das in Mengensprache ausdrücken wollten, würden Sie
also sagen, dass die Teilmenge L von N, die gerade die langweiligen
naürlichen Zahlen enthält, nicht leer ist. Richtig?
NM: Wenn, ich betone: wenn ich das in Mengensprache ausdrücken
wollte, dann meinetwegen: Ja!
MF: Sehr schön! Jetzt sehen wir uns die Sache mal von einer allgemeineren Perspektive an: Stellen Sie sich irgendeine nichtleere Teilmenge
M der natürlichen Zahlen vor.
Einstieg
84
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
NM: Warum?
MF: Bitte!
NM: Also gut, aber das Wort ”langweilig” schwebt immer monumentaler vor meinem geistigen Auge.
MF: Wenn Sie jetzt versuchen, immer kleinere und kleinere Zahlen
aus M zu finden, wird das nach endlich vielen Schritten zum Ende
kommen. Richtig?
NM (denkt kurz nach): Ok, es gibt ja bei den natürlichen Zahlen eine
kleinste (die 1), und zwischen irgendeiner Zahl aus M und der 1 liegen
ja überhaupt nur endlich viele natürliche Zahlen. Da nimmt man sich
halt die kleinste davon, die in M liegt. Ok, ich gebe Ihnen recht. Aber
beachten Sie, dass ich trotz dieser weltbewegenden Erkenntnis nicht
vor lauter Erregung auf und ab hüpfe.
MF: Ich bin ja auch noch nicht fertig. In der bequemen und präzisen
Mengensprechweise können wir also festhalten, dass jede nichtleere
Teilmenge von N ein kleinstes Element enthält. Einverstanden?
NM (schreckt auf): Sorry, ich bin kurz weggenickt. Die unerträgliche
Spannung, Sie verstehen. Aber ok, einverstanden.
MF: Gut. Jetzt kommen wir zurück zur Menge L der langweiligen
natürlichen Zahlen. Sie sagen, dass L 6= ∅. Nach dem, was wir eben
erarbeitet haben, hat L dann ein kleinstes Element, dem wir den
Namen z geben können. Ok?
NM: Wenn es Sie glücklich macht: Ok. Aber wie wäre es damit, mal
was Sinnvolles zu machen.
MF: Mache ich doch gerade: Diese Zahl z ist also die kleinste langweilige
natürliche Zahl. Mann, das ist doch eine interessante Eigenschaft, oder?
Kleinste langweilige natürliche Zahl, das gibt es ja nur einmal. Also
ist z interessant und überhaupt nicht langweilig, also z 6∈ L. Und das
ist ein Widerspruch. Richtig?
NM: Ja, aber was soll’s?
MF (ganz aufgeregt): Was das soll? Mann, aus der Annahme L 6= ∅
ergibt sich ein Widerspruch! Also muss L = ∅ gelten, und es gibt keine
langweilige natürliche Zahl!
NM (sieht Mathefan lange an, dann seufzt er tief): Ich glaube, ich finde
doch lieber alle natürlichen Zahlen langweilig.
Probleme und
Anwendungen
Was sagen Sie zu den Argumenten der beiden Herren? Führen Sie die
Diskussion weiter, wenn Sie Lust haben.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
Sie kennen sicher folgende Zahlbereiche:
85
Die Zahlbereiche
N und N0
N = {1, 2, 3, . . .}
(Natürliche Zahlen)
N0 = {0, 1, 2, 3, . . .} (Natürliche Zahlen mit Null)
Sie sind auch daran gewöhnt, mit diesen Zahlen zu rechnen und
viele Eigenschaften sind Ihnen (bewusst oder unbewusst) bekannt. In diesem Kapitel soll es darum gehen, diese Eigenschaften
etwas zu sortieren und zu systematisieren.
Welche Rechenoperationen kann man innerhalb des Bereichs der natürlichen Zahlen uneingeschränkt ausführen?
Lokales Ordnen
Mathematik ist unter anderem eine begründende und beweisende
Disziplin. Aber es ist - wie auch schon in früheren Kapiteln angemerkt - keineswegs einfach, die ganze Mathematik von Grund auf
aufzubauen, und solche Fragestellungen stehen noch nicht mal für
alle Mathematiker im Vordergrund. Andererseits: Niemand, der
sich mit Mathematik beschäftigt, kann ohne ein gewisses Strukturieren voran kommen. Mathematik ist keine Ansammlung unzusammenhängender Rezepte, sondern mathematische Fakten,
Methoden und Argumente stehen in einem Sinnzusammenhang.
Man sieht vielfach, dass ein Faktum aus einem anderen hergeleitet werden kann, oder eine Regel eine Konsequenz einer anderen
ist. Lokales Ordnen (ein von H. Freudenthal populär gemachter
Begriff) ist für die meisten in der Auseinandersetzung mit Mathematik ein sinnvoller Zugang. Wenn man z.B. einmal eingesehen
hat, dass die binomische Formel eine Konsequenz des Distributivgesetzes ist, dann kann man sie sich notfalls auch mal wieder
zurechtlegen. Diese Strukturierung macht einen effektiven Umgang mit Mathematik überhaupt erst möglich.
Was war gleich wieder das Distributivgesetz? Und was war gleich
wieder die (erste) binomische Formel? Wie sieht es mit der oben angesprochenen Herleitung aus?Brauchen Sie ausser dem Distributivgesetz
noch weitere Rechengesetze?
Im Folgenden sollen nun N im Sinne des lokalen Ordnens angesehen
werden. Wir gehen dabei nicht völlig systematisch vor, und wenn
Sie genau hinsehen, werden Sie sicher Lücken oder nebulöse Zonen
finden. Sie werden aber im Lauf des Ganzen einen Einblick erhalten,
wie mathematisches Denken und Argumentieren im Grunde funktionieren. Wir fangen damit an, gewisse ”fundamentale” Eigenschaften
von N zu sammeln. (Die Sammlung ist nicht zufällig, sie beruht vor
allem auf kollektiver Erfahrung.)
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Probleme und
Anwendungen
Exkurs
Probleme und
Anwendungen
86
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
Fundamentales zu N:
1. Natürliche Zahlen lassen sich addieren. Für die Addition
gelten unter anderem die Regeln
n+m = m+n
(k + m) + n = k + (m + n)
für alle m, n ∈ N
für alle k, m, n ∈ N
(Kommutativgesetz bzw. Assoziativgesetz der Addition.)
2. Natürliche Zahlen lassen sich multiplizieren. Für die
Multiplikation gelten unter anderem die Regeln
n·m = m·n
(k · m) · n = k · (m · n)
für alle m, n ∈ N
für alle k, m, n ∈ N
(Kommutativgesetz bzw. Assoziativgesetz der Multiplikation.)
Zudem gibt es ein neutrales Element für die Multiplikation,
nämlich die Eins: Für alle n ∈ N gilt 1 · n = n.
Weiterhin gilt auch folgende Kürzungsregel: Sind n, x und y
natürliche Zahlen und ist n · x = n · y, so folgt schon x = y.
3. Addition und Multiplikation sind über das Distributivgesetz
verknüpft: Für alle k, m, n ∈ N gilt
k · (m + n) = k · m + k · n.
4. Natürliche Zahlen lassen sich vergleichen und anordnen: Sind
m und n verschiedene natürliche Zahlen, so gilt entweder
m < n oder n < m. Bezüglich dieser Anordnung ist die Eins
das kleinste Element; es gilt also 1 < n für alle n ∈ N, n 6= 1.
5. Die Anordnung ist mit Addition und Multiplikation
verträglich; das heisst:
Sind m, x, y ∈ N mit x < y,
Sind m, x, y ∈ N mit x < y,
so auch m + x < m + y.
so auch m · x < m · y.
Diese Liste ist keineswegs optimiert in dem Sinn, dass möglichst wenige Fakten und Eigenschaften gesammelt wurden. Auch ist keineswegs
klar, ob durch diese Liste der Zahlbereich N eindeutig beschrieben ist.
Aber wir wollen uns im Folgenden (möglichst) auf die aufgeführten
Eigenschaften bechränken und sehen, wie weit wir damit kommen.
Ein bisschen was davon sollen auch Sie ausprobieren.
Probleme und
Anwendungen
1. Weisen Sie nach: Wenn m, n ∈ N und n > 1, dann ist m < m · n.
2. Weisen Sie nach: Sind k, m, n ∈ N und ist m < n, so ist k · (n − m) =
k · m − k · n. (Hinweis: Sind a, b ∈ N mit a < b, so ist z = b − a
diejenige natürliche Zahl, welche a + z = b erfüllt.)
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
87
Wir wollen uns nun mit einem Thema befassen, das Sie sicher schon
aus der Sek I kennen. Aber vielleicht ist Ihnen die Perspektive neu.
Teilbarkeit in N
Teiler und Vielfache
Eine natürliche Zahl m heisst Teiler der natürlichen Zahl n (in
Zeichen: m|n), wenn es ein b ∈ N gibt, so dass m · b = n.
Man sagt dann auch, n sei Vielfaches von m.
Für die Teilbarkeit lassen sich einige Regeln aufstellen und nachweisen. Sind k, m, n ∈ N, so gilt
m|n
m|n
m|n
m|n
und
und
und
und
m|k
n|k
n|m
m 6= n
⇒
⇒
⇒
⇒
m|(n + k )
m|k
m=n
m<n
(a) Für jede natürliche Zahl n gilt 1|n.
Beispiele
(b) 2|6, 3|6 und 6|6. Neben der 1 sind damit alle Teiler von 6 genannt.
(c) Wir beweisen mal die zweite Regel im obigen Kasten: Es sei also m
Teiler von n und n Teiler von k. Dann gibt es nach Definition ein
a ∈ N mit n = a · m. Ebenso gibt es nach Definition ein b ∈ N mit
k = b · n. Damit folgt
k = b · n = b · ( a · m) = (b · a) · m
(Beachten Sie, dass hier das Assoziativgesetz der Multiplikation
vewendet wurde.) Nach Definition ist also k Vielfaches von m.
1. Beweisen Sie die erste Regel für Teilbarkeit im Kasten.
2. Beweisen Sie die dritte Regel für Teilbarkeit im Kasten.
Probleme und
Anwendungen
3. Beweisen Sie die vierte Regel für Teilbarkeit im Kasten.
Eine natürliche Zahl a mit a > 1 heisst (multiplikativ) zerlegbar, wenn
es natürliche Zahlen b > 1 und c > 1 gibt, so dass a = b · c. Falls die
natürliche Zahl a > 1 nicht zerlegbar ist, nennt man a auch Primzahl.
(Die 1 hat bei der Multiplikation eine Sonderrolle und wird deshalb
hier herausgehalten. Insbesondere ist nach dieser - der üblichen Definition die 1 keine Primzahl.)
(a) 1001 = 11 · 91 = 11 · 7 · 13 = 7 · 143 ist zerlegbar.
(b) 641 ist eine Primzahl.
(c) Die ersten zehn Primzahlen sind 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29.
(d) Bei der Zahl 2641 + 1 ist es gar nicht so einfach, etwas über ihre
Zerlegbarkeit oder Unzerlegbarkeit zu sagen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Zerlegbarkeit und
Primzahlen
Beispiele
88
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
Nach Definition gilt: Jede natürliche Zahl n > 1 ist Primzahl oder
zerlegbar. Intuitiv erscheint einem auch folgende Aussage klar: Jede
natürliche Zahl n > 1 ist Primzahl oder als Produkt von Primzahlen
darstellbar. Denn so lange eine Zahl zerlegbar ist, zerlegt man eben
weiter, und irgendwann kommt man zu einem Ende. Was hier steht,
ist aber nicht selbstverständlich, und überdies für richtig grosse Zahlen
auch nicht mehr per Hand (oder per Computer) zu verifzieren. Wir
brauchen also einen Beweis, und dieser Beweis beruht seinerseits auf
einer weiteren fundamentalen Eigenschaft der natürlichen Zahlen. Sie
kennen sie schon aus der Diskussion zu Beginn.
Wohlordnung von
N
Probleme und
Anwendungen
Jede nichtleere Teilmenge von N besitzt ein kleinstes Element.
Das sieht harmlos aus, aber es hat Folgen. Zunächst lässt sich damit beweisen, dass jede natürliche Zahl n > 1 Primzahl oder als Produkt von
Primzahlen darstellbar ist. Die Beweistechnik nennt man auch ”Jagd
nach dem kleinsten Verbrecher”. Nehmen Sie an, dass es natürliche
Zahlen > 1 gibt, für die die Behauptung nicht zutrifft, und nennen
Sie die Menge dieser Zahlen M. Nach Annahme ist M 6= ∅. Also
besitzt M ein kleinstes Element; nennen wir es a. Dann ist a > 1, und
a ist keine Primzahl (sonst wäre ja a 6∈ M). Also ist a zerlegbar, somit
a = b · c mit natürlichen Zahlen b > 1 und c > 1. Weil b 6∈ M und
c 6∈ M, ist b Primzahl oder als Produkt von Primzahlen darstellbar,
analog für c. Aber dann ist b · c als Produkt von Primzahlen darstellbar;
Widerspruch!
1. Schreiben Sie den oben skizzierten Beweis im Detail auf und begründen Sie alle Schritte.
2. Wie sieht es mit der Eindeutigkeit der Darstellung aus? (Wenn Sie
diese Frage nicht abschliessend beantworten können, ist das ok.)
Wir wollen nun die Wohlordnungseigenschaft von N noch für eine
weitere Charakterisierung benutzen.
Das
Induktionsprinzip
Es sei M eine Teilmenge von N mit folgenden Eigenschaften:
(i) 1 ∈ M.
(ii) Für alle n ∈ M gilt auch n + 1 ∈ M.
Dann gilt M = N.
Um dies zu begründen, nehmen wir an, dass M 6= N, also A := N \
M 6= ∅. Dann besitzt A nach dem Wohlordnungsprinzip ein kleinstes
Element a. Wegen (i) ist a 6= 1, also existiert b := a − 1 ∈ N \ A = M.
Aber dann ist wegen (ii) auch
a = b+1 ∈ M
und dies ist ein Widerspruch.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
1. Gehen Sie alle Schritte in diesem Beweis genau durch, und identifizieren Sie die Eigenschaften von N, die Sie benutzen.
89
Probleme und
Anwendungen
2. Es gibt folgende Variante des Induktionsprinzips: Vorgegeben ist
eine natürliche Zahl a, und M ⊆ N habe folgende Eigenschaften:
(i) a ∈ M.
(ii) Für alle n ∈ M gilt auch n + 1 ∈ M.
Dann gilt M ⊆ { x ∈ N; x > a}.
Beweis!
Wir wollen jetzt auch den Begriff der Teilbarkeit von N auf Z übertragen.
Teiler und Vielfache
Eine ganze Zahl m heisst Teiler der ganzen Zahl n (in Zeichen:
m|n), wenn es ein b ∈ Z gibt, so dass m · b = n.
Man sagt dann auch, n sei (ganzzahliges Vielfaches von m.
Für die Teilbarkeit lassen sich wiederum Regeln aufstellen und
nachweisen. Sind k, m, n ∈ Z, so gilt
Teilbarkeit in Z
m|n und m|k ⇒ m|(n + k )
m|n und n|k ⇒ m|k
m|n und n|m ⇒ m = n
(a) Für jede ganze Zahl n gilt:
n|0 und 1|n und (−1)|n.
Beispiele
(b) Eine vollständige List der ganzzahligen Teiler von 6 ist wie folgt:
−6, −3, −2, −1, 1 − 2, 3, 6.
1. Beweisen Sie die Regeln für Teilbarkeit im Kasten.
2. Vergleichen Sie mit den Regeln für Teilbarkeit in N. Ist etwas hinzugekommen oder weggefallen?
3. Gemeine Frage: In welcher Form könnte man den Begriff einer
zerlegbaren Zahl bzw. einer Primzahl in Z einführen? Warum sollte
man 0, 1 und −1 hierbei aussen vor lassen? In welcher Weise kann
man dann von einer multiplikativen Zerlegung ganzer Zahlen in
Primzahlen sprechen?
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Probleme und
Anwendungen
90
Division mit Rest
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
Bekanntlich lässt sich die Division in N oder N0 nicht uneingeschränkt
ausführen, selbst wenn man auf den ohnehin hoffnungslosen Versuch
verzichtet, durch 0 zu dividieren. Aber man kann ”mit Rest” dividieren. Wir sagen erst mal, was das genau heisst.
Division mit Rest in N0 :
Sind Zahlen a ∈ N0 und b ∈ N gegeben, so gibt es eindeutig
bestimmte q ∈ N0 und r ∈ N0 derart, dass
(i) a = q · b + r
(ii) r < b.
Ihnen ist das (jedenfalls für a, b ∈ N) vielleicht eher in der Form
a
= q, Rest r
b
bekannt. Wir benutzen in der Regel die im Kasten eingeführte Schreibweise.
Man sollte die Aussage natürlich beweisen, und das wollen wir tun.
Falls a < b, wähle q = 0 und r = a, und für a = b geht q = 1 und
r = 0. Im Fall a > b betrachte
M := { a − s · b; s ∈ N} ∩ N0
Nach Konstruktion ist M ⊆ N und wegen a − b = a − 1 · b ∈ M ist
M nicht leer. Also besitzt M ein kleinstes Element, das wir r nennen:
Falls 0 ∈ M, ist dies klar, ansonsten haben wir die Wohlordnungseigenschaft. Nach Definition von M gibt es ein q ∈ N derart, dass
a = q · b + r. Zu zeigen ist noch, dass r < b. Aber die Annahme r > b
führt auf
a = ( q + 1) · b + (r − b )
und r − b ∈ M ist kleiner als r; Widerspruch! Damit ist die Existenz
im betrachteten Fall a > 0, b > 0 nachgewiesen. Allgemein beweist
man sie analog, mit einer geeigneten Definition von M.
Aber es wird auch Eindeutigkeit behauptet, und somit muss diese
bewiesen werden. Wir nehmen an, dass die Eindeutigkeitsaussage
nicht wahr ist. Dann gibt es ganze a, b, q1 , r1 , q2 , r2 mit b 6= 0 und
a = q1 · b + r1 ;
a = q2 · b + r2 ;
0 6 r1 < | b |
0 6 r2 < | b |
und die Differenz dieser beiden ergibt
0 = ( q1 − q2 ) · b + (r1 − r2 ).
Falls r1 = r2 , folgt sofort q1 = q2 aus der Kürzungsregel. Falls r1 6= r2 ,
können wir (nach evtl. Umnumerieren) annehmen, dass r1 > r2 , also
auch 0 < r1 − r2 < |b|. Es folgt dann in N:
| q1 − q2 | · | b | = r1 − r2 .
Dies ist ein Widerspruch.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
91
Für die Division mit Rest bei natürlichen Zahlen kennen Sie das Rechenverfahren (hoffentlich) schon aus der Mittelstufe. Wir wiederholen
es nochmal, oder?
Beispiele
(a) 91 = 8 · 11 + 3
(b) 49357 = 4 · 10897 + 5769
(c) −7 = (−3) · 3 + 2
Übungsaufgaben
1. Nachrechnen der Beispiele.
Division mit Rest ermöglicht es, gemeinsame Teiler von zwei ganzen
Zahlen a und b zu finden, also ganze Zahlen d mit d| a und d|b. Die
grundlegende Beobachtung ist wie folgt:
Gemeinsame Teiler
Division mit Rest und gemeinsame Teiler:
Es seien a und b 6= 0 ganze Zahlen sowie q, r ∈ Z mit
a = q · b + r,
0 6 r < | b |.
Ist d ∈ Z ein gemeinsamer Teiler von a und b, so ist d auch Teiler
von r. Falls r = 0, ist b Teiler von a.
Weil r < |b|, ist das Bestimmen von Teilern von r vermutlich angenehmer als für b. Aber das Verfahren lässt sich auch noch fortsetzen:
chliesslich ist d nun ein gemeinsamer Teiler von b und r, und nach
Division mit Rest hat man
b = q∗ · r + r ∗ ,
0 6 r ∗ < r,
wobei wiederum d Teiler von r ∗ ist. Und so weiter.
Wir hatten weiter oben die Zahl 49357 durch die Zahl 10897 mit Rest
dividiert:
49357 = 4 · 10897 + 5769.
Im nächsten Schritt wird 10897 durch den Rest 5769 dividiert:
10897 = 1 · 5769 + 5128.
Und weiter:
5769 = 1 · 5128 + 641
5128 = 8 · 641 + 0
Wir haben damit den gemeinsamen Teiler 641 der Zahlen 49357 und
10897 gefunden. Denn 641|5128 (letzte Division). Weil 641 beide Summanden rechts in der vorletzten Gleichung teilt, teilt 641 auch 5769.
Die zweite Gleichung (mit dem selben Argument) ergibt, dass 641
Teiler von 10897 ist. Und die erste Gleichung liefert schliesslich, dass
641 auch Teiler von 49357 ist. Ausserdem ergibt sich: Ist d irgendein
gemeinsamer Teiler von 49357 und 10897, so ist d auch ein Teiler von
641. Somit ist 641 ein grösster gemeinsamer Teiler der beiden Zahlen.
MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher
Beispiele
92
Übungsaufgaben
Kapitel 9 Natürliche Zahlen
Bestimme ggt von 1001 und 377. Oder so.
Bestimme ggt von 641 und 75. Oder so.
Probleme und
Anwendungen
Exkurs
Was heisst eigentlich ”undsoweiter” bei der Beschreibung des Verfahrens? Können Sie das präziser fassen. Und können Sie begründen,
warum es nicht ewig ”undsoweiter” gehen kann?
Euklids Algorithmus
Eine (grosse) natürliche Zahl n > 1 in Primzahlen zu zerlegen,
ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussehen mag:
Wenn die Zahl einige hundert Stellen hat (und einige offensichtliche Tests nicht klappen), ist das auch mit Einsatz von Hochleistungsrechnern nicht machbar. Das ist die Grundlage für einige
gebräuchliche Verschlüsselungsverfahren. Demgegenüber (und
auch diese Tatsache ist für die Verschlüsselungsverfahren wichtig)
ist es relativ einfach, zu zwei (grossen) natürlichen Zahlen n und
m einen grössten gemeinsamen Teiler zu berechnen: Man führt
fortgesetzte Division mit Rest durch, wie Sie es oben an Beispielen
schon gesehen haben. Dieses Verfahren geht auf Euklid zurück,
der wo schon irgendwo ein Hundling war.
Euklid
(vermutlich)
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93
Kapitel 10
Induktion und Rekursion
Und mal wieder treffen sich Mathefan und Nervmath:
MF: Nach unserem letzten Gespräch hatte ich den Eindruck, dass Sie
ein kleines bisschen genervt waren. Darf ich Ihnen als Wiedergutmachung diesen tollen kleinen MP3-Player schenken?
NM: Danke! Dass Sie wenigstens manchmal humane Züge aufweisen,
ist ja doch erfreulich.
MF: Den MP3-Player schenke ich Ihnen natürlich auch, weil im Prinzip
da ja irre viel Mathe drin steckt, so mit Datenkompression und alles.
Da sieht man doch mal, was man an Mathe hat.
NM: Ok, diesen Hintergedanken verzeihe ich Ihnen einfach. Ich probier
das Gerät einfach mal aus . . . . . . äh, wie schaltet man das Teil denn
an?
MF: Hier ist auch noch die Bedienungsanleitung. Der Hersteller hat
sich damit echt Mühe gegeben. Die Anleitung ist sehr ausführlich und
logisch aufgebaut, und auch sehr übersichtlich.
NM: Ausführlich ohne Zweifel, das Ding hat Hunderte von Seiten.
Aber übersichtlich? Ich will doch nur wissen, wie ich das Gerät anschalten kann.
MF: Da sollten Sie erst mal auf die FAQ-Seite schauen. Die liefert
schnelle Abhilfe bei häufig auftretenden Problemen.
NM: Mal sehen. . .. Ach ja, da ist es : ”Einschalten” siehe Seite 276.
Dann blättern wir da mal hin.
MF: Hab ich es nicht gesagt? Übersichtlich!
NM: Aber was steht denn da auf Seite 276?! ”Führen Sie zunächst den
auf Seite 275 beschriebenen Zustand des Gerätes her. Anschliessend spletzen
Sie den Spronx. . .”
MF: Habe ich es nicht gesagt? Logisch im Aufbau!
NM: Ja ja, ist ja gut. Also blättern wir zurück nach Seite 275 und sehen
da nach: ”Führen Sie zunächst den auf Seite 274 beschriebenen Zustand
des Gerätes her. Dann verschippeln Sie die. . . Also, bevor ich überhaupt
Einstieg
94
Kapitel 10 Induktion und Rekursion
was tun kann, muss ich wieder eine Seite zurück und da nachsehen:
”Führen Sie zunächst den auf Seite 273 beschriebenen Zustand des Gerätes
her. Dann. . ..
MF: Toll, diese systematische Herangehensweise, oder?
NM: Systematisch? Eher eine Reise nach Nirgendwo. Wenn ich auf
Seite 273 nachgucke, werde ich nach Seite 272 geschickt; von Seite
272 geht es weiter nach 271 und dann nach 270, nach 269 und immer
dieser dumme Spruch, dass man zunächst den auf der vorigen Seite
beschriebenen Zustand des Geräts herbei führen soll.
MF: Ja, wie gesagt, die Firma hat sich mit der neuen Gestaltung der
Bedienungsanleitung sehr viel Mühe gegeben, nachdem sie früher
immer wegen unvollständiger und konfuser Informationen kritisiert
wurde. Jetzt ist alles klar aufeinander aufgebaut und nachvollziehbar.
Mathematiker sprechen hier übrigens von einem rekursiven Verfahren: Man baut sozusagen Stück für Stück auf den vorangegangenen
Schritten auf. Das ist allgemein eine sehr nützliche Herangehensweise.
NM: Nützlich? Meine Nerven sagen was anderes! Ich will doch nur
diesen blöden MP3-Player einschalten. Das nimmt ja ewig kein Ende
mit dieser Anleitung!
MF: Hier muss ich Ihnen widersprechen! Natürlich nimmt das ein
Ende! Haben Sie denn schon die Wohlordnungseigenschaft der natürlichen Zahlen vergessen?
NM (seufzt tief, sieht MF lange an, seufzt noch tiefer): Mein Lieber! Wenn
Sie das nächste Mal jemandem was schenken, schenken Sie es dann
jemand Anderem? Bitte!
Induktion als
Beweisprinzip
Sie kennen das Induktionsprinzip schon als eine Aussage über Teilmengen von N. Genau wegen dieser Eigenschaft kann man daraus ein
Beweisverfahren erhalten.
Beweis per Induktion:
Für jede natürliche Zahl n sei eine Aussage An gegeben, und es
gelte:
(i) A1 ist wahr.
(ii) Für jedes n ∈ N ist An+1 wahr, wenn An wahr ist.
Dann sind alle Aussagen An wahr.
Genauer spricht man hier von vollständiger Induktion.
Probleme und
Anwendungen
1. Können Sie das mit Hilfe des Induktionsprinzips für Mengen begründen?
2. Steht bei diesem Beweisverfahren nicht eigentlich sowas wie: "Wenn
alle An wahr sind, dann sind alle An wahr"? (Hoffentlich nicht, aber
warum nicht?)
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Kapitel 10 Induktion und Rekursion
Für alle n ∈ N gilt An : 5 | 6n − 1.
Beweis mit vollständiger Induktion:
(i) A1 : 5 | 61 − 1 = 6 − 1 ist wahr.
(ii) Angenommen, An sei wahr für in n ∈ N. Dann ist
95
Beispiel
6n +1 − 1 = (6n +1 − 6n ) + (6n − 1 ) = ( 6 − 1 ) · 6n + (6n − 1 ) = 5 · 6n + (6n − 1 ).
Nun ist 5 Teiler von 5 · 6n , und nach Voraussetzung ist An wahr, also 5
auch Teiler von 6n+1 − 1. Somit ist An+1 wahr.
Kommentar: Natürlich ist das schon die geglättete Form des Beweises.
Der Denkprozess läuft anders, vielleicht so: ”Ich will die Aussage
An+1 : 5 | 6n+1 − 1 beweisen, wobei ich die Wahrheit von An voraussetzen darf (und vermutlich soll). Es ist also vielleicht einen Versuch
wert, den Term in An+1 so umzubauen, dass 6n − 1 darin vorkommt.
Das kriege ich hin, wenn ich 6n subtrahiere und dann wieder addiere.
Und kann ich dann irgendwas sehen?” Automatischer Erfolg ist dabei
natürlich nie gesichert. Aber man kriegt mit der Zeit ein Gefühl für
das Ganze.
Beweisen Sie mit vollständiger Induktion:
Übungsaufgaben
(a) Für alle n ∈ N ist An : 5 | 7n − 2n wahr.
(b) Für alle n ∈ N gilt Bn : 3 | n + (n + 1) + (n + 2).
(Das geht natürlich auch ohne Induktion. Wie? Nicht jede Menge von
Aussagen An muss zwangsläufig mit Induktion bewiesen werden.
Für jede Menge M mit genau n Elementen gibt es genau 2n Abbildungen von M in die Menge {0, 1}.
Diese Aussage Bn beweisen wir mit vollständiger Induktion:
(i) B1 ist wahr, denn ist | M| = 1 und x das einzige Element von M,
dann existiert genau eine Abbildung, die x nach 0 schickt, und genau
eine Abbildung, welche x nach 1 schickt. Insgesamt gibt es also genau
zwei Abbildungen von M nach {0, 1}.
(ii) Es sei nun vorausgesetzt, dass Bn wahr ist. Wir beweisen Bn+1 .
Ist | M | = n + 1 und a ∈ M ein (beliebiges, aber im Folgenden fest
gewähltes) Element, so hat M0 : M \ { a} genau n Elemente. Eine
Abbildung f von M nach {0, 1} ist eindeutig festgelegt durch ihre
Einschränkung f | M0 (also die Bilder der Elemente von M0 und durch
f ( a). Wegen f ( a) ∈ {0, 1} gibt es nun zu jeder Abbildung g : M \
{ a} → {0, 1} genau zwei Abbildungen von M nach {0, 1}, deren
Restriktion g ist. Somit gibt es genau doppelt so viele Abbildungen
von M nach {0, 1} wie es Abbildungen von M0 nach {0, 1} gibt. Weil
Bn wahr ist, gibt es 2n von den letzteren. Mit 2 · 2n = 2n+1 folgt, dass
Bn+1 wahr ist.
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Beispiel
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Kapitel 10 Induktion und Rekursion
Beispiel
Für alle n ∈ N und alle reellen x mit x > −1 gilt die BernoulliUngleichung
(1 + x )n > 1 + nx
Beispiel
Für alle n ∈ N gilt Cn : 7 | 3 + 7n . Das ist offensichtlich nicht richtig: 7
ist kein Teiler von 10, also ist schon C1 falsch.
Aber wenn man annimmt, dass Ck richtig ist für ein k, dann ist folgt
daraus die Richtigkeit von Ck+1 .
Rekursion als Konstruktionsprinzip
Ist M eine Menge, so wird zur Definition einer Abbildung f : N → M
gelegentlich eine rekursive Vorschrift verwendet. Salopp gesagt, legt
man f (1) fest und gibt dann für jedes n eine Vorschrift an, wie f (n + 1)
aus f (n) zu bestimmen ist. Formal gesprochen:
Der Rekursionssatz:
Gegeben sei eine nichtleere Menge M und weiter für jedes n ∈ N
eine Abbildung gn : M → M. Dann gibt es zu jedem b ∈ M genau
eine Abbildung f : M → M derart, dass
f (1) = b und f (n + 1) = gn ( f (n)) für alle n ∈ N.
Exkurs
Beispiele
Rekursion und Induktion
Man ist versucht, die Aussage des Rekursionssatzes mit Induktion
zu beweisen: Benötigt wird eine Vorschrift für f . Aber die hat
man ja aus den gegebenen Informationen: f (1) = b ist festgelegt
und wenn man f (n) kennt, liefert einem die angegebene Regel
eine Vorschrift für f (n + 1).
So einfach ist es leider nicht, und im wesentlichen liegt das an
dem eher verwaschenen Begriff von Abbildung, den wir als Arbeitsdefinition eingeführt haben: Was ist eine "Vorschrift", und
was heisst das überhaupt? Nach
welcher "Vorschrift"bestimmt
√
√
2
man 2, oder weitergehend 2 ? Da ist sicher nicht gemeint, dass
man in endlich vielen Rechenschritten zu einem Wert kommt.
Es ist möglich, eine ßaubere"Definition einer Abbildung von einer
Menge A in eine Menge B zu geben (als Teilmenge des kartesischen Produkts A × B mit gewissen Eigenschaften), aber auf Grund
dieser Definition ist ein Beweis des Rekursionssatzes nicht mehr
ganz selbstverständlich.
Die Beispiele sind teilweise alte Bekannte für Sie.
1. Potenzen einer reellen Zahl: Ist a ∈ R gegeben, so gibt es genau
eine Abbildung p : N → R so, dass
p(1) = a und p(n + 1) = a · p(n),
n ∈ N.
Hier ist gn ( x ) = a · x für alle n. Natürlich erkennen Sie die (positiven
ganzzahligen) Potenzen von a wieder: p(n) = an für alle n. Man
kann sie also ördentlich"per Rekursion definieren.
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Kapitel 10 Induktion und Rekursion
97
2. Fakultät: Es gibt genau eine Abbildung h : N → N derart, dass
h(1) = 1 und h(n + 1) = (n + 1) · h(n) für alle natürlichen Zahlen
n. Dies folgt aus dem Rekursionssatz mit gn : N → N, gn ( x ) =
(n + 1) · x. Man schreibt üblicherweise h(n) = n! ("n Fakultät").
3. Eine rekursiv definierte Folge: Für alle n ∈ N sei
gn : (0, ∞) → (0, ∞) , x 7→
1
( x + 2/x )
2
Nach dem Rekursionssatz gibt es zu jedem b > 0 genau eine Abbildung a : N → (0, ∞) mit der Eigenschaft
a(1) = b,
a ( n + 1) =
1
( a(n) + 2/a(n)) .
2
Man schreibt hier bekanntlich oft auch an statt a(n).
Ist eine Folge reeller Zahlen ak , k ∈ N gegeben, so definiert man
rekursiv den Ausdruck
n
sn :=
Das
Summenzeichen
∑ ak
k =1
durch
s1 : = a1 ,
s n +1 : = s n + a n +1
beziehungsweise
n +1
1
∑
∑
a k : = a1 ,
k =1
n
ak :=
k =1
∑ a k + a n +1
k =1
Salopp schreibt man auch
n
∑ a k = a1 + · · · + a n ,
k =1
wobei die Punkte andeuten, dass die Summe über alle Folgenglieder
mit Indizes von 1 bis n zu nehmen ist.
Man kann sich erst mal fragen, ob die rekursive Definition der Summe
oben nicht etwas übertrieben ist. Aber sie ist z.B. nützlich, wenn man
Aussagen über Summen mit Induktion beweisen will.
1. Für alle n ∈ N gilt
n
∑k=
k =1
n ( n + 1)
.
2
2. Für alle reellen Zahlen q, q 6= 1 und für alle n ∈ N gilt
n
∑ qk =
k =1
q − q n +1
1−q
Dieses Kapitel ist noch unvollständig.
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Beispiele
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