Mathe Plus Aa Chen M P A C Schülerarbeitsheft GRUNDLAGENKURS Erhard Cramer, Johanna Heitzer, Gudrun Henn, Christa Polaczek, Sebastian Walcher GRUNDLAGENKURS Erhard Cramer, Johanna Heitzer, Gudrun Henn, Christa Polaczek, Sebastian Walcher Prof. Dr. Sebastian Walcher Lehrstuhl A für Mathematik RWTH Aachen E-Mail: [email protected] Mathe Plus AaChen (MPAC) ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird. Diese Unterlagen befinden sich noch in der Erarbeitung und sind nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Erlaubt ist eine Vervielfältigung zur Nutzung im Unterricht bei der Endversion, die Anfang 2011 im Netz hinterlegt wird unter: http://www.matha.rwthaachen.de:8062/ © S. Walcher, Aachen, Mai 2011 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte 1 2 3 4 5 Aussagen und Wahrheitswerte Einführung . . . . . . . . . . . . . Begriff der Aussage . . . . . . . . Exkurs: Zum Begriff der Aussage Wahrheitswerttafel . . . . . . . . Operationen mit Aussagen Einführung . . . . . . . . . . . Negation einer Aussage . . . Disjunktion und Konjunktion Subjunktion und Bijunktion . Äquivalenz . . . . . . . . . . . Tautologie und Kontradiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regeln und Normalform Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Satz über die disjunkte Normalform . . . Die McCluskey-Methode . . . . . . . . . . Exkurs: Zur Lösung des Massenproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mengen: Grundbegriffe und Schreibweisen . . . . . . . . . . Gleichheit von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Echte) Teilmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mächtigkeit einer Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Mengen zur Beschreibung von Zufallsexperimenten Quantoren in der Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Aussageformen mit mehreren Variablen . . . . . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mengenlehre: Regeln Einführung: Verknüpfung von Mengen . . . . . . . . . . . Vereinigungsmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schnittmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenz und Komplement von Mengen . . . . . . . . . . Kartesisches Produkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Anwendung aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung . . . . . . . . . . 9 9 10 11 12 . . . . . . 15 15 15 17 20 22 23 . . . . 25 25 28 28 29 . . . . . . . . . 31 31 33 35 36 36 38 39 41 42 . . . . . . 45 45 45 46 47 48 50 6 Inhaltsverzeichnis Einführung: Regeln für Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Assoziativ-, Kommutativ-, Distributiv-, Idempotenzgesetze . 52 Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6 7 8 9 Anwendung: Gleichungslehre Einführung . . . . . . . . . . . . . . Aussageformen (z.B. Gleichungen) Äquivalenz von Aussageformen . Folgerung bei Aussageformen . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 59 59 61 64 66 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe Einführende Beispiele . . . . . . . . . . . . . Relationen, Zuordnungen und Funktionen . Wichtige Funktionstypen . . . . . . . . . . . . Verknüpfungen von Funktionen . . . . . . . Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . Funktionen mit Parametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 70 71 72 73 74 75 Abbildungen: Anwendungen Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinatorik: Abzählen von Mengen . . Beschreibung von Mengen im R2 und R3 Funktionenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 78 79 80 81 Natürliche Zahlen Einstieg . . . . . . . . . . . . . . Die Zahlbereiche N und N0 . . Exkurs . . . . . . . . . . . . . . Teilbarkeit in N . . . . . . . . . Zerlegbarkeit und Primzahlen . Wohlordnung von N . . . . . . Das Induktionsprinzip . . . . . Teilbarkeit in Z . . . . . . . . . Division mit Rest . . . . . . . . Gemeinsame Teiler . . . . . . . Exkurs: Euklids Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 83 85 85 87 87 88 88 89 90 91 92 . . . . . 93 93 94 96 96 97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Induktion und Rekursion Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . Induktion als Beweisprinzip . . . . . Rekursion als Konstruktionsprinzip Exkurs: Rekursion und Induktion . Das Summenzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte MathePlus ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird. Was ist MathePlus? Die Initiative ist entstanden, weil der reguläre Mathematikunterricht, durch Curriculumsreformen bedingt, in immer geringerem Maß auf die Mathematikanforderungen in vielen Studienfächern, insbesondere in MINT-Fächern, vorbereitet. MathePlus will hier Akzente setzen und den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern Wissen und Können vermitteln, das den Einstieg in solche Studiengänge erleichtert. Warum MathePlus? MathePlus ist ein zusätzliches Unterrichtsangebot für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II, das von teilnehmenden Schulen in Kooperation mit der FH Aachen und der RWTH Aachen entwickelt und durchgeführt wird. MathePlus kann und soll den regulären Mathematikunterricht nicht ersetzen und kann und soll auch nicht als vertiefendes Angebot für die Abiturvorbereitung dienen. Vielmehr werden mathematische Strukturen und Anwendungsbereiche präsentiert, die im regulären Unterricht keinen Platz finden, für ein MINT-Studium oder andere mathematikhaltige Studiengänge aber sehr nützlich und wichtig sind. Den Schülern und Schülerinnen sollen über einen frühzeitigen Kontakt mit mathematischen Strukturen mögliche Ängste vor Abstraktem genommen werden. Über geeignete Inhalte und Aufgabenstellungen soll die Freude am logischen Denken geweckt werden. Auch echte und relevante Anwendungen der Mathematik sind Thema. Material zum Download finden Sie (nach Registrierung) unter dem Punkt »Materialien«. Grundsätzlich stellen die Autoren Texte und Aufgaben allen Interessierten zur Verfügung (einzige Voraussetzung ist eine Registrierung). Einsetzbar sind diese Materialien zum Beispiel im Wahlunterricht, insbesondere im künftig vorgesehenen Projektunterricht. Die Unterrichtseinheiten (Lehrtexte und Aufgaben) sind konzipiert für ein Halbjahr mit 2 Wochenstunden; sie bauen aufeinander auf. Einsetzbarkeit 8 Schülerarbeitshefte Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte Die Schülerarbeitshefte sind als Unterrichtsgrundlage konzipiert, mit deren Hilfe sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbständig in das Thema einarbeiten können. Sie beginnen mit einer Einführung in das übergeordnete Thema und einem Überblick über die nötigen Vorkenntnisse. Am Ende stehen eine Zusammenfassung und übergeordnete Aufgaben zum Thema. Die Teilkapitel enthalten Einführungen und Einführungsaufgaben, Basiswissen, Beispiele, einfache Übungsaufgaben, komplexere Aufgaben, Anwendungen und Probleme sowie Zusammenfassungen des jeweiligen Themengebiets. Neben diesem »roten Faden« gibt es (am Rand) auch historische und sonstige Anmerkungen, Tipps und Hilfen sowie Merkkästen. Jedes Heft sollte bei zwei Wochenstunden etwa die Grundlage für ein Schulhalbjahr bilden. Die Themen der bisher geplanten beziehungsweise erschienenen MathePlus Schülerarbeitshefte sind: Themen • Grundlagen • Folgen und Reihen • Komplexe Zahlen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 9 Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte Im Folgenden geht es um Aussagen und den Umgang mit Ihnen. Eine wesentliche Erkenntnis ist: Man kann etwas über die Verknüpfung von Aussagen herausfinden, ohne die Aussagen zu verstehen oder über ihre Wahrheitswerte entscheiden zu können. Es geht weniger um die Objekte als um die Beziehungen zwischen ihnen. 1. Sie sitzen in einem fremden Land in einem Cafe und hören am Nebentisch folgende Unterhaltungsfetzen mit: • Alle Gldymix sind ja schließlich Swlabr. • Beim Schürbeln haben wir auch schon wieder verloren. • Aber Grmpf ist doch nicht flemp. • Wir brauchen einfach einen neuen Xlydimac. • Die Swlabr sind doch alle flemp. • Was soll ein neuer Xlydimac, wenn wir einen nach dem anderen reingschürbelt kriegen? • Grmpf hat immer betont, dass er gerne ein Gldymix ist. Ihre Kenntnisse der Landessprache sind ersichtlich begrenzt. Trotzdem merken Sie auf und sind sicher, dass etwas nicht stimmen kann. Warum? 2. Eine Lampe brennt, wenn die Stellungen dreier Schalter S1, S2 und S3 die folgenden Bedingungen erfüllen: Wenn der Schalte S3 angeschaltet ist, muss Schalter S1 ausgeschaltet sein. Die Schalter S2 und S3 müssen entgegengesetzt geschaltet werden. Wird S1 ausgeschaltet, so muss S2 eingeschaltet sein. S1 und S2 dürfen nicht gleichzeitig eingeschaltet sein. Bei welchen Schalterstellungen brennt die Lampe? (Tipp: Führen Sie die Aussage A1 „Schalter A1 ist eingeschaltet“ und entsprechende Aussagen A2, A3 ein. Spielen Sie dann in einer Tabelle alle Möglichkeiten durch und entscheiden jeweils, ob die Bedingungen erfüllt sind.) Einführung 10 Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte Aussagen sollen im folgenden als mathematische Objekte betrachtet werden. Dabei wird es vorwiegend darum gehen, aus vorgegebenen elementaren Aussagen neue Aussagen zusammenzusetzen. Uns interessiert dann vor allem der Wahrheitswert einer zusammengesetzten Aussage, wenn wir die Wahrheitswerte der vorgegebenen Elementaraussagen kennen. Wir führen damit eine Art „Rechnen mit Aussagen“ ein. Begriff der Aussage Beispiele Arbeitsdefinition: Eine Aussage A ist eine Behauptung, der auf eindeutige Weise (sinnvoll) ein Wahrheitswert w (wahr) oder f (falsch) zugeordnet werden kann. (1) „Ober, noch ein Bier!“, „Ach Mensch, ausgerechnet jetzt!“ und R9 „ 3 (7x − π ) dx “ sind keine Aussagen: Man kann nicht sinnvoll über einen Wahrheitswert entscheiden. (2) „Herr Müller ist nicht der Cleverste.“, „Der Pluto ist ein Planet unseres Sonnensystems.“ und „ 4!+11 = 35 “ sind Aussagen, da man (zumindest prinzipiell) über den Wahrheitswert entscheiden kann. (3) Für einen Schalter können wir die elementare Aussage A formulieren: Der Schalter ist eingeschaltet. Ist A wahr, so ist der Schalter tatsächlich eingeschaltet, ist A falsch, so steht der Schalter auf „aus“. (4) In diesem Beispiel sei die Aussage B gegeben: Die Autobahnabfahrt A1 und A2 liegen auf derselben Autobahn. Ist die Aussage B wahr, so können Sie von der Abfahrt A1 zur Abfahrt A2 über eine Autobahn fahren. Ist die Aussage B falsch, so müssen Sie wenigstens die Autobahn wechseln, um von der Abfahrt A1 zur Abfahrt A2 zu gelangen. Es könnte sogar sein, dass dieser Weg Sie über Landstraßen führt. Fermatsche Vermutung (5) „Allemannia Aachen ist der beste Verein von allen.“ ist eine Aussage, auch wenn ihr sicher nicht alle Menschen den gleichen Wahrheitswert zuordnen würden. „Es gibt im Universum einen Planeten, der mit Nuss-Nougat-Creme gefüllt ist.“ ist eine Aussage, auch wenn eine Entscheidung über den Wahrheitswert sichtlich Schwierigkeiten bereitet. „Zu keiner natürlichen Zahl n mit n > 2 gibt es positive ganze Zahlen a, b, c, so dass an + bn = cn gilt. “ ist eine (unglaublich starke) Aussage. Seit etwa 15 Jahren wissen Mathematiker, dass sie wahr ist (Beweis der ’Fermatschen Vermutung’ durch Andrew Wiles). Schon lange zuvor gab es daran allerdings praktisch keinen Zweifel mehr. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte 11 (6) Schließlich sind auch Gleichungen oder Ungleichungen zwischen Zahlen Beispiele für Aussagen: 3 · 4 = 12 (w) 5 + 2 > 12 (f) Gleichungen oder Ungleichungen, in denen noch unbekannte Größen vorkommen, sind jedoch keine Aussagen. Wir können ihren Wahrheitswert nicht angeben. Er hängt von der Belegung der Variablen ab. So wird die Gleichung: x+3 = 7 bei der Belegung x = 4 zu einer wahren Aussage, bei allen anderen Belegungen für x wird die Gleichung zu einer falschen Aussage. Zum Begriff der Aussage Wenn Sie mit der ’Arbeitsdefinition’ von oben nicht so ganz glücklich sind, ist das verständlich: Gerade von der Mathematik erwartet man doch präzise und unmissverständliche Festlegungen! Statt dessen liest man hier eine eher unscharfe Beschreibung, die sichtlich an die Intuition der Leserschaft appelliert. Das ist für die Mathematik aber (leider) nicht mal so untypisch: Man geht von gewissen Grundbegriffen aus, die als „intuitiv klar“ angesehen werden, und errichtet darauf Gedankengebäude. Es ist legitim, auch diese Grundbegriffe weiter klären zu wollen; und daran wird auch gearbeitet. Aber damit begibt man sich bisweilen auf ein Feld, das schwere oder auch noch offene Probleme enthält. Die meisten Menschen, die in oder mit der Mathematik argbeiten, tun dies auf der Basis „intuitiver Grundvorstellungen“. Das soll auch für diesen Kurs die Leitlinie sein. Dennoch wollen wir die Sache noch ein Stück genauer ansehen: Problem: Ist „Diese Aussage ist falsch.“ eine Aussage? Wenn man versucht, ihr einen Wahrheitswert zuzuordnen und zugleich ihren Inhalt berücksichtigt, gerät man in Schwierigkeiten. Das Problem liegt im Grunde darin, dass die ’Aussage’ etwas über sich selbst aussagt. Das ist ein Beispiel für eines der undamentalen Probleme, auf die man beim Versuch einer „ordentlichen Festlegung“ stößt. (Ein weiteres steckt in „Der Barbier von Sevilla rasiert alle Männer von Sevilla, die sich nicht selbst rasieren.“) Unser Modus Operandi: Wir kümmern uns weniger um das Wesen und den Inhalt von Aussagen, als um die Kombination von und die Beziehungen zwischen Aussagen. Dafür entwickeln wir einen „Werkzeugkasten“, der vielfachen Nutzen innerhalb und außerhalb der Mathematik hat. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Exkurs „Der Barbier von Sevilla rasiert alle Männer von Sevilla, die sich nicht selbst rasieren.“ 12 Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte Übungsaufgaben 3. Entscheiden Sie, ob im folgenden Aussagen vorliegen, und falls ja, ob diese Aussagen wahr oder falsch sind. a) Lass mich in Ruhe! c) x2 = 4 ⇔ x = 2 ∨ x = −2 b) Drei Klöße sind zu viel. d) 7 − 2x < 15 4. Entscheiden Sie, ob im folgenden Aussagen vorliegen, und falls ja, ob diese Aussagen wahr oder falsch sind. a) 3 > 7 d) (−2)3 > (−3)2 b) (−4) 6 (−4) e) x2 > 0 c) a2 + b2 = c2 5. Betrachten Sie die Zeichenfolge A: Der Flächeninhalt eines Dreiecks berechnet sich zu F = 12 · g · h. Warum ist A keine Aussage? Ergänzen Sie A so, dass es sich um eine Aussage handelt. 6. In die Felder des folgenden Rechtecks sollen die Zahlen 1, 2 und 3 so eingetragen werden, dass in jeder Zeile und in jeder Spalte jede dieser Zahlen genau einmal vorkommt: Entscheiden Sie, ob die folgende Aussage wahr ist: Auf der grau markierten Diagonalen steht entweder in allen Feldern dieselbe Zahl oder alle drei Zahlen auf dieser Diagonale sind verschieden. Wahrheitswerttafel sollen die Zahlen 1, 2 und 3 so eingetragen werden, dass in jeder Zeile und in jeder Spalte jede dieser Zahlen genau einmal vorkommt. Eine Tabelle, in der für eine endliche Anzahl von Aussagen Kombinationsmöglichkeiten von Wahrheitswerten angegeben werden, heißt Wahrheitswerttafel. A w w f f A w f A w w f f B w f w f C w f w w B w f w f D f n.e. n.e. f (7) Nebenstehend abgebildet sind die Wahrheitswerttafeln für eine Aussage A und für zwei unabhängige Aussagen A und B. Bei einer elektrischen Schaltung würden wir die Wahrheitswerttafel als Auflistung der Kombinationsmöglichkeiten für die Stellungen der vorhandenen Schalter ansehen. (8) Zu den folgenden Aussagen gehört die am Rand abgebildete Wahrheitswertetafel. („n.e.“ steht für „nicht entscheidbar“) A: Claus ist Nichtschwimmer. B: Karl kann schwimmen. C: Unter Claus und Karl ist ein Schwimmer. D: Claus und Karl können genau das gleiche. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 1 Aussagen und Wahrheitswerte 7. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für drei unabhängige Aussagen. 8. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für zwei Aussagen, wenn höchstens eine der beiden Aussagen wahr sein kann. 9. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für drei Aussagen, wenn mindestens eine der Aussagen falsch ist. 10. Erstellen Sie die Wahrheitswerttafel für mehrere Aussagen, die alle verschiedene Wahrheitswerte haben. 11. Eine vollständige Wahrheitswerttafel besitze 16 Zeilen. Wie viele Zeilen besitzt die vollständige Wahrheitswerttafel, wenn eine weitere Aussage ohne Zusatzbedingungen hinzugenommen wird? 12. Wie viele Zeilen besitzt die vollständige Wahrheitswerttafel für n unabhängige Aussagen? 13. Wenn Sie eine Sekunde benötigen, um einen Eintrag in eine Wahrheitswerttafel zu schreiben, wie lange benötigen Sie dann, um eine Wahrheitswerttafel für 10 Aussagen auszufüllen? Welche Zeit brauchen Sie bei 20 Aussagen? 14. Frau Kraus hat drei Tanten: Tante Hedwig, Tante Klara und Tante Trude. Sie lädt ihre Tanten zum Geburtstag ein. Tante Klara und Tante Trude sind zerstritten und werden keinesfalls beide zur Geburtstagsfeier kommen. Tante Klara kommt nur dann, wenn Tante Hedwig auch kommt. Tante Trude und Tante Hedwig kommen immer gemeinsam zu Geburtstagsfeiern. Es ist wenigstens eine der Tanten der Einladung gefolgt. Welche Tanten waren da? MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 13 Übungsaufgaben 15 Kapitel 2 Operationen mit Aussagen In praktischen Problemen setzen wir aus mehreren Elementarkomponenten größere neue Komponenten zusammen. Dies wird in der Aussagenlogik dadurch simuliert, dass wir aus Elementaraussagen neue Aussagen zusammensetzen. Zunächst betrachten wir die Möglichkeiten, aus einer Aussage eine neue Aussage zu formulieren, danach werden wir aus zwei elementaren Aussagen eine neue Aussage bilden. Einführung Wir haben bereits gesehen, dass einer Aussage immer eine „Gegenaussage“ zuzuordnen ist. Betrachten wir die Aussage Einstieg A: Der Schalter ist eingeschaltet. So können wir ihr die Aussage B: Der Schalter ist nicht eingeschaltet. gegenüberstellen. Wenn A wahr ist, so ist B falsch und umgekehrt. Eine der beiden Aussagen muss wahr sein. Durch die Negation wird eine Aussage A in eine Aussage ¬A überführt, die genau den umgekehrten Wahrheitswert wie A besitzt. Sprechweise: non A Die Werte der Aussage ¬A hängen von der Werten der Aussage A ab und werden über die nebenstehende Wahrheitswerttafel definiert. (9) Wir wollen uns im Beispiel direkt anschauen, dass uns die Negation bei der Formulierung und Lösung von Aufgabenstellungen wertvolle Dienste leistet. Dazu wurde eine Aufgabe aus dem Buch (mit dem tatsächlichen Titel) Wie heißt dieses Buch? von Raymond Smullyan ausgewählt: In welchem der folgenden drei markierten Kästchen liegt das erwähnte Bild, wenn höchstens eine der drei aufgedruckten Aussagen wahr ist? Negation einer Aussage A w f ¬A f w Beispiele 16 Kapitel 2 Operationen mit Aussagen Gold Silber Blei Das Bild ist in diesem Kästchen Das Bild ist nicht in diesem Kästchen Das Bild ist nicht in dem goldenen Kästchen Wir müssen entscheiden, welche der drei folgenden Aussagen wahr ist: A: Das Bild ist im goldenen Kästchen B: Das Bild ist im silbernen Kästchen C: Das Bild ist im bleiernen Kästchen Es ist genau eine der drei Aussagen wahr. Die anderen beiden müssen falsch sein. Des weiteren sind auf den Kästchen drei Aussagen aufgedruckt, von denen höchstens eine wahr sein darf: Goldenes Kästchen: A Silbernes Kästchen: ¬ B Bleiernes Kästchen: ¬ A Die Wahrheitswerttafel löst die Aufgabe. Da wir wissen, dass nur eine der Aussagen A, B oder C wahr ist, können wir die Wahrheitswerttafel von vorne herein auf diese Fälle reduzieren. In jedem Fall können wir die Wahrheitswerte der Aussagen bestimmen, die auf den Kästchen aufgedruckt sind. A w f f B f w f C f f w A w f f ¬B w f w ¬A f w f Nur in der zweiten Zeile wird die geforderte Bedingung erfüllt. Die Aussage B ist wahr. Das Bild liegt im silbernen Kästchen. Übungsaufgaben 15. Bilden Sie die Negation der folgenden Aussagen: a) Das Innere des Planeten Uranus besteht aus Vanillepudding. b) 3 > 5 . c) Alle positiven reellen Zahlen x erfüllen die Ungleichung x2 > 0. d) Es gibt ein Dreieck mit zwei rechten Winkeln. 16. Formulieren Sie die Negationen der folgenden Aussagen: A1: Die Schalter S1 und S2 sind beide eingeschaltet. A2: Von den Schaltern S1 und S2 ist einer eingeschaltet und der andere ausgeschaltet. A3: Die Schalter S1 und S2 sind beide ausgeschaltet. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 2 Operationen mit Aussagen 17 A4: Von den Schaltern S1 und S2 ist wenigstens einer eingeschaltet. A5: Der Schalter S1 ist ausgeschaltet oder der Schalter S2 ist eingeschaltet. A6: Wenn S2 ausgeschaltet ist, dann ist S1 eingeschaltet. Um interessantere Fragestellungen zu behandeln, benötigen wir die Möglichkeit, Aussagen zusammenzusetzen. Wichtig ist, dass dabei eine neue Aussage gebildet wird. Der Wahrheitswert der zusammengesetzten Aussage kann wie bei allen Aussagen zwei Werte w oder f annehmen. Es gilt lediglich, dass ihr Wahrheitswert von den Wahrheitswerten der Elementaraussagen abhängt. Die Disjunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A ∨ B zu. Sprechweise: A oder B. Erläuterung Disjunktion und Konjunktion Die Konjunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A ∧ B zu. Sprechweise: A und B. Die Wahrheitswerte der neuen Aussagen werden über die folgenden Wahrheitswerttafeln definiert. Disjunktion A w w f f B w f w f Konjunktion A∨B w w w f A w w f f B w f w f A∧B w f f f (10) Die beiden wichtigsten Verknüpfungen für zwei Aussagen spiegeln genau die Funktionsweisen einer Parallelschaltung und einer Reihenschaltung von Komponenten wider. Bei der Parallelschaltung funktioniert das gesamte System, wenn wenigstens eine der Komponenten in der Parallelschaltung funktioniert. Dem entspricht die aussagenlogische Verknüpfung der Disjunktion. Bei der Reihenschaltung funktioniert das gesamte System nur dann, wenn beide Komponenten in der Reihenschaltung funktionieren. Dem entspricht die aussagenlogische Verknüpfung der Konjunktion. Auch in der Umgangssprache begegnen wir täglich Aussagen: „Draußen scheint die Sonne.“, „Ich gehe gleich einkaufen.“, „Sie erhalten 3% Rabatt.“ Im Alltag gehen wir vorwiegend davon aus, dass eine Aussage wahr ist. Ansonsten handelt es sich um eine Lüge. (11) Wir begegnen auch in der Sprache vielen Aussagen, die durch Verknüpfung elementarer Aussagen mit den Worten „und“ beziehungsweise „oder“ entstehen. Dabei unterscheidet sich die Verbindung MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiele 18 Kapitel 2 Operationen mit Aussagen zweier Aussagen mit „und“ im Sprachgebrauch nicht von unserer mathematischen Definition. So wird zum Beispiel die Gesamtaussage „Wir gehen heute ins Kino und danach gehen wir ins Restaurant.“ als richtig empfunden, wenn beide Komponenten zutreffend sind. Beim „oder“ verhält es sich jedoch anders. Verbinden wir im Alltag zwei Aussagen mit „oder“, so unterscheiden wir sprachlich oftmals nicht, ob wir „entweder ... oder“ meinen, oder ob beide Fälle zutreffend sein können. Sagt jemand: „Im Urlaub werden wir nach Griechenland oder in die Türkei fliegen.“ , so meint er in der Regel: „Im Urlaub werden wir entweder nach Griechenland oder in die Türkei fliegen.“ Bei der Aussage: „35% der Schüler haben einen Mathematik- oder einen Physik-Leistungskurs gewählt.“, schließt das „oder“ nicht aus, dass Schüler auch beide Leistungskurse gewählt haben. In der Mathematik muss die Verknüpfung „entweder ... oder“ von der Disjunktion, dem einfachen „oder“, klar unterschieden werden, denn es handelt sich tatsächlich um eine andere Aussage. Wir kennen daher noch das exklusive Oder (XOR), das über die folgende Wertetabelle definiert wird. A w w f f B w f w f AYB f w w f (12) Da C: (A ∨ B) sowie D: (A ∧ B) aber auch E: (¬ A) Aussagen sind, können wir diese weiter miteinander oder mit den Elementaraussagen verknüpfen. Der Wahrheitswert einer komplexer zusammengesetzten Aussage lässt sich über eine Wahrheitswerttafel angeben. Betrachten wir zum Beispiel: F : [A ∧ (¬B)] ∨ [(¬A) ∧ B] A w w f f B w f w f ¬A f f w w ¬B f w f w A ∧(¬B) f w f f (¬A)∧ B f f w f F f w w f Es fällt auf, dass die Aussage F bei vorgegebenen Belegungen von A und B immer denselben Wahrheitswert wie das exklusive Oder annimmt. Eine solche „Gleichheit“ von Aussagen werden wir als Äquivalenz bezeichnen. (13) Wir können nun auch Systeme mit verschiedenen parallel oder in Reihe geschalteten Komponenten durch Verknüpfungen von Aussagen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 2 Operationen mit Aussagen 19 simulieren. Ordnen wir dem Funktionieren einer Komponente den Wahrheitswert w zu, so funktioniert das gesamte System genau dann, wenn die zugeordnete zusammengesetzte Aussage den Wahrheitswert w annimmt. So wird das nebenstehenden System durch die Aussage [(K1 ∨ K2 ) ∧ K3 ] ∨ K4 simuliert. 17. Stellen Sie die Wahrheitswerttafel für die folgenden zusammengesetzten Aussagen auf. a) (A ∧ B) ∨ ((¬A) ∧ (¬B)) c) (A ∧ B) ∨ C Übungsaufgaben b) A ∧ (B ∨ (¬A)) ∧ A d) (A ∨ C) ∧ (B ∨ C) 18. Geben Sie eine Verknüpfung von Aussagen an, die das unten abgebildete System simuliert. 19. Wir betrachten für ein Würfelexperiment mit zwei Würfeln die folgenden Aussagen: A: „Der erste Würfel zeigt eine ungerade Augenzahl“. B: „Der zweite Würfel zeigt eine gerade Augenzahl“. Formulieren Sie die folgenden Aussagen als aus A und B zusammengesetzte Aussagen. C: „Die Summe der Augenzahlen ist eine gerade Zahl“. D: „Die Differenz der Augenzahlen ist eine ungerade Zahl“. E: „Das Produkt der Augenzahlen ist eine ungerade Zahl“. „Wenn Sie heute bei KPM einkaufen, so erhalten Sie alles zum halben Preis.“ Mit diesem Satz wird eine weitere wichtige Verknüpfung von Aussagen vorgestellt, die auch im Alltag häufig auftritt. Ähnlich wie bereits beim „oder“ wird auch beim „wenn“ umgangssprachlich nicht sauber gegen eine andere Verknüpfung - dem „genau dann, wenn“ abgegrenzt. Schauen wir uns dafür zum Vergleich einen zweiten Satz an: „Wenn Sie wenigstens 50% der Aufgaben richtig gelöst haben, gilt Ihre Klausur als bestanden.“ Der Satz: „Wenn Sie heute bei KPM einkaufen, so erhalten Sie alles zum halben Preis.“ schließt zunächst einmal nicht aus, dass man auch MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Erläuterung 20 Kapitel 2 Operationen mit Aussagen an einem anderen Tag alles im KPM zum halben Preis erhält. Demgegenüber schließt der Satz „Wenn Sie wenigstens 50% der Aufgaben richtig gelöst haben, gilt Ihre Klausur als bestanden.“ im Allgemeinen aus, dass Ihre Klausur auch dann als bestanden gilt, wenn Sie die Voraussetzung nicht erfüllen. Hier könnte man auch sagen: „Ihre Klausur gilt genau dann als bestanden, wenn Sie wenigstens 50% der Aufgaben richtig gelöst haben.“ Die Verknüpfungen „wenn“ und „genau dann, wenn“ müssen in der Aussagenlogik sauber auseinander gehalten werden. Sie werden durch zwei verschiedene Verknüpfungen dargestellt. Subjunktion und Bijunktion Die Subjunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A→B zu. Sprechweise: Aus A folgt B. Dabei heißt A die Prämisse und B die Konklusion. Die Bijunktion ordnet zwei Aussagen A und B eine neue Aussage C: A↔B zu. Sprechweise: A genau dann, wenn B. Die Wahrheitswerte der neuen Aussagen werden über die folgenden Wahrheitswerttafeln definiert. Subjunktion A w w f f Beispiele B w f w f Bijunktion A→B w f w w A w w f f B w f w f A↔B w f f w (14) Die Situation des Kunden am Kaffeeautomaten folgt der Logik der Subjunktion. Wir betrachten dafür folgende Aussagen: A: Der Kunde wirft Geld in den Kaffeeautomaten. B: Der Kunde erhält Kaffee aus dem Kaffeeautomaten. A→B: Der Kunde ist zufrieden. Es gibt genau einen einzigen Fall, in dem die letzte Aussage zu einer falschen Aussage wird und der Kunde unzufrieden ist. Dieser Fall tritt ein, wenn A wahr und B falsch ist. (15) Mit Hilfe der Bijunktion können wir eine Formulierung dafür finden, dass zwei zusammengesetzte Aussagen gleichwertig sind. Wir könne zum Beispiel feststellen, dass die Aussage A→B genau dann wahr ist, wenn A den Wahrheitswert f besitzt - und damit ¬A wahr ist - oder B den Wahrheitswert w besitzt. Wenn wir diese beiden zusammengesetzten Aussagen weiter mit der Bijunktion verbinden, so erhalten wir eine Gesamtaussage, die für alle möglichen Belegungen der Elementaraussagen A und B den Wahrheitswert wahr besitzt. Dies kann über die folgende Wahrheitswerttafel nachgewiesen werden. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 2 Operationen mit Aussagen A w w f f B w f w f ¬A f f w w (¬A)∨B w f w w 21 A→B w f w w [(¬A)∨B]↔[A→B] w w w w Wir nennen Aussagen, die in der Bijunktion immer zu einer wahren Aussage führen, auch äquivalente Aussagen. 20. Stellen Sie die Wahrheitswerttafel für die Aussage C : ¬ (A ↔ B) auf. Welche bereits eingeführte logische Verknüpfung ist mit C gleichwertig? 21. Stellen Sie für die folgenden Aussagen die Wahrheitswerttafel auf: a) (¬A) → B b) (¬B) ∨ A c) A → (B ∨ C) d) (A ∧ B) → C 22. Durch jede mögliche Belegung der letzten Spalte in der Wahrheitswerttafel A w w f f B w f w f lässt sich eine Verknüpfung zweier Aussagen definieren. Wie viele Möglichkeiten für solche Verknüpfungen gibt es? 23. Jede der folgenden Wahrheitswerttafeln beschreibt eine Verknüpfung der Aussagen A und B. Können Sie diese aus den Verknüpfungen ∧ , ∨ sowie der Negation zusammensetzen? a) A w w f f B w f w f w w w f b) A w w f f B w f w f f w w f A B A B w w w w w f c) w d) f w w f f f w f f w w f f w f f w —————————————————————————— MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Übungsaufgaben 22 Äquivalenz Kapitel 2 Operationen mit Aussagen Wir haben bereits mehrfach gesehen, dass verschiedene zusammengesetzte Aussagen zu derselben Wahrheitswerttafel führen. So ist die Aussage [ A → B] bei jeder möglichen Kombination der Wahrheitswerte von A und B gleichwertig mit der Aussage [(¬ A) ∨ B]. Eine solche Gleichwertigkeit von Aussagen wird als Äquivalenz bzeichnet. Zwei zusammengesetzte Aussagen C und D sind genau dann äquivalent, wenn ihre Wahrheitswerte bei jeder möglichen Belegung der elementaren Aussagen, aus denen sie zusammengesetzt sind, übereinstimmen. Schreibweise: C ⇔ D Eine Bijunktion kann grundsätzlich den Wahrheitswert f annehmen. Sind zwei Aussagen C und D äquivalent, so gilt, dass die Bijunktion dieser Aussagen C↔D bei allen möglichen Belegungen der Elementaraussagen, aus denen C und D zusammengesetzt sind, wahr ist. Die Äquivalenz zweier Aussagen C und D macht damit auf einer höheren Ebene eine Aussage über die Bijunktion C↔D. Beispiele (16) Wir betrachten die zusammengesetzten Aussagen C: A∨B und D: A∧B Für die Bijunktion C↔D ergibt sich die Wahrheitswerttafel: A w w f f B w f w f A∨B w w w f A∧B w f f f [A∨B]↔[A∧B] w f f w Die zusammengesetzten Aussagen C und D sind nicht äquivalent. (17) Betrachten wir nun die zusammengesetzten Aussagen C: A∨B und D: B∨A Für die Bijunktion C↔D ergibt sich die Wahrheitswerttafel: A w w f f B w f w f A∨B w w w f B∨A w w w f [A∨B]↔[B∨A] w w w w Die zusammengesetzten Aussagen C und D sind äquivalent. Aussagen, die immer wahr oder falsch sind, erhalten noch einen Namen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 2 Operationen mit Aussagen Eine Aussage, die nur den Wahrheitswert w annehmen kann, nennen wir Tautologie. Eine Aussage, die nur den Wahrheitswert f annehmen kann, nennen wir Kontradiktion. (18) Die beiden Klassiker der Kontradiktion und der Tautologie sind die zusammengesetzten Aussagen: 23 Tautologie und Kontradiktion Beispiele T: A∨(¬A) (Tautologie) K: A∧(¬A) (Kontradiktion) (19) Die Äquivalenz zweier Aussagen C und D lässt sich nun auch wie folgt formulieren: Wenn die Bijunktion der Aussagen C und D eine Tautologie ist, so sind C und D äquivalent. 24. Stellen Sie die Wahrheitswerttafeln für folgende zusammengesetzte Aussagen auf. Welche dieser Aussagen sind Tautologien? a) A∨(¬A) c) ¬((¬A)∧(¬B)) e) A∧B∨(A∨B) b) A∧(¬A) d) ¬((¬A)∨(¬B)) 25. Zeigen Sie, dass es sich bei den folgenden Aussagen um Tautologien handelt. Welche Äquivalenzen von Aussagen erhalten Sie damit? a) [A→B]↔[(¬B)→(¬A)] c) [A∧(A→B)]→B b) [A→(B→C)]↔[(A∧B)→C] d) [(A→B)∧(¬B)]→(¬A) 26. Ermitteln Sie eine äquivalente Aussage für die Negation der Konjunktion ¬(A∧B), indem Sie die Negationen der Elementaraussagen (¬A) und (¬B) verknüpfen. 27. Die Sheffersche Funktion C=A|B für zwei Aussagen ist über die folgende Wahrheitswerttafel definiert: A w w f f B w f w f A|B f w w w Wie lässt sich diese Funktion durch das Oder und die Negation ausdrücken? MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Übungsaufgaben 25 Kapitel 3 Regeln und Normalform alter kap2-Exkurs von Frau Polaczek Vergleich zwischen Aussagenlogik und der Welt der Zahlen Um die mathematische Behandlung der Aussagen noch besser zu verstehen, soll hier ein Vergleich mit den Zahlen vorgenommen werden. Sowohl bei den Aussagen als auch bei den Zahlen haben wir es grundsätzlich mit folgenden Kategorien zu tun: • Objekte • Operationen (Verknüpfungen) • Relationen Beginnen wir mit der Gegenüberstellung der Objekte. Die Objekte sind auf der einen Seite die Zahlen und auf der anderen Seite die Aussagen. Beide können durch einen Namen gegeben sein. Bei den Aussagen benutzen wir dafür A, B, C. Bei den Zahlen benutzen wir dafür meistens x, y, z oder auch a, b, c. Im konkreten Fall können Zahlen und Aussagen Werte annehmen. Hier besteht nun ein wesentlicher Unterschied zwischen Aussagen und Zahlen. Denn Aussagen können lediglich zwei Werte annehmen: w oder f. Demgegenüber können √ 1 Zahlen unendlich viele Werte annehmen. 5 oder 2 , 7 oder π ... . Stellen wir nun die Operationen gegenüber. Die Basisoperationen bei den Zahlen sind die Addition und die Multiplikation. Dabei werden jeweils zwei Zahlen eine neue Zahl zugeordnet. Bei der Addition gilt: ZAHL1 + ZAHL2 = ZAHL3 Werden die Zahlen mit konkreten Werten belegt, erhalten wir zum Beispiel: 5 + 6 = 11. Da es unendlich viele Werte für Zahlen gibt, ist es nicht möglich, die Addition und die Multiplikation von Zahlen vollständig über eine Tabelle zu erfassen, die der Wahrheitswerttafel entspricht. Einen kleinen Einführung 26 Kapitel 3 Regeln und Normalform Ausschnitt aus einer Additionstabelle könnte man sich aber einmal anschauen: x 1 1 2 2 y 1 2 1 2 x+y 2 3 3 4 Die Basisoperationen bei den Aussagen sind die Disjunktion und die Konjunktion. Wir werden später noch sehen, dass durchaus Ähnlichkeiten zur Addition und Multiplikation von Zahlen bestehen. Für das Rechnen mit Zahlen kennen Sie Rechenregeln, die das Rechnen erheblich vereinfachen. Entsprechende Regeln werden wir später auch für die aussagenlogischen Verknüpfungen zusammenstellen. Verbleiben für die Gegenüberstellung von Aussagen und Zahlen noch die Relationen. Eine der wichtigsten Relationen zwischen Zahlen ist die Gleichheit. Wir kennen bei Zahlen Gleichungen der Form: x + y = y + x. Eine solche Gleichung bedeutet: Egal, mit welchen Werten die Zahlen x und y belegt werden, nehmen die zusammengesetzten Zahlen x + y und y + x denselben Wert an. Eine der wichtigsten Relationen für zusammengesetzte Aussagen ergibt sich völlig analog. Wir hatten bereits mehrfach gesehen, dass verschiedene zusammengesetzte Aussagen zu derselben Wahrheitswerttafel führen können. So ist die Aussage [A→B] bei jeder möglichen Belegung der Wahrheitswerte von A und B gleichwertig mit der Aussage [(¬A)∨B] . Eine solche Gleichwertigkeit von Aussagen wird als Äquivalenz bezeichnet. Ende alter ka2-Exkurs von Frau Polaczek Einführung Im Prinzip lasse sich alle Untersuchungen über aussagenlogische Verknüpfungen auf den Vergleich von Wahrheitswerttafeln zurückführen. Praktisch wird dies jedoch schnell sehr mühsam. Hat man es zum Beispiel mit 10 Elementaraussagen zu tun, so sind schon 210 = 1024 Kombinationen von Wahrheitswerten zu berücksichtigen. Bei 100 Elemtaraussagen hätten Sie es mit 2100 = 102410 ≈ (103 )1 0 = 103 0 Kombinationen zu tun. Das ist nicht machbar: Selbst wenn Sie auf jede Kombination nur 1 Sekunde verwenden, bräuchten Sie etwas 3 · 1023 Jahre für die Bearbeitung per Hand. Die Kombination von vielen Elementaraussagen („Schalterstellungen“) ist aber − etwa in der Informatik − eine durchaus häufige und MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 3 Regeln und Normalform 27 sehr anwendungsrelevante Situation. Deshalb sind hier Regeln und Normalformen wichtig. Wenn zwei Elementaraussagen A und B gegeben sind, können wir folgende Wahrheitswertetafel ansehen: A w w f f B w f w f A∧B w f f f A∧(¬B) f w f f (¬A)∧B f f w f (¬A) ∧ (¬B) f f f w In den letzten 4 Spalten stehen alle Konjunktionen von A, B und ihren Negationen. Betrachtet man nur die letzten 4 Spalten (und Zeilen), so steht in jeder Spalte (und Zeile) genau ein „w“. Mit Hilfe der Disjunktion lassen sich daraus beliebige Verknüpfungen von A und B beschreiben: Beispiele (20) Konkret betrachtet man A→B wie folgt: A w w f f B w f w f A∧B w f f f A∧(¬B) f w f f (¬A)∧B f f w f (¬A) ∧ (¬B) f f f w a→B w f w w Verbinde für jede Zeile, in der der Eintrag der letzten Spalte „w“ ist, genau die Konjunktionen, die dort ebenfalls ein „w“ haben, mit der Disjunktion ∨ („oder“). In unserem Fall ist also: Begründe die Richtigkeit des beschriebenen Vorgehens! (A→B) ⇔ (A∧B) ∨ ((¬A)∨B) ∨ ((¬A) ∨ (¬B)) disjunktive Normalform Den Ausdruck rechts nennt man eine disjunktive Normalform. Mit den Regeln kann man die Sache noch weiter vereinfachen: Es ist ((¬A)∨B) ∨ ((¬A) ∨ (¬B)) = ¬A ∧ (B∨(¬B)) = ¬ A und damit (A→B) ⇔ (A∧B) ∨ (¬A) . (21) Ist durch K mit den am Rand angegebenen Wahrheitswerten eine Verknüpfung von A und B mit den uns bekannten Operationen gegeben? Mit den Überlegungen von oben können wir dies ohne Nachdenken bejahen: Es ist K ⇔ (A∧B) ∨ ((¬A)∧(¬B)) . MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher A w w f f B w f w f K w f f w 28 Satz über die disjunkte Normalform Kapitel 3 Regeln und Normalform Für zwei oder mehr Elementaraussagen lassen sich die Ergebnisse unserer Vorüberlegungen in folgendem Satz zusammenfassen: Satz über die disjunkte Normalform a) Sind Elementaraussagen A1 , A2 , . . . Ar gegeben, so lässt sich jede aus A1 , A2 , . . . Ar (mit den eingeführten Verknüpfungen) zusammengesetzte Aussage K als Disjunktion von Ausdrücken der Gestalt C1 ∧ C2 ∧ . . . ∧ C r darstellen, wobei für jedes i entweder Ci = Ai oder Ci =6=Ai gilt. b) Diese Darstellung ist eindeutig. c) Jede Belegung A1 ... ... ... ... ... ... ... Ar ... ... ... S ? ? ... der Wahrheitswerttafel, die in der letzten Spalte mindestens ein „w“ enthält, lässt sich als Verknüpfung der Elementaraussagen A1 , A2 , . . . Ar darstellen. Aufgaben 28. Stellen Sie die Aussage T mit nachfolgender Wahrheitswerttafel als Verknüpfung von A1 , A2 und A3 dar: A1 A2 A3 T w w w f w w f w w f w w w f f f f w w f f w f f f f w w f f f f 29. Geben Sie eine Wahrheitswertetafel der Aussage U mit U = ¬A ∧ (B∨¬C) an. Die McCluskeyMethode E. J. McCluskey * 1929 Folgende, nach dem amerikanischen Informatik-Professor Edward J. McCluskey benannte Methode dient dem anschließenden „Verkürzen“ von disjunkten Normalformen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 3 Regeln und Normalform 29 Die McCluskey-Methode Sind (C1 , C2 , . . . Cr ) und (D1 , D2 , . . . Dr ) genau an der Stelle k verschieden, das heißt Ck = ¬Dk und C j =D j für alle j 6= k, so gilt: (C1 ∧ C2 ∧ . . . ∧ Cr ) ∨ (D1 ∧ D2 ∧ . . . ∧ Dr ) ⇔ C1 ∧ . . . ∧ Ck−1 ∧ Ck+1 ∧ . . . ∧ Cr Man hat also eine Konjunktion von r − 1 Elementen. (22) (C1 ∧C2 ∧ C3 ∧ C4 ) ∨ (C1 ∧C2 ∧ ¬ C3 ∧ C4 ) ⇔ C1 ∧ C2 ∧ C4 Beispiele (23) (A∧B∧C) ∨ (A∧B∧(¬C)) ∨ (A∧(¬B) ⇔ (A∧B) ∨ (A∧(¬B)) ⇔ A Zur Lösung des Massenproblems Die disjunktive Normalform löst natürlich unser „Massenproblem“ vieler Elementaraussagen nicht automatisch: So wie wir es angegangen sind, muss ja immer noch jeder Kombination von Wahrheitswerten betrachtet werden. Da hilft zum einen die rohe Gewalt von Computern (schnell sind sie ja) und zum anderen systematisches Anwenden von Regeln, etwa um zu überprüfen, ob zwei zusammengesetzte Aussagen äquivalent sind. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Exkurs 31 Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Viele Größen in der Realität lassen sich durch eine einzige Zahl beschreiben. Das Guthaben auf Ihrem Konto oder der Spritverbrauch eines Wagens bei einer Fahrt von 100 km sind Beispiele dafür. Um demgegenüber die möglichen Ausgänge beim Würfeln mit einem gewöhnlichen Würfel zu beschreiben, benötigen wir sechs Zahlen. Wollen wir über ein solches Experiment weitere Aussagen treffen, ist es hilfreich, diese sechs Zahlen als eine Einheit zu betrachten. Genau das leistet der Begriff einer Menge, den wir im Folgenden betrachten werden. Einführung Die Tragfähigkeit abstrakter mathematischer Begriffe zeichnet sich dadurch aus, dass diese Begriffe geeignet sind, um verschiedenste Problemstellungen zu beschreiben. So eignen sich Zahlen zum Beispiel dazu, einen Kontostand anzugeben. Mit genau denselben Zahlen können wir aber auch den Spritverbrauch eines Autos angeben. Alles, was wir einmal über Zahlen und das Rechnen mit Zahlen wissen, können wir dann in beiden Situationen verwenden. Hier sollen zur Einführung drei Beispiele benannt werden, bei denen der neue Begriff einer Menge später Anwendung findet. Einstieg (24) Auf einem Schulfest gibt es einen Stand mit vier Würfeln, die die folgenden Augenzahlen auf ihren sechs Seiten tragen: Beispiele Der erste Würfel trägt die Augenzahlen 222666 Der zweite Würfel trägt die Augenzahlen 333377 Der dritte Würfel trägt die Augenzahlen 4 4 44 4 4 Der vierte Würfel trägt die Augenzahlen 555511 Es wird das folgende Spiel angeboten: Sie wählen einen der Würfel aus. Dann nimmt der Spielleiter einen Würfel und sie würfeln beide einmal. Wenn Sie die höhere Zahl würfeln, so haben Sie gewonnen. Gibt es einen Würfel, den Sie bevorzugt nehmen sollten, um Ihre Spielchancen zu erhöhen? Anmerkung Die Würfel wurden von dem Statistiker Bradley Efron (geb. 1938; Professor an der Standford University) erfunden und werden nach ihm auch als Efrons Würfel bezeichnet. Efrons Würfel 32 Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren (25) Ein praktisches Problem werde genau dann gelöst, wenn eine Größe x einen Wert annimmt, der die folgende Gleichung erfüllt: √ √ x · x + 1 = 2x + 3 · x (Gleichung 1) um die Größe x zu berechnen, teilen wir zunächst beide Seiten der Gleichung durch x und erhalten die Gleichung: √ √ x + 1 = 2x + 3. Danach quadrieren wir beide Seiten der Gleichung. Nun müssen wir nur noch die Gleichung x + 1 = 2x + 3 lösen. Das führt zu dem gewünschten Ergebnis: x = −2. Wenn wir nun die Probe machen und x = −2 in (Gleichung 1) einsetzten, so stellen wir fest, dass unter den Wurzeln negative Zahlen erscheinen. Das berechnete Ergebnis ist gar keine Lösung der Gleichung. Tatsächlich wird die erste Gleichung jedoch von x = 0 erfüllt. Im Verlauf der Rechnung haben wir offensichtlich die richtige Lösung verloren und eine falsche Lösung hinzugewonnen. Was ist passiert? Gerade beim Lösen von Gleichungen ist es eine große Hilfe, die möglichen Lösungen einer Gleichung als Menge zu verstehen und zu untersuchen, was mit diesen Mengen passiert, wenn man die Gleichung umformt. y 1 1 x (26) Die ersten beiden Beispiele sind der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Gleichungslehre zuzuordnen. In beiden Teilbereichen der Mathematik spielt der Begriff der Menge eine zentrale Rolle. Die Mengenlehre hilft uns zusätzlich auch, bei geometrischen Problemen Ordnung zu schaffen. Betrachten Sie die nebenstehende Graphik. Wie lassen sich die Punkte beschreiben, die zu der grau markierten Dreiecksfläche gehören? Alle drei vorgestellten Probleme lassen sich elegant lösen, wenn man sie mit den Mitteln der Mengenlehre beschreibt. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Arbeitsdefinition „Menge“ Eine Menge M ist eine Zusammenfassung von wohlbestimmten Objekten zu einem Ganzen. Die Objekte nennt man Elemente der Menge. Wohlbestimmtheit besagt, dass wir für jedes Objekt x entscheiden können, ob es zur Menge M gehört oder nicht. Im ersten Fall schreiben wir x ∈ M , im zweiten x ∈ /M. Die Angabe, welche Elemente zu einer Menge M gehören, kann auf verschiedene Arten erfolgen: Besitzt unsere Menge endlich viele Elemente, wie zum Beispiel die Lösungen der Gleichung x2 = 16, so können wir die Elemente explizit angeben: M = {−4, 4} Sprechweise: M ist die Menge mit den Elementen −4 und 4. Daneben gibt es die Möglichkeit, eine Menge über eine oder mehrere Aussageformen, die genau für die Elemente der Menge den Wahrheitswert w annehmen, zu beschreiben: 33 Mengen: Grundbegriffe und Schreibweisen Anmerkung Der Begriff einer Menge wurde von G. Cantor geprägt. Wie im Fall der Aussagen hat man auch hier Probleme mit einer „exakten“ Grundlegung. Eine Vertiefung des Thementeils soll hier aber nicht vorgenommen werden. M = { x ∈ G | A( x )} Sprechweise: M ist die Menge der Elemente aus G, die die Aussageform A( x ) erfüllen. In dieser Menge befinden sich nur Elemente einer Grundmenge G, für die die Aussageform A( x ) wahr wird. Ist die Grundmenge, aus der die Elemente gewählt werden, aus dem Zusammenhang klar, so finden wir noch die Schreibweise: M = { x | x2 = 16} Sprechweise: M ist die Menge der x, die die Gleichung x2 = 16 lösen. Wir sollten auch davon sprechen können, dass ein Objekt x nicht Element einer Menge M ist. Wir schreiben dann: x ∈ / M. (27) In der Wahrscheinlichkeitstheorie können die möglichen Ausgänge eines Zufallsexperiments als Menge zusammengefasst werden. Diese Menge wird als Ergebnismenge bezeichnet. Dem Würfeln mit einem gewöhnlichen Würfel wird die Ergebnismenge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} zugeordnet. (28) Für eine Gleichung, die mehrere Lösungen besitzt, können diese Lösungen durch eine Lösungsmenge beschrieben werden. So wird die Gleichung x2 = 16 genau dann gelöst, wenn gilt: x ∈ {−4, 4} MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Georg Cantor Begründer der Mengenlehre 1845-1918 Beispiele 34 Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren (29) In der Geometrie können geometrische Objekte als Punktmengen gefasst werden. So können wir den Kreis mit Radius r = 1 und Mittelpunkt im Ursprung nun exakt beschreiben durch die Menge aller Punkte, die die zugehörige Kreisgleichung erfüllen: E = {( x |y) | x2 + y2 = 1} Zahlbereiche (30) Zu den wichtigsten Beispielen in der Mathematik gehören die Zahlbereiche: N = {1, 2, 3, . . .} ist die Menge der natürlichen Zahlen. N0 = {0, 1, 2, 3, . . .} ist die Menge, die neben den natürlichen Zahlen zusätzlich die Null enthält. Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} ist die Menge der ganzen Zahlen. p Q= | p, q ∈ Z, q 6= 0 ist die Menge der rationalen Zahlen. q R ist die Menge der reellen Zahlen. Ihre genaue Beschreibung kann erst mit dem Grenzwertbegriff erfolgen. (31) Eine Menge, die kein Element enthält, nennen wir die leere Menge. leere Menge Übungsaufgaben Schreibweise: { } oder ∅. 30. Übertragen Sie die folgenden Mengen in eine aufzählende Form. Beispiel: M = { x | x2 = 9} lässt sich auch schreiben als: M = {−3, 3}. M1 = { x | 1 x = 5 ∨ x = −3} M2 = {( x |y) ∈ R2 | x + y = 0 ∧ x − y = 3} n o 1 M3 = x | x−1 = 0 √ M4 = {z ∈ R | z = 121} M5 = {y ∈ R | y = (−1)n , n ∈ N} 31. Geben Sie die folgenden Mengen mit einer beliebigen Mengenschreibweise an: a) Alle natürlichen Zahlen, die sich ohne Rest durch 6 teilen lassen. b) Alle natürlichen Zahlen, deren letzte Ziffer eine Null ist. c) Alle geraden ganzen Zahlen. d) Alle ungeraden ganzen Zahlen. e) Alle reellen Zahlen, die zwischen −2 und 5 liegen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren 32. Geben Sie die Punkte, die zu der nebenstehend abgebildeten Dreiecksfläche gehören, als Menge an. 35 y 1 33. Bei einem gewöhnlichen Würfel ist für die Beschreibung des Würfelexperimentes die Menge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} geeignet. Geben Sie entsprechende geeignete Mengen an, um die Ausgänge des Würfelexperiments mit Efrons Würfeln zu beschreiben. Der erste Würfel trägt die Augenzahlen 222666 Der zweite Würfel trägt die Augenzahlen 333377 Der dritte Würfel trägt die Augenzahlen 444444 Der vierte Würfel trägt die Augenzahlen 555511 Bisher wurden nur der Begriff einer Menge und Bezeichnungsweisen für Mengen vorgestellt. Um bei Problemen zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen, benötigen wir Eigenschaften von Mengen und Beziehungen zwischen Mengen. So wie wir bei Zahlen eine Gleichheit oder Ungleichheit feststellen, wird dies auch für Mengen beschrieben. Sind zwei Zahlen voneinander verschieden, so haben wir noch eine Anordnung von Zahlen. Eine der Zahlen ist dann größer als die andere. Sicher fallen Ihnen zahlreiche Beispiele ein, bei denen bereits die Anordnung von Zahlen hilft, kleinere Probleme zu lösen. Ob man mit einem Sparguthaben eine gewünschte Anschaffung tätigen kann, hängt zum Beispiel davon ab, ob der Betrag des Sparvermögens größer oder kleiner als der Preis des Produktes ist. Die folgenden Begriffsbildungen haben Ähnlichkeit mit der Anordnung von Zahlen und werden uns auch in die Lage versetzen, die ersten Anwendungen für Mengen zu verstehen. Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn jedes Element von A auch Element von B ist und umgekehrt. 1 x Erläuterung Gleichheit von Mengen A = B : ⇔ ∀ x : [ x ∈ A ↔ x ∈ B] (32) Bei Mengen ist es egal, in welcher Reihenfolge die Elemente aufgezählt werden, so gilt: { f , r, u, c, h, t, b, a, r } = { f , u, r, c, h, t, b, a, r } (33) Bei Mengen kommt es nicht darauf an, wie oft ein Element aufgezählt wird. Es gilt zum Beispiel: {1, 2, 1} = {1, 2} MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiele 36 (Echte) Teilmengen Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Eine Menge T heißt Teilmenge von M, wenn jedes Element von T auch Element von M ist T ⊆ M : ⇔ ∀ x : [ x ∈ T → x ∈ M] Eine Menge T heißt echte Teilmenge von M, wenn T Teilmenge von M ist und M wenigstens ein Element enthält, das kein Element von T ist. T ⊂ M : ⇔ [ T 6= M ∧ T ⊆ M] Beispiele (34) Punktmengen sind eine wichtige Anwendung der Mengenlehre in der Geometrie. Mit Hilfe von Punktmengen lassen sich die Beziehungen zwischen Mengen auch besonders gut veranschaulichen. So erhält man für die Teilmengenbeziehung T ⊂ M das nebenstehende Bild. (35) Eines der wichtigsten Beispiele sind die Intervalle als Teilmengen der reellen Zahlen. [ a, b] := { x | a 6 x 6 b} abgeschlossenes Intervall ( a, b) := { x | a < x < b} offenes Intervall ( a, b] := { x | a < x 6 b} halboffenes Intervall [ a, b) := { x | a 6 x < b} halboffenes Intervall Mächtigkeit einer Menge Beispiele Bei einer endlichen Menge M bezeichnen wir mit | M| die Anzahl der Elemente in dieser Menge. | M| ist eine natürliche Zahl oder Null. Wir sprechen auch von der Mächtigkeit der Menge M. (36) |{0, 1}| = 2 (37) |{ I, N, T, E, R, N, E, T }| = 5 Bemerkung: Sie erinnern sich daran, dass es nicht darauf ankommt, wie oft die Elemente aufgezählt werden. (38) Für endliche Mengen gilt offensichtlich: T ⊆ M → |T | 6 | M| T ⊂ M → |T | < | M| MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren 34. Welche Mengen sind gleich, welche nicht? Geben Sie alle vorhandenen Teilmengenbeziehungen an. M1 = {2, 3, 4} M2 = {4, 3, 2} M4 = {n ∈ N | n 6 4} 37 Übungsaufgaben M3 = {n ∈ N | n < 4} 35. Geben Sie alle möglichen verschiedenen Teilmengen der Menge M = {1, 2, 3} an. 36. Gegeben sei die Menge M = {S, I, A, M}. Ermitteln Sie S = { T | T ⊆ M ∧ | T | = 2} sowie |S|. 37. Wie viele verschiedene Teilmengen besitzt eine Menge M mit n Elementen? Bemerkung: Die Menge der Teilmengen von M heißt Potenzmenge von M. 38. Die Anzahl der Möglichkeiten, aus einer Menge M mit n Elementen k verschiedene Elemente auszuwählen, spielt in vielen Zusammenhängen eine Rolle. Dies ist genau die Anzahl der Teilmengen von M mit k Elementen. Man nennt diese Zahlen auch Binomialkoeffizienten und schreibt dafür (nk). Gelesen wird (nk) als “n über k”. Probleme und Anwendungen Potenzmenge Binomialkoeffizient Pascalsches Dreieck Überlegen Sie sich, warum gilt: n n−1 n−1 = + k k k−1 Erläutern Sie, wie sich die Binomialkoeffizienten über das „Pascalsche Dreieck“ berechnen lassen. Blaise Pascal 1623-1662 MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 38 Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Exkurs Mengen zur Beschreibung von Zufallsexperimenten In der Wahrscheinlichkeitsrechnung basiert der Begriff der Laplace-Wahrscheinlichkeit auf der Mächtigkeit endlicher Mengen. . Pierre-Simon Laplace 1749-1827 Laplace-Experimente und LaplaceWahrscheinlichkeit Wir betrachten ein Zufallsexperiment, das endlich viele unterscheidbare Ausgänge besitzen kann. Ein Beispiel dafür ist das Würfeln mit einem gewöhnlichen Würfel. Das Würfeln hat offensichtlich mit den Zahlen von 1 bis 6 zu tun, die wir zu der Ergebnismenge zusammenfassen können Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} Jeder von Ihnen weiß sicherlich bereits, dass man den Kehrwert der Mächtigkeit dieser Menge - |Ω1 | - “die Wahrscheinlichkeit für das Würfeln der Zahl i” nennt, wenn i eine Zahl von 1 bis 6 ist. Es soll nun noch etwas genauer darauf eingegangen werden, wie die bisher eingeführten Begriffe für Mengen uns helfen können, die Situation eines Zufallsexperimentes zu beschreiben. Dafür sollten wir uns zunächst nochmals anschauen, was der Übergang von der praktischen Tätigkeit des Würfelns zu den Zahlen von 1 bis 6 bedeutet. Wir bilden ein mathematisches Modell der Wirklichkeit. In diesem Modell führen wir Rechnungen durch. Die Ergebnisse der Rechnungen werden verwendet, um Voraussagen für den Ausgang von Experimenten in der Wirklichkeit zu formulieren. Ursache Experiment Wirkung Modell Rechnung Voraussage Für diesen Prozess ist es natürlich eminent wichtig, dass wir eine saubere Zuordnung zwischen Vorgängen in der Wirklichkeit und den mathematischen Objekten vornehmen. Ein sinnvolles mathematisches Objekt, das mit dem Würfeln zu tun hat, ist nach obigen Überlegungen die Ergebnismenge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren 39 Es liegt zunächst nahe, dem Ausgang des Experiments: “es wird eine 4 gewürfelt” die Zahl 4 zuzuordnen. Das führt aber zu Konflikten. Denn wir möchten auch für den Ausgang des Experiments: “es wird eine gerade Zahl gewürfelt” eine Entsprechung im Modell finden. Und diese Entsprechung ist eine Teilmenge von Ω : A = {2, 4, 6}. Eine Teilmenge einer Menge wie A = {2, 4, 6} ist leider grundverschieden von einem Element einer Menge wie die 4. Gleiches in der Wirklichkeit (Ausgang eines Experiments) sollte auch Gleiches im Modell zugeordnet sein. Insbesondere, wenn wir damit später rechnen wollen. Die Lösung des Problems liegt auf der Hand. Dem Ausgang des Experiments: “es wird eine 4 gewürfelt” wird nicht ein Element der Menge Ω - die 4 - zugeordnet, sondern ebenfalls eine Teilmenge, nämlich {4}. Mengen, die genau ein Element der Ergebnismenge beinhalten, nennen wir dann Elementarereignis. Bei einem Laplace-Experiment wie dem Würfeln liegt eine endliche Ergebnismenge vor und es wird davon ausgegangen, dass jedes Elementarereignis gleich wahrscheinlich ist. Dabei ist ein Elementarereignis eine Teilmenge der Ergebnismenge mit einem Element. Die Wahrscheinlichkeit für Ereignisse aus A kann bei einem Laplace-Experiment über die Mächtigkeit von Mengen wie folgt angegeben werden: | A| . P( A) = |Ω| Wir betrachten einen von Efrons Würfeln, der die Augenzahlen 3 3 3 3 7 7 trägt. Geben Sie eine Ergebnismenge Ω an, so dass das Würfeln mit diesem Würfel als Laplace-Experiment betrachtet werden kann. Unter Verwendung des Mengenbegriffs kommen wir nun noch einmal auf die Logik zurück. Probleme und Anwendungen Quantoren in der Aussagenlogik Arbeitsdefinition „Aussageform“ Eine Zeichenfolge A( x1 , x2 , . . . xn ), die variable Größen x1 , x2 , . . . xn (aus Mengen M 1 , M 2 , . . . M n ) enthält und durch Belegung dieser Variablen in eine Aussage überführt wird, nennen wir Aussageform. (39) 2x + 3 = 5 ist eine Aussageform, welche zum Beispiel durch Belegung der Variablen x ∈ Z in eine Aussage überführt wird (und zwar durch x = 1 in eine wahre, sonst in eine falsche). (40) x1 6 x2 ist eine Aussageform, welche z.B. durch Belegung der Variablen x1 ∈ N, x2 ∈ N in eine Aussage überführt wird. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiele 40 Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren (41) „ war einmal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.“ ist eine Aussageform, welche für die Belegung der Variable mit einem Namen aus dem Aachener Telefonbuch in eine (in der Regel falsche) Aussage überführt wird. Wichtige Quantoren Bei der Formulierung mathematischer Aussagen kommen bestimmte Textbausteine besonders häufig vor. Die Mathematiker haben für diese Textbausteine abkürzende Zeichen eingeführt. Allquantor und Existenzquantor Seien A( x ) eine Aussageform und M eine Menge. Dann sind ∀ x ∈ M : A( x ) und ∃ x ∈ M : A( x ) Aussagen, die bedeuten: „Für alle x ∈ M ist A( x ) wahr.“ bzw. „Es existiert ein x ∈ M, für das A( x ) wahr ist.“ ∀ nennt man Allquantor, ∃ nennt man Existenzquantor. Beispiele (42) ∀ x ∈ N : 2x + 3 = 4 ist eine (falsche) Aussage. (43) ∀ x ∈ N : 1 6 x ist eine (wahre) Aussage. (44) ∃ x ∈ Q : 2x + 3 = 4 ist eine (wahre) Aussage. (45) ∃ x ∈ N : 1 > x ist eine (falsche) Aussage. Negation Wie weiter vorn bereits erwähnt, kann man auch Aussagen mit Quantoren und Aussageformen negieren. Die negierten Aussagen kann man dann meist auch kürzer schreiben. Genauer gilt: Negation von Aussagen mit Quantoren ¬ (∀ x ∈ M : A( x )) ⇔ ∃ x ∈ M : ¬ A( x ) ¬ (∃ x ∈ M : A( x )) ⇔ ∀ x ∈ M : ¬ A( x ) Beispiele (46) ¬ (∀ x ∈ N : 2x + 3 = 4) ⇔ ∃ x ∈ N : 2x + 3 6= 5 (47) ¬ (∃ x ∈ N : 1 6 x ) ⇔ ∀ x ∈ N : 1 > x MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Aussageformen mit mehreren Variablen Allgemeiner lassen sich auch aus Aussageformen mit mehreren Variablen x1 , x2 , . . . xn mit Belegungen xi ∈ M i und Quantoren Aussagen erhalten. Beispiel allgemein: ∀ x1 ∈ M 1 ∃ x2 ∈ M 2 : A( x1 , x2 ) Beispiel konkret: ∀ x1 ∈ N ∃ x2 ∈ Z : x1 > x2 Merken sollte man sich dabei nur, dass es auf die Reihenfolge ankommt! Beispiel: ∃ x2 ∈ Z ∀ x1 ∈ N : x1 > x2 ist keineswegs äquivalent zur vorigen Aussage. Oder in Worten: „Für alle Männer gilt: Es gibt eine Frau, für die ’Sie ist seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“ Ist keineswegs das gleiche wie „Es gibt eine Frau, so dass für alle Männer ’Sie ist seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“ Die Negation erhält man durch Ersetzen von ∀ durch ∃, Ersetzen von ∃ durch ∀ und Negieren der Aussageform. Beispiel: ¬ (∀ x1 ∈ N ∃ x2 ∈ Z : x1 > x2 ) ⇔ ∃ x1 ∈ N ∀ x2 ∈ Z : x1 6 x2 Oder in Worten: „Es gilt nicht, dass für alle Männer gilt: Es gibt eine Frau, für die ’Sie ist seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“ ist gleichbedeutend mit „Es existiert ein Mann, so dass für alle Frauen ’Sie ist nicht seine Mutter.’ eine wahre Aussage ist.“ Vorläufig wollen wir hier aber noch nicht tiefer einsteigen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 41 Exkurs 42 Wissensspeicher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Eine Menge M ist eine Gesamtheit von Objekten x, bei denen wir entscheiden können, ob x zu M gehört. Menge Schreibweisen für Mengen x ist Element von M x ist kein Element von M x∈M x∈ /M Die Angabe, welche Elemente zu einer Menge M gehören, kann auf verschiedene Arten erfolgen: Aufzählende Schreibweise Angabe der Eigenschaften der Elemente M = {−4, 4} M = { x | x2 = 16} M = { x ∈ G | A( x )} Leere Menge Gleichheit von Mengen Eine Menge, die kein Element enthält, nennen wir die leere Menge. Schreibweise: { } oder ∅. Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn jedes Element von A auch Element von B ist und umgekehrt. A = B : ⇔ ∀ x : [ x ∈ A ↔ x ∈ B] Teilmengen Eine Menge T heißt Teilmenge von M, wenn jedes Element von T auch Element von M ist. T ⊆ M : ⇔ ∀ x : [ x ∈ T → x ∈ M] Eine Menge T heißt echte Teilmenge von M, wenn T Teilmenge von M ist und M wenigstens ein Element enthält, das kein Element von T ist. T ⊂ M : ⇔ [ T 6= M ∧ T ⊆ M] Potenzmengen Für eine vorgegebene Menge M können wir die Menge aller Teilmengen von M bilden. Dies ist die Potenzmenge von M. P := { T | T ⊆ M} Mächtigkeit einer Menge Bei einer endlichen Menge M bezeichnen wir mit | M| die Anzahl der Elemente in dieser Menge. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 4 Mengen: Grundbegriffe, Prädikatenlogik und Quantoren Kurzkontrolle 1. Setzen Sie an die Stelle von ∆ das richtige Symbol ein. (∈, ∈ /, ⊆, ⊂, =) a) 3∆R b) [4, 14]∆R c) π∆N d) { x | −2 6 x 6 2}∆[−2, 2] 2. Geben Sie vorhandene Teilmengenbeziehungen oder Identitäten der Mengen M1 und M2 an. a) M1 = { x | −2 6 x 6 2} M2 = (−2, 2) b) M1 = (−2, 2) M2 = [−2, 2] c) M1 = [−2, 2] M2 = {−2, 2} 3. Geben Sie eine Mengenschreibweise für die skizzierten Mengen an: a) −2 −1 0 1 2 −2 −1 0 1 2 −2 −1 0 1 2 b) c) 4. M sei die Menge aller Teilmengen von U. a) Welchen Wert besitzt | M |, wenn |U | = 20. b) Welchen Wert besitzt |U |, wenn | M | = 64. 5. Beurteilen Sie folgende Aussagen: a) Jede Menge besitzt ein Element. b) Die Potenzmenge einer Menge besitzt immer mehr Elemente als die Menge selber. c) M sei eine Menge mit endlich vielen Elementen. T sei eine Teilmenge von M. Dann ist die Mächtigkeit von T kleiner als die Mächtigkeit von M. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 43 45 Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln Bei den Zahlen kennen wir die beiden Grundrechenarten Addition und Multiplikation. Wir hatten bereits gesehen, dass für Aussagen die Disjunktion und die Konjunktion sehr ähnliche Eigenschaften besitzen. Nun werden wir auch für Mengen zwei Verknüpfungen beschreiben, bei denen aus zwei alten Mengen jeweils eine neue Menge gebildet wird. Die Nützlichkeit dieser Operationen soll am Beispiel der Flächenberechnung motiviert und erläutert werden. Einführung: Verknüpfung von Mengen Zur Berechnung von Flächeninhalten ist es oftmals eine zielführende Strategie, die vorgegebene Fläche in Teilflächen zu zerlegen und den gesuchten Flächeninhalt als Summe von bekannten Flächeninhalten zu berechnen. Dies soll am folgenden Beispiel nochmals veranschaulicht werden. Zur Berechnung des eingezeichneten Flächeninhaltes F zerlegen wir die Fläche in zwei Quadrate. Einstieg 4 cm F = F1 + F2 = 16 cm2 = 20 cm2 Für zwei Mengen A und B ist die Vereinigungsmenge A ∪ B diejenige Menge, die alle Elemente aus A und alle Elemente aus B aber sonst keine weiteren Elemente enthält: A ∪ B := { x | x ∈ A ∨ x ∈ B} Sprechweise: A vereinigt B. 4 cm 4 cm 2 cm F1 F2 2 cm Die Fläche F kann als Punktmenge beschreiben werden. Da die Fläche F genau diejenigen Punkte enthält, die entweder in F1 oder in F2 enthalten sind, liegt es nahe, eine entsprechende Menge zu definieren. 2 cm F 2 cm Nun können wir den Flächeninhalt der Gesamtfläche F als Summe der Flächeninhalte von F1 und F2 berechnen. 4 cm Vereinigungsmenge 46 Erläuterung Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln Gilt denn nun immer, dass sich der Flächeninhalt bei der Vereinigungsmenge als Summe der Flächeninhalte der Ausgangsflächen berechnen lässt? Das folgende Beispiel zeigt, dass dies nicht immer so ist. Die Fläche F im Bild links ergibt sich als Vereinigungsmenge der folgenden beiden Flächen F1 und F2 . Die beiden Flächen überschneiden sich aber in der Mitte des Achsenkreuzes: Der mit F1 ∩ F2 bezeichnete Flächeninhalt wird doppelt gezählt, wenn wir die Flächen F1 und F2 addieren. Wir brauchen aber nur den Flächeninhalt der Fläche, die doppelt gezählt wird von der Summe abzuziehen, dann erhalten wir den korrekten Wert. Zunächst einmal geben wir dieser Punktmenge, die zu beiden Mengen gehört, einen Namen: Schnittmenge Für zwei Mengen A und B wird die Schnittmenge A ∩ B wie folgt gebildet: Die Schnittmenge enthält genau diejenigen Elemente, die sowohl Element der Menge A als auch Element der Menge B sind. A ∩ B := { x | x ∈ A ∧ x ∈ B} Sprechweise: A geschnitten B. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 47 Ein weiteres Beispiel soll uns zeigen, dass das Entfernen einer Menge aus einer anderen Menge ebenfalls ein schlagkräftiges Mittel sein kann, um Flächeninhalte zu berechnen. Uns interessiert der Flächeninhalt F eines Kreisringes, wie er im nebenstehenden Bild dargestellt ist. Da sich die Punktmenge des Kreisringes ergibt, wenn wir von der Kreisfläche des äußeren Kreises mit Radius R die Kreisfläche des inneren Kreis mit Radius r ausschneiden, können wir die Differenz der Flächeninhalte eines Kreises mit Radius R und eines Kreises mit Radius r als Flächeninhalt des abgebildeten Kreisringes ermitteln. Erläuterung F = π · R2 − π · r 2 Dies gibt Anlass, Mengen einen Namen zu geben, die dadurch entstehen, dass man von einer Menge Ω die Elemente einer anderen Menge A entfernt. Die Differenz zweier Mengen Ω und A ist die Menge Ω, ausgenommen die Elemente, die in A vorkommen. Differenz und Komplement von Mengen Ω \ A := { x ∈ Ω | x ∈ / A} Sprechweise: Ω ohne A Gilt A ⊆ Ω, so bezeichnet man Ω \ A auch als Komplement von A in Ω. Ist klar, welche Bezugsmenge Ω zugrunde liegt, so schreibt man auch: A := Ω \ A 39. Ermitteln Sie den Flächeninhalt der folgenden Figuren, indem Sie die Figuren geeignet zerlegen: a b c a = 4 cm b = 1 cm c = 4 cm d = 2 cm e = 3 cm a = 2 cm b = 3 cm c = 3 cm d = 2 cm a = 3 cm b = 4 cm c = 5 cm MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Übungsaufgaben 48 Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 40. Gegeben seien die beiden Mengen von Buchstaben: M1 = { P, I, R, A, T, E, N } M2 = { M, A, G, I, E, R} M3 = { G, E, N, I, A, L} a) Zeigen Sie, dass gilt: ( M1 ∩ M2 ) ∪ M3 6= M1 ∩ ( M2 ∪ M3 ) b) Berechnen Sie: M4 = M1 ∪ ( M2 ∩ M3 ) M5 = ( M1 \ M2 ) \ M3 M6 = M1 \ ( M2 \ M3 ) c) Lässt sich die Menge M7 = { L, A, M, P, E} aus den vorgegebenen Mengen produzieren? 41. Zeichnen Sie für die nebenstehend abgebildeten Mengen A und B die Mengen A ∪ B, A ∩ B sowie A \ B ein. 42. a) Es gelte A ⊆ B. Berechnen Sie A ∪ B. b) Es gelte A ∩ B = B. Berechnen Sie A ∪ B. 43. Was kann man über zwei Mengen A und B sagen, wenn gilt: a) A ∪ B = B b) A ∪ B = ∅ Probleme und Anwendungen 44. Wie beurteilen Sie die folgende Statistik des Oberstufenkoordinators nach der Kurswahl der Schüler einer Oberstufe? 64 % der Schüler haben keinen Physik-Leistungskurs gewählt. 53 % der Schüler haben keinen Chemie-Leistungskurs gewählt. 14 % der Schüler haben weder einen Physik-Leistungskurs noch einen Chemie-Leistungskurs gewählt. 45. Wie sieht die Schnittmenge zweier sich durchdringender Vollzylinder aus, wenn sich die Symmetrieachsen wie im nebenstehenden Bild senkrecht schneiden? Kartesisches Produkt Für zwei Mengen A und B wird das kartesische Produkt A × B wie folgt gebildet: A × B := {( a|b) | a ∈ A ∧ b ∈ B} Sprechweise: A kreuz B. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln (48) Ein wichtiges Beispiel ist die Zahlenebene. Diese Menge geht aus den reellen Zahlen hervor, indem wir Tupel bilden, bei denen jedes Element der reellen Zahlen mit jedem kombiniert wird. 49 Beispiele R2 = R × R = {( x |y) | x ∈ R und y ∈ R} (49) Ein weiteres Beispiel finden wir in der Wahrscheinlichkeitstheorie. Ist M die Menge, die die möglichen Ausgänge des Würfelns mit einem Würfel beschreibt: M = {1, 2, 3, 4, 5, 6}, so können wir die möglichen Ergebnisse beim Würfeln mit zwei Würfeln durch M2 angeben. M2 = {( a|b) | a ∈ M und b ∈ M} Für ein Ereignis der Form A × B ⊆ M2 , mit A ⊆ M und B ⊆ M können wir nun die Wahrscheinlichkeit berechnen zu: P( A × B) = P( A) · P( B) (50) Als drittes Beispiel soll der allgemeine Zylinder aus der Geometrie benannt werden. Wir wählen ein zusammenhängendes Grundgebiet G im R2 als Grundfläche aus. Dazu nehmen wir als Höhe das Intervall I = [0, h]. Das Kartesische Produkt G × I liefert dann die Punktmenge, die den Zylinder beschreibt. Handelt es sich bei dem Grundgebiet G um eine Kreisfläche, so sprechen wir auch vom Kreiszylinder. Für das Volumens eines Zylinders gilt völlig analog zur Wahrscheinlichkeitsrechnung: V = M(G × I ) = M(G) · M( I ) Dabei ist M ( G ) der Flächeninhalt der Grundfläche und M( I ) die Länge der Höhe. 46. Gegeben seien die Mengen M = { A, B} und N = {Y, Z }. Ermitteln Sie M × N und N × M. Sind die beiden Mengen gleich? 47. A und B seien endliche Mengen. Was können Sie über | A × B| sagen? 48. Wenn | A × B| eine Primzahl ist, was können Sie dann über die Mächtigkeit der Mengen A und B aussagen? 49. Welche Flächen lassen sich durch das Kreuzprodukt zweier Intervalle bilden? 50. Es sei D das Dreieck mit den Eckpunkten A = (0, 0), B = (1, 0) und C = (0, 1) und I das Intervall I = [0, 2]. Welcher Körper ergibt sich durch die Menge P = D × I und welches Volumen besitzt dieser Körper? MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Aufgaben 50 Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 51. Stellen Sie den Würfel mit Kantenlänge 1 als Kreuzprodukt zweier Mengen dar. 52. Die Menge Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} ist eine geeignete Ergebnismenge, um das Würfeln mit einem Würfel darzustellen. Nutzen Sie die Teilmengen A = {1, 3, 5} und B = {2, 4, 6} um folgendes Ereignis als Menge darzustellen: Beim Würfeln mit zwei Würfeln ist die Augensumme eine gerade Zahl. Exkurs Anwendung aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung Nicht alle Zufallsexperimente, bei denen sich die möglichen Ausgänge durch eine endliche Menge von Zahlen beschreiben lassen, sind automatisch ein Laplace-Experiment. Das populärste Beispiel hierfür ist sicherlich die Augensumme zweier Würfel. Die Ergebnismenge kann beschrieben werden durch Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12} Die Elementarereignisse sind aber nicht mehr gleich wahrscheinlich. Bei solchen Zufallsexperimenten entfällt jede Handhabe, die Wahrscheinlichkeit für Ereignisse einfach aus der Mächtigkeit der Menge zu errechnen. Hier helfen die Begriffe der Schnittund Vereinigungsmenge sowie der Differenz und das kartesische Produkt von Mengen weiter, denn dadurch können wir aus Elementarereignissen andere Ereignisse zusammensetzen. Zunächst aber sollten wir noch einen Blick darauf werfen, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis etwas Ähnliches ist wie Gewicht oder Länge. Gewicht und Länge sind Eigenschaften von Objekten, die wir mit einem Messgerät messen können. Wir hatten bereits geklärt, dass der Ausgang eines Zufallsexperiments durch eine Teilmenge A des Ergebnisraums beschrieben wird. Wir können uns nun vorstellen, dass wir A auf die Wahrscheinlichkeitswaage legen. Diese Waage zeigt P( A) an - die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen des Ereignisses A. Eine solche Wägung sollte intuitiv einige Bedingungen erfüllen. Zunächst sollte nie ein negatives Ergebnis herauskommen. Nun nehmen wir zwei Mengen A und B, die kein gemeinsames Element besitzen. Diese beiden Mengen legen wir erst einzeln auf die Waage. Wenn wir sie anschließend zusammen auf die Waage legen, so sollte als gemeinsames Gewicht die Summe der Einzelgewichte herauskommen. Schließlich ist in der Wahrscheinlichkeitsrechnung noch unser Maximalgewicht 1. Legen wir also die gesamte Ergebnismenge auf die Waage, so muss ihr Gewicht 1 betragen. Übertragen in unser mathematisches Kalkül bedeutet das: MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 51 1. A ⊆ Ω → P( A) > 0 2. [ A, B ⊆ Ω ∧ A ∩ B = { }] → P( A ∪ B) = P( A) + P( B) 3. P(Ω) = 1 Damit wissen wir nun, was wir tun, wenn wir die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis berechnen, dessen mögliche Ausgänge eine endliche Menge bilden. Im ersten Schritt bilden wir ein mathematisches Modell, das uns glaubhaft erscheint. Dieses Modell besteht aus dem Ereignisraum und den Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse. Die Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse können wir nicht ganz willkürlich festsetzen. Die obigen drei Bedingungen liefern zwei Rahmenbedingungen für diese Wahrscheinlichkeiten der Elementarereignisse. Die erste Bedingung verlangt sinnvoller weise, dass dieser Wert nie negativ sein darf. Die dritte Bedingung besagt, dass die Summe aller Wahrscheinlichkeiten für Elementarereignisse 1 sein muss. Wenn wir glaubhaft ein solches Modell aufgestellt haben, können wir dann mit der zweiten Bedingung, die ein Maß intuitiv erfüllen sollte, Wahrscheinlichkeiten für weitere Ereignisse berechnen. Wie gut Voraussagen unseres Modells für die Wirklichkeit werden, hängt von uns ab. Es steht und fällt damit, ob unser Modell zur Beschreibung der Wirklichkeit geeignet ist. Die eine Fehlerquelle liegt in der Auswahl der Elementarereignisse. Des weiteren können wir den Fehler machen, dass wir die Wahrscheinlichkeiten für die Elementarereignisse falsch eingeschätzt haben. Wir sind nun in der Lage das Rätsel der Efronschen Würfel zu behandeln. Für die ersten beiden Würfel wird die Rechnung vorgestellt. Danach können Sie ausrechnen, welcher Würfel gegen welchen gewinnt. Der erste Würfel trägt die Augenzahlen 222666 Der zweite Würfel trägt die Augenzahlen 333377 Die Ergebnismenge für den ersten Würfel lautet: Ω1 = {2, 6} Die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten sind: P1 (2) = 1/2 und P1 (6) = 1/2 Die Ergebnismenge für den zweiten Würfel lautet: Ω2 = {3, 7} Die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten sind: P2 (3) = 2/3 und P2 (7) = 1/3 MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Probleme und Anwendungen 52 Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln Für das Würfeln mit beiden Würfeln erhalten wir die Ergebnismenge Ω = Ω1 × Ω2 mit den Wahrscheinlichkeiten P(i | j) = P1 (i ) · P2 ( j). Der erste Würfel gewinnt nur dann, wenn er eine 6 und der andere eine 3 zeigen. Damit ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der erste Würfel gewinnt, durch P(6|3) = P1 (6) · P2 (3) = 1/3 bestimmt. Der zweite Würfel ist dem ersten überlegen. Einführung: Regeln für Mengen Mit den drei Verknüpfungen Vereinigungsmenge, Schnittmenge und Komplement lassen sich aus vorgegebenen Mengen neue bilden. Im folgenden Kapitel werden Regeln für diese Verknüpfungen zusammengestellt. Einstieg Sie kennen es bereits, dass Rechenregeln beim Rechnen mit Zahlen die Ermittlung des Ergebnisses für eine komplexe Rechnung stark vereinfachen können. Soll zum Beispiel die folgende Rechnung durchgeführt werden: x = 3 · 427 + 427 · 7, so können wir im ersten Schritt für den zweiten Summanden das Kommutativgesetz der Multiplikation nutzen. Es gilt damit: x = 3 · 427 + 7 · 427. Wenn wir nun das Distributivgesetz anwenden, so erhalten wir weiter: x = (3 + 7) · 427. Die folgende Rechnung ist dann sehr leicht: x = 10 · 427 = 4270. Für die Verknüpfung von Mengen erhalten wir ganz ähnliche Regeln: Assoziativ-, Kommutativ-, Distributiv-, Idempotenzgesetze Assoziativgesetze: ( A ∪ B) ∪ C = A ∪ ( B ∪ C ) sowie ( A ∩ B) ∩ C = A ∩ ( B ∩ C ) Kommutativgesetze: A∪B = B∪A sowie A∩B = B∩A Distributivgesetze: ( A ∩ B) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ ( B ∪ C ) ( A ∪ B) ∩ C = ( A ∩ C ) ∪ ( B ∩ C ) Idempotenzgesetze: A ∪ A = A sowie A∩A = A MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 53 Die Regeln für die Verknüpfung von Mengen lassen sich mit der Aussagenlogik nachweisen. Dies soll am Beispiel des Kommutativgesetzes für die Vereinigungsmenge gezeigt werden: A ∪ B = { x | x ∈ A ∨ x ∈ B} B ∪ A = { x | x ∈ B ∨ x ∈ A} Nun gilt für die Disjunktion das Kommutativgesetz: x∈A ∨ x∈B ⇔ x∈B ∨ x∈A Von daher gilt insgesamt: x ∈ A∪B ⇔ x ∈ A ∨ x ∈ B ⇔ x ∈ B ∨ x ∈ A ⇔ x ∈ B∪A Und damit sind die beiden Mengen gleich. Eine Plausibilität der Rechenregeln kann auch durch die geometrischen Veranschaulichungen für Mengen gezeigt werden. Als Nachweis gelten diese Graphiken aber nicht. Oft können solche Graphiken einem die Übersicht über mathematische Zusammenhänge verdeutlichen und einen Leitfaden für den richtigen Nachweis liefern. Als Beispiel soll hier das Distributivgesetz ( A ∩ B) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ ( B ∪ C ) vorgestellt werden: Erläuterung 53. Überlegen Sie, welche Gesetzte der Aussagenlogik die weiteren Regeln für Mengen begründen. Übungsaufgaben MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 54 Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 54. Welche der folgenden Gleichungen gilt für alle Mengen A, B und C? a) ( A \ B) ∩ C = ( A ∩ B) \ ( B ∩ C ) b) ( A ∩ B) \ C = ( A \ C ) ∩ ( B \ C ) c) A ∩ B = B \ ( B \ A) 55. Wie muss die Menge C gebildet werden, damit folgende Aussagen wahr sind? a) ∀ x ∈ C : ( x ∈ A ∧ x ∈ B) b) ∀ x ∈ C : ( x ∈ A ∨ x ∈ B) c) ∀ x ∈ C : ( x ∈ A ∧ x ∈ / B) d) ∀ x ∈ C : ( x ∈ C → x ∈ B) 56. Alle im Folgenden benutzten Mengen seien Teilmengen einer Menge Ω. Mit A = Ω \ A sei das Komplement von A in Ω bezeichnet. Zeigen Sie, dass gilt: Gesetze von De Morgan A∩B = A∪B sowie A ∪ B = A ∩ B. Diese Gleichungen werden auch als Gesetze von De Morgan bezeichnet. 57. Wir betrachten nur Mengen, die Teilmenge einer vorgegebenen Menge Ω sind. a) Stellen Sie A ∪ B allein mit Hilfe des Komplements und der Schnittmenge zweier Mengen dar. August De Morgan 1806-1871 b) Stellen Sie A ∩ B allein mit Hilfe des Komplements und der Vereinigungsmengemenge zweier Mengen dar. Probleme und Anwendungen 58. Si seien Teilmengen von T = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Welche Elemente in Si enthalten sind, wird durch die folgende Matrix angegeben: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 S1 1 0 1 1 0 0 0 0 0 S2 1 1 0 0 0 0 1 1 0 S3 0 0 1 0 1 1 0 0 0 S4 0 0 1 1 0 0 0 0 0 S5 1 0 1 1 0 0 1 0 0 S6 0 1 0 0 1 0 0 1 1 S7 0 1 0 0 0 0 0 1 0 S8 1 0 1 0 0 0 1 0 0 S9 0 1 0 1 1 0 0 0 0 MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln Steht in der Spalte unterhalb von Si in der Zeile von j eine 1, so gehört j zur Menge Si sonst gehört j nicht zu Si . So lautet zum Beispiel die Menge S1 = {1, 3, 4}. Gesucht ist eine Auswahl von Mengen Si , so dass die Vereinigungsmenge die Menge T ergibt. Dabei sollen möglichst wenige Mengen Si benutzt werden. Bemerkung: Bei dem vorgegebenen Problem handelt es sich um ein Überdeckungsproblem, das im allgemeinen Fall nicht so leicht wie das vorgegebene zu lösen ist. Bisher ist noch kein Lösungsverfahren bekannt, bei dem die Bearbeitungszeit für die Lösung auch bei großen Problemen (die Menge T enthält viele Elemente und es stehen viele Teilmengen zur Verfügung) realisierbar ist. In der Praxis wird das Problem noch dadurch erschwert, dass die Teilmengen Si verschiedene Kosten verursachen. Das Lösen eines SUDOKU ist im Übrigen ein Überdeckungsproblem. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 55 56 Wissensspeicher Anmerkung Venn-Diagramme dienen zur grafischen Veranschaulichung der Mengenlehre und wurden nach dem engl. Mathematiker John Venn (1894-1923) benannt. Verknüpfungen von Mengen: Vereinigungsmenge, Schnittmenge, Differenz, Komplement kartesisches Produkt Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln Die Möglichkeiten, aus zwei vorgegebenen Mengen neue Mengen zu bilden, sollen hier anhand von Graphiken zusammengestellt werden. Diese Graphiken heißen auch Venn-Diagramme. Vereinigungsmenge A ∪ B := { x | x ∈ A ∨ x ∈ B} Schnittmenge A ∩ B := { x | x ∈ A ∧ x ∈ B} Differenz A \ B := { x ∈ A | x ∈ / B} Komplement von A in Ω Für zwei Mengen A und B wird das kartesische Produkt A × B wie folgt gebildet: A × B := {( a|b) | a ∈ A ∧ b ∈ B} Regeln für die Verknüpfung von Mengen Assoziativgesetze: ( A ∪ B) ∪ C = A ∪ ( B ∪ C ) sowie ( A ∩ B) ∩ C = A ∩ ( B ∩ C ) Kommutativgesetze: A∪B = B∪A sowie A∩B = B∩A Distributivgesetze: ( A ∩ B) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ ( B ∪ C ) ( A ∪ B) ∩ C = ( A ∩ C ) ∪ ( B ∩ C ) Idempotenzgesetze: A ∪ A = A Regeln von De Morgan sowie A∩A = A Es gelte: A, B ⊆ Ω. A∩B = A∪B sowie A ∪ B = A ∩ B. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 5 Mengenlehre: Regeln 57 Kurzkontrolle 1. Setzen Sie an die Stelle von ∆ das richtige Symbol ein. (∩, ∪, \, ×) a) N0 = N∆{0} b) R3 = R2 ∆R c) N = N0 ∆{0} d) (−2, 2) = [−2, 2)∆(−2, 2] 2. Bilden Sie die Mengen A ∩ B, A ∪ B, A \ B sowie A × B, wobei A = (0, 7) B = [3, 10] 3. Geben Sie eine Mengenschreibweise für die skizzierten Mengen an: a) b) 4. A und B seinen endliche Mengen. Unter welchen Zusatzvoraussetzungen gelten folgende Regeln: a) | A ∪ B| = | A| + | B| b) | A \ B| = | A| − | B| c) ‘| A × B| = | A| · | B| 5. Beurteilen Sie folgende Aussagen: a) Die Vereinigungsmenge zweier endlicher Mengen besitzt immer mehr Elemente als die Mengen, aus denen die Vereinigungsmenge gebildet wurde. b) Die Schnittmenge zweier endlicher Mengen besitzt immer weniger Elemente als die Mengen, aus denen die Schnittmenge gebildet wurde. c) Das kartesische Produkt zweier endlicher Mengen besitzt immer mehr Elemente als die Mengen, aus denen es gebildet wurde. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 59 Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre Die beste aller Gleichungen für eine gesuchte unbekannte Größe x lautet: x = Lösung. Einführung Das Ziel beim Lösen einer beliebigen anderen Gleichung wie zum Beispiel √ √ x · x + 1 = 2x + 3 · x (Gleichung 1) besteht darin, diese in die beste aller Gleichungen zu überführen. In Kapitel 4 hatten wir im zweiten Beispiel bereits Gleichung 1 betrachtet. Die dabei vorgestellten Umformungen enthielten aber offensichtlich Fehler, denn sie führten zu der Gleichung: Einstieg x = −2. Dieser Wert führt nach Einsetzen in die Ausgangsgleichung zu negativen Zahlen unter den Wurzeln und damit zu undefinierten Ausdrücken. Dies gibt Anlass, von vorne herein zu klären, welche Werte für die gesuchte Lösung überhaupt in Frage kommen. Da Gleichungen ein Spezialfall der Aussageformen sind, sollen die Begriffsbildungen allgemein für Aussageformen eingeführt werden. Grundmenge: Dies ist eine Menge von geeigneten Zahlen, die vom Anwender ausgewählt wird. Definitionsbereich: Dies ist eine Teilmenge der Grundmenge. Sie beinhaltet alle Elemente der Grundmenge, für die die in der Aussageform auftretenden Terme definiert sind. Lösungsmenge: Dies ist eine Teilmenge der Definitionsmenge. Sie beinhaltet alle Elemente, die die Aussageform A( x ) nach Einsetzen für x in eine wahre Aussage überführen. Aussageformen (z.B. Gleichungen) 60 Beispiele Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre (51) Gesucht ist ein Quadrat, dessen Flächeninhalt F = 49 cm2 beträgt. Die zugehörige Gleichung für die Maßzahl a der Kantenlänge des Quadrates lautet: a2 = 49 Diese Gleichung besitzt zwei Lösungen: a1 = 7 sowie a2 = −7. Wir können aber von vorneherein negative Lösungen ausschließen. Die Grundmenge für die Lösung der Gleichung sollte zu G = R>0 gewählt werden. Die Lösungsmenge lautet daher: L = {7}. (52) Die Gleichung 3 3 − =2 x−1 x+1 besitzt einen eingeschränkten Definitionsbereich. Er lautet: D = R \ {−1, 1}. Dieser eingeschränkte Definitionsbereich muss bei Umformung der Gleichung beibehalten werden. Multiplizieren wir die Gleichung mit ( x2 − 1), um die Nenner zu beseitigen, so sehen wir der umgeformten Gleichung optisch den eingeschränkten Definitionsbereich nicht mehr an: 3 · ( x + 1) − 3 · ( x − 1) = 2 · ( x 2 − 1). Die Lösungsmenge der letzten Gleichung lautet: L = {−2, 2}. Dies ist auch die Lösungsmenge der Ausgangsgleichung, da L ⊆ D. Aufgaben 59. Geben Sie sinnvolle Grundmengen für die Berechnung der Maßzahlen für folgende Größen an: a) Stückzahl bei einer Produktion b) Entfernung c) Temperatur d) Kontostand e) Flächeninhalt eines Grundstücks f) Prozentzahl g) Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis h) Einwohnerzahl i) Winkel j) Besucherzahl. 60. Bestimmen Sie die Definitionsmenge der folgenden Gleichungen in der Grundmenge R. √ 1 1 a) 2 + =0 b) x2 = 11 x −4 3 √ c)( x )2 = 11 d) lg(1 − x ) = 3 e)x = sin( x ) f) − 2 = lg(2 sin(3x ) − 4) MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre 61 Zwei Aussageformen A( x ) und B( x ) heißen zueinander äquivalent, wenn ihre Definitionsbereiche und ihre Lösungsmengen gleich sind. Äquivalenz von Aussageformen Schreibweise: A( x ) ⇔ B( x ) Als erstes sollen gutartige Beispiele betrachtet werden. (53) Die Lösungsmenge einer Gleichung ändert sich nicht, wenn auf beiden Seiten der Gleichung dieselbe Zahl addiert wird: x+3 = 4 ⇔ x = 1 (54) Die Lösungsmenge einer Gleichung ändert sich nicht, wenn auf beiden Seiten der Gleichung mit derselben Zahl a ∈ R \ {0} multipliziert wird: 3·x = 9 ⇔ x = 3 Die Einschränkung im zweiten Beispiel führt bereits zu einer Umformung, die die Lösungsmenge einer Gleichung ändert. Multiplizieren wir beide Seiten einer Gleichung mit a = 0, so kann sich die Lösungsmenge der Gleichung ändern. (55) Die Gleichung 3 · x = 9 geht nach Multiplikation beider Seiten der Gleichung mit Null über in die Gleichung: 0·x = 0 und diese letzte Gleichung besitzt die Lösungsmenge L = D, wobei D die Definitionsmenge der Gleichung ist. Nun sagen Sie vielleicht, dass keiner so dumm sei, eine Gleichung mit Null zu multiplizieren. Tatsächlich ist aber die “heimliche Multiplikation” mit Null einer der häufigsten Fehler beim Lösen von Gleichungen. Dies schauen wir uns an einem einfachen Beispiel an: (56) 3+x = 4+x (Gleichung 2) Wir multiplizieren beide Seiten der Gleichung mit a = x − 2 und erhalten: (3 + x ) · ( x − 2) = (4 + x ) · ( x − 2) (Gleichung 3) Ausmultiplizieren beider Seiten führt zu: x2 + x − 6 = x2 + 2x − 8 Addition von a = − x2 − x + 8 auf beiden Seiten der Gleichung führt zu: 2 = x. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiele 62 Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre Dies ist aber keine Lösung der Gleichung 2, denn es gilt: 3 + 2 6= 4 + 2. Die Lösung x = 2 hat sich bei der Umformung von Gleichung 2 zu Gleichung 3 eingeschlichen. Denn genau für x = 2 wurde in diesem Schritt mit Null multipliziert. Für x = 2 lautet Gleichung 3 dementsprechend: 0 = 0. (57) Im vorangegangenen Beispiel haben wir gesehen, dass die Lösungsmenge einer Gleichung vergrößert werden kann. Genauso kann man bei manchen Umformungen Lösungen verlieren. Hierfür betrachten wir nochmals Gleichung 1 aus dem 2. Beispiel im Einstieg: √ √ x · x + 1 = 2x + 3 · (Gleichung 1) Diese Gleichung wird für x = 0 gelöst. Wenn wir nun durch x dividieren, so ist diese Operation genau für x = 0 nicht zulässig. Wird der Sonderfall x = 0 nicht beachtet, verlieren wir die einzige Lösung dieser Gleichung. Die korrekte Vorgehensweise zur Lösung der Gleichung 1 sieht wie folgt aus: Wir gehen zunächst davon aus, dass die Grundmenge, in der wir Lösungen suchen, die reellen Zahlen sind. Dann bestimmen wir den Definitionsbereich der Gleichung. Dieser wird durch die Wurzeln eingeschränkt auf: D = { x | x > −1} Nun stellen wir fest, dass x = 0 Lösung der Gleichung ist. Für x 6= 0 ändert sich die Lösungsmenge nicht, wenn wir beide Seiten der Gleichung durch x dividieren. Alle Lösungen x 6= 0 müssen daher die Gleichung: √ √ x + 1 = 2x + 3 erfüllen. Zwei Wurzeln sind genau dann gleich, wenn die Radikanden gleich sind. Also muss gelten: x + 1 = 2x + 3 Dies ist aber nur für x = −2 der Fall und dieser Wert liegt nicht im Definitionsbereich der Gleichung, gehört damit nicht zur Lösungsmenge. Zusammenfassend lässt sich damit sagen: Die Lösungsmenge der Gleichung 1 lautet: L = {0}. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre 61. Wo steckt der Fehler? x2 − x2 = x2 − x2 ⇔ x · (x − x) = (x + x) · (x − x) ⇔ : (x − x) x = x+x ⇔ x = 2·x ⇔ : x 1=2 62. Handelt es sich bei folgenden Umformungen von Gleichungen immer um Äquivalenzumformungen? Welche Sonderfälle müssen beachtet werden? a) Addition derselben reellen Zahl auf beiden Seiten der Gleichung. b) Addition desselben beliebigen Terms auf beiden Seiten der Gleichung. c) Multiplikation beider Seiten der Gleichung mit derselben reellen Zahl. d) Multiplikation beider Seiten der Gleichung mit demselben Term. e) Quadrieren beider Seiten der Gleichung. f) Wurzelziehen auf beiden Seiten der Gleichung. g) Kehrwertbildung auf beiden Seiten der Gleichung. h) Termumformung auf einer Seite der Gleichung. 63. Wo steckt der Fehler (falls es einen gibt )? 0 = 0 − 42 −42 = −42 36 − 78 = 169 4 2 13 6− 2 13 6− 2 6 36 − 78 + = = = = 169 49 − 91 + 4 169 49 − 91 + nach binom. Formel 4 13 2 √ 7− 2 13 13 7− + 2 2 7 Manchmal lässt es sich beim Lösen einer Gleichung nicht vermeiden, Umformungen durchzuführen, die die Lösungsmenge verändern. Um in diesen Fällen genau nachzuhalten, in welcher Beziehung die Ausgangsgleichung und die umgeformte Gleichung stehen, führen wir noch die folgenden Beziehungen zwischen Gleichungen ein: MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 63 Aufgaben 64 Folgerung bei Aussageformen Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre Über eine Grundmenge G gelte: Die Aussageformen A( x ) und B( x ) sind definiert. A( x ) besitze die Lösungsmenge L1 und B( x ) besitze die Lösungsmenge L2 . Aus der Aussageform A( x ) folgt die Aussageform B( x ), wenn gilt: L1 ⊆ L2 . Schreibweise: A( x ) ⇒ B( x ) Beispiele (58) Wird eine Gleichung quadriert, so können wir lediglich eine Folgerung aber keine Äquivalenz zwischen Gleichungen feststellen. x = 1 ⇒ x2 = 1 Die Gleichung x = 1 besitzt die Lösungsmenge L1 = {1}. Die Gleichung x2 = 1 besitzt die Lösungsmenge L2 = {−1, 1}. Es gilt die Beziehung: L1 ⊂ L2 . (59) Wird die Sinusfunktion auf beiden Seiten einer Gleichung angewendet, so erhält eine Gleichung sogar unendlich viele Lösungen. x wird dabei im Bogenmaß gemessen: x = 0 ⇒ sin x = 0 Die Gleichung x = 0 besitzt die Lösungsmenge L1 = {0}. Die Gleichung sin x = 0 besitzt die Lösungsmenge L2 = { x | x = π · k, k ∈ Z}. Aufgaben 64. Berechnen Sie die Lösungen der folgenden Gleichungen in der Grundmenge R. a) 11x = x2 − 30 √ √ √ √ b) (3 · x + 5) − (6 · x − 10) = 7 · x − 5 − 2 · ( x − 2) √ c) x = 14 + 5 · x 3 18 − =0 x−4 x+1 1 1 1 e) 2 − 2 = 2 x +x x +x x + 3x + 2 d) 65. In der Technik finden wir viele Gleichungen, die den Zusammenhang zwischen physikalischen Größen in bestimmten Versuchsanordnungen beschreiben. Dabei kommen immer mehrere variable Größen in einer Gleichung vor. So gilt für die Höhe h(t), in der sich ein Körper MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre 65 beim senkrechten Wurf zum Zeitpunkt t befindet, wenn man den Luftwiderstand mit berücksichtigt: r r r m cg c cg h(t) = · ln cos · t + v0 · sin ·t . c m mg m m: Masse des Körpers g: Erdbeschleunigung v0 : Anfangsgeschwindigkeit c: Reibungskonstante Man möchte nun weitere Rechnungen nicht für jeden Spezialfall einzeln durchführen, sondern allgemeine Aussagen unabhängig von den konkreten Werten für zum Beispiel Masse und Anfangsgeschwindigkeit erhalten. Die folgenden Aufgaben sollen den Umgang mit Gleichungen üben, in denen mehrere nicht konkretisierte Zahlen vorkommen. Gesucht ist immer eine Lösung für x in Abhängigkeit der anderen auftretenden Größen: a + 1x ax cx 1+x 1 a) − =e b) =a i) = a+ 1 b d 1−x a a− x j) 1 a 1 a −x 1 + = +x a 1 a x 1 − +x a k) 0 = x · tan α − gx2 2v20 cos2 α 66. In den Anwendungen liegen häufig mehrere Gleichungen für mehrere zu bestimmende Variablen vor. Soll zum Beispiel 12%-iger Alkohol mit 84%-igem Alkohol gemischt werden, um 1 l 18% Alkohol zu erhalten, so entsteht ein lineares Gleichungssystem. Setzten Sie an, dass Sie x l der 12%-igen Lösung und y l der 18%-igen Lösung mischen. Es ist hier sinnvoll, die gesuchte Lösung als Tupel ( x |y) zu verstehen. Die Grundmenge für die gesuchte Lösung ist daher: G = [0, 1] × [0, 1]. Die erste Gleichung erhalten wir aus der Bedingung, dass die Mischung 1 l ergibt: x+y = 1 Die Lösungsmenge dieser ersten Gleichung können wir als Strecke auffassen. Stellen Sie die zweite Gleichung für x und y auf und zeichnen Sie die Lösungsmenge ebenfalls in das Koordinatensystem ein. Bestimmen Sie die Schnittmenge der beiden Lösungsmengen als gesuchte Lösung für das Problem. 67. Für welche reellen Zahlen a besitzt das lineare Gleichungssystem a · x + 3y = a 3x + a · y = a keine, genau eine oder unendlich viele Lösungen? Geben Sie im Falle der Lösbarkeit die Lösungsmenge an. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Probleme und Anwendungen 66 Wissensspeicher Gleichungen: Grundmenge, Definitionsbereich, Lösungsmenge Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre Bevor eine Gleichung gelöst wird, muss festgestellt werden, welche Lösungen überhaupt in Frage kommen. Dabei kann die Lösungsmenge sowohl durch das praktische Problem, aus dem die Gleichung resultiert, als auch durch auftretende Terme eingeschränkt werden. Grundmenge: Dies ist eine Menge von geeigneten Zahlen, die vom Anwender ausgewählt wird. Definitionsbereich: Dies ist eine Teilmenge der Grundmenge. Sie beinhaltet alle Elemente der Grundmenge, für die die in der Aussageform auftretenden Terme definiert sind. Lösungsmenge: Dies ist eine Teilmenge der Definitionsmenge. Sie beinhaltet alle Elemente, die die Aussageform A( x ) nach Einsetzen für x in eine wahre Aussage überführen. Gleichungen werden in der Regel dadurch gelöst, dass sie durch Umformungen in andere Gleichungen überführt werden. Dieses Verfahren führt gesichert zum Ziel, wenn die Lösungsmenge durch die Umformung nicht verändert wird. Äquivalenz von Aussageformen Zwei Aussageformen A( x ) und B( x ) heißen zueinander äquivalent, wenn ihre Definitionsbereiche und ihre Lösungsmengen gleich sind. Schreibweise: A( x ) ⇔ B( x ) Kann nach Umformung einer Gleichung nur noch eine Enthaltensrelation für die Lösungsmengen festgestellt werden, so besteht keine Äquivalenz der Gleichungen mehr. Folgerung bei Aussageformen Über einer Grundmenge G gelte: Die Aussageformen A( x ) und B( x ) sind definiert. A( x ) besitze die Lösungsmenge L1 und B( x ) besitze die Lösungsmenge L2 . Aus der Aussageform A( x ) folgt die Aussageform B( x ), wenn gilt: L1 ⊆ L2 . Schreibweise: A( x ) ⇒ B( x ) Wurden solche Umformungen benutzt, so müssen die Endlösungen daraufhin überprüft werden, ob sie auch die Anfangsgleichungen lösen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 6 Anwendung: Gleichungslehre 67 Kurzkontrolle 1. Über welcher der folgenden Grundmengen besitzen die unten angeführten Gleichungen Lösungen: Z, Q, R? a) x2 = 122 b) 5x + 2 = 4 c) 3 =1 x+2 2. Geben Sie den Definitionsbereich in der Grundmenge R für die folgenden Gleichungen an: √ p 1 3 2 + 4x = 3 c) a) = b) 5 − x ( x − 1)2 = 7 ( x − 1)2 x2 − 1 3. Ermitteln Sie die Lösungen der Gleichungen aus Aufgabe 2. 4. Beurteilen Sie folgende Aussagen: a) Der Definitionsbereich einer Gleichung kann nie die leere Menge sein. b) Die Lösungsmenge einer Gleichung ist immer eine endliche Menge. c) Die Grundmenge einer Gleichung hängt vom Definitionsbereich ab. d) Äquivalente Gleichungen besitzen immer dieselbe Lösungsmenge. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 69 Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe 70 Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe Einführende Beispiele MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe 71 Relationen, Zuordnungen und Funktionen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 72 Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe Wichtige Funktionstypen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe 73 Verknüpfungen von Funktionen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 74 Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe Eigenschaften von Funktionen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 7 Abbildungen: Beispiele und Grundbegriffe 75 Funktionen mit Parametern MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 77 Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen 78 Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen Modellierung MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen 79 Kombinatorik: Abzählen von Mengen MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 80 Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen Beschreibung von Mengen im R2 und R3 MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 8 Abbildungen: Anwendungen 81 Funktionenräume MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 83 Kapitel 9 Natürliche Zahlen Ein Gespräch zwischen Mathefan und Nervmath: NM: Ich finde die natürlichen Zahlen ja sowas von langweilig! MF: Ach wirklich? Alle natürlichen Zahlen finden Sie langweilig? NM: Kann man so sagen. Also gut, die 4 ist eigentlich ganz ok, weil ich bin ja Fan von Schalke 04, und das ist nicht langweilig. MF: Aha. Also sind die natürlichen Zahlen doch nicht so langweilig. NM: Moment! Haben ausgerechnet Sie als Mathesüchtiger die ganze Logik vergessen? Bloss weil ich mal eine natürliche Zahl nicht langweilig finde, kann ich doch alle anderen immer noch langweilig finden! MF: Nein, so einfach geht das nicht. Aber erst mal: Was halten Sie denn von 1, 2 und 3? NM: Ja, die sind ganz ok und auch relevant in Sachzusammenhängen. So was wie ”Ober, noch 3 Biere” kann man ja schon mal benötigen. Und letztens hat Schalke 04 mal Einsnull im Pokal gegen Bayern gewonnen. Aber irgendwann, wenn die natürlichen Zahlen zu gross werden, sind sie nur noch langweilig. MF: Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: So einfach geht das nicht! Fassen wir mal zusammen: Sie finden also einige kleine natürliche Zahlen nicht langweilig, aber die meisten schon. Richtig? NM: Richtig! MF: Wenn wir das in Mengensprache ausdrücken wollten, würden Sie also sagen, dass die Teilmenge L von N, die gerade die langweiligen naürlichen Zahlen enthält, nicht leer ist. Richtig? NM: Wenn, ich betone: wenn ich das in Mengensprache ausdrücken wollte, dann meinetwegen: Ja! MF: Sehr schön! Jetzt sehen wir uns die Sache mal von einer allgemeineren Perspektive an: Stellen Sie sich irgendeine nichtleere Teilmenge M der natürlichen Zahlen vor. Einstieg 84 Kapitel 9 Natürliche Zahlen NM: Warum? MF: Bitte! NM: Also gut, aber das Wort ”langweilig” schwebt immer monumentaler vor meinem geistigen Auge. MF: Wenn Sie jetzt versuchen, immer kleinere und kleinere Zahlen aus M zu finden, wird das nach endlich vielen Schritten zum Ende kommen. Richtig? NM (denkt kurz nach): Ok, es gibt ja bei den natürlichen Zahlen eine kleinste (die 1), und zwischen irgendeiner Zahl aus M und der 1 liegen ja überhaupt nur endlich viele natürliche Zahlen. Da nimmt man sich halt die kleinste davon, die in M liegt. Ok, ich gebe Ihnen recht. Aber beachten Sie, dass ich trotz dieser weltbewegenden Erkenntnis nicht vor lauter Erregung auf und ab hüpfe. MF: Ich bin ja auch noch nicht fertig. In der bequemen und präzisen Mengensprechweise können wir also festhalten, dass jede nichtleere Teilmenge von N ein kleinstes Element enthält. Einverstanden? NM (schreckt auf): Sorry, ich bin kurz weggenickt. Die unerträgliche Spannung, Sie verstehen. Aber ok, einverstanden. MF: Gut. Jetzt kommen wir zurück zur Menge L der langweiligen natürlichen Zahlen. Sie sagen, dass L 6= ∅. Nach dem, was wir eben erarbeitet haben, hat L dann ein kleinstes Element, dem wir den Namen z geben können. Ok? NM: Wenn es Sie glücklich macht: Ok. Aber wie wäre es damit, mal was Sinnvolles zu machen. MF: Mache ich doch gerade: Diese Zahl z ist also die kleinste langweilige natürliche Zahl. Mann, das ist doch eine interessante Eigenschaft, oder? Kleinste langweilige natürliche Zahl, das gibt es ja nur einmal. Also ist z interessant und überhaupt nicht langweilig, also z 6∈ L. Und das ist ein Widerspruch. Richtig? NM: Ja, aber was soll’s? MF (ganz aufgeregt): Was das soll? Mann, aus der Annahme L 6= ∅ ergibt sich ein Widerspruch! Also muss L = ∅ gelten, und es gibt keine langweilige natürliche Zahl! NM (sieht Mathefan lange an, dann seufzt er tief): Ich glaube, ich finde doch lieber alle natürlichen Zahlen langweilig. Probleme und Anwendungen Was sagen Sie zu den Argumenten der beiden Herren? Führen Sie die Diskussion weiter, wenn Sie Lust haben. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 9 Natürliche Zahlen Sie kennen sicher folgende Zahlbereiche: 85 Die Zahlbereiche N und N0 N = {1, 2, 3, . . .} (Natürliche Zahlen) N0 = {0, 1, 2, 3, . . .} (Natürliche Zahlen mit Null) Sie sind auch daran gewöhnt, mit diesen Zahlen zu rechnen und viele Eigenschaften sind Ihnen (bewusst oder unbewusst) bekannt. In diesem Kapitel soll es darum gehen, diese Eigenschaften etwas zu sortieren und zu systematisieren. Welche Rechenoperationen kann man innerhalb des Bereichs der natürlichen Zahlen uneingeschränkt ausführen? Lokales Ordnen Mathematik ist unter anderem eine begründende und beweisende Disziplin. Aber es ist - wie auch schon in früheren Kapiteln angemerkt - keineswegs einfach, die ganze Mathematik von Grund auf aufzubauen, und solche Fragestellungen stehen noch nicht mal für alle Mathematiker im Vordergrund. Andererseits: Niemand, der sich mit Mathematik beschäftigt, kann ohne ein gewisses Strukturieren voran kommen. Mathematik ist keine Ansammlung unzusammenhängender Rezepte, sondern mathematische Fakten, Methoden und Argumente stehen in einem Sinnzusammenhang. Man sieht vielfach, dass ein Faktum aus einem anderen hergeleitet werden kann, oder eine Regel eine Konsequenz einer anderen ist. Lokales Ordnen (ein von H. Freudenthal populär gemachter Begriff) ist für die meisten in der Auseinandersetzung mit Mathematik ein sinnvoller Zugang. Wenn man z.B. einmal eingesehen hat, dass die binomische Formel eine Konsequenz des Distributivgesetzes ist, dann kann man sie sich notfalls auch mal wieder zurechtlegen. Diese Strukturierung macht einen effektiven Umgang mit Mathematik überhaupt erst möglich. Was war gleich wieder das Distributivgesetz? Und was war gleich wieder die (erste) binomische Formel? Wie sieht es mit der oben angesprochenen Herleitung aus?Brauchen Sie ausser dem Distributivgesetz noch weitere Rechengesetze? Im Folgenden sollen nun N im Sinne des lokalen Ordnens angesehen werden. Wir gehen dabei nicht völlig systematisch vor, und wenn Sie genau hinsehen, werden Sie sicher Lücken oder nebulöse Zonen finden. Sie werden aber im Lauf des Ganzen einen Einblick erhalten, wie mathematisches Denken und Argumentieren im Grunde funktionieren. Wir fangen damit an, gewisse ”fundamentale” Eigenschaften von N zu sammeln. (Die Sammlung ist nicht zufällig, sie beruht vor allem auf kollektiver Erfahrung.) MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Probleme und Anwendungen Exkurs Probleme und Anwendungen 86 Kapitel 9 Natürliche Zahlen Fundamentales zu N: 1. Natürliche Zahlen lassen sich addieren. Für die Addition gelten unter anderem die Regeln n+m = m+n (k + m) + n = k + (m + n) für alle m, n ∈ N für alle k, m, n ∈ N (Kommutativgesetz bzw. Assoziativgesetz der Addition.) 2. Natürliche Zahlen lassen sich multiplizieren. Für die Multiplikation gelten unter anderem die Regeln n·m = m·n (k · m) · n = k · (m · n) für alle m, n ∈ N für alle k, m, n ∈ N (Kommutativgesetz bzw. Assoziativgesetz der Multiplikation.) Zudem gibt es ein neutrales Element für die Multiplikation, nämlich die Eins: Für alle n ∈ N gilt 1 · n = n. Weiterhin gilt auch folgende Kürzungsregel: Sind n, x und y natürliche Zahlen und ist n · x = n · y, so folgt schon x = y. 3. Addition und Multiplikation sind über das Distributivgesetz verknüpft: Für alle k, m, n ∈ N gilt k · (m + n) = k · m + k · n. 4. Natürliche Zahlen lassen sich vergleichen und anordnen: Sind m und n verschiedene natürliche Zahlen, so gilt entweder m < n oder n < m. Bezüglich dieser Anordnung ist die Eins das kleinste Element; es gilt also 1 < n für alle n ∈ N, n 6= 1. 5. Die Anordnung ist mit Addition und Multiplikation verträglich; das heisst: Sind m, x, y ∈ N mit x < y, Sind m, x, y ∈ N mit x < y, so auch m + x < m + y. so auch m · x < m · y. Diese Liste ist keineswegs optimiert in dem Sinn, dass möglichst wenige Fakten und Eigenschaften gesammelt wurden. Auch ist keineswegs klar, ob durch diese Liste der Zahlbereich N eindeutig beschrieben ist. Aber wir wollen uns im Folgenden (möglichst) auf die aufgeführten Eigenschaften bechränken und sehen, wie weit wir damit kommen. Ein bisschen was davon sollen auch Sie ausprobieren. Probleme und Anwendungen 1. Weisen Sie nach: Wenn m, n ∈ N und n > 1, dann ist m < m · n. 2. Weisen Sie nach: Sind k, m, n ∈ N und ist m < n, so ist k · (n − m) = k · m − k · n. (Hinweis: Sind a, b ∈ N mit a < b, so ist z = b − a diejenige natürliche Zahl, welche a + z = b erfüllt.) MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 9 Natürliche Zahlen 87 Wir wollen uns nun mit einem Thema befassen, das Sie sicher schon aus der Sek I kennen. Aber vielleicht ist Ihnen die Perspektive neu. Teilbarkeit in N Teiler und Vielfache Eine natürliche Zahl m heisst Teiler der natürlichen Zahl n (in Zeichen: m|n), wenn es ein b ∈ N gibt, so dass m · b = n. Man sagt dann auch, n sei Vielfaches von m. Für die Teilbarkeit lassen sich einige Regeln aufstellen und nachweisen. Sind k, m, n ∈ N, so gilt m|n m|n m|n m|n und und und und m|k n|k n|m m 6= n ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ m|(n + k ) m|k m=n m<n (a) Für jede natürliche Zahl n gilt 1|n. Beispiele (b) 2|6, 3|6 und 6|6. Neben der 1 sind damit alle Teiler von 6 genannt. (c) Wir beweisen mal die zweite Regel im obigen Kasten: Es sei also m Teiler von n und n Teiler von k. Dann gibt es nach Definition ein a ∈ N mit n = a · m. Ebenso gibt es nach Definition ein b ∈ N mit k = b · n. Damit folgt k = b · n = b · ( a · m) = (b · a) · m (Beachten Sie, dass hier das Assoziativgesetz der Multiplikation vewendet wurde.) Nach Definition ist also k Vielfaches von m. 1. Beweisen Sie die erste Regel für Teilbarkeit im Kasten. 2. Beweisen Sie die dritte Regel für Teilbarkeit im Kasten. Probleme und Anwendungen 3. Beweisen Sie die vierte Regel für Teilbarkeit im Kasten. Eine natürliche Zahl a mit a > 1 heisst (multiplikativ) zerlegbar, wenn es natürliche Zahlen b > 1 und c > 1 gibt, so dass a = b · c. Falls die natürliche Zahl a > 1 nicht zerlegbar ist, nennt man a auch Primzahl. (Die 1 hat bei der Multiplikation eine Sonderrolle und wird deshalb hier herausgehalten. Insbesondere ist nach dieser - der üblichen Definition die 1 keine Primzahl.) (a) 1001 = 11 · 91 = 11 · 7 · 13 = 7 · 143 ist zerlegbar. (b) 641 ist eine Primzahl. (c) Die ersten zehn Primzahlen sind 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29. (d) Bei der Zahl 2641 + 1 ist es gar nicht so einfach, etwas über ihre Zerlegbarkeit oder Unzerlegbarkeit zu sagen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Zerlegbarkeit und Primzahlen Beispiele 88 Kapitel 9 Natürliche Zahlen Nach Definition gilt: Jede natürliche Zahl n > 1 ist Primzahl oder zerlegbar. Intuitiv erscheint einem auch folgende Aussage klar: Jede natürliche Zahl n > 1 ist Primzahl oder als Produkt von Primzahlen darstellbar. Denn so lange eine Zahl zerlegbar ist, zerlegt man eben weiter, und irgendwann kommt man zu einem Ende. Was hier steht, ist aber nicht selbstverständlich, und überdies für richtig grosse Zahlen auch nicht mehr per Hand (oder per Computer) zu verifzieren. Wir brauchen also einen Beweis, und dieser Beweis beruht seinerseits auf einer weiteren fundamentalen Eigenschaft der natürlichen Zahlen. Sie kennen sie schon aus der Diskussion zu Beginn. Wohlordnung von N Probleme und Anwendungen Jede nichtleere Teilmenge von N besitzt ein kleinstes Element. Das sieht harmlos aus, aber es hat Folgen. Zunächst lässt sich damit beweisen, dass jede natürliche Zahl n > 1 Primzahl oder als Produkt von Primzahlen darstellbar ist. Die Beweistechnik nennt man auch ”Jagd nach dem kleinsten Verbrecher”. Nehmen Sie an, dass es natürliche Zahlen > 1 gibt, für die die Behauptung nicht zutrifft, und nennen Sie die Menge dieser Zahlen M. Nach Annahme ist M 6= ∅. Also besitzt M ein kleinstes Element; nennen wir es a. Dann ist a > 1, und a ist keine Primzahl (sonst wäre ja a 6∈ M). Also ist a zerlegbar, somit a = b · c mit natürlichen Zahlen b > 1 und c > 1. Weil b 6∈ M und c 6∈ M, ist b Primzahl oder als Produkt von Primzahlen darstellbar, analog für c. Aber dann ist b · c als Produkt von Primzahlen darstellbar; Widerspruch! 1. Schreiben Sie den oben skizzierten Beweis im Detail auf und begründen Sie alle Schritte. 2. Wie sieht es mit der Eindeutigkeit der Darstellung aus? (Wenn Sie diese Frage nicht abschliessend beantworten können, ist das ok.) Wir wollen nun die Wohlordnungseigenschaft von N noch für eine weitere Charakterisierung benutzen. Das Induktionsprinzip Es sei M eine Teilmenge von N mit folgenden Eigenschaften: (i) 1 ∈ M. (ii) Für alle n ∈ M gilt auch n + 1 ∈ M. Dann gilt M = N. Um dies zu begründen, nehmen wir an, dass M 6= N, also A := N \ M 6= ∅. Dann besitzt A nach dem Wohlordnungsprinzip ein kleinstes Element a. Wegen (i) ist a 6= 1, also existiert b := a − 1 ∈ N \ A = M. Aber dann ist wegen (ii) auch a = b+1 ∈ M und dies ist ein Widerspruch. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 9 Natürliche Zahlen 1. Gehen Sie alle Schritte in diesem Beweis genau durch, und identifizieren Sie die Eigenschaften von N, die Sie benutzen. 89 Probleme und Anwendungen 2. Es gibt folgende Variante des Induktionsprinzips: Vorgegeben ist eine natürliche Zahl a, und M ⊆ N habe folgende Eigenschaften: (i) a ∈ M. (ii) Für alle n ∈ M gilt auch n + 1 ∈ M. Dann gilt M ⊆ { x ∈ N; x > a}. Beweis! Wir wollen jetzt auch den Begriff der Teilbarkeit von N auf Z übertragen. Teiler und Vielfache Eine ganze Zahl m heisst Teiler der ganzen Zahl n (in Zeichen: m|n), wenn es ein b ∈ Z gibt, so dass m · b = n. Man sagt dann auch, n sei (ganzzahliges Vielfaches von m. Für die Teilbarkeit lassen sich wiederum Regeln aufstellen und nachweisen. Sind k, m, n ∈ Z, so gilt Teilbarkeit in Z m|n und m|k ⇒ m|(n + k ) m|n und n|k ⇒ m|k m|n und n|m ⇒ m = n (a) Für jede ganze Zahl n gilt: n|0 und 1|n und (−1)|n. Beispiele (b) Eine vollständige List der ganzzahligen Teiler von 6 ist wie folgt: −6, −3, −2, −1, 1 − 2, 3, 6. 1. Beweisen Sie die Regeln für Teilbarkeit im Kasten. 2. Vergleichen Sie mit den Regeln für Teilbarkeit in N. Ist etwas hinzugekommen oder weggefallen? 3. Gemeine Frage: In welcher Form könnte man den Begriff einer zerlegbaren Zahl bzw. einer Primzahl in Z einführen? Warum sollte man 0, 1 und −1 hierbei aussen vor lassen? In welcher Weise kann man dann von einer multiplikativen Zerlegung ganzer Zahlen in Primzahlen sprechen? MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Probleme und Anwendungen 90 Division mit Rest Kapitel 9 Natürliche Zahlen Bekanntlich lässt sich die Division in N oder N0 nicht uneingeschränkt ausführen, selbst wenn man auf den ohnehin hoffnungslosen Versuch verzichtet, durch 0 zu dividieren. Aber man kann ”mit Rest” dividieren. Wir sagen erst mal, was das genau heisst. Division mit Rest in N0 : Sind Zahlen a ∈ N0 und b ∈ N gegeben, so gibt es eindeutig bestimmte q ∈ N0 und r ∈ N0 derart, dass (i) a = q · b + r (ii) r < b. Ihnen ist das (jedenfalls für a, b ∈ N) vielleicht eher in der Form a = q, Rest r b bekannt. Wir benutzen in der Regel die im Kasten eingeführte Schreibweise. Man sollte die Aussage natürlich beweisen, und das wollen wir tun. Falls a < b, wähle q = 0 und r = a, und für a = b geht q = 1 und r = 0. Im Fall a > b betrachte M := { a − s · b; s ∈ N} ∩ N0 Nach Konstruktion ist M ⊆ N und wegen a − b = a − 1 · b ∈ M ist M nicht leer. Also besitzt M ein kleinstes Element, das wir r nennen: Falls 0 ∈ M, ist dies klar, ansonsten haben wir die Wohlordnungseigenschaft. Nach Definition von M gibt es ein q ∈ N derart, dass a = q · b + r. Zu zeigen ist noch, dass r < b. Aber die Annahme r > b führt auf a = ( q + 1) · b + (r − b ) und r − b ∈ M ist kleiner als r; Widerspruch! Damit ist die Existenz im betrachteten Fall a > 0, b > 0 nachgewiesen. Allgemein beweist man sie analog, mit einer geeigneten Definition von M. Aber es wird auch Eindeutigkeit behauptet, und somit muss diese bewiesen werden. Wir nehmen an, dass die Eindeutigkeitsaussage nicht wahr ist. Dann gibt es ganze a, b, q1 , r1 , q2 , r2 mit b 6= 0 und a = q1 · b + r1 ; a = q2 · b + r2 ; 0 6 r1 < | b | 0 6 r2 < | b | und die Differenz dieser beiden ergibt 0 = ( q1 − q2 ) · b + (r1 − r2 ). Falls r1 = r2 , folgt sofort q1 = q2 aus der Kürzungsregel. Falls r1 6= r2 , können wir (nach evtl. Umnumerieren) annehmen, dass r1 > r2 , also auch 0 < r1 − r2 < |b|. Es folgt dann in N: | q1 − q2 | · | b | = r1 − r2 . Dies ist ein Widerspruch. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 9 Natürliche Zahlen 91 Für die Division mit Rest bei natürlichen Zahlen kennen Sie das Rechenverfahren (hoffentlich) schon aus der Mittelstufe. Wir wiederholen es nochmal, oder? Beispiele (a) 91 = 8 · 11 + 3 (b) 49357 = 4 · 10897 + 5769 (c) −7 = (−3) · 3 + 2 Übungsaufgaben 1. Nachrechnen der Beispiele. Division mit Rest ermöglicht es, gemeinsame Teiler von zwei ganzen Zahlen a und b zu finden, also ganze Zahlen d mit d| a und d|b. Die grundlegende Beobachtung ist wie folgt: Gemeinsame Teiler Division mit Rest und gemeinsame Teiler: Es seien a und b 6= 0 ganze Zahlen sowie q, r ∈ Z mit a = q · b + r, 0 6 r < | b |. Ist d ∈ Z ein gemeinsamer Teiler von a und b, so ist d auch Teiler von r. Falls r = 0, ist b Teiler von a. Weil r < |b|, ist das Bestimmen von Teilern von r vermutlich angenehmer als für b. Aber das Verfahren lässt sich auch noch fortsetzen: chliesslich ist d nun ein gemeinsamer Teiler von b und r, und nach Division mit Rest hat man b = q∗ · r + r ∗ , 0 6 r ∗ < r, wobei wiederum d Teiler von r ∗ ist. Und so weiter. Wir hatten weiter oben die Zahl 49357 durch die Zahl 10897 mit Rest dividiert: 49357 = 4 · 10897 + 5769. Im nächsten Schritt wird 10897 durch den Rest 5769 dividiert: 10897 = 1 · 5769 + 5128. Und weiter: 5769 = 1 · 5128 + 641 5128 = 8 · 641 + 0 Wir haben damit den gemeinsamen Teiler 641 der Zahlen 49357 und 10897 gefunden. Denn 641|5128 (letzte Division). Weil 641 beide Summanden rechts in der vorletzten Gleichung teilt, teilt 641 auch 5769. Die zweite Gleichung (mit dem selben Argument) ergibt, dass 641 Teiler von 10897 ist. Und die erste Gleichung liefert schliesslich, dass 641 auch Teiler von 49357 ist. Ausserdem ergibt sich: Ist d irgendein gemeinsamer Teiler von 49357 und 10897, so ist d auch ein Teiler von 641. Somit ist 641 ein grösster gemeinsamer Teiler der beiden Zahlen. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiele 92 Übungsaufgaben Kapitel 9 Natürliche Zahlen Bestimme ggt von 1001 und 377. Oder so. Bestimme ggt von 641 und 75. Oder so. Probleme und Anwendungen Exkurs Was heisst eigentlich ”undsoweiter” bei der Beschreibung des Verfahrens? Können Sie das präziser fassen. Und können Sie begründen, warum es nicht ewig ”undsoweiter” gehen kann? Euklids Algorithmus Eine (grosse) natürliche Zahl n > 1 in Primzahlen zu zerlegen, ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussehen mag: Wenn die Zahl einige hundert Stellen hat (und einige offensichtliche Tests nicht klappen), ist das auch mit Einsatz von Hochleistungsrechnern nicht machbar. Das ist die Grundlage für einige gebräuchliche Verschlüsselungsverfahren. Demgegenüber (und auch diese Tatsache ist für die Verschlüsselungsverfahren wichtig) ist es relativ einfach, zu zwei (grossen) natürlichen Zahlen n und m einen grössten gemeinsamen Teiler zu berechnen: Man führt fortgesetzte Division mit Rest durch, wie Sie es oben an Beispielen schon gesehen haben. Dieses Verfahren geht auf Euklid zurück, der wo schon irgendwo ein Hundling war. Euklid (vermutlich) MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher 93 Kapitel 10 Induktion und Rekursion Und mal wieder treffen sich Mathefan und Nervmath: MF: Nach unserem letzten Gespräch hatte ich den Eindruck, dass Sie ein kleines bisschen genervt waren. Darf ich Ihnen als Wiedergutmachung diesen tollen kleinen MP3-Player schenken? NM: Danke! Dass Sie wenigstens manchmal humane Züge aufweisen, ist ja doch erfreulich. MF: Den MP3-Player schenke ich Ihnen natürlich auch, weil im Prinzip da ja irre viel Mathe drin steckt, so mit Datenkompression und alles. Da sieht man doch mal, was man an Mathe hat. NM: Ok, diesen Hintergedanken verzeihe ich Ihnen einfach. Ich probier das Gerät einfach mal aus . . . . . . äh, wie schaltet man das Teil denn an? MF: Hier ist auch noch die Bedienungsanleitung. Der Hersteller hat sich damit echt Mühe gegeben. Die Anleitung ist sehr ausführlich und logisch aufgebaut, und auch sehr übersichtlich. NM: Ausführlich ohne Zweifel, das Ding hat Hunderte von Seiten. Aber übersichtlich? Ich will doch nur wissen, wie ich das Gerät anschalten kann. MF: Da sollten Sie erst mal auf die FAQ-Seite schauen. Die liefert schnelle Abhilfe bei häufig auftretenden Problemen. NM: Mal sehen. . .. Ach ja, da ist es : ”Einschalten” siehe Seite 276. Dann blättern wir da mal hin. MF: Hab ich es nicht gesagt? Übersichtlich! NM: Aber was steht denn da auf Seite 276?! ”Führen Sie zunächst den auf Seite 275 beschriebenen Zustand des Gerätes her. Anschliessend spletzen Sie den Spronx. . .” MF: Habe ich es nicht gesagt? Logisch im Aufbau! NM: Ja ja, ist ja gut. Also blättern wir zurück nach Seite 275 und sehen da nach: ”Führen Sie zunächst den auf Seite 274 beschriebenen Zustand des Gerätes her. Dann verschippeln Sie die. . . Also, bevor ich überhaupt Einstieg 94 Kapitel 10 Induktion und Rekursion was tun kann, muss ich wieder eine Seite zurück und da nachsehen: ”Führen Sie zunächst den auf Seite 273 beschriebenen Zustand des Gerätes her. Dann. . .. MF: Toll, diese systematische Herangehensweise, oder? NM: Systematisch? Eher eine Reise nach Nirgendwo. Wenn ich auf Seite 273 nachgucke, werde ich nach Seite 272 geschickt; von Seite 272 geht es weiter nach 271 und dann nach 270, nach 269 und immer dieser dumme Spruch, dass man zunächst den auf der vorigen Seite beschriebenen Zustand des Geräts herbei führen soll. MF: Ja, wie gesagt, die Firma hat sich mit der neuen Gestaltung der Bedienungsanleitung sehr viel Mühe gegeben, nachdem sie früher immer wegen unvollständiger und konfuser Informationen kritisiert wurde. Jetzt ist alles klar aufeinander aufgebaut und nachvollziehbar. Mathematiker sprechen hier übrigens von einem rekursiven Verfahren: Man baut sozusagen Stück für Stück auf den vorangegangenen Schritten auf. Das ist allgemein eine sehr nützliche Herangehensweise. NM: Nützlich? Meine Nerven sagen was anderes! Ich will doch nur diesen blöden MP3-Player einschalten. Das nimmt ja ewig kein Ende mit dieser Anleitung! MF: Hier muss ich Ihnen widersprechen! Natürlich nimmt das ein Ende! Haben Sie denn schon die Wohlordnungseigenschaft der natürlichen Zahlen vergessen? NM (seufzt tief, sieht MF lange an, seufzt noch tiefer): Mein Lieber! Wenn Sie das nächste Mal jemandem was schenken, schenken Sie es dann jemand Anderem? Bitte! Induktion als Beweisprinzip Sie kennen das Induktionsprinzip schon als eine Aussage über Teilmengen von N. Genau wegen dieser Eigenschaft kann man daraus ein Beweisverfahren erhalten. Beweis per Induktion: Für jede natürliche Zahl n sei eine Aussage An gegeben, und es gelte: (i) A1 ist wahr. (ii) Für jedes n ∈ N ist An+1 wahr, wenn An wahr ist. Dann sind alle Aussagen An wahr. Genauer spricht man hier von vollständiger Induktion. Probleme und Anwendungen 1. Können Sie das mit Hilfe des Induktionsprinzips für Mengen begründen? 2. Steht bei diesem Beweisverfahren nicht eigentlich sowas wie: "Wenn alle An wahr sind, dann sind alle An wahr"? (Hoffentlich nicht, aber warum nicht?) MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 10 Induktion und Rekursion Für alle n ∈ N gilt An : 5 | 6n − 1. Beweis mit vollständiger Induktion: (i) A1 : 5 | 61 − 1 = 6 − 1 ist wahr. (ii) Angenommen, An sei wahr für in n ∈ N. Dann ist 95 Beispiel 6n +1 − 1 = (6n +1 − 6n ) + (6n − 1 ) = ( 6 − 1 ) · 6n + (6n − 1 ) = 5 · 6n + (6n − 1 ). Nun ist 5 Teiler von 5 · 6n , und nach Voraussetzung ist An wahr, also 5 auch Teiler von 6n+1 − 1. Somit ist An+1 wahr. Kommentar: Natürlich ist das schon die geglättete Form des Beweises. Der Denkprozess läuft anders, vielleicht so: ”Ich will die Aussage An+1 : 5 | 6n+1 − 1 beweisen, wobei ich die Wahrheit von An voraussetzen darf (und vermutlich soll). Es ist also vielleicht einen Versuch wert, den Term in An+1 so umzubauen, dass 6n − 1 darin vorkommt. Das kriege ich hin, wenn ich 6n subtrahiere und dann wieder addiere. Und kann ich dann irgendwas sehen?” Automatischer Erfolg ist dabei natürlich nie gesichert. Aber man kriegt mit der Zeit ein Gefühl für das Ganze. Beweisen Sie mit vollständiger Induktion: Übungsaufgaben (a) Für alle n ∈ N ist An : 5 | 7n − 2n wahr. (b) Für alle n ∈ N gilt Bn : 3 | n + (n + 1) + (n + 2). (Das geht natürlich auch ohne Induktion. Wie? Nicht jede Menge von Aussagen An muss zwangsläufig mit Induktion bewiesen werden. Für jede Menge M mit genau n Elementen gibt es genau 2n Abbildungen von M in die Menge {0, 1}. Diese Aussage Bn beweisen wir mit vollständiger Induktion: (i) B1 ist wahr, denn ist | M| = 1 und x das einzige Element von M, dann existiert genau eine Abbildung, die x nach 0 schickt, und genau eine Abbildung, welche x nach 1 schickt. Insgesamt gibt es also genau zwei Abbildungen von M nach {0, 1}. (ii) Es sei nun vorausgesetzt, dass Bn wahr ist. Wir beweisen Bn+1 . Ist | M | = n + 1 und a ∈ M ein (beliebiges, aber im Folgenden fest gewähltes) Element, so hat M0 : M \ { a} genau n Elemente. Eine Abbildung f von M nach {0, 1} ist eindeutig festgelegt durch ihre Einschränkung f | M0 (also die Bilder der Elemente von M0 und durch f ( a). Wegen f ( a) ∈ {0, 1} gibt es nun zu jeder Abbildung g : M \ { a} → {0, 1} genau zwei Abbildungen von M nach {0, 1}, deren Restriktion g ist. Somit gibt es genau doppelt so viele Abbildungen von M nach {0, 1} wie es Abbildungen von M0 nach {0, 1} gibt. Weil Bn wahr ist, gibt es 2n von den letzteren. Mit 2 · 2n = 2n+1 folgt, dass Bn+1 wahr ist. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiel 96 Kapitel 10 Induktion und Rekursion Beispiel Für alle n ∈ N und alle reellen x mit x > −1 gilt die BernoulliUngleichung (1 + x )n > 1 + nx Beispiel Für alle n ∈ N gilt Cn : 7 | 3 + 7n . Das ist offensichtlich nicht richtig: 7 ist kein Teiler von 10, also ist schon C1 falsch. Aber wenn man annimmt, dass Ck richtig ist für ein k, dann ist folgt daraus die Richtigkeit von Ck+1 . Rekursion als Konstruktionsprinzip Ist M eine Menge, so wird zur Definition einer Abbildung f : N → M gelegentlich eine rekursive Vorschrift verwendet. Salopp gesagt, legt man f (1) fest und gibt dann für jedes n eine Vorschrift an, wie f (n + 1) aus f (n) zu bestimmen ist. Formal gesprochen: Der Rekursionssatz: Gegeben sei eine nichtleere Menge M und weiter für jedes n ∈ N eine Abbildung gn : M → M. Dann gibt es zu jedem b ∈ M genau eine Abbildung f : M → M derart, dass f (1) = b und f (n + 1) = gn ( f (n)) für alle n ∈ N. Exkurs Beispiele Rekursion und Induktion Man ist versucht, die Aussage des Rekursionssatzes mit Induktion zu beweisen: Benötigt wird eine Vorschrift für f . Aber die hat man ja aus den gegebenen Informationen: f (1) = b ist festgelegt und wenn man f (n) kennt, liefert einem die angegebene Regel eine Vorschrift für f (n + 1). So einfach ist es leider nicht, und im wesentlichen liegt das an dem eher verwaschenen Begriff von Abbildung, den wir als Arbeitsdefinition eingeführt haben: Was ist eine "Vorschrift", und was heisst das überhaupt? Nach welcher "Vorschrift"bestimmt √ √ 2 man 2, oder weitergehend 2 ? Da ist sicher nicht gemeint, dass man in endlich vielen Rechenschritten zu einem Wert kommt. Es ist möglich, eine ßaubere"Definition einer Abbildung von einer Menge A in eine Menge B zu geben (als Teilmenge des kartesischen Produkts A × B mit gewissen Eigenschaften), aber auf Grund dieser Definition ist ein Beweis des Rekursionssatzes nicht mehr ganz selbstverständlich. Die Beispiele sind teilweise alte Bekannte für Sie. 1. Potenzen einer reellen Zahl: Ist a ∈ R gegeben, so gibt es genau eine Abbildung p : N → R so, dass p(1) = a und p(n + 1) = a · p(n), n ∈ N. Hier ist gn ( x ) = a · x für alle n. Natürlich erkennen Sie die (positiven ganzzahligen) Potenzen von a wieder: p(n) = an für alle n. Man kann sie also ördentlich"per Rekursion definieren. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Kapitel 10 Induktion und Rekursion 97 2. Fakultät: Es gibt genau eine Abbildung h : N → N derart, dass h(1) = 1 und h(n + 1) = (n + 1) · h(n) für alle natürlichen Zahlen n. Dies folgt aus dem Rekursionssatz mit gn : N → N, gn ( x ) = (n + 1) · x. Man schreibt üblicherweise h(n) = n! ("n Fakultät"). 3. Eine rekursiv definierte Folge: Für alle n ∈ N sei gn : (0, ∞) → (0, ∞) , x 7→ 1 ( x + 2/x ) 2 Nach dem Rekursionssatz gibt es zu jedem b > 0 genau eine Abbildung a : N → (0, ∞) mit der Eigenschaft a(1) = b, a ( n + 1) = 1 ( a(n) + 2/a(n)) . 2 Man schreibt hier bekanntlich oft auch an statt a(n). Ist eine Folge reeller Zahlen ak , k ∈ N gegeben, so definiert man rekursiv den Ausdruck n sn := Das Summenzeichen ∑ ak k =1 durch s1 : = a1 , s n +1 : = s n + a n +1 beziehungsweise n +1 1 ∑ ∑ a k : = a1 , k =1 n ak := k =1 ∑ a k + a n +1 k =1 Salopp schreibt man auch n ∑ a k = a1 + · · · + a n , k =1 wobei die Punkte andeuten, dass die Summe über alle Folgenglieder mit Indizes von 1 bis n zu nehmen ist. Man kann sich erst mal fragen, ob die rekursive Definition der Summe oben nicht etwas übertrieben ist. Aber sie ist z.B. nützlich, wenn man Aussagen über Summen mit Induktion beweisen will. 1. Für alle n ∈ N gilt n ∑k= k =1 n ( n + 1) . 2 2. Für alle reellen Zahlen q, q 6= 1 und für alle n ∈ N gilt n ∑ qk = k =1 q − q n +1 1−q Dieses Kapitel ist noch unvollständig. MPAC: E. Cramer, J. Heitzer, G. Henn, C. Polaczek, S. Walcher Beispiele