Wahrscheinlichkeitsrechnung [probability]

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Wahrscheinlichkeitsrechnung [probability]
Hinweis: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist nicht
Gegenstand dieser Vorlesung. Es werden lediglich einige
Begriffsbildungen bereitgestellt und an Beispielen erläutert,
die die Verwendung und Interpretation von Wahrscheinlichkeiten ermöglichen sollen, die (z.B.) SPSS in Form von
p-Werten bei der Anwendung von Verfahren der schließenden
Statistik exakt oder näherungsweise ermittelt.
1
Zufällige Ereignisse [random event]
Zufälliger Versuch:
Vorgang, der (zumindest gedanklich) beliebig oft
wiederholbar ist und dessen Ausgang innerhalb einer Menge
möglicher Ausgänge ungewiss (zufällig) ist.
Ω
...
Menge der möglichen (elementaren, einander
ausschließenden) Versuchsausgänge ω ∈ Ω
A
...
Ereignisfeld, enthält Teilmengen von Ω,
die Ereignisse A ∈ A
Ein Ereignis A tritt ein, wenn der Versuchsausgang ω, den
der Versuch liefert, ein Element der Menge A ist, d.h. wenn
ω ∈ A gilt.
2
Beispiele:
(1) Würfeln mit idealem Würfel: Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}
A = {2, 4, 6}
Ereignis, dass eine gerade Zahl
gewürfelt wird
B = {3, 4, 5, 6}
Ereignis, dass eine Zahl > 2 gewürfelt wird
C = {6}
Ereignis, dass eine 6 gewürfelt wird
(2) Würfeln mit 2 unterscheidbaren Würfeln
Ω = { (1, 1), (1, 2), . . . , (1, 6), (2, 1), . . . , (6, 6) }
ω = ( Ergebnis Würfel 1, Ergebnis Würfel 2 ) ∈ Ω
3
(3) Zufällige Auswahl einer Versuchsperson
(a) Fragebogen mit 1 Frage und 4 Antwortmöglichkeiten
Ω = {a, b, c, d}
(b) Fragebogen mit 2 Fragen und je 4 Antwortmöglichkeiten
Ω = {(a, a), (a, b), (a, c), (a, d), (b, a), . . . , (d, d)}
ω = (Antwort 1. Frage, Antwort 2. Frage) ∈ Ω
Es sind 4 · 4 = 16 verschiedene elementare Versuchsausgänge (ausgefüllte Bögen) möglich.
Ereignis A = {(a, a), (a, b), (a, c), (a, d)}:
1. Frage mit a beantwortet.
4
(4) Zufällige Auswahl einer Versuchsperson, die die Antwort
auf eine Frage auf einer Ratingskala (10 cm lang)
markiert:
+————————×——————————————–+
0
10
sehr unsympathisch ———————— sehr sympathisch
Ω = [ 0, 10 ]
Es gibt überabzählbar viele mögliche Antworten.
5
(5) Zahlenlotto 6 aus 49:
Ω = Menge der möglichen Ziehungsergebnisse
Auswahl von 6 aus 49 Zahlen möglich, es gibt also
!
49
6
= 13 983 816
verschiedene Ziehungsergebnisse.
6
Rechnen mit Ereignissen
Beispiel (3b):
Ω = {(a, a), (a, b), (a, c), (a, d), (b, a), . . . , (d, d)}
A = {(a, a), (a, b), (a, c), (a, d)}
(Erste Frage mit a“ beantwortet)
”
B = {(a, b), (b, b), (c, b), (d, b), (a, c), (b, c), (c, c), (d, c)}
(Zweite Frage mit b“ oder mit c“ beantwortet)
”
”
Können A und B gleichzeitig eintreten?
Ja, wenn (a, b) oder (a, c) geantwortet wird.
7
Verknüpfungen von Ereignissen
A ∩ B ist das Ereignis, das eintritt, wenn A und B
gleichzeitig eintreten.
A ∩ B = {(a, b), (a, c)}
A ∪ B ist das Ereignis, das eintritt, wenn A oder B eintritt.
A ∪ B = {(a, a), (a, b), (a, c), (a, d), (b, b), (b, c),
(c, b), (c, c), (d, b), (d, c)}
8
A \ B ist das Ereignis, das eintritt, wenn A eintritt, aber B
nicht.
A \ B = {(a, a), (a, d)}
Ā ist das Ereignis, das eintritt, wenn A nicht eintritt,
Ā heißt das komplementäre Ereignis zu A.
Ā = {(b, a), (b, b), (b, c), (b, d), (c, a), . . . , (d, d)}
= Ω\A
9
Spezielle Ereignisse
∅
...
unmögliches Ereignis (leere Menge, ∅ ⊆ Ω)
Ω
...
sicheres Ereignis (Ω ⊆ Ω)
10
Beziehungen zwischen Ereignissen
A ⊆ B . . . A zieht B nach sich:
Wenn A eintritt (ω ∈ A), dann tritt auch B ein (ω ∈ B).
Sei beispielsweise C := {(a, b), (b, b), (c, b), (d, b)} (Zweite
Frage mit b beantwortet), dann gilt C ⊆ B.
Gilt A ∩ B = ∅, so heißen A und B unvereinbar.
Sei beispielsweise D := {(b, a), (b, b), (b, c), (b, d)} (Erste Frage
mit b beantwortet), dann gilt A ∩ D = ∅.
11
Das Ereignisfeld A wird nun aus genügend vielen Ereignissen
gebildet, so dass alle obigen Operationen zwischen diesen
Ereignissen ausführbar sind und außerdem Ω ∈ A (und damit
auch ∅ ∈ A) gilt.
Enthält Ω unendlich viele Elemente, so müssen die
Forderungen noch ausgedehnt werden.
12
Wahrscheinlichkeiten
Vorbetrachtung
n–malige Durchführung eines zufälligen Versuches und
Zählen, wie häufig ein uns interessierendes Ereignis A
eingetreten ist:
– absolute Häufigkeit:
hn (A)
1
hn (A)
n
Erfahrung: Für große n stabilisieren sich die relativen
Häufigkeiten.
– relative Häufigkeit:
fn (A) =
13
Beispiel:
Spiel: Gegen einen Einsatz von x EURO darf ein Spieler 6
mal eine Münze werfen und erhält so viele EURO, wie oft
Wappen“ gefallen ist.
”
Ω = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6}
Spiel n mal wiederholen und die Häufigkeiten hn ({ω}) der
einzelnen Auszahlungen beobachten.
Welcher Preis x wäre fair?
14
Absolute Häufigkeiten
0
1
2
3
4
5
6
Auszahlung
10
0
1
2
4
3
0
0
29
100
0
10
26
33
21
8
1
291
1000
15
87
226
310
258
89
15
3036
10 000
171
954
2299
3099
2377
942
166
30039
100 000
1555
9436
23524
30919
23599
9379
1588
300060
15
Relative Häufigkeiten
0
1
2
3
4
5
6
10
0.000
0.100
0.200
0.400
0.300
0.000
0.000
2.900
102
0.000
0.100
0.260
0.330
0.210
0.080
0.010
2.910
103
0.015
0.087
0.226
0.310
0.258
0.089
0.015
3.036
104
0.017
0.095
0.230
0.310
0.238
0.094
0.017
3.004
105
0.015
0.094
0.235
0.310
0.236
0.094
0.016
3.001
∞
0.016
0.094
0.234
0.312
0.234
0.094
0.016
3
16
Eigenschaften der relativen Häufigkeit
(1) 0 ≤ fn (A) ≤ 1
(2) fn (Ω) = 1 (Ω tritt immer ein)
fn (∅) = 0 (∅ tritt nie ein)
(3) Gilt A ∩ B = ∅ (d.h. A und B sind unvereinbar), dann
gilt fn (A ∪ B) = fn (A) + fn (B)
(4) fn (A ∪ B) = fn (A) + fn (B) − fn (A ∩ B)
(5) fn (Ā) = 1 − fn (A)
17
Wahrscheinlichkeit
Axiomsystem (Kolmogorov, 1933)
Eine Abbildung P : A → R heißt Wahrscheinlichkeit, wenn
gilt:
(1) 0 ≤ P (A) ≤ 1 für alle A ∈ A
(2) P (Ω) = 1
(3) Wenn A ∩ B = ∅, dann gilt P (A ∪ B) = P (A) + P (B)
(Additivität)
(Genauer muss das Axiom (3) auf eine beliebige Folge von
unvereinbaren Ereignissen erweitert werden.)
Wahrscheinlichkeiten können als Modell für die Chance des
Eintretens von Ereignissen verstanden werden.
18
Aus den Axiomen folgen weitere wichtige Formeln:
– P (∅) = 0
– P (A ∪ B) = P (A) + P (B) − P (A ∩ B)
– P (Ā) = 1 − P (A)
– P (A \ B) = P (A) − P (A ∩ B)
19
Beispiel:
Gegeben:
Dann gilt:
P (A)
=
0.7
P (B)
=
0.4
P (A ∩ B)
=
0.15
P (A \ B)
=
0.7 − 0.15 = 0.55
P (B \ A)
=
0.4 − 0.15 = 0.25
P (A ∪ B)
=
0.7 + 0.4 − 0.15 = 0.95
20
Darstellung in Vierfeldertafel:
B
B̄
A
0.15
0.55
0.7
Ā
0.25
0.05
0.3
0.4
0.6
1
21
Symmetrische Wahrscheinlichkeitsräume
Modell z.B. für das Würfeln, den Münzwurf, die Roulette,
die Ziehung von Lottozahlen
Ausgangspunkt: Es gibt keinen erkennbaren Grund, einem
der möglichen Versuchsausgänge eine größere
Wahrscheinlichkeit zuzuordnen als einem anderen.
Sei Ω = {ω1 , ω2 , . . . , ωn }. Dann gibt es n mögliche
Versuchsausgänge.
Nehmen wir an, dass jeder Versuchsausgang ωi gleich
wahrscheinlich ist, so folgt:
1
P ({ωi }) =
n
P (Ω) = P ({ω1 }) + P ({ω2 }) + . . . + P ({ωn }) = n ·
22
1
n
=1
Für jedes Ereignis A ∈ A erhalten wir
P (A) =
X
P ({ωi }) =
i: ωi ∈A
X
i: ωi ∈A
1
n
Also
P (A) =
=
Anzahl der ωi in A
n
Anzahl der für A günstigen Fälle
Anzahl aller möglichen Fälle
Zur Bestimmung dieser Anzahlen sind häufig die Formeln der
Kombinatorik hilfreich.
23
Unabhängigkeit [independence]
Die Ereignisse A und B heißen unabhängig, wenn gilt:
P (A ∩ B) = P (A) · P (B)
Beispiele:
Vierfeldertafel (Vergleiche Kreuztabelle)
B
B̄
A
0.2
0.3
0.5
Ā
0.2
0.3
0.5
0.4
0.6
1
24
Exkurs: Bedingte Wahrscheinlichkeit
[conditional probability]
Seien A und B Ereignisse mit P (B) > 0. Dann heißt
P (A ∩ B)
P (A|B) :=
P (B)
die bedingte Wahrscheinlichkeit von A unter B.
Sind A und B unabhängig, dann gilt
P (A ∩ B)
P (A) · P (B)
P (A|B) =
=
= P (A)
P (B)
P (B)
sowie
P (B ∩ A)
P (B) · P (A)
P (B|A) =
=
= P (B)
P (A)
P (A)
25
Zweimaliges Würfeln: Ω = {(1, 1), (1, 2), . . . , (6, 6)}
Wahrscheinlichkeit für zweimaliges Würfel einer 6:
1
P ({(6, 6)}) =
36
Wahrscheinlichkeit, das erster Wurf eine 6 ist:
6
1
P ({(6, 1), . . . , (6, 6)}) =
=
36
6
Wahrscheinlichkeit, das zweiter Wurf eine 6 ist:
P ({(1, 6), . . . , (6, 6)}) =
6
1
=
36
6
Daraus folgt
P ({(6, 1), . . . , (6, 6)} ∩ {(1, 6), . . . , (6, 6)})
= P ({(6, 1), . . . , (6, 6)}) · P ({(1, 6), . . . , (6, 6)})
26
Vergleich mit empirischer Unabhängigkeit in
Kontingenztafeln:
Interpretieren wir die beobachteten relativen Häufigkeiten als
Schätzungen für die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten
(z.B. Wahrscheinlichkeit, zufällig einen Bewerber
auszuwählen, der abgelehnt worden ist ≈ 1/3, einen vom
naturwiss. Gym. ≈ 2/7), dann sollten sich bei
Unabhängigkeit die relativen Häufigkeiten in der Nähe der
Produkte dieser Wahrscheinlichkeiten ergeben und damit die
zu erwartenden absoluten Häufigkeiten in der Nähe der Werte
der Indifferenztabelle.
27
Die Definition der Unabhängigkeit harmoniert in vielen
Fällen mit der üblichen Vorstellung; eine Gefahr für
Fehlinterpretationen besteht z.B. bei einer Kopplung über
eine dritte Einflussgröße.
Zum Beispiel ist die
– Zahl der beobachteten Störche im Monat x mit der
– Anzahl der Geburten im Monat x
über saisonale Schwankungen gekoppelt.
Beobachtete Abhängigkeiten dürfen also nicht mit Kausalität
verwechselt werden.
28
Bei mehr als zwei Ereignissen muss zwischen der
– (oben definierten) paarweisen Unabhängigkeit von jeweils
zwei Ereignissen und
– der (vollständigen) Unabhängigkeit von mehr als zwei
Ereignissen
unterschieden werden.
29
Beispiel: Würfeln mit zwei Würfeln
A . . . erster Würfel: gerade Zahl
B . . . zweiter Würfel: gerade Zahl
C . . . Summe der Augenzahlen ungerade
P (A) = P (B) = P (C) = 1/2
P (A ∩ B) = P (A ∩ C) = P (B ∩ C) = 1/4
Daher liegt paarweise Unabhängig vor, aber es gilt
P (A ∩ B ∩ C) = 0 6= 1/2 · 1/2 · 1/2 = P (A)P (B)P (C)
30
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