Jens Bisky Die Suche nach der kulturellen Form des Mitleids Autor: Carla Bender Datum: 01. August 2008 Jens Bisky gilt als Schöngeist. Das mag seinem Job als Feuilleton-Redakteur bei der »Süddeutschen Zeitung» geschuldet sein. Vielleicht auch seinem gewundenen Stil. Doch auch ein Schöngeist kennt das Sommerloch. Keine Ausstellungseröffnung, kein neuer Bau im alten Berlin, keine alten Bekannten in neuen Cafés. Deshalb sog Bisky lange an seinem literarischen Daumen, dem rechten, und dann kam es ihm: Über »Die Großstadt und ihre Bettler« könnte er schreiben. Hatte er nicht schon mal was über die Metropole und ihre Häuser gemacht oder Berlin und seine Straßen? Gleichwie, jetzt sollten die Bettler einen Platz in seinem OEuvre bekommen, man lässt sich nicht lumpen. »Bettler sind in unserem Land eine Anomalie« schreibt der Redakteur und wird nicht rot. Denn Bettler sind längst eine Normalität: Auf einer U-Bahnfahrt von zehn Minuten ist mindestens ein Bettler zu sehen. Vor nahezu jedem Supermarkt steht einer. In den Fußgängerzonen, in denen links und rechts alles zu kaufen ist, kann man alle zehn Meter einen sehen, der um sein tägliches Leben bettelt, sie sind normale Erscheinungen. Doch vielleicht meint Bisky mit »Anomalie« die Verfassung der Bettler, in jenem Sinne, dass sie nicht normal sein können, wenn sie betteln. »Polnische Freunde,« so Bisky, «wundern sich darüber, fragen warum in diesem wohlhabenden Land so aggressiv gebettelt werde.« Vielleicht weil die Zahl der Bentleys, der exklusiven Clubs und der Flagship-Stores proportional zur Zahl der Bettler wächst? »Brav zahlen die Bürger für den aberwitzige Summen verteilenden Sozialstaat«, fährt Bisky fort und man hört den Ton des Mitleids regelrecht aus seinen Zeilen: Der arme brave Bürger, zum Beispiel der Bürger Bisky, muss er doch von seinen mehreren tausend Euro Gehalt irgendwelche Abgaben abgeben, das drückt einem das Herz ab. Und dann der Sozialstaat, dieses Monster, das den Hartz IV Empfängern monatlich 350 Euro in den Rachen schmeißt, denn solche Staaten 1|2 Quelle: http://www.rationalgalerie.de/jens-bisky.html Heruntergeladen am 03.06.2017 werfen nicht, die schmeißen. Eine Gänsehaut bedeckt des Lesers Hirn, wie er doch, gemeinsam mit Bisky, ausgebeutet wird, aberwitzig! Den Bisky drängt, angesichts der Bettler in der Stadt, eine Hauptsorge: »Manierenbücher für den Umgang (mit Bettlern) gibt es nicht, man bleibt auf sein Taktgefühl angewiesen.» So ein sensibler Mensch wie der Herr Redakteur sollte mal ein Buch schreiben. Über die Manieren beim Geben, zum Beispiel. Dann wüsste man auch, wie man diesen Bettler-Banden begegnet, die »eine Art moralische Erpressung betreiben.« Man kennt das, da sitzen schwerreiche Bettlerbarone in ihren luxuriösen Suiten und dirigieren Kolonnen Mitleid heischender Schnorrer im Land, die normale Passanten belästigen. Da wendet sich der Redakteur ab, mit Takt, versteht sich. Je länger man den Bisky liest, um so klarer wird, dass Betteln eine Stilfrage ist: »Die klassische Position der Demut - auf dem Boden sitzend, Kopf gesenkt oder auch kniend - trifft man häufig an, aber die Unterwürfigkeit verstört wie eine nicht mehr ganz passende Geste aus vergangenen Zeiten.« Es sind diese Bettler-Klassiker, die einen auf Dauer anöden. Dämliche Demut. Kein gesteppter Sprechgesang, kein fröhliches Lächeln beim Betteln. Wollt ihr Euch nicht zusammenreißen, Bettler?! Der Herr Redakteur könnte verstört werden: Ab in die vergangenen Zeiten, Gespenster des Gestern! Hatten wir geglaubt, zum schönen Geist gehöre auch eine schöne Seele, sind wir nun eines Schlechteren belehrt. Hatten wir angenommen, zur intellektuellen Bildung gehöre jene des Herzens, müssen wir nur Jens Bisky lesen, um es anders zu wissen. Dachten wir, die Verantwortung des Feuilletons läge auch in der gesellschaftlichen Analyse, wenn es soziale Phänomen beschreibt, sind wir nun klüger. Und noch etwas durften wir aus dem Artikel Biskys erfahren: Er ist ein elender Schmock: »Das Mitleid sucht noch heute eine angemessene kulturelle Form« schreibt er und ich frage mich, wann und warum die Prügelstrafe für bornierte Redakteure aufgehoben worden ist. 2|2 Quelle: http://www.rationalgalerie.de/jens-bisky.html Heruntergeladen am 03.06.2017