k ü n s t l e r p o r t r ät Thomas quasthoff Zurück in die Zukunft Singt mehr Volkslieder! Thomas Quasthoff macht es vor und gräbt so einen lang verschütteten Schatz aus. Max Raabe, Angela Winkler und Udo Samel helfen ihm gern dabei. Text Claudia Quasthoff thomas Quasthoff 46 2009/2 F o t o : a l i n e p a l e y / LAY F oto s ( v. o . n . u . ) : X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X Mit den „Liebesliederwalzern“ von Brahms bedankt sich Thomas Quasthoff beim Festspielhaus-Publikum für die Verleihung des Herbert von Karajan Musikpreises 2009. Brahms ist einer der Lieblingskomponisten von Thomas Quasthoff. Wie Brahms hat der große Bariton ein Faible für die schlichte Schönheit von Volksliedern. Termin: 20. November 2009, 20 Uhr „Ist hier ein Bassbariton im Raum?“ Ein eleganter, schlanker, blonder Mann tritt mit dieser Frage durch einen roten Samtvorhang. Wir befinden uns in den 20er Jahren des verflossenen Jahrhunderts in einem Theater in Berlin. „Hier!“, ruft es volltönend aus einer der ersten Reihen im Publikum – und damit sind wir sofort mitten in das Jetzt katapultiert. Mit einem schallenden Lachen erhebt sich Thomas Quasthoff aus seinem Sitz im Parkett und marschiert auf die Bühne. Dort wartet Max Raabe mit seinem typischen, fast unmerklichen Schmunzeln. Nur eine Augenbraue verrät ihn. „Nein, abgesprochen war das überhaupt nicht“, erinnert sich Thomas Quasthoff an den Abend im Berliner Ensemble im Herbst vor drei Jahren, „aber als Max da auf die Bühne trat, war mir gleich klar, dass er mich meinte, und auch, was er wollte.“ Es werden also vier Stühle auf die Bühne gestellt, zwei Männer aus dem PalastOrchester kommen hinzu und es gibt das letzte Lied dieses Abends, die wirklich letzte Zugabe: „In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad, Mein Liebchen ist verschwunden, das dort gewohnet hat.“ Als die vier Männer ganz leise davon singen, dass man am liebsten sterben möge, weil’s da auf einmal still wäre, erlebt das Publikum einen dieser magischen Momente, von denen man vielleicht hofft, dass es sie gibt, und es plötzlich weiß, wenn sie da sind. Und man bekommt eine Ahnung von der Ewigkeit und dem großen Glück, das immer nur in einem winzigen Moment verborgen ist. An diesem Abend in den letzten drei Minuten. Erst wenige Wochen zuvor hatten sich Thomas Quasthoff und Max Raabe kennengelernt, bei einem Musikfestival. Natürlich wusste der eine vom anderen und war vielleicht bei dem einen oder anderen Konzert gewesen, aber persönlich getroffen haben sie sich das erste Mal in der Schweiz, in Verbier, hoch oben in den Alpen, „Das, was uns oft im Fernsehen an Volksmusik verkauft wird, sind nachkomponierte, konsumorientierte ‚Volksliedchen‘.“ Thomas Quasthoff nach einem Konzert von Max Raabe. Dort ist es Tradition, dass Familien „ihre“ Künstler zu Käse und Wein nach Hause laden. Die Abende werden dann recht oft recht lang und recht lustig. So auch dieser Abend im Sommer 2006. Es ist schon Mitternacht, als die beiden erfahren, dass die Mutter der Gastgeberin Geburtstag hat, und es ist klar, dass es ein Ständchen geben muss. Nun haben Thomas Quasthoff und Max Raabe nicht zwingend das gleiche Repertoire, aber beide haben eine große Liebe zur Volksmusik und eines ihrer gemeinsamen Lieblingslieder ist „In einem kühlen Grunde“. Und so erklingt dieses Lied das erste Mal hoch oben in den Bergen des Wallis. Mehrstimmig, versteht sich. An diesem Abend beginnt eine Männer- und Künstlerfreundschaft. Beide sind Perfektionisten auf ihrem Gebiet und ärgern sich über Mittelmaß. „Das, was uns oft im Fernsehen >> als Volksmusik verkauft wird, sind nach2009/2 47 k ü n s t l e r p o r t r ät Thomas Quasthoff 48 2009/2 Max raabe Schon in der dritten Klasse beeindruckten Max Raabe, geboren 1962 im westfälischen Lünen, die Opern von Wagner. Beethovens 9. Sinfonie haute ihn förmlich um. Im Plattenschrank seiner Eltern entdeckte er seine erste Schellackplatte: „Ich bin verrückt nach Hilde“, einen lustigen, schnellen Foxtrott. 1986 gründete er das Palast Orchester, das Chansons und Lieder im Stil der 1920er und 1930er Jahre aufführte. Erstmals einem größeren Publikum bekannt wurde er 1994 durch den Auftritt in der Filmkomödie „Der bewegte Mann“ mit dem Hit „Kein Schwein ruft mich an“. ner, neuer Interpretation einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Ich bin mir sicher, dass diese Art des Ansatzes auch junge Menschen wieder in die Konzertsäle bringt.“ Was Thomas Quasthoff so oft fehlt bei Konzerten, ist nicht unbedingt die intellektuelle Durchdringung der Werke. Es ist ein ganz einfacher Faktor: „Was oft fehlt, um ein Publikum zu gewinnen, ist der Spaß! Die besten Abende sind die, bei denen das Publikum aus dem Saal geht und sagt: ‚Das ist einer von uns, das können wir auch.‘“ Um es kurz zu sagen: Wenn sich zwei Meister aus zwei unterschiedlichen Musikgattungen zusammentun, um ein neues musikalisches Gebiet zu bearbeiten, dann kann das sehr ernst und vergeistigt zugehen. Beide lieben allerdings den Humor in allem, was sie musikalisch tun. Dem einen genügt das Heraufziehen einer Augenbraue, dem anderen ein Wort zum Publikum, um ein Lächeln in den Konzertsaal zu zaubern. Es macht beiden Spaß, da auf der Bühne, und dieser Spaß ergreift „Was oft fehlt, um ein Publikum zu gewinnen, ist der Spaß! Die besten Abende sind die, bei denen das Publikum sagt: Das ist einer von uns, das können wir auch.“ Thomas Quasthoff F oto : T h o m a s Ko e h l e r / p h otot h e k . n e t komponierte, konsumorientierte ‚Volksliedchen‘“, sagt Thomas Quasthoff. Darum geht es ihm und Max Raabe also nicht, sondern um die Musik, die in Küchen und Wohnstuben, bei Hauskonzerten und auf langen Spaziergängen in vergangener Zeit gesungen wurde. „Diese Lieder“, so Thomas Quasthoff, „sind ein wichtiger Bestandteil deutscher Musikkultur. Durch die grausame Zeit des Naziregimes ist die Tradition des gemeinsamen Singens dieser ‚alten‘ Volksmusik verdrängt worden und bis heute irgendwie negativ behaftet – und oft völlig aus den Familien verschwunden. Diese Tatsache wird ein Konzert mit Volksliedern vielleicht nicht ändern, doch einige Menschen sicherlich daran erinnern, wie schön und wertvoll diese Musik ist.“ Es geht Thomas Quasthoff darum, diese Lieder nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, die von Liebesfreud und Liebesleid handeln, von lustigen Abenden im Wirtshaus, von Krieg und Tod und Kummer. In diesen hektischen, lauten Zeiten, in dieser schnellen Welt versuchen wir uns immer mehr dem Druck zu entziehen, den die Gesellschaft auf uns ausübt (und den wir selbst uns machen). Und wir finden so oft Ruhe im Einfachen und Stillen. „Back to basic“, zurück zur Natur, zurück zur Volksmusik! Volksmusik ist gesungene Muttersprache – vielleicht müssen viele dieser alten Lieder entstaubt werden, restauriert, wie ein altes, schönes Haus. Max Raabe macht es seit Jahren meisterlich vor, mit den Liedern aus den 20ern, den 30ern und seinen eigenen Stücken in alter Manier. Er gibt uns eine Eleganz zurück, er schenkt uns vergnügliche und erstaunliche Momente. Für Thomas Quasthoff liegen diese Lieder, die Volksmusik und sein eigenes Konzertrepertoire gar nicht so weit auseinander: „Es geht doch in erster Linie darum, das Publikum zu unterhalten. Es ist meine feste Überzeugung, dass Unterhaltung nicht gleichbedeutend ist mit einem Herabsinken des Niveaus. Sondern für mich heißt das, ganz konkret, musikalische Genres wie das Kunstlied oder den Ensemblegesang, wie zum Beispiel die ,Liebesliederwalzer‘ von Brahms, von ihrem akademischen Sockel zu holen, um sie in eige- k ü n s t l e r p o r t r ät Thomas quasthoff DiE Autorin Die Fernsehredakteurin Claudia Quasthoff lernte ihren Mann Thomas 2004 bei der Vorbereitung einer Talk-Show kennen. 2006 heiratete das Paar und lebt heute in Berlin. Gemeinsam organisierten sie die erste Ausgabe des neuen Wettbewerbs „Das Lied“. auch das Publikum. Wenn Musik, Künstler und Publikum eins werden, dann ist ein Abend für Thomas Quasthoff gelungen. So machen sich Thomas Quasthoff und Max Raabe sowohl mit dem nötigen Ernst als auch mit jeder Menge Vergnügen und Neugier auf die Suche nach den verborgenen Schätzen, nach alten Volksliedern mit wunderschönen Melodien und entzückenden Texten. Zwischen den Konzerten, die sie irgendwo in der Welt geben, treffen sei sich in ihrer Stadt, die seit einigen Jahren bei beiden Berlin ist. Beim Bier erzählen sie sich dann die Abenteuer der letzten Reisen und spinnen weiter an ihrer Idee, einem gemeinsamen Volksliedprojekt. Das, was in jenem Sommer in den Schweizer Bergen seinen Anfang nahm, hat ganz schnell Kontur ange- nommen. Bei den Pfingsfestspielen im Festspielhaus präsentieren die beiden das Ergebnis ihrer Suche. Mit dabei auf der Bühne sind der Pianist Christoph Israel und zwei weitere große Künstler: Angela Winkler und Udo Samel. Thomas Quasthoff schwärmt: „Diese beiden Schauspieler verehre ich schon lange. Sie sind Meister auf der Bühne, beherrschen das gesprochene Wort und haben genauso einen feinen Humor wie Max und ich. Vor allem bei Udo Samel ist dieser Humor so tiefgründig. Er ist ein Meister der Verwandlung, vor allem, was die Farben seiner Stimme angeht. Das ist etwas, das ich selbst auf der Bühne immer wieder suche. Als ich Angela Winkler bei einem Lied-Gedicht-Abend einmal singen hörte, war ich verzaubert von ihrer mädchenhaften Ausstrahlung und der scheinbaren Naivität, mit der sie an die Lieder heranging, die sie sang. Diese Einfachheit des Ausdrucks, eine Interpretation fern von Manieriertheiten, das ist es eben, was im Grunde genommen alle Gesangsgenres verbindet – Volkslied, Kunstlied, Jazz und eigentlich auch Oper.“ So unterschiedlich diese vier Künstler sich auch auf der Bühne bewegen, so unterschiedlich ihr Repertoire ist – was sie verbindet, sind ihre Wahrhaftigkeit im Ausdruck, ihre Authentizität und die Liebe zu dem, was sie tun. Jeder der Künstler wird etwas von sich an diesem Abend einbringen: Lieder, die in der eigenen Kindheit wichtig waren, Lieder unbekannter Komponisten und Texter werden zu hören sein genauso wie das alte Eichendorff-Lied, mit dem alles bei einem kleinen Geburtstagsständchen begann. << Künstlerporträt Thomas Quasthoff Konzert-Werkstatt Sonntag, 11. Oktober 2009, 11 Uhr Herbert von Karajan Musikpreis Freitag, 20. November 2009, 20 Uhr Thomas Quasthoff singt Jazz Samstag, 27. Februar 2010, 19 Uhr Deutsche Volkslieder Sonntag, 30. Mai 2010, 18 Uhr Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 77, 80, 89 und 98 2009/2 49