Komplettes Heft Onkologische Welt 2/2011

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E 45120
ISSN 1869-0874
Onkologische
Welt
2/2011
HIV & Krebs
Anale intraepitheliale
Neoplasien
Krebs und HIV-Infektion
Hämato-Onkologie
Hochrisiko-MDS
Akute myeloische Leukämie
Gastro-Onkologie
ASCO-GI Nachlese
Pneumo-Onkologie
Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom
Neuro-Onkologie
Neuentwicklungen
Keimzelltumore des Hodens
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Onkologische Welt 2011; 2: 49–96
Mai
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Uro-Onkologie
Zu diesem Heft
© Schattauer 2011
Was wirklich bleibt
Wissenschaft kann unbarmherzig sein,
wenn es darum geht, wer mit seinen Erkenntnissen zuerst die Fachöffentlichkeit
erreicht. Das Wettrennen um die Erstpublikation gab es schon vor mehr als 100 Jahren, nur in einem überschaubareren Rahmen. An den Kaiser Wilhelm Instituten, die
zu den internationalen Zentren der wissenschaftlichen Forschung der damaligen Zeit
gehörten, arbeiteten Anfang des 20. Jahrhunderts die konkurrierenden Forscher
fast Labor an Labor. Heute sitzt die Konkurrenz nicht im eigenen Haus, sondern ist
weltweit verstreut in Peking, Oxford oder
Harvard.
„Wer schreibt, der bleibt“ heißt es. Aber
er muss auch der Erste sein, der es veröffentlicht. Legendär ist die Auseinandersetzung zwischen der Arbeitsgruppe um
den Franzosen Luc Montagnier und dem
Amerikaner Robert Gallo um die Erstbeschreibung des HI-Virus. Das Nobelpreiskomittee hat hier mehr als 20 Jahre gebraucht, bis es diese Entdeckung überhaupt
als preiswürdig auszeichnete. Nicht selten
erreicht die Auszeichnung den Laureaten
dann im akademischen Rentenalter und
entreißt die Tragweite und Bedeutung seiner Arbeit noch einmal für einen Moment
der Wissenschaftsgeschichte.
Die Nachhaltigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse geht oft in der Tagesaktualität
unter. Gerade in der Onkologie erweitert
sich der Wissensstand in atemberaubend
kurzen Zeiträumen. Was wirklich bleibt und
wichtig ist, wird oft erst nach einiger Zeit
deutlich. Manchmal auf tragische Weise.
In dieser Ausgabe der „Onkologischen
Welt“ finden Sie ein Referat zu einer wissenschaftlichen Studie von CC Busby, die
bereits im Jahr 2009 erschienen ist – entgegen unserer üblichen Publikationspraxis,
neueste Studien zu referieren. Sie weist darauf hin, dass das derzeitige Risikomodell
der International Commission on Radiological Protection das Gesundheitsrisiko
nach einer chronischen internen Strahlenexposition möglicherweise um den Faktor
100 zu gering einschätzt. Diese Warnung
basiert auf einer Messung der Strahlenexposition Ungeborener nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl in Deutschland,
Griechenland und Großbritannien.
Die Studie hat bei ihrer Erstveröffentlichung in 2009 nur bei einer kleinen Gruppe von Experten die notwendige Aufmerksamkeit gefunden. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist noch unklar, wie hoch die Belastung sein wird, der wir – Tausende von Kilometern vom Unglücksort entfernt – ausgesetzt sein werden. Die Studie mahnt aber,
dass wir uns auch hier vielleicht in trügerischer Sicherheit wähnen. Wir haben deshalb entschieden, diese Arbeit noch einmal
einem größeren Leserkreis vorzustellen.
Dr. Alexander Kretzschmar
Dr. Alexander Kretzschmar, München
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49
Inhalt
Contents
50
Zu diesem Heft
49
A. Kretzschmar
Was wirklich bleibt
Infektionen und Krebs
51
H. zur Hausen
Wo lohnt sich die Suche?
HIV & Krebs
53
55
Interview mit Prof. Norbert H. Brockmeyer, Bochum:
„Krebs ist die zweithäufigste Todesursache beiHIV-infizierten Patienten“
A. Kreuter; N. H. Brockmeyer; A. Potthoff; D. Georgas; A. Skaletz-Rorowski; U. Wieland
Anale intraepitheliale Neoplasien
60
A. Potthoff; A. Skaletz-Rorowski; N.H. Brockmeyer
Krebs und HIV-Infektion
Hämato-Onkologie
63
N. Gattermann; A. Kündgen; C. Strupp; R. Haas; U. Germing
Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS
72
Kongressnachlese:
Acute Leukemias XIII, München 2011
76
Kongressnachlese:
16. Jahresversammlung National Comprehensive Cancer Network,
Hollywood 2011
77
Internationale Literatur:
Strahlenexposition in Europa nach Tschernobyl 1986
80
Kongressnachlese:
ASCO-GI 2011, San Francisco
86
Internationale Literatur:
Metastasiertes kolorektales Karzinom und
lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom
87
Fortgeschrittenes NSCLC – besseres Überleben mit TKI
88
NSCLC – vom Screening bis zur individualisierten Therapie
89
U. Schlegel
Gastro-Onkologie
Pneumo-Onkologie
Neuro-Onkologie
Neuentwicklungen in der Neuro-Onkologie
Serie urologische Onkologie
94
Keimzelltumore des Hodens – Risikofaktoren und Langzeittoxizität
Titelbild
Meister der Nilmosaike ©visipix.com
Onkologische Welt 2/2011
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Forschung in Deutschland
© Schattauer 2011
Infektionen und Krebs
Wo lohnt sich die Suche?*
Während der vergangenen 30 Jahre ließen
sich 21% der globalen Krebsinzidenz mit
Infektionen in Verbindung bringen. Hierbei spielen sowohl spezifische virale als
auch bakterielle und parasitäre Infektionen
eine Rolle. Insbesondere die Aufklärung
der Rolle des Hepatitis-B-Virus beim Leberkrebs in Ostasien und Afrika, der humanen Hochrisiko-Papillomviren (HPV) als
Erreger des Gebärmutterhalskrebses sowie
anderer anogenitaler und oropharyngealer
Karzinome führte zu neuen Ansätzen in der
Krebsprävention über Impfungen.
Die Mechanismen, über welche Infektionen zu Krebs führen können, unterscheiden
sich sehr deutlich innerhalb der unterschiedlichen Erregergruppen. Wir können von direkt karzinogen wirkenden Agenzien sprechen, wenn die Anwesenheit von genetischem
Material solcher Erreger notwendige Voraussetzung für das maligne Wachstum der betroffenen Zellen ist. Indirekt karzinogen wirkende Erreger verbleiben in der Regel nicht in
den eigentlichen Krebszellen, sondern begünstigen deren Wachstum durch bewirkte
Immunsuppression oder durch die Induktion chronischer Entzündungsprozesse. In den
vergangenen Jahren wurden eine Reihe neuer
Virus-Typen sowie eine Virus-Familie (TTViren) entdeckt, darunter in den vergangenen
zwei Jahren vier neue Typen von Polyomaviren. Diese Virusgruppe ist aus onkologischer
Perspektive besonders interessant, da zahlreiche ihrer Vertreter – zwar nicht im natürlichen Wirt, wohl aber in heterologen Spezies –
krebserzeugend wirken. Ein Isolat aus Merkelzellkarzinomen scheint allerdings selbst
beim Menschen zur Tumorbildung befähigt
zu sein, jedoch erst nach Mutationen in einem
spezifischen Bereich des sogenannten LT-Antigens. Unter diesen Voraussetzungen sind
solche Genome replikationsinkompetent
und können keine infektiöse Nachkommenschaft mehr bilden.
Die bisherigen Ergebnisse erlauben die
Suche nach weiteren epidemiologischen
Hinweisen, d.h., ob zusätzliche Krebsformen
etwas mit Infektionen zu tun haben können.
Hier kommt beispielsweise die Erhöhung
der Krebsrate durch Immunsuppression (etwa bei AIDS-Infektionen oder nach Organtransplantationen) in Betracht. Ebenso
wichtig sind aber auch Krebserkrankungen,
welche aufgrund einer Abwehrschwäche
nicht vermehrt auftreten oder bei denen eine
Immunsuppression sogar einen gewissen
Schutzeffekt aufweist. Dies gilt zum Beispiel
für Brustkrebs, Prostatakrebs und Hirntumoren. Zumindest bei Mäusen kommt ein
analoger Schutzeffekt für den durch das
Maus-Mamma-Tumor-Virus (MMTV) bedingten Gesäugekrebs zustande.
Weiterhin werden kindliche Leukämien,
Basalzellkarzinome in Pockenimpfnarben
und ernährungsbedingte Krebserkrankungen (Dickdarm- und Enddarmkrebs) auf einen möglichen Zusammenhang mit Infektionen diskutiert. Obwohl für die letztgenannten ernährungsbedingten Krebserkrankungen gut begründete Vermutungen vorliegen, dass beim Koch- und Bratprozess entstehende krebserzeugende Chemikalien vor allem von rotem Fleisch (zumeist Rindfleisch) eine entscheidende Rolle
spielen sollen und das Krebsrisiko für Dickdarm- und Enddarmkrebs moderat erhöhen, lassen sich gewisse Gegenargumente für
deren Alleinbeteiligung an der entsprechenden Krebsentstehung aufzeigen: Die gleichen Zubereitungsprozesse von Geflügelfleisch führen zu analogen Karzinogenen.
Dennoch scheint Geflügelfleisch nicht das
Risiko für diese Krebsarten zu erhöhen.
Wir gehen daher zurzeit der Hypothese
nach, ob das Zusammenwirken eines hitzeresistenten Rindervirus mit den im Zubereitungsprozess entstehenden Karzinogenen zu dieser Krebsentstehung beiträgt. Viren der Polyoma- und Anello-Viren-Familie erweisen sich hier als mögliche Kandidaten, da sie ein besonders hohes Maß an Hitzebeständigkeit zeigen.
Prof. Dr. Harald zur Hausen,
Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
Prof. Dr. Harald zur Hausen
*
Dieser Beitrag entstammt dem Titel: L. Färber, A.
Kreiß. Medizinische Spitzenforschung in Deutschland. Schattauer, Stuttgart, 2011.
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51
52
Forschung in Deutschland
Literaturtipp zum Thema Forschung
Medizinische Spitzenforschung in Deutschland
„Medizinische Spitzenforschung in Deutschland“ – so lautet eine Werbekampagne
der forschenden pharmazeutischen Industrie. Wie aber ist es generell um die medizinische Spitzenforschung in Deutschland bestellt? Welche Ergebnisse für den Patienten liefert die Forschung, für die Milliarden-Summen eingesetzt werden, im universitären Bereich, bei den großen außeruniversitären Forschungsinstituten und den
in Deutschland tätigen nationalen und internationalen pharmazeutischen Konzernen? Was leistet die moderne Medizin auf den Gebieten der großen Volkskrankheiten?
Mit Beiträgen von Professor Harald zur Hausen, Nobelpreisträger für Medizin, und anderen renommierten deutschen Wissenschaftlern beschreibt dieser Band faszinierende Erkenntnisse aus aktuellen Forschungsbereichen wie neue Therapieansätze bei soliden Tumoren (die mTOR-Inhibition), in der Hämatologie (Hemmung der Signaltransduktion), Or-
gantransplantation, Augenheilkunde, Herzerkrankungen und nimmt Stellung zu aktuellen
sowie zukünftigen Forschungs- und Therapieansätzen. Auf der Suche nach den fundamentalen Bausteinen der Materie vermittelt Professor
Heuer, Direktor des CERN in Genf, zudem spannende Einblicke in die Welt der Teilchenforschung.
Lothar Färber, Andreas Kreiß
Medizinische Spitzenforschung in
Deutschland
Schattauer 2011. 152 Seiten, 35 Abb., 12 Tab., kart.
EUR D: 9,95
ISBN: 978–3–7945–2818–9 (Print);
978–3–7945–6648–8 (eBook)
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Das aktuelle
Interview
53
„Onkologische Erkrankungen im Verlauf einer
HIV-Infektion“
„Krebs ist die zweithäufigste
Todesursache bei HIV-infizierten
Patienten“
AIDS hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren von einer schnell tödlichen Krankheit
zu einer häufig chronisch verlaufenden Immunschwächekrankheit verschoben. Die Lebenserwartung HIV-positiver Menschen ist deutlich gestiegen – jedoch auch die Bandbreite und Häufigkeit der Tumorerkrankungen. Wie verhalten sich die Krankheitsbilder
AIDS und Krebs zueinander? Welche Tumorarten treten häufig, und warum gerade bei
HIV-positiven Menschen auf? Inwieweit beeinflusst die antiretrovirale Therapie (ART)
das Krebsrisiko und die -Therapie? Und welche Präventionsmöglichkeiten gibt es?
?
Herr Prof. Brockmeyer, in der Literatur liest man von „AIDS-definierenden Malignomen“ und „Nicht-AIDS-definierenden Malignomen“, so genannten
Non-ADM. Was versteht man unter diesen Begriffen?
Brockmeyer: Im Wesentlichen gibt es drei
AIDS-definierende Malignome (ADM):
Das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), das
Kaposi Sarkom (KS) und das Zervixkarzinom. Zunehmend häufiger treten bei HIVpositiven Patienten aber auch Tumore auf,
die laut Definition nicht in erster Linie mit
HIV assoziiert werden. Zu diesen „Nicht
AIDS-definierenden Malignomen“ zählen
Malignome der Genitalregion, wie etwa das
Analkarzinom (siehe hierzu in dieser Ausgabe auch den Beitrag zu AIN aus dem
Kompetenznetz HIV/AIDS), der Morbus
Hodgkin oder auch Bronchial- und Lungenkarzinome. Und es gibt weitere Tumorarten, die häufiger bei HIV-positiven
Menschen auftreten, als in der Allgemeinbevölkerung, zum Beispiel multiple Myelome, hepatozelluläre Karzinome, Hodenund Prostatakarzinome und Hauttumore.
?
Welche Faktoren begünstigen die Entstehung von Tumoren bei HIV-positiven Menschen? Oder anders gefragt:
Kann man das eigene Krebsrisiko beeinflussen, womöglich vermindern?
Brockmeyer: Verschiedene Faktoren können mit der Entstehung von HIV-assoziierten und Non-ADM in Verbindung ge-
bracht werden. Eine entscheidende Rolle
spielen das Lebensalter und, insbesondere
in Bezug auf Virusinduzierte Tumore, der
Grad der Immunsuppression. Die eingeschränkte Funktionsfähigkeit der T-Helferzellen kann Grund für eine verminderte
Krebsabwehr sein. Eine internationale Studie (D:A:D-Studie) zeigte, dass Patienten
mit <50 CD4-Zellen/μl ein 15-fach erhöhtes Risiko für Non-ADM im Vergleich mit
Patienten mit >500 CD-4-Zellen/μl hatten
(1). Vermutet wird auch, dass die gestörte
Immunfunktion und die vermehrte Bildung von Zytokinen, sowie eine chronische
B-Zell-Stimulierung die Entstehung von
Tumoren, zum Beispiel die Entstehung von
Kaposi Sarkomen, begünstigt. Koinfektionen, zum Beispiel mit HPV, Hepatitis B
oder C, können ebenso das Krebsrisiko erhöhen. Und auch der Lebensstil trägt einen
nicht zu unterschätzenden Teil bei: Raucher sind deutlich gefährdeter als Nichtraucher, und auch Alkoholkonsum und UVExposition korrelieren positiv mit einigen
Krebsarten. Durch einen gesunden Lebensstil kann man das eigene Krebsrisiko vermindern. Prävention ist eine weitere Maßnahme, durch eine Impfung kann man sich
beispielsweise vor HPV und Hepatitis B
schützen um das diesbezügliche potentielle
Krebsrisiko zu senken.
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer,
HIV-Experte an der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität
Bochum, Vorsitzender der Deutschen STD-Gesellschaft und Sprecher des Kompetenznetzes HIV/
AIDS.
?
Und welche Tumorart tritt bei HIVpositiven Menschen am häufigsten
auf?
Brockmeyer: Der häufigste Tumor bei
HIV-positiven Patienten ist das Kaposi Sarkom. Etwa vier bis sieben Prozent der antiretroviral behandelten und mehr als 20
Prozent der nicht behandelten HIV-Infizierten erkranken an dieser Tumorart. Blicken wir noch einmal auf die Non-ADM,
so finden wir am meisten Analkarzinome,
an zweiter Stelle stehen hier Bronchialkarzinome. Während die Anzahl von HIV-assoziierten Tumoren bei behandelten Patienten insgesamt rückläufig ist, steigen jedoch im Gegenzug die Fallzahlen von NonADM bei HIV-positiven Patienten an.
?
Wie hoch ist insgesamt das Risiko für
HIV-positive Menschen an malignen
Tumoren zu erkranken?
Brockmeyer: Abhängig von der Tumorart
ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, für
HIV-positive Menschen doppelt bis dreifach so hoch. Bestimmte Krebsformen, wie
zum Beispiel Analkarzinome, treten sogar
bis zu zwanzigmal häufiger auf – bei jungen
Patienten ist das Risiko verglichen mit dem
der Durchschnittsbevölkerung sogar um
bis zu 300-fach erhöht. Im Rahmen einer
Analyse des Kompetenznetzes HIV/AIDS
haben wir festgestellt, dass sich bei rund
neun Prozent der beobachteten 9400 HIVpositiven Patienten maligne Tumore entwickelten.
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Das aktuelle
Interview
54
?
Heißt das, dass Krebs eine häufige Todesursache für HIV-positive Menschen geworden ist? Welchen Anteil an
der Mortalitätsrate machen Maligne Tumore aus?
Brockmeyer: Der Anteil maligner Erkrankungen an allen Todesfällen bei HIV-positiven Menschen liegt bei ca. 15–25%. Damit stellen Krebserkrankungen in der Ära
der antiretroviralen Therapie die zweithäufigste Todesursache bei HIV-infizierten Patienten in Industrieländern dar.
?
Wie wirkt sich die antiretrovirale Therapie auf das Krebsrisiko aus? Gibt es
hier einen positiven Effekt?
Brockmeyer: Non-Hodgkin-Lymphome
und Kaposi Sarkome treten bei unter Therapie stehenden Patienten seltener auf, als
bei HIV-positiven Patienten, die keine antiretroviralen Medikamente einnehmen.
Von daher kann man in diesem Fall von einem positiven Effekt sprechen. Eine zunehmende Herausforderung, auch bei therapierten HIV-Patienten, stellen jedoch Lymphome und nicht-AIDS-definierende Malignome dar.
Allgemein ist die Inzidenz für Tumorerkrankungen bei HIV-positiven Patienten
seit Einführung der ART zwar angestiegen,
was allerdings darauf zurückzuführen ist,
dass durch die hochaktive Therapie viele
Patienten ein höheres Lebensalter erreichen und dadurch einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt sind. Anders herum stellt
die ART, insbesondere bei therapienaiven
Patienten, die zum Beispiel an einem Kaposi Sarkom leiden, eine sehr gute Therapieoption dar. Häufig kann dadurch das Tumorwachstum gestoppt, oder sogar der Tumor vollständig geheilt werden. Auch bei
HIV-assoziierten Lymphomen wird der
Beginn einer antiretroviralen Therapie
empfohlen, da sie sich positiv auf den Verlauf auswirkt.
?
Besteht eine besondere klinische Verlaufsform der jeweiligen malignen Erkrankung, wenn sie bei einem HIV-Infizierten auftritt?
Brockmeyer: Allgemein lässt sich das nicht
sagen. Bezogen auf bestimmte Tumore ist
jedoch ein zeitlich beschleunigter Verlauf
festzustellen. Zum Beispiel kann es bei einer HIV-negativen Frau durchaus 20–30
Jahre dauern, bis sie auf Grund einer HPVInfektion Gebärmutterhalskrebs entwickelt. Bei HIV-positiven Frauen kann
sich der Tumor innerhalb von wenigen Jahren entwickeln.
?
Was bedeutet das für die Krebs-Therapie bei HIV-Infizierten? Müssen auf
Grund der Immunschwäche hier besondere Gesichtspunkte berücksichtigt werden?
Brockmeyer: Das ist auch wieder von der
Tumorart abhängig. Kaposi-Sarkome können beispielsweise zunächst alleine durch
die ART behandelt werden. Bei vielen anderen Tumoren gelten die gleichen Therapieempfehlungen wie für HIV-negative Patienten, die Therapie unterscheidet sich
häufig also nicht. Je nach Krebsart muss
sich der Patient einem operativen Eingriff
und/oder einer Chemo- oder Strahlentherapie unterziehen. Es gelten auch für HIVPatienten die bei der AWMF von den Fachgesellschaften DDG und DKG publizierten
Leitlinien.
?
Noch einmal zurück zur Prävention:
Welche Maßnahmen halten Sie für
richtig und wichtig um die Fallzahl maligner Erkrankungen zu senken?
Brockmeyer: Die Inzidenz des HPV-assoziierten Analkarzinoms und seiner Vorstufen steigt dramatisch, sodass Screeningprogramme analog zum Zervixkarzinom benötigt werden. Präventiv sollten zudem alle
Jugendlichen gegen HPV geimpft werden.
Insbesondere für HIV-positive Menschen
ist dieser Impfschutz wichtig. Bei der hohen Prävalenz und Inzidenz an HPV-assoziierten Erkrankungen bei HIV-infizierten
halte ich es außerdem für wichtig, auch
HPV-negativen HIV-Patienten die Impfung zu empfehlen.
Nicht unterschätzt werden sollte zudem
der Nutzen der Nikotinentwöhnung. Sowohl die Nikotinkarenz und Verzicht auf
Alkohol, als auch die Vermeidung von intensiver Sonneneinstrahlung und ein insgesamt gesunder Lebensstil (Ernährung,
Sport) stellen wirksame Präventivmaßnahmen dar. Die Daten des Kompetenznetzes
HIV/AIDS zeigen zudem, dass HIV-infizierte vielfach eine sehr niedrige VitaminD-Konzentration aufweisen. In wie weit eine Vitamin-D-Substitution dazu führen
könnte, dass die Tumorprävalenz sinkt,
müssen Studien zeigen. Auch ob ein früherer Therapiebeginn (oberhalb von 350 CD4-Zellen/μl) einen positiven Effekt auf die
Inzidenz von malignen Erkrankungen hat,
ist noch nicht bewiesen.
?
Wie ausgereift ist der Forschungsstand in Bezug auf HIV und Krebs? Wo
sehen Sie hier noch Forschungsbedarf?
Brockmeyer: Ich denke hier besteht noch
ein großer Forschungsbedarf, zahlreiche
Fragen können heute noch nicht hinreichend beantwortet werden. Zum Beispiel
fehlen Studien die Aufschluss darüber geben, welche Krebs-Therapieform, und hier
insbesondere der Einsatz von Biologicals,
am besten kompatibel mit der HIV-Therapie ist. Langzeituntersuchungen sind notwendig, um die Nebenwirkungen und Risiken abschätzen zu können. Mit der Patientenkohorte des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/AIDS zum Beispiel, die
deutschlandweit Daten und Biomaterialien
von kumulativ 16 000 Patienten erfasst, haben wir heute die Möglichkeit, solche Verläufe auszuwerten und näher erforschen zu
können. Lange Zeit fehlten uns derart valide Daten und vor allem auch eine hinreichende Datenmenge, die gesicherte Studienergebnisse überhaupt zulassen. Auch im
Bereich der Non-ADM sind noch viele Fragen offen. Doch umso älter unsere Patienten werden, desto häufiger und intensiver
werden wir uns mit diesen Tumorarten
auseinandersetzen müssen.
Das Interview führte Judith Coenenberg,
Bochum
Literatur
1. Monforte A, Abrams D, Pradier C, et al. The Data
Collection on Adverse Events of Anti-HIV Drugs
(D:A:D) Study Group. HIV-induced immunodeficiency and mortality from AIDS-defining and nonAIDS-defining malignancies. AIDS 2008; 22;
2143–2153.
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Anale intraepitheliale Neoplasien
Papillomvirus-assoziierte Vorläuferläsionen des Analkarzinoms
A. Kreuter1,#; N. H. Brockmeyer1,#; A. Potthoff1,#; D. Georgas1,#; A. Skaletz-Rorowski1,#;
U. Wieland2,#;
#für
das deutsche Kompetenznetz HIV/AIDS;
für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum;
2Institut für Virologie, Nationales Referenzzentrum für Papillom- und Polyomaviren, Uniklinik Köln
1Klinik
Schlüsselwörter
Anale intraepitheliale Neoplasie, Anale Dysplasie, Analkarzinom, HIV-Infektion, Humanes
Papillomvirus
Zusammenfassung
Infektionen mit humanen Papillomviren (HPV)
sind häufig bei sexuell aktiven Menschen, in
der Mehrzahl der Fälle handelt es sich jedoch
um transiente HPV-Infektionen. Bei Immunsuppression, zum Beispiel im Rahmen einer
HIV-Infektion, kommt es regelmäßig zu persistierenden Infektionen mit HPV und konsekutiv
zu einem deutlich erhöhten Risiko für die Entwicklung von analen intraepithelialen Neoplasien. Besonders davon betroffen sind HIVpositive Männer, die Sex mit Männern (MSM)
haben. Hochgradige Dysplasien bei HIV-positiven MSM können innerhalb kurzer Zeit in invasive Analkarzinome übergehen. Wie beim
Zervixkarzinom besteht auch beim Analkarzinom eine kausale Assoziation zu HPV-Infektionen, insbesondere mit Hochrisikotypen wie
HPV16 und HPV18. Von Experten werden für
das Analkarzinom Vorsorgeuntersuchungen
mittels Analzytologie in Analogie zum PapScreening der Frau vorgeschlagen. Bei pathologischen Befunden in der Analzytologie sollte eine hochauflösenden Anoskopie, und bei
klinisch vorhandenen Läsionen sollten therapeutische Maßnahmen erfolgen. Die verschie-
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Alexander Kreuter
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie,
Ruhr-Universität Bochum
Gudrunstraße 56
44791 Bochum
Tel.: 02 34 / 5 09 34 39
Fax: 02 34 / 5 09 34 45
E-Mail: [email protected]
denen Behandlungsverfahren bei AIN können
in ablative (z.B. Elektrokauterisation, Lasertherapie, Infrarot-Koagulation, chirurgische Exzision) und topische (z.B. Imiquimod, Trichloressigsäure, 5-Fluorouracil) Therapien unterteilt werden, bis dato existieren jedoch nur wenige kontrollierte Studien. Analkarzinome werden in
Analrandkarzinome und Analkanalkarzinome
unterteilt. Diese Einteilung ist wichtig, da hieraus verschiedene Therapieansätze resultieren.
Analrandkarzinome früher Stadien werden wie
Plattenepithelkarzinome der Haut primär chirurgisch exzidiert, während Analkanalkarzinome mit kombinierter Radiochemotherapie behandelt werden. Aufgrund der in den vergangenen Jahren kontinuierlich zunehmenden Inzidenzen und Prävalenzen sollten im Bereich
HIV/AIDS tätige Ärzte alle HIV-infizierten MSM
regelmäßig auf das Vorliegen von analen Dysplasien und Analkarzinomen untersuchen.
Keywords
Anal intraepithelial neoplasia, anal dysplasia,
anal carcinoma, HIV-infection, human papillomavirus
Summary
Human papillomavirus (HPV) infections are frequent in sexually active people, but most of
these HPV-infections are transient. Immuno-
Anal intraepithelial neoplasia – papillomavirusassociated precursor lesions of anal carcinoma
Onkologische Welt 2011; 2: 55–59
suppression, especially in the setting of HIVinfection, is associated with persistent HPVinfections and consecutively leads to a significantly increased risk for anal intraepithelial
neoplasia. A particular high-risk group for persistent HPV-infections and anal dysplasia are
HIV-positive men who have sex with men
(MSM). High-grade anal dysplasia in HIVpositive MSM might progress to invasive
cancer within a short period of time. Similar to
cervical cancer, anal cancer is causally linked
to HPV-infection, particularly to infections
with high-risk types such as HPV16 and
HPV18. Experts therefore recommend screening examinations for anal cancer including
anal cytology similar to Pap-screening in
women. In case of abnormal findings in anal
cytology, high-resolution anoscopy should be
performed, and treatment should be initiated
if clinical lesions are present. Treatment modalities for anal dysplasia might be divided
into ablative (e.g., electrocautery, laser therapy, infrared-coagulation, and surgical excision) and topical (e.g., imiquimod, trichloroacetic acid, and 5-Fluorouracil) approaches, but so far, only few controlled
studies exist. Anal cancer is divided into anal
margin carcinoma and anal canal carcinoma.
This classification is important because it results in different therapeutic interventions.
The treatment of choice for early anal margin
carcinoma is surgical excision similar to squamous cell carcinoma of the skin, whereas anal
canal carcinoma is treated with combined
radiochemotherapy. Facing the continuously
increasing incidence and prevalence of anal
carcinoma in the last years, physicians working in the field of HIV/AIDS should regularly
screen all HIV-positive MSM for the presence
of anal dysplasia and anal carcinoma.
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56
A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien
Einleitung
Humane Papillomviren
Humane Papillomviren (HPV) sind unbehüllte, ikosahedrale DNA-Viren, deren Genom etwa 8000 Basenpaare umfasst. HPV
infizieren ausschließlich mehrschichtige
Plattenepithelien von Haut und Schleimhäuten. Infektionen mit HPV gehören zu
den häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen des Menschen. Laut Schätzungen
erwerben mehr als 80% aller sexuell aktiven Menschen im Laufe des Lebens eine
HPV-Infektion. Bei mehr als 90% der Betroffenen verläuft die Infektion jedoch klinisch inapparent, d.h. charakteristische klinische HPV-assoziierte Läsionen treten
nicht auf. In großen Kohortenstudien an
immunkompetenten Menschen konnte gezeigt werden, dass eine einmal akquirierte
HPV-Infektion vom Immunsystem innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne (etwa
6 bis 18 Monate) wieder eliminiert wird
(1). Nur ein sehr geringer Anteil der gesunden Bevölkerung erwirbt persistierende
HPV-Infektionen, von denen wiederum
nur ein Bruchteil HPV-assoziierte Tumorerkrankungen entwickelt.
Abb. 1 Ausgedehnte perianale Dysplasie.
Klinisch imponieren überwiegend flache, zum Teil
konfluierende bowenoide Papeln und Plaques, die
in ihrer Flächenausdehnung fast die gesamte Zirkumferenz der Perianalregion einnehmen.
Die Klassifikation der bis zum heutigen
Zeitpunkt über 150 komplett charakterisierten HPV-Typen erfolgt in die Genera Alpha-,
Beta-, Gamma-, Mu- und Nu, wobei Infektionen mit alpha-HPV-Typen überwiegend
im Bereich des Anogenitaltrakts auftreten. In
Abhängigkeit von ihrem onkogenen Potenzial werden diese genitalen alpha-HPV-Typen in Niedrigrisiko-Typen, „low-risk
HPVs“ (z.B. HPV6, 11, 42, 43, und 44) und
Hochrisiko-Typen, „high-risk HPVs“ (z.B.
HPV16, 18, 31, 33, 35, 58, und 59) eingeteilt
(2). Condylomata acuminata werden in der
überwiegenden Anzahl der Fälle durch die
low-risk HPV-Typen HPV6 oder HPV11
verursacht, wohingegen high-risk HPV, insbesondere die Typen HPV16 und HPV18,
mit der Entstehung von genitoanalen Karzinomen und deren Vorstufen, so genannten
intraepithelialen Neoplasien, assoziiert sind.
Klassifikation, Diagnostik
und Klinik analer intraepithelialer Neoplasien
Unter dem histologischen Begriff “anale intraepitheliale Neoplasie (AIN)” werden, in
Abb. 2 Ausgedehnte perianale Condylomata acuminata. Klinisch imponieren multiple
hyperkeratotische Papeln, die zu einem blumenkohlartigen Knoten konfluiert sind.
Anlehnung an die Klassifikation anderer
intraepithelialer Neoplasien wie z. B. die
der Cervix (cervikale intraepithelaile Neoplasie oder CIN) oder der Vulva (vulväre
intraepitheliale Neoplasie oder VIN), potenzielle Vorläuferläsionen des invasiven
Analkarzinoms verstanden. Entsprechend
der flächenmäßigen Ausdehnung dysplastisch veränderter Zellen im Epithel erfolgt
die histopathologische Einteilung der AIN
in drei Grade (3):
● AIN1: unteres Drittel des Epithels betroffen
● AIN2: untere Zweidrittel des Epithels
betroffen
● AIN3: gesamtes Epithel betroffen
Die zytologische Einteilung analer Dysplasien erfolgt anhand der überarbeiteten Bethesda-Klassifikation. Dabei werden folgende Einteilungen vorgenommen (4):
● Normalbefund (n)
● niedriggradige Dysplasie (LSIL; lowgrade squamous intraepithelial lesion)
● hochgradige Dysplasie (HSIL; high-grade squamous intraepithelial lesion)
● ASCUS (atypical squamous cells of undetermined significance)
● ASC-H (atypical squamous cells, cannot
exclude HSIL).
Hierbei entspricht zytologisch LSIL histopathologisch der AIN1 und HSIL der
AIN2–3. Während AIN1 als niedriggradige
Dysplasie mit Tendenz zur Spontanregression bei der Tumorprogression vermutlich
keine wesentliche Rolle spielt, sind hochgradige anale Dysplasien (AIN2–3) als potenzielle Vorläuferläsionen des invasiven
Analkarzinoms anzusehen (5). In der internationalen Literatur werden anale Condylomata acuminata oftmals auch mit niedriggradiger Dysplasie (AIN1) gleichgesetzt
(6).
Von führenden Experten wird die hochauflösende Anoskopie (high-resolution
anoscopy, HRA) als Untersuchungsverfahren der ersten Wahl bei zytologisch auffälligem Analbefund empfohlen. Hierbei wird
vor der HRA eine in 3%iger Essigsäure getränkte Kompresse in den Analkanal eingeführt und dort für einige Minuten belassen.
Im Anschluss daran wird ein konventionelles Anoskop in den Analkanal eingeführt.
Mit Hilfe eines Koloskops kann darauf hin
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A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien
die gesamte Zirkumferenz des distalen
Rektums, die Transformationszone (Linea
dentata) als häufigste Lokalisation analer
Dysplasien, der Analkanal und die Perianalregion in bis zu 30-facher Vergrößerung
untersucht werden. Neben 3%iger Essigsäure kann Lugol`sche Lösung (Jodprobe)
zur besseren Darstellung intraanaler Dysplasien angewendet werden.
Im Perianalbereich können dysplastische Veränderungen klinisch als schuppende, hyperkeratotische, weißliche, erythematöse, ekzematöse, papillomatöse, papulöse, pigmentierte oder fissurierte
Plaques imponieren (씰Abb. 1). Im Gegensatz dazu imponieren perianale Condylome je nach Ausprägung und Krankheitsdauer als kleine spitzköpfige Papeln oder zu
großen Beeten konfluierende, zerklüftete,
hahnenkammartige Plaques und Knoten
(씰Abb. 2) (7). Intraanale Dysplasien sind
im mehr als 75% der Fälle im Bereich der
Linea dentata lokalisiert und imponieren
klinisch als unterschiedlich stark keratinisierte, oftmals unscharf begrenzte Plaques.
Typische vaskuläre Veränderungen, die
mittels HRA sichtbar sind, werden in der
englischen Literatur als „punctation“ und
„mosaicism“ bezeichnet. Gefäßneubildungen mit Kaliberschwankungen und Gefäßabbrüchen sind immer verdächtig für das
Vorliegen einer Dysplasie bzw. eines bereits
invasiven Wachstums und müssen weitere
diagnostische Schritte (HRA-gesteuerte
Biopsie) nach sich ziehen. Charakteristisch
für intraanale Condylome sind die in der
HRA deutlich zu erkennenden terminalen
Kapillaren (씰Abb. 3) (5, 9).
Therapie analer intraepithelialer Neoplasien
Abb. 3 Intraanale Condylomata acuminata in der hochaufösenden Anoskopie bei
einem HIV-positiven Mann. Die auf der Abbildung erkennbaren terminalen Kapillaren sind
charakteristisch für benigne HPV-assoziierte Veränderungen, wohingegen Gefäßabbrüche, Kaliberschwankungen oder Neovaskularisation bei
analen Dysplasien oder Analkarzinomen vorkommen.
Invasive/ablative Therapie
In zwei Studien zur chirurgischen Exzision
analer Dysplasien zeigten sich sowohl hohe
Rezidivraten bei HIV-positiven (79% Rezidive) und HIV-negativen (45% Rezidive)
Männern als auch hohe Raten an postoperativen Nebenwirkungen (z.B. Schmerzen
und Nachblutungen) (10, 11). Eine kürzlich veröffentliche retrospektive Auswertung zur HRA-gesteuerten chirurgischen
Tab. 1
Häufig verwendete Therapien bei analen intraepithelialen Neoplasien.
Invasiv/ablativ Chirurgische Exzision
Bisher existieren nur wenige gute kontrollierte Studien zur Behandlung analer Dysplasien, die Zahl unkontrollierter Pilotstudien nimmt jedoch in den vergangenen
Jahren stetig zu. Generell werden ähnliche
Behandlungsverfahren wie zur CondylomTherapie eingesetzt, die grob in invasive/
ablative und topische Verfahren eingeteilt
werden können (씰Tab. 1).
Elektrokaustische Abtragung
Kryochirurgie
Infrarotkoagulation
Laserablation
(z.B. CO2-Laser oder ArgonPlasma-Beamer)
Topisch
5% Imiquimod
Podophyllotoxin
5-Fluorouracil
85% Trichloressigsäure
Abtragung analer Dysplasien erbrachte jedoch deutlich bessere Abheilungsraten
nach Therapie (nur 18,7% hatten persisitierende Läsionen). Jedoch zeigten sich
auch hier häufig Rezidive (57%) (12). In
unserem Zentrum an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
der Ruhr-Universität Bochum hat weiterhin die elektrokaustische Abtragung intraanaler und perianaler HPV-assoziierter
Läsionen einen hohen Stellenwert. Hierbei
ist auf oberflächliche Abtragung der Veränderungen zu achten, um postoperative
Vernarbungen oder Stenosen zu verhindern.
Von führenden amerikanischen Arbeitsgruppen wird zunehmend über die Infrarot-Koagulation bei analer Dysplasie, einem Verfahren zur Behandlung von Hämorrhoiden im Stadium II, berichtet. Es
konnte gezeigt werden, dass nach drei ambulanten Behandlungen bei 100% aller
HIV-negativen und bei 60% aller HIV-positiven Männer eine komplette Abheilung
analer Dysplasien erreicht werden konnte,
wobei jedoch 65% der HIV-positiven Männer im Nachuntersuchungszeitraum (Median von 18 Monaten) wieder neue/persistierende Läsionen zeigten (13, 14). In einer
kürzlich veröffentlichten Studie zur Infrarot-Koagulation bei HIV-positiven Männern und Frauen mit analer Dysplasie wurde eine komplette Abheilung der AIN in
62,5% und Rezidive in 37,5% aller Fälle beobachtet (15). Es zeigte sich hierbei jedoch
keine Änderung der läsionalen HPV-Viruslasten vor und nach Infrarot-Koagulation.
Eine weitere Behandlungsoption bei analen Dysplasien ist die Lasertherapie. In unserem Zentrum wird insbesondere bei umschriebenen perianalen Läsionen erfolgreich
die Argon-Plasma-Therapie eingesetzt, Publikation zu diesem Verfahren existieren jedoch bisher noch nicht. In einer Studie zur
Dioden-Lasertherapie konnte bei 63% von
141 Patienten mit analen Dysplasien nach 12
Monaten eine komplette Abheilung erzielt
werden (16). Eine höhere Remissionsrate
von 83% wurde hingegen für die CO2-Lasertherapie bei Condylomen und analen Dysplasien (25% hatten hochgradige Dysplasien) beschrieben (17). Im Gegensatz dazu
scheint die photodynamische Therapie keinen klinischen Benefit bei analer Dysplasie
zu bringen (18).
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A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien
Tab. 2
TNM-Klassifikation des Analkarzinoms*
Primärtumor (T)
Regionale
Lymphknoten (N)
Fernmetastasen (M)
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
T1
Tumor kleiner als 2 cm im Durchmesser
T2
Tumor größer als 2 cm, aber kleiner als 5 cm im Durchmesser
T3
Tumor größer als 5 cm im Durchmesser
T4
Tumor jeder Größe mit Infiltration benachbarter Organe (außer
Sphinkter)
NX
Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0
Kein Anhalt für Lymphknotenmetastasen
N1
Lymphknotenmetastasen der perirektalen Lymphknoten
N2
Lymphknoten unilateral iliakal oder inguinal
N3
Lymphknoten bilateral perirektal, inguinal oder iliakal
MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden
M0 Keine Fernmetastasen
*nach: American Joint Committee on Cancer. AJCC cancer staging manual. 5th ed. Philadelphia: Lippincott-Raven Publishers, 1997.
Topische Therapie
Auch in der topischen Therapie analer Dysplasien wird auf Behandlungsansätze für
Condylomata acuminata zurückgegriffen.
Umschriebene kleine perianale Condylome
und anale Dysplasien können mit Podophyllotoxin behandelt werden, es existieren jedoch keine Studien zum Einsatz von Podophyllotoxin bei analer Dysplasie. Im Gegensatz dazu hat sich der topische Immunmodulator Imiquimod in mehreren Studien als effektive Behandlungsoption bei analen Dysplasien erwiesen (19–21). Dies trifft auch für
Condylomata acuminata bei HIV-infizierten
Patienten zu (22). Bei intraanaler Lokalisation
können Imiquimod-haltige Suppositorien
eingesetzt werden (23, 24). In einer kürzlich
publizierten retrospektiven Studie zur Anwendung von 85%-iger Trichloressigsäure bei
35 HIV-positiven und 19 HIV-negativen
Männern konnte gezeigt werden, dass 73% aller AIN1-Läsionen und 71% aller AIN
2/3-Läsionen unter dieser Therapie abheilten
(25). Eine aktuelle prospektive Studie unserer
Arbeitsgruppe zur Behandlung intraanaler
Dysplasien mit 5-Fluoruracil zeigte ein vergleichbares Ansprechen, jedoch zum Teil stärkere Nebenwirkungen (insbesondere Proktitis) und hohe Rezidivraten (26).
Analkarzinom – Einteilung,
Klinik und Diagnostik
Analkarzinome werden in Analrand- und
Analkanalkarzinome eingeteilt. Als Analrand wird ein etwa 5 cm breites Hautareal
distal der Linea anocutanea bezeichnet. Der
Analkanal reicht kranial bis zum Oberrand
des M. puborectalis und kaudal bis zur Linea anocutanea. Analrandkarzinome sind
dementsprechend perianal lokalisiert und
haben keinen Kontakt zur Linea dentata,
wohingegen Analkanalkarzinome, die
mehr als 80% aller analen Malignome ausmachen, fast immer von der Transformationszone ausgehen. Die Einteilung in Analrandkarzinom und Analkanalkarzinom ist
essentiell, da daraus unterschiedliche Therapieansätze resultieren. Die TNM-Klassifikation des Analkarzinoms ist in 씰Tabelle
2 dargestellt. Analrandkarzinome imponieren meist als umschriebene derbe Tumorknoten, flächige Ulzerationen oder ekzematöse Plaques und sind in der Regel
durch einfache Inspektion der Perianalregion erkennbar. Im Gegensatz dazu äußert sich das Analkanalkarzinom oftmals
durch unspezifische Symptome wie Juckreiz, perianale Blutungen und Nässen. Bei
Infiltration der Sphinktermuskulatur kann
es zu Schmerzen und Kontinenzstörungen
kommen. Wichtigste klinische Untersuchung bei Verdacht auf Analkanalkarzinom ist die digitale rektale Untersuchung.
Nach histologischer Diagnosesicherung
sind eine weiterführende Ausbreitungsdiagnostik mit Röntgen-Thorax, Sonographie des Abdomens und der inguinalen
Lymphknoten sowie ein MRT des Beckens
angezeigt.
Therapie des Analkarzinoms
Analrandkarzinome, insbesondere frühe
Stadien, werden wie Plattenepithelkarzinome der Haut primär exzidiert. Die Prognose ist mit einer 5-Jahres-Überlebensrate
von mehr als 80% gut (27). Therapie der
Wahl des Analkanalkarzinoms ist die kombinierte Radiochemotherapie. Die verwendeten Zytostatika sind hierbei 5-Fluorouracil und Mitomycin. In einer kürzlich veröffentlichten Multicenterstudie konnte keine Verlängerung des Überlebens durch den
Einsatz von Cisplatin an Stelle von Mitomycin gezeigt werden (28). Die Prognose
des Analkanalkarzinoms hängt entscheidend vom Stadium der Erkrankung ab, und
die 5-Jahres-Überlebensraten bei lokalem,
regionalem und viszeralem Befall liegen bei
78%, 56%, und 18% (29).
Das Ansprechen von HIV-negativen
und HIV-positiven Patienten auf die kombinierte Radiochemotherapie beim Analkanalkarzinom unterscheidet sich nicht
(96% versus 92%), und auch die Gesamtüberlebensraten sind vergleichbar (65%
versus 61%). HIV-Positive haben jedoch
deutlich schwerere Nebenwirkungen, insbesondere akute toxische Hautschäden
durch die Radiatio, frühere Rezidive und
damit verbunden höhere Raten an abdominoperianalen Rektumamputationen (30).
Unsere Arbeitsgruppe hat anhand einer
Studie im Kompetenznetz HIV/AIDS kürzlich gezeigt, dass sich Analrand- und Analkanalkarzinome HIV-positiver Männer sowohl in ihrer Prognose als auch in ihrem
Ansprechen auf die jeweilige Therapie
deutlich unterscheiden, wobei Analkanalkarzinome in der Mehrzahl der Fälle nicht
mit einem langfristigem Überleben verbunden waren (31).
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A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien
Fazit für die Praxis
HPV-Infektionen sind bei sexuell aktiven
Menschen häufig. Während immunkompetente Personen in der Regel transiente
HPV-Infektionen aufweisen, führt Immunsuppression, insbesondere bei HIV-Infektion,
zu persistierenden HPV-Infektionen und konsekutiv zu hohen Inzidenzen und Prävalenzen HPV-assoziierter Hautveränderungen.
Von führenden Experten wird bei Hochrisikopatienten (insbesondere HIV-positiven Männern) zur Diagnose analer Dysplasien die
Analzytologie, und bei abnormalem zytologischen Befund die hochauflösende Anoskopie empfohlen. Die Therapiestrategien bei
analen Dysplasien sind zum Teil identisch mit
den Behandlungsverfahren bei analen Condylomata acuminata, kontrollierte randomisierte Studien, die eine Basis für Therapieleitlinien darstellen könnten, fehlen bis dato jedoch noch.
Danksagung
Ein Teil der an der Klinik für Dermatologie,
Venerologie und Allergologie der RuhrUniversität Bochum und des Instituts für
Virologie, Nationales Referenzzentrum für
Papillom- und Polyomaviren, Uniklinik
Köln durchgeführten Studien wurden im
Rahmen des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/AIDS ermöglicht, Förderkennzeichen 01KI0501.
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Krebs und HIV-Infektion
A. Potthoff1,#; A. Skaletz-Rorowski1,#; N.H. Brockmeyer1,#;
#für
das Kompetenznetz HIV/AIDS;
für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, St. Josef Hospital, Ruhr-Universität Bochum
1Klinik
Schlüsselwörter
Keywords
HIV, Tumor, Kaposi Sarkom, Analkarzinom
HIV, tumour, Kaposi´s sarcoma, anal cancer
Zusammenfassung
Summary
Tumore sind die zweithäufigste Todesursache
von HIV-Patienten. Die Prävalenz von Tumorerkrankungen liegt in der nationalen Kohorte
des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/
AIDS bei 8,9%. Das Kaposi-Sarkom ist mit 349
Fällen der am häufigsten dokumentierte Tumor. HHV-8 assoziierte Tumore (z. B. das Kaposi-Sarkom) werden durch molekulare Mimikry
vermittelt. Die Optimierung der HIV-Therapie
bleibt die wichtigste therapeutische Maßnahme. Chemotherapeutika werden bei den verschiedenen Tumorentitäten mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt. Während die Inzidenz
des Kaposi-Sarkoms und der Non-HodgkinLymphome nach Einführung der antiretroviralen Therapie deutlich abgenommen hat, nehmen nicht AIDS-definierende Tumore zu. Der
häufigste nicht-AIDS definierende Tumor im
Kompetenznetz ist das Analkarzinom mit 192
Fällen. HPV-Infektionen und Rauchen sind
hierbei wichtige Risikofaktoren. Eine maximale Virussuppression, ein früher Beginn der antiretroviralen Therapie, Impfungen (gegen Hepatitis und HPV) und Screeningmaßnahmen
(z. B. Proktoskopien) können Tumoren vorbeugen.
Tumours are the second most common cause
of death in HIV patients. In the national cohort
of the BMBF-funded German Competence
Network for HIV/AIDS the prevalence of tumours is 8,9%. Kaposi´s sarcoma is the most
common tumour with 349 documented cases.
HHV-8 associated tumours (e.g. Kaposi´s sarcoma) are mediated through molecular mimicry. Optimization of HIV therapy is one of the
most important therapeutic procedures.
Chemotherapy is employed with variable success. While the incidence of Kaposi´s sarcoma
and Non-Hodgkin´s Lymphoma are decreasing, the number of non-AIDS-defining tumours is increasing. The most common nonAIDS-defining tumour in the Competence
Network for HIV/AIDS (KompNet) is anal
cancer (192 cases). HPV infection and smoking are important risk factors. Maximal viral
suppression, early start of antiretroviral therapy, vaccination (against hepatitis and HPV)
and screening (e.g. proctoscopy) can help to
prevent tumours.
Korrespondenzadresse
Dr. Anja Potthoff
St. Josef Hospital
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie,
Ruhr-Universität Bochum
Interdisziplinäre Immunologische Ambulanz
Gudrunstr. 56
44791 Bochum
Tel.: 02 34 / 5 09 34 73
Fax.: 02 34 / 5 09 23 39
E-Mail: [email protected]
Einleitung
Mit der Einführung der antiretroviralen
Therapie hat sich die Lebenserwartung von
HIV-Infizierten dramatisch erhöht (1).
Cancer and HIV-infections
Onkologische Welt 2011; 2: 60–62
Dennoch stirbt weiterhin ein Drittel der
HIV Patienten an AIDS. Bei vielen wird die
HIV-Infektion erst in diesem Stadium festgestellt (11). Eine frühere Diagnose und
damit auch die Möglichkeit zur früheren
Therapie sind daher erstrebenswert. Als
Markererkrankungen gelten Infektionen
wie Herpes zoster, Mollusken bei Erwachsenen, Mundsoor und eine orale Haarleukoplakie, aber auch ein neu aufgetretenes
seborrhoisches Ekzem. Hämatologische
Hinweise können eine Thrombopenie, eine
Anämie und eine Lymphopenie sein.
Selbstverständlich sollte bei allen sexuell
übertragbaren Erkrankungen, einschließlich Condylomen, ein HIV-Test angeboten
werden (7).
Tumore sind die zweithäufigste Todesursache bei HIV-Patienten. Hierbei fällt
auf, dass die Fallzahlen von Kaposi Sarkom
und der Non-Hodgkin Lymphome bei mit
antiretroviraler
Kombinationstherapie
(ART) behandelten Patienten insgesamt
zurückgehen, während Nicht-AIDS-definierende Tumore bei diesem Patientenkollektiv zunehmen. Viele dieser Tumore sind
mit Infektionen wie EBV, Hepatitis B und C
und allen voran HPV assoziiert (씰Tab. 1).
Tumore in der Patientenkohorte des Kompetenznetzes HIV/AIDS
In der Patientenkohorte des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/AIDS an der
Ruhr-Universität Bochum sind Daten von
aktuell mehr als 9000 HIV-Infizierten aus
25 Zentren dokumentiert (www.kompetenznetz-hiv.de). Bei 838 von 9393 auswertbaren Patienten wurden Tumorerkrankungen nach der HIV-Infektion diagnostiziert. Damit lag die Prävalenz in
dieser Kohorte bei 8,9% (13). Das mittlere
Alter der Tumorerkrankten lag bei 43,4
Jahren, 91,4% waren Männer (85,9% in der
Gesamtkohorte). 68,1% der Patienten mit
malignen Erkrankungen waren Raucher
oder Ex-Raucher.
Besonders interessant ist das Datum der
Tumordiagnose zu betrachten. Die ersten
Erkrankungen wurden 1987 dokumentiert. Nach Einführung der antiretroviralen
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A. Potthoff et al.: Krebs und HIV-Infektion
HHV-8 assoziierte Tumore
Bisher wurden im Wesentlichen das Kaposi
Sarkom, das Primary effusion Lymphom
und der M. Castleman als HHV-8 assoziierte Tumore beschrieben. Männer erkranken
häufiger als Frauen. Die Tumorgenese wird
durch molekulare Mimikry vermittelt
(씰Tab. 2). Die Zellproliferation wird über
Ausschüttung von IL6, Angiogeneseinduktion und antiapoptotische Effekte begünstigt (16). Die Inzidenz des Kaposi-Sarkoms
ist durch die Einführung der ART um das
Infektions-assoziierte
Tumore bei HIV-Infizierten (modifiziert
nach [10])
Abb. 1
Dokumentation einer
Tumorerstdiagnose
nach der HIV-Diagnose im Kompetenznetz HIV/AIDS (13)
(x-Achse: Jahr,
y-Achse: Anzahl der
Tumorpatienten)
Pathogen
Tumortyp
Standardisierte
Inzidenzverhältnisse
(SIR)
EBV
Hodgkin Lymphom
11,0
HPV
Anal
28,8
Penis
4,42
Vulva oder Vagina
6,45
Mundboden- und
Rachen
2,32
Hepatitis B/C
Leber
5,22
Helicobacter pylori
Gastrointestinal
1,9
120
100
80
60
40
20
0
1987
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
Tab. 1
Anzahl der Tumorpatienten
Therapie und besserer Strategien zum Management von opportunistischen Infektionen, zeigte sich zunächst ein deutlicher Anstieg der Tumordiagnosen (씰Abb. 1). Dieser Trend scheint seit 2006 rückläufig zu
sein. Mögliche Ursachen sind die weiter
verbesserten Therapiemöglichkeiten, die
auch bei stark vorbehandelten Patienten eine maximale Virussuppression erlauben.
Zudem erscheint ein früherer Beginn der
antiretroviralen Therapie sich günstig auszuwirken. Die gesteigerte Sensibilisierung
für Tumorerkrankungen hat zu Verbesserungen der Vorsorgestrategien z. B. jährlichen Proktoskopien und Hautkrebsscreening geführt.
In der Kompetenznetzkohorte ist das
Kaposi-Sarkom weiterhin der häufigste Tumor mit 349 Fällen (41,6% aller dokumentierter Tumore). Die Inzidenz betrug 3,7%
in der Gesamtkohorte. Lymphome (ohne
Hodgkin-Lymphome) sind die zweithäufigsten Tumorerkrankungen mit 21,7% der
dokumentierten Tumore. Der dritte AIDSdefinierende Tumor, das Zervixkarzinom,
spielt in dieser Kohorte nur eine untergeordnete Rolle (2 Fälle, 0,3%). Dies kann
zum einem am effektivem Screening auf
zervikale Dysplasien liegen, reflektiert aber
auch den geringen Anteil und das jüngere
Alter der Frauen in der Kompetenznetzkohorte.
Der dritthäufigste Tumor und gleichzeitig der häufigste Nicht-AIDS-definierende
Tumor ist das Analkarzinom mit 192 Fällen
(12,1%). Bronchialkarzinome machten
2,5% der Tumorfälle aus, Hodentumore
und Mammakarzinom jeweils 1,2%, die
übrigen Tumorentitäten kamen bei weniger als 9 (<1%) Patienten vor.
Jahr
Tab. 2
HHV 8 assoziierte Molekulare Mimikry beim Kaposi Sarkom (modifiziert nach [5]) (ORF: open
reading frame)
Virales Homolog
Zelluläres Homolog
Funktion
ORF K1
Ig λ Leichtkette
Fibroblastentransformation
ORF K2 (vIL6)
IL6
Zellproliferation
ORFs vMIPs (K4, K4.1, K6)
MIP Iα, Iβ, II
Angiogeneseinduktion,
Inihibition der Monozytenchemotaxis
ORF 16 (vBCL-2)
Bcl-2
Anti-Apoptose
ORF K9 (vIRF)
IRF-2
Negative Regulation von
Interferon-mediierten Signalen
ORF K13/ORF 71
DEDs
Antiapoptose
ORF 72 (vCyclin)
Cyclin D2
Zellzykluskontrolle,
Transformationsfähigkeit
sechsfache gesunken. Dennoch mehren
sich Fallbeschreibungen von HIV-Patienten mit einer HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze im Serum und CD4 >300/μl,
die an einem Kaposi-Sarkom erkranken
(12). Der Verlauf entspricht in diesen Fällen oft dem klassischen Kaposi-Sarkom
und es kommt nur selten zur Organmanifestation.
Therapeutisch sollte, wenn möglich, die
HIV-Therapie optimiert werden. Indikationen zur Einleitung einer systemischen
Therapie
sind
Organmanifestation,
Schmerzen und großflächige, entstellende
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61
62
A. Potthoff et al.: Krebs und HIV-Infektion
Tumore. Interferon ist nur bei >200/μl
CD4-Zellen wirksam. Liposomales Doxorubicin (20–40mg/m² alle 2–4 Wochen)
führt zu Remissionsraten von 60–80%. Paclitaxel zeigt ähnliche Ansprechraten bei etwas höherer Toxizität (6). Beim Therapieversagen wurde in kleinen Studien Paclitaxel erfolgreich eingesetzt (4). Polychemotherapien sind als Ultimo ratio anzusehen.
Das Vorliegen eines Kaposi-Sarkoms
kann ein wichtiger Hinweis zu Diagnose eines M. Castleman sein. Zu 65% treten beide Entitäten im gleichen Lymphknoten auf.
Es handelt sich beim M. Castleman um eine
aggressive lymphoproliferative Erkrankung, die sich klinisch durch B-Symptomatik, Anämie und Lymphadenopathie zeigt.
CRP, HHV-8-Viruslast und IL-6-Spiegel
korrelieren mit der Krankheitsaktivität
und dem Therapieansprechen. Eine Standardtherapie besteht nicht, erfolgreiche
Fallberichte wurden mit CHOP, ABV und
Rituximab beschrieben. Zum Teil wurde
auch eine Erhaltungstherapie mit Monotherapien, z.B. mit Etoposid, Cyclophosphamid und Vinblastin bzw. Interferon,
durchgeführt (2).
Weniger als 2% der HIV-assoziierten
Lymphome sind Primary effusion Lymphome. Eine sichtbare Tumormasse fehlt
meistens, sodass die malignen Zellen nur in
Körperhöhlen wie Pleura- oder PerikardSpalt oder peritoneal zu finden sind. Der
Histologe muss auf den Verdacht eines PEL
hingewiesen werden. Die Zellen exprimieren CD 45, CD 30, CD 38, CD 138 und
MUM 1. Das Ansprechen auf CHOP ist
meist schlecht (14). Therapien mit Foscavir
oder Cidofovir sind experimentell. Unter
einer kombinierten Chemotherapie mit
Hochdosis-Methotrexat wurde bei 3/7 Patienten eine Vollremission erzielt (3). Andererseits gibt es Berichte, in denen auch
intensive Therapien erfolglos waren (17).
In Einzelfällen wurde Bortezomib erfolgreich eingesetzt (14)
HPV assoziierte Tumore
HPV 16 und 18 werden in 70% der Zervix-,
Vulvar-, und Vaginalkarzinome gefunden.
Diese Erkenntnis hat zur Empfehlung der
HPV-Impfung von Mädchen geführt.
Hochrisiko HPV-Typen sind auch für 50%
der Peniskarzinome und 85% der Analkarzinome verantwortlich. Auch bei 35% der
Oropharyngealen Karzinome werden
HPV-Infektionen primär ursächlich gesehen (9). Neue Studien belegen, dass die
Impfung auch bei Männern wirksam ist.
Hochrechnungen zeigen, dass durch eine
zusätzliche Impfung von Männern Erkrankungen von Männern z.B. an Condylomen
und Kopf-/Halstumoren verhindert werden können. Zusätzlich kann die Inzidenz
und Mortalität auch bei den gynäkologischen Tumoren weiter reduziert werden
(8). Die Sicherheit der quadrivalenten
HPV-Vakzine konnte auch bei HIV-infizierten Männern gezeigt werden (18). Bis
Studiendaten zur Effektivität in diesem
Kollektiv vorliegen, bleibt die Früherkennung von Dysplasien die beste Option.
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Hämato-Onkologie
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Therapieansätze bei Patienten
mit Hochrisiko-MDS*
N. Gattermann; A. Kündgen; C. Strupp; R. Haas; U. Germing
Klinik für Hämatologie, Onkologie und klinische Immunologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
Schlüsselwörter
MDS, myeloblastisches Syndrom, epigenetische Therapie, 5-Azacytidin, Decitabin
Zusammenfassung
Patienten mit einem prognostisch ungünstigen myelodysplastischen Syndrom (MDS) leiden unter den Folgen ihrer Knochenmarksinsuffizienz (Anämie, Thrombozytopenie, Granulozytopenie) und entwickeln relativ häufig eine akute myeloische Leukämie. Bei einer kleinen Minderheit dieser Patienten kann versucht
werden, durch allogene Transplantation hämatopoetischer Stammzellen eine Heilung zu
erreichen. Einige Patienten mit fortgeschrittenem MDS können auch von einer intensiven
antileukämischen Chemotherapie profitieren,
falls ihr Allgemeinzustand die Durchführung
einer solchen Behandlung erlaubt und keine
ungünstigen Chromosomenanomalien vorliegen, die einen Therapieerfolg unwahrscheinlich machen. Für viele Patienten kommt jedoch
weder eine allogene Transplantation noch eine
intensive Chemotherapie in Frage. Statt dessen kann eine epigenetische Therapie versucht
werden. Mit der demethylierenden Substanz
5-Azacytidin konnte in zwei großen Studien
bei Patienten mit fortgeschrittenem MDS eine
signifikante Verlängerung des Überlebens
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Norbert Gattermann
Medizinische Klinik, Hämatologie, Onkologie und Immunologie
Universitätsklinikum Düsseldorf
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf
Tel.: 02 11 / 8 11 65 00, –77 20
E-Mail: [email protected]
Einleitung
Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind
klonale Knochenmarkserkrankungen, die
von einer pluripotenten hämatopoetischen
Stammzelle ausgehen. Der dominante
ereicht werden. 5-Azacytidin (Vidaza®) ist seit
2009 in der EU zur Behandlung von MDS-Patienten mit ungünstiger Risikokonstellation zugelassen. Für die Schwestersubstanz Decitabin
sind hämatologische Besserungen, aber noch
keine signifikante Lebensverlängerung dokumentiert. Eine andere Art der epigenetischen
Therapie, nämlich der Einsatz von Histondeacetylase-Inhibitoren (HDACi), kann bei Niedrigrisiko-MDS hämatologische Besserungen erreichen, scheint jedoch für die Behandlung von Patienten mit Hochrisiko-MDS nicht ausreichend
wirksam zu sein. Patienten, deren Knochenmarkszellen bei der zytogenetischen Untersuchung eine 5q-Anomalie aufweisen, sollten
möglichst einen Therapieversuch mit Lenalidomid unternehmen, welches allerdings in
Deutschland für die MDS-Behandlung bisher
nur im Rahmen klinischer Studien zur Verfügung steht.
Keywords
MDS, myelodysplastic syndrome, epigenetic
therapy, 5-Azacytidine, Decitabine
Summary
Patients with a higher-risk myelodysplastic syndrome (MDS) suffer from the consequences of
Treatment for patients with high-risk myelodysplastic syndromes
Onkologische Welt 2011; 2: 63–71
their bone marrow failure (anemia, thrombocytopenie, neutropenia) and frequently develop disease progression to acute myeloid
leukemia. In a small minority, cure can be attempted by allogeneic hematopoietic stem
cell transplantation (alloSCT). Patients may
also benefit from intensive induction chemotherapy, provided that they are in good general condition and their bone marrow cells do
not show an unfavourable karyotype on cytogenetic analysis. Many patients are ineligible
for alloSCT or intensive chemotherapy. For
these patients, epigenetic therapy is an alternative. Two large clinical trials showed a significant survival benefit for patients with
higher-risk MDS treated with the demethylating agent 5-Azacytidine (Vidaza®) which has
been licensed in the EU in 2009 for the treatment of such patients. A closely related substance, Decitabine, also achieves hematologic
improvement and remissions, but failed to
provide a significant survival benefit in a
phase III trial. Inhibitors of histone deacetylases (HDAC inhibitors) can also be used for
epigenetic treatment. They can produce
marked clinical benefit in a proportion of patients with lower-risk MDS, but their effect is
apparently not strong enough for successful
treatment of higher-risk MDS. Patients whose
bone marrow cells show a 5q-anomaly should
be considered candidates for a trial of lenalidomide which, however, is not yet licensed for
MDS treatment in Europe.
* Dieser Beitrag erscheint parallel in: Klinische Onkologie 2011/2012, Düsseldorf University Press
GmbH
MDS-Zellklon, der die normale Hämatopoese verdrängt, hat zwar auf Stammzellebene einen Wachstumsvorteil, bringt jedoch hämatopoetische Zellen hervor, deren
Ausreifung gestört ist.
Diese Reifungsstörung ist mit gesteigerter Apoptoseneigung verbunden, sodass
ein großer Teil der heranreifenden Zellen
vorzeitig im Knochenmark zugrunde geht.
Hieraus resultieren Anämie, Neutropenie
und Thrombozytopenie mit entsprechenOnkologische Welt 2/2011
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N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS
tragen, dass eine Zytostatika-Behandlung
bei Patienten mit Hoch-Risiko-MDS wenig
erfolgreich ist.
Bislang gibt es keine Medikamente, mit
denen sich myelodysplastische Syndrome
heilen lassen; kuratives Potenzial hat nur
die allogene Transplantation hämatopoetischer Stammzellen. Wegen fortgeschrittenen Alters oder ungünstiger Begleiterkrankungen kommen die meisten MDS-Patienten jedoch nicht für eine alloSCT in Frage.
In der Vergangenheit beschränkte sich die
Behandlung daher hauptsächlich auf supportive Maßnahmen, d. h. Transfusion von
Erythrozyten- und/oder Thrombozytenkonzentraten sowie Einsatz von Antibiotika bei Infektionen. Inzwischen existieren
jedoch mehrere Substanzen, die sich bei
MDS günstig auf die Produktion reifer
Blutzellen auswirken. Zumindest eines dieser Medikamente ist auch in der Lage, bei
Patienten, deren Risikofaktoren eine
schlechte Prognose verheißen, die Wahrscheinlichkeit der leukämischen Transformation signifikant zu senken und die
2-Jahres-Überlebensrate zu verdoppeln.
Gesamtüberleben (%)
den klinischen Symptomen. Bei etwa 15%
der Patienten entwickelt sich aus dem MDS
eine akute myeloische Leukämie (1). Die
erworbenen genetischen Defekte, die zu einem MDS führen und später dessen klonale Evolution vorantreiben, sind erst teilweise bekannt.
Während bei Niedrig-Risiko-MDS die
ineffektive Hämatopoese im Vordergrund
steht, zeigt bei Patienten mit Hoch-RisikoMDS der erhöhte Blastenanteil im Knochenmark an, dass hier eine Differenzierungsstörung vorliegt, die sich bei einem
Teil der Patienten zu einer weitgehenden
Differenzierungsblockade mit klinischer
Transformation in eine akute myeloische
Leukämie weiterentwickelt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die gesteigerte
Apoptoseaktivität, die bei Niedrig-RisikoMDS für die ineffektive Hämatopoese verantwortlich ist, bei Hoch-Risiko-MDS in
den unreifen blastären Zellen nicht zu finden ist. Hier ist es durch chromosomale
Aberrationen oder Punktmutationen offenbar dazu gekommen, dass die reifungsblockierten Vorläuferzellen die Fähigkeit
verloren haben, den programmierten Zelltod herbeizuführen. Dies dürfte dazu bei-
100
Gesamtüberleben (%)
64
100
Nicht transplantiert
(n = 184)
75
50
Low
Int-2
25
0
Int-1
High
0
25
50
75
100 125 150 175 200 225
Monate
75
Low
50
25
0
High
0
25
50
75
Transplantiert (n = 260)
nur BMT und HLA-identische Zwillinge
Int-2
Int-1
100 125 150 175 200 225
Monate
Abb. 1 Der Einfluss einer frühzeitigen allogenen Stammzelltransplantation auf das Überleben von
MDS-Patienten in Abhängigkeit von deren Zugehörigkeit zu verschiedenen Risikogruppen gemäß IPSS
(International Prognostic Scoring System). Low: Niedrigrisiko-MDS, Int-1: Intermediär-1, Int-2: Intermediär-2, High: Hochrisiko-MDS. Von einer frühzeitigen Transplantation profitieren die Patienten der Risikogruppen High und Int-2, während sich bei Patienten der Risikogruppe Low und Int-1 die Prognose
durch transplanationsbedingte Komplikationen sogar verschlechtern kann.
Allogene Stammzelltransplantation
Die Chance eines krankheitsfreien Überlebens 5 Jahre nach allogener Stammzelltransplantation liegt bei 40–50%. Der Erfolg ist nicht nur abhängig von der Biologie
der zugrundeliegenden Knochenmarkerkrankung, sondern auch vom Alter des
Patienten und seinen Begleiterkrankungen. Als Transplantationskandidaten kommen vor allem MDS-Patienten in Frage, die
einerseits ein hohes Risiko aufweisen, an einer akuten Leukämie zu versterben, andererseits aber vergleichsweise jung sind und
sich in gutem Allgemeinzustand befinden.
Das Patientenalter und der Blastenanteil
im Knochenmark sind die beiden wichtigsten Prognosefaktoren für krankheitsfreies
Überleben nach Transplantation. Die Prognose verschlechtert sich bereits bei Patienten, die älter als 45 Jahre sind. Dieses Alter
haben allerdings die meisten MDS-Patienten bei Diagnosestellung überschritten.
Hinsichtlich der Knochenmarkerkrankung zeigt sich, dass Patienten mit einem
medullären Blastenanteil von weniger als
5% auf einen guten Transplantationserfolg
hoffen können, während Patienten mit
mehr als 20% Blasten trotz allogener SCT
eine schlechte Prognose haben.
Eine retrospektive Analyse am M.D. Anderson Cancer Center in Houston ergab,
dass ältere Patienten mit MDS und AML
wesentlich bessere Überlebenschancen
nach allogener Transplantation haben,
wenn Sie vor der Transplantation bereits eine Remission erreichen. Trotzdem ist die
Frage bisher nicht endgültig geklärt, ob Patienten mit Hochrisiko-MDS vor einer alloSCT zunächst durch intensive Chemotherapie in Remission gebracht werden
sollten. Einerseits verbessert sich hierdurch
die Chance, die Krankheit zu eliminieren,
andererseits kann eine vorgeschaltete Chemotherapie auch Komplikationen mit sich
bringen, die die Ausgangsposition für die
geplante Transplantationsbehandlung verschlechtern oder eine alloSCT sogar unmöglich machen. In einer japanischen Studie hatte eine Induktions-Chemotherapie
vor Transplantation einen ungünstigen Effekt auf die Überlebenschance der Patienten.
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N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS
Der richtige Zeitpunkt für eine Transplantation ist ebenfalls eine wichtige Frage.
Cutler und Mitarbeiter konnten anhand
mathematischer Modellrechnungen zeigen, dass Patienten mit Niedrigrisiko-MDS
(gemäß International Prognostic Scoring
System, IPSS) eine recht gute Prognose haben, wenn man sie nicht frühzeitig transplantiert, sondern abwartet und beobachtet, ob sich eine Krankheitsprogression entwickelt. Im Gegensatz dazu haben Patienten mit Hochrisiko-MDS ohne Transplantation eine so schlechte Prognose, dass sie
von einer möglichst frühzeitigen Transplantation im allgemeinen profitieren
(씰Abb. 1).
Um die Toxizität der alloSCT zu mindern, kann eine dosisreduzierte Konditionierung (reduced intensity conditioning,
RIC) zum Einsatz kommen, die es auch älteren Patienten (>60 Jahre) erlaubt, sich einer allogenen Transplantation zu unterziehen. Während die akute Toxität bei RIC viel
geringer ist als bei konventioneller Konditionierung, bleibt das Problem einer
möglichen GvHD (graft-versus-host disease) unverändert bestehen. Diese Komplikation kann leider einen tödlichen Ausgang
haben.
Ein weiteres Problem der dosisreduzierten Konditionierung ist, dass Rückfälle
häufiger als nach klassischer myeloablativer Konditionierung auftreten. Durch die
Rezidive geht der Überlebensvorteil, der
sich durch verminderte Toxizität ergeben
könnte, durch gehäufte Rezidive wieder
weitgehend verloren.
In Düsseldorf wird der innovative Ansatz verfolgt, bei Patienten mit HochrisikoMDS zunächst mit einer Chemotherapie
nach dem FLAMSA-Protokoll (Fludarabin,
Amsacrin, AraC) eine Knochenmarkaplasie – und möglichst auch eine Remission –
herbeizuführen, aber nicht auf die Erholung der Hämatopoese zu warten, sondern
noch in der Aplasie eine Hochdosistherapie
mit alloSCT durchzuführen. Der Vorteil
dieses Verfahrens ist die Vermeidung einer
langen und potenziell komplikationsreichen Aplasiephase, an deren Ende eventuell
nicht einmal eine Vollremission steht. Die
bisherigen Erfahrungen mit dem neuen
Ansatz sind günstig.
Intensive Chemotherapie
Für eine intensive Chemotherapie bei
Hochrisiko-MDS-Patienten werden die
gleichen Zytostatika verwendet, die bei der
Behandlung akuter myeloischer Leukämien zum Einsatz kommen. Allerdings
haben Patienten mit Hochrisiko-MDS, die
älter als 60 Jahre sind und ungünstige
Chromosomenaberrationen in ihren klonalen Knochenmarkszellen aufweisen
(zum Beispiel Anomalien des Chromosoms 7 oder einen komplex veränderten
Karyotyp), nur geringe Chancen, durch intensive Chemotherapie eine Remission zu
erreichen.
Selbst im Falle einer kompletten Remission ist die Dauer des Therapieerfolgs
meistens relativ kurz. Nach einer gründlichen Analyse des Düsseldorfer Patientenguts haben wir uns deshalb eindeutig gegen
eine intensive Chemotherapie bei Patienten mit dieser Risikokonstellation ausgesprochen (2). Dementsprechend warten
wir mit der endgültigen Therapieentscheidung, bis das Ergebnis der zytogenetischen
Untersuchung vorliegt. Bei jüngeren Patienten mit günstigerem Karyotyp bestehen bessere Chancen, eine komplette Remission zu erreichen und damit eventuell
die Voraussetzungen für eine allogene
Stammzelltransplantation zu schaffen. Eine alleinige Chemotherapie ist auch bei
jüngeren MDS-Patienten im allgemeinen
keine kurative Behandlung.
Da die Mehrheit der MDS-Patienten älter als 60 Jahre ist und bei mehr als 20% aller MDS-Patienten ungünstige KaryotypAnomalien zu finden sind (3), stellt sich die
Frage, welche Therapieoption für die genannte Patientengruppe noch in Frage
kommt. Da neben chromosomalen Aberrationen und Punktmutationen auch epigenetische Störungen in den hämatopoetischen Zellen vorliegen können, stellen epigenetische Therapien einen sinnvollen Behandlungsansatz dar.
Epigenetische Behandlung
Epigenetik beschreibt Veränderungen der
DNA und des Kernchromatins, die bei der
Zellteilung repliziert und somit vererbt
werden, aber im Gegensatz zu Deletionen
oder Punktmutationen nicht irreversibel
sind (4). Epigenetische Veränderungen
spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation der Genexpression. Sie beruhen vor allem auf zwei Mechanismen, nämlich DNAMethylierung, die sich besonders in der
Promotor-Region von Genen abspielt, sowie Histon-Modifikationen.
Histone sind Proteine, um die der DNAFaden im Zellkern gewunden ist. Das
N-terminale Ende eines Histons kann von
Enzymen modifiziert werden, und zwar
durch Acetlyierung, Phosphorylierung, Sumoylierung und Ubiquitinierung. Histonmodifikationen verändern im Zusammenspiel mit der DNA-Methylierung die lokale
Chromatinstruktur und beeinflussen dadurch die Genexpression. Offenes, lockeres
Chromatin ist der Genexpression förderlich, da es Transkriptionsfaktoren den Zugang zu ihren Zielgenen erlaubt, während
kondensiertes Chromatin die Transkription blockiert.
Aberrante DNA-Methylierung ist besonders häufig bei fortgeschrittenen myelodysplastischen Syndromen zu finden
(häufiger als chromosomale Veränderungen) und dürfte deshalb bei der Entwicklung vom MDS zur AML beteiligt sein (5).
Demgegenüber sind Histonmodifikationen bei MDS noch wenig erforscht. Obgleich die Gene, deren epigenetische
Stummschaltung zur MDS-Pathogenese
beiträgt, noch nicht identifiziert sind, wird
in der Klinik bereits versucht, pathologische Chromatinkondensierung rückgängig
zu machen. Zu diesem Zweck können Inhibitoren der DNA-Methyltransferasen
(DMT) und/oder Inhibitoren der Histondeacetylasen (HDAC) eingesetzt werden.
Diese „Re-Expressions-Strategie“ wird bei
der Behandlung myelodysplastischer Syndrome intensiv verfolgt, in der Hoffnung,
durch verbesserte Genexpression eine verbesserte Ausreifung der kranken Knochenmarkszellen und somit eine effektivere Hämatopoese zu bewirken.
DNA-MethyltransferaseInhibitoren
Zur Inhibierung der DNA-Methylierung
dienen die Cytidin-Analoga 5-Azacytidin
und Decitabin, die bei der DNA-Replikati-
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on als „falsche Nukleotide“ eingebaut werden und eine irreversible Bindung der
DNA-Methyltransferase verursachen. Dies
führt über mehrere Zellzyklen zur erwünschten DNA-Hypomethylierung.
5-Azacytidin
Eine von Silverman geleitete und 2002 veröffentlichte klinische Studie mit dem
DNA-Methyltransferase-Inhibitor 5-Azacytidin erbrachte erstmalig den Nachweis,
dass durch epigenetische Behandlung die
leukämische Transformation bei MDS-Patienten signifikant verzögert werden kann
(6). Das Resultat wurde inzwischen durch
die prospektive multizentrische Studie
AZA-001 bestätigt, bei der subkutan verabreichtes 5-Azacytidin randomisiert mit
konventioneller Therapie verglichen wurde
(씰Abb. 2) (7). Die konventionelle Therapie
erlaubte drei Alternativen:
1. eine rein supportive Behandlung (best
supportive care, BSC),
2. die Gabe von niedrigdosiertem AraC
und
3. eine intensive Induktionschemotherapie.
Selbstverständlich erhielten alle Patienten
als Basistherapie die bestmögliche supportive Behandlung. In die Studie wurden
MDS-Patienten aufgenommen, die ein ungünstiges Risikoprofil aufwiesen (‘intermediate-2’ oder ‘high-risk’).
Es zeigte sich, dass 5-Azacytidin im Vergleich mit den konventionellen Behandlungen die mediane Überlebenszeit von 15
Monaten auf etwa 2 Jahre verlängerte und
die 2-Jahres-Überlebensrate von 26% auf
51% steigerte. Die Überlebenszeit war mit
den konventionellen Behandlungen jeweils
etwa 9,5 Monate kürzer als unter der Behandlung mit 5-Aza. Neben verzögerter
leukämischer Transformation bewirkte
5-Aza auch häufigere Transfusionsfreiheit
sowie eine Reduktion der Häufigkeit von
Infektionen, die intravenöse Antibiotika
erforderten. Die Behandlung mit 5-Aza
wurde von den meist älteren Patienten im
allgemeinen gut vertragen.
Der oben genannte Überlebensvorteil
war das Ergebnis einer Therapie, die sich in
der klinischen Studie über eine mediane
Anzahl von 9 Zyklen erstreckte. Nach 6 Be-
handlungszyklen hatten 81% der Responder ihr erstes Ansprechen erreicht, nach 9
Zyklen waren es 90%. Der initiale Therapieerfolg verbesserte sich später noch bei
etwa 40% der Patienten (bestes Ergebnis
nach einem Median von weiteren 4 Zyklen)
(8).
Diese Art der epigenetischen Behandlung erfordert also viel Geduld und sollte
bei allen Patienten langfristig fortgeführt
werden, solange keine eindeutige Krankheitsprogression zu erkennen ist (9). Interessanterweise hing der Überlebensvorteil
nicht davon ab, dass die Patienten eine
komplette Remission erreichten. Auch das
Erreichen einer hämatologischen Besserung (gemäß den Kriterien der International Working Group, IWG [10]) war mit
einem klaren Überlebensvorteil verbunden
(11).
Die Standarddosierung für 5-Aza, die
sowohl in der „Silverman-Studie“ als auch
in der großen Bestätigungsstudie AZA-001
verwendet wurde, beträgt 75 mg/m2/d, subkutan oder intravenös, an 7 aufeinanderfolgenden Tagen, alle 4 Wochen (AZA-7).
Da dieses Therapieschema wegen des „Wochenendproblems“ nicht sehr beliebt ist,
sind auch andere Protokolle zum Einsatz
gekommen, beispielsweise mit Wochenendpause (AZA-5–2) oder Verkürzung auf
5 Tage (AZA-5).
Eine kürzlich publizierte randomisierte
Phase-II-Studie erzielte mit den genannten
alternativen Dosierungen ähnlich gute hämatologische Besserungen wie die
AZA-001-Studie (12). Allerdings sind die
alternativen Dosierungen nicht im direkten Vergleich mit dem 7-Tages-Standard-
schema getestet worden. Außerdem hatten
63% der Patienten in dieser Studie ein „lower-risk-MDS“, während die AZA001-Studie nur Patienten mit „higher-riskMDS“ inkludierte. Die Patientenzahl in der
Studie von Lyons et al. (12) war nicht groß
genug, um statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich Gesamtüberleben,
progressionsfreiem Überleben und AMLTransformation feststellen zu können. Es
lässt sich daher nicht sagen, ob die um zirka
30% reduzierte Gesamtdosis des AZA5-Schemas bei Patienten mit higher-riskMDS mit verminderter Wirkung verbunden ist.
In einer italienischen Studie mit 5-Azacytidin bei AML-Patienten war die AZA7-Standarddosierung wirksamer als eine
feste Dosierung mit 100 mg (1 Ampulle)
pro Tag (13). Insgesamt kann also zumindest bei MDS-Patienten mit ungünstigem
Risikoprofil eine Behandlung mit reduzierter Dosis noch nicht empfohlen werden.
Zur Vermeidung von Übelkeit sollte vor
der Gabe von 5-Azacytidin prophylaktisch
ein Antiemetikum verabreicht werden. Als
Hauptnebenwirkung sind jedoch absinkende Leukozyten- und Thrombozytenzahlen zu beachten. Eine vorbestehende
Leukozytopenie oder Thrombozytopenie
sollte zu Beginn der Behandlung nicht zur
Dosisreduktion von 5-Aza führen. Später
können prolongierte Phasen der Knochenmarksuppression aber eine Dosisminderung oder Unterbrechung der Therapie
erzwingen. In dieser Situation sollte möglichst durch Knochenmarkspunktion geklärt werden, ob die Zytopenie Ausdruck
einer therapiebedingten Hypoplasie der
5-Azacytidin
75 mg/m2/d x 7d, alle 28 d
Randomisation
(1:1)
24,5 Mo.
50,8 %
Medianes
Überleben
p = 0,0001
2-Jahresüberleben
p < 0,0001
15 Mo.
26,2 %
Konventionelle Therapie:
• Best-supportive care
• AraC Niedrigdosis
• Standard-Chemotherapie
Abb. 2 Ergebnisse der Phase-III-Vergleichsstudie zwischen 5-Azacytidin (AZA) und konventionellen
Behandlungsverfahren.
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N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS
Hämatopoese oder Folge einer Krankheitsprogression mit Blastenvermehrung ist.
Eine weitere Nebenwirkung der subkutanen Verabreichung von 5-Aza sind
Entzündungen an der Injektionsstelle. Die
subkutane Gabe wird im allgemeinen empfohlen, da 5-Aza seine Wirksamkeit in den
meisten klinischen Studien mit dieser
Form der Verabreichung unter Beweis gestellt hat. Das Medikament kann aber auch
intravenös gegeben werden. In einer der
ersten klinischen Studien war 5-Aza bei
kontinuierlicher i.v.-Infusion (75 mg/m2/d
über 7 Tage alle 4 Wo.) bei Patienten mit
RAEB und RAEB-T erfolgreich (14).
In den USA ist 5-Aza auch für die intravenöse Gabe zugelassen. Dabei wird eine
Infusionszeit von 10–40 Min. empfohlen.
Die Azacytidin-Behandlung könnte sich
mit einer oralen Darreichungsform wesentlich bequemer gestalten. Orales 5-Aza
wird derzeit klinisch geprüft und scheint
trotz geringerer Bioverfügbarkeit und geringerer DNA-Hypomethylierung ähnliche
klinische Ansprechraten wie bei subkutaner Gabe zu erzielen (15).
Decitabin
Ein weiterer DNA-MethyltransferaseInhhibitor ist Decitabin (5-Aza-2’Deoxycytidin), das dem 5-Azacitidin strukturell
sehr ähnlich ist. Präliminäre Studienergebnisse mit Decitabin wurden bereits zwei
Jahre vor der oben genannten „SilvermanStudie“ veröffentlicht (16).
Die Gesamtansprechrate betrug etwa
50%. Patienten mit ungünstigem Risikoprofil profitierten besonders gut von der
Behandlung, vor allem solche, die prognostisch ungünstige chromosomale Aberrationen wie Monosomie 7 oder del(7q) aufwiesen. Ähnlich wie 5-Azacytidin war auch
Decitabin in der Lage, zytogenetische Remissionen zu induzieren. Durchschnittlich
3,2 Behandlungszyklen vergingen bis zum
Erreichen des besten Therapieerfolgs.
Kantarjian et al. verglichen in einer Phase-III-Studie Decitabin mit „best supportive care“ und stellten fest, dass Decitabin die
Entwicklung einer leukämischen Transformation signifikant verzögerte, vor allem bei
Patienten mit ungünstigem Risikoprofil
(17). Decitabin-behandelte Patienten wurden retrospektiv auch mit historischen
Kontrollen verglichen, die eine intensive
Chemotherapie erhalten hatten.
Die beiden Kollektive, die hinsichtlich
Alter, Karyotyp und Risikoabschätzung gemäß IPSS (international prognostic scoring system) vergleichbar waren, zeigten einen statistisch hochsignifikanten Überlebensvorteil zugunsten der epigenetisch
behandelten Patienten (18). Auch eine Studie zur ambulanten Decitabin-Behandlung
erbrachte ermutigende Resultate (19). Deshalb ist es überraschend, dass eine im Jahr
2002 von der EORTC initiierte randomisierte klinische Studie, deren präliminäre
Ergebnisse 2008 vorgestellt wurden, keinen
Überlebensvorteil für Decitabin dokumentieren konnte.
Es handelte sich um eine multizentrische Phase-III-Studie, die „best supportive
care“ mit Decitabin plus BSC verglich (20).
Es wurden 233 Patienten inkludiert, die
über 60 Jahre alt waren, meistens den Risikokategorien „intermediate-2“ oder „highrisk“ angehörten und einen medullären
Blastenanteil zwischen 11% und 30% aufwiesen. Obwohl die Ansprechraten (13%
CR, 6% PR, 15% HI) sich ähnlich gestalteten wie in anderen klinischen Studien mit
Decitabin und das progressionsfreie Überleben signifikant besser war als mit BSC
(6.6 vs. 3 mo.), ergab sich kein statistisch
signifikanter Überlebensvorteil (Median
10.2 vs. 8.5 Mon.). Mögliche Gründe hierfür sind eine kürzere Anwendung von Decitabin (6 Monate im Vergleich zu 9 Monaten Azacytidin in der AZA-001-Studie),
Unterschiede in der Weiterbehandlung
nach Krankheitsprogression sowie ein kürzeres Intervall zwischen Diagnose und Behandlungsbeginn, was zur Inklusion von
Hochrisikopatienten geführt haben könnte, die wegen rascher Progression nicht in
die AZA-001-Studie aufgenommen worden wären. Während Decitabin in den USA
schon im Jahr 2006 zugelassen wurde, erscheint die Zulassung in Europa weiterhin
unsicher.
jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt
werden kann, ob eine der beiden demethylierenden Substanzen eindeutig überlegen
ist.
Decitabin und 5-Azacitidin unterscheiden sich zwar kaum in ihrer Struktur, sind
jedoch hinsichtlich ihrer Wirkung nicht
identisch. Beispielsweise wird Decitabin selektiv in DNA inkorporiert, während der
größte Teil des verabreichten 5-Azacytidins
in RNA eingebaut wird (nur ca. 25% stehen
nach Umwandlung in Decitabin für den
Einbau in DNA zur Verfügung).
Die DNA-Methyltransferase-Inhibitoren 5-Azacytidin, Decitabin und Zebularin
zeigten unterschiedliche Auswirkungen auf
die Genexpression von Leukämiezellen bei
AML (22). Solche Unterschiede in der
Pharmakologie der Substanzen könnten
dazu beigetragen haben, dass die Ergebnisse klinischer Studien teilweise divergieren.
Borthakur et al. berichteten über 14 Patienten mit MDS, die entweder nicht auf
5-Aza angesprochen hatten oder die Substanz nicht vertragen hatten und anschließend mit Decitabin behandelt wurden
(23). Durch die Therapieumstellung erreichten 3 Patienten eine komplette Remissionen und ein Patient eine hämatologische Besserung (Gesamtansprechrate
28%).
Möller et al. berichteten über einen älteren Patienten mit Hochrisiko-MDS, dessen
Therapie wegen Krankheitsprogression
mehrfach ungestellt wurde und der jeweils
auf eine Behandlung mit Tipifarnib, 5-Azacytidin und Decitabin ansprach (24).
Anscheinend darf man nicht von einer
Kreuzresistenz zwischen 5-Azacytidin und
Decitabin ausgehen. Bei der vorläufigen
Beurteilung der DMT-Inhibitoren muss
außerdem berücksichtigt werden, dass ihre
Wirkung sich nicht auf Effekte einer verbesserten Genexpression beschränkt, sondern dass, teilweise unabhängig von der
DNA-Hypomethylierung, verschiedene
Apoptose-auslösende Mechanismen beteiligt sind (25).
Klinische Wertung
Auch wenn die meta-analytische Bewertung bislang vorliegender Überlebensdaten
zugunsten von 5-Aza ausfällt (21, 22), können sich wahrscheinlich viele Hämatologen der Meinung anschließen, dass zum
Non-Responder
Ein Hauptproblem bei der MDS-Behandlung stellen die Patienten dar, die nicht auf
DNA-Methyltransferase-Inhibitoren ansprechen oder nach initialem Therapie-
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N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS
erfolg wieder einen progredienten Krankheitsheitsverlauf zeigen. Solche Patienten
haben eine schlechte Prognose. Leider ist
nicht bekannt, welche Resistenzmechanismen in dieser Situation relevant sind. Derzeit wird überprüft, ob klassische Zytostatika helfen können. Mit oral verabreichtem
Clofarabin konnte bei Patienten mit „higher-risk“-MDS eine Gesamtansprechrate
von 43% erzielt werden (26). Unter den 32
Patienten dieser Studie waren 20 vorher erfolglos mit einer demethylierenden Substanz behandelt worden.
HDAC-Inhibitoren
Da Histon-Deacetylierung und DNA-Hypermethylierung bei der Stummschaltung
von Genen kooperieren, liegt es nahe, im
Rahmen der Re-Expressionsstrategie beide
Mechanismen zu inhibieren. Mehrere
HDAC-Inhibitoren befinden sich bei MDS
in klinischer Prüfung, zum Beispiel Vorinostat (Suberoylanilid-Hydroxamsaure,
SAHA), Entinostat (MS-275 oder
SNDX-275) und Panobinostat (LBH 589).
Weiterhin ist hier die Valproinsäure (VPA)
zu nennen, die schon seit Jahrzehnten als
Antiepileptikum verwendet wird und erst
vor wenigen Jahren auch als HDAC-Inhibitor identifiziert wurde.
Klinische Besserungen gemäß IWGKriterien erreichten unter VPA-Behandlung bis zu 50% der MDS-Patienten mit
normalem medullärem Blastenanteil, es
wurden aber auch Erfolge bei Patienten mit
erhöhtem Blastenanteil erzielt (27). Bei Betrachtung aller MDS-Typen beobachteten
wir eine durchschnittliche Ansprechrate
von etwa 30%, was sich mit den Erfahrungen anderer Arbeitsgruppen deckt (28).
Valproinsäure sollte bei der MDS-Behandlung ähnlich dosiert werden wie bei
der antiepileptischen Therapie, d. h. es sind
Serumspiegel zwischen 50 und 100 ng/ml
anzustreben. HDAC-Inhibitoren unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf verschiedene Klassen von Histon-Deacetylasen, wobei noch nicht klar ist, ob eher ein
spezifisches oder eher ein breites Wirkungsspektrum vorteilhaft ist. Neben ihrem epigenetischen Effekt haben HDACInhibitoren noch andere Auswirkungen
auf die Zellphysiologie, z. B. Induktion re-
aktiver Sauerstoffspezies, Hemmung von
Chaperonen, Beeinflussung der ApoptoseSignalwege und Veränderungen von NFκB.
Da sich mit HDAC-Inhibitoren als Monotherapie anscheinend nur mäßige Erfolge bei MDS-Patienten erzielen lassen, werden diese Substanzen auch in Kombination
mit DNA-Methyltransferase-Inhibitoren
geprüft (29).
Wir kombinierten VPA mit 5-Azacytidin bei 24 MDS-Patienten, die eine sehr
ungünstige Risikokonstellation aufwiesen,
zum Beispiel erfolglose Vorbehandlung mit
intensiver Chemotherapie in 7 Fällen. Die
Gesamtansprechrate betrug 33% (30).
Diese und andere klinische Studien zeigen, dass die Kombination eines HDAC-Inhibitors mit einem DMT-Inhibitor manchmal einen rascheren klinischen Erfolg erzielt als dies mit Monotherapie zu erwarten
wäre, dass dieser Ansatz aber eine langfristige Behandlung nicht überflüssig macht.
Wie bei der Monotherapie gilt, dass Patienten, die zumindest eine Krankheitsstabilisierung erreichen, so lange wie möglich
weiterbehandelt werden sollten (28).
In Deutschland wurden kürzlich zwei
klinische Studien zur HDAC-Behandlung
bei Patienten mit ‚lower-risk’-MDS gestartet. Eine Studie untersucht Panobinostat±Epo (Studienleitung in Dresden), eine
andere multizentrische Studie kombiniert
Valproinsäure mit Lenalidomid (Studienleitung in Düsseldorf). Zu betonen ist, dass
HDAC-Inhibitoren in Europa bislang weder als Monotherapie noch im Rahmen von
Kombinationstherapien für die Behandlung von MDS-Patienten zugelassen sind.
Lenalidomid
Eine weitere Therapieoption ist der Einsatz
immunomodulatorischer Substanzen, deren Wirkmechanismus bei MDS jedoch
noch weitgehend unbekannt ist. Mit Thalidomid ließen sich bei relativ hoch dosierter
Behandlung (400 mg/d) Erfolgsquoten von
bis zu 56% erzielen (31). In den meisten
Studien betrug die Anspechrate bei schwächerer Dosierung 20–35%. Die Therapie
war bei Niedrigrisiko-MDS erfolgreicher
als bei Hochrisiko-MDS und verbesserte
eher die Erythropoese als die Megakaryopoese. Bei einigen MDS-Patienten wurden
sogar zytogenetische Remissionen erreicht
(32). Wegen erheblicher Nebenwirkungen,
insbesondere in Form von Fatigue und peripherer Neuropathie, hat sich die Thalidomidbehandlung bei MDS nicht durchgesetzt.
Eine besser verträgliche Alternative ist
Lenalidomid, das sich in seiner Molekülstruktur nur minimal vom Thalidomid unterscheidet, aber dessen Neurotoxizität
weitgehend verloren hat. Lenalidomid ist
im Dezember 2006 in den USA zur Behandlung von MDS-Patienten zugelassen
worden, deren Knochenmarkszellen eine
Deletion des langen Arms von Chromosom
5 aufweisen.
In einer großen klinischen Studie, in der
Lenalidomid (10 mg/d p.o.) kontinuierlich
oder mit einwöchigen Pausen nach 3-wöchigen Therapiezyklen gegeben wurde,
konnte bei zwei Drittel der Patienten mit
del(5q) die Transfusionsbedürftigkeit behoben werden. Der Therapieerfolg war
nach etwa einem Monat erkennbar und
hielt durchschnittlich etwa 2 Jahre an (33).
Patienten, die eine komplette Remission erzielen, können auch nach Absetzen des Lenalidomids noch lange von der Behandlung profitieren (34). Zytogenetische Remissionen werden bei Niedrigrisko-MDS
in vergleichbarer Häufigkeit bei Patienten
mit isolierter 5q-Deletion, Patienten mit einer zusätzlichen zytogenetischen Anomalie
und Patienten mit komplex verändertem
Karyotyp (inklusive del(5q)) beobachtet.
Die Erfolgschancen sinken jedoch deutlich, sobald der Blastenanteil im Knochenmark erhöht ist. Aus diesem Grund ist eine
Behandlung mit Lenalidomid bei Patienten
mit Hochrisiko-MDS nur bedingt geeignet.
In einer Phase-II-Studie für Int-2 oder
Hochrisiko-MDS (35) hatten 78% der inkludierten Patienten einen Blastenanteil
von mehr als 10%, und 81% der Patienten
wiesen keine isolierte del(5q), sondern
mindestens eine weitere zytogenetische
Anomalie auf.
Unter den 38 Patienten mit mindestens
einer zusätzlichen Anomalie zeigte nur einer (3%) einen Therapieerfolg. Unter den
Patienten mit isolierter del(5q) erreichten 6
von 9 eine CR mit einer medianen Dauer
von 11,5 Monaten. Vier der 6 Patienten mit
CR erreichten auch eine zytogenetische
Vollremission. Interessanterweise wurden
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N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS
Therapieerfolge nur bei Patienten mit einem initialen Thrombozytenzahl von
mehr als 100 000/μl erzielt.
Wegen ausgeprägter Neutropenie und
Thrombozytopenie waren in dieser Studie
häufig Therapieunterbrechungen und/
oder Dosisreduktionen nötig. Aus diesen
Daten kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass eine Initialbehandlung mit Lenalidomid in erster Linie bei solchen Hochrisikopatienten in Frage kommt, die eine
isolierte del(5q) und eine Thrombozytenzahl von mehr als 100 000/μl aufweisen. Es
ist nicht bekannt, ob diese Kriterien auch
für Patienten herangezogen werden können, für die wegen erfolgloser epigenetischer Behandlung mit Azacytidin oder Decitabin ein Therapieversuch mit Lenalidomid in Erwägung gezogen wird.
Obwohl Lenalidomid vor allem wegen
seiner Erfolge bei Niedrigrisiko-MDS einen wichtigen Fortschritt darstellt, ist es
von der zuständigen europäischen Behörde
(EMEA) für die MDS-Behandlung noch
nicht zugelassen worden. Der Grund hierfür ist, dass im Rahmen einer klinischen
Studie mit Lenalidomid einige Patienten in
der verlängerten Nachbeobachtungsphase
eine leukämische Transformation entwickelten. Die Beunruhigung, die daraufhin entstand, erscheint jedoch unnötig angesichts der Tatsache, dass bei Patienten mit
del(5q) auch der spontane Übergang in eine AML nicht außergewöhnlich ist.
Eine Analyse des Düsseldorfer MDS-Registers in Zusammenarbeit mit mehreren
Registern in anderen Ländern zeigte, dass
die Häufigkeit des Übergangs in eine AML
bei Patienten mit del(5q) ohne Lenalidomidbehandlung etwa 15% beträgt (36). Bei
Patienten, die unter Lenalidomid keine zytogenetische Remission oder anhaltende
erythropoetische Besserung erzielen, ist die
Rate des Übergangs in eine AML allerdings
deutlich höher (37).
Anscheinend decouvriert sich mit Versagen der Lenalidomidbehandlung eine Knochenmarkerkrankung, die zwar durch eine
5q-Deletion charakterisiert ist, aber trotzdem einen ungünstigen biologischen Charakter hat. Dieser beruht wahrscheinlich auf
zusätzlichen, noch unbekannten molekulargenetischen Veränderungen. Eine aktuell
rekrutierende multizentrische Studie (LeMon-5) mit langfristiger, sorgfältiger Nach-
beobachtung der Patienten wird hoffentlich
die Spekulationen hinsichtlich einer möglichen Lenalidomid-bedingten Erhöhung
des AML-Risikos beenden.
Kombinationsbehandlungen
Auf die Kombination eines DNA-Methyltransferase-Inhibitors mit einem HDACInhibitor, die aus pathophysiologischen
Überlegungen naheliegt, wurde im Abschnitt über die HDAC-Inhibitoren bereits
hingewiesen. Da mit dieser Kombinationsbehandlung zwar graduelle Verbesserungen zu beobachten sind, sich bislang jedoch
kein klinischer Durchbruch abzeichnet,
muss weiter nach geeigneten Kombinationspartnern gesucht werden. Auch in diesem Zusammenhang könnte das Lenalidomid eine nützliche Rolle spielen.
In einer Phase-I-Studie wurde Lenalidomid bei 18 Patienten mit überwiegend ‚hig-
her-risk’ MDS zusammen mit Azacitidin
eingesetzt (38). Die Gesamtansprechrate
betrug 67% (44% CR, 6% CR im Knochenmark, 17% hämatologische Besserungen);
es trat keine dosislimitierende Toxizität auf.
Die Dosisempfehlung der Autoren für weitergehende Studien lautete: Azacitidin 75
mg/m2 Tag 1–5 und Lenalidomid 10 mg
Tag 1–21.
Die gleiche Arbeitsgruppe berichtete
kürzlich darüber, dass Lenalidomid als
Kombinationspartner tatsächlich eine Wirkung entfaltet, die über den Effekt von Azacitidin hinausgeht (39). Die Autoren beschreiben, dass von den 18 Patienten der
oben genannten Studie 8 Patienten unter
der Kombinationsbehandlung eine CR erreichten und danach nur noch mit Azacitidin-Monotherapie weiterbehandelt wurden. Drei dieser Patienten erlitten nach 12,
19 bzw. 24 Monaten einen Rückfall mit
Blastenvermehrung und erhielten deshalb
zusätzlich zum Azacitidin wieder Lenalidomid. Alle drei Patienten erreichten daraufhin wieder eine komplette Remission.
Fazit für die Praxis
Obwohl die allogene Stammzelltransplantation weiterhin die einzige Möglichkeit darstellt, ein myelodysplastisches Syndrom zu
heilen. hat sich die Situation von Patienten
mit Hochrisiko-MDS in den vergangenen
Jahren durch den Einsatz neuer Therapieansätze verbessert. Mit dem DNA-Methyltransferase-Inhibitor Azacytidin lässt sich bei
zirka 50% der Patienten mindestens eine hämatologische Besserung erzielen. Patienten,
die mit 5-Aza behandelt werden, entwickeln
signifikant seltener eine akute myeloische
Leukämie und leben durchschnittlich 9,5
Monate länger als Patienten, die anders, d. h.
mit intensiver Chemotherapie, niedrigdosiertem AraC oder ‘best supportive care’ behandelt werden. Bei der Diagnostik ist zu beachten, dass eine zytogenetische Untersuchung
nicht nur die Beurteilung der Prognose, sondern auch die Auswahl einer geeigneten Therapie unterstützt. So sprechen beispielsweise Patienten mit Veränderungen des Chromosoms 7 kaum auf eine konventionelle Zytostatikabehandlung an, können aber von
einer epigenetischen Therapie mit einem
DNA-Methyltransfersase-Inhibitor profitieren. Bei Patienen mit del(5q) kann eine Behandlung mit Lenalidomid erwogen werden.
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35. Ades L et al. Efficacy and safety of lenalidomide in
intermediate-2 or high risk myelodysplastic syndromes (MDS) with 5q deletion: results of a phase
II study. Blood 2009; 113: 3947–3952.
36. Germing U et al. Survival, prognostic factors, and
rates of leukemic transformation in a multicenter
study of 303 untreated patients with MDS and
del(5q) [abstract]. Blood 2009; 114: 390a.
37. Göhring G et al. Patients with del(5q) MDS who fail
to achieve sustained erythroid or cytogenetic remission after treatment with lenalidomide have an
increased risk for clonal evolution and AML progression. Ann Hematol 2010; 89: 365–374.
38. Sekeres MA et al. Phase I combination trial of lenalidomide and azacitidine in patients with higherrisk myelodysplastic syndromes. J Clin Oncol 2010;
28: 2253–2258.
39. Sekeres MA et al. Demonstration of additional
benefit in adding lenalidomide to azacitidine in patients with higher-risk myelodysplastic syndromes.
Am J Hematol 2011; 86: 102–103.
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71
Kongressnachlese
AML XIII
72
Akute myeloische Leukämie
Fortschritte durch intensivierte
Chemotherapie und
bessere Supportivtherapie
Die Prognose von Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie (AML) hat sich in
den vergangenen drei Dekaden stetig verbessert. Heute erreichen insgesamt 60–70%
der Patienten komplette Remissionen mit langdauerndem krankheitsfreien Überleben.
Bei 25 bis 40% ist eine Heilung möglich. Dieser Fortschritt beschränkt sich jedoch
weitgehend auf Patienten unter 60 Jahren. Möglich wurde er vor allem durch Intensivierung der Chemotherapie und Verbesserung der supportiven Therapie, berichtete
Prof. Jan Braess, München, auf dem Symposium Acute Leukemias XIII Ende Februar in
München.
Die Standard-Induktionstherapie besteht heute noch aus Daunorubicin für drei Tage und
AraC für sieben Tage („3+7“). Die deutsche
AML-CG hat ein modifiziertes Regime entwickelt, das aus Thioguanin, AraC und Daunorubicin (TAD-9) besteht. Auch dieses kommt
seit 1979 im Rahmen der Induktionstherapie
zum Einsatz.
Um die Langzeitprognose weiter zu verbessern, wurde überwiegend für jüngere Patienten
das Konzept der doppelten Induktionstherapie
(„double induction“) eingeführt: Hier wird ein
zweiter Zyklus Chemotherapie am Tag 21 verabreicht unabhängig davon, welche Zytoreduktion der erste Zyklus bewirkt hat. Die Remissionsdauer und das Gesamtüberleben
konnte damit im Vergleich zur Standard-Induktion verbessert werden.
Keine signifikanten Unterschiede in Remissionsraten und Überleben zeigten sich
zwischen einer doppelten Induktion mit TAD-9
und hochdosiertem AraC plus Mitoxantron
(HAM).
Tagen 8 bis 11) erwies sich mit kompletten Remissionen von mehr als 50% als hocheffektiv
bei Patienten mit refraktärer oder Rezidiv-AML.
Die anfangs hohe Frühmortalität durch Infektionen konnte durch den Einsatz von G-CSF gesenkt werden.
Bei De-novo-Patienten kam eine Therapie
mit S-HAM (plus G-CSF) in reduzierter Dosis
(Level 66%) in einer Phase-II-Studie zum Einsatz. Um die Gesamtdosis der üblichen doppelten HAM/HAM-Induktion zu erreichen, war eine dreistufige Eskalation eingeplant. Mit dieser
Therapie erreichten 65% der Patienten eine
komplette Remission bei einer Ansprechrate
von 81%. Die frühe Mortalität (65 Tage) betrug
nur 11%. Dies ist wahrscheinlich auf die Verkürzung der kritischen Neutropenie um 14 Tage
zurückzuführen.
Die Blasten-Clearance erschien bei diesem
S-HAM-Regime höher, als man es von der doppelten Induktion gewohnt war. Beide Regimes
werden nun in einer randomisierten Studie miteinander verglichen.
Hohe Response auf
dosisdichte Regimes
Liposomales Daunorubicin
bei der pädiatrischen AML
Da die Dosis-Eskalation offenbar an einem
Limit angekommen war, versuchte man, einen
weiteren Fortschritt durch Verkürzung des Zeitintervalls zwischen beiden Zyklen (Dosisverdichtung) zu erreichen. Das S-HAM-Protokoll (Hochdosis-AraC an Tag 1 und 2, Mitoxantron an Tag 3 und 4; wiederholt an den
Bei Kindern ist die AML eine heilbare Erkrankung mit Langzeitüberlebensraten um die 60%
geworden. Dies ist der stufenweisen Intensivierung der Chemotherapie zu verdanken, wie Dr.
Ursula Creutzig, Münster, ausführte. Das seit
dem Jahr 1978 laufende AML-BFM-Studienprogramm spiegelt die stetige Verbesserung der
5-Jahres-Überlebensrate von 42% (1978) auf
73% (2004) wider (2).
In der Studie AML-BFM 2004 wurde ein intensiviertes Regime mit liposomalem Daunorubicin (L-DNR) in höherer Äquivalenzdosis mit
dem Standard Idarubicin verglichen. Beide
Gruppen erhielten zusätzlich Cytarabin und
Etoposid. Für Hochrisikopatienten war als weiterer Intensivierungsschritt randomisiert die
Zugabe des neuen Nukleosidanalogons 2-chloro-2-deoxyadenosin (2-CDA) während der Cytarabin/Idarubicin-Konsolidierung vorgesehen.
Das hervorragende 5-Jahres-Überleben von
73% lässt sich damit erklären, dass das liposomale Daunorubicin bei geringerer Kardiotoxizität die Applikation höherer kumulativer Dosen
erlaubte.
In weiteren AML-BFM-Studien wird die Induktion grundsätzlich mit L-DNR durchgeführt
und bei Hochrisikopatienten eine Konsolidierung mit 2-CDA angesetzt, wie Creutzig unterstrich. Außerdem wird eine bessere Stratifizierung von Risikogruppen nach Zytogenetik,
Genexpressionsprofil und Therapieresponse
angestrebt sowie eine stärkere Individualisierung der Therapie durch neue zielgerichtete
Substanzen.
Herausforderung
höheres Lebensalter
Etwa zwei Drittel der AML-Patienten sind allerdings älter als 60 Jahre, wenn die Diagnose gestellt wird. Mit einem Langzeitüberleben von 5
bis 15% ist auch die Prognose von De-novo-Patienten in diesem Alter schlecht. Die erst Frage,
die es zu beantworten gilt, ist, ob es im Interesse des Patienten liegen kann, Zeit und Lebenskraft für eine intensive Therapie zu investieren
und ein nicht unerhebliches Risiko für einen
frühzeitigen Tod einzugehen, oder ob eine weniger intensive Strategie mit weniger Morbidität, Krankenhausaufenthalten und Mortalität,
aber geringeren Erfolgschancen für ihn die bessere Option ist, sagte Prof. Alan K. Burnett,
Cardiff/Großbritannien.
Epidemiologische Studien zeigen, dass in
der klinischen Realität nur 30 bis 40% der älteren AML-Patienten eine Chemotherapie erhalten. Unklar sind die Kriterien, nach denen beurteilt wird, ob ein älterer Patient dafür grundsätzlich geeignet ist und ob man ihm sogar eine intensivierte Chemotherapie zumuten kann.
Die Argumentation basiert heute weitgehend
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Kongressnachlese
AML XIII
73
auf der Zytogenetik und auf dem „Bauchgefühl“ des Arztes, so Cardiff.
Biologisches Risiko
entscheidet
Der Einfluss von Therapie-Variablen und Risikofaktoren wurde in einer deutschlandweiten
Studie (AMLCG99) untersucht, an der 56 Zentren beteiligt waren, berichtete Prof. Thomas
Büchner, Münster. Patienten aller Altersgruppen mit De-novo- oder sekundärer AML
wurden randomisiert für zwei verschiedene intensive Induktionsregimes: Standard-Dosis
TAD und Hochdosis-HAM versus zwei Zyklen
HAM. Gleichzeitig wurden die Patienten für
G-CSF versus kein G-CSF randomisiert. Auch
die Postremissionstherapie durch prolongierte
Erhaltungs-Chemotherapie oder autologe
Stammzelltransplantation wurde vorab randomisiert.
Es zeigte sich, dass das Outcome von jüngeren und älteren Patienten vor allem von den individuellen biologischen Risikofaktoren wie Karyotyp, de-novo-AML oder Rezidiv, Mutationen,
Leukozytenzahl und Remissionstiefe, abhing
und nicht von verschiedenen Behandlungsstrategien. Allerdings erwies sich das höhere Lebensalter per se als starker und unabhängiger
negativer Prädiktor (1). Die frühzeitige Erfassung von Risikofaktoren erlaubte es auch bei älteren Patienten, die Remissionschancen und das
Mortalitätsrisiko vorherzusagen (7).
Stellenwert
molekularer Marker
Auch bei zytogenetisch normaler AML gibt es
einige molekulare Marker, die es erlauben, Patienten in Gruppen mit deutlich unterschiedlicher Prognose einzuteilen (씰Tab. 1). Ob diese
Marker, die bei jüngeren Patienten erforscht
wurden, auch bei Patienten über 60 Jahren relevant für das Outcome sind, haben Prof. Clara
Bloomfield und Mitarbeiter, Columbus/USA,
bei älteren CALGB-Studienteilnehmern untersucht. Im Fokus standen Mutationen von
NPM1, FLT3 und CEBPA sowie die Expression
von BAALC und ERG.
NPM1-Mutationen und bi-allelische CEBPA-Mutationen – nicht jedoch mono-allelische
Mutationen – erwiesen sich auch bei älteren
Patienten als unabhängige Prädiktoren für ein
günstiges Outcome (3, 5). Das gleiche galt für
eine geringe BAALC- und ERG-Expression.
FLT3-Mutationen definierten dagegen auch
bei älteren Patienten eine molekulare Hochrisikogruppe.
Azacitidine für ältere
Patienten
Aus einem schwedischen Register (6) geht
zwar hervor, dass ältere Patienten von einer intensiven Chemotherapie mit einem besseren
Outcome und geringerer Frühmortalität profitierten im Vergleich zu Patienten, die eine supportive Therapie bekamen (inklusive HU oder
niedrig dosiertes Cytarabin). Da in diesem Register die Zytogenetik nicht erfasst wurde, gibt
es keinen Hinweis darauf, welche Behandlung
für älteren AML-Patienten mit ungünstiger Zytogenetik und deshalb geringer ResponseWahrscheinlichkeit in Betracht kommt.
Eine Option bietet sich hier mit dem hypomethylierenden Azacitidine an, so Dr. Claude
Gardin, Paris/Frankreich. Die Substanz hat bei
MDS-Hochrisikopatienten Überlebensvorteile
im Vergleich zur konventionellen Therapie gezeigt und ist in der EU zugelassen für Hochrisi-
ko-MDS und AML mit <30% Blasten im Knochenmark.
Im französischen Azacitidine-Programm
ATU (8) wurden retrospektiv 124 AML-Patienten über 65 Jahre, die upfront Azacitidine bekommen hatten, mit 403 älteren Patienten verglichen, die in der ALFA-9803-Studie eine intensive Chemotherapie erhalten hatten (4). Es
zeigte sich, dass die üblichen für die Chemotherapie definierten Risikofaktoren wie Performance-Status, Leukozytenzahl und Zytogenetik auch nach einer Azacitidine-Therapie relevant sind.
Schließt man Patienten mit einer Leukozytenzahl >15G/L, die nicht von Azacitidine profitierten, aus der Analyse aus, sind beide Strategien vergleichbar effektiv, auch bei normaler
Zytogenetik. Dies sollte in einer direkten Vergleichsstudie bestätigt werden, so Gardin.
Neue molekulare Targets
Schon vor zehn Jahren wurden FLT3-Mutationen, die mit einer ungünstigen Prognose verbunden sind, als potenzielle Zielstruktur neuer
Medikamente identifiziert. FLT3-Inhibitoren
wie Lestauranib, Tendutinib und Midostaurin
Tab. 1 Prognostische Bedeutung von Mutationen und aberranter Genexpression bei AML mit normalem Karyotyp (nach Ganser, 2010)
Mutiertes
Gen
%
mutiert
Prognostische
Bedeutung
Aberrante
Genexpression
%
mutiert
Prognostische
Bedeutung
NPM1
45–64
günstig
ID1 hoch
66
ungünstig
DNMT3A
34
ungünstig
BAALC hoch
50
ungünstig
FLT3/ITD
28–34
ungünstig
ERG hoch
25–50
ungünstig
9–40
ungünstig
MN1 hoch
50
ungünstig
TET2
12–22
kein Effekt
MSI-2 hoch
50
ungünstig
CEBPA
10–18
günstig
WT1 hoch
50
ungünstig
FLT3-TKD
11–14
kein Effekt
MLL5 hoch
25
günstig
8–16
kontrovers
PRAME hoch
25
günstig
RUNX1
10–13
ungünstig
EVI 1 hoch
N-RAS
9–14
kontrovers
SETB1 hoch
IDH2
6–15
kontrovers
WT1
10–15
kontrovers
5–11
kontrovers
ASXL1
IDH1
MLL-PTD
WT1-SNP
25
günstig
IDH1-SNP
12
ungünstig
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7,5–22
18
ungünstig
ungünstig
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Kongressnachlese
AML XIII
74
oder Sorafenib konnten zwar die Zahl peripherer Blasten bei Patienten mit FLT3-Mutationen
deutlich verringern, zu kompletten Remissionen kam es aber selten. Und die biologische Aktivität hielt nur kurz an. Als Einzelsubstanzen
waren alle FLT3-Inhibitoren unzureichend wirksam, unterstrich Dr. Richard M. Stone, Boston/
USA.
Man versuchte deshalb, solche Substanzen
mit der Standard-Induktionstherapie zu kombinieren – bisher mit wechselndem Erfolg. Doch
es ist durchaus möglich, dass sich aus der Vielzahl von noch laufenden Studien mit noch potenteren FLT3-Inhibitoren oder mit kombinierter Hemmung von FLT3 und anderen Signalwegen, beispielsweise mTOR, eine erfolgreiche
Strategie entwickeln lässt.
Dr. med. Angelika Bischoff
Literatur
1. Büchner T et al. Age-related risk profile and chemotherapy dose response in acute myeloid leukemia: A
study by the German acute myeloid leukemia cooperative group. J Clin Oncol 2009; 27: 61–69.
2. Creutzig U et al. Treatment strategies and long-term
results in paediatric patients treated in four consecutive AML-BFM-trials: Leukemia 2005; 19:
2030–2042.
3. Dufour A et al. Acute myeloid leukemia with biallelic CEBPA gene mutations and normal karyotype
represents a distinct genetic entity associated with a
favorable clinical outcome. J Clin Oncol 2010;
28(4): 570–577.
4. Gardin C et al. Postremission treatment of elderly
patients with acute myeloid leukemia in first complete remission after intensive induction chemotherapy: Results of the multicenter randomized Acute
Leukemia French Association (ALFA) 9803 trial.
Blood 2007; 109: 5129–5135.
AML-Erhaltungstherapie
IL-2-Therapie braucht Histamindihydrochlorid, um effektiv zu sein
Eine kleine Anzahl von Krebszellen entgeht fast immer der Chemotherapie. Daher lautet das Ziel auch bei der Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) die Eradikation von malignen Zellen. Möglichst möchte man also mit der Erhaltungstherapie
eine komplette Remission erreichen. Doch das Rezidivrisiko bleibt hoch. Die folgende
Stammzelltransplantation kommt wegen häufiger Komorbiditäten der meist älteren
Patienten nicht infrage, wäre aber effektiv. „Die Erfolge der klassischen Erhaltungstherapie sind bislang in den Möglichkeiten zu limitiert“, meinte Prof. Thomas Büchner,
Münster.
Immunstimulation ist ein neuer vielversprechender Ansatz. Interleukin-2 (IL-2), beispielsweise aktiviert die antileukämischen Funktionen von NK- und T-Zellen. Prof. Kristoffer
Hellstrand, Göteborg/Schweden, sieht in dem
synthetischen Derivat von Histamin eine interessante Option zur Rezidivprophylaxe. Allein
ist IL-2 nicht effektiv genug, denn zytotoxische
Lymphozyten werden „immun“ gegenüber
IL-2. Es herrscht also eine myeloische zellinduzierte Inaktivierung vor, so Hellstrand. Laut
Prof. Jacob M. Rowe, Haifa/Israel, haben insgesamt sechs randomisierte Studien (n = 1507)
gezeigt, dass IL-2 in der Monotherapie nicht
genügend wirksam ist.
Die Resistenzbildung erfolgt offenbart
durch eine Freisetzung von reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS) durch die myeloischen Zellen (Monozyten, Granulozyten,
Makrophagen). Um eine IL-2-Inaktivierung zu
verhindern, „wurde eine unerwartete Verbindung identifiziert“, so Hellstrand. Denn Histamindihydrochlorid (Ceplene®) schützt NKZellen nicht nur vor deren Inaktivierung, sondern verbessert auch noch deren Effektivität,
um AML-Blasten zu töten. „Histamindihydro-
5. Green CL et al. Prognostic significance of CEBPA
mutations in a large cohort of younger adult patients with acute myeloid leukemia: impact of double CEBPA mutations and the interaction with
FLT3 and NPM1 mutations. J Clin Oncol 2010;
28(16): 2739–2747.
6. Juliusson G et al. Age and acute myeloid leukemia:
Real world data on decision to treat and outcomes
from the Swedish acute leukemia registry. Blood
2009; 113: 4179–4187.
7. Krug U et al. Complete remission and early death
after intensive chemotherapy in patients aged 60 years or older with acute myeloid leukemia: a web-based application for prediction of outcomes. Lancet
2010; 376: 2000–2008.
8. Thépot S et al. Azacitidine (AZA) as first line therapy in AML: Results of the French ATU program.
Blood 2009; 114: 843 (ASH Annual Meeting).
Quelle: Symposium Acute Leukemias XIII vom 27. Februar bis 2. März 2011, München.
chlorid und IL-2 zerstören also Leukämie-Zellen
und beugen dem Rückfall vor“, so der Onkologe. „Der Zusatz von Histamindihydrochlorid ermöglicht erst die Wirksamkeit von IL-2.”
Ergebnisse der Phase-III-Studie belegen für
261 Patienten, dass die Erhaltungstherapie mit
IL-2 und Histamindihydrochlorid die Rezidivrate
von AML-Patienten um rund 30% senken kann.
Die Studie verglich Histamindihydrochlorid plus
IL-2 mit keiner Behandlung in erster Remission
(CR1) und bei weiteren 59 Patienten in erneuter
Remission nach Rezidiv. Bei den CR1-Patienten
stieg die mediane Dauer des leukämiefreien
Überlebens von 291 Tagen auf 450 Tage nach
Behandlung mit der Zweierkombination gegenüber keiner Therapie. Die Anzahl der CR1-Patienten, die drei Jahre lang leukämiefrei blieben, betrug 40% nach Behandlung mit beiden Substanzen gegenüber 26% bei Patienten, die diese Behandlung nicht erhielten.
Die Therapie kann ambulant durchgeführt
werden. Histamindihydrochlorid und IL-2 wurden nach Rowe in höheren Dosen auch schon
zur Behandlung des malignen Melanoms und
beim Nierenzellkarzinom eingesetzt.
Dr. med. Nana Mosler, Leipzig
Quelle: Satelliten-Symposium „Postremission treatment of Acute Myeloid Leukemia“im Rahmen des
Symposiums „Acute Leukemias XIII“ am 27. Februar
2011, München. Veranstalter: MEDA Pharma GmbH &
Co. KG, Bad Homburg
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Forum HämatoOnkologie
75
Aktuelle diagnostische und therapeutische Optionen
Leptomeningeale Metastasierung
bei hämatologischen Neoplasien
Diagnose und Management von leptomeningealen Metastasen (Meningeosis neoplastica, MN) bei Leukämien und Lymphomen stellen Hämatologen immer wieder vor
klinische Herausforderungen. Mit liposomalem Cytarabin (DepoCyte®), das nur ein
mal in zwei Wochen intrathekal appliziert werden muss, steht eine effektive und patientenfreundliche Option zur Prophylaxe und Therapie einer Meningeosis neoplastica
zur Verfügung, bestätigte Prof. Dieter Hoelzer, Frankfurt/Main, auf dem Symposium
„Acute Leukemias XIII“ Ende Februar in München.
Die Diagnosestellung einer Meningeosis neoplastica wird durch die diffuse Symptomatik erschwert, erläuterte Dr. Martin Bommer, Ulm.
Symptome wie plötzliche Kopf- oder Rückenschmerzen, Paresen, diffuse radikuläre Beschwerden sowie psychische Veränderungen
können auf eine MN hinweisen. Dann sollte unmittelbar eine gezielte Diagnostik mittels MRT
des Gehirns und des gesamten Liquorraums
und/oder Liquorzytologie eingeleitet werden.
Während bei soliden Tumoren die Sensitivität
des MRT bei 81% liegt, beträgt sie bei hämatologischen Neoplasien nur 50% und die Liquordiagnostik ist hier dem MRT überlegen (4).
Bommer rät im Zweifelsfall immer zur Kombination beider Verfahren: „Manchmal müssen
wir auch auf molekulare Nachweismethoden
ausweichen.“ Zusätzliche Informationen liefern Durchflusszytometrie (Flow Cytometry,
FCM) und PCR (Polymerase Chain Reaction).
Nach Bommers eigenen Untersuchungen erhöhen beide Methoden die Sensitivität und Spezifität der Diagnostik (1).
Zur Therapie der MN stehen Strahlentherapie, systemische Chemotherapie und intrathekale Chemotherapie mit Methotrexat, Cytarabin,
Thiothepa oder die liposomale Formulierung von
Cytarabin zur Verfügung. Letztere muss nur einmal in zwei Wochen gegeben werden, während
Methotrexat und konventionelles Cytarabin
mehrmals wöchentlich in den Lumbalkanal oder
über ein Ommaya-Reservoir intraventrikulär
appliziert werden. Das Ansprechen unter liposomalem Cytarabin ist besser als unter herkömm-
lichem Cytarabin. Darüber hinaus ist die Zeit bis
zu neurologischen Progression länger, wie eine
randomisierte Studie zeigte (2).
ZNS-Beteiligung verschlechtert ALL-Prognose
Hämatologische Erkrankungen mit besonders
hohem Risiko für das Auftreten einer Meningeosis neoplastica sind das Burkitt-Lymphom,
das lymphoblastische Lymphom und die akute
lymphatische Leukämie (ALL). Tritt ein ZNS-Rezidiv auf, so überlebt kaum ein Patient 2 Jahre.
Das ZNS-Rezidiv geht üblicherweise mit einem
systemischen Rezidiv einher.
In einer europäischen Studie erhielten 22
stark vorbehandelte Patienten mit ALL bzw.
Lymphomen und isoliertem ZNS-Rezidiv oder
zusätzlich systemischen Metastasen liposomales Cytarabin intrathekal in zweiwöchentlichen
Abständen (3). Der primäre Studienendpunkt
war das zytologische Ansprechen in der Zerebrospinalflüssigkeit nach einem oder zwei Zyklen. Bei 74% der Patienten wurde nach 2 Zyklen eine vollständige zytologische Remission
erreicht, wobei das Ansprechen bei ALL (84%)
höher war als das Ansprechen bei den BurkittLymphomen (40%). Die mediane Zeit bis zur erneuten Progression betrug bei den 14 Patienten mit kompletter Remission 7 Monate, das
mediane Gesamtüberleben 11 Monate.
Mit zunehmender Zyklenzahl traten Nebenwirkungen auf, in erster Linie Kopfschmerzen
sowie neurologische Komplikationen, die möglicherweise mit der intrathekalen Therapie assoziiert sind. „Häufig wissen wir jedoch nicht,
ob die Therapie die Problematik verursacht
oder die Erkrankung per se“, meinte Dr. Nicola
Gökbuget, Frankfurt/Main. Insgesamt hat liposomales Cytarabin eine ausgezeichnete antileukämische Aktivität gezeigt.
Wegen des hohen Risikos für ein ZNS-Rezidiv wird bei Patienten mit ALL von Anfang an
eine ZNS-Prophylaxe durchgeführt. Die Studien
der German Multicenter Study Group on Adult
Acute Leukemias (GMALL) über die vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass das ZNS-Rezidiv nahezu vollständig verhindert werden
kann. Die bisherige Therapie bestehend aus
systemischer Chemotherapie, Bestrahlung und
12-maliger intrathekaler Chemotherapie ist jedoch aufwändig und schränkt Lebensqualität
und Mobilität der Patienten stark ein.
Die neuen Studienkonzepte der GMALL versuchen in risikoadaptierten Strategien eine
ZNS-Prophylaxe mit geringerer Toxizität und
systemischer Rezidivrate zu entwickeln. Eine
gemeinsame europäische Studie von GMALL
und North Italian Leukemia Group (NILG) vergleicht bei älteren Patienten bei gleicher systemischer Therapie die bisher übliche 12-malige
intrathekale Triple-Therapie bestehend aus
MTX/Ara-C/ Dexamethason mit 6 Gaben von liposomalem Cytarabin ohne Bestrahlung. Die
Studie bei jüngeren Patienten ist darauf ausgelegt, zu prüfen, ob bei einer intrathekalen Triple-Therapie plus liposomalem Cytarabin eine
Strahlentherapie vermeidbar ist.
Dr. Petra Ortner, München
Literatur
1. Bommer M et al. Cancer Cytopathology 2011, 119
(1): 20–26.
2. Glantz MJ et al. J Clin Oncol 1999; 17: 3110−3116.
3. Gökbuget N et al. Haematologica 2011; 96(2):
238−244.
4. Strik HM et al. J Clin Oncol 2009; 27: 15s (suppl;
abstr 9566).
Quelle: Symposium „Neoplastic Meningitis 2011 –
tackling a permanent challenge“ am 27. Februar 2011
im Rahmen des Symposiums „Acute Leukemias XIII“
vom 27.2. bis 2.3.2011, München. Veranstalter: Mundipharma GmbH, Limburg.
Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der Mundipharma GmbH, Limburg.
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NCCN 2011
76
16. Jahresversammlung des National Comprehensive
Cancer Network
Neue Diagnose und Therapieleitlinien zum Non-HodgkinLymphom vorgestellt
Auf der 16. NCCN-Jahresversammlung wurden neue Leitlinien für einige onkologische
Indikationen vorgestellt, darunter die Non-Hodgkin-Lymphome (NHL). Zu den wichtigsten Veränderungen zählt hier die Verabschiedung der neuen Diagnose- und Therapieleitlinien für „Post-Transplant Lymphoproliferative Disorder (PTLD)“ sowie für
NK/T-Zell-Lymphome. Bei der Therapie der follikulären Lymphome wurde der Empfehlungsgrad für die Therapieregime der aktuellen Datenlage angepasst. Die neuen Leitlinien können unter der Webadresse www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/
nhl.pdf kostenlos heruntergeladen werden.
PTLD stellen eine neue, biologisch, histologisch
und therapeutisch eigenständige Entität von
überwiegend B-Zell-Neoplasien (ca. 80%) dar,
die in der Folge von Organtransplantationen
auftreten. Als ursächlich (mit)verantwortlich
gelten eine Immunsuppression und das Epstein-Barr Virus (EBV).
Die einzelnen Maßnahmen in den Leitlinien
sind unterteilt in „unbedingt notwendig“ oder
„nützlich unter bestimmten Umständen“. Als
essentiell für die Diagnose werden neben der
Histopathologie die Bestimmung des Immunphänotyps sowie eine EBV-Testung angese-
hen. Das weitere Procedere entspricht in großen
Teilen dem, wie man es beim NHL bereits kennt,
meinte Prof. Andrew Zelenetz, New York/USA,
bei der Präsentation der neuen Leitlinien.
Die Therapie sollte je nach PTLD-Subtyp erfolgen. Dies schließt bei EBV-positiven Patienten eine antivirale Intervention mit Gancyclovir
ein. Weitere Therapieoptionen sind die Gabe
des CD20-Antikörpers Rituximab, eine Chemoimmuntherapie sowie in genau definierten,
seltenen Fällen eine Stammzelltransplantation.
In den Therapieleitlinien für follikuläre Lymphome wurde der Empfehlungsgrad für zwei
Regime heraufgesetzt. Die Kombination Bendamustin-Rituximab erhielt eine Kategorie
1-Empfehlung (vormals 2A) als Erstlinientherapie des fortgeschrittenen follikulären Lymphoms und Mantelzelllymphoms. Damit werden die Studiendaten gewürdigt, die eine Überlegenheit gegenüber dem alten Standard-Regime CHOP-R beim krankheitsfreien Überleben
und der CR-Rate gezeigt haben.
Für die weiterführende Behandlung in der
remittierten Situation wurden ebenfalls zwei
Regime von dem Empfehlungsgrad 2B in die
Kategorie 1 aufgewertet – die Erhaltungstherapie mit Rituximab sowie eine Chemotherapie
mit konsekutiver Radioimmuntherapie.
Der Onkologe vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York wies darüber
hinaus auf zwei aktuelle PET-Studien hin, welche die Bedeutung dieses Verfahrens beim Assessment und der Response-Evaluation des follikulären Lymphoms unterstreichen. So lassen
die Studiendaten erhoffen, dass mit dem FDGPET nicht nur eine bessere Unterscheidung zwischen indolenten und aggressiven Lymphomen
ermöglicht wird, sondern auch eine bessere
Einschätzung des Risikos einer Transformation
in einen aggressiven Verlauf. Gleichwohl wird
das FDG-PET die Biopsie als Standardnachweis
nicht ablösen, so Zelenetz.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: 16. Jahresversammlung des NCCN (National
Comprehensive Cancer Network) vom 9. bis 13. März
2011, Hollywood/USA
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Internationale
Literatur
77
Strahlenexposition in Europa nach Tschernobyl 1986
Leukämierisiko auch in Ländern
mit geringer radioaktiver Belastung
erhöht
Das Risikomodell der International Commission on Radiological Protection (ICRP) zur Gesundheitsgefährdung, welches das Risiko externer Strahlung auf der Basis externer Expositionsstudien erfasst, unterschätzt das Gesundheitsrisiko einer chronischen internen
Strahlenexposition. Diese Folgerung ziehen britische Wissenschaftler aus einer Studie,
welche die radioaktive Strahlenexposition Ungeborener in Deutschland, Griechenland
und Großbritannien nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 untersuchte.
Großbritannien, Griechenland und Deutschland
gehörten neben Weißrussland zu den Ländern, die
nach dem Unglück von Tschernobyl erhöhte Leukämieraten bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr
meldeten. Für Leukämien in diesem Alter werden
vor allem Genmutationen in utero verantwortlich
gemacht. Deshalb ist das Unglück von Tschernobyl bei Kindern, die zwischen Juli 1986 und Dezember 1987, dem Zeitraum der Spitzenexposition, geboren wurden, die einzige mögliche Ursache für die Entwicklung der Leukämie.
Eine britische Arbeitsgruppe verglich diese
Kleinkindpopulation mit Kollektiven, die in den
genannten Ländern zwischen Januar 1980 und
Dezember 1985, sowie zwischen Januar 1988
und Dezember 1990 geboren wurden. Englische
Daten aus der Geburtshilfe zum Risiko von Röntgenstrahlen für Ungeborene dienten als Vergleichswert. Die kumulative absorbierte Dosis
der Index-Population variierte von 0,02 mSv
(mSievert) in Großbritannien, 0,06 mSv in
Deutschland und 0,2 mSv in Griechenland. In
Weißrussland lagen die Werte bei 2 mSv.
Die Exposition Ungeborener in Deutschland, Griechenland und Großbritannien gegen
radioaktive Strahlung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 führte zu einem
Anstieg der Leukämie-Inzidenz bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr um 43%. Die mittlere Dosis, der diese Population in utero ausgesetzt wurde, betrug 0,067 mSv.
Risiko um den Faktor 100
zu niedrig bewertet?
Nach dem Risikomodell der International Commission on Radiological Protection (ICRP) geht
von diesem Wert, der weniger als ein Viertel der
natürlichen Grundstrahlung beträgt, keine Gesundheitsfährdung aus. Trotzdem hat die Leukämie-Inzidenz zugenommen. Dieser Widerspruch bedeutet, dass das ICRP-Modell, welches das Risiko externer Strahlung auf der Basis externer Expositionsstudien – in Anlehnung
an die Erfahrungen mit den Überlebenden der
Kommentar
Restrisiko mit unkalkulierbaren Folgen
Über das „Restrisiko“ wird zurzeit wieder
trefflich gestritten – fragt sich nur, welches
Restrisiko der einzelne Diskutant dann jeweils
damit meint. Der Begriff „Rest“ wurde zuerst
als ein Ausdruck in der kaufmännischen Geschäftssprache verwendet und bezeichnet bei
der Aufstellung einer Rechnung den Rückstand einer Summe Geldes. Wenn „Risiko“
sich als unkalkulierbare, gegen das Unendliche wachsende Größe erweist – wie hoch
mag dann wohl der „Rest“ sein?
In diesem Heft hatten Sie, liebe Leserinnen, liebe Leser, bereits die Gelegenheit, Beiträge zu lesen über die Weiterentwicklungen
der Therapie von Leukämien. Medizinische
Forschung ist gekennzeichnet von hohem
Aufwand, schrittweisen Erfolgen, auch Rückschlägen. Sie wird begleitet von Diskussionen
und Verhandlungen um Therapiekosten und
Erstattungsfähigkeit in unserem Gesundheitswesen. Der Konflikt ist hinreichend bekannt.
Vor diesem Hintergrund bringt mich die hier
referierte Arbeit zum Leukämie-Risiko zum
Nachdenken: eine um 43% gesteigerte Inzidenz der Leukämie in dem „Tschernobyl-Zeitfenster“, so das Ergebnis – worin besteht
dann noch der Sinn für eine einengende Betrachtung von Therapiekosten eines bestimmten Medikamentes, wenn auf der anderen Seite Risiken für das Entstehen der Erkrankung
nicht entsprechend gewürdigt bzw. bekämpft
werden? Die Ergebnisse dieser Studie haben
bis heute noch keinen Einzug gefunden in das
Risikomodell des ICRP. Es mag ein Trost sein,
dass wir bei dem Thema „Tabakkonsum“ da
doch einige kleine Schritte weiter sind.
Vor ziemlich genau 25 Jahren – es war der
26. April 1986 – explodierte im Block 4 des
Kernkraftwerks Tschernobyl der Reaktor –
jetzt kam es in der Folge eines schweren Erdbebens vor der Küste Japans, gefolgt von einem Tsunami, zu Explosionen und dem Austritt radioaktiven Materials aus 3 Kraftwerksblöcken – das „Restrisiko“ dieser Katastrophe
ist bisher in keinster Weise absehbar.
Reaktor Tschernobyl #
4 im Jahr 2006 (Foto:
Carl Montgomery, Wikipedia)
Dr. Peter T. Henning, Stuttgart
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InternationaleLiteratur
78
Die Anlage Fukushima I am 16. März 2011, 5 Tage nach dem Erdbeben (Foto: DigitalGlobe-Imagery, Wikipedia)
Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki – erfasst, auf eine chronische interne
Strahlenexposition nicht anwendbar ist, und
deren Einfluss krass unterschätzt.
Berechnungen ergaben, dass diese Unterschätzung in einem Bereich von mehr als
100-fach zu gering liegt. Dieser Zusammenhang könnte Licht bringen in die immer wieder
bestätigte, aber bisher unerklärbare Assoziation zwischen dem Auftreten kindlicher Leukämien und dem Leben im Umfeld von Kernkraftwerken.
Das Leukämie-Exzessrisiko in den einzelnen
Ländern korrelierte jedoch nicht linear mit der
kumulativen Dosis, sondern stieg stark an im
mittleren Bereich und flachte in höheren Bereichen wieder ab. Dass bei den höchsten Dosen
nicht die stärksten Effekte auftreten, wurde oft
als Argument gegen ein Tschernobyl-bedingtes
Exzessrisiko für kindliche Leukämien angeführt. Zu erklären ist dies aber unter anderem
damit, dass höhere Strahlenexposition häufiger zum Absterben von Feten führt, die hinterher in der Leukämiestatistik nicht auftauchen.
Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg
Literatur
1. Busby CC. Very low dose fetal exposure to Chernobyl contamination resulted in increases in infant
leukemia in Europe and raises questions about current radiation risk models. Int J Environ Res Public
Health 2009; 6: 3105−3114.
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HämatoOnkologie
79
Follikuläres Lymphom
Erhaltungstherapie in der onkologischen Praxis
Die ambulante Versorgung in onkologischen Schwerpunktpraxen hat für den Patienten
auch den Vorteil, dass er in seinem sozialen Umfeld bleiben kann und über den Krankheitsverlauf den gleichen Ansprechpartner hat. In Berlin haben sich 22 Schwerpunktpraxen in einem Netzwerk organisiert, dem Verein der niedergelassenen internistischen Onkologen e.V., erläuterte Dr. Ulrike Schneider, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie
und Onkologie, Onkologische Schwerpunktpraxis Kurfürstendamm, Berlin, das Konzept.
Zur täglichen Arbeit der Schwerpunktpraxis gehört die Verzahnung von stationärer und ambulanter Leistung, so Schneider. So könne durch die
ambulante postinterventionelle Betreuung die
stationäre Liegedauer verkürzt werden, eine ambulante systemische Chemotherapie, beispielsweise bei Patienten mit follikulären Lymphomen
(FL), erfolgen und durch die Fachärzte für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie der Praxis
eine palliativmedizinische Versorgung zu Hause
für den Patienten gewährleistet werden.
Das follikuläre Lymphom (FL) macht zirka 22%
aller malignen und 56% aller indolenten Lymphome aus mit einer Häufigkeit von 3–4 pro 100 000
Einwohner in Deutschland – für den Bereich Berlin-Charlottenburg bedeute dies theoretisch 8
neue Patienten pro Jahr, so Dr. Ingo Schwaner,
Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und
Onkologie, Berlin. In den Ann-Arbor-Stadien I und
II (20% der Patienten) ist bei 30–40% der Patienten eine Heilung durch Strahlentherapie möglich.
Wird die Diagnose in den Stadien III und IV gestellt, so sind die Patienten meist älter als 50 Jahre. Die Lebenserwartung liegt im Mittel bei etwa
10 Jahren, jedoch ist die Spannweite mit 30 Jahren sehr groß, gab Schwaner zu bedenken.
Wie die GELA (Groupe d’Etude des Lymphomes de l’Adulte) um Dr. Gilles Salles, Frankreich, im vergangenen Jahr nachweisen konnte,
bestimmt die Qualität der Chemotherapie das
Überleben in der Zweitlinienbehandlung: In einer langen Nachbeobachtung (Median 14,9 Jahre) von belgischen und französischen FL-Patienten zeigte die GELA dass die Patienten, die besser auf eine Erstlinienbehandlung ansprachen
(Patienten mit kompletter Remission n = 194;
45%) ein signifikant längeres Gesamtüberleben
hatten (HR 0,55; 95% CI 0,42–0,72; p<0,001)
als Patienten, die nur teilweise auf die Therapie
ansprachen (n = 168; 39%) (1).
Rituximab in allen
Therapielinien des FL
Für Rituximab (MabThera®), gerichtet gegen
das ausschließlich auf den B-Lymphozyten befindliche CD-20-Molekül (씰Abb. 1), konnte in
allen Studien zur Induktionstherapie bei FL ein
signifikanter Überlebensvorteil zugunsten des
monoklonalen Antikörpers nachgewiesen werden (2–5). Eine Metaanalyse zur Erstlinen- und
Rezidivtherapie des FL mit Rituximab von
Schulz et al. (6) ermittelte eine signifikante Reduktion des Sterberisikos durch Rituximab um
37% (HR 0,63; 95% CI 0,51–0,79). In der Erhaltungstherapie im Rezidiv reduziert Rituximab
das Sterberisiko um 40% (HR 0,60; 95% CI
0,45–0,79) (7). Rituximab + Chemotherapie
stellt somit den Behandlungsstandard in der Induktions- und Rezidivtherapie, sowie im Rezidiv die Kombination mit anschließender Erhaltungstherapie mit Rituximab, so Schwaner.
Die Daten der PRIMA (Primary Rituximab and
Maintenance)-Studie (8), konnten weiter untermauern, dass auch in der Erstlinienbehandlung Ri-
Neue Horizonte in der
CML-Therapie
Unter der Fragestellung, wie sollten neudiagnostizierte Patienten mit chronischer
myeloischer Leukämie, CML, behandelt werden, diskutierten Experten im Rahmen eines
Symposiums in Mannheim.
Wie Prof. Hans Tesch, Onkologisches Zentrum am Bethanien-Krankenhaus, Frankfurt
am Main, erläuterte, steht mit Nilotinib
(Tasigna®) eine neue effiziente Erstlinientherapie zur Verfügung. In dieser Indikation ist
der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) der zweiten
Generation in Deutschland seit 23. Dezember
2010 zugelassen. Nilotinib ist voll erstattungsfähig durch die gesetzlichen Krankenkassen. Studien zur TKI-Therapie der CML sind
weiterhin notwendig in Bezug auf optimales
molekulares Ansprechen, sowie Absetzstudien, Kombinationstherapien, und möglicherweise Heilung, so der Experte. Auch laut Prof.
Andreas Hochhaus, Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Jena, liege der zukünftige Fokus der CML-Studien auf einer
dauerhaften vollständigen molekularen Remission (CMR) unter Absetzung des TKI.
Dr. Peter T. Henning, Stuttgart
Quelle: „Tasigna® Launch Symposium am 3. Februar 2011 in Mannheim, Veranstalter: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg.
tuximab + Chemotherapie mit anschließender Erhaltungstherapie mit Rituximab das progressionsfreie Überleben signifikant verlängert ist (78,6% im
Rituximab-Arm [95% CI 74,7–82%] vs. 60,3% im
Beobachtungsarm [95% CI 55,8–64,5%] nach 3
Jahren, p<0,0001). Die EMA hat am 27. Oktober
2010 entschieden, Rituximab in der Erstlinien-Erhaltungstherapie des FL zuzulassen.
Dr. Peter Henning, Stuttgart
Literatur
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Abb. 1 Der monoklonale Antikörper Rituximab
richtet sich gegen die ausschließlich auf den
B-Lymphozyten sitzenden CD-20-Moleküle (Foto:
Roche Pharma AG).
Bachy E et al. J Clin Oncol 2010; 28: 822–829.
Marcus R et al. J Clin Oncol 2008; 26: 4579–4586.
Hiddemann W et al. Blood 2005 ; 106 : 3725–3732.
Herold M et al. J Clin Oncol 2007; 25: 1986–1992.
Salles G et al. Blood 2008; 112: 4824–4831.
Schulz H et al. J Natl Cancer Inst 2007; 99: 706–714.
Vidal L et al. J Natl Cancer Inst 2009; 101: 1289–1290.
Salles G et al. Blood 2010; 116: 746 (ASH 2010, #1788).
Quelle: Praxisworkshop „Therapie des follikulären
Lymphoms: Die Erhaltungstherapie mit Rituximab und
ihre Durchführung in der onkologischen Praxis“ am
23. Februar 20011 in Berlin. Veranstalter: Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen.
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Kongressnachlese
ASCO-GI
80
Adenokarzinom des gastroösophgealen Übergangs
Typ I und II
FDG-PET identifiziert früh Patienten
mit ungünstiger Tumorbiologie
Die in San Francisco vorgestellten Ergebnisse der MUNICON II-Studie bestätigen bei
Patienten mit einem Adenokarzinom des gastroösophgealen Übergangs Typ I und II
(AEG Typ I und II) den prognostischen Stellenwert einer frühen PET-Response unter
einer neoadjuvanten Chemotherapie. Eine Salvage-Radiotherapie führt bei metabolischen Nonrespondern aber zu keiner entscheidenden Prognoseverbesserung.
Frühere Studien zeigen, dass das Ansprechen
auf eine neoadjuvante Chemotherapie mit einem FDG-PET frühzeitig beurteilt werden kann.
Mit einer frühen Response-Determinierung
kann diese Subgruppe schneller erkannt werden und einem anderen Therapieregime zur
Progonoseverbesserung zugeführt werden.
An der von einer deutschen Arbeitsgruppe
unter der Leitung von Prof. Florian Lordick,
Braunschweig, durchgeführten MUNICON IIStudie nahmen 56 Patienten (∅ 62 Jahre, 91%
Männer) mit einem lokal fortgeschrittenen AEG
Typ I und II nach Siewert (cT3/4 Nx M0) teil. Die
Tumorglukoseaufnahme wurde mittels FDGPET vor und 14 Tage nach Beginn einer neoadjuvanten Chemotherapie gemessen.
Nach zwei Wochen wurden 41% der Studienteilnehmer (23/56) als PET-Nonresponder
identifiziert. Eine weitgehende histopathologische Remission (<10% Residualtumor) nach
der Chemotherapie wurde von 36% (12/33) der
Responder sowie von 26% (6/23) der Nonresponder erreicht.
Die Nonresponder erhielten in der Folge eine
präoperative Chemoradiotherapie mit einer Radiatio (32 Gy) plus Cisplatin 6 mg/m2. Von den
PET-Respondern wurden nach der Chemotherapie insgesamt 82% (27/33) operiert (Ro-Resektion), von den Nonrespondern 70% (16/23).
Die Gruppe der PET-Nonresponder verzeichnete trotz der intensivierten Behandlung einen
schlechteren Outcome als die PET-Responder.
Nach einem Follow-Up von 38 Monaten wurde
für die Nonresponder ein Ereignis-freies Überleben von 15,4 Monaten und ein Gesamtüberleben von 18,3 Monaten errechnet. Die Gruppe
der Responder erreichte diese präspezifizierten
Endpunkte noch nicht.
Suche nach ResponseMarkern
Im Fokus zukünftiger Forschung stehen Prädiktoren der histopathologischen Response, um möglicherweise gezielter die chirurgische Morbidität
bei Patienten mit kompletter pathologischer Response nach multimodaler Therapie zu vermeiden, so Prof. Jennifer Obel, Evanston/USA, auf
einer Pressekonferenz. Dies könnten molekulare
Marker wie KRAS-Mutationen sein, die auf eine
mögliche Wirksamkeit einer Therapie mit EGFRTyrosinkinase-Inhibitoren hinweisen.
Die MUNICON II-Studie zeigt, so Obel, einen
zweiten Weg: Die Identifikation von Patienten,
die nicht von einer Chemoradiotherapie profitieren, möglicherweise aufgrund einer anderen Tumorbiologie mit einer derzeit deutlich
schlechteren Prognose.
Dr. Alexander Kretzschmar
Literatur
Golden-Gate-Bridge
von Nordwest mit
San Francisco im
Hintergrund (Foto:
Dirk Beyer/Wikipedia)
1. Lordick F et al. PET-guided treatment in locally advanced adenocarcinoma of the esophagogastric
junction (AEG): The MUNICON-II study. J Clin
Oncol 2011; 29: (suppl. 4; abstr. 3).
Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20.
bis 22. Januar 2011, San Francisco
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Kongressnachlese
ASCO-GI
81
Bisphosphonate
Positive Nutzen-Risiko-Relation
auch bei gastrointestinalen Tumoren
Auf dem ASCO GI-Symposium 2011 wurden neue Daten vorgestellt, die eine günstige
Nutzen-Risiko-Relation des Einsatzes von Bisphosphonaten bei gastrointestinalen Tumoren nahelegen. Insbesondere die Diskussion um direkte antikarzinogene Effekte
dieser Wirkstoffgruppe dürfte neue Nahrung erhalten, meinte Prof. Gad Rennert, Haifa/Israel.
Bisphosphonate haben in der Tumortherapie
einen festen Stellenwert in der Behandlung der
Arzneimittel-assoziierten Osteoporose sowie
zur Schmerztherapie bei Knochenmetastasen.
Neuere Daten haben zu einer intensiven Diskussion über ein erweitertes Wirkprofil mit direkten anti-karzinogenen Effekten bei Brustkrebs-Patientinnen geführt.
Rennerts Arbeitsgruppe konnte jetzt in der
Molecular Epidemiology of Colorectal Cancer
(MECC) zeigen, dass postmenopausale Frauen
nach der Einnahme von Bisphosphonaten über
mindestens ein Jahr ein um 50–60% verringertes
relative Risiko besitzen, ein kolorektales Karzinom (CRC) zu entwickeln. In der populationsbasierten Fall-Kontrollstudie wurden die Verläufe
von 933 Frauen und einer, nach Alter, Geschlecht,
klinischem Status und ethnischer Zugehörigkeit
gematchten Vergleichsgruppe gescreent.
In der Bisphosphonat-Gruppe traten insgesamt 53 Fälle eines CRC auf, in der Kontrollgruppe 138 (p<0,001). Für Frauen, welche die
Bisphosphonate mindestens ein Jahr eingenommen hatten, wurde eine Odds Ratio (OR)
von 0,50 (95% KI 0,35–0,71) errechnet. Diese
Assoziation blieb stabil, auch wenn den Verzehr von Gemüse, sportliche Aktivitäten, die Familienanamnese eines CRC, den BMI, die Einnahme von niedrig dosierten ASS, Statinen, Vitamin D und Hormonen in der Postmenopause
als Biasfaktoren berücksichtigt wurden (OR =
0,40; 95% KI 0,24–0,64).
Die gleichzeitige Einnahme von Statinen
beeinflusst das CRC-Risiko nicht weiter. Letzterer Befund ist nach Ansicht der Wissenschaftler
auch ein Beleg für eine mögliche direkte Beteiligung der Bisphosphonate.
Entwarnung auch bei
Ösophagealkarzinomen
Unter der Einnahme von oralen Bisphosphonaten können Entzündungen der Speiseröhre unterschiedlichen Schweregrads auftreten. Dies
rechtfertigt jedoch nicht die Befürchtung, dass
auch die Inzidenz von Ösophagealkarzinomen
erhöht ist, so eine in San Francisco vorgestellte
Metaanalyse (1). Das Screening der zwischen
1990 und September 2010 publizierten Literatur erbrachte fünf Studien – drei Fall-Kontrollstudien und zwei Kohortenstudien – mit den
dafür benötigten Angaben.
Die Auswertung aller fünf Studien zeigte für
das Auftreten von Ösophagealkarzinomen eine
OR = 0,86 (95% KI 0,62–1,09). Auch die Analyse der drei Fall-Kontrollstudien allein erbrachte mit einer HR = 1,26 (95% KI 0,94–1,57) kein
signifikant erhöhtes Risiko. Die beiden Kohortenstudien zeigten sogar eine deutliche Risikoreduktion mit einer HR = 0,35 (95% KI
0,00–0,71).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Neue Klassifikation
beeinflusst Inzidenzen
Von 1970 bis 2000 stieg die Inzidenz von
Adenokarzinomen des Ösophagus steil an.
Eine aktuelle Analyse der amerikanischen
Surveillance Epidemiology and End Results
Datenbank (SEERs) zeigt zwar, dass die Inzidenz von 3,6 Fällen in 1973 auf 26,5 Fälle in
2006 gestiegen ist (2). Gleichzeitig zeigt eine
Trendanalyse, dass sich der Anstieg von initial 8,2% pro Jahr vor 1996 auf 1,3% pro
Jahr in 1996 bis 2006 signifikant abgeschwächt hat (p = 0,03).
Auch Prof. Florian Lordick, Braunschweig, sieht eine Abschwächung dieses
lang anhaltenden Trends. Er wies in diesem
Zusammenhang auf einer Fortbildungsveranstaltung darauf hin, dass ab 2010 aus
klassifikatorischen Gründen ein scheinbarer
Anstieg von Malignomen, die als Karzinome
klassifiziert werden, bei einem gleichzeitigen Rückgang von Magenkarzinomen zu erwarten sein wird (1). Dies resultiert aus der
seit Anfang 2010 gültigen neuen UICC/
AJCC-Klassifikation. Danach werden alle
Adenokarzinome des gastroösophgealen
Übergangs, also neben dem Typ I nach Siewert (distales Ösophaguskarzinom), Typ II
(Kardia-Karzinom) und Typ III nach Siewert
(subkardiales Magenkarzinom) als Ösophaguskarzinom klassifiziert und kategorisiert.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Lordick F. Tumore oberer GI-Trakt. Onko-Update
2011 vom 28.-29. Januar 2011, Berlin.
2. Pohl H et al. Esophageal adenocarcinoma incidence: Are we reaching the Peak? Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2010; 19: 1468−1470.
Literatur
1. Ditah IC et al. Do bisphosphonates increase esophageal cancer risk? A meta-analysis. J Clin Oncol
2011; 29 (Suppl. 4): Abstr #31.
2. Rennert G et al. Association of use of bisphosphonates with risk of colorectal cancer. J Clin Oncol 29:
2011; (Suppl. 4): Abstr #371.
Quelle: ASCO Gastrointestinal Cancers Symposium
vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco/USA
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ASCO-GI
82
Gastrointestinale Stromatumore (GIST)
Sorafenib nach Imatinib- und
Sunitinib-Versagen erfolgreich
Für Patienten mit fortgeschrittenen gastrointestinalen Stromatumoren (GIST), die unter den Tyrosinkinase-Inhibitoren Imatinib und Sunitinib eine Progredienz der Erkrankung aufweisen, lohnt sich ein Wechsel auf Sorafenib. In einer Phase-II-Studie wurde
bei diesen Patienten eine Krankheitskontrollrate von 68% erzielt. Das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) empfiehlt daher Sorafenib zur Therapie des GIST
bei Imatinib- und Sunitinib-Resistenz.
Die therapeutischen Möglichkeiten bei fortgeschrittenem GIST waren bis vor wenigen Jahren sehr beschränkt. In Studien mit chemotherapeutischen Regimen lagen die Responseraten durchwegs unter 5%. Mit der Verfügbarkeit
des Tyrosinkinase-Inhibitors Imatinib hat sich
diese Situation grundlegend geändert. Das mediane Überleben konnte von 19 Monate vor 10
Jahren auf rund 5 Jahre gesteigert werden. Für
Patienten, die sowohl unter Imatinib als auch
Sunitinib einen Progress erleiden, gibt es keine
international akzeptierten Therapieregime.
Eine Arbeitsgruppe um Prof. Nicolas
Campbell, Chicago/USA, behandelte 38 Patienten (∅ 57 Jahre, 55% Männer) mit einem
nicht resezierbaren GIST, bei denen unter Imatinib (n = 6) oder Imatinib und Sunitinib (n = 32)
keine Kontrolle der Erkrankungsprogression erzielt werden konnte, mit 2 x 400 mg/d Sorafenib über einen Zyklus von 28 Tagen. Zur Kon-
trolle des Ansprechens wurde alle zwei Zyklen
eine CT-Aufnahme gemacht. Die Patienten erhielten median 4 Zyklen (1–37). Der mediane
Follow-Up betrug 31 Monate.
Bei den Imatinib-resistenten Patienten wurde in 1/6 Fällen eine partielle Response (PR) erreicht, in der Imatinib- und Sunitinib-resistenten Gruppe in 13% (4/32). Ein stabiler Krankheitszustand (Stable Disease, SD) wurde in dem
Kollektiv in 55% der Fälle festgestellt. Daraus
errechnet sich eine Krankheitskontroll-Rate
(PR+SD) von 68%.
Das mediane progressionsfreie Überleben
betrug 3,4 Monate (Imatinib-Resistenz) bzw.
5,2 Monate (Imatinib- und Sunitinib-Resistenz). Das mediane Gesamtüberleben betrug
bei diesen schwer behandelbaren Patienten
immerhin 13,6 bzw. 10,5 Monate, betonte
Campbell in einer Pressekonferenz.
Insgesamt 63% der Studienteilnehmer benötigten eine Dosisreduktion, wegen des Auftretens eines Hand-Fuß-Syndroms (45%) und
eines Bluthochdrucks (21%) als häufigste Grad
3-Toxizitäten.
Aufgrund dieser Daten hat das National
Comprehensive Cancer Network (NCCN) Sorafenib in ihre Empfehlungen zur Therapie des
GIST bei Imatinib- und Sunitinib-Resistenz aufgenommen.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Campbell NP et al. Final results of a University of
Chicago phase II consortium trial of sorafenib
(SOR) in patients (pts) with imatinib (IM)- and sunitinib (SU)-resistant (RES) gastrointestinal stromal tumors (GIST). J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl.
4): Abstr. #4.
Cable-Car (Foto:
Thomas Bachmann/
Wikipedia)
Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20.
bis 22. Januar 2011, San Francisco/USA.
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ASCO-GI
83
Therapie von Lebermetastasen neuroendokriner Tumore
Sunitinib nach transarterieller
Embolisation erfolgreich
Die Prognose von Patienten mit neuroendokrinen Tumoren hängt entscheidend von
der Ausdehnung und dem Wachstum der Lebermetastasen ab. Eine Phase-II-Studie
weist darauf hin, dass Sunitinib auch erfolgreich nach einer transarteriellen Embolisation (TAE) bei Patienten mit nicht resezierbaren Lebermetastasen neuroendokriner
Tumore eingesetzt werden kann.
Neuroendokrine Tumore sind charakterisiert
durch ein allgemein langsames Tumorwachstum. Zum Zeitpunkt der Diagnose liegt bereits
bei drei Viertel der Patienten eine hepatische
Metastasierung vor. Die Prognose hängt ent-
scheidend von der Ausdehnung und dem
Wachstum der Lebermetastasen ab. Eine erfolgreiche kurative Resektion ist jedoch nur in
10 bis 20% der Fälle möglich. In dieser Situation werden heute sequenzielle vaskuläre Thera-
Sunitinib jetzt auch gegen pNET
Der Tyrosinkinasehemmer Sunitinib (Sutent®)
wurde Ende 2010 von der EMA für die Behandlung von Erwachsenen mit nicht resezierbaren und/oder metastasierten gut differenzierten pankreatischen neuroendokrinen Tumoren (pNET) mit Krankheitsprogression zugelassen.
Basis für die Zulassungserweiterung waren die Ergebnisse einer doppelblinden, Placebo-kontrollierten randomisierten Phase-IIIStudie bei Patienten mit fortgeschrittenen,
gut differenzierten pNET mit Krankheitsprogression. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben. Die Mehrzahl der Patienten waren systemisch vorbehandelt, die
Therapie mit Somatostatinanaloga war während der Studie erlaubt.
Die Auswertung basiert auf 171 Studienteilnehmern, die 37,5 mg/d Sunitinib oder Placebo bis zur Progression erhielten. Der ursprüngliche Plan, 340 Patienten zu rekrutieren, wurde aufgrund der eindeutigen Ergebnisse auf Empfehlung des Sicherheitskomitees nicht durchgeführt. Das progressionsfreie
Überleben war unter Sunitinib mit 11,4 Mona-
ten doppelt so hoch wie unter Placebo (5,5
Monate) (HR = 0,418, 95% KI 0,263−0,662; p
= 0,0001). Das 6-Monats-progressionsfreie
Überleben betrug 71,3 vs. 43,2%. Auch das
Gesamtüberleben war unter Sunitinib länger
(Hazard-Ratio 0,409; p = 0,0204). Die objektive Remissionsrate lag bei 9,3% (vs. 0% unter
Placebo; p = 0,0066). In einer multivariaten
Analyse, war nur die Zeit von der Erstdiagnose (>3 vs. <3 J.) (HR = 0,603, 95% KI
0,382−0,952; p<0,03) ein unabhängiger
prognostischer Faktor.
Die Nebenwirkungsquote war gering. Zu
den Grad 3/4 Nebenwirkungen gehörten Neutropenie (Sunitinib: 12%; Placebo: 0%), Hypertension (Sunitinib: 10%; Placebo: 1%),
Hand-Fuß-Syndrom und Leukopenie (Sunitinib: je 6%; Placebo: 0%).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Fach-Pressekonferenz „Ein Meilenstein in
der Behandlung von fortgeschrittenen pankreatischen neuroendokrinen Tumoren (pNET). Sutent® erhält EU-Zulassung zur Anwendung bei pNET“ am 1.
Februar 2011, Berlin. Veranstalter: Pfizer Deutschland
GmbH, Berlin.
pieverfahren wie die TAE, die transarterielle
Chemoembolisation (TACE) und die selektive
interne Radiotherapie (SIRT) mit Erfolg zur Optimierung der lokalen Kontrollrate, Verringerung der Krankheitssymptomatik und Erhöhung der Überlebensraten eingesetzt.
Lebermetastasen neuroendokriner Tumore
bieten sich aufgrund ihrer starken Hypervaskularisation nicht nur für regionale Interventionen an. Als neue medikamentöse Ansätze wurden der Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib
(Sutent®) für VEGF, PDGF und c-kit von der europäischen Zulassungsbehörde EMA bei Erwachsenen zur Behandlung nicht resezierbarer
oder metastasierter, gut differenzierter pankreatischer neuroendokriner Tumoren mit
Krankheitsprogression sowie der mTor-Inihibitor Everolimus in den USA zugelassen.
An der Phase-II-Studie nahmen 39 Patienten mit einem metastasierten neuroendokrinen
Tumor teil (1). Der Primärtumor war im Dünndarm (n = 26), Pankreas (n = 10), Rektum (n =
2) und der Lunge (n = 1) lokalisiert. Als Startdosis waren ursprünglich 50 mg/d Sunitinib
vorgesehen. Diese Dosis wurde jedoch auf
37,5 mg/d oder (in den meisten Fällen) auf 25
mg/d reduziert.
Insgesamt 72% der Studienteilnehmer (n =
28) erreichten eine partielle radiographische
Response (PR) und 20% (n = 8) einen stabilen
Krankheitszustand (SD); bei 8% (n = 3) schritt
die Progression des Tumors weiter voran. Das
mediane progressionsfreie Überleben wurde
mit 18 Monaten und das 1-Jahres progressionsfreie Überleben mit 72% errechnet. Das
1-Jahres-Gesamtüberleben betrug 94%, das
2-Jahres-Gesamtüberleben 78%.
Dr. Alexander Kretzschmar
Literatur
1. Strosberg JR et al. Phase II study of sunitinib malate following hepatic artery embolization for metastatic neuroendocrine tumors. J Clin Oncol 2011; 29
(Suppl. 4): Abstr. #244).
Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20.
bis 22. Januar 2011, San Francisco/USA.
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Kongressnachlese
ASCO-GI
84
Pankreas-CA – präoperative Vermessung der Tumorgröße
Wie treffsicher sind zwei- und
dreidimensionales CT?
Für eine Resektion bei geringstmöglicher Schädigung der umgebenden Strukturen ist
eine genau präoperative Vermessung der Größe des Resektats notwendig. Onkologen
der Johns Hopkins Universität in Baltimore/USA und der Universität von Kalifornien in
San Franscisco/USA untersuchten hierzu, ob beim Pankreaskarzinom die Vermessung
mittels 3D-CT gegenüber dem konventionellen CT einen messbaren Vorteil bringt. Ein
postoperativer Vergleich mit dem Resektat ergab, dass beide CT-Techniken die tatsächliche Tumorgröße etwas unter- bzw. überschätzen, wobei des 3D-CT insgesamt
knapp besser abschnitt.
Ausgewertet wurden insgesamt 70 Patienten,
wobei in 14,1% der Fälle die CT-Aufnahme bereits über 6 Wochen vor der Operation durchgeführt wurde. Der mittlere maximale Tumor-
durchmesser betrug laut Pathologen 31,3 mm
(3–60 mm). Im Vergleich dazu lag das präoperative zweidimensionale CT bei der Gesamtgruppe um 1,9 mm darunter. Allerdings war der
Kleinzelliges Pankreaskarzinom
Große Spannbreite in der
Überlebenszeit
Das kleinzellige Pankreaskarzinom gehört zu den onkologischen Raritäten mit nur
rund 30 in der Literatur dokumentierten Fällen. Eine Arbeitsgruppe der Mayo Klinik in
Rochester/USA und der Johns Hopkins Universität, Baltimore/USA, stellte in San Francisco eine prospektive Verlaufsstudie mit sechs Patienten vor.
Die Studienteilnehmer hatten ein medianes Alter von 50 Jahren (27–60 Jahre, davon jeweils
50% Männer und Raucher). In allen Fällen war
der Tumor am Pankreaskopf lokalisiert (∅ median 3 cm) mit positivem Lymphknotenbefall in
5 Fällen.
Alle Patienten unterzogen sich einer Tumorresektion, wobei bei drei Patienten postoperative Komplikationen auftraten (kein Todesfall).
Alle Patienten erhielten danach eine adjuvante
Chemotherapie – in 5 Fällen Cisplatin und Etoposid – sowie in 5 Fällen eine Radiatio. Das me-
Unterschied nicht statistisch signifikant (p =
0,27). Im Vergleich dazu wies das 3D-CT den Tumor um 0,4 mm größer aus (p = 0,82).
Ausgewertet nach R0- und R1-Resektion (n
= 48 bzw. n = 22) lag bei den R0-Resektionen
das konventionelle CT um 3,1 mm unter der
tatsächlichen Tumorgröße, beim 3D-CT lag das
Ergebnis um 0,1 mm darüber. Bei den R1-Resektionen lagen beide Messmethoden um
0,8 mm (CT) bzw. 1,1 mm (3D-CT) über dem
später gemessenen Wert.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Qiu H et al. Correlation between pancreatic tumor
size as measured on 3D CT scan versus pathologic
specimen: Impact on radiation treatment volume. J
Clin Oncol 2011; 29 (Suppl. 4): Abstr. #276.
Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20.
bis 22. Januar 2011, San Francisco
diane Überleben betrug 20 Monate (9–173
Monate). Der Patient mit einem Überleben von
9 Monaten erhielt nur eine Chemotherapie, der
Patient mit einem Überleben von 173 Monaten
erhielt Cisplatin und Etoposid und eine Radiatio. Dies ist die bis jetzt längste bekannte Überlebenszeit eines Patienten mit dieser Tumorentität.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Winter JM et al. Resectable pancreatic small cell carcinoma: The experience of two institutions and review of the literature. J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl.
4): Abstr. #333).
Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20.
bis 22. Januar 2011, San Francisco
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Forum
ASCO GI
85
Capecitabin beim Kolonkarzinom
Aktuelle Studiendaten bestätigen
hohe Wirksamkeit
Die Kombination XELOX – orales Fluoropyrimidin Capecitabin plus Oxaliplatin – ist
auch in der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms genauso wirksam wie das infusionale FOLFOX-Regime oder das intravenöse Bolus-Regime FLOX. Die Wirksamkeit
von XELOX bleibt selbst dann erhalten, wenn die Dosis von Capecitabin (Xeloda®) modifiziert werden muss. Dies gilt sowohl für die adjuvante Therapie im Stadium III als
auch für die Erst- und Zweitlinien-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms. Aktuelle, auf dem diesjährigen ASCO GI vorgestellte Daten der X-ACT- und XELOXA-Studie bestätigen zudem, dass die Wirksamkeit sowohl von Capecitabin mono
als auch von XELOX unabhängig vom Alter ist.
Eine große, auf dem internationalen Symposium über Gastrointestinale Karzinome (ASCO
GI) in San Francisco/USA Ende Januar vorgestellte Metaanalyse bestätigt, dass die Kombination XELOX auch in der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms genauso wirksam ist
wie das infusionale FOLFOX-Regime (3-Jahreskrankheitsfreies Überleben: HR = 1,00, 95% KI
0,71–1,41; 5-Jahres-Gesamtüberleben: HR =
1,02, 95% KI 0,70–1,49) oder das intravenöse
Bolus-Regime FLOX (3-Jahres-krankheitsfreies
Überleben: HR = 0,99, 95% KI 0,80–1,22;
5-Jahres-Gesamtüberleben: HR = 0,99, 95% KI
0,77–1,25).
Adjuvante Behandlungsregime, die Oxaliplatin enthalten, sind zudem signifikant wirksamer als Therapieregime ohne Oxaliplatin
(krankheitsfreies Überleben: HR = 0,79, 95% KI
0,73–0,87; Gesamtüberleben: HR = 0,86, 95% KI
0,78–0,95). In die Analyse gingen die Daten von
fünf großen randomisierten Studien mit insgesamt mehr als 9000 Patienten ein (1).
„Angesichts der vergleichbaren Wirksamkeit
ist es sinnvoll“, erläuterte Prof. Hans-Joachim
Schmoll, Halle/Saale, „die Auswahl des Kombinations-Regimes von zusätzlichen Faktoren
abhängig zu machen, wie zum Beispiel vom Nebenwirkungsprofil oder sonstigen patientenspezifischen Vorteilen. Es ist bekannt und publiziert,
dass die Kombination XELOX, bestehend aus
Oxaliplatin und dem oralen Capecitabin gut verträglich ist.“
Außerdem wird bei Gabe von Capecitabin auf
die 2-tägige 5-FU-Dauerinfusion alle zwei Wochen verzichtet, wodurch die Behandlung für den
Patienten wesentlich weniger belastend ist. „So-
mit spricht die Summe der Vorteile für die Gabe
von XELOX in der Adjuvanz“, resümierte Schmoll.
Volle Wirksamkeit selbst
bei Dosismodifikation
Die Daten aus drei großen Phase-III-Studien
machen darüber hinaus deutlich, dass die Wirksamkeit von Capecitabin auch dann voll erhalten bleibt, wenn die Dosis von Capecitabin
aus Verträglichkeitsgründen reduziert oder die
Therapie vorübergehend unterbrochen werden
muss. Das progressions- bzw. krankheitsfreie
Überleben von mit XELOX behandelten Patienten, bei denen die Dosis modifiziert wurde, ist
dabei mindestens ebenso lang wie das von Patienten, die immer die volle Dosis erhielten.
Tendenziell lebten diese sogar länger progressions- bzw. krankheitsfrei als Patienten, die
stets mit voller Dosis behandelt wurden. Dies
gilt sowohl für die First-Line-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms als auch
für die Second-Line und für die adjuvante Therapie von Patienten mit einem Kolonkarzinom
im Stadium III (2).
„Arzt und Patient müssen Capecitabin-bedingte Nebenwirkungen nicht fürchten“, so
das Fazit von Schmoll, „denn sie wissen jetzt,
dass klinisch erforderliche Dosismodifikationen ohne Wirksamkeitseinbuße vorgenommen
werden können.“
red.
Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium
(ASCO GI) vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco
Auch Patienten
über 70 Jahre profitieren
in der Adjuvanz
Eine in San Francisco vorgestellte Auswertung bereits abgeschlossener und noch laufender Studien weist auch darauf hin, dass
adjuvante Patienten >70 Jahre in ähnlichem
Ausmaß von Capecitabin mono und XELOX
profitieren wie jüngere Patienten. Subgruppen-Analysen der großen Phase-III-Studien
X-ACT und XELOXA zeigen einen konsistenten Nutzen von Capecitabin bzw. XELOX in
allen Altersgruppen, auch bei den über
70-Jährigen.
Unter einer Capecitabin-Monotherapie
betrug das 5-Jahres-Gesamtüberleben bei
den Älteren 68,8% vs. 65,8% unter Bolus5-FU. Unter XELOX lag das 3-Jahres-krankheitsfreie Überleben der Älteren bei 66% vs.
60% unter dem Bolus-5-FU-Regime (3).
„In der Praxis bedeutet das, dass die
Wirksamkeit sowohl von Capecitabin mono
als auch von XELOX bei Älteren nachweislich
erhalten bleibt“, kommentierte Prof. Dirk
Arnold, Hamburg, die Daten. „Dieses Ergebnis bestätigt die hohe Effektivität, die wir für
Capecitabin mono kennen, und die Daten zu
XELOX eröffnen uns die Option zur Oxaliplatin-haltigen Therapie bei älteren Patienten.“
Literatur
1. Cassidy J et al. Comparative clinical efficacy of adjuvant chemotherapy regimens in randomized controlled trials (RCTs) of early-stage colon cancer:
Systematic review and meta-analysis. J Clin Oncol
2011; 29: (suppl. 4; abstr 498).
2. Cassidy J et al. Effective management of patients receiving XELOX: Evaluation of impact of dose modifications on outcome in patients from the
NO16966, NO16967, and NO16968 trials. J Clin
Oncol 2011; 29: (suppl 4; abstr 497).
3. Cassidy J et al. Review of completed and ongoing
trials of capecitabine-based adjuvant therapy in patients with early-stage colon cancer. J Clin Oncol
2011; 29: (suppl 4; abstr 495).
Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen.
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Internationale
Literatur
86
Metastasiertes kolorektales Karzinom
Cetuximab plus CAPIRI oder CAPOX
bewährt sich
In der Erstlinientherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms (mCRC) ist die
Gabe von Cetuximab plus CAPIRI (Capecitabin und Irinotecan) oder CAPOX (Capecitabin und Oxaliplatin) effektiv und sicher. In beiden Regimes unterschieden sich die objektive Responserate (ORR) und progressionsfreies Überleben (PFS) nicht entsprechend dem KRAS-Mutationsstatus.
In der Phase-II-Studie AIO KRK-0104 erhielten
insgesamt 185 Patienten mit mCRC randomisiert Cetuximab (400 mg/m² an Tag 1, danach
250 mg/m² wöchentlich) plus CAPIRI (Irinotecan: 200 mg/m² an Tag 1; Capecitabin: 2 x 800
mg/m² dreiwöchentlich an den Tagen 1–14)
oder Cetuximab plus CAPOX (Oxaliplatin: 130
mg/m² an Tag 1; Capecitabin 2 x 1000 mg/m²
dreiwöchentlich an den Tagen 1–14). Primärer
Studienendpunkt war die ORR.
Die ITT-Auswertung von 177 Teilnehmern
ergab eine ORR von 46% (95% KI 35–57) unter
CAPIRI plus Cetuximab vs. 48% (95% KI
37–59) unter CAPOX plus Cetuximab. Patienten mit KRAS-Wildtyp im CAPIRI-plus-Cetuximab-Arm erzielten eine ORR von 50%, ein PFS
Lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom
Präoperative Chemoradiotherapie
verbessert Langzeitüberleben
Eine präoperative Chemoradiotherapie mit Capecitabin und Irinotecan beim lokal
fortgeschrittenem rektalen Adenokarzinom ergab in einer Phase-II-Studie hohe Responseraten und ein Langzeitüberleben von 88,2% der Patienten nach 3 Jahren. Die
Ergebnisse deuten nach Ansicht der Autoren darauf hin, dass ein Downstaging zu
ypCR/Microfoci als Surrogatmarker für das Langzeitüberleben darstellen könnte.
In die Phase-II-Studie der NWCOG-2 (North
West/North Wales Clinical Oncology Group)
wurden insgesamt 110 Patienten ohne Fernmetastasen aufgenommen. Bei allen Teilnehmern war zuvor mittels MRT ein Tumorausmaß
≤2 mm oder die Infiltration der mesorektalen
Faszie festgestellt worden. Die Radiotherapie
des Beckens erfolgte mit 45 Gy in 25 Fraktionen
über fünf Wochen. Begleitend dazu erhielten
die Patienten 2 x 650 mg/m² Capecitabin von
Tag 1–35 sowie Irinotecan 60 mg/m², einmal
wöchentlich in den Wochen 1–4. Bei 107 Patienten wurde anschließend eine Operation
durchgeführt.
Nach der Chemoradiotherapie wurde bei 72
Patienten (67%) ein T-Downstaging sowie bei
64 Patienten (80%) ein N-Downstaging festgestellt. 24 Patienten (22%) erreichten eine pathologisch komplette Response (ypCR), bei 98
Patienten (92%) wurde ein negativer Resektionsrand rund um den Tumor (>1 mm) festgestellt. Das lokalrezidivfreie Überleben nach
von 6,2 Monaten und ein Gesamtüberleben
(OS) von 21,1 Monaten.
Für den Studienarm CAPOX plus Cetuximab
wurden eine ORR von 44,9%, ein PFS von 7,1
Monaten und ein OS von 23,5 Monaten errechnet. Während ORR und PFS bei KRAS-Wildtyp
und mutierten Subgruppen vergleichbar waren, war ein Trend zu einem längeren Überleben mit Vorliegen eines KRAS-Wildtyps assoziiert. Beide Regimes wiesen nach Aussagen
der Prüfärzte beherrschbare Toxizitätsprofile
auf und wurden als sicher eingestuft.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Moosmann N et al. Cetuximab plus capecitabine
and irinotecan compared with cetuximab plus capecitabine and oxaliplatin as first-line treatment for
patients with metastatic colorectal cancer: AIO
KRK-0104 – a randomized trial of the german AIO
CRC study group. JCO 2011; 29(8): 1050−1058.
drei Jahren betrug 96,9%, das metastasenfreie
Überleben (MFS) lag bei 71,1%, das krankheitsfreie Überleben (DFS) bei 63,5% und das
Gesamtüberleben (OS) bei 88,2%.
In einer univariaten Analyse war ein niedrigeres histologisches Stadium signifikant mit
einem besseren MFS, DFS und OS assoziiert, sowohl im Vergleich von ypT0–2 vs. ypT3–4, ypN0
vs. ypN1–2 als auch ypCR/Microfoci (fast ypCR)
vs. andere Patienten. In einer multivariaten
Analyse waren sowohl das ypN-Stadium (p =
0,048) als auch ypCR/Microfoci vs. andere Patienten (p = 0,013) signifikante Prädiktoren für
das DFS. Für das OS galt dies allerdings nur für
ypCR/Microfoci vs. andere Patienten (p =
0,005), ohne dass ein Unterschied im Outcome
zwischen ypCR und Microfoci bestand.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Gollins S et al. Preoperative chemoradiotherapy
using concurrent capecitabine and irinotecan in
magnetic resonance imaging – defined locally advanced rectal cancer: Impact on long-term clinical
outcomes. JCO 2011; 29(8): 1042−1049.
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PneumoOnkologie
87
Fortgeschrittenes NSCLC
Besseres Überleben mit Tyrosinkinase-Inhibitoren
EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) wie Erlotinib oder Gefitinib sind in der Zweitund Drittlinientherapie des fortgeschrittenen NSCLC mindestens so effektiv wie die
Standard-Chemotherapie. In der Firstline-Therapie sind sie bei selektierten Patienten,
insbesondere solchen mit aktivierenden EGFR-Mutationen, der Standardtherapie
überlegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Bewertung im New England Journal of Medicine.
Etwa 85 bis 90% aller Bronchialkarzinome sind
vom nicht-kleinzelligen Typ (NSCLC). Im fortgeschrittenen Stadium gilt das NSCLC derzeit
als unheilbar. Mit der Standard-Chemotherapie
lässt sich das Überleben nur marginal verbessern, so die Bewertung der Autoren (1). Weniger als 30% der Patienten sprechen auf die am
häufigsten verwendete Platin-basierte Chemotherapie an. Auch eine Ergänzung mit neueren
Substanzen wie Bevacizumab konnte bisher
nicht viel daran ändern, dass die mediane Gesamtüberlebenszeit von Patienten mit metastasiertem NSCLC etwa ein Jahr beträgt. Nur
3,5% der Patienten überleben fünf Jahre.
EGFR-Signalweg im Fokus
Aufgrund dieser unbefriedigenden Situation
wird intensiv an neuen Therapiemodalitäten
geforscht. Im Fokus steht der Signalweg des
EGF-Rezeptors, der bei mehr als der Hälfte der
NSCLC-Patienten aktiviert ist und eine zentrale
Rolle in Zellproliferation, Angiogenese, Metastasierung und Antiapoptose spielt. Erlotinib
und Gefitinib hemmen die Bindung von ATP an
die intrazelluläre Tyrosinkinase-Domäne des
EGFR kompetitiv und damit die Autophosphorylierung, von der die Aktivierung des weiteren
EGFR-Signalwegs abhängt. Besonders effektiv
scheinen sie zu sein bei Tumoren mit EGFR-aktivierenden Genmutationen.
Zwei parallele Phase-3-Studien verglichen
Erlotinib und Gefitinib bei Patienten mit fortschrittenem NSCLC und Versagen einer Firstoder Second-line Chemotherapie mit Placebo.
In der Studie BR.21 der National Cancer Institute of Canada Clinical Trials Group (NCIC CTG)
mit 731 Patienten mit einem NSCLC Stadium IIIB oder IV zeigte Erlotinib 150 mg/d einen sig-
nifikanten Vorteil im Gesamtüberleben (6,7 vs.
4,7 Monate; p = 0,001), im progressionsfreien
Überleben (2,2 vs. 1,8 Monate; p<0,001) und in
der Lebensqualität für Erlotinib (6).
In der Studie NCT00242801 der Iressa Survival Evaluation in Lung Cancer (ISEL) wurde unter Gefitinib 250 mg/d kein signifikanter Vorteil
im Gesamtüberleben beobachtet. Nur die Zeit
bis zum Therapieversagen war in der GefitinibGruppe signifikant länger (3,0 vs. 2,6 Monate;
p<0,001) (7). In der INTEREST-Studie wurde
Gefitinib als Zweitlinientherapie mit Docetaxel
verglichen. Der Nachweis der Nicht-Unterlegenheit von Gefitinib gegenüber Docetaxel
konnte erfolgreich geführt werden (2).
Subgruppenanalysen der Studien zeigen,
dass Frauen, ostasiatische Patienten, Nichtraucher und Patienten mit Adenokarzinom durch
Erlotinib oder Gefitinib besonders hohe Response- und Überlebensraten erreichten. Auch
waren spezifische EGFR-Mutationen mit intrinsischer Rezeptoraktivierung deutlich assoziiert
mit einem besseren Therapieansprechen.
Von der Second-line zur
First-line
Auf Basis dieser Daten wurden für die Evaluation von TKI in der First-line-Therapie Studien initiiert, die speziell Patienten mit solchen Prädiktoren für eine gute Response einschlossen. In
einer asiatischen Studie erhielten Patienten mit
Adenokarzinomen, die nie oder kaum geraucht
hatten, als First-line-Therapie Gefitinib oder
Carboplatin plus Paclitaxel. Ein Jahr überlebten
24,9% der Gefitinib-Gruppe vs. 6,7% der Vergleichsgruppe progressionsfrei. Das Risiko für
Progression oder Tod war in der Gefitinib-Gruppe um 26% geringer (p<0,001) (5).
Zwei japanische Studien schlossen Patienten mit EGFR-Mutationen ein. Gefitinib verbesserte das mediane progressionsfreie Überleben
signifikant im Vergleich zu Carboplatin und Paclitaxel (10,8 vs. 5,4 Monate; p<0,001) (3) und
im Vergleich zu Cisplatin und Docetaxel (9,2 vs.
6,3 Monate; p<0,001) (4).
Erlotinib ist in den USA und Europa zugelassen als Zweit- oder Drittlinientherapie deslokal
fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC.
Gefitinib ist in Europa zugelassen für jede Therapielinie bei Patienten mit EGFR-Mutationen.
Im Toxizitätsprofil sind beide Substanzen
vergleichbar. Hautausschlag und Diarrhö sind
die häufigsten Nebenwirkungen. Da die empfohlene Dosis von Erlotinib aber näher an der
tolerierten Maximaldosis liegt als die von Gefitinib, scheint die Toxizität von Erlotinib höher:
Bei der Hälfte der Patienten tritt eine Diarrhö
auf; bei Gefitinib betrifft dies ein Viertel bis ein
Drittel. Ein Hautausschlag entwickelt sich bei
drei Viertel der Patienten unter Erlotinib und einem Drittel unter Gefitinib. Die Autoren empfehlen, die Patienten besonders darauf hinzuweisen und entsprechende supportive Therapien vorzuhalten (1). Bei besonders schweren
Nebeneffekten kann die Dosis vermindert oder
die Medikation ausgesetzt werden.
Dr. Angelika Bischoff, Planegg
Literatur
1. Cataldo VD et al. Treatment of Non-Small-Cell
Lung Cancer with Erlotinib or Gefitinib. N Engl J
Med 2011; 364: 947–955.
2. Kim ES, Hirsh V, Mok T, et al.: Gefitinib vs. docetaxel in previously treated non-small-cell lung cancer
(INTEREST): a randomised phase III trial. Lancet
2008; 372: 1809−1818.
3. Maemondo M et al. Gefitinib or chemotherapy for
non-small-cell lung cancer with mutated EGFR. N
Engl J Med 2010; 362: 2380−2388.
4. Mitsudomi T et al. Gefitinib vs. cisplatin plus docetaxel in patients with non-small-cell lung cancer harbouring mutations of the epidermal growth factor
receptor (WJTOG3405): an open label, randomised
phase 3 trial. Lancet Oncol 2010; 11: 121−128.
5. Mok TS et al. Gefitinib or carboplatin-paclitaxel in
pulmonary adenocarcinoma. N Engl J Med 2009;
361: 947−957.
6. Shepherd FA et al. Erlotinib in previously treated
non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2005; 353:
123−132.
7. Thatcher N et al. Gefitinib plus best supportive care in previously treated patients with refractory advanced non-small-cell lung cancer: results from a
randomised, placebo-controlled, multicentre study
(Iressa Survival Evaluation in Lung Cancer). Lancet
2005; 366: 1527−1537.
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PneumoOnkologie
88
Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom
Vom Screening bis zur individualisierten Therapie
Lungenkarzinome repräsentieren sowohl im Hinblick auf die Inzidenz- und Mortalitätsraten wie auch angesichts der im Vergleich zu anderen Tumorentitäten begrenzten
therapeutischen Erfolgsaussichten weiterhin eine therapeutische Herausforderung. In
einer Übersichtsarbeit wurden einige wichtige Erkenntnisse des vergangenen Jahres
zusammengefasst.
Beim
nichtkleinzelligen
Lungenkarzinom
(NSCLC) im fortgeschrittenen Stadium standen
bis zur Entwicklung zielgerichteter Therapien
nur Chemotherapieregime zur Verfügung, die
bei einer Responserate von meist <20% nur für
eine kleine Minderheit von Patienten einen wirklichen Überlebensvorteil brachten, so die Autoren (3). Heute ist allgemein akzeptiert, dass die
Identifikation spezifischer genetischer Mutationsmuster neben der Tumorhistologie die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung
des NSCLC ist. Damit können Responseraten erzielt werden, die deutlich über denjenigen platinbasierter Chemotherapien liegen. Ein Rückblick auf die in den vergangenen Jahren veröffentlichten neuen Studiendaten zeigt dies eindrucksvoll für die oralen EGFR Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) Erlotinib und Gefitinib bei NSCLCPatienten mit EGFR-Mutationen (4–6, 8).
Die Veröffentlichung der hoffnungsvollen Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit dem ALK-MET
TKI Crizotinib auf dem ASCO 2010 unterstreicht
die Bedeutung einer Gentypisierung für den Therapieerfolg (2). Die überwiegende Mehrzahl von
ALK-Mutationen (Alk-MET-Fusionsonkogene)
fanden sich bei Adenokarzinomen. Allerdings
machten die 82 in die Studie eingeschlossenen
Patienten nur etwa 5,5% der Screeningpopulation aus. Bei diesem Subset von Patienten führte
die orale Gabe von 2 x 250 mg Crizotinib zu einer
Responserate von 57% und einer KrankheitsKontrollrate (DCR) von beeindruckenden 87%
nach 8 Wochen. Das progressionsfreie Überleben
nach 6 Monaten wurde mit 72% errechnet.
Erworbenen Resistenzen
auf der Spur
Diese Patienten erlitten, ebenso wie die mit den
EGFR TKI behandelten NSCLC-Patienten in der
Folgezeit einen Progress, möglicherweise infolge einer erworbenen Resistenz. Als Beleg für
diese Hypothese wird der Fallbericht eines mit
Crizotinib behandelten Patienten herangezogen, der nach fünf Monaten unter der Therapie
einen Progress erlitt (1). In der Pleuralflüssigkeit dieses Patienten fanden sich Zellen mit
zwei neuen Mutationen (C1156Y and
L1196M), die zum Zeitpunkt der ersten Gentypisierung nicht vorhanden waren. Für beide
Mutationen wurde in vitro eine verminderte
Wirksamkeit von Crizotinib gezeigt. Die
L1196M-Mutation wird darüber hinaus aufgrund des Genlokus als Analogie zur EGFR
T790M-Mutation angesehen. Letztere wird bei
etwa der Hälfte der Patienten mit einer erworbenen Resistenz gegen EGFR TKI nachgewiesen. Die genaue Funktion der C1156Y-Mutation ist noch unbekannt.
EGFR- und ALK-Mutationen machen etwa
15% der Genmutationen beim NSCLC aus. Dieses Patienten-Subset profitiert bereits von den
Fortschritten der zielgerichteten Therapie. Es
liegt also nahe, weitere molekulare Targets zu
untersuchen. Dies gilt umso mehr als das 5-Jahres-Überleben beim fortgeschrittenen NSCLC
lediglich 5% beträgt. Zum Vergleich: Im Frühstadium sind es immerhin bereits 70% der Betroffenen.
Lungenkrebs-Screening mit
Lowdose-Spiral-CT
Allerdings gibt es bislang keine effektive Methode zur Früherkennung dieses Tumors. Anfang der 1990er-Jahre wurde zwar das Interesse am Lungenkrebs-Screening neu durch die
Einführung des Lowdose-Spiral-CT belebt, das
sich als drei- bis viermal sensitiver als das konventionelle Thoraxröntgenbild erwies. Bis vor
Kurzem lagen nur die Resultate kleinerer einarmiger Machbarkeitsstudien vor.
Ende 2010 wurden vom National Cancer Institute vorläufige Ergebnisse einer randomisierten Vergleichsstudie, dem National Lung
Screening Trial (NLST), vorgelegt (7). In der
Multicenterstudie wurden von 2002 bis 2004
insgesamt 53 000 Raucher und Exraucher im
Alter von 55 bis 74 Jahren mit einer Raucheranamnese von mindestens 30 Pack-Years eingeschlossen und in zwei Gruppen randomisiert. In der Screeninggruppe wurden in jährlichen Abständen drei Lowdose-Spiral-CTs, in
der Kontrollgruppe drei konventionelle Thoraxaufnahmen durchgeführt und anschließend die
Teilnehmer über fünf Jahre nachkontrolliert.
Aufgrund der eindeutigen Ergebnisse – CTArm 20,3% weniger Todesfälle durch Lungenkrebs (354 vs. 442) – wurde die Studie am 20.
Oktober 2010 vorzeitig abgebrochen. Allerdings war die Gesamtmortalität nur um 7%
niedriger. Die Gründe dafür sind bis zur Vollpublikation noch unklar.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Choi YL et al. EML4-ALK mutations in lung cancer
that confer resistance to ALK inhibitors. N Engl J
Med 2010; 363: 1734–1739.
2. Kwak EL et al. Anaplastic lymphoma kinase inhibition in non-small-cell lung cancer. N Engl J Med
2010; 363: 1693–1703.
3. Lovly CM et al. Lung cancer in 2010: One size does
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Neuro-Onkologie
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Neuentwicklungen
in der Neuro-Onkologie
U. Schlegel
Universitätsklinik für Neurologie, Knappschaftskrankenhaus Bochum
Schlüsselwörter
Keywords
Glioblastome
Chemotherapie, Strahlentherapie, Gliome,
primäre ZNS-Lymphome
Chemotherapy, radiotherapy, glioma, primary
CNS lymphoma
Primärtherapie
Zusammenfassung
Summary
Die Standardtherapie des Glioblastoms im Erwachsenenalter besteht aus operativer Resektion, Bestrahlung der erweiterten Tumorregion
begleitet von einer kontinuierlichen Temozolomidtherapie, gefolgt von sechs Zyklen einer adjuvanten Temozolomidtherapie. Therapiestudien mit dem Ziel, diese Standardtherapie zu
verbessern, werden mit dem Integrinantagonisten Cilengitide, mit Tyrosinkinaseinhibitoren, mit dem PKC-β-Hemmer Enzastaurin, mit
Neoangiogenesehemmern und mit anderen
Substanzen durchgeführt. In der Rezidivtherapie werden unter anderem intensivierte Chemotherapieprotokolle und der Neoangiogenesehemmer Bevacizumab eingesetzt. In der Primärtherapie und im Rezidiv enttäuscht haben
targeted therapies mit „small molecules“. Für
die anaplastischen Gliome, WHO Grad III, hat
die NOA-04-Studie einen neuen Therapiestandard definiert. Obwohl es keine „Standardtherapie“ der primären ZNS-Lymphome (PZNSL)
gibt, soll primär eine Methotrexat-(MTX)-basierte systemische Chemotherapie eingesetzt
werden. Eine primäre Strahlentherapie der
PZNSL allein wird nicht empfohlen und ihr Einsatz als konsolidierende Maßnahme nach einer
MTX-basierten Chemotherapie bringt nach
neuesten Daten keinen Überlebensvorteil. Die
Therapie der Wahl bei PZNSL besteht in einer
MTX-basierten Polychemotherapie. Bei Patienten unter 60 werden damit kurative Therapieansätze verfolgt. In Deutschland gibt es gut organisierte Studiengruppen. Die Patienten sollten möglichst alle innerhalb dieser Studien behandelt werden.
The standard of care in adult glioblastoma is
tumour resection followed by concomitant
radio-/chemotherapy with temozolomide and
6 cycles of adjuvant temozolomide. To improve this standard, clinical trials have evaluated/evaluate efficacy and toxicity of cilengitide, an integrin antagonist, inhibitors of tyrosine kinases, of PKC-β and of neo-angiogenesis among other substances. In the recurrent
situation intensified chemotherapy regimens
are applied as well as bevacizumab, an antibody to the vascular endothelial growth factor. For recurrent glioblastoma, results with
small molecules have been disappointing. For
anaplastic glioma, WHO grade III, results of
the NOA04-trial, have established a new standard. There is no “standard” therapy for primary CNS lymphoma. Methotrexate (MTX)based chemotherapy should be considered
first. A primary radiotherapy is not recommended, its usefulness as “consolidating”
therapy after chemo could not be shown by a
large prospective randomized trial. Today’s
therapy of choice is a MTX-based polychemotherapy. In patients at age 60 years or younger
this therapy is given in a curative approach. In
Germany there are well-organized study
groups. If possible, all patients should be
treated within clinical trials.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. U. Schlegel
Universitätsklinik für Neurologie
Knappschaftskrankenhaus Bochum
Ruhr-Universität Bochum
In der Schornau 23–25, 44892 Bochum
Tel. 0234/299–3701, Fax –3719
[email protected]
Update in neurooncology
Onkologische Welt 2011; 2: 89–93
Nachdruck aus:
Nervenheilkunde 2010; 29: 747–752
Eine 5-Jahresanalyse der EORTC-NCICStudie zur gleichzeitigen Radiochemotherapie und adjuvanten Temodalchemotherapie beim Glioblastom zeigte für diesen
neuen Therapiestandard stabil verbesserte
Überlebenszeiten mit einer 5-Jahresüberlebensrate von 9,8% für Patienten, die initial mit Temozolomid behandelt worden
waren, versus 1,9% für Patienten, die initial mit einer Strahlentherapie allein behandelt worden waren. Für Patienten mit einem methylierten O6-Methylguaninmethyltransferase-(MGMT)-Promoter lag
die 5-Jahresüberlebensrate sogar bei 13,8%
(26). Auch für Patienten zwischen dem 60.
und 70. Lebensjahr war die Therapie mit
Temozolomid zusätzlich zur Strahlentherapie vorteilhaft. Für die klinische Betreuung von Patienten mit Glioblastomen ist
ein kürzlich publizierter, überraschender
Befund wichtig: Blumenthal und Mitarbeiter (2) konnten in einer retrospektiven
Analyse von 3 052 Patienten mit einem supratentoriellem Glioblastom zeigen, dass
eine Verzögerung der Einleitung einer
Strahlentherapie bis zu sechs Wochen nach
Operation eines Glioblastoms keinen negativen Einfluss auf die Gesamtüberlebenszeit hatte.
Die MGMT ist ein sich verbrauchendes
Enzymsystem: Jede Reparatur eines DNAMoleküls verbraucht ein MGMT-Molekül.
Deshalb war es naheliegend, durch eine Intensivierung der alkylierenden Chemotherapie eine „Depletion“ von MGMT bei Patienten mit unmethyliertem MGMT-Promoterstatus anzustreben: In einer kleinen
einarmigen Studie (7) wurde Temozolomid mit Lomustin (CCNU) kombiniert,
initial mit 100 mg/m2 CCNU an Tag 1 und
Temozolomid 100 mg/m2 an den Tagen 2
bis 6, gefolgt von einer therapiefreien Pause. Die Therapie wurde nach jeweils sechs
Wochen wiederholt für bis zu sechs Zyklen,
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90
U. Schlegel: Neuro-Onkologie
dann in einer an die Myelotoxizität angepassten Dosis. Die Patientengruppe umfasste 31 Patienten mit dieser Dosierung
und acht weitere Patienten, die ein intensiviertes Protokoll erhielten. Die Gesamtüberlebenszeit war mit 23,1 Monaten ungewöhnlich lang und das 4-Jahresüberleben mit 18,5% ungewöhnlich hoch. Nach
einer medianen Beobachtungszeit von 41,5
Monaten war die Gesamtüberlebenszeit für
die acht intensiviert behandelten Patienten
noch nicht erreicht, sodass bereits vier dieser Patienten mindestens 56 Monate ihre
Erkrankung überlebt hatten, zwei davon
ohne Rezidiv. Allerdings konnte für die Patienten mit unmethyliertem MGMT-Promotor – im Gegensatz zum Ziel der Studie
– keine Verbesserung erreicht werden. Ein
positiver
MGMT-Promoter-Methylierungsstatus war dagegen mit einem hoch
signifikant längeren Überleben verbunden:
34,3 Monate im Vergleich zu 12,5 Monaten
bei den nicht methylierten. Eine randomisierte Phase-III-Studie zur Überprüfung
der Überlebenszeit dieser CCNU-Temozolomid basierten Protokolls im Vergleich zur
Standardtherapie mit Temozolomid alleine
ist geplant.
Mehrere Strategien zur Verbesserung
der Primärtherapie des Glioblastoms werden derzeit evaluiert. Hierzu zählt die
CENTRIC-Studie, in welcher der Integrinantagonist Cilengitide auf seine Wirksamkeit untersucht wird. In einer prospektiven,
multizentrischen, offenen Phase-III-Studie
wird Cilengitide zusätzlich zur Bestrahlung, gleichzeitiger Temozolomid- und adjuvanter Temozolomidtherapie randomisiert verglichen mit der Standardtherapie
allein. Cilengitide wird dabei als Infusion 2
x pro Woche in einer Dosis von 2 000 mg
pro Infusion verabreicht. In einer einarmigen Phase-I/IIa-Studie mit 52 Patienten
mit Primärdiagnose eines Glioblastoms lag
die 1-Jahresüberlebensrate bei 68%, für die
MGMT-Methylierer sogar bei 91% (25).
Eine weitere multizentrische Phase-I/IIStudie zur Primärtherapie von Glioblastomen mit negativem Methylierungsstatus
von MGMT zu Überprüfung der Verträglichkeit und Wirksamkeit von Enzastaurin
wurde vor Kurzem abgeschlossen. Enzastaurin ist ein oral applizierbarer PKCβ-Hemmer, welcher in umfassenden In-vitro- (27) und in In-vivo-Untersuchungen
eine Wirksamkeit gegen Gliomzellen zeigte
und in klinischen Studien eine gute Verträglichkeit aufwies. Für Glioblastome
konnten mit dem TGF-β2-Antisense-Oligonucleotid AP12009 in einer multizentrischen, randomisierten Phase-II-Studie
noch keine messbaren Therapieverbesserungen erzielt werden, wobei die Ergebnisse bei anaplastischen Astrozytomen ermutigender sind.
Rezidivtherapie
Eine Rezidivtherapie mit einem intensivierten Temozolomidprotokoll (150/m²
pro Tag am Tag 1 bis 7, gefolgt von einer
einwöchigen Pause) zeigte bei 90 Patienten
mit Rezidivgliom eine akzeptable Verträglichkeit und eine progressionsfreie Überlebensrate von 44% nach sechs Monaten
(PFÜ-6) für 64 Patienten mit Glioblastomen (29). Einschränkend muss gesagt werden, dass nur neun der 64 Patienten vor ihrem Rezidiv mit Temozolomid behandelt
worden waren. Dennoch wird in zahlreichen Kliniken ein „Temozolomid-Rechallenge“ beim Rezidiv eines Glioblastoms
durchgeführt, wobei sich die PFÜ-6-Daten
einer retrospektiven Serie mit 26 versus
28% nicht wesentlich für Glioblastome unterschieden, die zuvor acht Wochen temozolomidfrei waren oder nicht (30).
Der Tyrosinkinasehemmer („Nibs“)
z. B. der EGF-Rezeptorhemmer Erlotinib
und die Multitarget Tyrosinkinasehemmer
Gefitinib und Imatinib sind Moleküle, die
hochspezifisch an Tyrosinkinasen an der
Zelloberflächen von Tumorzellen und normalen Zellen andocken, dabei deren Wirkung in das Zellinnere verhindern und bei
Tumorzellen selektiv Proliferation inhibieren und Apoptose induzieren. Diese Substanzklasse schien zunächst sehr attraktiv,
da maligne Gliomzellen die Tyrosinkinasen
tragenden Rezeptormoleküle an der Zelloberfläche in hohem Ausmaß exprimieren,
allerdings konnte keine der Substanzen in
randomisierten, prospektiven klinischen
Studien in der Rezidivsituation des Glioblastoms eine Verbesserung des Therapieerfolges erzielen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Tyrosinkinaseinhibitoren
in der Primärtherapie des Glioblastoms ein
Potenzial entfalten könnten. Eine einarmi-
ge offene, multizentrische Phase-II-Studie
zeigte für die Primärtherapie von Glioblastomen mit Erlotinib in Kombination mit
Temozolomid eine mediane Überlebenszeit von 19,3 Monaten (20).
Neoangiogenesehemmung
Bevacizumab ist ein Antikörper gegen den
vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), der ein wesentlicher Mediator
der Neoangiogenese in Gliomen ist; er wird
von hypoxischen Gliomzellen sezerniert
und stimuliert die Neubildung von Kapillarendothelien. Eine Blockade von VEGF vermag in vivo und in humanen Glioblastomen wirkungsvoll die Neoangiogenese zu
hemmen. In einer Phase-II-Studie bei 35
Patienten mit Rezidiv eines Glioblastoms
war die PFÜ-6 nach Kombination von Bevacizumab mit dem Zytostatikum Irinotecan 46% (28). Die in der zitierten Arbeit
exemplarisch dargestellten Abbildungen
zeigten eine ausgeprägte Volumenreduktion der kontrastmittelaufnehmenden Tumoranteile. In einer kürzlich publizierten
Phase-II-Studie, in der Bevacizumab als
Monotherapie bei Rezidiv eines Glioblastoms bei 48 Patienten eingesetzt wurde und
Irinotecan in Kombination mit Bevacizumab lediglich bei einem weiteren Progress eingesetzt wurde, betrug die mediane
progressionsfreie Überlebenszeit 16 Wochen, das PFÜ-6 29% und das Gesamtüberleben 31 Wochen (15). Die evaluierbaren
19 Patienten, die mit Bevacizumab und Irinotecan bei einem neuerlichen Progress
behandelt wurden, zeigten keinen objektivierbaren radiologischen Befund. In einer
prospektiven, multizentrischen Phase-IIStudie (6) zum randomisierten Vergleich
einer Monotherapie mit Bevacizumab mit
einer Kombinationstherapie von Bevacizumab und Irinotecan (85 versus 82 Patienten) zeigte sich für Rezidive bei malignen
Gliomen (mehr als 90% Glioblastome)
kein Unterschied für die Gesamtüberlebenszeit (9,2 versus 8,7 Monate), für die
PFÜ-6 (42,6 versus 50,3%) oder für die Ansprechrate (28,2 versus 37,8%). Von Bedeutung ist, dass in der Studie von Kreisl (15)
für etwa die Hälfte der Patienten die Rezidivtherapie mit einer klinischen Besserung
verbunden war und dass diese Patienten die
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Steroidtherapie vorübergehend reduzieren
konnten. Die zitierten Befunde legen nahe,
dass Bevacizumab bei einem Teil der Glioblastomrezidive eine transiente Wirksamkeit besitzt. Allerdings ist die Substanz
durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA wegen des Fehlens eines randomisierten Vergleiches mit einer Standardsubstanz, also z. B. mit einem Nitrosoharnstoff,
durch eine ablehnende Entscheidung im
November 2009 nicht für die Rezidivtherapie maligner Gliome zugelassen worden.
Cediranib ist ein oral verfügbarer panVEGF-Rezeptorinhibitor mit einer zusätzlichen Hemmung weiterer Tyrosinkinaserezeptoren, der in einer einarmigen PhaseII-Studie bei 31 Patienten mit Rezidivglioblastomen eingesetzt wurde; die PFÜ-6 betrug 26%, die radiologisch dokumentierten
partiellen Remissionsrate 57%. Eine Mehrheit der vor Einleitung der Rezidivtherapie
steroidabhängigen Patienten konnte diese
reduzieren oder absetzen (1). Eine randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie
zur Überprüfung der Wirksamkeit von Cediranib bei Rezidivglioblastomen wird derzeit durchgeführt.
Anaplastische Gliome
In der 2009 ausgewerteten NOA04-Studie
(31) wurde geprüft, ob eine primäre ausschließliche Chemotherapie einer primären
ausschließlichen Strahlentherapie bei postoperative Behandlung nach Resektion eines
anaplastischen Glioms, WHO III (Astrozytom, Oligoastrozytom und Oligodendrogliom) überlegen oder unterlegen ist. Darüber hinaus sollte untersucht werden, ob die
histologische Zuordnung zu einem dieser
drei Typen eine prognostische Bedeutung besitzt. Insgesamt wurden 312 Patienten randomisiert verglichen und folgenden Primärtherapien zugeordnet: Strahlentherapie der erweiterten Tumorregion vs. Chemotherapie
mit Procarbazin, CCNU und Vincristin
(PCV) vs. Chemotherapie mit Temozolomid.
Nach Versagen der Primärtherapie, also bei
Progredienz oder Rezidiv sollte auf die jeweils
andere Modalität, also bei primärer Chemotherapie, auf die Strahlentherapie umgestellt
werden und umgekehrt. Primärer Endpunkt
der Studie war die Zeit bis zum Therapieversagen, wobei das Therapieversagen definiert
wurde mit Rezidiv oder Progress nach der
zweiten Therapiemodalität. Sekundäre Endpunkte waren die Zeit bis zum ersten Progress, Gesamtüberleben und Toxizität. Für alle drei histologischen Tumorentitäten zeigte
sich in Bezug auf den primären Endpunkt
Zeit bis zum Therapieversagen und in Bezug
auf den sekundären Endpunkt Zeit bis zum
Progress kein Unterschied zwischen den gewählten Therapieverfahren. Damit hat diese
Studie einen neuen Therapiestandard definiert, der es erlaubt, anaplastische Gliome,
WHO Grad III, primär mit einer Chemotherapie zu behandeln, wegen der besseren Verträglichkeit mit Temozolomid in üblicher
Dosierung über acht Zyklen. In der Situation
des Tumorrezidivs bzw. Tumorprogresses
nach/unter Chemotherapie ist es sinnvoll, eine konventionelle externe Strahlentherapie
mit 60 Gy der erweiterten Tumorregion einzusetzen. Die Studie zeigte weiter, dass es ohne Belang ist, ob ein Tumor histologisch als
reines Oligodendrogliom oder als Oligoastrozytom charakterisiert wird. Allerdings zeigte
sich ein statistisch hochsignifikanter Unterschied zwischen reinen Astrozytomen und
oligodendroglialen Tumoren.
Der transforming growth factor ß2
(TGF-ß2) besitzt eine wichtige Funktion bei
der Unterdrückung von Immunantworten
des Gastorganismus gegenüber Tumorzellen.
Gliomzellen exprimieren TGF-β2, welches
offensichtlich auch bei Mechanismen des Tumorprogresses eine Rolle spielt (8). Zur Suppression von TGF-β2 wurde das spezifische
antisense-Oligonukleotid AP12009 entwickelt (23). In In-vitro-Experimenten konnte die Spezifität und Effektivität der TGFβ2-Inhibition bei humanen malignen Gliomzellen nachgewiesen werden. In einer klinischen Phase-I/II-Studie konnte eine verlängerte Überlebenszeit gegenüber historischen
Kontrollen erzielt werden (8). Daten einer
nachfolgenden Phase-IIb-Studie stehen aus,
sprechen jedoch möglicherweise für einen
Therapieeffekt bei anaplastischen Gliomen.
Niedrig maligne Gliome
Operation
Der Wert der operativen Resektion eines
niedrig gradigen Glioms ist nie in einer
prospektiven randomisierten Serie unter-
sucht worden. Eine solche Studie wird es
aus zahlreichen methodischen Gründen
mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie geben. Jeder Versuch der Resektion dieser Tumoren erfolgt daher unter der Maßgabe,
dass die Vermeidung neuer, permanenter
neurologischer Defizite Priorität hat. Sofern dies beachtet wird, wird nach vorherrschendem neuro-onkologischen Konsens
der Versuch der weitgehenden Resektion
dieser Tumoren befürwortet. Diese Empfehlung wird durch zwei große retrospektive neurochirurgische Serien aus dem Jahre
2008 untermauert (16, 24).
In einer retrospektiven unizentrischen
Analyse (16) wurde der Verlauf von 170 Patienten ausgewertet (132 bei Erstoperation,
38 bei Reresektion). Nach kernspintomografischen Kriterien wurden unterteilt:
● makroskopisch komplette Resektion
(38% der Patienten),
● „nahezu“ komplette Resektion (23%
der Patienten) und
● subtotale Resektion (39% der Patienten).
Die Analyse ergab, dass ein statistisch signifikanter Unterschied in Bezug auf die Gesamtüberlebenszeit und auf die progressionsfreie Überlebenszeit bestand zwischen
makroskopisch kompletter Resektion und
allen anderen Situationen, nicht jedoch
zwischen makroskopisch „nahezu“ kompletter Resektion und subtotaler Resektion.
Die Gesamtüberlebenszeiten für Patienten
mit makroskopisch kompletter Resektion
waren nach fünf Jahren 95% und nach zehn
Jahren 76%, für die anderen Situationen
deutlich schlechter. In einer weiteren unizentrischen retrospektiven Analyse an 216
Patienten (24) wurde unterschieden zwischen Patienten mit einer ebenfalls makroskopisch kompletten Resektion (nach Kriterien einer FLAIR-gwichteten MRT-Aufnahme), einer mindestens 90%igen Entfernung ihres Tumorvolumens, mit 40% bis
89% Entfernung des Tumorvolumens und
darunter. Es zeigte sich auch hier, dass die
5-Jahresüberlebensfraktion bei makroskopisch kompletter Resektion hochsignifikant besser war als bei einer Resektion von
weniger Volumen. Dieser signifikante Unterschied blieb auch im Rahmen einer unifaktoriellen Analyse bestehen. Die Analyse
der perioperativen Morbidität ergab bei 36
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Patienten von 216 (17%) neue postoperative neurologische Defizite, jedoch nur bei
vier von 216 (2%) permanente neurologische Defizite. Diese Studien zeigen, dass bei
sorgfältiger Indikationsstellung und mit
modernen mikrochirurgischen Operationstechniken das Risiko einer perioperativen Morbidität gering ist. Sie sprechen dafür, dass Patienten von einer operativen Resektion eines niedrig gradigen malignen
Tumors in Bezug auf ihre Überlebenszeit
profitieren, wenn der kernspintomografisch identifizierbare Tumor vollkommen
entfernt werden kann. Beide Studien machen damit wahrscheinlich, dass eine neurochirurgische Tumorentfernung dann
sinnvoll und indiziert ist, wenn der Tumor
mit hoher Wahrscheinlichkeit makroskopisch komplett, ohne zu befürchtende permanente neurologische Defizite entfernt
werden kann.
Chemotherapie
Differenzierte Gliome zeigen ein kontinuierliches Wachstum, welches in einem Bereich zwischen 3 und 6 mm für den größten
Tumordurchmesser pro Jahr liegt (21). An
einer unizentrischen Fallserie von 149 Patienten konnte bei 53% der Patienten ein
Ansprechen des Tumors auf eine Temozolomidchemotherapie, bei weiteren 37% eine Stabilisierung, bei 10% ein Tumorprogress beobachtet werden (14). Die progressionsfreie Überlebenszeit für die Gesamtgruppe war 28 Monate. Allerdings war ein
Großteil der untersuchten und behandelten Tumoren oligodendroglialer Herkunft.
Es wurden in dieser Studie deutlich mehr
Behandlungszyklen durchgeführt als üblicherweise bei malignen Gliomen, da das
Maximum des Tumoransprechens bei diesen niedrig malignen Gliomen erst nach
zwölf Monaten erreicht wurde mit einer
Varianz von drei bis 30 Monaten (14). Bei
den 147 Patienten, die im Median 14 Therapiezyklen erhielten (zwei bis 30 Zyklen),
trat in 7 bzw. 8% WHO Grad III bzw. IV
Myelotoxizität auf. Diese Beobachtungen
erlauben bei Patienten mit niedrig gradig
malignen Gliomen, welche einen Tumorprogress aufweisen und die nicht einer
weitgehend kompletten operativen Resektion zugänglich sind, einen initialen Thera-
pieversuch mit Temozolomid in üblicher
Dosierung, der bei Ansprechen oder Stabilisierung über mindestens ein Jahr durchgeführt werden sollte.
Primäre ZNS-Lymphome
Die primären ZNS-Lymphome (PZNSL)
betreffen zwar alle Altersgruppen, weisen
jedoch einen Häufigkeitsgipfel zwischen
der 5. und 7. Lebensdekade auf. PZNSL
sind überwiegend diffuse oder multifokale
supratentorielle Raumforderungen (22).
Differenzialdiagnostisch sind insbesondere
andere hirneigene Tumoren, aber auch entzündliche Läsionen (Vaskulitis, Granulome, MS-Plaques, bei immundefizienten
Patienten Toxoplasmaenzephalitis, progressive multifokale Leukenzephalopathie
und andere) zu berücksichtigen. Eine Besonderheit der PZNSL ist die Beteiligung
der Augen in Form einer Infiltration des
Glaskörpers, der Uvea und/oder des Nervus opticus, die bei etwa 10 bis 15% der Patienten initial oder im Verlauf nachzuweisen ist. Eine lymphomatöse Infiltration der
Leptomeningen, des Ependyms, von Nervenwurzeln oder des Plexus choroideus
kann ebenfalls auftreten. Ein systemisches
Staging vermag ein systemisches Lymphom
bei bis zu 8% der Patienten bei Erstmanifestation eines zerebralen Lymphoms
aufzudecken. Die überlegene radiologische
Untersuchungsmethode ist die Magnetresonanztomografie (MRT), welche zelldichte Tumoren zeigt, die als singuläre oder als
multiple Läsionen in der T1-Wichtung
nachweisbar sind, als hyperintense Tumoren mit mäßig ausgeprägtem Ödem in der
T2– und FLAIR-Wichtung zur Darstellung
kommen und als kompakte Tumormassen
intensiv und homogen Kontrastmittel aufnehmen (22).
Häufig zeigt sich eine eingeschränkte
Wasserdiffusion, die differenzialdiagnostisch gegenüber anderen ZNS-Tumoren
hilfreich ist (10). Mehr als 50% der Tumoren zeigen eine enge Lagebeziehung zu den
Ventrikeln. Eine meningeale Kontrastmittelanreicherung ist bei etwa 10 bis 20% der
Fälle nachweisbar. Im Liquor cerebrospinalis gelingt zytopathologisch in weniger als
20% der Nachweis von Lymphomzellen
(5). Die Detektion einer monoklonalen
B-Zell-Population mit PCR-gestützten
Verfahren, die monoklonale Rearrangements in der variablen Region des Immunglobulinschwerkettengens aufzeigen, kann
nur in spezialisierten Labors durchgeführt
werden und ist in Einzelfällen sensitiver als
die Routinezytopathologie (5). Bei HIVPatienten ist wegen der nahezu 100%igen
Assoziation des PZNSL mit dem EpsteinBarr-Virus (EBV) die PCR-Positivität für
EBV im Liquor bei Nachweis charakteristischer zerebraler Läsionen für die Diagnosestellung eines PZNSL ausreichend. Die stereotaktische Biopsie ist die diagnostische
Methode der Wahl. Kortikosteroide sollten,
wenn möglich, nicht vor einer stereotaktischen Biopsie gegeben werden, weil Steroide zu einem Verschwinden der Läsion führen können und eine histopathologische
Diagnose dann erheblich erschweren oder
sogar unmöglich machen können. Es ist jedoch gerechtfertigt, auch nach Steroidvorbehandlung im Falle einer raumfordernden Läsion, den Versuch einer bioptischen
Diagnosesicherung ohne Zeitverzug zu unternehmen (19), wissend, dass eine erste
Biopsie dann möglicherweise nicht diagnostisch ist und dass bei klinischer und
neuroradiologischer Progredienz eine
zweite Biopsie erforderlich werden kann.
Nach der WHO-Klassifikation entsprechen mehr als 95% der PZNSL histopathologisch einem diffusen großzelligen B-ZellLymphom (DLBCL) und exprimieren die
B-Zell-Oberflächenmarker CD19, CD20
und CD79a. Die „Ursprungszelle“ des
PZNSL entspricht Keimzentrums-B-Zellen
mit einer hohen Frequenz somatischer Mutationen in der variablen Region der Immunglobulingene und mit Expression des
Keimzentrumsmarkers BCL-6 und einem
Germinal Center Exit-Phänotyp (18). Subklinische B-Zell-Klone mit gleichartigen
Mutationen in der variablen Region des
Immunglobulinschwerkettengens wie im
ZNS können im Knochenmark und Blut
nachgewiesen werden und dort über längere Zeit persistieren (16). Ein Tropismus dieser Zellen zu Hirngefäßen, eine mögliche
klonale Expansion dort und ein Überlebensvorteil dieser Lymphomzellen im
immunprivilegierten ZNS als Pathomechanismus der Entstehung des PZNSL
sind denkbar.
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Therapie
Die Rolle der Neurochirurgie beschränkt
sich auf die stereotaktische Probeentnahme
zur histopathologischen Diagnosesicherung. Die Strahlentherapie ist trotz hoher
Ansprechraten in der Regel nur von
vorübergehender Wirkung und wird heute
in der Primärtherapie praktisch immer mit
einer Chemotherapie verbunden oder als
Rezidivbehandlung nach Versagen der Chemotherapie eingesetzt. Sie wird in der Regel
als Ganzhirnbestrahlung unter Einschluss
der Meningen mit einer Gesamtdosis zwischen 40 und 50 Gy mit Einzelfraktionierungen von 1,5 bis 2 Gy eingesetzt. Der Stellenwert der Bestrahlung innerhalb der multimodalen Therapie in der Primärbehandlung ist ungesichert und unterliegt derzeit
der Evaluation in prospektiven Studien.
Eine effektive Chemotherapie basiert in
jedem Fall auf einer hochdosierten
(> 1g/m2 Körperoberfläche KOF pro Einzelgabe) intravenösen Methotrexatgabe
(MTX). Allerdings liegen die kompletten
Ansprechraten (CR-Raten) unter einer
Monotherapie nicht über 50% und die Gesamtremissionsdauer nicht über einem
Jahr (9). Eine kürzlich publizierte randomisierte Phase-II-Studie zeigt eine höhere
Ansprechrate für die Kombination von
MTX 3,5g/m2 an Tag 1 mit hochdosiertem
Cytarabin (Ara-C), 2 x 2g/m2 KOF an Tagen 2 und 3 über vier Zyklen (4). Hiernach
und nach weiteren, nicht randomisierten
Daten ist eine Kombinationschemotherapie wahrscheinlich effizienter als eine
hochdosierte MTX-Therapie allein. Die
besten Langzeitergebnisse einer Polychemotherapie ohne begleitende Strahlentherapie in der Primärbehandlung wurden mit
dem Bonner Protokoll erzielt. Bei Patienten
bis zum 65. Lebensjahr waren die Ergebnisse sehr ermutigend, der Anteil nach acht
Jahren lebender Patienten lag bei 50%, sodass ein Teil dieser Patienten offenbar kurativ behandelt wurde (13). Ein wesentlicher
Bestandteil dieses Chemotherapieprotokolls ist eine intraventrikuläre Chemotherapie über ein Ommaya-Reservoir als
Tripeltherapie mit täglichen Gaben von
MTX, Prednisolon und Ara-C während der
Chemotherapieblöcke.
Insgesamt sehr viel weniger befriedigend für alle Therapiemodalitäten sind die
Ergebnisse bei älteren Patienten, wobei für
Patienten über 60 Jahre mit keiner publizierten Therapie bisher eine Langzeitkontrolle erzielt werden konnte. Dies wiegt besonders schwer, da gerade ältere Patienten
unter einer Kombinationsbehandlung mit
einer MTX-basierten Chemotherapie und
einer Ganzhirnbestrahlung ein hohes Neurotoxizitätsrisiko tragen. Verlaufsbeobachtungen über zwei Jahre nach Kombination
einer MTX-basierten Chemotherapie mit
einer dosisreduzierten Ganzhirnbestrahlung unter 25 Gy lassen ein niedrigeres
Neurotoxizitätsrisiko vermuten (3).
36 und 45 Gy kombiniert. Der Wert der im
Anschluss an eine MTX-basierte Chemotherapie durchgeführten konsolidierenden
Strahlentherapie wurde in der kürzlich abgeschlossenen Studie der G-PCNSL-Studiengruppe untersucht. Primärer Endpunkt
in dieser randomisierten Phase-IV-Studie
ist die Gesamtüberlebenszeit. Die vor Kurzem präsentierten Daten dieser weltweiten
größten Studie zum PZNSL zeigten keine
Verlängerung der Überlebenszeit durch die
zusätzliche „konsolidierende“ Strahlentherapie mit 30 x 1,5 Gy Ganzhirnbestrahlung
nach primärer Chemotherapie (32).
Hochdosischemotherapie
Progress und Rezidiv
Der Wert einer intensivierten Polychemotherapie, das heißt, einer potenziell myeloablativen Hochdosischemotherapie mit
anschließender autologer Stammzelltransplantation ist noch nicht definiert. Solche
Protokolle wurden in der Rezidivsituation
oder in der Primärtherapie eingesetzt. Die
Induktionstherapie vor der eigentlichen
Hochdosistherapie wird üblicherweise mit
einem MTX- oder Ara-C-basierten Schema, gefolgt von einer thiotepabasierten
Hochdosistherapie durchgeführt. Die in
Deutschland überwiegend eingesetzte
Hochdosistherapie nach dem Freiburger
Protokoll wurde in einer ersten Studie mit
einer obligaten Ganzhirnbestrahlung kombiniert. Derzeit wird für Patienten bis zum
65. Lebensjahr im Rahmen einer prospektiven einarmigen Phase-II-Nachfolgestudie
multizentrisch untersucht, ob eine intensivierte und um den gegen das CD20-Epitop
gerichteten Antikörper Rituximab erweiterte Hochdosistherapie basierend auf dem
Freiburger Protokoll allein ebenso gute Ergebnisse erzielen wird. Dabei soll nur bei
fehlender kompletter Remission nach Chemotherapie eine Strahlentherapie appliziert werden (12).
Insgesamt profitieren Patienten, die nicht in
einer desolaten klinischen Verfassung sind,
in der Regel von einer Rezidivtherapie, wobei eine lange Remissionsdauer nach Therapieansprechen prognostisch günstig ist.
Häufig sprechen Patienten mit Rezidiv nach
einem ersten Therapieansprechen erneut
auf die Gabe der gleichen Substanzen, insbesondere auf Hochdosis-MTX, wie in der
Primärtherapie an. Bei Patienten bis zum 65.
Lebensjahr ist im Rezidiv oder Progress nach
Versagen etablierter MTX-basierter Chemotherapien eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation möglich: In
Deutschland können Patienten mit einem
Rezidiv mit dem Freiburger Therapieprotokoll im Rahmen einer prospektiven Studie
behandelt werden. Das Ansprechen auf konventionelle Chemotherapieprotokolle liegt
zwischen 25 und 40%, so für eine Monotherapie mit Temozolomid in üblicher Dosierung, für eine Kombination von Temozolomid mit Rituximab und für eine Monotherapie mit Topotecan 1,5 g/m² KOF pro Tag
über fünf Tage alle drei Wochen (22). Nach
primärem und sekundärem Therapieversagen ist auch die Ganzhirnbestrahlung in
Erwägung zu ziehen. In einer monozentrischen retrospektiven Analyse mitgeteilt, in
die 24 Patienten mit primärem Therapieversagen und 24 Patienten mit sekundärem
Therapieversagen eingingen, lag die komplette Remissionsrate bei 58%, die partielle
Remissionsrate bei 21% und die mediane
Überlebenszeit bei zwölf Monaten (11).
Literatur unter onkologische-welt.de
Kombinierte Chemo- und Strahlentherapie
MTX-basierte Chemotherapieprotokolle
wurden in mehreren großen Studienverbünden in einarmigen Phase-II-Studien
mit einer Ganzhirnbestrahlung zwischen
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1
Serie urologische
Onkologie
94
Keimzelltumore des Hodens
Risikofaktoren und Langzeittoxizität
Die Inzidenz von Keimzelltumoren des Hodens nimmt seit den vergangenen 50 Jahren
kontinuierlich zu. In Deutschland sind jährlich etwa 4700 Männer betroffen. Bei mehr
als 95% der Hodentumore handelt es sich um Malignome. Heute können rund 80%
der Männer dauerhaft geheilt werden. Daher ist es wichtig, prognostisch wichtige
Faktoren zu identifizieren, um die Inzidenz und die tumorassoziierte Mortalität senken
zu können.
Obwohl maligne Hodentumoren nur rund 2%
der Krebserkrankungen der Männer ausmachen, handelt es sich um den häufigsten soliden Tumor bei Männern zwischen dem 25.
und 45. Lebensjahr. Über einem Alter von 50
Jahren treten weniger als 20% dieser Tumore
auf.
Über die Gründe für die seit Jahrzehnten
steigende Inzidenz gibt es nur Spekulationen,
die vor allem um negative Umweltfaktoren
kreisen. Folgende, als gesichert geltende Risikofaktoren begünstigen die Entstehung eines
malignen Keimzelltumors: Kryptorchismus, positive Familienanamnese, intratubuläre Keimzellneoplasie in der Biopsie des Gegenhodens,
HIV-Infektion, Down- oder Klinefelter-Syndrom. Ungefähr 10% der Hodentumoren sind
mit einem Kryptorchismus assoziiert. Eine Orchidopexie im 2. Lebensjahr gewährleistet eine
normale Hodenentwicklung und senkt das Risiko einer malignen Transformation (10). Eine
Fall-Kontroll-Studie zeigte für Männer >185cm
eine erhöhte Hazard Ratio (HR) von 2,11 (95%
KI 1,25–3,55) für die Entwicklung eines Hodentumors im Vergleich zu Männer mit einer Körpergröße von 175–179 cm (3).
Eine aktuelle populationsbasierte Studie
mit 27 948 Teilnehmern (4) weist darauf als ungünstigen prognostischen Faktor für das Hodenkrebs-spezifische Überleben hin. Dort war
die Mortalität von Seminom- bzw. Nicht-Seminom-Patienten im Alter über 40 Jahre bei Diagnosestellung im Vergleich zu jüngeren Patienten doppelt so hoch. Dies galt auch bei Berücksichtigung der Erstbehandlung und dem Ausmaß der Erkrankung. Bei Nicht-Seminom-Patienten führen nicht-weiße Ethnizität und ein
niedrigerer sozioökonomischer Status ebenfalls zu einem signifikanten Anstieg der tumorsspezifischen Mortalität.
In der Studie wurde die Hazard-Ratio (HR)
für die tumorspezifische 10-Jahres-Mortalität
anhand derjenigen Patienten berechnet, die
zwischen 1978 und 2006 in das SEER (Surveillance, Epidemiology and End Results Program)
eingegangen waren (n = 27 948). Als unabhängige Prädiktoren wurden dabei das Alter bei Diagnosestellung, sozioökonomischer Status, Familienstand, Ausmaß der Erkrankung, Radiotherapie und retroperitoneale Lymphknotendissektion identifiziert.
Im Vergleich zu jüngeren Patienten, war ein
Diagnosealter über 40 Jahre mit einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert (Seminom:
HR 2,00; p<0,001; Nicht-Seminom: HR 2,09;
p<0,001). Das Risiko war in der metastasierten
Situation deutlich höher (HR 8,62; p<0,001
bzw. HR 6,35; p<0,001). Nicht verheiratete
Männer wiesen im Vergleich zu Verheirateten
eine zwei- bis dreifach höhere Mortalität auf
(HR 2,97; p<0,001 bzw. HR 1,54; p<0,001).
Bei Nicht-Seminom-Patienten führten ein
geringerer
sozioökonomischer
Status
(p<0,001) und nicht-weiße Ethnizität (HR:
2,11; p<0,001) zu einer erhöhten Mortalität.
Patienten, deren Tumor nach 1987 diagnostiziert wurde, hatten eine signifikant geringere
Mortalität (HR: 0,58; p = 0,001 bzw. HR: 0,74;
p = 0,001). Eine nicht durchgeführte retroperitoneale Lymphknotendissektion war mit einem
siebenfach erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert (p<0,001).
Inzwischen mehren sich auch die Hinweise,
dass Marijuana-Konsum mit einem häufigeren
Auftreten von Hodentumoren assoziiert ist (2,
11). Eine US-Arbeitsgruppe testete 187 Männer, bei denen zwischen 1990 und 1996 ein Hodentumor diagnostiziert worden war, auf den
Konsum von Marijuana. Im Vergleich zu 148
gesunden Kontrollen konsumierten die Tumorpatienten häufiger und öfter Marijuana als die
Kontrollen (OR 2,2). Insbesondere Patienten
mit Nicht-Seminomen wurden signifkant öfter
als häufige (täglich oder öfter: OR 3,1) und
langjährige Konsumenten (≥10 Jahre: OR 2,4)
identifiziert (11). Patienten mit Nicht-Semino-
men und gemischten Histologien konsumierten
in einer zweiten Studie ebenfalls häufiger Marijuana (OR 2,3). Auch ein Alter <18 Jahre bei Beginn der Drogeneinnahme war mit einem erhöhten Risiko von Hodentumoren assoziiert
(OR 2,2).
Sekundärtumoren nach
Chemo-/Radiotherapie
Bereits ein bis zwei Jahre nach Chemotherapie
kann eine Leukämie, i.d.R. eine akute myeloische Leukämie auftreten. Die kumulative
Leukämie-Inzidenz nach 5 Jahren beträgt aber
weniger als 0,5%. Solide Tumoren treten meist
erst mit einer Latenz von mehr als 10 Jahren
nach Abschluss der Bestrahlung auf. Hier handelt es sich um Karzinome von Magen, Harnblase, Kolon, Rektum und Pankreas.
Die Auswertung der Daten von 2703 Überlebenden nach adjuvanter Bestrahlung bei Seminomen im Stadium I ergab nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 18 Jahren insgesamt 385 Zweitmalignome (354/2703 Patienten, 13%). Im Vergleich zu den jeweiligen
Länder-, Alters- und Geschlechts-spezifischen
Tumorraten in der Normalbevölkerung zeigte
sich eine insgesamt erhöhte Rate an Zweitmalignomen (SIR 1,31), vor allem für Tumoren des
Magens (SIR 1,63), des Pankreas (SIR 2,35) und
der Blase (SIR 2,14) (7). Aufgrund der hier bestätigten erhöhten Inzidenz von Zweitmalignomen nach infradiaphragmaler Radiatio wird
diese Intervention beim Seminom im Stadium I
zunehmend verlassen zugunsten einer risikoadaptierten Surveillance-Strategie oder einer
adjuvanten Chemotherapie (1).
Auch eine aktuelle große schwedische Studie fand bei 5533 Überlebenden von Keimzelltumoren (Seminome und Nicht-Seminome)
über alle Histologien und Stadien ein erhöhtes
Risiko für Zweitmalignome von 6,7% (6). Auffällig ist auch das Risiko für Blasenkarzinome
bei Nichtseminomen von 8%. Weitere Studien
sollen auch die Rolle von Ifosfamid-haltigen
Regimen prüfen (1).
Epidemiologische und klinische Studien
weisen darauf hin, dass die erfolgreiche Therapie von Hodentumoren einige Langzeitfolgen
hervorrufen kann. Die Chemotherapie mit Cisplatin ist danach im Stadium 1 eines Seminoms
so wirksam wie eine Strahlentherapie und weniger toxisch, sodass die Patienten schneller
wieder in den Beruf zurückkehren können. Trotz
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Serie urologische
Onkologie
95
solcher Fortschritte muss man im Auge behalten, dass bei den Patienten nach Strahlen- und
Chemotherapie etwas häufiger ein zweiter Tumor auftritt als allgemein zu erwarten ist.
Das relative Risiko einer Leukämie ist nach
Therapie mit Etoposid um 2% erhöht, bei hohen kumulativen Dosen steigt es auf 4%. Bei einem auf Cisplatin basierenden Therapieregime
scheint zumindest das Risiko eines Zweittumors im verbliebenen Hoden reduziert zu sein.
Allerdings begünstigt nicht nur Cisplatin chronische endotheliale Entzündungsprozesse, was
einer vorzeitigen Koronararteriosklerose Vorschub leisten kann. Eine norwegische Studie
verglich das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen von 990 Keimzelltumorpatienten (nur
OP: n = 206; Radiatio: n = 386; Chemotherapie:
n = 364; Radio plus Chemotherapie: n = 34) mit
demjenigen der altersgematchen Normalbevölkerung. Der mediane Follow-Up betrug 19
Jahre. Dabei ergab sich für beide Chemotherapie-Subgruppen einer Gebrauch von Antihypertensiva und die Diagnose eines Diabetes mellitus (Chemotherapie: OR 2,3; Radio plus Chemotherapie: OR 3,9). Arteriosklerotische Veränderungen wurden in allen Gruppen mit Radiatio bzw. Chemotherapie gehäuft festgestellt
(Radiatio: OR 2,3; Chemotherapie: OR 2,6; Radio plus Chemotherapie: OR 4,8), die Inzidenz
betrug insgesamt 8%. Patienten nach PEB-haltiger Chemotherapie zeigten ein 5,7-fach erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen,
das Myokardinfarkt-Risiko war um das 3,1-fache erhöht (5).
Insgesamt muss man daher heute davon
ausgehen, dass das kardiovaskuläre Risiko bei
Patienten mit Keimzelltumoren nach einer Radiatio oder einer Chemotherapie, vor allem
aber bei einer kombinierten Radiochemotherapie, signifikant erhöht ist. Internistische Verlaufskontrollen müssen bei diesen Patienten lebenslang erfolgen (1).
Spättoxizität
Da Patienten mit Hodenkrebs eine sehr günstige Langzeitprognose besitzen, ist die Spättoxizität der Chemotherapie besonders zu beachten. Die wichtigsten langfristigen Nebenwirkungen sind gonadale Dysfunktion mit Infertilität, Ototoxizität, Störungen der Lungen- und
Nierenfunktion mit Abfall der Kreatinin-Clearance um rund 15% sowie Sekundärtumoren
nach Chemo- oder Radiotherapie.
Sexualfunktion und Fertilität
Neuropsychiatrische Störungen
Zur Sexualfunktion liegen zahlreiche Untersuchungen vor, die Ergebnisse sind aber widersprüchlich. Einer großen norwegischen Studie
zufolge haben Männer nach überstandenem
Hodenkrebs etwas häufiger Erektions- und Ejakulationsprobleme. Dies könnte teilweise
durch den Hypogonadismus erklärt werden.
Wahrscheinlicher ist jedoch eine Schädigung
parasympathischer Nervenfasern nach retroperitonealer Lymphknotendissektion. Ein wichtiger Faktor sind auch depressive und Angstsymptome, die bei diesen Patienten gehäuft gefunden werden (8).
Ein anderes Problem ist die Fertilität. Rund
die Hälfte der Patienten mit Hodenkrebs weisen schon vor Beginn der Chemotherapie
quantitative und qualitative Störungen der
Spermatogenese auf, von welcher sie sich nur
teilweise wieder erholen. Nach retroperitonealer Strahlentherapie kann durch Streustrahlung
trotz Abschirmung des kontralateralen Hodens
die Spermatogenese meist nur passager beeinträchtigt werden. Wichtig ist, die Patienten vor
Beginn der Therapie auf die Möglichkeit einer
Kryopräservation hinzuweisen (8).
Unmittelbar nach einer Cisplatin-haltigen
Therapie sind nahezu alle Patienten infertil (9).
In diesen Fällen sowie anderen Standardtherapien erholt sich die Spermatogenese aber in bis
zu 80% wieder. Entsprechend hoch ist die Zahl
der Männer, die nach erfolgreicher Behandlung
Vater werden. Dennoch sollte auch an einen
therapieinduzierten Hypogonadismus gedacht
werden.
Das Ausmaß behandlungsassoziierter psychiatrischer und kognitiver Störungen wird unterschätzt. So treten nicht nur nach erfolgreicher
Therapie gehäuft Angststörungen und depressive Symptome auf. Eine aktuelle Studie fand
bei 46% von 69 Patienten mit einem neu diagnostizierten nicht-seminomatösen Keimzelltumor (51% Stadium I, 33% Stadium II, 15%
Stadium III) nach Orchiektomie, aber noch vor
einer Chemotherapie, deutliche Beeinträchtigungen der Konzentrations- und Lernfähigkeit,
der Exekutivfunktionen sowie der sprachlichen
und motorischen Fähigkeiten (p<0,0001 im
Vergleich zur Normalbevölkerung) (12). Daher
ist eine engmaschige Kontrolle der kognitiven
Funktionen während und nach einer Chemotherapie zu empfehlen (1).
Oto- und Neurotxozität
Eine andere Langzeitfolge ist die Cisplatin-assoziierte periphere sensorische Neuropathie
bei dem Regime Cisplatin/Vinblastin/Bleomycin (PVB), unter der 10–30% der Patienten leiden. Mit dem Wechsel auf das Standardregime
Cisplatin/Etoposid/Bleomycin (PEB) konnte die
Toxizität deutlich gesenkt werden. Hörstörungen wie Hochfrequenzverlust oder Tinnitus treten nach einer Chemotherapie (PEB) in
15–25% der Fälle auf, da Cisplatin kumulativ
toxisch auf die Haarzellen im Innenohr einwirkt.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
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UroOnkologie
96
Metastasiertes hormonrefraktäres Prostatakarzinom
Neue Therapieoption zur
Zweilinientherapie nach DocetaxelVersagen
Mit Cabazitaxel (Jevtana®) steht ein Taxan der neuesten Generation demnächst zur
europaweiten Zulassung zur Zweitlinientherapie des metastasierten hormonrefraktären Prostatakarzinoms (mHRPC) in Kombination mit Prednison an. Die Erwartungen im
Hinblick auf eine Überlebensverbesserung sind hoch, denn die Alternativen nach
Docetaxel-Versagen sind sehr begrenzt.
Derzeit ist Docetaxel (Taxotere®) zur First-lineTherapie des mHRPC zugelassen. Allerdings
dauert es in vielen Fällen sehr lang, bis man
sich überhaupt zur Second-line-Therapie entschließt, so Priv.-Doz Peter J. Goebell, Erlangen. Die meisten Männer wurden mit Mitoxantron/Prednison weiterbehandelt. Zwar ließen
sich damit Schmerzkontrolle und bessere Lebensqualität umsetzen, jedoch ohne Überlebensverlängerung.
Cabazitaxel wurde in den USA im FastTrack-Verfahren zugelassen. Basis dafür waren
Daten der TROPIC-Studie. 755 Männer mit
mHRPC wurden nach Docetaxel-Versagen alternativ mit Cabazitaxel /Prednison bzw. Mitoxantron/Prednison behandelt. Dabei reduzierte
Cabazitaxel das relative Sterberisiko nach einer
medianen Nachbeobachtungszeit von 12,8
Monaten statistisch signifikant um 30% (HR =
0,70; p<0,0001) bei einer medianen Gesamt-
überlebenszeit von 15,1 Monaten unter Cabazitaxel und 12,7 Monaten im Kontrollarm. Der
mediane Überlebensvorteil bestätigte sich in
allen Subgruppen.
Cabazitaxel ist ein neuartiges Taxan und
stabilisiert wie Docetaxel die Mikrotubuli in der
Zelle. Es passiert die Blut-Hirn-Schranke. Die
häufigsten (>5%) unerwünschten Wirkungen
waren Neutropenie, Leukopenie, Anämie, febrile Neutropenie, Diarrhö, Müdigkeit und Asthenie.
Als Prophylaxe gegen Übelkeit und Erbrechen empfahl Dr. Götz Geiges, Berlin, etwa 30
Minuten vor der Gabe von Cabazitaxel eine
Prämedikation (i.v.) aus einem Antihistaminikum, beispielsweise Dexchlorpheniramin 5 mg,
einem Kortikosteroid (Dexamethason 8 mg), einem H2-Antagonist (Ranitidin 50 mg) und einem Antiemetikum.
Dr. med. Nana Mosler, Leipzig
Quelle: Fach-Pressekonferenz „Die Krebstherapie verändern: Jevtana® – Neuzulassung beim metastasierten hormonrefraktären/kastrationsresistenten Prostatakarzinom“ am 22. Februar 2011, Berlin. Veranstalter:
Sanofi-Aventis Deutschland, Berlin.
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