E 45120 ISSN 1869-0874 Onkologische Welt 2/2011 HIV & Krebs Anale intraepitheliale Neoplasien Krebs und HIV-Infektion Hämato-Onkologie Hochrisiko-MDS Akute myeloische Leukämie Gastro-Onkologie ASCO-GI Nachlese Pneumo-Onkologie Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom Neuro-Onkologie Neuentwicklungen Keimzelltumore des Hodens www.schattauer.de www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 2011; 2: 49–96 Mai Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Ts ch F u er k u no s h by im l & a Uro-Onkologie Zu diesem Heft © Schattauer 2011 Was wirklich bleibt Wissenschaft kann unbarmherzig sein, wenn es darum geht, wer mit seinen Erkenntnissen zuerst die Fachöffentlichkeit erreicht. Das Wettrennen um die Erstpublikation gab es schon vor mehr als 100 Jahren, nur in einem überschaubareren Rahmen. An den Kaiser Wilhelm Instituten, die zu den internationalen Zentren der wissenschaftlichen Forschung der damaligen Zeit gehörten, arbeiteten Anfang des 20. Jahrhunderts die konkurrierenden Forscher fast Labor an Labor. Heute sitzt die Konkurrenz nicht im eigenen Haus, sondern ist weltweit verstreut in Peking, Oxford oder Harvard. „Wer schreibt, der bleibt“ heißt es. Aber er muss auch der Erste sein, der es veröffentlicht. Legendär ist die Auseinandersetzung zwischen der Arbeitsgruppe um den Franzosen Luc Montagnier und dem Amerikaner Robert Gallo um die Erstbeschreibung des HI-Virus. Das Nobelpreiskomittee hat hier mehr als 20 Jahre gebraucht, bis es diese Entdeckung überhaupt als preiswürdig auszeichnete. Nicht selten erreicht die Auszeichnung den Laureaten dann im akademischen Rentenalter und entreißt die Tragweite und Bedeutung seiner Arbeit noch einmal für einen Moment der Wissenschaftsgeschichte. Die Nachhaltigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse geht oft in der Tagesaktualität unter. Gerade in der Onkologie erweitert sich der Wissensstand in atemberaubend kurzen Zeiträumen. Was wirklich bleibt und wichtig ist, wird oft erst nach einiger Zeit deutlich. Manchmal auf tragische Weise. In dieser Ausgabe der „Onkologischen Welt“ finden Sie ein Referat zu einer wissenschaftlichen Studie von CC Busby, die bereits im Jahr 2009 erschienen ist – entgegen unserer üblichen Publikationspraxis, neueste Studien zu referieren. Sie weist darauf hin, dass das derzeitige Risikomodell der International Commission on Radiological Protection das Gesundheitsrisiko nach einer chronischen internen Strahlenexposition möglicherweise um den Faktor 100 zu gering einschätzt. Diese Warnung basiert auf einer Messung der Strahlenexposition Ungeborener nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl in Deutschland, Griechenland und Großbritannien. Die Studie hat bei ihrer Erstveröffentlichung in 2009 nur bei einer kleinen Gruppe von Experten die notwendige Aufmerksamkeit gefunden. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist noch unklar, wie hoch die Belastung sein wird, der wir – Tausende von Kilometern vom Unglücksort entfernt – ausgesetzt sein werden. Die Studie mahnt aber, dass wir uns auch hier vielleicht in trügerischer Sicherheit wähnen. Wir haben deshalb entschieden, diese Arbeit noch einmal einem größeren Leserkreis vorzustellen. Dr. Alexander Kretzschmar Dr. Alexander Kretzschmar, München Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 49 Inhalt Contents 50 Zu diesem Heft 49 A. Kretzschmar Was wirklich bleibt Infektionen und Krebs 51 H. zur Hausen Wo lohnt sich die Suche? HIV & Krebs 53 55 Interview mit Prof. Norbert H. Brockmeyer, Bochum: „Krebs ist die zweithäufigste Todesursache beiHIV-infizierten Patienten“ A. Kreuter; N. H. Brockmeyer; A. Potthoff; D. Georgas; A. Skaletz-Rorowski; U. Wieland Anale intraepitheliale Neoplasien 60 A. Potthoff; A. Skaletz-Rorowski; N.H. Brockmeyer Krebs und HIV-Infektion Hämato-Onkologie 63 N. Gattermann; A. Kündgen; C. Strupp; R. Haas; U. Germing Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS 72 Kongressnachlese: Acute Leukemias XIII, München 2011 76 Kongressnachlese: 16. Jahresversammlung National Comprehensive Cancer Network, Hollywood 2011 77 Internationale Literatur: Strahlenexposition in Europa nach Tschernobyl 1986 80 Kongressnachlese: ASCO-GI 2011, San Francisco 86 Internationale Literatur: Metastasiertes kolorektales Karzinom und lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom 87 Fortgeschrittenes NSCLC – besseres Überleben mit TKI 88 NSCLC – vom Screening bis zur individualisierten Therapie 89 U. Schlegel Gastro-Onkologie Pneumo-Onkologie Neuro-Onkologie Neuentwicklungen in der Neuro-Onkologie Serie urologische Onkologie 94 Keimzelltumore des Hodens – Risikofaktoren und Langzeittoxizität Titelbild Meister der Nilmosaike ©visipix.com Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forschung in Deutschland © Schattauer 2011 Infektionen und Krebs Wo lohnt sich die Suche?* Während der vergangenen 30 Jahre ließen sich 21% der globalen Krebsinzidenz mit Infektionen in Verbindung bringen. Hierbei spielen sowohl spezifische virale als auch bakterielle und parasitäre Infektionen eine Rolle. Insbesondere die Aufklärung der Rolle des Hepatitis-B-Virus beim Leberkrebs in Ostasien und Afrika, der humanen Hochrisiko-Papillomviren (HPV) als Erreger des Gebärmutterhalskrebses sowie anderer anogenitaler und oropharyngealer Karzinome führte zu neuen Ansätzen in der Krebsprävention über Impfungen. Die Mechanismen, über welche Infektionen zu Krebs führen können, unterscheiden sich sehr deutlich innerhalb der unterschiedlichen Erregergruppen. Wir können von direkt karzinogen wirkenden Agenzien sprechen, wenn die Anwesenheit von genetischem Material solcher Erreger notwendige Voraussetzung für das maligne Wachstum der betroffenen Zellen ist. Indirekt karzinogen wirkende Erreger verbleiben in der Regel nicht in den eigentlichen Krebszellen, sondern begünstigen deren Wachstum durch bewirkte Immunsuppression oder durch die Induktion chronischer Entzündungsprozesse. In den vergangenen Jahren wurden eine Reihe neuer Virus-Typen sowie eine Virus-Familie (TTViren) entdeckt, darunter in den vergangenen zwei Jahren vier neue Typen von Polyomaviren. Diese Virusgruppe ist aus onkologischer Perspektive besonders interessant, da zahlreiche ihrer Vertreter – zwar nicht im natürlichen Wirt, wohl aber in heterologen Spezies – krebserzeugend wirken. Ein Isolat aus Merkelzellkarzinomen scheint allerdings selbst beim Menschen zur Tumorbildung befähigt zu sein, jedoch erst nach Mutationen in einem spezifischen Bereich des sogenannten LT-Antigens. Unter diesen Voraussetzungen sind solche Genome replikationsinkompetent und können keine infektiöse Nachkommenschaft mehr bilden. Die bisherigen Ergebnisse erlauben die Suche nach weiteren epidemiologischen Hinweisen, d.h., ob zusätzliche Krebsformen etwas mit Infektionen zu tun haben können. Hier kommt beispielsweise die Erhöhung der Krebsrate durch Immunsuppression (etwa bei AIDS-Infektionen oder nach Organtransplantationen) in Betracht. Ebenso wichtig sind aber auch Krebserkrankungen, welche aufgrund einer Abwehrschwäche nicht vermehrt auftreten oder bei denen eine Immunsuppression sogar einen gewissen Schutzeffekt aufweist. Dies gilt zum Beispiel für Brustkrebs, Prostatakrebs und Hirntumoren. Zumindest bei Mäusen kommt ein analoger Schutzeffekt für den durch das Maus-Mamma-Tumor-Virus (MMTV) bedingten Gesäugekrebs zustande. Weiterhin werden kindliche Leukämien, Basalzellkarzinome in Pockenimpfnarben und ernährungsbedingte Krebserkrankungen (Dickdarm- und Enddarmkrebs) auf einen möglichen Zusammenhang mit Infektionen diskutiert. Obwohl für die letztgenannten ernährungsbedingten Krebserkrankungen gut begründete Vermutungen vorliegen, dass beim Koch- und Bratprozess entstehende krebserzeugende Chemikalien vor allem von rotem Fleisch (zumeist Rindfleisch) eine entscheidende Rolle spielen sollen und das Krebsrisiko für Dickdarm- und Enddarmkrebs moderat erhöhen, lassen sich gewisse Gegenargumente für deren Alleinbeteiligung an der entsprechenden Krebsentstehung aufzeigen: Die gleichen Zubereitungsprozesse von Geflügelfleisch führen zu analogen Karzinogenen. Dennoch scheint Geflügelfleisch nicht das Risiko für diese Krebsarten zu erhöhen. Wir gehen daher zurzeit der Hypothese nach, ob das Zusammenwirken eines hitzeresistenten Rindervirus mit den im Zubereitungsprozess entstehenden Karzinogenen zu dieser Krebsentstehung beiträgt. Viren der Polyoma- und Anello-Viren-Familie erweisen sich hier als mögliche Kandidaten, da sie ein besonders hohes Maß an Hitzebeständigkeit zeigen. Prof. Dr. Harald zur Hausen, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg Prof. Dr. Harald zur Hausen * Dieser Beitrag entstammt dem Titel: L. Färber, A. Kreiß. Medizinische Spitzenforschung in Deutschland. Schattauer, Stuttgart, 2011. Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 51 52 Forschung in Deutschland Literaturtipp zum Thema Forschung Medizinische Spitzenforschung in Deutschland „Medizinische Spitzenforschung in Deutschland“ – so lautet eine Werbekampagne der forschenden pharmazeutischen Industrie. Wie aber ist es generell um die medizinische Spitzenforschung in Deutschland bestellt? Welche Ergebnisse für den Patienten liefert die Forschung, für die Milliarden-Summen eingesetzt werden, im universitären Bereich, bei den großen außeruniversitären Forschungsinstituten und den in Deutschland tätigen nationalen und internationalen pharmazeutischen Konzernen? Was leistet die moderne Medizin auf den Gebieten der großen Volkskrankheiten? Mit Beiträgen von Professor Harald zur Hausen, Nobelpreisträger für Medizin, und anderen renommierten deutschen Wissenschaftlern beschreibt dieser Band faszinierende Erkenntnisse aus aktuellen Forschungsbereichen wie neue Therapieansätze bei soliden Tumoren (die mTOR-Inhibition), in der Hämatologie (Hemmung der Signaltransduktion), Or- gantransplantation, Augenheilkunde, Herzerkrankungen und nimmt Stellung zu aktuellen sowie zukünftigen Forschungs- und Therapieansätzen. Auf der Suche nach den fundamentalen Bausteinen der Materie vermittelt Professor Heuer, Direktor des CERN in Genf, zudem spannende Einblicke in die Welt der Teilchenforschung. Lothar Färber, Andreas Kreiß Medizinische Spitzenforschung in Deutschland Schattauer 2011. 152 Seiten, 35 Abb., 12 Tab., kart. EUR D: 9,95 ISBN: 978–3–7945–2818–9 (Print); 978–3–7945–6648–8 (eBook) Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Das aktuelle Interview 53 „Onkologische Erkrankungen im Verlauf einer HIV-Infektion“ „Krebs ist die zweithäufigste Todesursache bei HIV-infizierten Patienten“ AIDS hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren von einer schnell tödlichen Krankheit zu einer häufig chronisch verlaufenden Immunschwächekrankheit verschoben. Die Lebenserwartung HIV-positiver Menschen ist deutlich gestiegen – jedoch auch die Bandbreite und Häufigkeit der Tumorerkrankungen. Wie verhalten sich die Krankheitsbilder AIDS und Krebs zueinander? Welche Tumorarten treten häufig, und warum gerade bei HIV-positiven Menschen auf? Inwieweit beeinflusst die antiretrovirale Therapie (ART) das Krebsrisiko und die -Therapie? Und welche Präventionsmöglichkeiten gibt es? ? Herr Prof. Brockmeyer, in der Literatur liest man von „AIDS-definierenden Malignomen“ und „Nicht-AIDS-definierenden Malignomen“, so genannten Non-ADM. Was versteht man unter diesen Begriffen? Brockmeyer: Im Wesentlichen gibt es drei AIDS-definierende Malignome (ADM): Das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), das Kaposi Sarkom (KS) und das Zervixkarzinom. Zunehmend häufiger treten bei HIVpositiven Patienten aber auch Tumore auf, die laut Definition nicht in erster Linie mit HIV assoziiert werden. Zu diesen „Nicht AIDS-definierenden Malignomen“ zählen Malignome der Genitalregion, wie etwa das Analkarzinom (siehe hierzu in dieser Ausgabe auch den Beitrag zu AIN aus dem Kompetenznetz HIV/AIDS), der Morbus Hodgkin oder auch Bronchial- und Lungenkarzinome. Und es gibt weitere Tumorarten, die häufiger bei HIV-positiven Menschen auftreten, als in der Allgemeinbevölkerung, zum Beispiel multiple Myelome, hepatozelluläre Karzinome, Hodenund Prostatakarzinome und Hauttumore. ? Welche Faktoren begünstigen die Entstehung von Tumoren bei HIV-positiven Menschen? Oder anders gefragt: Kann man das eigene Krebsrisiko beeinflussen, womöglich vermindern? Brockmeyer: Verschiedene Faktoren können mit der Entstehung von HIV-assoziierten und Non-ADM in Verbindung ge- bracht werden. Eine entscheidende Rolle spielen das Lebensalter und, insbesondere in Bezug auf Virusinduzierte Tumore, der Grad der Immunsuppression. Die eingeschränkte Funktionsfähigkeit der T-Helferzellen kann Grund für eine verminderte Krebsabwehr sein. Eine internationale Studie (D:A:D-Studie) zeigte, dass Patienten mit <50 CD4-Zellen/μl ein 15-fach erhöhtes Risiko für Non-ADM im Vergleich mit Patienten mit >500 CD-4-Zellen/μl hatten (1). Vermutet wird auch, dass die gestörte Immunfunktion und die vermehrte Bildung von Zytokinen, sowie eine chronische B-Zell-Stimulierung die Entstehung von Tumoren, zum Beispiel die Entstehung von Kaposi Sarkomen, begünstigt. Koinfektionen, zum Beispiel mit HPV, Hepatitis B oder C, können ebenso das Krebsrisiko erhöhen. Und auch der Lebensstil trägt einen nicht zu unterschätzenden Teil bei: Raucher sind deutlich gefährdeter als Nichtraucher, und auch Alkoholkonsum und UVExposition korrelieren positiv mit einigen Krebsarten. Durch einen gesunden Lebensstil kann man das eigene Krebsrisiko vermindern. Prävention ist eine weitere Maßnahme, durch eine Impfung kann man sich beispielsweise vor HPV und Hepatitis B schützen um das diesbezügliche potentielle Krebsrisiko zu senken. Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, HIV-Experte an der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum, Vorsitzender der Deutschen STD-Gesellschaft und Sprecher des Kompetenznetzes HIV/ AIDS. ? Und welche Tumorart tritt bei HIVpositiven Menschen am häufigsten auf? Brockmeyer: Der häufigste Tumor bei HIV-positiven Patienten ist das Kaposi Sarkom. Etwa vier bis sieben Prozent der antiretroviral behandelten und mehr als 20 Prozent der nicht behandelten HIV-Infizierten erkranken an dieser Tumorart. Blicken wir noch einmal auf die Non-ADM, so finden wir am meisten Analkarzinome, an zweiter Stelle stehen hier Bronchialkarzinome. Während die Anzahl von HIV-assoziierten Tumoren bei behandelten Patienten insgesamt rückläufig ist, steigen jedoch im Gegenzug die Fallzahlen von NonADM bei HIV-positiven Patienten an. ? Wie hoch ist insgesamt das Risiko für HIV-positive Menschen an malignen Tumoren zu erkranken? Brockmeyer: Abhängig von der Tumorart ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, für HIV-positive Menschen doppelt bis dreifach so hoch. Bestimmte Krebsformen, wie zum Beispiel Analkarzinome, treten sogar bis zu zwanzigmal häufiger auf – bei jungen Patienten ist das Risiko verglichen mit dem der Durchschnittsbevölkerung sogar um bis zu 300-fach erhöht. Im Rahmen einer Analyse des Kompetenznetzes HIV/AIDS haben wir festgestellt, dass sich bei rund neun Prozent der beobachteten 9400 HIVpositiven Patienten maligne Tumore entwickelten. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Das aktuelle Interview 54 ? Heißt das, dass Krebs eine häufige Todesursache für HIV-positive Menschen geworden ist? Welchen Anteil an der Mortalitätsrate machen Maligne Tumore aus? Brockmeyer: Der Anteil maligner Erkrankungen an allen Todesfällen bei HIV-positiven Menschen liegt bei ca. 15–25%. Damit stellen Krebserkrankungen in der Ära der antiretroviralen Therapie die zweithäufigste Todesursache bei HIV-infizierten Patienten in Industrieländern dar. ? Wie wirkt sich die antiretrovirale Therapie auf das Krebsrisiko aus? Gibt es hier einen positiven Effekt? Brockmeyer: Non-Hodgkin-Lymphome und Kaposi Sarkome treten bei unter Therapie stehenden Patienten seltener auf, als bei HIV-positiven Patienten, die keine antiretroviralen Medikamente einnehmen. Von daher kann man in diesem Fall von einem positiven Effekt sprechen. Eine zunehmende Herausforderung, auch bei therapierten HIV-Patienten, stellen jedoch Lymphome und nicht-AIDS-definierende Malignome dar. Allgemein ist die Inzidenz für Tumorerkrankungen bei HIV-positiven Patienten seit Einführung der ART zwar angestiegen, was allerdings darauf zurückzuführen ist, dass durch die hochaktive Therapie viele Patienten ein höheres Lebensalter erreichen und dadurch einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt sind. Anders herum stellt die ART, insbesondere bei therapienaiven Patienten, die zum Beispiel an einem Kaposi Sarkom leiden, eine sehr gute Therapieoption dar. Häufig kann dadurch das Tumorwachstum gestoppt, oder sogar der Tumor vollständig geheilt werden. Auch bei HIV-assoziierten Lymphomen wird der Beginn einer antiretroviralen Therapie empfohlen, da sie sich positiv auf den Verlauf auswirkt. ? Besteht eine besondere klinische Verlaufsform der jeweiligen malignen Erkrankung, wenn sie bei einem HIV-Infizierten auftritt? Brockmeyer: Allgemein lässt sich das nicht sagen. Bezogen auf bestimmte Tumore ist jedoch ein zeitlich beschleunigter Verlauf festzustellen. Zum Beispiel kann es bei einer HIV-negativen Frau durchaus 20–30 Jahre dauern, bis sie auf Grund einer HPVInfektion Gebärmutterhalskrebs entwickelt. Bei HIV-positiven Frauen kann sich der Tumor innerhalb von wenigen Jahren entwickeln. ? Was bedeutet das für die Krebs-Therapie bei HIV-Infizierten? Müssen auf Grund der Immunschwäche hier besondere Gesichtspunkte berücksichtigt werden? Brockmeyer: Das ist auch wieder von der Tumorart abhängig. Kaposi-Sarkome können beispielsweise zunächst alleine durch die ART behandelt werden. Bei vielen anderen Tumoren gelten die gleichen Therapieempfehlungen wie für HIV-negative Patienten, die Therapie unterscheidet sich häufig also nicht. Je nach Krebsart muss sich der Patient einem operativen Eingriff und/oder einer Chemo- oder Strahlentherapie unterziehen. Es gelten auch für HIVPatienten die bei der AWMF von den Fachgesellschaften DDG und DKG publizierten Leitlinien. ? Noch einmal zurück zur Prävention: Welche Maßnahmen halten Sie für richtig und wichtig um die Fallzahl maligner Erkrankungen zu senken? Brockmeyer: Die Inzidenz des HPV-assoziierten Analkarzinoms und seiner Vorstufen steigt dramatisch, sodass Screeningprogramme analog zum Zervixkarzinom benötigt werden. Präventiv sollten zudem alle Jugendlichen gegen HPV geimpft werden. Insbesondere für HIV-positive Menschen ist dieser Impfschutz wichtig. Bei der hohen Prävalenz und Inzidenz an HPV-assoziierten Erkrankungen bei HIV-infizierten halte ich es außerdem für wichtig, auch HPV-negativen HIV-Patienten die Impfung zu empfehlen. Nicht unterschätzt werden sollte zudem der Nutzen der Nikotinentwöhnung. Sowohl die Nikotinkarenz und Verzicht auf Alkohol, als auch die Vermeidung von intensiver Sonneneinstrahlung und ein insgesamt gesunder Lebensstil (Ernährung, Sport) stellen wirksame Präventivmaßnahmen dar. Die Daten des Kompetenznetzes HIV/AIDS zeigen zudem, dass HIV-infizierte vielfach eine sehr niedrige VitaminD-Konzentration aufweisen. In wie weit eine Vitamin-D-Substitution dazu führen könnte, dass die Tumorprävalenz sinkt, müssen Studien zeigen. Auch ob ein früherer Therapiebeginn (oberhalb von 350 CD4-Zellen/μl) einen positiven Effekt auf die Inzidenz von malignen Erkrankungen hat, ist noch nicht bewiesen. ? Wie ausgereift ist der Forschungsstand in Bezug auf HIV und Krebs? Wo sehen Sie hier noch Forschungsbedarf? Brockmeyer: Ich denke hier besteht noch ein großer Forschungsbedarf, zahlreiche Fragen können heute noch nicht hinreichend beantwortet werden. Zum Beispiel fehlen Studien die Aufschluss darüber geben, welche Krebs-Therapieform, und hier insbesondere der Einsatz von Biologicals, am besten kompatibel mit der HIV-Therapie ist. Langzeituntersuchungen sind notwendig, um die Nebenwirkungen und Risiken abschätzen zu können. Mit der Patientenkohorte des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/AIDS zum Beispiel, die deutschlandweit Daten und Biomaterialien von kumulativ 16 000 Patienten erfasst, haben wir heute die Möglichkeit, solche Verläufe auszuwerten und näher erforschen zu können. Lange Zeit fehlten uns derart valide Daten und vor allem auch eine hinreichende Datenmenge, die gesicherte Studienergebnisse überhaupt zulassen. Auch im Bereich der Non-ADM sind noch viele Fragen offen. Doch umso älter unsere Patienten werden, desto häufiger und intensiver werden wir uns mit diesen Tumorarten auseinandersetzen müssen. Das Interview führte Judith Coenenberg, Bochum Literatur 1. Monforte A, Abrams D, Pradier C, et al. The Data Collection on Adverse Events of Anti-HIV Drugs (D:A:D) Study Group. HIV-induced immunodeficiency and mortality from AIDS-defining and nonAIDS-defining malignancies. AIDS 2008; 22; 2143–2153. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. © Schattauer 2011 Anale intraepitheliale Neoplasien Papillomvirus-assoziierte Vorläuferläsionen des Analkarzinoms A. Kreuter1,#; N. H. Brockmeyer1,#; A. Potthoff1,#; D. Georgas1,#; A. Skaletz-Rorowski1,#; U. Wieland2,#; #für das deutsche Kompetenznetz HIV/AIDS; für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum; 2Institut für Virologie, Nationales Referenzzentrum für Papillom- und Polyomaviren, Uniklinik Köln 1Klinik Schlüsselwörter Anale intraepitheliale Neoplasie, Anale Dysplasie, Analkarzinom, HIV-Infektion, Humanes Papillomvirus Zusammenfassung Infektionen mit humanen Papillomviren (HPV) sind häufig bei sexuell aktiven Menschen, in der Mehrzahl der Fälle handelt es sich jedoch um transiente HPV-Infektionen. Bei Immunsuppression, zum Beispiel im Rahmen einer HIV-Infektion, kommt es regelmäßig zu persistierenden Infektionen mit HPV und konsekutiv zu einem deutlich erhöhten Risiko für die Entwicklung von analen intraepithelialen Neoplasien. Besonders davon betroffen sind HIVpositive Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Hochgradige Dysplasien bei HIV-positiven MSM können innerhalb kurzer Zeit in invasive Analkarzinome übergehen. Wie beim Zervixkarzinom besteht auch beim Analkarzinom eine kausale Assoziation zu HPV-Infektionen, insbesondere mit Hochrisikotypen wie HPV16 und HPV18. Von Experten werden für das Analkarzinom Vorsorgeuntersuchungen mittels Analzytologie in Analogie zum PapScreening der Frau vorgeschlagen. Bei pathologischen Befunden in der Analzytologie sollte eine hochauflösenden Anoskopie, und bei klinisch vorhandenen Läsionen sollten therapeutische Maßnahmen erfolgen. Die verschie- Korrespondenzadresse Prof. Dr. Alexander Kreuter Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum Gudrunstraße 56 44791 Bochum Tel.: 02 34 / 5 09 34 39 Fax: 02 34 / 5 09 34 45 E-Mail: [email protected] denen Behandlungsverfahren bei AIN können in ablative (z.B. Elektrokauterisation, Lasertherapie, Infrarot-Koagulation, chirurgische Exzision) und topische (z.B. Imiquimod, Trichloressigsäure, 5-Fluorouracil) Therapien unterteilt werden, bis dato existieren jedoch nur wenige kontrollierte Studien. Analkarzinome werden in Analrandkarzinome und Analkanalkarzinome unterteilt. Diese Einteilung ist wichtig, da hieraus verschiedene Therapieansätze resultieren. Analrandkarzinome früher Stadien werden wie Plattenepithelkarzinome der Haut primär chirurgisch exzidiert, während Analkanalkarzinome mit kombinierter Radiochemotherapie behandelt werden. Aufgrund der in den vergangenen Jahren kontinuierlich zunehmenden Inzidenzen und Prävalenzen sollten im Bereich HIV/AIDS tätige Ärzte alle HIV-infizierten MSM regelmäßig auf das Vorliegen von analen Dysplasien und Analkarzinomen untersuchen. Keywords Anal intraepithelial neoplasia, anal dysplasia, anal carcinoma, HIV-infection, human papillomavirus Summary Human papillomavirus (HPV) infections are frequent in sexually active people, but most of these HPV-infections are transient. Immuno- Anal intraepithelial neoplasia – papillomavirusassociated precursor lesions of anal carcinoma Onkologische Welt 2011; 2: 55–59 suppression, especially in the setting of HIVinfection, is associated with persistent HPVinfections and consecutively leads to a significantly increased risk for anal intraepithelial neoplasia. A particular high-risk group for persistent HPV-infections and anal dysplasia are HIV-positive men who have sex with men (MSM). High-grade anal dysplasia in HIVpositive MSM might progress to invasive cancer within a short period of time. Similar to cervical cancer, anal cancer is causally linked to HPV-infection, particularly to infections with high-risk types such as HPV16 and HPV18. Experts therefore recommend screening examinations for anal cancer including anal cytology similar to Pap-screening in women. In case of abnormal findings in anal cytology, high-resolution anoscopy should be performed, and treatment should be initiated if clinical lesions are present. Treatment modalities for anal dysplasia might be divided into ablative (e.g., electrocautery, laser therapy, infrared-coagulation, and surgical excision) and topical (e.g., imiquimod, trichloroacetic acid, and 5-Fluorouracil) approaches, but so far, only few controlled studies exist. Anal cancer is divided into anal margin carcinoma and anal canal carcinoma. This classification is important because it results in different therapeutic interventions. The treatment of choice for early anal margin carcinoma is surgical excision similar to squamous cell carcinoma of the skin, whereas anal canal carcinoma is treated with combined radiochemotherapy. Facing the continuously increasing incidence and prevalence of anal carcinoma in the last years, physicians working in the field of HIV/AIDS should regularly screen all HIV-positive MSM for the presence of anal dysplasia and anal carcinoma. Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 55 56 A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien Einleitung Humane Papillomviren Humane Papillomviren (HPV) sind unbehüllte, ikosahedrale DNA-Viren, deren Genom etwa 8000 Basenpaare umfasst. HPV infizieren ausschließlich mehrschichtige Plattenepithelien von Haut und Schleimhäuten. Infektionen mit HPV gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen des Menschen. Laut Schätzungen erwerben mehr als 80% aller sexuell aktiven Menschen im Laufe des Lebens eine HPV-Infektion. Bei mehr als 90% der Betroffenen verläuft die Infektion jedoch klinisch inapparent, d.h. charakteristische klinische HPV-assoziierte Läsionen treten nicht auf. In großen Kohortenstudien an immunkompetenten Menschen konnte gezeigt werden, dass eine einmal akquirierte HPV-Infektion vom Immunsystem innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne (etwa 6 bis 18 Monate) wieder eliminiert wird (1). Nur ein sehr geringer Anteil der gesunden Bevölkerung erwirbt persistierende HPV-Infektionen, von denen wiederum nur ein Bruchteil HPV-assoziierte Tumorerkrankungen entwickelt. Abb. 1 Ausgedehnte perianale Dysplasie. Klinisch imponieren überwiegend flache, zum Teil konfluierende bowenoide Papeln und Plaques, die in ihrer Flächenausdehnung fast die gesamte Zirkumferenz der Perianalregion einnehmen. Die Klassifikation der bis zum heutigen Zeitpunkt über 150 komplett charakterisierten HPV-Typen erfolgt in die Genera Alpha-, Beta-, Gamma-, Mu- und Nu, wobei Infektionen mit alpha-HPV-Typen überwiegend im Bereich des Anogenitaltrakts auftreten. In Abhängigkeit von ihrem onkogenen Potenzial werden diese genitalen alpha-HPV-Typen in Niedrigrisiko-Typen, „low-risk HPVs“ (z.B. HPV6, 11, 42, 43, und 44) und Hochrisiko-Typen, „high-risk HPVs“ (z.B. HPV16, 18, 31, 33, 35, 58, und 59) eingeteilt (2). Condylomata acuminata werden in der überwiegenden Anzahl der Fälle durch die low-risk HPV-Typen HPV6 oder HPV11 verursacht, wohingegen high-risk HPV, insbesondere die Typen HPV16 und HPV18, mit der Entstehung von genitoanalen Karzinomen und deren Vorstufen, so genannten intraepithelialen Neoplasien, assoziiert sind. Klassifikation, Diagnostik und Klinik analer intraepithelialer Neoplasien Unter dem histologischen Begriff “anale intraepitheliale Neoplasie (AIN)” werden, in Abb. 2 Ausgedehnte perianale Condylomata acuminata. Klinisch imponieren multiple hyperkeratotische Papeln, die zu einem blumenkohlartigen Knoten konfluiert sind. Anlehnung an die Klassifikation anderer intraepithelialer Neoplasien wie z. B. die der Cervix (cervikale intraepithelaile Neoplasie oder CIN) oder der Vulva (vulväre intraepitheliale Neoplasie oder VIN), potenzielle Vorläuferläsionen des invasiven Analkarzinoms verstanden. Entsprechend der flächenmäßigen Ausdehnung dysplastisch veränderter Zellen im Epithel erfolgt die histopathologische Einteilung der AIN in drei Grade (3): ● AIN1: unteres Drittel des Epithels betroffen ● AIN2: untere Zweidrittel des Epithels betroffen ● AIN3: gesamtes Epithel betroffen Die zytologische Einteilung analer Dysplasien erfolgt anhand der überarbeiteten Bethesda-Klassifikation. Dabei werden folgende Einteilungen vorgenommen (4): ● Normalbefund (n) ● niedriggradige Dysplasie (LSIL; lowgrade squamous intraepithelial lesion) ● hochgradige Dysplasie (HSIL; high-grade squamous intraepithelial lesion) ● ASCUS (atypical squamous cells of undetermined significance) ● ASC-H (atypical squamous cells, cannot exclude HSIL). Hierbei entspricht zytologisch LSIL histopathologisch der AIN1 und HSIL der AIN2–3. Während AIN1 als niedriggradige Dysplasie mit Tendenz zur Spontanregression bei der Tumorprogression vermutlich keine wesentliche Rolle spielt, sind hochgradige anale Dysplasien (AIN2–3) als potenzielle Vorläuferläsionen des invasiven Analkarzinoms anzusehen (5). In der internationalen Literatur werden anale Condylomata acuminata oftmals auch mit niedriggradiger Dysplasie (AIN1) gleichgesetzt (6). Von führenden Experten wird die hochauflösende Anoskopie (high-resolution anoscopy, HRA) als Untersuchungsverfahren der ersten Wahl bei zytologisch auffälligem Analbefund empfohlen. Hierbei wird vor der HRA eine in 3%iger Essigsäure getränkte Kompresse in den Analkanal eingeführt und dort für einige Minuten belassen. Im Anschluss daran wird ein konventionelles Anoskop in den Analkanal eingeführt. Mit Hilfe eines Koloskops kann darauf hin Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien die gesamte Zirkumferenz des distalen Rektums, die Transformationszone (Linea dentata) als häufigste Lokalisation analer Dysplasien, der Analkanal und die Perianalregion in bis zu 30-facher Vergrößerung untersucht werden. Neben 3%iger Essigsäure kann Lugol`sche Lösung (Jodprobe) zur besseren Darstellung intraanaler Dysplasien angewendet werden. Im Perianalbereich können dysplastische Veränderungen klinisch als schuppende, hyperkeratotische, weißliche, erythematöse, ekzematöse, papillomatöse, papulöse, pigmentierte oder fissurierte Plaques imponieren (씰Abb. 1). Im Gegensatz dazu imponieren perianale Condylome je nach Ausprägung und Krankheitsdauer als kleine spitzköpfige Papeln oder zu großen Beeten konfluierende, zerklüftete, hahnenkammartige Plaques und Knoten (씰Abb. 2) (7). Intraanale Dysplasien sind im mehr als 75% der Fälle im Bereich der Linea dentata lokalisiert und imponieren klinisch als unterschiedlich stark keratinisierte, oftmals unscharf begrenzte Plaques. Typische vaskuläre Veränderungen, die mittels HRA sichtbar sind, werden in der englischen Literatur als „punctation“ und „mosaicism“ bezeichnet. Gefäßneubildungen mit Kaliberschwankungen und Gefäßabbrüchen sind immer verdächtig für das Vorliegen einer Dysplasie bzw. eines bereits invasiven Wachstums und müssen weitere diagnostische Schritte (HRA-gesteuerte Biopsie) nach sich ziehen. Charakteristisch für intraanale Condylome sind die in der HRA deutlich zu erkennenden terminalen Kapillaren (씰Abb. 3) (5, 9). Therapie analer intraepithelialer Neoplasien Abb. 3 Intraanale Condylomata acuminata in der hochaufösenden Anoskopie bei einem HIV-positiven Mann. Die auf der Abbildung erkennbaren terminalen Kapillaren sind charakteristisch für benigne HPV-assoziierte Veränderungen, wohingegen Gefäßabbrüche, Kaliberschwankungen oder Neovaskularisation bei analen Dysplasien oder Analkarzinomen vorkommen. Invasive/ablative Therapie In zwei Studien zur chirurgischen Exzision analer Dysplasien zeigten sich sowohl hohe Rezidivraten bei HIV-positiven (79% Rezidive) und HIV-negativen (45% Rezidive) Männern als auch hohe Raten an postoperativen Nebenwirkungen (z.B. Schmerzen und Nachblutungen) (10, 11). Eine kürzlich veröffentliche retrospektive Auswertung zur HRA-gesteuerten chirurgischen Tab. 1 Häufig verwendete Therapien bei analen intraepithelialen Neoplasien. Invasiv/ablativ Chirurgische Exzision Bisher existieren nur wenige gute kontrollierte Studien zur Behandlung analer Dysplasien, die Zahl unkontrollierter Pilotstudien nimmt jedoch in den vergangenen Jahren stetig zu. Generell werden ähnliche Behandlungsverfahren wie zur CondylomTherapie eingesetzt, die grob in invasive/ ablative und topische Verfahren eingeteilt werden können (씰Tab. 1). Elektrokaustische Abtragung Kryochirurgie Infrarotkoagulation Laserablation (z.B. CO2-Laser oder ArgonPlasma-Beamer) Topisch 5% Imiquimod Podophyllotoxin 5-Fluorouracil 85% Trichloressigsäure Abtragung analer Dysplasien erbrachte jedoch deutlich bessere Abheilungsraten nach Therapie (nur 18,7% hatten persisitierende Läsionen). Jedoch zeigten sich auch hier häufig Rezidive (57%) (12). In unserem Zentrum an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum hat weiterhin die elektrokaustische Abtragung intraanaler und perianaler HPV-assoziierter Läsionen einen hohen Stellenwert. Hierbei ist auf oberflächliche Abtragung der Veränderungen zu achten, um postoperative Vernarbungen oder Stenosen zu verhindern. Von führenden amerikanischen Arbeitsgruppen wird zunehmend über die Infrarot-Koagulation bei analer Dysplasie, einem Verfahren zur Behandlung von Hämorrhoiden im Stadium II, berichtet. Es konnte gezeigt werden, dass nach drei ambulanten Behandlungen bei 100% aller HIV-negativen und bei 60% aller HIV-positiven Männer eine komplette Abheilung analer Dysplasien erreicht werden konnte, wobei jedoch 65% der HIV-positiven Männer im Nachuntersuchungszeitraum (Median von 18 Monaten) wieder neue/persistierende Läsionen zeigten (13, 14). In einer kürzlich veröffentlichten Studie zur Infrarot-Koagulation bei HIV-positiven Männern und Frauen mit analer Dysplasie wurde eine komplette Abheilung der AIN in 62,5% und Rezidive in 37,5% aller Fälle beobachtet (15). Es zeigte sich hierbei jedoch keine Änderung der läsionalen HPV-Viruslasten vor und nach Infrarot-Koagulation. Eine weitere Behandlungsoption bei analen Dysplasien ist die Lasertherapie. In unserem Zentrum wird insbesondere bei umschriebenen perianalen Läsionen erfolgreich die Argon-Plasma-Therapie eingesetzt, Publikation zu diesem Verfahren existieren jedoch bisher noch nicht. In einer Studie zur Dioden-Lasertherapie konnte bei 63% von 141 Patienten mit analen Dysplasien nach 12 Monaten eine komplette Abheilung erzielt werden (16). Eine höhere Remissionsrate von 83% wurde hingegen für die CO2-Lasertherapie bei Condylomen und analen Dysplasien (25% hatten hochgradige Dysplasien) beschrieben (17). Im Gegensatz dazu scheint die photodynamische Therapie keinen klinischen Benefit bei analer Dysplasie zu bringen (18). © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 57 58 A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien Tab. 2 TNM-Klassifikation des Analkarzinoms* Primärtumor (T) Regionale Lymphknoten (N) Fernmetastasen (M) TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden T0 Kein Anhalt für Primärtumor Tis Carcinoma in situ T1 Tumor kleiner als 2 cm im Durchmesser T2 Tumor größer als 2 cm, aber kleiner als 5 cm im Durchmesser T3 Tumor größer als 5 cm im Durchmesser T4 Tumor jeder Größe mit Infiltration benachbarter Organe (außer Sphinkter) NX Lymphknoten können nicht beurteilt werden N0 Kein Anhalt für Lymphknotenmetastasen N1 Lymphknotenmetastasen der perirektalen Lymphknoten N2 Lymphknoten unilateral iliakal oder inguinal N3 Lymphknoten bilateral perirektal, inguinal oder iliakal MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden M0 Keine Fernmetastasen *nach: American Joint Committee on Cancer. AJCC cancer staging manual. 5th ed. Philadelphia: Lippincott-Raven Publishers, 1997. Topische Therapie Auch in der topischen Therapie analer Dysplasien wird auf Behandlungsansätze für Condylomata acuminata zurückgegriffen. Umschriebene kleine perianale Condylome und anale Dysplasien können mit Podophyllotoxin behandelt werden, es existieren jedoch keine Studien zum Einsatz von Podophyllotoxin bei analer Dysplasie. Im Gegensatz dazu hat sich der topische Immunmodulator Imiquimod in mehreren Studien als effektive Behandlungsoption bei analen Dysplasien erwiesen (19–21). Dies trifft auch für Condylomata acuminata bei HIV-infizierten Patienten zu (22). Bei intraanaler Lokalisation können Imiquimod-haltige Suppositorien eingesetzt werden (23, 24). In einer kürzlich publizierten retrospektiven Studie zur Anwendung von 85%-iger Trichloressigsäure bei 35 HIV-positiven und 19 HIV-negativen Männern konnte gezeigt werden, dass 73% aller AIN1-Läsionen und 71% aller AIN 2/3-Läsionen unter dieser Therapie abheilten (25). Eine aktuelle prospektive Studie unserer Arbeitsgruppe zur Behandlung intraanaler Dysplasien mit 5-Fluoruracil zeigte ein vergleichbares Ansprechen, jedoch zum Teil stärkere Nebenwirkungen (insbesondere Proktitis) und hohe Rezidivraten (26). Analkarzinom – Einteilung, Klinik und Diagnostik Analkarzinome werden in Analrand- und Analkanalkarzinome eingeteilt. Als Analrand wird ein etwa 5 cm breites Hautareal distal der Linea anocutanea bezeichnet. Der Analkanal reicht kranial bis zum Oberrand des M. puborectalis und kaudal bis zur Linea anocutanea. Analrandkarzinome sind dementsprechend perianal lokalisiert und haben keinen Kontakt zur Linea dentata, wohingegen Analkanalkarzinome, die mehr als 80% aller analen Malignome ausmachen, fast immer von der Transformationszone ausgehen. Die Einteilung in Analrandkarzinom und Analkanalkarzinom ist essentiell, da daraus unterschiedliche Therapieansätze resultieren. Die TNM-Klassifikation des Analkarzinoms ist in 씰Tabelle 2 dargestellt. Analrandkarzinome imponieren meist als umschriebene derbe Tumorknoten, flächige Ulzerationen oder ekzematöse Plaques und sind in der Regel durch einfache Inspektion der Perianalregion erkennbar. Im Gegensatz dazu äußert sich das Analkanalkarzinom oftmals durch unspezifische Symptome wie Juckreiz, perianale Blutungen und Nässen. Bei Infiltration der Sphinktermuskulatur kann es zu Schmerzen und Kontinenzstörungen kommen. Wichtigste klinische Untersuchung bei Verdacht auf Analkanalkarzinom ist die digitale rektale Untersuchung. Nach histologischer Diagnosesicherung sind eine weiterführende Ausbreitungsdiagnostik mit Röntgen-Thorax, Sonographie des Abdomens und der inguinalen Lymphknoten sowie ein MRT des Beckens angezeigt. Therapie des Analkarzinoms Analrandkarzinome, insbesondere frühe Stadien, werden wie Plattenepithelkarzinome der Haut primär exzidiert. Die Prognose ist mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von mehr als 80% gut (27). Therapie der Wahl des Analkanalkarzinoms ist die kombinierte Radiochemotherapie. Die verwendeten Zytostatika sind hierbei 5-Fluorouracil und Mitomycin. In einer kürzlich veröffentlichten Multicenterstudie konnte keine Verlängerung des Überlebens durch den Einsatz von Cisplatin an Stelle von Mitomycin gezeigt werden (28). Die Prognose des Analkanalkarzinoms hängt entscheidend vom Stadium der Erkrankung ab, und die 5-Jahres-Überlebensraten bei lokalem, regionalem und viszeralem Befall liegen bei 78%, 56%, und 18% (29). Das Ansprechen von HIV-negativen und HIV-positiven Patienten auf die kombinierte Radiochemotherapie beim Analkanalkarzinom unterscheidet sich nicht (96% versus 92%), und auch die Gesamtüberlebensraten sind vergleichbar (65% versus 61%). HIV-Positive haben jedoch deutlich schwerere Nebenwirkungen, insbesondere akute toxische Hautschäden durch die Radiatio, frühere Rezidive und damit verbunden höhere Raten an abdominoperianalen Rektumamputationen (30). Unsere Arbeitsgruppe hat anhand einer Studie im Kompetenznetz HIV/AIDS kürzlich gezeigt, dass sich Analrand- und Analkanalkarzinome HIV-positiver Männer sowohl in ihrer Prognose als auch in ihrem Ansprechen auf die jeweilige Therapie deutlich unterscheiden, wobei Analkanalkarzinome in der Mehrzahl der Fälle nicht mit einem langfristigem Überleben verbunden waren (31). Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. A. Kreuter et al.: Anale intraepitheliale Neoplasien Fazit für die Praxis HPV-Infektionen sind bei sexuell aktiven Menschen häufig. Während immunkompetente Personen in der Regel transiente HPV-Infektionen aufweisen, führt Immunsuppression, insbesondere bei HIV-Infektion, zu persistierenden HPV-Infektionen und konsekutiv zu hohen Inzidenzen und Prävalenzen HPV-assoziierter Hautveränderungen. Von führenden Experten wird bei Hochrisikopatienten (insbesondere HIV-positiven Männern) zur Diagnose analer Dysplasien die Analzytologie, und bei abnormalem zytologischen Befund die hochauflösende Anoskopie empfohlen. Die Therapiestrategien bei analen Dysplasien sind zum Teil identisch mit den Behandlungsverfahren bei analen Condylomata acuminata, kontrollierte randomisierte Studien, die eine Basis für Therapieleitlinien darstellen könnten, fehlen bis dato jedoch noch. Danksagung Ein Teil der an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der RuhrUniversität Bochum und des Instituts für Virologie, Nationales Referenzzentrum für Papillom- und Polyomaviren, Uniklinik Köln durchgeführten Studien wurden im Rahmen des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/AIDS ermöglicht, Förderkennzeichen 01KI0501. Literatur 1. Ho GY et al. Natural history of cervicovaginal papillomavirus infection in young women. N Engl J Med 1998; 338: 423–428. 2. de Villiers EM et al. 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Brockmeyer1,#; #für das Kompetenznetz HIV/AIDS; für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, St. Josef Hospital, Ruhr-Universität Bochum 1Klinik Schlüsselwörter Keywords HIV, Tumor, Kaposi Sarkom, Analkarzinom HIV, tumour, Kaposi´s sarcoma, anal cancer Zusammenfassung Summary Tumore sind die zweithäufigste Todesursache von HIV-Patienten. Die Prävalenz von Tumorerkrankungen liegt in der nationalen Kohorte des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/ AIDS bei 8,9%. Das Kaposi-Sarkom ist mit 349 Fällen der am häufigsten dokumentierte Tumor. HHV-8 assoziierte Tumore (z. B. das Kaposi-Sarkom) werden durch molekulare Mimikry vermittelt. Die Optimierung der HIV-Therapie bleibt die wichtigste therapeutische Maßnahme. Chemotherapeutika werden bei den verschiedenen Tumorentitäten mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt. Während die Inzidenz des Kaposi-Sarkoms und der Non-HodgkinLymphome nach Einführung der antiretroviralen Therapie deutlich abgenommen hat, nehmen nicht AIDS-definierende Tumore zu. Der häufigste nicht-AIDS definierende Tumor im Kompetenznetz ist das Analkarzinom mit 192 Fällen. HPV-Infektionen und Rauchen sind hierbei wichtige Risikofaktoren. Eine maximale Virussuppression, ein früher Beginn der antiretroviralen Therapie, Impfungen (gegen Hepatitis und HPV) und Screeningmaßnahmen (z. B. Proktoskopien) können Tumoren vorbeugen. Tumours are the second most common cause of death in HIV patients. In the national cohort of the BMBF-funded German Competence Network for HIV/AIDS the prevalence of tumours is 8,9%. Kaposi´s sarcoma is the most common tumour with 349 documented cases. HHV-8 associated tumours (e.g. Kaposi´s sarcoma) are mediated through molecular mimicry. Optimization of HIV therapy is one of the most important therapeutic procedures. Chemotherapy is employed with variable success. While the incidence of Kaposi´s sarcoma and Non-Hodgkin´s Lymphoma are decreasing, the number of non-AIDS-defining tumours is increasing. The most common nonAIDS-defining tumour in the Competence Network for HIV/AIDS (KompNet) is anal cancer (192 cases). HPV infection and smoking are important risk factors. Maximal viral suppression, early start of antiretroviral therapy, vaccination (against hepatitis and HPV) and screening (e.g. proctoscopy) can help to prevent tumours. Korrespondenzadresse Dr. Anja Potthoff St. Josef Hospital Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum Interdisziplinäre Immunologische Ambulanz Gudrunstr. 56 44791 Bochum Tel.: 02 34 / 5 09 34 73 Fax.: 02 34 / 5 09 23 39 E-Mail: [email protected] Einleitung Mit der Einführung der antiretroviralen Therapie hat sich die Lebenserwartung von HIV-Infizierten dramatisch erhöht (1). Cancer and HIV-infections Onkologische Welt 2011; 2: 60–62 Dennoch stirbt weiterhin ein Drittel der HIV Patienten an AIDS. Bei vielen wird die HIV-Infektion erst in diesem Stadium festgestellt (11). Eine frühere Diagnose und damit auch die Möglichkeit zur früheren Therapie sind daher erstrebenswert. Als Markererkrankungen gelten Infektionen wie Herpes zoster, Mollusken bei Erwachsenen, Mundsoor und eine orale Haarleukoplakie, aber auch ein neu aufgetretenes seborrhoisches Ekzem. Hämatologische Hinweise können eine Thrombopenie, eine Anämie und eine Lymphopenie sein. Selbstverständlich sollte bei allen sexuell übertragbaren Erkrankungen, einschließlich Condylomen, ein HIV-Test angeboten werden (7). Tumore sind die zweithäufigste Todesursache bei HIV-Patienten. Hierbei fällt auf, dass die Fallzahlen von Kaposi Sarkom und der Non-Hodgkin Lymphome bei mit antiretroviraler Kombinationstherapie (ART) behandelten Patienten insgesamt zurückgehen, während Nicht-AIDS-definierende Tumore bei diesem Patientenkollektiv zunehmen. Viele dieser Tumore sind mit Infektionen wie EBV, Hepatitis B und C und allen voran HPV assoziiert (씰Tab. 1). Tumore in der Patientenkohorte des Kompetenznetzes HIV/AIDS In der Patientenkohorte des BMBF-geförderten Kompetenznetzes HIV/AIDS an der Ruhr-Universität Bochum sind Daten von aktuell mehr als 9000 HIV-Infizierten aus 25 Zentren dokumentiert (www.kompetenznetz-hiv.de). Bei 838 von 9393 auswertbaren Patienten wurden Tumorerkrankungen nach der HIV-Infektion diagnostiziert. Damit lag die Prävalenz in dieser Kohorte bei 8,9% (13). Das mittlere Alter der Tumorerkrankten lag bei 43,4 Jahren, 91,4% waren Männer (85,9% in der Gesamtkohorte). 68,1% der Patienten mit malignen Erkrankungen waren Raucher oder Ex-Raucher. Besonders interessant ist das Datum der Tumordiagnose zu betrachten. Die ersten Erkrankungen wurden 1987 dokumentiert. Nach Einführung der antiretroviralen Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. A. Potthoff et al.: Krebs und HIV-Infektion HHV-8 assoziierte Tumore Bisher wurden im Wesentlichen das Kaposi Sarkom, das Primary effusion Lymphom und der M. Castleman als HHV-8 assoziierte Tumore beschrieben. Männer erkranken häufiger als Frauen. Die Tumorgenese wird durch molekulare Mimikry vermittelt (씰Tab. 2). Die Zellproliferation wird über Ausschüttung von IL6, Angiogeneseinduktion und antiapoptotische Effekte begünstigt (16). Die Inzidenz des Kaposi-Sarkoms ist durch die Einführung der ART um das Infektions-assoziierte Tumore bei HIV-Infizierten (modifiziert nach [10]) Abb. 1 Dokumentation einer Tumorerstdiagnose nach der HIV-Diagnose im Kompetenznetz HIV/AIDS (13) (x-Achse: Jahr, y-Achse: Anzahl der Tumorpatienten) Pathogen Tumortyp Standardisierte Inzidenzverhältnisse (SIR) EBV Hodgkin Lymphom 11,0 HPV Anal 28,8 Penis 4,42 Vulva oder Vagina 6,45 Mundboden- und Rachen 2,32 Hepatitis B/C Leber 5,22 Helicobacter pylori Gastrointestinal 1,9 120 100 80 60 40 20 0 1987 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Tab. 1 Anzahl der Tumorpatienten Therapie und besserer Strategien zum Management von opportunistischen Infektionen, zeigte sich zunächst ein deutlicher Anstieg der Tumordiagnosen (씰Abb. 1). Dieser Trend scheint seit 2006 rückläufig zu sein. Mögliche Ursachen sind die weiter verbesserten Therapiemöglichkeiten, die auch bei stark vorbehandelten Patienten eine maximale Virussuppression erlauben. Zudem erscheint ein früherer Beginn der antiretroviralen Therapie sich günstig auszuwirken. Die gesteigerte Sensibilisierung für Tumorerkrankungen hat zu Verbesserungen der Vorsorgestrategien z. B. jährlichen Proktoskopien und Hautkrebsscreening geführt. In der Kompetenznetzkohorte ist das Kaposi-Sarkom weiterhin der häufigste Tumor mit 349 Fällen (41,6% aller dokumentierter Tumore). Die Inzidenz betrug 3,7% in der Gesamtkohorte. Lymphome (ohne Hodgkin-Lymphome) sind die zweithäufigsten Tumorerkrankungen mit 21,7% der dokumentierten Tumore. Der dritte AIDSdefinierende Tumor, das Zervixkarzinom, spielt in dieser Kohorte nur eine untergeordnete Rolle (2 Fälle, 0,3%). Dies kann zum einem am effektivem Screening auf zervikale Dysplasien liegen, reflektiert aber auch den geringen Anteil und das jüngere Alter der Frauen in der Kompetenznetzkohorte. Der dritthäufigste Tumor und gleichzeitig der häufigste Nicht-AIDS-definierende Tumor ist das Analkarzinom mit 192 Fällen (12,1%). Bronchialkarzinome machten 2,5% der Tumorfälle aus, Hodentumore und Mammakarzinom jeweils 1,2%, die übrigen Tumorentitäten kamen bei weniger als 9 (<1%) Patienten vor. Jahr Tab. 2 HHV 8 assoziierte Molekulare Mimikry beim Kaposi Sarkom (modifiziert nach [5]) (ORF: open reading frame) Virales Homolog Zelluläres Homolog Funktion ORF K1 Ig λ Leichtkette Fibroblastentransformation ORF K2 (vIL6) IL6 Zellproliferation ORFs vMIPs (K4, K4.1, K6) MIP Iα, Iβ, II Angiogeneseinduktion, Inihibition der Monozytenchemotaxis ORF 16 (vBCL-2) Bcl-2 Anti-Apoptose ORF K9 (vIRF) IRF-2 Negative Regulation von Interferon-mediierten Signalen ORF K13/ORF 71 DEDs Antiapoptose ORF 72 (vCyclin) Cyclin D2 Zellzykluskontrolle, Transformationsfähigkeit sechsfache gesunken. Dennoch mehren sich Fallbeschreibungen von HIV-Patienten mit einer HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze im Serum und CD4 >300/μl, die an einem Kaposi-Sarkom erkranken (12). Der Verlauf entspricht in diesen Fällen oft dem klassischen Kaposi-Sarkom und es kommt nur selten zur Organmanifestation. Therapeutisch sollte, wenn möglich, die HIV-Therapie optimiert werden. Indikationen zur Einleitung einer systemischen Therapie sind Organmanifestation, Schmerzen und großflächige, entstellende © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 61 62 A. Potthoff et al.: Krebs und HIV-Infektion Tumore. Interferon ist nur bei >200/μl CD4-Zellen wirksam. Liposomales Doxorubicin (20–40mg/m² alle 2–4 Wochen) führt zu Remissionsraten von 60–80%. Paclitaxel zeigt ähnliche Ansprechraten bei etwas höherer Toxizität (6). Beim Therapieversagen wurde in kleinen Studien Paclitaxel erfolgreich eingesetzt (4). Polychemotherapien sind als Ultimo ratio anzusehen. Das Vorliegen eines Kaposi-Sarkoms kann ein wichtiger Hinweis zu Diagnose eines M. Castleman sein. Zu 65% treten beide Entitäten im gleichen Lymphknoten auf. Es handelt sich beim M. Castleman um eine aggressive lymphoproliferative Erkrankung, die sich klinisch durch B-Symptomatik, Anämie und Lymphadenopathie zeigt. CRP, HHV-8-Viruslast und IL-6-Spiegel korrelieren mit der Krankheitsaktivität und dem Therapieansprechen. Eine Standardtherapie besteht nicht, erfolgreiche Fallberichte wurden mit CHOP, ABV und Rituximab beschrieben. Zum Teil wurde auch eine Erhaltungstherapie mit Monotherapien, z.B. mit Etoposid, Cyclophosphamid und Vinblastin bzw. Interferon, durchgeführt (2). Weniger als 2% der HIV-assoziierten Lymphome sind Primary effusion Lymphome. Eine sichtbare Tumormasse fehlt meistens, sodass die malignen Zellen nur in Körperhöhlen wie Pleura- oder PerikardSpalt oder peritoneal zu finden sind. Der Histologe muss auf den Verdacht eines PEL hingewiesen werden. Die Zellen exprimieren CD 45, CD 30, CD 38, CD 138 und MUM 1. Das Ansprechen auf CHOP ist meist schlecht (14). Therapien mit Foscavir oder Cidofovir sind experimentell. Unter einer kombinierten Chemotherapie mit Hochdosis-Methotrexat wurde bei 3/7 Patienten eine Vollremission erzielt (3). Andererseits gibt es Berichte, in denen auch intensive Therapien erfolglos waren (17). In Einzelfällen wurde Bortezomib erfolgreich eingesetzt (14) HPV assoziierte Tumore HPV 16 und 18 werden in 70% der Zervix-, Vulvar-, und Vaginalkarzinome gefunden. Diese Erkenntnis hat zur Empfehlung der HPV-Impfung von Mädchen geführt. Hochrisiko HPV-Typen sind auch für 50% der Peniskarzinome und 85% der Analkarzinome verantwortlich. Auch bei 35% der Oropharyngealen Karzinome werden HPV-Infektionen primär ursächlich gesehen (9). Neue Studien belegen, dass die Impfung auch bei Männern wirksam ist. Hochrechnungen zeigen, dass durch eine zusätzliche Impfung von Männern Erkrankungen von Männern z.B. an Condylomen und Kopf-/Halstumoren verhindert werden können. Zusätzlich kann die Inzidenz und Mortalität auch bei den gynäkologischen Tumoren weiter reduziert werden (8). Die Sicherheit der quadrivalenten HPV-Vakzine konnte auch bei HIV-infizierten Männern gezeigt werden (18). Bis Studiendaten zur Effektivität in diesem Kollektiv vorliegen, bleibt die Früherkennung von Dysplasien die beste Option. Literatur 1. Antiretroviral Therapy Cohort Collaboration. Life. Life expectancy of individuals on combination antiretroviral therapy in high-income countries: a collaborative analysis of 14 cohort studies. Lancet 2008; 372(9635): 293–299. 2. Bower M How I treat HIV-associated multicentric Castleman disease. Blood 2010; 116(22): 4415–4421. 3. Boulanger E, Daniel MT, Agbalika F, Oksenhendler E. Combined chemotherapy including high-dose methotrexate in KSHV/HHV8-associated primary effusion lymphoma. Am J Hematol 2003; 73: 143–148. 4. Cheung MC, Pantanowitz L, Dezube BJ. AIDS-related malignancies: emerging challenges in the era of highly active antiretroviral therapy. Oncologist 2005; 10(6): 412–426. 5. Choi J, Means RE, Damania B, Jung JU. 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Germing Klinik für Hämatologie, Onkologie und klinische Immunologie, Universitätsklinikum Düsseldorf Schlüsselwörter MDS, myeloblastisches Syndrom, epigenetische Therapie, 5-Azacytidin, Decitabin Zusammenfassung Patienten mit einem prognostisch ungünstigen myelodysplastischen Syndrom (MDS) leiden unter den Folgen ihrer Knochenmarksinsuffizienz (Anämie, Thrombozytopenie, Granulozytopenie) und entwickeln relativ häufig eine akute myeloische Leukämie. Bei einer kleinen Minderheit dieser Patienten kann versucht werden, durch allogene Transplantation hämatopoetischer Stammzellen eine Heilung zu erreichen. Einige Patienten mit fortgeschrittenem MDS können auch von einer intensiven antileukämischen Chemotherapie profitieren, falls ihr Allgemeinzustand die Durchführung einer solchen Behandlung erlaubt und keine ungünstigen Chromosomenanomalien vorliegen, die einen Therapieerfolg unwahrscheinlich machen. Für viele Patienten kommt jedoch weder eine allogene Transplantation noch eine intensive Chemotherapie in Frage. Statt dessen kann eine epigenetische Therapie versucht werden. Mit der demethylierenden Substanz 5-Azacytidin konnte in zwei großen Studien bei Patienten mit fortgeschrittenem MDS eine signifikante Verlängerung des Überlebens Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Norbert Gattermann Medizinische Klinik, Hämatologie, Onkologie und Immunologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Tel.: 02 11 / 8 11 65 00, –77 20 E-Mail: [email protected] Einleitung Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind klonale Knochenmarkserkrankungen, die von einer pluripotenten hämatopoetischen Stammzelle ausgehen. Der dominante ereicht werden. 5-Azacytidin (Vidaza®) ist seit 2009 in der EU zur Behandlung von MDS-Patienten mit ungünstiger Risikokonstellation zugelassen. Für die Schwestersubstanz Decitabin sind hämatologische Besserungen, aber noch keine signifikante Lebensverlängerung dokumentiert. Eine andere Art der epigenetischen Therapie, nämlich der Einsatz von Histondeacetylase-Inhibitoren (HDACi), kann bei Niedrigrisiko-MDS hämatologische Besserungen erreichen, scheint jedoch für die Behandlung von Patienten mit Hochrisiko-MDS nicht ausreichend wirksam zu sein. Patienten, deren Knochenmarkszellen bei der zytogenetischen Untersuchung eine 5q-Anomalie aufweisen, sollten möglichst einen Therapieversuch mit Lenalidomid unternehmen, welches allerdings in Deutschland für die MDS-Behandlung bisher nur im Rahmen klinischer Studien zur Verfügung steht. Keywords MDS, myelodysplastic syndrome, epigenetic therapy, 5-Azacytidine, Decitabine Summary Patients with a higher-risk myelodysplastic syndrome (MDS) suffer from the consequences of Treatment for patients with high-risk myelodysplastic syndromes Onkologische Welt 2011; 2: 63–71 their bone marrow failure (anemia, thrombocytopenie, neutropenia) and frequently develop disease progression to acute myeloid leukemia. In a small minority, cure can be attempted by allogeneic hematopoietic stem cell transplantation (alloSCT). Patients may also benefit from intensive induction chemotherapy, provided that they are in good general condition and their bone marrow cells do not show an unfavourable karyotype on cytogenetic analysis. Many patients are ineligible for alloSCT or intensive chemotherapy. For these patients, epigenetic therapy is an alternative. Two large clinical trials showed a significant survival benefit for patients with higher-risk MDS treated with the demethylating agent 5-Azacytidine (Vidaza®) which has been licensed in the EU in 2009 for the treatment of such patients. A closely related substance, Decitabine, also achieves hematologic improvement and remissions, but failed to provide a significant survival benefit in a phase III trial. Inhibitors of histone deacetylases (HDAC inhibitors) can also be used for epigenetic treatment. They can produce marked clinical benefit in a proportion of patients with lower-risk MDS, but their effect is apparently not strong enough for successful treatment of higher-risk MDS. Patients whose bone marrow cells show a 5q-anomaly should be considered candidates for a trial of lenalidomide which, however, is not yet licensed for MDS treatment in Europe. * Dieser Beitrag erscheint parallel in: Klinische Onkologie 2011/2012, Düsseldorf University Press GmbH MDS-Zellklon, der die normale Hämatopoese verdrängt, hat zwar auf Stammzellebene einen Wachstumsvorteil, bringt jedoch hämatopoetische Zellen hervor, deren Ausreifung gestört ist. Diese Reifungsstörung ist mit gesteigerter Apoptoseneigung verbunden, sodass ein großer Teil der heranreifenden Zellen vorzeitig im Knochenmark zugrunde geht. Hieraus resultieren Anämie, Neutropenie und Thrombozytopenie mit entsprechenOnkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 63 N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS tragen, dass eine Zytostatika-Behandlung bei Patienten mit Hoch-Risiko-MDS wenig erfolgreich ist. Bislang gibt es keine Medikamente, mit denen sich myelodysplastische Syndrome heilen lassen; kuratives Potenzial hat nur die allogene Transplantation hämatopoetischer Stammzellen. Wegen fortgeschrittenen Alters oder ungünstiger Begleiterkrankungen kommen die meisten MDS-Patienten jedoch nicht für eine alloSCT in Frage. In der Vergangenheit beschränkte sich die Behandlung daher hauptsächlich auf supportive Maßnahmen, d. h. Transfusion von Erythrozyten- und/oder Thrombozytenkonzentraten sowie Einsatz von Antibiotika bei Infektionen. Inzwischen existieren jedoch mehrere Substanzen, die sich bei MDS günstig auf die Produktion reifer Blutzellen auswirken. Zumindest eines dieser Medikamente ist auch in der Lage, bei Patienten, deren Risikofaktoren eine schlechte Prognose verheißen, die Wahrscheinlichkeit der leukämischen Transformation signifikant zu senken und die 2-Jahres-Überlebensrate zu verdoppeln. Gesamtüberleben (%) den klinischen Symptomen. Bei etwa 15% der Patienten entwickelt sich aus dem MDS eine akute myeloische Leukämie (1). Die erworbenen genetischen Defekte, die zu einem MDS führen und später dessen klonale Evolution vorantreiben, sind erst teilweise bekannt. Während bei Niedrig-Risiko-MDS die ineffektive Hämatopoese im Vordergrund steht, zeigt bei Patienten mit Hoch-RisikoMDS der erhöhte Blastenanteil im Knochenmark an, dass hier eine Differenzierungsstörung vorliegt, die sich bei einem Teil der Patienten zu einer weitgehenden Differenzierungsblockade mit klinischer Transformation in eine akute myeloische Leukämie weiterentwickelt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die gesteigerte Apoptoseaktivität, die bei Niedrig-RisikoMDS für die ineffektive Hämatopoese verantwortlich ist, bei Hoch-Risiko-MDS in den unreifen blastären Zellen nicht zu finden ist. Hier ist es durch chromosomale Aberrationen oder Punktmutationen offenbar dazu gekommen, dass die reifungsblockierten Vorläuferzellen die Fähigkeit verloren haben, den programmierten Zelltod herbeizuführen. Dies dürfte dazu bei- 100 Gesamtüberleben (%) 64 100 Nicht transplantiert (n = 184) 75 50 Low Int-2 25 0 Int-1 High 0 25 50 75 100 125 150 175 200 225 Monate 75 Low 50 25 0 High 0 25 50 75 Transplantiert (n = 260) nur BMT und HLA-identische Zwillinge Int-2 Int-1 100 125 150 175 200 225 Monate Abb. 1 Der Einfluss einer frühzeitigen allogenen Stammzelltransplantation auf das Überleben von MDS-Patienten in Abhängigkeit von deren Zugehörigkeit zu verschiedenen Risikogruppen gemäß IPSS (International Prognostic Scoring System). Low: Niedrigrisiko-MDS, Int-1: Intermediär-1, Int-2: Intermediär-2, High: Hochrisiko-MDS. Von einer frühzeitigen Transplantation profitieren die Patienten der Risikogruppen High und Int-2, während sich bei Patienten der Risikogruppe Low und Int-1 die Prognose durch transplanationsbedingte Komplikationen sogar verschlechtern kann. Allogene Stammzelltransplantation Die Chance eines krankheitsfreien Überlebens 5 Jahre nach allogener Stammzelltransplantation liegt bei 40–50%. Der Erfolg ist nicht nur abhängig von der Biologie der zugrundeliegenden Knochenmarkerkrankung, sondern auch vom Alter des Patienten und seinen Begleiterkrankungen. Als Transplantationskandidaten kommen vor allem MDS-Patienten in Frage, die einerseits ein hohes Risiko aufweisen, an einer akuten Leukämie zu versterben, andererseits aber vergleichsweise jung sind und sich in gutem Allgemeinzustand befinden. Das Patientenalter und der Blastenanteil im Knochenmark sind die beiden wichtigsten Prognosefaktoren für krankheitsfreies Überleben nach Transplantation. Die Prognose verschlechtert sich bereits bei Patienten, die älter als 45 Jahre sind. Dieses Alter haben allerdings die meisten MDS-Patienten bei Diagnosestellung überschritten. Hinsichtlich der Knochenmarkerkrankung zeigt sich, dass Patienten mit einem medullären Blastenanteil von weniger als 5% auf einen guten Transplantationserfolg hoffen können, während Patienten mit mehr als 20% Blasten trotz allogener SCT eine schlechte Prognose haben. Eine retrospektive Analyse am M.D. Anderson Cancer Center in Houston ergab, dass ältere Patienten mit MDS und AML wesentlich bessere Überlebenschancen nach allogener Transplantation haben, wenn Sie vor der Transplantation bereits eine Remission erreichen. Trotzdem ist die Frage bisher nicht endgültig geklärt, ob Patienten mit Hochrisiko-MDS vor einer alloSCT zunächst durch intensive Chemotherapie in Remission gebracht werden sollten. Einerseits verbessert sich hierdurch die Chance, die Krankheit zu eliminieren, andererseits kann eine vorgeschaltete Chemotherapie auch Komplikationen mit sich bringen, die die Ausgangsposition für die geplante Transplantationsbehandlung verschlechtern oder eine alloSCT sogar unmöglich machen. In einer japanischen Studie hatte eine Induktions-Chemotherapie vor Transplantation einen ungünstigen Effekt auf die Überlebenschance der Patienten. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 66 N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS Der richtige Zeitpunkt für eine Transplantation ist ebenfalls eine wichtige Frage. Cutler und Mitarbeiter konnten anhand mathematischer Modellrechnungen zeigen, dass Patienten mit Niedrigrisiko-MDS (gemäß International Prognostic Scoring System, IPSS) eine recht gute Prognose haben, wenn man sie nicht frühzeitig transplantiert, sondern abwartet und beobachtet, ob sich eine Krankheitsprogression entwickelt. Im Gegensatz dazu haben Patienten mit Hochrisiko-MDS ohne Transplantation eine so schlechte Prognose, dass sie von einer möglichst frühzeitigen Transplantation im allgemeinen profitieren (씰Abb. 1). Um die Toxizität der alloSCT zu mindern, kann eine dosisreduzierte Konditionierung (reduced intensity conditioning, RIC) zum Einsatz kommen, die es auch älteren Patienten (>60 Jahre) erlaubt, sich einer allogenen Transplantation zu unterziehen. Während die akute Toxität bei RIC viel geringer ist als bei konventioneller Konditionierung, bleibt das Problem einer möglichen GvHD (graft-versus-host disease) unverändert bestehen. Diese Komplikation kann leider einen tödlichen Ausgang haben. Ein weiteres Problem der dosisreduzierten Konditionierung ist, dass Rückfälle häufiger als nach klassischer myeloablativer Konditionierung auftreten. Durch die Rezidive geht der Überlebensvorteil, der sich durch verminderte Toxizität ergeben könnte, durch gehäufte Rezidive wieder weitgehend verloren. In Düsseldorf wird der innovative Ansatz verfolgt, bei Patienten mit HochrisikoMDS zunächst mit einer Chemotherapie nach dem FLAMSA-Protokoll (Fludarabin, Amsacrin, AraC) eine Knochenmarkaplasie – und möglichst auch eine Remission – herbeizuführen, aber nicht auf die Erholung der Hämatopoese zu warten, sondern noch in der Aplasie eine Hochdosistherapie mit alloSCT durchzuführen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist die Vermeidung einer langen und potenziell komplikationsreichen Aplasiephase, an deren Ende eventuell nicht einmal eine Vollremission steht. Die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Ansatz sind günstig. Intensive Chemotherapie Für eine intensive Chemotherapie bei Hochrisiko-MDS-Patienten werden die gleichen Zytostatika verwendet, die bei der Behandlung akuter myeloischer Leukämien zum Einsatz kommen. Allerdings haben Patienten mit Hochrisiko-MDS, die älter als 60 Jahre sind und ungünstige Chromosomenaberrationen in ihren klonalen Knochenmarkszellen aufweisen (zum Beispiel Anomalien des Chromosoms 7 oder einen komplex veränderten Karyotyp), nur geringe Chancen, durch intensive Chemotherapie eine Remission zu erreichen. Selbst im Falle einer kompletten Remission ist die Dauer des Therapieerfolgs meistens relativ kurz. Nach einer gründlichen Analyse des Düsseldorfer Patientenguts haben wir uns deshalb eindeutig gegen eine intensive Chemotherapie bei Patienten mit dieser Risikokonstellation ausgesprochen (2). Dementsprechend warten wir mit der endgültigen Therapieentscheidung, bis das Ergebnis der zytogenetischen Untersuchung vorliegt. Bei jüngeren Patienten mit günstigerem Karyotyp bestehen bessere Chancen, eine komplette Remission zu erreichen und damit eventuell die Voraussetzungen für eine allogene Stammzelltransplantation zu schaffen. Eine alleinige Chemotherapie ist auch bei jüngeren MDS-Patienten im allgemeinen keine kurative Behandlung. Da die Mehrheit der MDS-Patienten älter als 60 Jahre ist und bei mehr als 20% aller MDS-Patienten ungünstige KaryotypAnomalien zu finden sind (3), stellt sich die Frage, welche Therapieoption für die genannte Patientengruppe noch in Frage kommt. Da neben chromosomalen Aberrationen und Punktmutationen auch epigenetische Störungen in den hämatopoetischen Zellen vorliegen können, stellen epigenetische Therapien einen sinnvollen Behandlungsansatz dar. Epigenetische Behandlung Epigenetik beschreibt Veränderungen der DNA und des Kernchromatins, die bei der Zellteilung repliziert und somit vererbt werden, aber im Gegensatz zu Deletionen oder Punktmutationen nicht irreversibel sind (4). Epigenetische Veränderungen spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation der Genexpression. Sie beruhen vor allem auf zwei Mechanismen, nämlich DNAMethylierung, die sich besonders in der Promotor-Region von Genen abspielt, sowie Histon-Modifikationen. Histone sind Proteine, um die der DNAFaden im Zellkern gewunden ist. Das N-terminale Ende eines Histons kann von Enzymen modifiziert werden, und zwar durch Acetlyierung, Phosphorylierung, Sumoylierung und Ubiquitinierung. Histonmodifikationen verändern im Zusammenspiel mit der DNA-Methylierung die lokale Chromatinstruktur und beeinflussen dadurch die Genexpression. Offenes, lockeres Chromatin ist der Genexpression förderlich, da es Transkriptionsfaktoren den Zugang zu ihren Zielgenen erlaubt, während kondensiertes Chromatin die Transkription blockiert. Aberrante DNA-Methylierung ist besonders häufig bei fortgeschrittenen myelodysplastischen Syndromen zu finden (häufiger als chromosomale Veränderungen) und dürfte deshalb bei der Entwicklung vom MDS zur AML beteiligt sein (5). Demgegenüber sind Histonmodifikationen bei MDS noch wenig erforscht. Obgleich die Gene, deren epigenetische Stummschaltung zur MDS-Pathogenese beiträgt, noch nicht identifiziert sind, wird in der Klinik bereits versucht, pathologische Chromatinkondensierung rückgängig zu machen. Zu diesem Zweck können Inhibitoren der DNA-Methyltransferasen (DMT) und/oder Inhibitoren der Histondeacetylasen (HDAC) eingesetzt werden. Diese „Re-Expressions-Strategie“ wird bei der Behandlung myelodysplastischer Syndrome intensiv verfolgt, in der Hoffnung, durch verbesserte Genexpression eine verbesserte Ausreifung der kranken Knochenmarkszellen und somit eine effektivere Hämatopoese zu bewirken. DNA-MethyltransferaseInhibitoren Zur Inhibierung der DNA-Methylierung dienen die Cytidin-Analoga 5-Azacytidin und Decitabin, die bei der DNA-Replikati- Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS on als „falsche Nukleotide“ eingebaut werden und eine irreversible Bindung der DNA-Methyltransferase verursachen. Dies führt über mehrere Zellzyklen zur erwünschten DNA-Hypomethylierung. 5-Azacytidin Eine von Silverman geleitete und 2002 veröffentlichte klinische Studie mit dem DNA-Methyltransferase-Inhibitor 5-Azacytidin erbrachte erstmalig den Nachweis, dass durch epigenetische Behandlung die leukämische Transformation bei MDS-Patienten signifikant verzögert werden kann (6). Das Resultat wurde inzwischen durch die prospektive multizentrische Studie AZA-001 bestätigt, bei der subkutan verabreichtes 5-Azacytidin randomisiert mit konventioneller Therapie verglichen wurde (씰Abb. 2) (7). Die konventionelle Therapie erlaubte drei Alternativen: 1. eine rein supportive Behandlung (best supportive care, BSC), 2. die Gabe von niedrigdosiertem AraC und 3. eine intensive Induktionschemotherapie. Selbstverständlich erhielten alle Patienten als Basistherapie die bestmögliche supportive Behandlung. In die Studie wurden MDS-Patienten aufgenommen, die ein ungünstiges Risikoprofil aufwiesen (‘intermediate-2’ oder ‘high-risk’). Es zeigte sich, dass 5-Azacytidin im Vergleich mit den konventionellen Behandlungen die mediane Überlebenszeit von 15 Monaten auf etwa 2 Jahre verlängerte und die 2-Jahres-Überlebensrate von 26% auf 51% steigerte. Die Überlebenszeit war mit den konventionellen Behandlungen jeweils etwa 9,5 Monate kürzer als unter der Behandlung mit 5-Aza. Neben verzögerter leukämischer Transformation bewirkte 5-Aza auch häufigere Transfusionsfreiheit sowie eine Reduktion der Häufigkeit von Infektionen, die intravenöse Antibiotika erforderten. Die Behandlung mit 5-Aza wurde von den meist älteren Patienten im allgemeinen gut vertragen. Der oben genannte Überlebensvorteil war das Ergebnis einer Therapie, die sich in der klinischen Studie über eine mediane Anzahl von 9 Zyklen erstreckte. Nach 6 Be- handlungszyklen hatten 81% der Responder ihr erstes Ansprechen erreicht, nach 9 Zyklen waren es 90%. Der initiale Therapieerfolg verbesserte sich später noch bei etwa 40% der Patienten (bestes Ergebnis nach einem Median von weiteren 4 Zyklen) (8). Diese Art der epigenetischen Behandlung erfordert also viel Geduld und sollte bei allen Patienten langfristig fortgeführt werden, solange keine eindeutige Krankheitsprogression zu erkennen ist (9). Interessanterweise hing der Überlebensvorteil nicht davon ab, dass die Patienten eine komplette Remission erreichten. Auch das Erreichen einer hämatologischen Besserung (gemäß den Kriterien der International Working Group, IWG [10]) war mit einem klaren Überlebensvorteil verbunden (11). Die Standarddosierung für 5-Aza, die sowohl in der „Silverman-Studie“ als auch in der großen Bestätigungsstudie AZA-001 verwendet wurde, beträgt 75 mg/m2/d, subkutan oder intravenös, an 7 aufeinanderfolgenden Tagen, alle 4 Wochen (AZA-7). Da dieses Therapieschema wegen des „Wochenendproblems“ nicht sehr beliebt ist, sind auch andere Protokolle zum Einsatz gekommen, beispielsweise mit Wochenendpause (AZA-5–2) oder Verkürzung auf 5 Tage (AZA-5). Eine kürzlich publizierte randomisierte Phase-II-Studie erzielte mit den genannten alternativen Dosierungen ähnlich gute hämatologische Besserungen wie die AZA-001-Studie (12). Allerdings sind die alternativen Dosierungen nicht im direkten Vergleich mit dem 7-Tages-Standard- schema getestet worden. Außerdem hatten 63% der Patienten in dieser Studie ein „lower-risk-MDS“, während die AZA001-Studie nur Patienten mit „higher-riskMDS“ inkludierte. Die Patientenzahl in der Studie von Lyons et al. (12) war nicht groß genug, um statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich Gesamtüberleben, progressionsfreiem Überleben und AMLTransformation feststellen zu können. Es lässt sich daher nicht sagen, ob die um zirka 30% reduzierte Gesamtdosis des AZA5-Schemas bei Patienten mit higher-riskMDS mit verminderter Wirkung verbunden ist. In einer italienischen Studie mit 5-Azacytidin bei AML-Patienten war die AZA7-Standarddosierung wirksamer als eine feste Dosierung mit 100 mg (1 Ampulle) pro Tag (13). Insgesamt kann also zumindest bei MDS-Patienten mit ungünstigem Risikoprofil eine Behandlung mit reduzierter Dosis noch nicht empfohlen werden. Zur Vermeidung von Übelkeit sollte vor der Gabe von 5-Azacytidin prophylaktisch ein Antiemetikum verabreicht werden. Als Hauptnebenwirkung sind jedoch absinkende Leukozyten- und Thrombozytenzahlen zu beachten. Eine vorbestehende Leukozytopenie oder Thrombozytopenie sollte zu Beginn der Behandlung nicht zur Dosisreduktion von 5-Aza führen. Später können prolongierte Phasen der Knochenmarksuppression aber eine Dosisminderung oder Unterbrechung der Therapie erzwingen. In dieser Situation sollte möglichst durch Knochenmarkspunktion geklärt werden, ob die Zytopenie Ausdruck einer therapiebedingten Hypoplasie der 5-Azacytidin 75 mg/m2/d x 7d, alle 28 d Randomisation (1:1) 24,5 Mo. 50,8 % Medianes Überleben p = 0,0001 2-Jahresüberleben p < 0,0001 15 Mo. 26,2 % Konventionelle Therapie: • Best-supportive care • AraC Niedrigdosis • Standard-Chemotherapie Abb. 2 Ergebnisse der Phase-III-Vergleichsstudie zwischen 5-Azacytidin (AZA) und konventionellen Behandlungsverfahren. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 67 68 N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS Hämatopoese oder Folge einer Krankheitsprogression mit Blastenvermehrung ist. Eine weitere Nebenwirkung der subkutanen Verabreichung von 5-Aza sind Entzündungen an der Injektionsstelle. Die subkutane Gabe wird im allgemeinen empfohlen, da 5-Aza seine Wirksamkeit in den meisten klinischen Studien mit dieser Form der Verabreichung unter Beweis gestellt hat. Das Medikament kann aber auch intravenös gegeben werden. In einer der ersten klinischen Studien war 5-Aza bei kontinuierlicher i.v.-Infusion (75 mg/m2/d über 7 Tage alle 4 Wo.) bei Patienten mit RAEB und RAEB-T erfolgreich (14). In den USA ist 5-Aza auch für die intravenöse Gabe zugelassen. Dabei wird eine Infusionszeit von 10–40 Min. empfohlen. Die Azacytidin-Behandlung könnte sich mit einer oralen Darreichungsform wesentlich bequemer gestalten. Orales 5-Aza wird derzeit klinisch geprüft und scheint trotz geringerer Bioverfügbarkeit und geringerer DNA-Hypomethylierung ähnliche klinische Ansprechraten wie bei subkutaner Gabe zu erzielen (15). Decitabin Ein weiterer DNA-MethyltransferaseInhhibitor ist Decitabin (5-Aza-2’Deoxycytidin), das dem 5-Azacitidin strukturell sehr ähnlich ist. Präliminäre Studienergebnisse mit Decitabin wurden bereits zwei Jahre vor der oben genannten „SilvermanStudie“ veröffentlicht (16). Die Gesamtansprechrate betrug etwa 50%. Patienten mit ungünstigem Risikoprofil profitierten besonders gut von der Behandlung, vor allem solche, die prognostisch ungünstige chromosomale Aberrationen wie Monosomie 7 oder del(7q) aufwiesen. Ähnlich wie 5-Azacytidin war auch Decitabin in der Lage, zytogenetische Remissionen zu induzieren. Durchschnittlich 3,2 Behandlungszyklen vergingen bis zum Erreichen des besten Therapieerfolgs. Kantarjian et al. verglichen in einer Phase-III-Studie Decitabin mit „best supportive care“ und stellten fest, dass Decitabin die Entwicklung einer leukämischen Transformation signifikant verzögerte, vor allem bei Patienten mit ungünstigem Risikoprofil (17). Decitabin-behandelte Patienten wurden retrospektiv auch mit historischen Kontrollen verglichen, die eine intensive Chemotherapie erhalten hatten. Die beiden Kollektive, die hinsichtlich Alter, Karyotyp und Risikoabschätzung gemäß IPSS (international prognostic scoring system) vergleichbar waren, zeigten einen statistisch hochsignifikanten Überlebensvorteil zugunsten der epigenetisch behandelten Patienten (18). Auch eine Studie zur ambulanten Decitabin-Behandlung erbrachte ermutigende Resultate (19). Deshalb ist es überraschend, dass eine im Jahr 2002 von der EORTC initiierte randomisierte klinische Studie, deren präliminäre Ergebnisse 2008 vorgestellt wurden, keinen Überlebensvorteil für Decitabin dokumentieren konnte. Es handelte sich um eine multizentrische Phase-III-Studie, die „best supportive care“ mit Decitabin plus BSC verglich (20). Es wurden 233 Patienten inkludiert, die über 60 Jahre alt waren, meistens den Risikokategorien „intermediate-2“ oder „highrisk“ angehörten und einen medullären Blastenanteil zwischen 11% und 30% aufwiesen. Obwohl die Ansprechraten (13% CR, 6% PR, 15% HI) sich ähnlich gestalteten wie in anderen klinischen Studien mit Decitabin und das progressionsfreie Überleben signifikant besser war als mit BSC (6.6 vs. 3 mo.), ergab sich kein statistisch signifikanter Überlebensvorteil (Median 10.2 vs. 8.5 Mon.). Mögliche Gründe hierfür sind eine kürzere Anwendung von Decitabin (6 Monate im Vergleich zu 9 Monaten Azacytidin in der AZA-001-Studie), Unterschiede in der Weiterbehandlung nach Krankheitsprogression sowie ein kürzeres Intervall zwischen Diagnose und Behandlungsbeginn, was zur Inklusion von Hochrisikopatienten geführt haben könnte, die wegen rascher Progression nicht in die AZA-001-Studie aufgenommen worden wären. Während Decitabin in den USA schon im Jahr 2006 zugelassen wurde, erscheint die Zulassung in Europa weiterhin unsicher. jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden kann, ob eine der beiden demethylierenden Substanzen eindeutig überlegen ist. Decitabin und 5-Azacitidin unterscheiden sich zwar kaum in ihrer Struktur, sind jedoch hinsichtlich ihrer Wirkung nicht identisch. Beispielsweise wird Decitabin selektiv in DNA inkorporiert, während der größte Teil des verabreichten 5-Azacytidins in RNA eingebaut wird (nur ca. 25% stehen nach Umwandlung in Decitabin für den Einbau in DNA zur Verfügung). Die DNA-Methyltransferase-Inhibitoren 5-Azacytidin, Decitabin und Zebularin zeigten unterschiedliche Auswirkungen auf die Genexpression von Leukämiezellen bei AML (22). Solche Unterschiede in der Pharmakologie der Substanzen könnten dazu beigetragen haben, dass die Ergebnisse klinischer Studien teilweise divergieren. Borthakur et al. berichteten über 14 Patienten mit MDS, die entweder nicht auf 5-Aza angesprochen hatten oder die Substanz nicht vertragen hatten und anschließend mit Decitabin behandelt wurden (23). Durch die Therapieumstellung erreichten 3 Patienten eine komplette Remissionen und ein Patient eine hämatologische Besserung (Gesamtansprechrate 28%). Möller et al. berichteten über einen älteren Patienten mit Hochrisiko-MDS, dessen Therapie wegen Krankheitsprogression mehrfach ungestellt wurde und der jeweils auf eine Behandlung mit Tipifarnib, 5-Azacytidin und Decitabin ansprach (24). Anscheinend darf man nicht von einer Kreuzresistenz zwischen 5-Azacytidin und Decitabin ausgehen. Bei der vorläufigen Beurteilung der DMT-Inhibitoren muss außerdem berücksichtigt werden, dass ihre Wirkung sich nicht auf Effekte einer verbesserten Genexpression beschränkt, sondern dass, teilweise unabhängig von der DNA-Hypomethylierung, verschiedene Apoptose-auslösende Mechanismen beteiligt sind (25). Klinische Wertung Auch wenn die meta-analytische Bewertung bislang vorliegender Überlebensdaten zugunsten von 5-Aza ausfällt (21, 22), können sich wahrscheinlich viele Hämatologen der Meinung anschließen, dass zum Non-Responder Ein Hauptproblem bei der MDS-Behandlung stellen die Patienten dar, die nicht auf DNA-Methyltransferase-Inhibitoren ansprechen oder nach initialem Therapie- Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS erfolg wieder einen progredienten Krankheitsheitsverlauf zeigen. Solche Patienten haben eine schlechte Prognose. Leider ist nicht bekannt, welche Resistenzmechanismen in dieser Situation relevant sind. Derzeit wird überprüft, ob klassische Zytostatika helfen können. Mit oral verabreichtem Clofarabin konnte bei Patienten mit „higher-risk“-MDS eine Gesamtansprechrate von 43% erzielt werden (26). Unter den 32 Patienten dieser Studie waren 20 vorher erfolglos mit einer demethylierenden Substanz behandelt worden. HDAC-Inhibitoren Da Histon-Deacetylierung und DNA-Hypermethylierung bei der Stummschaltung von Genen kooperieren, liegt es nahe, im Rahmen der Re-Expressionsstrategie beide Mechanismen zu inhibieren. Mehrere HDAC-Inhibitoren befinden sich bei MDS in klinischer Prüfung, zum Beispiel Vorinostat (Suberoylanilid-Hydroxamsaure, SAHA), Entinostat (MS-275 oder SNDX-275) und Panobinostat (LBH 589). Weiterhin ist hier die Valproinsäure (VPA) zu nennen, die schon seit Jahrzehnten als Antiepileptikum verwendet wird und erst vor wenigen Jahren auch als HDAC-Inhibitor identifiziert wurde. Klinische Besserungen gemäß IWGKriterien erreichten unter VPA-Behandlung bis zu 50% der MDS-Patienten mit normalem medullärem Blastenanteil, es wurden aber auch Erfolge bei Patienten mit erhöhtem Blastenanteil erzielt (27). Bei Betrachtung aller MDS-Typen beobachteten wir eine durchschnittliche Ansprechrate von etwa 30%, was sich mit den Erfahrungen anderer Arbeitsgruppen deckt (28). Valproinsäure sollte bei der MDS-Behandlung ähnlich dosiert werden wie bei der antiepileptischen Therapie, d. h. es sind Serumspiegel zwischen 50 und 100 ng/ml anzustreben. HDAC-Inhibitoren unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf verschiedene Klassen von Histon-Deacetylasen, wobei noch nicht klar ist, ob eher ein spezifisches oder eher ein breites Wirkungsspektrum vorteilhaft ist. Neben ihrem epigenetischen Effekt haben HDACInhibitoren noch andere Auswirkungen auf die Zellphysiologie, z. B. Induktion re- aktiver Sauerstoffspezies, Hemmung von Chaperonen, Beeinflussung der ApoptoseSignalwege und Veränderungen von NFκB. Da sich mit HDAC-Inhibitoren als Monotherapie anscheinend nur mäßige Erfolge bei MDS-Patienten erzielen lassen, werden diese Substanzen auch in Kombination mit DNA-Methyltransferase-Inhibitoren geprüft (29). Wir kombinierten VPA mit 5-Azacytidin bei 24 MDS-Patienten, die eine sehr ungünstige Risikokonstellation aufwiesen, zum Beispiel erfolglose Vorbehandlung mit intensiver Chemotherapie in 7 Fällen. Die Gesamtansprechrate betrug 33% (30). Diese und andere klinische Studien zeigen, dass die Kombination eines HDAC-Inhibitors mit einem DMT-Inhibitor manchmal einen rascheren klinischen Erfolg erzielt als dies mit Monotherapie zu erwarten wäre, dass dieser Ansatz aber eine langfristige Behandlung nicht überflüssig macht. Wie bei der Monotherapie gilt, dass Patienten, die zumindest eine Krankheitsstabilisierung erreichen, so lange wie möglich weiterbehandelt werden sollten (28). In Deutschland wurden kürzlich zwei klinische Studien zur HDAC-Behandlung bei Patienten mit ‚lower-risk’-MDS gestartet. Eine Studie untersucht Panobinostat±Epo (Studienleitung in Dresden), eine andere multizentrische Studie kombiniert Valproinsäure mit Lenalidomid (Studienleitung in Düsseldorf). Zu betonen ist, dass HDAC-Inhibitoren in Europa bislang weder als Monotherapie noch im Rahmen von Kombinationstherapien für die Behandlung von MDS-Patienten zugelassen sind. Lenalidomid Eine weitere Therapieoption ist der Einsatz immunomodulatorischer Substanzen, deren Wirkmechanismus bei MDS jedoch noch weitgehend unbekannt ist. Mit Thalidomid ließen sich bei relativ hoch dosierter Behandlung (400 mg/d) Erfolgsquoten von bis zu 56% erzielen (31). In den meisten Studien betrug die Anspechrate bei schwächerer Dosierung 20–35%. Die Therapie war bei Niedrigrisiko-MDS erfolgreicher als bei Hochrisiko-MDS und verbesserte eher die Erythropoese als die Megakaryopoese. Bei einigen MDS-Patienten wurden sogar zytogenetische Remissionen erreicht (32). Wegen erheblicher Nebenwirkungen, insbesondere in Form von Fatigue und peripherer Neuropathie, hat sich die Thalidomidbehandlung bei MDS nicht durchgesetzt. Eine besser verträgliche Alternative ist Lenalidomid, das sich in seiner Molekülstruktur nur minimal vom Thalidomid unterscheidet, aber dessen Neurotoxizität weitgehend verloren hat. Lenalidomid ist im Dezember 2006 in den USA zur Behandlung von MDS-Patienten zugelassen worden, deren Knochenmarkszellen eine Deletion des langen Arms von Chromosom 5 aufweisen. In einer großen klinischen Studie, in der Lenalidomid (10 mg/d p.o.) kontinuierlich oder mit einwöchigen Pausen nach 3-wöchigen Therapiezyklen gegeben wurde, konnte bei zwei Drittel der Patienten mit del(5q) die Transfusionsbedürftigkeit behoben werden. Der Therapieerfolg war nach etwa einem Monat erkennbar und hielt durchschnittlich etwa 2 Jahre an (33). Patienten, die eine komplette Remission erzielen, können auch nach Absetzen des Lenalidomids noch lange von der Behandlung profitieren (34). Zytogenetische Remissionen werden bei Niedrigrisko-MDS in vergleichbarer Häufigkeit bei Patienten mit isolierter 5q-Deletion, Patienten mit einer zusätzlichen zytogenetischen Anomalie und Patienten mit komplex verändertem Karyotyp (inklusive del(5q)) beobachtet. Die Erfolgschancen sinken jedoch deutlich, sobald der Blastenanteil im Knochenmark erhöht ist. Aus diesem Grund ist eine Behandlung mit Lenalidomid bei Patienten mit Hochrisiko-MDS nur bedingt geeignet. In einer Phase-II-Studie für Int-2 oder Hochrisiko-MDS (35) hatten 78% der inkludierten Patienten einen Blastenanteil von mehr als 10%, und 81% der Patienten wiesen keine isolierte del(5q), sondern mindestens eine weitere zytogenetische Anomalie auf. Unter den 38 Patienten mit mindestens einer zusätzlichen Anomalie zeigte nur einer (3%) einen Therapieerfolg. Unter den Patienten mit isolierter del(5q) erreichten 6 von 9 eine CR mit einer medianen Dauer von 11,5 Monaten. Vier der 6 Patienten mit CR erreichten auch eine zytogenetische Vollremission. Interessanterweise wurden © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 69 70 N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS Therapieerfolge nur bei Patienten mit einem initialen Thrombozytenzahl von mehr als 100 000/μl erzielt. Wegen ausgeprägter Neutropenie und Thrombozytopenie waren in dieser Studie häufig Therapieunterbrechungen und/ oder Dosisreduktionen nötig. Aus diesen Daten kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass eine Initialbehandlung mit Lenalidomid in erster Linie bei solchen Hochrisikopatienten in Frage kommt, die eine isolierte del(5q) und eine Thrombozytenzahl von mehr als 100 000/μl aufweisen. Es ist nicht bekannt, ob diese Kriterien auch für Patienten herangezogen werden können, für die wegen erfolgloser epigenetischer Behandlung mit Azacytidin oder Decitabin ein Therapieversuch mit Lenalidomid in Erwägung gezogen wird. Obwohl Lenalidomid vor allem wegen seiner Erfolge bei Niedrigrisiko-MDS einen wichtigen Fortschritt darstellt, ist es von der zuständigen europäischen Behörde (EMEA) für die MDS-Behandlung noch nicht zugelassen worden. Der Grund hierfür ist, dass im Rahmen einer klinischen Studie mit Lenalidomid einige Patienten in der verlängerten Nachbeobachtungsphase eine leukämische Transformation entwickelten. Die Beunruhigung, die daraufhin entstand, erscheint jedoch unnötig angesichts der Tatsache, dass bei Patienten mit del(5q) auch der spontane Übergang in eine AML nicht außergewöhnlich ist. Eine Analyse des Düsseldorfer MDS-Registers in Zusammenarbeit mit mehreren Registern in anderen Ländern zeigte, dass die Häufigkeit des Übergangs in eine AML bei Patienten mit del(5q) ohne Lenalidomidbehandlung etwa 15% beträgt (36). Bei Patienten, die unter Lenalidomid keine zytogenetische Remission oder anhaltende erythropoetische Besserung erzielen, ist die Rate des Übergangs in eine AML allerdings deutlich höher (37). Anscheinend decouvriert sich mit Versagen der Lenalidomidbehandlung eine Knochenmarkerkrankung, die zwar durch eine 5q-Deletion charakterisiert ist, aber trotzdem einen ungünstigen biologischen Charakter hat. Dieser beruht wahrscheinlich auf zusätzlichen, noch unbekannten molekulargenetischen Veränderungen. Eine aktuell rekrutierende multizentrische Studie (LeMon-5) mit langfristiger, sorgfältiger Nach- beobachtung der Patienten wird hoffentlich die Spekulationen hinsichtlich einer möglichen Lenalidomid-bedingten Erhöhung des AML-Risikos beenden. Kombinationsbehandlungen Auf die Kombination eines DNA-Methyltransferase-Inhibitors mit einem HDACInhibitor, die aus pathophysiologischen Überlegungen naheliegt, wurde im Abschnitt über die HDAC-Inhibitoren bereits hingewiesen. Da mit dieser Kombinationsbehandlung zwar graduelle Verbesserungen zu beobachten sind, sich bislang jedoch kein klinischer Durchbruch abzeichnet, muss weiter nach geeigneten Kombinationspartnern gesucht werden. Auch in diesem Zusammenhang könnte das Lenalidomid eine nützliche Rolle spielen. In einer Phase-I-Studie wurde Lenalidomid bei 18 Patienten mit überwiegend ‚hig- her-risk’ MDS zusammen mit Azacitidin eingesetzt (38). Die Gesamtansprechrate betrug 67% (44% CR, 6% CR im Knochenmark, 17% hämatologische Besserungen); es trat keine dosislimitierende Toxizität auf. Die Dosisempfehlung der Autoren für weitergehende Studien lautete: Azacitidin 75 mg/m2 Tag 1–5 und Lenalidomid 10 mg Tag 1–21. Die gleiche Arbeitsgruppe berichtete kürzlich darüber, dass Lenalidomid als Kombinationspartner tatsächlich eine Wirkung entfaltet, die über den Effekt von Azacitidin hinausgeht (39). Die Autoren beschreiben, dass von den 18 Patienten der oben genannten Studie 8 Patienten unter der Kombinationsbehandlung eine CR erreichten und danach nur noch mit Azacitidin-Monotherapie weiterbehandelt wurden. Drei dieser Patienten erlitten nach 12, 19 bzw. 24 Monaten einen Rückfall mit Blastenvermehrung und erhielten deshalb zusätzlich zum Azacitidin wieder Lenalidomid. Alle drei Patienten erreichten daraufhin wieder eine komplette Remission. Fazit für die Praxis Obwohl die allogene Stammzelltransplantation weiterhin die einzige Möglichkeit darstellt, ein myelodysplastisches Syndrom zu heilen. hat sich die Situation von Patienten mit Hochrisiko-MDS in den vergangenen Jahren durch den Einsatz neuer Therapieansätze verbessert. Mit dem DNA-Methyltransferase-Inhibitor Azacytidin lässt sich bei zirka 50% der Patienten mindestens eine hämatologische Besserung erzielen. Patienten, die mit 5-Aza behandelt werden, entwickeln signifikant seltener eine akute myeloische Leukämie und leben durchschnittlich 9,5 Monate länger als Patienten, die anders, d. h. mit intensiver Chemotherapie, niedrigdosiertem AraC oder ‘best supportive care’ behandelt werden. Bei der Diagnostik ist zu beachten, dass eine zytogenetische Untersuchung nicht nur die Beurteilung der Prognose, sondern auch die Auswahl einer geeigneten Therapie unterstützt. So sprechen beispielsweise Patienten mit Veränderungen des Chromosoms 7 kaum auf eine konventionelle Zytostatikabehandlung an, können aber von einer epigenetischen Therapie mit einem DNA-Methyltransfersase-Inhibitor profitieren. Bei Patienen mit del(5q) kann eine Behandlung mit Lenalidomid erwogen werden. Literatur 1. Germing U et al. Prospective validation of the WHO proposals for the classification of myelodysplastic syndromes. Haematologica 2006; 91: 1596–1604. 2. Knipp S et al. Intensive chemotherapy is not recommended for patients aged >60 years who have myelodysplastic syndromes or acute myeloid leukemia with high-risk karyotypes. Cancer 2007; 110: 345–352. 3. Haase D et al. New insights into the prognostic impact of the karyotype in MDS and correlation with subtypes: evidence from a core dataset of 2124 patients. Blood 2007; 110: 4385–4395. 4. Gore SD. 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Continued azacitidine therapy beyond time of first response improves quality of Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. N. Gattermann et al.: Therapieansätze bei Patienten mit Hochrisiko-MDS 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. response in patients with higher-risk myelodysplastic syndromes. Cancer 2011: Jan 10 [Epub ahead of print]. Fenaux P et al. Practical use of azacitidine in higherrisk myelodysplastic syndromes: an expert panel opinion. Leuk Res 2010; 34: 1410–1416. Cheson BD et al. World Health Organization (WHO) international working group. Report on an international working group to standardize response criteria for myelodysplastic syndromes. Blood 2000; 96: 3671–3674. List AF et al. 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All rights reserved. 71 Kongressnachlese AML XIII 72 Akute myeloische Leukämie Fortschritte durch intensivierte Chemotherapie und bessere Supportivtherapie Die Prognose von Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie (AML) hat sich in den vergangenen drei Dekaden stetig verbessert. Heute erreichen insgesamt 60–70% der Patienten komplette Remissionen mit langdauerndem krankheitsfreien Überleben. Bei 25 bis 40% ist eine Heilung möglich. Dieser Fortschritt beschränkt sich jedoch weitgehend auf Patienten unter 60 Jahren. Möglich wurde er vor allem durch Intensivierung der Chemotherapie und Verbesserung der supportiven Therapie, berichtete Prof. Jan Braess, München, auf dem Symposium Acute Leukemias XIII Ende Februar in München. Die Standard-Induktionstherapie besteht heute noch aus Daunorubicin für drei Tage und AraC für sieben Tage („3+7“). Die deutsche AML-CG hat ein modifiziertes Regime entwickelt, das aus Thioguanin, AraC und Daunorubicin (TAD-9) besteht. Auch dieses kommt seit 1979 im Rahmen der Induktionstherapie zum Einsatz. Um die Langzeitprognose weiter zu verbessern, wurde überwiegend für jüngere Patienten das Konzept der doppelten Induktionstherapie („double induction“) eingeführt: Hier wird ein zweiter Zyklus Chemotherapie am Tag 21 verabreicht unabhängig davon, welche Zytoreduktion der erste Zyklus bewirkt hat. Die Remissionsdauer und das Gesamtüberleben konnte damit im Vergleich zur Standard-Induktion verbessert werden. Keine signifikanten Unterschiede in Remissionsraten und Überleben zeigten sich zwischen einer doppelten Induktion mit TAD-9 und hochdosiertem AraC plus Mitoxantron (HAM). Tagen 8 bis 11) erwies sich mit kompletten Remissionen von mehr als 50% als hocheffektiv bei Patienten mit refraktärer oder Rezidiv-AML. Die anfangs hohe Frühmortalität durch Infektionen konnte durch den Einsatz von G-CSF gesenkt werden. Bei De-novo-Patienten kam eine Therapie mit S-HAM (plus G-CSF) in reduzierter Dosis (Level 66%) in einer Phase-II-Studie zum Einsatz. Um die Gesamtdosis der üblichen doppelten HAM/HAM-Induktion zu erreichen, war eine dreistufige Eskalation eingeplant. Mit dieser Therapie erreichten 65% der Patienten eine komplette Remission bei einer Ansprechrate von 81%. Die frühe Mortalität (65 Tage) betrug nur 11%. Dies ist wahrscheinlich auf die Verkürzung der kritischen Neutropenie um 14 Tage zurückzuführen. Die Blasten-Clearance erschien bei diesem S-HAM-Regime höher, als man es von der doppelten Induktion gewohnt war. Beide Regimes werden nun in einer randomisierten Studie miteinander verglichen. Hohe Response auf dosisdichte Regimes Liposomales Daunorubicin bei der pädiatrischen AML Da die Dosis-Eskalation offenbar an einem Limit angekommen war, versuchte man, einen weiteren Fortschritt durch Verkürzung des Zeitintervalls zwischen beiden Zyklen (Dosisverdichtung) zu erreichen. Das S-HAM-Protokoll (Hochdosis-AraC an Tag 1 und 2, Mitoxantron an Tag 3 und 4; wiederholt an den Bei Kindern ist die AML eine heilbare Erkrankung mit Langzeitüberlebensraten um die 60% geworden. Dies ist der stufenweisen Intensivierung der Chemotherapie zu verdanken, wie Dr. Ursula Creutzig, Münster, ausführte. Das seit dem Jahr 1978 laufende AML-BFM-Studienprogramm spiegelt die stetige Verbesserung der 5-Jahres-Überlebensrate von 42% (1978) auf 73% (2004) wider (2). In der Studie AML-BFM 2004 wurde ein intensiviertes Regime mit liposomalem Daunorubicin (L-DNR) in höherer Äquivalenzdosis mit dem Standard Idarubicin verglichen. Beide Gruppen erhielten zusätzlich Cytarabin und Etoposid. Für Hochrisikopatienten war als weiterer Intensivierungsschritt randomisiert die Zugabe des neuen Nukleosidanalogons 2-chloro-2-deoxyadenosin (2-CDA) während der Cytarabin/Idarubicin-Konsolidierung vorgesehen. Das hervorragende 5-Jahres-Überleben von 73% lässt sich damit erklären, dass das liposomale Daunorubicin bei geringerer Kardiotoxizität die Applikation höherer kumulativer Dosen erlaubte. In weiteren AML-BFM-Studien wird die Induktion grundsätzlich mit L-DNR durchgeführt und bei Hochrisikopatienten eine Konsolidierung mit 2-CDA angesetzt, wie Creutzig unterstrich. Außerdem wird eine bessere Stratifizierung von Risikogruppen nach Zytogenetik, Genexpressionsprofil und Therapieresponse angestrebt sowie eine stärkere Individualisierung der Therapie durch neue zielgerichtete Substanzen. Herausforderung höheres Lebensalter Etwa zwei Drittel der AML-Patienten sind allerdings älter als 60 Jahre, wenn die Diagnose gestellt wird. Mit einem Langzeitüberleben von 5 bis 15% ist auch die Prognose von De-novo-Patienten in diesem Alter schlecht. Die erst Frage, die es zu beantworten gilt, ist, ob es im Interesse des Patienten liegen kann, Zeit und Lebenskraft für eine intensive Therapie zu investieren und ein nicht unerhebliches Risiko für einen frühzeitigen Tod einzugehen, oder ob eine weniger intensive Strategie mit weniger Morbidität, Krankenhausaufenthalten und Mortalität, aber geringeren Erfolgschancen für ihn die bessere Option ist, sagte Prof. Alan K. Burnett, Cardiff/Großbritannien. Epidemiologische Studien zeigen, dass in der klinischen Realität nur 30 bis 40% der älteren AML-Patienten eine Chemotherapie erhalten. Unklar sind die Kriterien, nach denen beurteilt wird, ob ein älterer Patient dafür grundsätzlich geeignet ist und ob man ihm sogar eine intensivierte Chemotherapie zumuten kann. Die Argumentation basiert heute weitgehend Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese AML XIII 73 auf der Zytogenetik und auf dem „Bauchgefühl“ des Arztes, so Cardiff. Biologisches Risiko entscheidet Der Einfluss von Therapie-Variablen und Risikofaktoren wurde in einer deutschlandweiten Studie (AMLCG99) untersucht, an der 56 Zentren beteiligt waren, berichtete Prof. Thomas Büchner, Münster. Patienten aller Altersgruppen mit De-novo- oder sekundärer AML wurden randomisiert für zwei verschiedene intensive Induktionsregimes: Standard-Dosis TAD und Hochdosis-HAM versus zwei Zyklen HAM. Gleichzeitig wurden die Patienten für G-CSF versus kein G-CSF randomisiert. Auch die Postremissionstherapie durch prolongierte Erhaltungs-Chemotherapie oder autologe Stammzelltransplantation wurde vorab randomisiert. Es zeigte sich, dass das Outcome von jüngeren und älteren Patienten vor allem von den individuellen biologischen Risikofaktoren wie Karyotyp, de-novo-AML oder Rezidiv, Mutationen, Leukozytenzahl und Remissionstiefe, abhing und nicht von verschiedenen Behandlungsstrategien. Allerdings erwies sich das höhere Lebensalter per se als starker und unabhängiger negativer Prädiktor (1). Die frühzeitige Erfassung von Risikofaktoren erlaubte es auch bei älteren Patienten, die Remissionschancen und das Mortalitätsrisiko vorherzusagen (7). Stellenwert molekularer Marker Auch bei zytogenetisch normaler AML gibt es einige molekulare Marker, die es erlauben, Patienten in Gruppen mit deutlich unterschiedlicher Prognose einzuteilen (씰Tab. 1). Ob diese Marker, die bei jüngeren Patienten erforscht wurden, auch bei Patienten über 60 Jahren relevant für das Outcome sind, haben Prof. Clara Bloomfield und Mitarbeiter, Columbus/USA, bei älteren CALGB-Studienteilnehmern untersucht. Im Fokus standen Mutationen von NPM1, FLT3 und CEBPA sowie die Expression von BAALC und ERG. NPM1-Mutationen und bi-allelische CEBPA-Mutationen – nicht jedoch mono-allelische Mutationen – erwiesen sich auch bei älteren Patienten als unabhängige Prädiktoren für ein günstiges Outcome (3, 5). Das gleiche galt für eine geringe BAALC- und ERG-Expression. FLT3-Mutationen definierten dagegen auch bei älteren Patienten eine molekulare Hochrisikogruppe. Azacitidine für ältere Patienten Aus einem schwedischen Register (6) geht zwar hervor, dass ältere Patienten von einer intensiven Chemotherapie mit einem besseren Outcome und geringerer Frühmortalität profitierten im Vergleich zu Patienten, die eine supportive Therapie bekamen (inklusive HU oder niedrig dosiertes Cytarabin). Da in diesem Register die Zytogenetik nicht erfasst wurde, gibt es keinen Hinweis darauf, welche Behandlung für älteren AML-Patienten mit ungünstiger Zytogenetik und deshalb geringer ResponseWahrscheinlichkeit in Betracht kommt. Eine Option bietet sich hier mit dem hypomethylierenden Azacitidine an, so Dr. Claude Gardin, Paris/Frankreich. Die Substanz hat bei MDS-Hochrisikopatienten Überlebensvorteile im Vergleich zur konventionellen Therapie gezeigt und ist in der EU zugelassen für Hochrisi- ko-MDS und AML mit <30% Blasten im Knochenmark. Im französischen Azacitidine-Programm ATU (8) wurden retrospektiv 124 AML-Patienten über 65 Jahre, die upfront Azacitidine bekommen hatten, mit 403 älteren Patienten verglichen, die in der ALFA-9803-Studie eine intensive Chemotherapie erhalten hatten (4). Es zeigte sich, dass die üblichen für die Chemotherapie definierten Risikofaktoren wie Performance-Status, Leukozytenzahl und Zytogenetik auch nach einer Azacitidine-Therapie relevant sind. Schließt man Patienten mit einer Leukozytenzahl >15G/L, die nicht von Azacitidine profitierten, aus der Analyse aus, sind beide Strategien vergleichbar effektiv, auch bei normaler Zytogenetik. Dies sollte in einer direkten Vergleichsstudie bestätigt werden, so Gardin. Neue molekulare Targets Schon vor zehn Jahren wurden FLT3-Mutationen, die mit einer ungünstigen Prognose verbunden sind, als potenzielle Zielstruktur neuer Medikamente identifiziert. FLT3-Inhibitoren wie Lestauranib, Tendutinib und Midostaurin Tab. 1 Prognostische Bedeutung von Mutationen und aberranter Genexpression bei AML mit normalem Karyotyp (nach Ganser, 2010) Mutiertes Gen % mutiert Prognostische Bedeutung Aberrante Genexpression % mutiert Prognostische Bedeutung NPM1 45–64 günstig ID1 hoch 66 ungünstig DNMT3A 34 ungünstig BAALC hoch 50 ungünstig FLT3/ITD 28–34 ungünstig ERG hoch 25–50 ungünstig 9–40 ungünstig MN1 hoch 50 ungünstig TET2 12–22 kein Effekt MSI-2 hoch 50 ungünstig CEBPA 10–18 günstig WT1 hoch 50 ungünstig FLT3-TKD 11–14 kein Effekt MLL5 hoch 25 günstig 8–16 kontrovers PRAME hoch 25 günstig RUNX1 10–13 ungünstig EVI 1 hoch N-RAS 9–14 kontrovers SETB1 hoch IDH2 6–15 kontrovers WT1 10–15 kontrovers 5–11 kontrovers ASXL1 IDH1 MLL-PTD WT1-SNP 25 günstig IDH1-SNP 12 ungünstig © Schattauer 2011 7,5–22 18 ungünstig ungünstig Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese AML XIII 74 oder Sorafenib konnten zwar die Zahl peripherer Blasten bei Patienten mit FLT3-Mutationen deutlich verringern, zu kompletten Remissionen kam es aber selten. Und die biologische Aktivität hielt nur kurz an. Als Einzelsubstanzen waren alle FLT3-Inhibitoren unzureichend wirksam, unterstrich Dr. Richard M. Stone, Boston/ USA. Man versuchte deshalb, solche Substanzen mit der Standard-Induktionstherapie zu kombinieren – bisher mit wechselndem Erfolg. Doch es ist durchaus möglich, dass sich aus der Vielzahl von noch laufenden Studien mit noch potenteren FLT3-Inhibitoren oder mit kombinierter Hemmung von FLT3 und anderen Signalwegen, beispielsweise mTOR, eine erfolgreiche Strategie entwickeln lässt. Dr. med. Angelika Bischoff Literatur 1. Büchner T et al. Age-related risk profile and chemotherapy dose response in acute myeloid leukemia: A study by the German acute myeloid leukemia cooperative group. J Clin Oncol 2009; 27: 61–69. 2. Creutzig U et al. Treatment strategies and long-term results in paediatric patients treated in four consecutive AML-BFM-trials: Leukemia 2005; 19: 2030–2042. 3. Dufour A et al. Acute myeloid leukemia with biallelic CEBPA gene mutations and normal karyotype represents a distinct genetic entity associated with a favorable clinical outcome. J Clin Oncol 2010; 28(4): 570–577. 4. Gardin C et al. Postremission treatment of elderly patients with acute myeloid leukemia in first complete remission after intensive induction chemotherapy: Results of the multicenter randomized Acute Leukemia French Association (ALFA) 9803 trial. Blood 2007; 109: 5129–5135. AML-Erhaltungstherapie IL-2-Therapie braucht Histamindihydrochlorid, um effektiv zu sein Eine kleine Anzahl von Krebszellen entgeht fast immer der Chemotherapie. Daher lautet das Ziel auch bei der Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) die Eradikation von malignen Zellen. Möglichst möchte man also mit der Erhaltungstherapie eine komplette Remission erreichen. Doch das Rezidivrisiko bleibt hoch. Die folgende Stammzelltransplantation kommt wegen häufiger Komorbiditäten der meist älteren Patienten nicht infrage, wäre aber effektiv. „Die Erfolge der klassischen Erhaltungstherapie sind bislang in den Möglichkeiten zu limitiert“, meinte Prof. Thomas Büchner, Münster. Immunstimulation ist ein neuer vielversprechender Ansatz. Interleukin-2 (IL-2), beispielsweise aktiviert die antileukämischen Funktionen von NK- und T-Zellen. Prof. Kristoffer Hellstrand, Göteborg/Schweden, sieht in dem synthetischen Derivat von Histamin eine interessante Option zur Rezidivprophylaxe. Allein ist IL-2 nicht effektiv genug, denn zytotoxische Lymphozyten werden „immun“ gegenüber IL-2. Es herrscht also eine myeloische zellinduzierte Inaktivierung vor, so Hellstrand. Laut Prof. Jacob M. Rowe, Haifa/Israel, haben insgesamt sechs randomisierte Studien (n = 1507) gezeigt, dass IL-2 in der Monotherapie nicht genügend wirksam ist. Die Resistenzbildung erfolgt offenbart durch eine Freisetzung von reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS) durch die myeloischen Zellen (Monozyten, Granulozyten, Makrophagen). Um eine IL-2-Inaktivierung zu verhindern, „wurde eine unerwartete Verbindung identifiziert“, so Hellstrand. Denn Histamindihydrochlorid (Ceplene®) schützt NKZellen nicht nur vor deren Inaktivierung, sondern verbessert auch noch deren Effektivität, um AML-Blasten zu töten. „Histamindihydro- 5. Green CL et al. Prognostic significance of CEBPA mutations in a large cohort of younger adult patients with acute myeloid leukemia: impact of double CEBPA mutations and the interaction with FLT3 and NPM1 mutations. J Clin Oncol 2010; 28(16): 2739–2747. 6. Juliusson G et al. Age and acute myeloid leukemia: Real world data on decision to treat and outcomes from the Swedish acute leukemia registry. Blood 2009; 113: 4179–4187. 7. Krug U et al. Complete remission and early death after intensive chemotherapy in patients aged 60 years or older with acute myeloid leukemia: a web-based application for prediction of outcomes. Lancet 2010; 376: 2000–2008. 8. Thépot S et al. Azacitidine (AZA) as first line therapy in AML: Results of the French ATU program. Blood 2009; 114: 843 (ASH Annual Meeting). Quelle: Symposium Acute Leukemias XIII vom 27. Februar bis 2. März 2011, München. chlorid und IL-2 zerstören also Leukämie-Zellen und beugen dem Rückfall vor“, so der Onkologe. „Der Zusatz von Histamindihydrochlorid ermöglicht erst die Wirksamkeit von IL-2.” Ergebnisse der Phase-III-Studie belegen für 261 Patienten, dass die Erhaltungstherapie mit IL-2 und Histamindihydrochlorid die Rezidivrate von AML-Patienten um rund 30% senken kann. Die Studie verglich Histamindihydrochlorid plus IL-2 mit keiner Behandlung in erster Remission (CR1) und bei weiteren 59 Patienten in erneuter Remission nach Rezidiv. Bei den CR1-Patienten stieg die mediane Dauer des leukämiefreien Überlebens von 291 Tagen auf 450 Tage nach Behandlung mit der Zweierkombination gegenüber keiner Therapie. Die Anzahl der CR1-Patienten, die drei Jahre lang leukämiefrei blieben, betrug 40% nach Behandlung mit beiden Substanzen gegenüber 26% bei Patienten, die diese Behandlung nicht erhielten. Die Therapie kann ambulant durchgeführt werden. Histamindihydrochlorid und IL-2 wurden nach Rowe in höheren Dosen auch schon zur Behandlung des malignen Melanoms und beim Nierenzellkarzinom eingesetzt. Dr. med. Nana Mosler, Leipzig Quelle: Satelliten-Symposium „Postremission treatment of Acute Myeloid Leukemia“im Rahmen des Symposiums „Acute Leukemias XIII“ am 27. Februar 2011, München. Veranstalter: MEDA Pharma GmbH & Co. KG, Bad Homburg Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum HämatoOnkologie 75 Aktuelle diagnostische und therapeutische Optionen Leptomeningeale Metastasierung bei hämatologischen Neoplasien Diagnose und Management von leptomeningealen Metastasen (Meningeosis neoplastica, MN) bei Leukämien und Lymphomen stellen Hämatologen immer wieder vor klinische Herausforderungen. Mit liposomalem Cytarabin (DepoCyte®), das nur ein mal in zwei Wochen intrathekal appliziert werden muss, steht eine effektive und patientenfreundliche Option zur Prophylaxe und Therapie einer Meningeosis neoplastica zur Verfügung, bestätigte Prof. Dieter Hoelzer, Frankfurt/Main, auf dem Symposium „Acute Leukemias XIII“ Ende Februar in München. Die Diagnosestellung einer Meningeosis neoplastica wird durch die diffuse Symptomatik erschwert, erläuterte Dr. Martin Bommer, Ulm. Symptome wie plötzliche Kopf- oder Rückenschmerzen, Paresen, diffuse radikuläre Beschwerden sowie psychische Veränderungen können auf eine MN hinweisen. Dann sollte unmittelbar eine gezielte Diagnostik mittels MRT des Gehirns und des gesamten Liquorraums und/oder Liquorzytologie eingeleitet werden. Während bei soliden Tumoren die Sensitivität des MRT bei 81% liegt, beträgt sie bei hämatologischen Neoplasien nur 50% und die Liquordiagnostik ist hier dem MRT überlegen (4). Bommer rät im Zweifelsfall immer zur Kombination beider Verfahren: „Manchmal müssen wir auch auf molekulare Nachweismethoden ausweichen.“ Zusätzliche Informationen liefern Durchflusszytometrie (Flow Cytometry, FCM) und PCR (Polymerase Chain Reaction). Nach Bommers eigenen Untersuchungen erhöhen beide Methoden die Sensitivität und Spezifität der Diagnostik (1). Zur Therapie der MN stehen Strahlentherapie, systemische Chemotherapie und intrathekale Chemotherapie mit Methotrexat, Cytarabin, Thiothepa oder die liposomale Formulierung von Cytarabin zur Verfügung. Letztere muss nur einmal in zwei Wochen gegeben werden, während Methotrexat und konventionelles Cytarabin mehrmals wöchentlich in den Lumbalkanal oder über ein Ommaya-Reservoir intraventrikulär appliziert werden. Das Ansprechen unter liposomalem Cytarabin ist besser als unter herkömm- lichem Cytarabin. Darüber hinaus ist die Zeit bis zu neurologischen Progression länger, wie eine randomisierte Studie zeigte (2). ZNS-Beteiligung verschlechtert ALL-Prognose Hämatologische Erkrankungen mit besonders hohem Risiko für das Auftreten einer Meningeosis neoplastica sind das Burkitt-Lymphom, das lymphoblastische Lymphom und die akute lymphatische Leukämie (ALL). Tritt ein ZNS-Rezidiv auf, so überlebt kaum ein Patient 2 Jahre. Das ZNS-Rezidiv geht üblicherweise mit einem systemischen Rezidiv einher. In einer europäischen Studie erhielten 22 stark vorbehandelte Patienten mit ALL bzw. Lymphomen und isoliertem ZNS-Rezidiv oder zusätzlich systemischen Metastasen liposomales Cytarabin intrathekal in zweiwöchentlichen Abständen (3). Der primäre Studienendpunkt war das zytologische Ansprechen in der Zerebrospinalflüssigkeit nach einem oder zwei Zyklen. Bei 74% der Patienten wurde nach 2 Zyklen eine vollständige zytologische Remission erreicht, wobei das Ansprechen bei ALL (84%) höher war als das Ansprechen bei den BurkittLymphomen (40%). Die mediane Zeit bis zur erneuten Progression betrug bei den 14 Patienten mit kompletter Remission 7 Monate, das mediane Gesamtüberleben 11 Monate. Mit zunehmender Zyklenzahl traten Nebenwirkungen auf, in erster Linie Kopfschmerzen sowie neurologische Komplikationen, die möglicherweise mit der intrathekalen Therapie assoziiert sind. „Häufig wissen wir jedoch nicht, ob die Therapie die Problematik verursacht oder die Erkrankung per se“, meinte Dr. Nicola Gökbuget, Frankfurt/Main. Insgesamt hat liposomales Cytarabin eine ausgezeichnete antileukämische Aktivität gezeigt. Wegen des hohen Risikos für ein ZNS-Rezidiv wird bei Patienten mit ALL von Anfang an eine ZNS-Prophylaxe durchgeführt. Die Studien der German Multicenter Study Group on Adult Acute Leukemias (GMALL) über die vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass das ZNS-Rezidiv nahezu vollständig verhindert werden kann. Die bisherige Therapie bestehend aus systemischer Chemotherapie, Bestrahlung und 12-maliger intrathekaler Chemotherapie ist jedoch aufwändig und schränkt Lebensqualität und Mobilität der Patienten stark ein. Die neuen Studienkonzepte der GMALL versuchen in risikoadaptierten Strategien eine ZNS-Prophylaxe mit geringerer Toxizität und systemischer Rezidivrate zu entwickeln. Eine gemeinsame europäische Studie von GMALL und North Italian Leukemia Group (NILG) vergleicht bei älteren Patienten bei gleicher systemischer Therapie die bisher übliche 12-malige intrathekale Triple-Therapie bestehend aus MTX/Ara-C/ Dexamethason mit 6 Gaben von liposomalem Cytarabin ohne Bestrahlung. Die Studie bei jüngeren Patienten ist darauf ausgelegt, zu prüfen, ob bei einer intrathekalen Triple-Therapie plus liposomalem Cytarabin eine Strahlentherapie vermeidbar ist. Dr. Petra Ortner, München Literatur 1. Bommer M et al. Cancer Cytopathology 2011, 119 (1): 20–26. 2. Glantz MJ et al. J Clin Oncol 1999; 17: 3110−3116. 3. Gökbuget N et al. Haematologica 2011; 96(2): 238−244. 4. Strik HM et al. J Clin Oncol 2009; 27: 15s (suppl; abstr 9566). Quelle: Symposium „Neoplastic Meningitis 2011 – tackling a permanent challenge“ am 27. Februar 2011 im Rahmen des Symposiums „Acute Leukemias XIII“ vom 27.2. bis 2.3.2011, München. Veranstalter: Mundipharma GmbH, Limburg. Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der Mundipharma GmbH, Limburg. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese NCCN 2011 76 16. Jahresversammlung des National Comprehensive Cancer Network Neue Diagnose und Therapieleitlinien zum Non-HodgkinLymphom vorgestellt Auf der 16. NCCN-Jahresversammlung wurden neue Leitlinien für einige onkologische Indikationen vorgestellt, darunter die Non-Hodgkin-Lymphome (NHL). Zu den wichtigsten Veränderungen zählt hier die Verabschiedung der neuen Diagnose- und Therapieleitlinien für „Post-Transplant Lymphoproliferative Disorder (PTLD)“ sowie für NK/T-Zell-Lymphome. Bei der Therapie der follikulären Lymphome wurde der Empfehlungsgrad für die Therapieregime der aktuellen Datenlage angepasst. Die neuen Leitlinien können unter der Webadresse www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/ nhl.pdf kostenlos heruntergeladen werden. PTLD stellen eine neue, biologisch, histologisch und therapeutisch eigenständige Entität von überwiegend B-Zell-Neoplasien (ca. 80%) dar, die in der Folge von Organtransplantationen auftreten. Als ursächlich (mit)verantwortlich gelten eine Immunsuppression und das Epstein-Barr Virus (EBV). Die einzelnen Maßnahmen in den Leitlinien sind unterteilt in „unbedingt notwendig“ oder „nützlich unter bestimmten Umständen“. Als essentiell für die Diagnose werden neben der Histopathologie die Bestimmung des Immunphänotyps sowie eine EBV-Testung angese- hen. Das weitere Procedere entspricht in großen Teilen dem, wie man es beim NHL bereits kennt, meinte Prof. Andrew Zelenetz, New York/USA, bei der Präsentation der neuen Leitlinien. Die Therapie sollte je nach PTLD-Subtyp erfolgen. Dies schließt bei EBV-positiven Patienten eine antivirale Intervention mit Gancyclovir ein. Weitere Therapieoptionen sind die Gabe des CD20-Antikörpers Rituximab, eine Chemoimmuntherapie sowie in genau definierten, seltenen Fällen eine Stammzelltransplantation. In den Therapieleitlinien für follikuläre Lymphome wurde der Empfehlungsgrad für zwei Regime heraufgesetzt. Die Kombination Bendamustin-Rituximab erhielt eine Kategorie 1-Empfehlung (vormals 2A) als Erstlinientherapie des fortgeschrittenen follikulären Lymphoms und Mantelzelllymphoms. Damit werden die Studiendaten gewürdigt, die eine Überlegenheit gegenüber dem alten Standard-Regime CHOP-R beim krankheitsfreien Überleben und der CR-Rate gezeigt haben. Für die weiterführende Behandlung in der remittierten Situation wurden ebenfalls zwei Regime von dem Empfehlungsgrad 2B in die Kategorie 1 aufgewertet – die Erhaltungstherapie mit Rituximab sowie eine Chemotherapie mit konsekutiver Radioimmuntherapie. Der Onkologe vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York wies darüber hinaus auf zwei aktuelle PET-Studien hin, welche die Bedeutung dieses Verfahrens beim Assessment und der Response-Evaluation des follikulären Lymphoms unterstreichen. So lassen die Studiendaten erhoffen, dass mit dem FDGPET nicht nur eine bessere Unterscheidung zwischen indolenten und aggressiven Lymphomen ermöglicht wird, sondern auch eine bessere Einschätzung des Risikos einer Transformation in einen aggressiven Verlauf. Gleichwohl wird das FDG-PET die Biopsie als Standardnachweis nicht ablösen, so Zelenetz. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: 16. Jahresversammlung des NCCN (National Comprehensive Cancer Network) vom 9. bis 13. März 2011, Hollywood/USA Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Internationale Literatur 77 Strahlenexposition in Europa nach Tschernobyl 1986 Leukämierisiko auch in Ländern mit geringer radioaktiver Belastung erhöht Das Risikomodell der International Commission on Radiological Protection (ICRP) zur Gesundheitsgefährdung, welches das Risiko externer Strahlung auf der Basis externer Expositionsstudien erfasst, unterschätzt das Gesundheitsrisiko einer chronischen internen Strahlenexposition. Diese Folgerung ziehen britische Wissenschaftler aus einer Studie, welche die radioaktive Strahlenexposition Ungeborener in Deutschland, Griechenland und Großbritannien nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 untersuchte. Großbritannien, Griechenland und Deutschland gehörten neben Weißrussland zu den Ländern, die nach dem Unglück von Tschernobyl erhöhte Leukämieraten bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr meldeten. Für Leukämien in diesem Alter werden vor allem Genmutationen in utero verantwortlich gemacht. Deshalb ist das Unglück von Tschernobyl bei Kindern, die zwischen Juli 1986 und Dezember 1987, dem Zeitraum der Spitzenexposition, geboren wurden, die einzige mögliche Ursache für die Entwicklung der Leukämie. Eine britische Arbeitsgruppe verglich diese Kleinkindpopulation mit Kollektiven, die in den genannten Ländern zwischen Januar 1980 und Dezember 1985, sowie zwischen Januar 1988 und Dezember 1990 geboren wurden. Englische Daten aus der Geburtshilfe zum Risiko von Röntgenstrahlen für Ungeborene dienten als Vergleichswert. Die kumulative absorbierte Dosis der Index-Population variierte von 0,02 mSv (mSievert) in Großbritannien, 0,06 mSv in Deutschland und 0,2 mSv in Griechenland. In Weißrussland lagen die Werte bei 2 mSv. Die Exposition Ungeborener in Deutschland, Griechenland und Großbritannien gegen radioaktive Strahlung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 führte zu einem Anstieg der Leukämie-Inzidenz bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr um 43%. Die mittlere Dosis, der diese Population in utero ausgesetzt wurde, betrug 0,067 mSv. Risiko um den Faktor 100 zu niedrig bewertet? Nach dem Risikomodell der International Commission on Radiological Protection (ICRP) geht von diesem Wert, der weniger als ein Viertel der natürlichen Grundstrahlung beträgt, keine Gesundheitsfährdung aus. Trotzdem hat die Leukämie-Inzidenz zugenommen. Dieser Widerspruch bedeutet, dass das ICRP-Modell, welches das Risiko externer Strahlung auf der Basis externer Expositionsstudien – in Anlehnung an die Erfahrungen mit den Überlebenden der Kommentar Restrisiko mit unkalkulierbaren Folgen Über das „Restrisiko“ wird zurzeit wieder trefflich gestritten – fragt sich nur, welches Restrisiko der einzelne Diskutant dann jeweils damit meint. Der Begriff „Rest“ wurde zuerst als ein Ausdruck in der kaufmännischen Geschäftssprache verwendet und bezeichnet bei der Aufstellung einer Rechnung den Rückstand einer Summe Geldes. Wenn „Risiko“ sich als unkalkulierbare, gegen das Unendliche wachsende Größe erweist – wie hoch mag dann wohl der „Rest“ sein? In diesem Heft hatten Sie, liebe Leserinnen, liebe Leser, bereits die Gelegenheit, Beiträge zu lesen über die Weiterentwicklungen der Therapie von Leukämien. Medizinische Forschung ist gekennzeichnet von hohem Aufwand, schrittweisen Erfolgen, auch Rückschlägen. Sie wird begleitet von Diskussionen und Verhandlungen um Therapiekosten und Erstattungsfähigkeit in unserem Gesundheitswesen. Der Konflikt ist hinreichend bekannt. Vor diesem Hintergrund bringt mich die hier referierte Arbeit zum Leukämie-Risiko zum Nachdenken: eine um 43% gesteigerte Inzidenz der Leukämie in dem „Tschernobyl-Zeitfenster“, so das Ergebnis – worin besteht dann noch der Sinn für eine einengende Betrachtung von Therapiekosten eines bestimmten Medikamentes, wenn auf der anderen Seite Risiken für das Entstehen der Erkrankung nicht entsprechend gewürdigt bzw. bekämpft werden? Die Ergebnisse dieser Studie haben bis heute noch keinen Einzug gefunden in das Risikomodell des ICRP. Es mag ein Trost sein, dass wir bei dem Thema „Tabakkonsum“ da doch einige kleine Schritte weiter sind. Vor ziemlich genau 25 Jahren – es war der 26. April 1986 – explodierte im Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl der Reaktor – jetzt kam es in der Folge eines schweren Erdbebens vor der Küste Japans, gefolgt von einem Tsunami, zu Explosionen und dem Austritt radioaktiven Materials aus 3 Kraftwerksblöcken – das „Restrisiko“ dieser Katastrophe ist bisher in keinster Weise absehbar. Reaktor Tschernobyl # 4 im Jahr 2006 (Foto: Carl Montgomery, Wikipedia) Dr. Peter T. Henning, Stuttgart © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. InternationaleLiteratur 78 Die Anlage Fukushima I am 16. März 2011, 5 Tage nach dem Erdbeben (Foto: DigitalGlobe-Imagery, Wikipedia) Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki – erfasst, auf eine chronische interne Strahlenexposition nicht anwendbar ist, und deren Einfluss krass unterschätzt. Berechnungen ergaben, dass diese Unterschätzung in einem Bereich von mehr als 100-fach zu gering liegt. Dieser Zusammenhang könnte Licht bringen in die immer wieder bestätigte, aber bisher unerklärbare Assoziation zwischen dem Auftreten kindlicher Leukämien und dem Leben im Umfeld von Kernkraftwerken. Das Leukämie-Exzessrisiko in den einzelnen Ländern korrelierte jedoch nicht linear mit der kumulativen Dosis, sondern stieg stark an im mittleren Bereich und flachte in höheren Bereichen wieder ab. Dass bei den höchsten Dosen nicht die stärksten Effekte auftreten, wurde oft als Argument gegen ein Tschernobyl-bedingtes Exzessrisiko für kindliche Leukämien angeführt. Zu erklären ist dies aber unter anderem damit, dass höhere Strahlenexposition häufiger zum Absterben von Feten führt, die hinterher in der Leukämiestatistik nicht auftauchen. Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Busby CC. Very low dose fetal exposure to Chernobyl contamination resulted in increases in infant leukemia in Europe and raises questions about current radiation risk models. Int J Environ Res Public Health 2009; 6: 3105−3114. Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. HämatoOnkologie 79 Follikuläres Lymphom Erhaltungstherapie in der onkologischen Praxis Die ambulante Versorgung in onkologischen Schwerpunktpraxen hat für den Patienten auch den Vorteil, dass er in seinem sozialen Umfeld bleiben kann und über den Krankheitsverlauf den gleichen Ansprechpartner hat. In Berlin haben sich 22 Schwerpunktpraxen in einem Netzwerk organisiert, dem Verein der niedergelassenen internistischen Onkologen e.V., erläuterte Dr. Ulrike Schneider, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Onkologische Schwerpunktpraxis Kurfürstendamm, Berlin, das Konzept. Zur täglichen Arbeit der Schwerpunktpraxis gehört die Verzahnung von stationärer und ambulanter Leistung, so Schneider. So könne durch die ambulante postinterventionelle Betreuung die stationäre Liegedauer verkürzt werden, eine ambulante systemische Chemotherapie, beispielsweise bei Patienten mit follikulären Lymphomen (FL), erfolgen und durch die Fachärzte für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie der Praxis eine palliativmedizinische Versorgung zu Hause für den Patienten gewährleistet werden. Das follikuläre Lymphom (FL) macht zirka 22% aller malignen und 56% aller indolenten Lymphome aus mit einer Häufigkeit von 3–4 pro 100 000 Einwohner in Deutschland – für den Bereich Berlin-Charlottenburg bedeute dies theoretisch 8 neue Patienten pro Jahr, so Dr. Ingo Schwaner, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Berlin. In den Ann-Arbor-Stadien I und II (20% der Patienten) ist bei 30–40% der Patienten eine Heilung durch Strahlentherapie möglich. Wird die Diagnose in den Stadien III und IV gestellt, so sind die Patienten meist älter als 50 Jahre. Die Lebenserwartung liegt im Mittel bei etwa 10 Jahren, jedoch ist die Spannweite mit 30 Jahren sehr groß, gab Schwaner zu bedenken. Wie die GELA (Groupe d’Etude des Lymphomes de l’Adulte) um Dr. Gilles Salles, Frankreich, im vergangenen Jahr nachweisen konnte, bestimmt die Qualität der Chemotherapie das Überleben in der Zweitlinienbehandlung: In einer langen Nachbeobachtung (Median 14,9 Jahre) von belgischen und französischen FL-Patienten zeigte die GELA dass die Patienten, die besser auf eine Erstlinienbehandlung ansprachen (Patienten mit kompletter Remission n = 194; 45%) ein signifikant längeres Gesamtüberleben hatten (HR 0,55; 95% CI 0,42–0,72; p<0,001) als Patienten, die nur teilweise auf die Therapie ansprachen (n = 168; 39%) (1). Rituximab in allen Therapielinien des FL Für Rituximab (MabThera®), gerichtet gegen das ausschließlich auf den B-Lymphozyten befindliche CD-20-Molekül (씰Abb. 1), konnte in allen Studien zur Induktionstherapie bei FL ein signifikanter Überlebensvorteil zugunsten des monoklonalen Antikörpers nachgewiesen werden (2–5). Eine Metaanalyse zur Erstlinen- und Rezidivtherapie des FL mit Rituximab von Schulz et al. (6) ermittelte eine signifikante Reduktion des Sterberisikos durch Rituximab um 37% (HR 0,63; 95% CI 0,51–0,79). In der Erhaltungstherapie im Rezidiv reduziert Rituximab das Sterberisiko um 40% (HR 0,60; 95% CI 0,45–0,79) (7). Rituximab + Chemotherapie stellt somit den Behandlungsstandard in der Induktions- und Rezidivtherapie, sowie im Rezidiv die Kombination mit anschließender Erhaltungstherapie mit Rituximab, so Schwaner. Die Daten der PRIMA (Primary Rituximab and Maintenance)-Studie (8), konnten weiter untermauern, dass auch in der Erstlinienbehandlung Ri- Neue Horizonte in der CML-Therapie Unter der Fragestellung, wie sollten neudiagnostizierte Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie, CML, behandelt werden, diskutierten Experten im Rahmen eines Symposiums in Mannheim. Wie Prof. Hans Tesch, Onkologisches Zentrum am Bethanien-Krankenhaus, Frankfurt am Main, erläuterte, steht mit Nilotinib (Tasigna®) eine neue effiziente Erstlinientherapie zur Verfügung. In dieser Indikation ist der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) der zweiten Generation in Deutschland seit 23. Dezember 2010 zugelassen. Nilotinib ist voll erstattungsfähig durch die gesetzlichen Krankenkassen. Studien zur TKI-Therapie der CML sind weiterhin notwendig in Bezug auf optimales molekulares Ansprechen, sowie Absetzstudien, Kombinationstherapien, und möglicherweise Heilung, so der Experte. Auch laut Prof. Andreas Hochhaus, Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Jena, liege der zukünftige Fokus der CML-Studien auf einer dauerhaften vollständigen molekularen Remission (CMR) unter Absetzung des TKI. Dr. Peter T. Henning, Stuttgart Quelle: „Tasigna® Launch Symposium am 3. Februar 2011 in Mannheim, Veranstalter: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg. tuximab + Chemotherapie mit anschließender Erhaltungstherapie mit Rituximab das progressionsfreie Überleben signifikant verlängert ist (78,6% im Rituximab-Arm [95% CI 74,7–82%] vs. 60,3% im Beobachtungsarm [95% CI 55,8–64,5%] nach 3 Jahren, p<0,0001). Die EMA hat am 27. Oktober 2010 entschieden, Rituximab in der Erstlinien-Erhaltungstherapie des FL zuzulassen. Dr. Peter Henning, Stuttgart Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Abb. 1 Der monoklonale Antikörper Rituximab richtet sich gegen die ausschließlich auf den B-Lymphozyten sitzenden CD-20-Moleküle (Foto: Roche Pharma AG). Bachy E et al. J Clin Oncol 2010; 28: 822–829. Marcus R et al. J Clin Oncol 2008; 26: 4579–4586. Hiddemann W et al. Blood 2005 ; 106 : 3725–3732. Herold M et al. J Clin Oncol 2007; 25: 1986–1992. Salles G et al. Blood 2008; 112: 4824–4831. Schulz H et al. J Natl Cancer Inst 2007; 99: 706–714. Vidal L et al. J Natl Cancer Inst 2009; 101: 1289–1290. Salles G et al. Blood 2010; 116: 746 (ASH 2010, #1788). Quelle: Praxisworkshop „Therapie des follikulären Lymphoms: Die Erhaltungstherapie mit Rituximab und ihre Durchführung in der onkologischen Praxis“ am 23. Februar 20011 in Berlin. Veranstalter: Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese ASCO-GI 80 Adenokarzinom des gastroösophgealen Übergangs Typ I und II FDG-PET identifiziert früh Patienten mit ungünstiger Tumorbiologie Die in San Francisco vorgestellten Ergebnisse der MUNICON II-Studie bestätigen bei Patienten mit einem Adenokarzinom des gastroösophgealen Übergangs Typ I und II (AEG Typ I und II) den prognostischen Stellenwert einer frühen PET-Response unter einer neoadjuvanten Chemotherapie. Eine Salvage-Radiotherapie führt bei metabolischen Nonrespondern aber zu keiner entscheidenden Prognoseverbesserung. Frühere Studien zeigen, dass das Ansprechen auf eine neoadjuvante Chemotherapie mit einem FDG-PET frühzeitig beurteilt werden kann. Mit einer frühen Response-Determinierung kann diese Subgruppe schneller erkannt werden und einem anderen Therapieregime zur Progonoseverbesserung zugeführt werden. An der von einer deutschen Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Florian Lordick, Braunschweig, durchgeführten MUNICON IIStudie nahmen 56 Patienten (∅ 62 Jahre, 91% Männer) mit einem lokal fortgeschrittenen AEG Typ I und II nach Siewert (cT3/4 Nx M0) teil. Die Tumorglukoseaufnahme wurde mittels FDGPET vor und 14 Tage nach Beginn einer neoadjuvanten Chemotherapie gemessen. Nach zwei Wochen wurden 41% der Studienteilnehmer (23/56) als PET-Nonresponder identifiziert. Eine weitgehende histopathologische Remission (<10% Residualtumor) nach der Chemotherapie wurde von 36% (12/33) der Responder sowie von 26% (6/23) der Nonresponder erreicht. Die Nonresponder erhielten in der Folge eine präoperative Chemoradiotherapie mit einer Radiatio (32 Gy) plus Cisplatin 6 mg/m2. Von den PET-Respondern wurden nach der Chemotherapie insgesamt 82% (27/33) operiert (Ro-Resektion), von den Nonrespondern 70% (16/23). Die Gruppe der PET-Nonresponder verzeichnete trotz der intensivierten Behandlung einen schlechteren Outcome als die PET-Responder. Nach einem Follow-Up von 38 Monaten wurde für die Nonresponder ein Ereignis-freies Überleben von 15,4 Monaten und ein Gesamtüberleben von 18,3 Monaten errechnet. Die Gruppe der Responder erreichte diese präspezifizierten Endpunkte noch nicht. Suche nach ResponseMarkern Im Fokus zukünftiger Forschung stehen Prädiktoren der histopathologischen Response, um möglicherweise gezielter die chirurgische Morbidität bei Patienten mit kompletter pathologischer Response nach multimodaler Therapie zu vermeiden, so Prof. Jennifer Obel, Evanston/USA, auf einer Pressekonferenz. Dies könnten molekulare Marker wie KRAS-Mutationen sein, die auf eine mögliche Wirksamkeit einer Therapie mit EGFRTyrosinkinase-Inhibitoren hinweisen. Die MUNICON II-Studie zeigt, so Obel, einen zweiten Weg: Die Identifikation von Patienten, die nicht von einer Chemoradiotherapie profitieren, möglicherweise aufgrund einer anderen Tumorbiologie mit einer derzeit deutlich schlechteren Prognose. Dr. Alexander Kretzschmar Literatur Golden-Gate-Bridge von Nordwest mit San Francisco im Hintergrund (Foto: Dirk Beyer/Wikipedia) 1. Lordick F et al. PET-guided treatment in locally advanced adenocarcinoma of the esophagogastric junction (AEG): The MUNICON-II study. J Clin Oncol 2011; 29: (suppl. 4; abstr. 3). Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese ASCO-GI 81 Bisphosphonate Positive Nutzen-Risiko-Relation auch bei gastrointestinalen Tumoren Auf dem ASCO GI-Symposium 2011 wurden neue Daten vorgestellt, die eine günstige Nutzen-Risiko-Relation des Einsatzes von Bisphosphonaten bei gastrointestinalen Tumoren nahelegen. Insbesondere die Diskussion um direkte antikarzinogene Effekte dieser Wirkstoffgruppe dürfte neue Nahrung erhalten, meinte Prof. Gad Rennert, Haifa/Israel. Bisphosphonate haben in der Tumortherapie einen festen Stellenwert in der Behandlung der Arzneimittel-assoziierten Osteoporose sowie zur Schmerztherapie bei Knochenmetastasen. Neuere Daten haben zu einer intensiven Diskussion über ein erweitertes Wirkprofil mit direkten anti-karzinogenen Effekten bei Brustkrebs-Patientinnen geführt. Rennerts Arbeitsgruppe konnte jetzt in der Molecular Epidemiology of Colorectal Cancer (MECC) zeigen, dass postmenopausale Frauen nach der Einnahme von Bisphosphonaten über mindestens ein Jahr ein um 50–60% verringertes relative Risiko besitzen, ein kolorektales Karzinom (CRC) zu entwickeln. In der populationsbasierten Fall-Kontrollstudie wurden die Verläufe von 933 Frauen und einer, nach Alter, Geschlecht, klinischem Status und ethnischer Zugehörigkeit gematchten Vergleichsgruppe gescreent. In der Bisphosphonat-Gruppe traten insgesamt 53 Fälle eines CRC auf, in der Kontrollgruppe 138 (p<0,001). Für Frauen, welche die Bisphosphonate mindestens ein Jahr eingenommen hatten, wurde eine Odds Ratio (OR) von 0,50 (95% KI 0,35–0,71) errechnet. Diese Assoziation blieb stabil, auch wenn den Verzehr von Gemüse, sportliche Aktivitäten, die Familienanamnese eines CRC, den BMI, die Einnahme von niedrig dosierten ASS, Statinen, Vitamin D und Hormonen in der Postmenopause als Biasfaktoren berücksichtigt wurden (OR = 0,40; 95% KI 0,24–0,64). Die gleichzeitige Einnahme von Statinen beeinflusst das CRC-Risiko nicht weiter. Letzterer Befund ist nach Ansicht der Wissenschaftler auch ein Beleg für eine mögliche direkte Beteiligung der Bisphosphonate. Entwarnung auch bei Ösophagealkarzinomen Unter der Einnahme von oralen Bisphosphonaten können Entzündungen der Speiseröhre unterschiedlichen Schweregrads auftreten. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Befürchtung, dass auch die Inzidenz von Ösophagealkarzinomen erhöht ist, so eine in San Francisco vorgestellte Metaanalyse (1). Das Screening der zwischen 1990 und September 2010 publizierten Literatur erbrachte fünf Studien – drei Fall-Kontrollstudien und zwei Kohortenstudien – mit den dafür benötigten Angaben. Die Auswertung aller fünf Studien zeigte für das Auftreten von Ösophagealkarzinomen eine OR = 0,86 (95% KI 0,62–1,09). Auch die Analyse der drei Fall-Kontrollstudien allein erbrachte mit einer HR = 1,26 (95% KI 0,94–1,57) kein signifikant erhöhtes Risiko. Die beiden Kohortenstudien zeigten sogar eine deutliche Risikoreduktion mit einer HR = 0,35 (95% KI 0,00–0,71). Dr. Alexander Kretzschmar, München Neue Klassifikation beeinflusst Inzidenzen Von 1970 bis 2000 stieg die Inzidenz von Adenokarzinomen des Ösophagus steil an. Eine aktuelle Analyse der amerikanischen Surveillance Epidemiology and End Results Datenbank (SEERs) zeigt zwar, dass die Inzidenz von 3,6 Fällen in 1973 auf 26,5 Fälle in 2006 gestiegen ist (2). Gleichzeitig zeigt eine Trendanalyse, dass sich der Anstieg von initial 8,2% pro Jahr vor 1996 auf 1,3% pro Jahr in 1996 bis 2006 signifikant abgeschwächt hat (p = 0,03). Auch Prof. Florian Lordick, Braunschweig, sieht eine Abschwächung dieses lang anhaltenden Trends. Er wies in diesem Zusammenhang auf einer Fortbildungsveranstaltung darauf hin, dass ab 2010 aus klassifikatorischen Gründen ein scheinbarer Anstieg von Malignomen, die als Karzinome klassifiziert werden, bei einem gleichzeitigen Rückgang von Magenkarzinomen zu erwarten sein wird (1). Dies resultiert aus der seit Anfang 2010 gültigen neuen UICC/ AJCC-Klassifikation. Danach werden alle Adenokarzinome des gastroösophgealen Übergangs, also neben dem Typ I nach Siewert (distales Ösophaguskarzinom), Typ II (Kardia-Karzinom) und Typ III nach Siewert (subkardiales Magenkarzinom) als Ösophaguskarzinom klassifiziert und kategorisiert. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Lordick F. Tumore oberer GI-Trakt. Onko-Update 2011 vom 28.-29. Januar 2011, Berlin. 2. Pohl H et al. Esophageal adenocarcinoma incidence: Are we reaching the Peak? Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2010; 19: 1468−1470. Literatur 1. Ditah IC et al. Do bisphosphonates increase esophageal cancer risk? A meta-analysis. J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl. 4): Abstr #31. 2. Rennert G et al. Association of use of bisphosphonates with risk of colorectal cancer. J Clin Oncol 29: 2011; (Suppl. 4): Abstr #371. Quelle: ASCO Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco/USA © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese ASCO-GI 82 Gastrointestinale Stromatumore (GIST) Sorafenib nach Imatinib- und Sunitinib-Versagen erfolgreich Für Patienten mit fortgeschrittenen gastrointestinalen Stromatumoren (GIST), die unter den Tyrosinkinase-Inhibitoren Imatinib und Sunitinib eine Progredienz der Erkrankung aufweisen, lohnt sich ein Wechsel auf Sorafenib. In einer Phase-II-Studie wurde bei diesen Patienten eine Krankheitskontrollrate von 68% erzielt. Das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) empfiehlt daher Sorafenib zur Therapie des GIST bei Imatinib- und Sunitinib-Resistenz. Die therapeutischen Möglichkeiten bei fortgeschrittenem GIST waren bis vor wenigen Jahren sehr beschränkt. In Studien mit chemotherapeutischen Regimen lagen die Responseraten durchwegs unter 5%. Mit der Verfügbarkeit des Tyrosinkinase-Inhibitors Imatinib hat sich diese Situation grundlegend geändert. Das mediane Überleben konnte von 19 Monate vor 10 Jahren auf rund 5 Jahre gesteigert werden. Für Patienten, die sowohl unter Imatinib als auch Sunitinib einen Progress erleiden, gibt es keine international akzeptierten Therapieregime. Eine Arbeitsgruppe um Prof. Nicolas Campbell, Chicago/USA, behandelte 38 Patienten (∅ 57 Jahre, 55% Männer) mit einem nicht resezierbaren GIST, bei denen unter Imatinib (n = 6) oder Imatinib und Sunitinib (n = 32) keine Kontrolle der Erkrankungsprogression erzielt werden konnte, mit 2 x 400 mg/d Sorafenib über einen Zyklus von 28 Tagen. Zur Kon- trolle des Ansprechens wurde alle zwei Zyklen eine CT-Aufnahme gemacht. Die Patienten erhielten median 4 Zyklen (1–37). Der mediane Follow-Up betrug 31 Monate. Bei den Imatinib-resistenten Patienten wurde in 1/6 Fällen eine partielle Response (PR) erreicht, in der Imatinib- und Sunitinib-resistenten Gruppe in 13% (4/32). Ein stabiler Krankheitszustand (Stable Disease, SD) wurde in dem Kollektiv in 55% der Fälle festgestellt. Daraus errechnet sich eine Krankheitskontroll-Rate (PR+SD) von 68%. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 3,4 Monate (Imatinib-Resistenz) bzw. 5,2 Monate (Imatinib- und Sunitinib-Resistenz). Das mediane Gesamtüberleben betrug bei diesen schwer behandelbaren Patienten immerhin 13,6 bzw. 10,5 Monate, betonte Campbell in einer Pressekonferenz. Insgesamt 63% der Studienteilnehmer benötigten eine Dosisreduktion, wegen des Auftretens eines Hand-Fuß-Syndroms (45%) und eines Bluthochdrucks (21%) als häufigste Grad 3-Toxizitäten. Aufgrund dieser Daten hat das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) Sorafenib in ihre Empfehlungen zur Therapie des GIST bei Imatinib- und Sunitinib-Resistenz aufgenommen. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Campbell NP et al. Final results of a University of Chicago phase II consortium trial of sorafenib (SOR) in patients (pts) with imatinib (IM)- and sunitinib (SU)-resistant (RES) gastrointestinal stromal tumors (GIST). J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl. 4): Abstr. #4. Cable-Car (Foto: Thomas Bachmann/ Wikipedia) Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco/USA. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese ASCO-GI 83 Therapie von Lebermetastasen neuroendokriner Tumore Sunitinib nach transarterieller Embolisation erfolgreich Die Prognose von Patienten mit neuroendokrinen Tumoren hängt entscheidend von der Ausdehnung und dem Wachstum der Lebermetastasen ab. Eine Phase-II-Studie weist darauf hin, dass Sunitinib auch erfolgreich nach einer transarteriellen Embolisation (TAE) bei Patienten mit nicht resezierbaren Lebermetastasen neuroendokriner Tumore eingesetzt werden kann. Neuroendokrine Tumore sind charakterisiert durch ein allgemein langsames Tumorwachstum. Zum Zeitpunkt der Diagnose liegt bereits bei drei Viertel der Patienten eine hepatische Metastasierung vor. Die Prognose hängt ent- scheidend von der Ausdehnung und dem Wachstum der Lebermetastasen ab. Eine erfolgreiche kurative Resektion ist jedoch nur in 10 bis 20% der Fälle möglich. In dieser Situation werden heute sequenzielle vaskuläre Thera- Sunitinib jetzt auch gegen pNET Der Tyrosinkinasehemmer Sunitinib (Sutent®) wurde Ende 2010 von der EMA für die Behandlung von Erwachsenen mit nicht resezierbaren und/oder metastasierten gut differenzierten pankreatischen neuroendokrinen Tumoren (pNET) mit Krankheitsprogression zugelassen. Basis für die Zulassungserweiterung waren die Ergebnisse einer doppelblinden, Placebo-kontrollierten randomisierten Phase-IIIStudie bei Patienten mit fortgeschrittenen, gut differenzierten pNET mit Krankheitsprogression. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben. Die Mehrzahl der Patienten waren systemisch vorbehandelt, die Therapie mit Somatostatinanaloga war während der Studie erlaubt. Die Auswertung basiert auf 171 Studienteilnehmern, die 37,5 mg/d Sunitinib oder Placebo bis zur Progression erhielten. Der ursprüngliche Plan, 340 Patienten zu rekrutieren, wurde aufgrund der eindeutigen Ergebnisse auf Empfehlung des Sicherheitskomitees nicht durchgeführt. Das progressionsfreie Überleben war unter Sunitinib mit 11,4 Mona- ten doppelt so hoch wie unter Placebo (5,5 Monate) (HR = 0,418, 95% KI 0,263−0,662; p = 0,0001). Das 6-Monats-progressionsfreie Überleben betrug 71,3 vs. 43,2%. Auch das Gesamtüberleben war unter Sunitinib länger (Hazard-Ratio 0,409; p = 0,0204). Die objektive Remissionsrate lag bei 9,3% (vs. 0% unter Placebo; p = 0,0066). In einer multivariaten Analyse, war nur die Zeit von der Erstdiagnose (>3 vs. <3 J.) (HR = 0,603, 95% KI 0,382−0,952; p<0,03) ein unabhängiger prognostischer Faktor. Die Nebenwirkungsquote war gering. Zu den Grad 3/4 Nebenwirkungen gehörten Neutropenie (Sunitinib: 12%; Placebo: 0%), Hypertension (Sunitinib: 10%; Placebo: 1%), Hand-Fuß-Syndrom und Leukopenie (Sunitinib: je 6%; Placebo: 0%). Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Fach-Pressekonferenz „Ein Meilenstein in der Behandlung von fortgeschrittenen pankreatischen neuroendokrinen Tumoren (pNET). Sutent® erhält EU-Zulassung zur Anwendung bei pNET“ am 1. Februar 2011, Berlin. Veranstalter: Pfizer Deutschland GmbH, Berlin. pieverfahren wie die TAE, die transarterielle Chemoembolisation (TACE) und die selektive interne Radiotherapie (SIRT) mit Erfolg zur Optimierung der lokalen Kontrollrate, Verringerung der Krankheitssymptomatik und Erhöhung der Überlebensraten eingesetzt. Lebermetastasen neuroendokriner Tumore bieten sich aufgrund ihrer starken Hypervaskularisation nicht nur für regionale Interventionen an. Als neue medikamentöse Ansätze wurden der Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib (Sutent®) für VEGF, PDGF und c-kit von der europäischen Zulassungsbehörde EMA bei Erwachsenen zur Behandlung nicht resezierbarer oder metastasierter, gut differenzierter pankreatischer neuroendokriner Tumoren mit Krankheitsprogression sowie der mTor-Inihibitor Everolimus in den USA zugelassen. An der Phase-II-Studie nahmen 39 Patienten mit einem metastasierten neuroendokrinen Tumor teil (1). Der Primärtumor war im Dünndarm (n = 26), Pankreas (n = 10), Rektum (n = 2) und der Lunge (n = 1) lokalisiert. Als Startdosis waren ursprünglich 50 mg/d Sunitinib vorgesehen. Diese Dosis wurde jedoch auf 37,5 mg/d oder (in den meisten Fällen) auf 25 mg/d reduziert. Insgesamt 72% der Studienteilnehmer (n = 28) erreichten eine partielle radiographische Response (PR) und 20% (n = 8) einen stabilen Krankheitszustand (SD); bei 8% (n = 3) schritt die Progression des Tumors weiter voran. Das mediane progressionsfreie Überleben wurde mit 18 Monaten und das 1-Jahres progressionsfreie Überleben mit 72% errechnet. Das 1-Jahres-Gesamtüberleben betrug 94%, das 2-Jahres-Gesamtüberleben 78%. Dr. Alexander Kretzschmar Literatur 1. Strosberg JR et al. Phase II study of sunitinib malate following hepatic artery embolization for metastatic neuroendocrine tumors. J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl. 4): Abstr. #244). Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco/USA. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese ASCO-GI 84 Pankreas-CA – präoperative Vermessung der Tumorgröße Wie treffsicher sind zwei- und dreidimensionales CT? Für eine Resektion bei geringstmöglicher Schädigung der umgebenden Strukturen ist eine genau präoperative Vermessung der Größe des Resektats notwendig. Onkologen der Johns Hopkins Universität in Baltimore/USA und der Universität von Kalifornien in San Franscisco/USA untersuchten hierzu, ob beim Pankreaskarzinom die Vermessung mittels 3D-CT gegenüber dem konventionellen CT einen messbaren Vorteil bringt. Ein postoperativer Vergleich mit dem Resektat ergab, dass beide CT-Techniken die tatsächliche Tumorgröße etwas unter- bzw. überschätzen, wobei des 3D-CT insgesamt knapp besser abschnitt. Ausgewertet wurden insgesamt 70 Patienten, wobei in 14,1% der Fälle die CT-Aufnahme bereits über 6 Wochen vor der Operation durchgeführt wurde. Der mittlere maximale Tumor- durchmesser betrug laut Pathologen 31,3 mm (3–60 mm). Im Vergleich dazu lag das präoperative zweidimensionale CT bei der Gesamtgruppe um 1,9 mm darunter. Allerdings war der Kleinzelliges Pankreaskarzinom Große Spannbreite in der Überlebenszeit Das kleinzellige Pankreaskarzinom gehört zu den onkologischen Raritäten mit nur rund 30 in der Literatur dokumentierten Fällen. Eine Arbeitsgruppe der Mayo Klinik in Rochester/USA und der Johns Hopkins Universität, Baltimore/USA, stellte in San Francisco eine prospektive Verlaufsstudie mit sechs Patienten vor. Die Studienteilnehmer hatten ein medianes Alter von 50 Jahren (27–60 Jahre, davon jeweils 50% Männer und Raucher). In allen Fällen war der Tumor am Pankreaskopf lokalisiert (∅ median 3 cm) mit positivem Lymphknotenbefall in 5 Fällen. Alle Patienten unterzogen sich einer Tumorresektion, wobei bei drei Patienten postoperative Komplikationen auftraten (kein Todesfall). Alle Patienten erhielten danach eine adjuvante Chemotherapie – in 5 Fällen Cisplatin und Etoposid – sowie in 5 Fällen eine Radiatio. Das me- Unterschied nicht statistisch signifikant (p = 0,27). Im Vergleich dazu wies das 3D-CT den Tumor um 0,4 mm größer aus (p = 0,82). Ausgewertet nach R0- und R1-Resektion (n = 48 bzw. n = 22) lag bei den R0-Resektionen das konventionelle CT um 3,1 mm unter der tatsächlichen Tumorgröße, beim 3D-CT lag das Ergebnis um 0,1 mm darüber. Bei den R1-Resektionen lagen beide Messmethoden um 0,8 mm (CT) bzw. 1,1 mm (3D-CT) über dem später gemessenen Wert. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Qiu H et al. Correlation between pancreatic tumor size as measured on 3D CT scan versus pathologic specimen: Impact on radiation treatment volume. J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl. 4): Abstr. #276. Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco diane Überleben betrug 20 Monate (9–173 Monate). Der Patient mit einem Überleben von 9 Monaten erhielt nur eine Chemotherapie, der Patient mit einem Überleben von 173 Monaten erhielt Cisplatin und Etoposid und eine Radiatio. Dies ist die bis jetzt längste bekannte Überlebenszeit eines Patienten mit dieser Tumorentität. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Winter JM et al. Resectable pancreatic small cell carcinoma: The experience of two institutions and review of the literature. J Clin Oncol 2011; 29 (Suppl. 4): Abstr. #333). Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum ASCO GI 85 Capecitabin beim Kolonkarzinom Aktuelle Studiendaten bestätigen hohe Wirksamkeit Die Kombination XELOX – orales Fluoropyrimidin Capecitabin plus Oxaliplatin – ist auch in der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms genauso wirksam wie das infusionale FOLFOX-Regime oder das intravenöse Bolus-Regime FLOX. Die Wirksamkeit von XELOX bleibt selbst dann erhalten, wenn die Dosis von Capecitabin (Xeloda®) modifiziert werden muss. Dies gilt sowohl für die adjuvante Therapie im Stadium III als auch für die Erst- und Zweitlinien-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms. Aktuelle, auf dem diesjährigen ASCO GI vorgestellte Daten der X-ACT- und XELOXA-Studie bestätigen zudem, dass die Wirksamkeit sowohl von Capecitabin mono als auch von XELOX unabhängig vom Alter ist. Eine große, auf dem internationalen Symposium über Gastrointestinale Karzinome (ASCO GI) in San Francisco/USA Ende Januar vorgestellte Metaanalyse bestätigt, dass die Kombination XELOX auch in der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms genauso wirksam ist wie das infusionale FOLFOX-Regime (3-Jahreskrankheitsfreies Überleben: HR = 1,00, 95% KI 0,71–1,41; 5-Jahres-Gesamtüberleben: HR = 1,02, 95% KI 0,70–1,49) oder das intravenöse Bolus-Regime FLOX (3-Jahres-krankheitsfreies Überleben: HR = 0,99, 95% KI 0,80–1,22; 5-Jahres-Gesamtüberleben: HR = 0,99, 95% KI 0,77–1,25). Adjuvante Behandlungsregime, die Oxaliplatin enthalten, sind zudem signifikant wirksamer als Therapieregime ohne Oxaliplatin (krankheitsfreies Überleben: HR = 0,79, 95% KI 0,73–0,87; Gesamtüberleben: HR = 0,86, 95% KI 0,78–0,95). In die Analyse gingen die Daten von fünf großen randomisierten Studien mit insgesamt mehr als 9000 Patienten ein (1). „Angesichts der vergleichbaren Wirksamkeit ist es sinnvoll“, erläuterte Prof. Hans-Joachim Schmoll, Halle/Saale, „die Auswahl des Kombinations-Regimes von zusätzlichen Faktoren abhängig zu machen, wie zum Beispiel vom Nebenwirkungsprofil oder sonstigen patientenspezifischen Vorteilen. Es ist bekannt und publiziert, dass die Kombination XELOX, bestehend aus Oxaliplatin und dem oralen Capecitabin gut verträglich ist.“ Außerdem wird bei Gabe von Capecitabin auf die 2-tägige 5-FU-Dauerinfusion alle zwei Wochen verzichtet, wodurch die Behandlung für den Patienten wesentlich weniger belastend ist. „So- mit spricht die Summe der Vorteile für die Gabe von XELOX in der Adjuvanz“, resümierte Schmoll. Volle Wirksamkeit selbst bei Dosismodifikation Die Daten aus drei großen Phase-III-Studien machen darüber hinaus deutlich, dass die Wirksamkeit von Capecitabin auch dann voll erhalten bleibt, wenn die Dosis von Capecitabin aus Verträglichkeitsgründen reduziert oder die Therapie vorübergehend unterbrochen werden muss. Das progressions- bzw. krankheitsfreie Überleben von mit XELOX behandelten Patienten, bei denen die Dosis modifiziert wurde, ist dabei mindestens ebenso lang wie das von Patienten, die immer die volle Dosis erhielten. Tendenziell lebten diese sogar länger progressions- bzw. krankheitsfrei als Patienten, die stets mit voller Dosis behandelt wurden. Dies gilt sowohl für die First-Line-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms als auch für die Second-Line und für die adjuvante Therapie von Patienten mit einem Kolonkarzinom im Stadium III (2). „Arzt und Patient müssen Capecitabin-bedingte Nebenwirkungen nicht fürchten“, so das Fazit von Schmoll, „denn sie wissen jetzt, dass klinisch erforderliche Dosismodifikationen ohne Wirksamkeitseinbuße vorgenommen werden können.“ red. Quelle: Gastrointestinal Cancers Symposium (ASCO GI) vom 20. bis 22. Januar 2011, San Francisco Auch Patienten über 70 Jahre profitieren in der Adjuvanz Eine in San Francisco vorgestellte Auswertung bereits abgeschlossener und noch laufender Studien weist auch darauf hin, dass adjuvante Patienten >70 Jahre in ähnlichem Ausmaß von Capecitabin mono und XELOX profitieren wie jüngere Patienten. Subgruppen-Analysen der großen Phase-III-Studien X-ACT und XELOXA zeigen einen konsistenten Nutzen von Capecitabin bzw. XELOX in allen Altersgruppen, auch bei den über 70-Jährigen. Unter einer Capecitabin-Monotherapie betrug das 5-Jahres-Gesamtüberleben bei den Älteren 68,8% vs. 65,8% unter Bolus5-FU. Unter XELOX lag das 3-Jahres-krankheitsfreie Überleben der Älteren bei 66% vs. 60% unter dem Bolus-5-FU-Regime (3). „In der Praxis bedeutet das, dass die Wirksamkeit sowohl von Capecitabin mono als auch von XELOX bei Älteren nachweislich erhalten bleibt“, kommentierte Prof. Dirk Arnold, Hamburg, die Daten. „Dieses Ergebnis bestätigt die hohe Effektivität, die wir für Capecitabin mono kennen, und die Daten zu XELOX eröffnen uns die Option zur Oxaliplatin-haltigen Therapie bei älteren Patienten.“ Literatur 1. Cassidy J et al. Comparative clinical efficacy of adjuvant chemotherapy regimens in randomized controlled trials (RCTs) of early-stage colon cancer: Systematic review and meta-analysis. J Clin Oncol 2011; 29: (suppl. 4; abstr 498). 2. Cassidy J et al. Effective management of patients receiving XELOX: Evaluation of impact of dose modifications on outcome in patients from the NO16966, NO16967, and NO16968 trials. J Clin Oncol 2011; 29: (suppl 4; abstr 497). 3. Cassidy J et al. Review of completed and ongoing trials of capecitabine-based adjuvant therapy in patients with early-stage colon cancer. J Clin Oncol 2011; 29: (suppl 4; abstr 495). Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Internationale Literatur 86 Metastasiertes kolorektales Karzinom Cetuximab plus CAPIRI oder CAPOX bewährt sich In der Erstlinientherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms (mCRC) ist die Gabe von Cetuximab plus CAPIRI (Capecitabin und Irinotecan) oder CAPOX (Capecitabin und Oxaliplatin) effektiv und sicher. In beiden Regimes unterschieden sich die objektive Responserate (ORR) und progressionsfreies Überleben (PFS) nicht entsprechend dem KRAS-Mutationsstatus. In der Phase-II-Studie AIO KRK-0104 erhielten insgesamt 185 Patienten mit mCRC randomisiert Cetuximab (400 mg/m² an Tag 1, danach 250 mg/m² wöchentlich) plus CAPIRI (Irinotecan: 200 mg/m² an Tag 1; Capecitabin: 2 x 800 mg/m² dreiwöchentlich an den Tagen 1–14) oder Cetuximab plus CAPOX (Oxaliplatin: 130 mg/m² an Tag 1; Capecitabin 2 x 1000 mg/m² dreiwöchentlich an den Tagen 1–14). Primärer Studienendpunkt war die ORR. Die ITT-Auswertung von 177 Teilnehmern ergab eine ORR von 46% (95% KI 35–57) unter CAPIRI plus Cetuximab vs. 48% (95% KI 37–59) unter CAPOX plus Cetuximab. Patienten mit KRAS-Wildtyp im CAPIRI-plus-Cetuximab-Arm erzielten eine ORR von 50%, ein PFS Lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom Präoperative Chemoradiotherapie verbessert Langzeitüberleben Eine präoperative Chemoradiotherapie mit Capecitabin und Irinotecan beim lokal fortgeschrittenem rektalen Adenokarzinom ergab in einer Phase-II-Studie hohe Responseraten und ein Langzeitüberleben von 88,2% der Patienten nach 3 Jahren. Die Ergebnisse deuten nach Ansicht der Autoren darauf hin, dass ein Downstaging zu ypCR/Microfoci als Surrogatmarker für das Langzeitüberleben darstellen könnte. In die Phase-II-Studie der NWCOG-2 (North West/North Wales Clinical Oncology Group) wurden insgesamt 110 Patienten ohne Fernmetastasen aufgenommen. Bei allen Teilnehmern war zuvor mittels MRT ein Tumorausmaß ≤2 mm oder die Infiltration der mesorektalen Faszie festgestellt worden. Die Radiotherapie des Beckens erfolgte mit 45 Gy in 25 Fraktionen über fünf Wochen. Begleitend dazu erhielten die Patienten 2 x 650 mg/m² Capecitabin von Tag 1–35 sowie Irinotecan 60 mg/m², einmal wöchentlich in den Wochen 1–4. Bei 107 Patienten wurde anschließend eine Operation durchgeführt. Nach der Chemoradiotherapie wurde bei 72 Patienten (67%) ein T-Downstaging sowie bei 64 Patienten (80%) ein N-Downstaging festgestellt. 24 Patienten (22%) erreichten eine pathologisch komplette Response (ypCR), bei 98 Patienten (92%) wurde ein negativer Resektionsrand rund um den Tumor (>1 mm) festgestellt. Das lokalrezidivfreie Überleben nach von 6,2 Monaten und ein Gesamtüberleben (OS) von 21,1 Monaten. Für den Studienarm CAPOX plus Cetuximab wurden eine ORR von 44,9%, ein PFS von 7,1 Monaten und ein OS von 23,5 Monaten errechnet. Während ORR und PFS bei KRAS-Wildtyp und mutierten Subgruppen vergleichbar waren, war ein Trend zu einem längeren Überleben mit Vorliegen eines KRAS-Wildtyps assoziiert. Beide Regimes wiesen nach Aussagen der Prüfärzte beherrschbare Toxizitätsprofile auf und wurden als sicher eingestuft. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Moosmann N et al. Cetuximab plus capecitabine and irinotecan compared with cetuximab plus capecitabine and oxaliplatin as first-line treatment for patients with metastatic colorectal cancer: AIO KRK-0104 – a randomized trial of the german AIO CRC study group. JCO 2011; 29(8): 1050−1058. drei Jahren betrug 96,9%, das metastasenfreie Überleben (MFS) lag bei 71,1%, das krankheitsfreie Überleben (DFS) bei 63,5% und das Gesamtüberleben (OS) bei 88,2%. In einer univariaten Analyse war ein niedrigeres histologisches Stadium signifikant mit einem besseren MFS, DFS und OS assoziiert, sowohl im Vergleich von ypT0–2 vs. ypT3–4, ypN0 vs. ypN1–2 als auch ypCR/Microfoci (fast ypCR) vs. andere Patienten. In einer multivariaten Analyse waren sowohl das ypN-Stadium (p = 0,048) als auch ypCR/Microfoci vs. andere Patienten (p = 0,013) signifikante Prädiktoren für das DFS. Für das OS galt dies allerdings nur für ypCR/Microfoci vs. andere Patienten (p = 0,005), ohne dass ein Unterschied im Outcome zwischen ypCR und Microfoci bestand. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Gollins S et al. Preoperative chemoradiotherapy using concurrent capecitabine and irinotecan in magnetic resonance imaging – defined locally advanced rectal cancer: Impact on long-term clinical outcomes. JCO 2011; 29(8): 1042−1049. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 87 Fortgeschrittenes NSCLC Besseres Überleben mit Tyrosinkinase-Inhibitoren EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) wie Erlotinib oder Gefitinib sind in der Zweitund Drittlinientherapie des fortgeschrittenen NSCLC mindestens so effektiv wie die Standard-Chemotherapie. In der Firstline-Therapie sind sie bei selektierten Patienten, insbesondere solchen mit aktivierenden EGFR-Mutationen, der Standardtherapie überlegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Bewertung im New England Journal of Medicine. Etwa 85 bis 90% aller Bronchialkarzinome sind vom nicht-kleinzelligen Typ (NSCLC). Im fortgeschrittenen Stadium gilt das NSCLC derzeit als unheilbar. Mit der Standard-Chemotherapie lässt sich das Überleben nur marginal verbessern, so die Bewertung der Autoren (1). Weniger als 30% der Patienten sprechen auf die am häufigsten verwendete Platin-basierte Chemotherapie an. Auch eine Ergänzung mit neueren Substanzen wie Bevacizumab konnte bisher nicht viel daran ändern, dass die mediane Gesamtüberlebenszeit von Patienten mit metastasiertem NSCLC etwa ein Jahr beträgt. Nur 3,5% der Patienten überleben fünf Jahre. EGFR-Signalweg im Fokus Aufgrund dieser unbefriedigenden Situation wird intensiv an neuen Therapiemodalitäten geforscht. Im Fokus steht der Signalweg des EGF-Rezeptors, der bei mehr als der Hälfte der NSCLC-Patienten aktiviert ist und eine zentrale Rolle in Zellproliferation, Angiogenese, Metastasierung und Antiapoptose spielt. Erlotinib und Gefitinib hemmen die Bindung von ATP an die intrazelluläre Tyrosinkinase-Domäne des EGFR kompetitiv und damit die Autophosphorylierung, von der die Aktivierung des weiteren EGFR-Signalwegs abhängt. Besonders effektiv scheinen sie zu sein bei Tumoren mit EGFR-aktivierenden Genmutationen. Zwei parallele Phase-3-Studien verglichen Erlotinib und Gefitinib bei Patienten mit fortschrittenem NSCLC und Versagen einer Firstoder Second-line Chemotherapie mit Placebo. In der Studie BR.21 der National Cancer Institute of Canada Clinical Trials Group (NCIC CTG) mit 731 Patienten mit einem NSCLC Stadium IIIB oder IV zeigte Erlotinib 150 mg/d einen sig- nifikanten Vorteil im Gesamtüberleben (6,7 vs. 4,7 Monate; p = 0,001), im progressionsfreien Überleben (2,2 vs. 1,8 Monate; p<0,001) und in der Lebensqualität für Erlotinib (6). In der Studie NCT00242801 der Iressa Survival Evaluation in Lung Cancer (ISEL) wurde unter Gefitinib 250 mg/d kein signifikanter Vorteil im Gesamtüberleben beobachtet. Nur die Zeit bis zum Therapieversagen war in der GefitinibGruppe signifikant länger (3,0 vs. 2,6 Monate; p<0,001) (7). In der INTEREST-Studie wurde Gefitinib als Zweitlinientherapie mit Docetaxel verglichen. Der Nachweis der Nicht-Unterlegenheit von Gefitinib gegenüber Docetaxel konnte erfolgreich geführt werden (2). Subgruppenanalysen der Studien zeigen, dass Frauen, ostasiatische Patienten, Nichtraucher und Patienten mit Adenokarzinom durch Erlotinib oder Gefitinib besonders hohe Response- und Überlebensraten erreichten. Auch waren spezifische EGFR-Mutationen mit intrinsischer Rezeptoraktivierung deutlich assoziiert mit einem besseren Therapieansprechen. Von der Second-line zur First-line Auf Basis dieser Daten wurden für die Evaluation von TKI in der First-line-Therapie Studien initiiert, die speziell Patienten mit solchen Prädiktoren für eine gute Response einschlossen. In einer asiatischen Studie erhielten Patienten mit Adenokarzinomen, die nie oder kaum geraucht hatten, als First-line-Therapie Gefitinib oder Carboplatin plus Paclitaxel. Ein Jahr überlebten 24,9% der Gefitinib-Gruppe vs. 6,7% der Vergleichsgruppe progressionsfrei. Das Risiko für Progression oder Tod war in der Gefitinib-Gruppe um 26% geringer (p<0,001) (5). Zwei japanische Studien schlossen Patienten mit EGFR-Mutationen ein. Gefitinib verbesserte das mediane progressionsfreie Überleben signifikant im Vergleich zu Carboplatin und Paclitaxel (10,8 vs. 5,4 Monate; p<0,001) (3) und im Vergleich zu Cisplatin und Docetaxel (9,2 vs. 6,3 Monate; p<0,001) (4). Erlotinib ist in den USA und Europa zugelassen als Zweit- oder Drittlinientherapie deslokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC. Gefitinib ist in Europa zugelassen für jede Therapielinie bei Patienten mit EGFR-Mutationen. Im Toxizitätsprofil sind beide Substanzen vergleichbar. Hautausschlag und Diarrhö sind die häufigsten Nebenwirkungen. Da die empfohlene Dosis von Erlotinib aber näher an der tolerierten Maximaldosis liegt als die von Gefitinib, scheint die Toxizität von Erlotinib höher: Bei der Hälfte der Patienten tritt eine Diarrhö auf; bei Gefitinib betrifft dies ein Viertel bis ein Drittel. Ein Hautausschlag entwickelt sich bei drei Viertel der Patienten unter Erlotinib und einem Drittel unter Gefitinib. Die Autoren empfehlen, die Patienten besonders darauf hinzuweisen und entsprechende supportive Therapien vorzuhalten (1). Bei besonders schweren Nebeneffekten kann die Dosis vermindert oder die Medikation ausgesetzt werden. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Cataldo VD et al. Treatment of Non-Small-Cell Lung Cancer with Erlotinib or Gefitinib. N Engl J Med 2011; 364: 947–955. 2. Kim ES, Hirsh V, Mok T, et al.: Gefitinib vs. docetaxel in previously treated non-small-cell lung cancer (INTEREST): a randomised phase III trial. Lancet 2008; 372: 1809−1818. 3. Maemondo M et al. Gefitinib or chemotherapy for non-small-cell lung cancer with mutated EGFR. N Engl J Med 2010; 362: 2380−2388. 4. Mitsudomi T et al. Gefitinib vs. cisplatin plus docetaxel in patients with non-small-cell lung cancer harbouring mutations of the epidermal growth factor receptor (WJTOG3405): an open label, randomised phase 3 trial. Lancet Oncol 2010; 11: 121−128. 5. Mok TS et al. Gefitinib or carboplatin-paclitaxel in pulmonary adenocarcinoma. N Engl J Med 2009; 361: 947−957. 6. Shepherd FA et al. Erlotinib in previously treated non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2005; 353: 123−132. 7. Thatcher N et al. Gefitinib plus best supportive care in previously treated patients with refractory advanced non-small-cell lung cancer: results from a randomised, placebo-controlled, multicentre study (Iressa Survival Evaluation in Lung Cancer). Lancet 2005; 366: 1527−1537. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 88 Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom Vom Screening bis zur individualisierten Therapie Lungenkarzinome repräsentieren sowohl im Hinblick auf die Inzidenz- und Mortalitätsraten wie auch angesichts der im Vergleich zu anderen Tumorentitäten begrenzten therapeutischen Erfolgsaussichten weiterhin eine therapeutische Herausforderung. In einer Übersichtsarbeit wurden einige wichtige Erkenntnisse des vergangenen Jahres zusammengefasst. Beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) im fortgeschrittenen Stadium standen bis zur Entwicklung zielgerichteter Therapien nur Chemotherapieregime zur Verfügung, die bei einer Responserate von meist <20% nur für eine kleine Minderheit von Patienten einen wirklichen Überlebensvorteil brachten, so die Autoren (3). Heute ist allgemein akzeptiert, dass die Identifikation spezifischer genetischer Mutationsmuster neben der Tumorhistologie die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung des NSCLC ist. Damit können Responseraten erzielt werden, die deutlich über denjenigen platinbasierter Chemotherapien liegen. Ein Rückblick auf die in den vergangenen Jahren veröffentlichten neuen Studiendaten zeigt dies eindrucksvoll für die oralen EGFR Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) Erlotinib und Gefitinib bei NSCLCPatienten mit EGFR-Mutationen (4–6, 8). Die Veröffentlichung der hoffnungsvollen Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit dem ALK-MET TKI Crizotinib auf dem ASCO 2010 unterstreicht die Bedeutung einer Gentypisierung für den Therapieerfolg (2). Die überwiegende Mehrzahl von ALK-Mutationen (Alk-MET-Fusionsonkogene) fanden sich bei Adenokarzinomen. Allerdings machten die 82 in die Studie eingeschlossenen Patienten nur etwa 5,5% der Screeningpopulation aus. Bei diesem Subset von Patienten führte die orale Gabe von 2 x 250 mg Crizotinib zu einer Responserate von 57% und einer KrankheitsKontrollrate (DCR) von beeindruckenden 87% nach 8 Wochen. Das progressionsfreie Überleben nach 6 Monaten wurde mit 72% errechnet. Erworbenen Resistenzen auf der Spur Diese Patienten erlitten, ebenso wie die mit den EGFR TKI behandelten NSCLC-Patienten in der Folgezeit einen Progress, möglicherweise infolge einer erworbenen Resistenz. Als Beleg für diese Hypothese wird der Fallbericht eines mit Crizotinib behandelten Patienten herangezogen, der nach fünf Monaten unter der Therapie einen Progress erlitt (1). In der Pleuralflüssigkeit dieses Patienten fanden sich Zellen mit zwei neuen Mutationen (C1156Y and L1196M), die zum Zeitpunkt der ersten Gentypisierung nicht vorhanden waren. Für beide Mutationen wurde in vitro eine verminderte Wirksamkeit von Crizotinib gezeigt. Die L1196M-Mutation wird darüber hinaus aufgrund des Genlokus als Analogie zur EGFR T790M-Mutation angesehen. Letztere wird bei etwa der Hälfte der Patienten mit einer erworbenen Resistenz gegen EGFR TKI nachgewiesen. Die genaue Funktion der C1156Y-Mutation ist noch unbekannt. EGFR- und ALK-Mutationen machen etwa 15% der Genmutationen beim NSCLC aus. Dieses Patienten-Subset profitiert bereits von den Fortschritten der zielgerichteten Therapie. Es liegt also nahe, weitere molekulare Targets zu untersuchen. Dies gilt umso mehr als das 5-Jahres-Überleben beim fortgeschrittenen NSCLC lediglich 5% beträgt. Zum Vergleich: Im Frühstadium sind es immerhin bereits 70% der Betroffenen. Lungenkrebs-Screening mit Lowdose-Spiral-CT Allerdings gibt es bislang keine effektive Methode zur Früherkennung dieses Tumors. Anfang der 1990er-Jahre wurde zwar das Interesse am Lungenkrebs-Screening neu durch die Einführung des Lowdose-Spiral-CT belebt, das sich als drei- bis viermal sensitiver als das konventionelle Thoraxröntgenbild erwies. Bis vor Kurzem lagen nur die Resultate kleinerer einarmiger Machbarkeitsstudien vor. Ende 2010 wurden vom National Cancer Institute vorläufige Ergebnisse einer randomisierten Vergleichsstudie, dem National Lung Screening Trial (NLST), vorgelegt (7). In der Multicenterstudie wurden von 2002 bis 2004 insgesamt 53 000 Raucher und Exraucher im Alter von 55 bis 74 Jahren mit einer Raucheranamnese von mindestens 30 Pack-Years eingeschlossen und in zwei Gruppen randomisiert. In der Screeninggruppe wurden in jährlichen Abständen drei Lowdose-Spiral-CTs, in der Kontrollgruppe drei konventionelle Thoraxaufnahmen durchgeführt und anschließend die Teilnehmer über fünf Jahre nachkontrolliert. Aufgrund der eindeutigen Ergebnisse – CTArm 20,3% weniger Todesfälle durch Lungenkrebs (354 vs. 442) – wurde die Studie am 20. Oktober 2010 vorzeitig abgebrochen. Allerdings war die Gesamtmortalität nur um 7% niedriger. Die Gründe dafür sind bis zur Vollpublikation noch unklar. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Choi YL et al. EML4-ALK mutations in lung cancer that confer resistance to ALK inhibitors. N Engl J Med 2010; 363: 1734–1739. 2. Kwak EL et al. Anaplastic lymphoma kinase inhibition in non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2010; 363: 1693–1703. 3. Lovly CM et al. Lung cancer in 2010: One size does not fit all. Nat Rev Clin Oncol 2011; 8(2): 68–70. 4. Maemondo M et al. Gefitinib or chemotherapy for non-small-cell lung cancer with mutated EGFR. N Engl J Med 2010; 362: 2380–2388. 5. Mitsudomi T et al. Gefitinib versus cisplatin plus docetaxel in patients with non-small-cell lung cancer harbouring mutations of the epidermal growth factor receptor (WJTOG3405): an open label, randomised phase 3 trial. Lancet Oncol 2010; 11: 121–128. 6. Mok TS et al. Gefitinib or carboplatin-paclitaxel in pulmonary adenocarcinoma. N Engl J Med 2099; 361: 947–957. 7. National Lung Screening Trial Research Team. The National Lung Screening Trial: Overview and study design. Radiology 2011; 258(1): 243–253. 8. Rosell R et al. Screening for epidermal growth factor receptor mutations in lung cancer. N Engl J Med 2009; 361: 958–967. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Neuro-Onkologie © Schattauer 2011 Neuentwicklungen in der Neuro-Onkologie U. Schlegel Universitätsklinik für Neurologie, Knappschaftskrankenhaus Bochum Schlüsselwörter Keywords Glioblastome Chemotherapie, Strahlentherapie, Gliome, primäre ZNS-Lymphome Chemotherapy, radiotherapy, glioma, primary CNS lymphoma Primärtherapie Zusammenfassung Summary Die Standardtherapie des Glioblastoms im Erwachsenenalter besteht aus operativer Resektion, Bestrahlung der erweiterten Tumorregion begleitet von einer kontinuierlichen Temozolomidtherapie, gefolgt von sechs Zyklen einer adjuvanten Temozolomidtherapie. Therapiestudien mit dem Ziel, diese Standardtherapie zu verbessern, werden mit dem Integrinantagonisten Cilengitide, mit Tyrosinkinaseinhibitoren, mit dem PKC-β-Hemmer Enzastaurin, mit Neoangiogenesehemmern und mit anderen Substanzen durchgeführt. In der Rezidivtherapie werden unter anderem intensivierte Chemotherapieprotokolle und der Neoangiogenesehemmer Bevacizumab eingesetzt. In der Primärtherapie und im Rezidiv enttäuscht haben targeted therapies mit „small molecules“. Für die anaplastischen Gliome, WHO Grad III, hat die NOA-04-Studie einen neuen Therapiestandard definiert. Obwohl es keine „Standardtherapie“ der primären ZNS-Lymphome (PZNSL) gibt, soll primär eine Methotrexat-(MTX)-basierte systemische Chemotherapie eingesetzt werden. Eine primäre Strahlentherapie der PZNSL allein wird nicht empfohlen und ihr Einsatz als konsolidierende Maßnahme nach einer MTX-basierten Chemotherapie bringt nach neuesten Daten keinen Überlebensvorteil. Die Therapie der Wahl bei PZNSL besteht in einer MTX-basierten Polychemotherapie. Bei Patienten unter 60 werden damit kurative Therapieansätze verfolgt. In Deutschland gibt es gut organisierte Studiengruppen. Die Patienten sollten möglichst alle innerhalb dieser Studien behandelt werden. The standard of care in adult glioblastoma is tumour resection followed by concomitant radio-/chemotherapy with temozolomide and 6 cycles of adjuvant temozolomide. To improve this standard, clinical trials have evaluated/evaluate efficacy and toxicity of cilengitide, an integrin antagonist, inhibitors of tyrosine kinases, of PKC-β and of neo-angiogenesis among other substances. In the recurrent situation intensified chemotherapy regimens are applied as well as bevacizumab, an antibody to the vascular endothelial growth factor. For recurrent glioblastoma, results with small molecules have been disappointing. For anaplastic glioma, WHO grade III, results of the NOA04-trial, have established a new standard. There is no “standard” therapy for primary CNS lymphoma. Methotrexate (MTX)based chemotherapy should be considered first. A primary radiotherapy is not recommended, its usefulness as “consolidating” therapy after chemo could not be shown by a large prospective randomized trial. Today’s therapy of choice is a MTX-based polychemotherapy. In patients at age 60 years or younger this therapy is given in a curative approach. In Germany there are well-organized study groups. If possible, all patients should be treated within clinical trials. Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. U. Schlegel Universitätsklinik für Neurologie Knappschaftskrankenhaus Bochum Ruhr-Universität Bochum In der Schornau 23–25, 44892 Bochum Tel. 0234/299–3701, Fax –3719 [email protected] Update in neurooncology Onkologische Welt 2011; 2: 89–93 Nachdruck aus: Nervenheilkunde 2010; 29: 747–752 Eine 5-Jahresanalyse der EORTC-NCICStudie zur gleichzeitigen Radiochemotherapie und adjuvanten Temodalchemotherapie beim Glioblastom zeigte für diesen neuen Therapiestandard stabil verbesserte Überlebenszeiten mit einer 5-Jahresüberlebensrate von 9,8% für Patienten, die initial mit Temozolomid behandelt worden waren, versus 1,9% für Patienten, die initial mit einer Strahlentherapie allein behandelt worden waren. Für Patienten mit einem methylierten O6-Methylguaninmethyltransferase-(MGMT)-Promoter lag die 5-Jahresüberlebensrate sogar bei 13,8% (26). Auch für Patienten zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr war die Therapie mit Temozolomid zusätzlich zur Strahlentherapie vorteilhaft. Für die klinische Betreuung von Patienten mit Glioblastomen ist ein kürzlich publizierter, überraschender Befund wichtig: Blumenthal und Mitarbeiter (2) konnten in einer retrospektiven Analyse von 3 052 Patienten mit einem supratentoriellem Glioblastom zeigen, dass eine Verzögerung der Einleitung einer Strahlentherapie bis zu sechs Wochen nach Operation eines Glioblastoms keinen negativen Einfluss auf die Gesamtüberlebenszeit hatte. Die MGMT ist ein sich verbrauchendes Enzymsystem: Jede Reparatur eines DNAMoleküls verbraucht ein MGMT-Molekül. Deshalb war es naheliegend, durch eine Intensivierung der alkylierenden Chemotherapie eine „Depletion“ von MGMT bei Patienten mit unmethyliertem MGMT-Promoterstatus anzustreben: In einer kleinen einarmigen Studie (7) wurde Temozolomid mit Lomustin (CCNU) kombiniert, initial mit 100 mg/m2 CCNU an Tag 1 und Temozolomid 100 mg/m2 an den Tagen 2 bis 6, gefolgt von einer therapiefreien Pause. Die Therapie wurde nach jeweils sechs Wochen wiederholt für bis zu sechs Zyklen, Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 89 90 U. Schlegel: Neuro-Onkologie dann in einer an die Myelotoxizität angepassten Dosis. Die Patientengruppe umfasste 31 Patienten mit dieser Dosierung und acht weitere Patienten, die ein intensiviertes Protokoll erhielten. Die Gesamtüberlebenszeit war mit 23,1 Monaten ungewöhnlich lang und das 4-Jahresüberleben mit 18,5% ungewöhnlich hoch. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 41,5 Monaten war die Gesamtüberlebenszeit für die acht intensiviert behandelten Patienten noch nicht erreicht, sodass bereits vier dieser Patienten mindestens 56 Monate ihre Erkrankung überlebt hatten, zwei davon ohne Rezidiv. Allerdings konnte für die Patienten mit unmethyliertem MGMT-Promotor – im Gegensatz zum Ziel der Studie – keine Verbesserung erreicht werden. Ein positiver MGMT-Promoter-Methylierungsstatus war dagegen mit einem hoch signifikant längeren Überleben verbunden: 34,3 Monate im Vergleich zu 12,5 Monaten bei den nicht methylierten. Eine randomisierte Phase-III-Studie zur Überprüfung der Überlebenszeit dieser CCNU-Temozolomid basierten Protokolls im Vergleich zur Standardtherapie mit Temozolomid alleine ist geplant. Mehrere Strategien zur Verbesserung der Primärtherapie des Glioblastoms werden derzeit evaluiert. Hierzu zählt die CENTRIC-Studie, in welcher der Integrinantagonist Cilengitide auf seine Wirksamkeit untersucht wird. In einer prospektiven, multizentrischen, offenen Phase-III-Studie wird Cilengitide zusätzlich zur Bestrahlung, gleichzeitiger Temozolomid- und adjuvanter Temozolomidtherapie randomisiert verglichen mit der Standardtherapie allein. Cilengitide wird dabei als Infusion 2 x pro Woche in einer Dosis von 2 000 mg pro Infusion verabreicht. In einer einarmigen Phase-I/IIa-Studie mit 52 Patienten mit Primärdiagnose eines Glioblastoms lag die 1-Jahresüberlebensrate bei 68%, für die MGMT-Methylierer sogar bei 91% (25). Eine weitere multizentrische Phase-I/IIStudie zur Primärtherapie von Glioblastomen mit negativem Methylierungsstatus von MGMT zu Überprüfung der Verträglichkeit und Wirksamkeit von Enzastaurin wurde vor Kurzem abgeschlossen. Enzastaurin ist ein oral applizierbarer PKCβ-Hemmer, welcher in umfassenden In-vitro- (27) und in In-vivo-Untersuchungen eine Wirksamkeit gegen Gliomzellen zeigte und in klinischen Studien eine gute Verträglichkeit aufwies. Für Glioblastome konnten mit dem TGF-β2-Antisense-Oligonucleotid AP12009 in einer multizentrischen, randomisierten Phase-II-Studie noch keine messbaren Therapieverbesserungen erzielt werden, wobei die Ergebnisse bei anaplastischen Astrozytomen ermutigender sind. Rezidivtherapie Eine Rezidivtherapie mit einem intensivierten Temozolomidprotokoll (150/m² pro Tag am Tag 1 bis 7, gefolgt von einer einwöchigen Pause) zeigte bei 90 Patienten mit Rezidivgliom eine akzeptable Verträglichkeit und eine progressionsfreie Überlebensrate von 44% nach sechs Monaten (PFÜ-6) für 64 Patienten mit Glioblastomen (29). Einschränkend muss gesagt werden, dass nur neun der 64 Patienten vor ihrem Rezidiv mit Temozolomid behandelt worden waren. Dennoch wird in zahlreichen Kliniken ein „Temozolomid-Rechallenge“ beim Rezidiv eines Glioblastoms durchgeführt, wobei sich die PFÜ-6-Daten einer retrospektiven Serie mit 26 versus 28% nicht wesentlich für Glioblastome unterschieden, die zuvor acht Wochen temozolomidfrei waren oder nicht (30). Der Tyrosinkinasehemmer („Nibs“) z. B. der EGF-Rezeptorhemmer Erlotinib und die Multitarget Tyrosinkinasehemmer Gefitinib und Imatinib sind Moleküle, die hochspezifisch an Tyrosinkinasen an der Zelloberflächen von Tumorzellen und normalen Zellen andocken, dabei deren Wirkung in das Zellinnere verhindern und bei Tumorzellen selektiv Proliferation inhibieren und Apoptose induzieren. Diese Substanzklasse schien zunächst sehr attraktiv, da maligne Gliomzellen die Tyrosinkinasen tragenden Rezeptormoleküle an der Zelloberfläche in hohem Ausmaß exprimieren, allerdings konnte keine der Substanzen in randomisierten, prospektiven klinischen Studien in der Rezidivsituation des Glioblastoms eine Verbesserung des Therapieerfolges erzielen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Tyrosinkinaseinhibitoren in der Primärtherapie des Glioblastoms ein Potenzial entfalten könnten. Eine einarmi- ge offene, multizentrische Phase-II-Studie zeigte für die Primärtherapie von Glioblastomen mit Erlotinib in Kombination mit Temozolomid eine mediane Überlebenszeit von 19,3 Monaten (20). Neoangiogenesehemmung Bevacizumab ist ein Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), der ein wesentlicher Mediator der Neoangiogenese in Gliomen ist; er wird von hypoxischen Gliomzellen sezerniert und stimuliert die Neubildung von Kapillarendothelien. Eine Blockade von VEGF vermag in vivo und in humanen Glioblastomen wirkungsvoll die Neoangiogenese zu hemmen. In einer Phase-II-Studie bei 35 Patienten mit Rezidiv eines Glioblastoms war die PFÜ-6 nach Kombination von Bevacizumab mit dem Zytostatikum Irinotecan 46% (28). Die in der zitierten Arbeit exemplarisch dargestellten Abbildungen zeigten eine ausgeprägte Volumenreduktion der kontrastmittelaufnehmenden Tumoranteile. In einer kürzlich publizierten Phase-II-Studie, in der Bevacizumab als Monotherapie bei Rezidiv eines Glioblastoms bei 48 Patienten eingesetzt wurde und Irinotecan in Kombination mit Bevacizumab lediglich bei einem weiteren Progress eingesetzt wurde, betrug die mediane progressionsfreie Überlebenszeit 16 Wochen, das PFÜ-6 29% und das Gesamtüberleben 31 Wochen (15). Die evaluierbaren 19 Patienten, die mit Bevacizumab und Irinotecan bei einem neuerlichen Progress behandelt wurden, zeigten keinen objektivierbaren radiologischen Befund. In einer prospektiven, multizentrischen Phase-IIStudie (6) zum randomisierten Vergleich einer Monotherapie mit Bevacizumab mit einer Kombinationstherapie von Bevacizumab und Irinotecan (85 versus 82 Patienten) zeigte sich für Rezidive bei malignen Gliomen (mehr als 90% Glioblastome) kein Unterschied für die Gesamtüberlebenszeit (9,2 versus 8,7 Monate), für die PFÜ-6 (42,6 versus 50,3%) oder für die Ansprechrate (28,2 versus 37,8%). Von Bedeutung ist, dass in der Studie von Kreisl (15) für etwa die Hälfte der Patienten die Rezidivtherapie mit einer klinischen Besserung verbunden war und dass diese Patienten die Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. U. Schlegel: Neuro-Onkologie Steroidtherapie vorübergehend reduzieren konnten. Die zitierten Befunde legen nahe, dass Bevacizumab bei einem Teil der Glioblastomrezidive eine transiente Wirksamkeit besitzt. Allerdings ist die Substanz durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA wegen des Fehlens eines randomisierten Vergleiches mit einer Standardsubstanz, also z. B. mit einem Nitrosoharnstoff, durch eine ablehnende Entscheidung im November 2009 nicht für die Rezidivtherapie maligner Gliome zugelassen worden. Cediranib ist ein oral verfügbarer panVEGF-Rezeptorinhibitor mit einer zusätzlichen Hemmung weiterer Tyrosinkinaserezeptoren, der in einer einarmigen PhaseII-Studie bei 31 Patienten mit Rezidivglioblastomen eingesetzt wurde; die PFÜ-6 betrug 26%, die radiologisch dokumentierten partiellen Remissionsrate 57%. Eine Mehrheit der vor Einleitung der Rezidivtherapie steroidabhängigen Patienten konnte diese reduzieren oder absetzen (1). Eine randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit von Cediranib bei Rezidivglioblastomen wird derzeit durchgeführt. Anaplastische Gliome In der 2009 ausgewerteten NOA04-Studie (31) wurde geprüft, ob eine primäre ausschließliche Chemotherapie einer primären ausschließlichen Strahlentherapie bei postoperative Behandlung nach Resektion eines anaplastischen Glioms, WHO III (Astrozytom, Oligoastrozytom und Oligodendrogliom) überlegen oder unterlegen ist. Darüber hinaus sollte untersucht werden, ob die histologische Zuordnung zu einem dieser drei Typen eine prognostische Bedeutung besitzt. Insgesamt wurden 312 Patienten randomisiert verglichen und folgenden Primärtherapien zugeordnet: Strahlentherapie der erweiterten Tumorregion vs. Chemotherapie mit Procarbazin, CCNU und Vincristin (PCV) vs. Chemotherapie mit Temozolomid. Nach Versagen der Primärtherapie, also bei Progredienz oder Rezidiv sollte auf die jeweils andere Modalität, also bei primärer Chemotherapie, auf die Strahlentherapie umgestellt werden und umgekehrt. Primärer Endpunkt der Studie war die Zeit bis zum Therapieversagen, wobei das Therapieversagen definiert wurde mit Rezidiv oder Progress nach der zweiten Therapiemodalität. Sekundäre Endpunkte waren die Zeit bis zum ersten Progress, Gesamtüberleben und Toxizität. Für alle drei histologischen Tumorentitäten zeigte sich in Bezug auf den primären Endpunkt Zeit bis zum Therapieversagen und in Bezug auf den sekundären Endpunkt Zeit bis zum Progress kein Unterschied zwischen den gewählten Therapieverfahren. Damit hat diese Studie einen neuen Therapiestandard definiert, der es erlaubt, anaplastische Gliome, WHO Grad III, primär mit einer Chemotherapie zu behandeln, wegen der besseren Verträglichkeit mit Temozolomid in üblicher Dosierung über acht Zyklen. In der Situation des Tumorrezidivs bzw. Tumorprogresses nach/unter Chemotherapie ist es sinnvoll, eine konventionelle externe Strahlentherapie mit 60 Gy der erweiterten Tumorregion einzusetzen. Die Studie zeigte weiter, dass es ohne Belang ist, ob ein Tumor histologisch als reines Oligodendrogliom oder als Oligoastrozytom charakterisiert wird. Allerdings zeigte sich ein statistisch hochsignifikanter Unterschied zwischen reinen Astrozytomen und oligodendroglialen Tumoren. Der transforming growth factor ß2 (TGF-ß2) besitzt eine wichtige Funktion bei der Unterdrückung von Immunantworten des Gastorganismus gegenüber Tumorzellen. Gliomzellen exprimieren TGF-β2, welches offensichtlich auch bei Mechanismen des Tumorprogresses eine Rolle spielt (8). Zur Suppression von TGF-β2 wurde das spezifische antisense-Oligonukleotid AP12009 entwickelt (23). In In-vitro-Experimenten konnte die Spezifität und Effektivität der TGFβ2-Inhibition bei humanen malignen Gliomzellen nachgewiesen werden. In einer klinischen Phase-I/II-Studie konnte eine verlängerte Überlebenszeit gegenüber historischen Kontrollen erzielt werden (8). Daten einer nachfolgenden Phase-IIb-Studie stehen aus, sprechen jedoch möglicherweise für einen Therapieeffekt bei anaplastischen Gliomen. Niedrig maligne Gliome Operation Der Wert der operativen Resektion eines niedrig gradigen Glioms ist nie in einer prospektiven randomisierten Serie unter- sucht worden. Eine solche Studie wird es aus zahlreichen methodischen Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie geben. Jeder Versuch der Resektion dieser Tumoren erfolgt daher unter der Maßgabe, dass die Vermeidung neuer, permanenter neurologischer Defizite Priorität hat. Sofern dies beachtet wird, wird nach vorherrschendem neuro-onkologischen Konsens der Versuch der weitgehenden Resektion dieser Tumoren befürwortet. Diese Empfehlung wird durch zwei große retrospektive neurochirurgische Serien aus dem Jahre 2008 untermauert (16, 24). In einer retrospektiven unizentrischen Analyse (16) wurde der Verlauf von 170 Patienten ausgewertet (132 bei Erstoperation, 38 bei Reresektion). Nach kernspintomografischen Kriterien wurden unterteilt: ● makroskopisch komplette Resektion (38% der Patienten), ● „nahezu“ komplette Resektion (23% der Patienten) und ● subtotale Resektion (39% der Patienten). Die Analyse ergab, dass ein statistisch signifikanter Unterschied in Bezug auf die Gesamtüberlebenszeit und auf die progressionsfreie Überlebenszeit bestand zwischen makroskopisch kompletter Resektion und allen anderen Situationen, nicht jedoch zwischen makroskopisch „nahezu“ kompletter Resektion und subtotaler Resektion. Die Gesamtüberlebenszeiten für Patienten mit makroskopisch kompletter Resektion waren nach fünf Jahren 95% und nach zehn Jahren 76%, für die anderen Situationen deutlich schlechter. In einer weiteren unizentrischen retrospektiven Analyse an 216 Patienten (24) wurde unterschieden zwischen Patienten mit einer ebenfalls makroskopisch kompletten Resektion (nach Kriterien einer FLAIR-gwichteten MRT-Aufnahme), einer mindestens 90%igen Entfernung ihres Tumorvolumens, mit 40% bis 89% Entfernung des Tumorvolumens und darunter. Es zeigte sich auch hier, dass die 5-Jahresüberlebensfraktion bei makroskopisch kompletter Resektion hochsignifikant besser war als bei einer Resektion von weniger Volumen. Dieser signifikante Unterschied blieb auch im Rahmen einer unifaktoriellen Analyse bestehen. Die Analyse der perioperativen Morbidität ergab bei 36 © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 91 92 U. Schlegel: Neuro-Onkologie Patienten von 216 (17%) neue postoperative neurologische Defizite, jedoch nur bei vier von 216 (2%) permanente neurologische Defizite. Diese Studien zeigen, dass bei sorgfältiger Indikationsstellung und mit modernen mikrochirurgischen Operationstechniken das Risiko einer perioperativen Morbidität gering ist. Sie sprechen dafür, dass Patienten von einer operativen Resektion eines niedrig gradigen malignen Tumors in Bezug auf ihre Überlebenszeit profitieren, wenn der kernspintomografisch identifizierbare Tumor vollkommen entfernt werden kann. Beide Studien machen damit wahrscheinlich, dass eine neurochirurgische Tumorentfernung dann sinnvoll und indiziert ist, wenn der Tumor mit hoher Wahrscheinlichkeit makroskopisch komplett, ohne zu befürchtende permanente neurologische Defizite entfernt werden kann. Chemotherapie Differenzierte Gliome zeigen ein kontinuierliches Wachstum, welches in einem Bereich zwischen 3 und 6 mm für den größten Tumordurchmesser pro Jahr liegt (21). An einer unizentrischen Fallserie von 149 Patienten konnte bei 53% der Patienten ein Ansprechen des Tumors auf eine Temozolomidchemotherapie, bei weiteren 37% eine Stabilisierung, bei 10% ein Tumorprogress beobachtet werden (14). Die progressionsfreie Überlebenszeit für die Gesamtgruppe war 28 Monate. Allerdings war ein Großteil der untersuchten und behandelten Tumoren oligodendroglialer Herkunft. Es wurden in dieser Studie deutlich mehr Behandlungszyklen durchgeführt als üblicherweise bei malignen Gliomen, da das Maximum des Tumoransprechens bei diesen niedrig malignen Gliomen erst nach zwölf Monaten erreicht wurde mit einer Varianz von drei bis 30 Monaten (14). Bei den 147 Patienten, die im Median 14 Therapiezyklen erhielten (zwei bis 30 Zyklen), trat in 7 bzw. 8% WHO Grad III bzw. IV Myelotoxizität auf. Diese Beobachtungen erlauben bei Patienten mit niedrig gradig malignen Gliomen, welche einen Tumorprogress aufweisen und die nicht einer weitgehend kompletten operativen Resektion zugänglich sind, einen initialen Thera- pieversuch mit Temozolomid in üblicher Dosierung, der bei Ansprechen oder Stabilisierung über mindestens ein Jahr durchgeführt werden sollte. Primäre ZNS-Lymphome Die primären ZNS-Lymphome (PZNSL) betreffen zwar alle Altersgruppen, weisen jedoch einen Häufigkeitsgipfel zwischen der 5. und 7. Lebensdekade auf. PZNSL sind überwiegend diffuse oder multifokale supratentorielle Raumforderungen (22). Differenzialdiagnostisch sind insbesondere andere hirneigene Tumoren, aber auch entzündliche Läsionen (Vaskulitis, Granulome, MS-Plaques, bei immundefizienten Patienten Toxoplasmaenzephalitis, progressive multifokale Leukenzephalopathie und andere) zu berücksichtigen. Eine Besonderheit der PZNSL ist die Beteiligung der Augen in Form einer Infiltration des Glaskörpers, der Uvea und/oder des Nervus opticus, die bei etwa 10 bis 15% der Patienten initial oder im Verlauf nachzuweisen ist. Eine lymphomatöse Infiltration der Leptomeningen, des Ependyms, von Nervenwurzeln oder des Plexus choroideus kann ebenfalls auftreten. Ein systemisches Staging vermag ein systemisches Lymphom bei bis zu 8% der Patienten bei Erstmanifestation eines zerebralen Lymphoms aufzudecken. Die überlegene radiologische Untersuchungsmethode ist die Magnetresonanztomografie (MRT), welche zelldichte Tumoren zeigt, die als singuläre oder als multiple Läsionen in der T1-Wichtung nachweisbar sind, als hyperintense Tumoren mit mäßig ausgeprägtem Ödem in der T2– und FLAIR-Wichtung zur Darstellung kommen und als kompakte Tumormassen intensiv und homogen Kontrastmittel aufnehmen (22). Häufig zeigt sich eine eingeschränkte Wasserdiffusion, die differenzialdiagnostisch gegenüber anderen ZNS-Tumoren hilfreich ist (10). Mehr als 50% der Tumoren zeigen eine enge Lagebeziehung zu den Ventrikeln. Eine meningeale Kontrastmittelanreicherung ist bei etwa 10 bis 20% der Fälle nachweisbar. Im Liquor cerebrospinalis gelingt zytopathologisch in weniger als 20% der Nachweis von Lymphomzellen (5). Die Detektion einer monoklonalen B-Zell-Population mit PCR-gestützten Verfahren, die monoklonale Rearrangements in der variablen Region des Immunglobulinschwerkettengens aufzeigen, kann nur in spezialisierten Labors durchgeführt werden und ist in Einzelfällen sensitiver als die Routinezytopathologie (5). Bei HIVPatienten ist wegen der nahezu 100%igen Assoziation des PZNSL mit dem EpsteinBarr-Virus (EBV) die PCR-Positivität für EBV im Liquor bei Nachweis charakteristischer zerebraler Läsionen für die Diagnosestellung eines PZNSL ausreichend. Die stereotaktische Biopsie ist die diagnostische Methode der Wahl. Kortikosteroide sollten, wenn möglich, nicht vor einer stereotaktischen Biopsie gegeben werden, weil Steroide zu einem Verschwinden der Läsion führen können und eine histopathologische Diagnose dann erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen können. Es ist jedoch gerechtfertigt, auch nach Steroidvorbehandlung im Falle einer raumfordernden Läsion, den Versuch einer bioptischen Diagnosesicherung ohne Zeitverzug zu unternehmen (19), wissend, dass eine erste Biopsie dann möglicherweise nicht diagnostisch ist und dass bei klinischer und neuroradiologischer Progredienz eine zweite Biopsie erforderlich werden kann. Nach der WHO-Klassifikation entsprechen mehr als 95% der PZNSL histopathologisch einem diffusen großzelligen B-ZellLymphom (DLBCL) und exprimieren die B-Zell-Oberflächenmarker CD19, CD20 und CD79a. Die „Ursprungszelle“ des PZNSL entspricht Keimzentrums-B-Zellen mit einer hohen Frequenz somatischer Mutationen in der variablen Region der Immunglobulingene und mit Expression des Keimzentrumsmarkers BCL-6 und einem Germinal Center Exit-Phänotyp (18). Subklinische B-Zell-Klone mit gleichartigen Mutationen in der variablen Region des Immunglobulinschwerkettengens wie im ZNS können im Knochenmark und Blut nachgewiesen werden und dort über längere Zeit persistieren (16). Ein Tropismus dieser Zellen zu Hirngefäßen, eine mögliche klonale Expansion dort und ein Überlebensvorteil dieser Lymphomzellen im immunprivilegierten ZNS als Pathomechanismus der Entstehung des PZNSL sind denkbar. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. U. Schlegel: Neuro-Onkologie Therapie Die Rolle der Neurochirurgie beschränkt sich auf die stereotaktische Probeentnahme zur histopathologischen Diagnosesicherung. Die Strahlentherapie ist trotz hoher Ansprechraten in der Regel nur von vorübergehender Wirkung und wird heute in der Primärtherapie praktisch immer mit einer Chemotherapie verbunden oder als Rezidivbehandlung nach Versagen der Chemotherapie eingesetzt. Sie wird in der Regel als Ganzhirnbestrahlung unter Einschluss der Meningen mit einer Gesamtdosis zwischen 40 und 50 Gy mit Einzelfraktionierungen von 1,5 bis 2 Gy eingesetzt. Der Stellenwert der Bestrahlung innerhalb der multimodalen Therapie in der Primärbehandlung ist ungesichert und unterliegt derzeit der Evaluation in prospektiven Studien. Eine effektive Chemotherapie basiert in jedem Fall auf einer hochdosierten (> 1g/m2 Körperoberfläche KOF pro Einzelgabe) intravenösen Methotrexatgabe (MTX). Allerdings liegen die kompletten Ansprechraten (CR-Raten) unter einer Monotherapie nicht über 50% und die Gesamtremissionsdauer nicht über einem Jahr (9). Eine kürzlich publizierte randomisierte Phase-II-Studie zeigt eine höhere Ansprechrate für die Kombination von MTX 3,5g/m2 an Tag 1 mit hochdosiertem Cytarabin (Ara-C), 2 x 2g/m2 KOF an Tagen 2 und 3 über vier Zyklen (4). Hiernach und nach weiteren, nicht randomisierten Daten ist eine Kombinationschemotherapie wahrscheinlich effizienter als eine hochdosierte MTX-Therapie allein. Die besten Langzeitergebnisse einer Polychemotherapie ohne begleitende Strahlentherapie in der Primärbehandlung wurden mit dem Bonner Protokoll erzielt. Bei Patienten bis zum 65. Lebensjahr waren die Ergebnisse sehr ermutigend, der Anteil nach acht Jahren lebender Patienten lag bei 50%, sodass ein Teil dieser Patienten offenbar kurativ behandelt wurde (13). Ein wesentlicher Bestandteil dieses Chemotherapieprotokolls ist eine intraventrikuläre Chemotherapie über ein Ommaya-Reservoir als Tripeltherapie mit täglichen Gaben von MTX, Prednisolon und Ara-C während der Chemotherapieblöcke. Insgesamt sehr viel weniger befriedigend für alle Therapiemodalitäten sind die Ergebnisse bei älteren Patienten, wobei für Patienten über 60 Jahre mit keiner publizierten Therapie bisher eine Langzeitkontrolle erzielt werden konnte. Dies wiegt besonders schwer, da gerade ältere Patienten unter einer Kombinationsbehandlung mit einer MTX-basierten Chemotherapie und einer Ganzhirnbestrahlung ein hohes Neurotoxizitätsrisiko tragen. Verlaufsbeobachtungen über zwei Jahre nach Kombination einer MTX-basierten Chemotherapie mit einer dosisreduzierten Ganzhirnbestrahlung unter 25 Gy lassen ein niedrigeres Neurotoxizitätsrisiko vermuten (3). 36 und 45 Gy kombiniert. Der Wert der im Anschluss an eine MTX-basierte Chemotherapie durchgeführten konsolidierenden Strahlentherapie wurde in der kürzlich abgeschlossenen Studie der G-PCNSL-Studiengruppe untersucht. Primärer Endpunkt in dieser randomisierten Phase-IV-Studie ist die Gesamtüberlebenszeit. Die vor Kurzem präsentierten Daten dieser weltweiten größten Studie zum PZNSL zeigten keine Verlängerung der Überlebenszeit durch die zusätzliche „konsolidierende“ Strahlentherapie mit 30 x 1,5 Gy Ganzhirnbestrahlung nach primärer Chemotherapie (32). Hochdosischemotherapie Progress und Rezidiv Der Wert einer intensivierten Polychemotherapie, das heißt, einer potenziell myeloablativen Hochdosischemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation ist noch nicht definiert. Solche Protokolle wurden in der Rezidivsituation oder in der Primärtherapie eingesetzt. Die Induktionstherapie vor der eigentlichen Hochdosistherapie wird üblicherweise mit einem MTX- oder Ara-C-basierten Schema, gefolgt von einer thiotepabasierten Hochdosistherapie durchgeführt. Die in Deutschland überwiegend eingesetzte Hochdosistherapie nach dem Freiburger Protokoll wurde in einer ersten Studie mit einer obligaten Ganzhirnbestrahlung kombiniert. Derzeit wird für Patienten bis zum 65. Lebensjahr im Rahmen einer prospektiven einarmigen Phase-II-Nachfolgestudie multizentrisch untersucht, ob eine intensivierte und um den gegen das CD20-Epitop gerichteten Antikörper Rituximab erweiterte Hochdosistherapie basierend auf dem Freiburger Protokoll allein ebenso gute Ergebnisse erzielen wird. Dabei soll nur bei fehlender kompletter Remission nach Chemotherapie eine Strahlentherapie appliziert werden (12). Insgesamt profitieren Patienten, die nicht in einer desolaten klinischen Verfassung sind, in der Regel von einer Rezidivtherapie, wobei eine lange Remissionsdauer nach Therapieansprechen prognostisch günstig ist. Häufig sprechen Patienten mit Rezidiv nach einem ersten Therapieansprechen erneut auf die Gabe der gleichen Substanzen, insbesondere auf Hochdosis-MTX, wie in der Primärtherapie an. Bei Patienten bis zum 65. Lebensjahr ist im Rezidiv oder Progress nach Versagen etablierter MTX-basierter Chemotherapien eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation möglich: In Deutschland können Patienten mit einem Rezidiv mit dem Freiburger Therapieprotokoll im Rahmen einer prospektiven Studie behandelt werden. Das Ansprechen auf konventionelle Chemotherapieprotokolle liegt zwischen 25 und 40%, so für eine Monotherapie mit Temozolomid in üblicher Dosierung, für eine Kombination von Temozolomid mit Rituximab und für eine Monotherapie mit Topotecan 1,5 g/m² KOF pro Tag über fünf Tage alle drei Wochen (22). Nach primärem und sekundärem Therapieversagen ist auch die Ganzhirnbestrahlung in Erwägung zu ziehen. In einer monozentrischen retrospektiven Analyse mitgeteilt, in die 24 Patienten mit primärem Therapieversagen und 24 Patienten mit sekundärem Therapieversagen eingingen, lag die komplette Remissionsrate bei 58%, die partielle Remissionsrate bei 21% und die mediane Überlebenszeit bei zwölf Monaten (11). Literatur unter onkologische-welt.de Kombinierte Chemo- und Strahlentherapie MTX-basierte Chemotherapieprotokolle wurden in mehreren großen Studienverbünden in einarmigen Phase-II-Studien mit einer Ganzhirnbestrahlung zwischen © Schattauer 2011 Onkologische Welt 2/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 93 U. Schlegel: Neuro-Onkologie Literatur 1. Batchelor TT, Duda DG, di Tomaso E et al. Phase II Study of cediranib, an oral pan-vascular endothelial growth factor Rreceptor tyrosine kinase inhibitor, in patients with recurrent glioblastoma. 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Obwohl maligne Hodentumoren nur rund 2% der Krebserkrankungen der Männer ausmachen, handelt es sich um den häufigsten soliden Tumor bei Männern zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr. Über einem Alter von 50 Jahren treten weniger als 20% dieser Tumore auf. Über die Gründe für die seit Jahrzehnten steigende Inzidenz gibt es nur Spekulationen, die vor allem um negative Umweltfaktoren kreisen. Folgende, als gesichert geltende Risikofaktoren begünstigen die Entstehung eines malignen Keimzelltumors: Kryptorchismus, positive Familienanamnese, intratubuläre Keimzellneoplasie in der Biopsie des Gegenhodens, HIV-Infektion, Down- oder Klinefelter-Syndrom. Ungefähr 10% der Hodentumoren sind mit einem Kryptorchismus assoziiert. Eine Orchidopexie im 2. Lebensjahr gewährleistet eine normale Hodenentwicklung und senkt das Risiko einer malignen Transformation (10). Eine Fall-Kontroll-Studie zeigte für Männer >185cm eine erhöhte Hazard Ratio (HR) von 2,11 (95% KI 1,25–3,55) für die Entwicklung eines Hodentumors im Vergleich zu Männer mit einer Körpergröße von 175–179 cm (3). Eine aktuelle populationsbasierte Studie mit 27 948 Teilnehmern (4) weist darauf als ungünstigen prognostischen Faktor für das Hodenkrebs-spezifische Überleben hin. Dort war die Mortalität von Seminom- bzw. Nicht-Seminom-Patienten im Alter über 40 Jahre bei Diagnosestellung im Vergleich zu jüngeren Patienten doppelt so hoch. Dies galt auch bei Berücksichtigung der Erstbehandlung und dem Ausmaß der Erkrankung. Bei Nicht-Seminom-Patienten führen nicht-weiße Ethnizität und ein niedrigerer sozioökonomischer Status ebenfalls zu einem signifikanten Anstieg der tumorsspezifischen Mortalität. In der Studie wurde die Hazard-Ratio (HR) für die tumorspezifische 10-Jahres-Mortalität anhand derjenigen Patienten berechnet, die zwischen 1978 und 2006 in das SEER (Surveillance, Epidemiology and End Results Program) eingegangen waren (n = 27 948). Als unabhängige Prädiktoren wurden dabei das Alter bei Diagnosestellung, sozioökonomischer Status, Familienstand, Ausmaß der Erkrankung, Radiotherapie und retroperitoneale Lymphknotendissektion identifiziert. Im Vergleich zu jüngeren Patienten, war ein Diagnosealter über 40 Jahre mit einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert (Seminom: HR 2,00; p<0,001; Nicht-Seminom: HR 2,09; p<0,001). Das Risiko war in der metastasierten Situation deutlich höher (HR 8,62; p<0,001 bzw. HR 6,35; p<0,001). Nicht verheiratete Männer wiesen im Vergleich zu Verheirateten eine zwei- bis dreifach höhere Mortalität auf (HR 2,97; p<0,001 bzw. HR 1,54; p<0,001). Bei Nicht-Seminom-Patienten führten ein geringerer sozioökonomischer Status (p<0,001) und nicht-weiße Ethnizität (HR: 2,11; p<0,001) zu einer erhöhten Mortalität. Patienten, deren Tumor nach 1987 diagnostiziert wurde, hatten eine signifikant geringere Mortalität (HR: 0,58; p = 0,001 bzw. HR: 0,74; p = 0,001). Eine nicht durchgeführte retroperitoneale Lymphknotendissektion war mit einem siebenfach erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert (p<0,001). Inzwischen mehren sich auch die Hinweise, dass Marijuana-Konsum mit einem häufigeren Auftreten von Hodentumoren assoziiert ist (2, 11). Eine US-Arbeitsgruppe testete 187 Männer, bei denen zwischen 1990 und 1996 ein Hodentumor diagnostiziert worden war, auf den Konsum von Marijuana. Im Vergleich zu 148 gesunden Kontrollen konsumierten die Tumorpatienten häufiger und öfter Marijuana als die Kontrollen (OR 2,2). Insbesondere Patienten mit Nicht-Seminomen wurden signifkant öfter als häufige (täglich oder öfter: OR 3,1) und langjährige Konsumenten (≥10 Jahre: OR 2,4) identifiziert (11). Patienten mit Nicht-Semino- men und gemischten Histologien konsumierten in einer zweiten Studie ebenfalls häufiger Marijuana (OR 2,3). Auch ein Alter <18 Jahre bei Beginn der Drogeneinnahme war mit einem erhöhten Risiko von Hodentumoren assoziiert (OR 2,2). Sekundärtumoren nach Chemo-/Radiotherapie Bereits ein bis zwei Jahre nach Chemotherapie kann eine Leukämie, i.d.R. eine akute myeloische Leukämie auftreten. Die kumulative Leukämie-Inzidenz nach 5 Jahren beträgt aber weniger als 0,5%. Solide Tumoren treten meist erst mit einer Latenz von mehr als 10 Jahren nach Abschluss der Bestrahlung auf. Hier handelt es sich um Karzinome von Magen, Harnblase, Kolon, Rektum und Pankreas. Die Auswertung der Daten von 2703 Überlebenden nach adjuvanter Bestrahlung bei Seminomen im Stadium I ergab nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 18 Jahren insgesamt 385 Zweitmalignome (354/2703 Patienten, 13%). Im Vergleich zu den jeweiligen Länder-, Alters- und Geschlechts-spezifischen Tumorraten in der Normalbevölkerung zeigte sich eine insgesamt erhöhte Rate an Zweitmalignomen (SIR 1,31), vor allem für Tumoren des Magens (SIR 1,63), des Pankreas (SIR 2,35) und der Blase (SIR 2,14) (7). Aufgrund der hier bestätigten erhöhten Inzidenz von Zweitmalignomen nach infradiaphragmaler Radiatio wird diese Intervention beim Seminom im Stadium I zunehmend verlassen zugunsten einer risikoadaptierten Surveillance-Strategie oder einer adjuvanten Chemotherapie (1). Auch eine aktuelle große schwedische Studie fand bei 5533 Überlebenden von Keimzelltumoren (Seminome und Nicht-Seminome) über alle Histologien und Stadien ein erhöhtes Risiko für Zweitmalignome von 6,7% (6). Auffällig ist auch das Risiko für Blasenkarzinome bei Nichtseminomen von 8%. Weitere Studien sollen auch die Rolle von Ifosfamid-haltigen Regimen prüfen (1). Epidemiologische und klinische Studien weisen darauf hin, dass die erfolgreiche Therapie von Hodentumoren einige Langzeitfolgen hervorrufen kann. Die Chemotherapie mit Cisplatin ist danach im Stadium 1 eines Seminoms so wirksam wie eine Strahlentherapie und weniger toxisch, sodass die Patienten schneller wieder in den Beruf zurückkehren können. Trotz Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Serie urologische Onkologie 95 solcher Fortschritte muss man im Auge behalten, dass bei den Patienten nach Strahlen- und Chemotherapie etwas häufiger ein zweiter Tumor auftritt als allgemein zu erwarten ist. Das relative Risiko einer Leukämie ist nach Therapie mit Etoposid um 2% erhöht, bei hohen kumulativen Dosen steigt es auf 4%. Bei einem auf Cisplatin basierenden Therapieregime scheint zumindest das Risiko eines Zweittumors im verbliebenen Hoden reduziert zu sein. Allerdings begünstigt nicht nur Cisplatin chronische endotheliale Entzündungsprozesse, was einer vorzeitigen Koronararteriosklerose Vorschub leisten kann. Eine norwegische Studie verglich das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen von 990 Keimzelltumorpatienten (nur OP: n = 206; Radiatio: n = 386; Chemotherapie: n = 364; Radio plus Chemotherapie: n = 34) mit demjenigen der altersgematchen Normalbevölkerung. Der mediane Follow-Up betrug 19 Jahre. Dabei ergab sich für beide Chemotherapie-Subgruppen einer Gebrauch von Antihypertensiva und die Diagnose eines Diabetes mellitus (Chemotherapie: OR 2,3; Radio plus Chemotherapie: OR 3,9). Arteriosklerotische Veränderungen wurden in allen Gruppen mit Radiatio bzw. Chemotherapie gehäuft festgestellt (Radiatio: OR 2,3; Chemotherapie: OR 2,6; Radio plus Chemotherapie: OR 4,8), die Inzidenz betrug insgesamt 8%. Patienten nach PEB-haltiger Chemotherapie zeigten ein 5,7-fach erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen, das Myokardinfarkt-Risiko war um das 3,1-fache erhöht (5). Insgesamt muss man daher heute davon ausgehen, dass das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Keimzelltumoren nach einer Radiatio oder einer Chemotherapie, vor allem aber bei einer kombinierten Radiochemotherapie, signifikant erhöht ist. Internistische Verlaufskontrollen müssen bei diesen Patienten lebenslang erfolgen (1). Spättoxizität Da Patienten mit Hodenkrebs eine sehr günstige Langzeitprognose besitzen, ist die Spättoxizität der Chemotherapie besonders zu beachten. Die wichtigsten langfristigen Nebenwirkungen sind gonadale Dysfunktion mit Infertilität, Ototoxizität, Störungen der Lungen- und Nierenfunktion mit Abfall der Kreatinin-Clearance um rund 15% sowie Sekundärtumoren nach Chemo- oder Radiotherapie. Sexualfunktion und Fertilität Neuropsychiatrische Störungen Zur Sexualfunktion liegen zahlreiche Untersuchungen vor, die Ergebnisse sind aber widersprüchlich. Einer großen norwegischen Studie zufolge haben Männer nach überstandenem Hodenkrebs etwas häufiger Erektions- und Ejakulationsprobleme. Dies könnte teilweise durch den Hypogonadismus erklärt werden. Wahrscheinlicher ist jedoch eine Schädigung parasympathischer Nervenfasern nach retroperitonealer Lymphknotendissektion. Ein wichtiger Faktor sind auch depressive und Angstsymptome, die bei diesen Patienten gehäuft gefunden werden (8). Ein anderes Problem ist die Fertilität. Rund die Hälfte der Patienten mit Hodenkrebs weisen schon vor Beginn der Chemotherapie quantitative und qualitative Störungen der Spermatogenese auf, von welcher sie sich nur teilweise wieder erholen. Nach retroperitonealer Strahlentherapie kann durch Streustrahlung trotz Abschirmung des kontralateralen Hodens die Spermatogenese meist nur passager beeinträchtigt werden. Wichtig ist, die Patienten vor Beginn der Therapie auf die Möglichkeit einer Kryopräservation hinzuweisen (8). Unmittelbar nach einer Cisplatin-haltigen Therapie sind nahezu alle Patienten infertil (9). In diesen Fällen sowie anderen Standardtherapien erholt sich die Spermatogenese aber in bis zu 80% wieder. Entsprechend hoch ist die Zahl der Männer, die nach erfolgreicher Behandlung Vater werden. Dennoch sollte auch an einen therapieinduzierten Hypogonadismus gedacht werden. Das Ausmaß behandlungsassoziierter psychiatrischer und kognitiver Störungen wird unterschätzt. So treten nicht nur nach erfolgreicher Therapie gehäuft Angststörungen und depressive Symptome auf. Eine aktuelle Studie fand bei 46% von 69 Patienten mit einem neu diagnostizierten nicht-seminomatösen Keimzelltumor (51% Stadium I, 33% Stadium II, 15% Stadium III) nach Orchiektomie, aber noch vor einer Chemotherapie, deutliche Beeinträchtigungen der Konzentrations- und Lernfähigkeit, der Exekutivfunktionen sowie der sprachlichen und motorischen Fähigkeiten (p<0,0001 im Vergleich zur Normalbevölkerung) (12). Daher ist eine engmaschige Kontrolle der kognitiven Funktionen während und nach einer Chemotherapie zu empfehlen (1). Oto- und Neurotxozität Eine andere Langzeitfolge ist die Cisplatin-assoziierte periphere sensorische Neuropathie bei dem Regime Cisplatin/Vinblastin/Bleomycin (PVB), unter der 10–30% der Patienten leiden. Mit dem Wechsel auf das Standardregime Cisplatin/Etoposid/Bleomycin (PEB) konnte die Toxizität deutlich gesenkt werden. Hörstörungen wie Hochfrequenzverlust oder Tinnitus treten nach einer Chemotherapie (PEB) in 15–25% der Fälle auf, da Cisplatin kumulativ toxisch auf die Haarzellen im Innenohr einwirkt. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Bokemayer C et al. Tumore des Urogenitaltraktes. Onko-Update 2011 vom 28. bis 29. Januar 2011, Berlin. 2. Daling JR et al. Association of marijuana use and the incidence of testicular germ cell tumors. Cancer 2009; 115(6): 1215–1223. 3. Dieckmann KP et al. Is risk of testicular cancer related to body size? Eur Urol 2002; 42(6): 564–569. 4. Fossa SD et al. Adverse prognostic factors for testicular cancer–specific survival: A population-based study of 27 948 patients. JCO 2011; 29: 963–970. 5. Haugnes HS et al. Cardiovascular risk factors and morbidity in long-term survivors of testicular cancer: a 20-year follow-up study. J Clin Oncol 2010; 28(30): 4649–4657. 6. Hemminki K et al. Second cancers after testicular cancer diagnosed after 1980 in Sweden. 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UroOnkologie 96 Metastasiertes hormonrefraktäres Prostatakarzinom Neue Therapieoption zur Zweilinientherapie nach DocetaxelVersagen Mit Cabazitaxel (Jevtana®) steht ein Taxan der neuesten Generation demnächst zur europaweiten Zulassung zur Zweitlinientherapie des metastasierten hormonrefraktären Prostatakarzinoms (mHRPC) in Kombination mit Prednison an. Die Erwartungen im Hinblick auf eine Überlebensverbesserung sind hoch, denn die Alternativen nach Docetaxel-Versagen sind sehr begrenzt. Derzeit ist Docetaxel (Taxotere®) zur First-lineTherapie des mHRPC zugelassen. Allerdings dauert es in vielen Fällen sehr lang, bis man sich überhaupt zur Second-line-Therapie entschließt, so Priv.-Doz Peter J. Goebell, Erlangen. Die meisten Männer wurden mit Mitoxantron/Prednison weiterbehandelt. Zwar ließen sich damit Schmerzkontrolle und bessere Lebensqualität umsetzen, jedoch ohne Überlebensverlängerung. Cabazitaxel wurde in den USA im FastTrack-Verfahren zugelassen. Basis dafür waren Daten der TROPIC-Studie. 755 Männer mit mHRPC wurden nach Docetaxel-Versagen alternativ mit Cabazitaxel /Prednison bzw. Mitoxantron/Prednison behandelt. Dabei reduzierte Cabazitaxel das relative Sterberisiko nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 12,8 Monaten statistisch signifikant um 30% (HR = 0,70; p<0,0001) bei einer medianen Gesamt- überlebenszeit von 15,1 Monaten unter Cabazitaxel und 12,7 Monaten im Kontrollarm. Der mediane Überlebensvorteil bestätigte sich in allen Subgruppen. Cabazitaxel ist ein neuartiges Taxan und stabilisiert wie Docetaxel die Mikrotubuli in der Zelle. Es passiert die Blut-Hirn-Schranke. Die häufigsten (>5%) unerwünschten Wirkungen waren Neutropenie, Leukopenie, Anämie, febrile Neutropenie, Diarrhö, Müdigkeit und Asthenie. Als Prophylaxe gegen Übelkeit und Erbrechen empfahl Dr. Götz Geiges, Berlin, etwa 30 Minuten vor der Gabe von Cabazitaxel eine Prämedikation (i.v.) aus einem Antihistaminikum, beispielsweise Dexchlorpheniramin 5 mg, einem Kortikosteroid (Dexamethason 8 mg), einem H2-Antagonist (Ranitidin 50 mg) und einem Antiemetikum. Dr. med. Nana Mosler, Leipzig Quelle: Fach-Pressekonferenz „Die Krebstherapie verändern: Jevtana® – Neuzulassung beim metastasierten hormonrefraktären/kastrationsresistenten Prostatakarzinom“ am 22. Februar 2011, Berlin. Veranstalter: Sanofi-Aventis Deutschland, Berlin. Onkologische Welt 2/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.