ADHS und Substanzstörungen

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ADHS und
Substanzstörungen
Dr. med. Thilo Beck
Chefarzt Arud
23.06.2011
Suchtsymposium Beverin
Arud
Polikliniken und medizinische Zentren für Suchtmedizin
Umfassendes, interdisziplinäres
Angebot
• MitarbeiterInnen Therapie aktuell: 89 Personen
• Psychiatrie/Psychotherapie
13 ÄrztInnen
8 PsychologInnen
• Somatik
7 ÄrztInnen
• Sozialarbeit
3 Stellen
• Praxisassistentinnen
2 Stellen
• Schalterpersonal
13 Stellen
43 MA (Pflegefachleute)
Fort- und Weiterbildung in der
Arud
• Weiterbildungsstätte FMH
• 2 Jahre Psychiatrie/Psychotherapie (C)
• 1 1/2 Jahre Allgemeine Innere Medizin
Behandlungskonzept
• Schadensminderung, Lebensqualität
• Niederschwelligkeit
• Minimale Auflagen
• Zieloffenheit
• Interdisziplinarität (alles unter einem
Dach)
Vernetztes Arbeiten
• DIZ (Streetwork der Stadt Zürich)
• ada Zürich (Angehörigenvereinigung)
• Checkpoint (Zürcher Aidsilfe)
• Arche Zürich (Wohnen, Arbeitsintegration)
PatientInnen aktuell
• Alkohol, Kokain, Cannabis, Partydrogen
ca. 400
• Substitution mit
Methadon/Buprenorphin/Morphin
ca. 550
• Heroingestützte Behandlung
ca. 180
Programm
• Einführung
• Epidemiologie ADHS und SUD
• Komorbidität und Diagnostik
• Neurobiologische Grundlagen von ADHS
und SUD
• Behandlungsmöglichkeiten
• Folgerungen für die Praxis
Managing Addiction by
Treating ADHD
ADHS: Eine häufige
Erkrankung
• 6-9% Kinder und Jugendliche
• Bis 5% bei Erwachsenen
• Kindliche ADHS persistiert bei
75% der Jugendlichen
50% der Erwachsenen
Wilens 2010, Merikangas 2010
Substanzstörungen auch
• 8.9% Drogen, 6.4% Alkohol bei Jugendlichen (13-18 Jahre)
Insgesamt: 11.4%
• Bei Erwachsenen 10-30%
Merikangas 2010
Komplexe Genetik
• ADHS: Polygenetisch, erklärt 76% der Varianz!
Polymorphismen bei Genen für DA-Transporter, DARezeptor (D4 und D5), DA-ß-Hydroxylase, SerotoninRezeptor und –Transporter, Tryptophanhydroxylase
• SUD: Polygenetisch
Polymorphismen bei Genen für Alkoholdehydrogenase,
Aldehyddehydrogenase, Cannbinoid-, Nikotin- und
Opioidrezeptoren, CyP450, DA-Transporter, DARezeptor (D1, D2, D4, D5, MAO-A
Gemeinsame Kandidatengene für ADHS und SUD
GWAS: AP für Gene, die für Zelladhäsion, Zellkommunikation,
Signaltransduktion kodieren
Albayrak 2008, Lesch 2008, Asherson 2004, Faraone 2005, Vanyukov 2000, Noble 2000
Epigenetik
Prägende Umwelt/Umfeldeinflüsse
5HTTLPR-Allel
Retz 2007
•
Menschen mit ADHS:
Ressourcen
Energie
• Neugier
• Risikobereitschaft
• Kreativität
• Phantasie
• Rasche Auffassungsgabe
• Flexibilität
• „Hyperfokussieren“
….und Beeinträchtigungen
• Klassische Trias: Aufmerksamkeitsdefizite,
(motorische) Hyperaktivität, Impulsivität
• Akzessorische Symptome: Desorganisation,
emotionale Dysregulation
• Schulische und berufliche Schwierigkeiten
• Soziale Beeinträchtigungen
• Mehr Unfälle
• Komorbidität
ADHS kommt selten alleine….
ADHS und Komorbidität Achse I
Jacob 2007
ADHS und Komorbidität Achse II
Jacob 2007
ADHS-Symptomatik im
Verlauf
Kinder
Erwachsene
Millstein 97, Krause 99
Affekt und Emotion
Aufmerksamkeitsstörung
Motorische Hyperaktivität
• Affektlabilität (zykloid)
• Desorganisation in Verhalten und Aktivitäten
• Mangelhafte Affektkontrolle (Wutausbrüche)
• Impulsivität (Dazwischenreden)
• Emotionale Überreaktionen
Wender 1995
ADHS im Verlauf Psychopathologie
Die vielen Gesichter der
Impulsivität
• Negative urgency
• Positive urgency
• Sensation Seeking
• Lack of Planing
• Lack of Perseverance
Cyders 2007, 2008, Whiteside 2001
Kybernetik des ZNS
Interagierende Netzwerke
Neurobiologisches Modell
Vigilanzsteuerung, (Neu-)
Orientierung auf Stimuli
Inhibition
Posner 1990, Sonuga-Barke 2002
Motivationaler Stil
Exekutivfunktionen
• Exekutivfunktionen als Form der
Selbstregulation
• Inhibition
• Verbales und non verbales Arbeitsgedächtnis
• Emotionssteuerung
• Planen, Problemlösen
Barkley 1997
Intention- statt AttentionDeficit
• „Zeitblindheit“
• Mentale Prozesse zur Kontrolle, Planung und Steuerung
des Verhaltens (Exekutivfunktionen) beeinträchtigt
• Leben im Moment
• „Wissen, was zu tun ist“, statt „tun, was man weiss oder
kann“
• „Was oder wie“, statt „wann und wo“
Psychotherapie zur Gestaltung stützender Rahmenbedingungen
Barkley 1997
Disinhibition und Delay
Aversion
• Motivationales Belohnungs-System
dysreguliert
• Striatale Hypoaktivität bei Antizipation von
Gewinn
• Dopamin -Transporter und -Rezeptoren in
mesolimbischer Dopaminbahn verringert
Volkow 2009, Scheres 2007,
Das mesolimbische System
und Substanzstörungen
Schaltkreise des Konsumverhaltens
Präfrontaler Kortex
Limbisches System
Orbitofrontaler Kortex
VTA
Komplexe Modulationsmechanismen
auf vielen Ebenen
Nestler 2005
Grad der Verstärkung
Wise 2000
Lernen, Gedächtnis und abhängiger
Substanzkonsum
DA
GLU
Kelley 2004
Ätiopathogenese der
Komorbidität von ADHS und
SUD
• Unabhängige Diagnostische Entitäten mit
gemeinsamen Entstehungsfaktoren
• Distinkte Subtypen
• Indirekte Beziehung durch Störung des
Sozialverhaltens und der Aufmerksamkeit
Coolidge 2000, Jacob 2007,
ADHS und
Substanzstörungen
Ein oft unterschätztes oder übersehenes
Problem…..
ADHS und Substanzstörungen
Wilens 2003
ADHS in stationärer
Suchttherapie
• Im regulären Ablauf (vor)diagnostiziert:
3%
• Im Pilot aus den Akten vom Studienteam gestellte Verdachtsdiagnosen:
14%
• Prävalenz nach systematischer Diagnostik:
44%
Aweeney 2010
Analyse eigener
Behandlungsdaten
Vier Polikliniken mit den Settings
substitutionsgestützer Behandlung (SGB)
und „Behandlung ohne Opioide“ (BOS)
• T = 31.08.2008
• N = 867
• SGB = 652 (75%)
• BOS = 215 (25%)
Prävalenz nach Geschlecht
Prävalenz nach Substanzen
Substanzkonsum
i.v. - Konsum
Arbeitsintegration
Erwerbsstatus
Pharmakotherapie mit MPH
Mittlere Dosis 56.6mg
ADHS und
Substanzstörungen
• Früherer Beginn des Substanzkonsums
• Grössere Tendenz zur Chronifizierung
• Schwerere Ausprägung (Dosis,
Konsummuster)
• Schlechtere Prognose
• „Bidirektionale“ Komorbidität
ODD, Dissozialität
Bipolarität
Risikofaktoren
Bidirektionaler Einfluss über die
Generationen
Wilens 2004
SUD bei ADHS: Früher und
häufiger
Wilens 2004
Substanzkonsum als
Selbstmedikation?
• Keine Präferenz von Stimulantien
• Rolle des Tabakkonsums
• Betäubung, Aushalten der inneren
Spannungszustände
…oder zur
Leistungssteigerung?
ADHS und SUD
• Risiko für alle Substanzen erheblich
erhöht
• Tabakkonsum als wichtigster Prädiktor
weiterer Substanzstörungen (50%Risiko)
• Risikofaktor Störung des Sozialverhaltens
Beginn Substanzkonsum 12-16 Jahre (1722 Jahre ohne)
Charach 2011; Wilens 1998, 2005; Biederman 2005
Medikamentöse Behandlung
• Nur bei massgeblicher Beeinträchtigung
• Stimulantien unbestritten erste Wahl
• Atomoxetin und andere noradrenerge AD
second line
• Modafinil?
• Behandlung komorbider Störungen
Stimulantienbehandlung bei Patientinnen
mit Substanzstörung?
Einsatz von Stimulantien bei
ADHS und SUD
• Die meisten Richtlinien: Kontraindiziert
• Evidenz: Spärlich, heterogen
• Kein negativer Effekt auf Substanzkonsum
• Kein Missbrauch berichtet
• Effektstärke auf ADHS-Symptomatik
etwas tiefer
Levin 1998, 206, 2007; Schubiner 2002, Somoza 2004
Stimulantien bei ADHS : ein
Risiko für SUD?
„vermindertes Risiko bei Behandelten“
Biederman
Molina
Loney
Whalen
1999
1999
2002
2003
„Kein Einfluss“
Paternite
Barkley
Mannuzza
Katusic
Faraone
Biederman
1999
2003
2003
2005
2007
2008
„Gesteigertes Risiko“
Lambert
1998, 2002, 2006
Sensitivierung durch MPHBehandlung in der Kindheit?
• Keine Erhöhung der Prävalenz von SUD
nach MPH-Behandlung in der Kindheit
• AP für protektiven Effekt
Adoleszente>Erwachsene
Effekt längerer Behandlungen müsste
geprüft werden
Wilens 2003, Mannuzza 2008, Biederman 2008
ADHS, SUD und Stimulantien:
Pragmatische Überlegungen
• Mit SUD komorbide ADHS-PatientInnen
sind besonders behandlungsbedürftig
• Längere Abstinenz oft nicht erreichbar
• ADHS-Diagnose auch bei aktivem SUD zu
stellen
• Schadens-/Nutzenabwägung notwendig
• Unter kontrollierten Bedingungen
Therapie absolut vertretbar
Abklärungs- und
Behandlungsalgorithmus
• Routinemässiges ADHS-Screening
• Klinische Diagnostik, Selbst- und
Fremdbeurteilung
• Komorbide psychische Störungen
• Somatische Abklärung
• Significant Others?
• Psychoedukation
Abklärungs- und
Behandlungsalgorithmus
• Behandlungsauftrag
• Indikation für medikamentöse
Behandlung
• Form der psychotherapeutischen
Begleitung (entspr. Ressourcen, Rahmenbedingungen)
• Behandlungsplanung
• Verlaufskontrollen
Methylphenidat
• Geringeres Suchtpotential als
Amphetamine
• Responderrate 75%
• Effektstärke 0.4-1.3
• Konsumform (Anflutungsgeschwindigkeit) bestimmt Suchtpotential
Methylphenidat an der DASynapse
Volkow 2001, Robbins 2002
Wirk-Profil Methylphenidat
Volkow 2003
Wirkdynamik, Kinetik bei
i.v.-Konsum
Volkow 2003
Vorteilhafte OROS-Galenik
Volkow 2003
Die Dosis machts……
Durchschnittliche Dosis 57.4mg, SMD 0.57-0.58
Castells 2011
Effektivität von MPH
• Effektstärke 0.8 (grosser Effekt) bei
Dosierungen > 77.4 mg zu erwarten
• Retardierte Form mit geringerer
Effektstärke (SUD)
– Adherence?
– Dosis?
Castells 2011
Fallvignette
• 26-jähriger Patient, Selbstzuweisung wegen
Heroin- und Kokainkonsum (inhalativ und
nasal) seit 1 bzw. 3 Jahr(en).
• Tabak seit Alter 15, Cannabis und Alkohol seit
Alter 16 „in Massen“.
• Arbeitet 100% als Radio-TV-Elektroniker mit
Lehrabschluss.
•Lebt in Zürich in WG, ist bei den Eltern in Zug
gemeldet, „Eltern dürfen nichts wissen“
Fallvignette
• SGB mit Methadon mit „geringstmöglicher“
Dosis um 40mg, im Verlauf wegen anhaltendem
Beikonsum Heroin/Kokain auf 70mg aufdosiert
• Schlechte Adherence, minimales
Betreuungssetting, Schuld- und Schamgefühle
• Exazerbation Beikonsum (Kokain), Beginn i.v.Konsum, Komplikationen mit rez. Abszessen
• Feststellung HCV-AK mit neg. PCR, Hep. BImpfung
Fallvignette
• Wegen multiplen Problemen (Schulden,
Beziehungskrise, „Chaos“) vermehrter
Kontakt; Eingehende Abklärung wird möglich
• ADHS-Diagnose mit ungeheurem
Entlastungseffekt
• Nach eingehender Aufklärung/Psychoedukation
Entscheid für MPH-Behandlung mit Concerta
• Sehr gutes Ansprechen , Concerta 2x36mg/d,
sistiert Beikonsum, Umstellung von Methadon
auf Buprenorphin 16mg
Fallvignette
• Concerta wird im Verlauf von 6 Monaten unter
Monitoring EKG/BD/P von 2x36 auf 3x72mg
aufdosiert
• Skills-Training, Coaching
• Patient im weiteren Verlauf stabil mit
unveränderter Buprenorphin- und MPHDosierung, kein Beikonsum, 100% berufstätig
(Schulung zum Cutter bei SF DRS gemacht)
Tagesverlauf MPH-Plasmaspiegel
08.30 Uhr
11.40 Uhr
17.40 Uhr
Modafinil?
Biederman 2006; Volkow 2009
Atomoxetin
• Effektstärke < MPH (0.35-0.4)
• Braucht mehr Zeit bis Wirkungseintritt
(mehrere Wochen)
• Wichtige Alternative zu MPH bei SUDPatienten mit schlechter Adherence
Zusammenfassung
• Risiko der Entwicklung einer
Abhängigkeitsstörung bei unbehandelter
ADHS erhöht
• Diagnostik bei Komorbidität ADHS und SUD
anspruchsvoll, aber machbar
• ADHS trägt massgeblich zu Suchtdynamik bei
• Behandlung von ADHS bei SuchtpatientInnen
wichtig
• Psychoedukation als Fundament
Zusammenfassung
• Retardierte Stimulantien haben sich bei
ADHS-Betroffenen mit Substanzstörung
bewährt
• Engmaschiges Monitoring des Behandlungsverlaufs (Verifizieren des Ansprechens) auf
Basis einer tragfähigen therapeutischen
Beziehung
• Integriertepsychopharmakologische/psychotherapeutische Behandlung angezeigt
Fragen?
Wir sind für Sie da!
Der direkte Draht: 058 360 50 00
www.arud.ch
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