Adam Smith neu entdecken - braendle

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Adam Smith neu entdecken –
Grundlagen der Angewandten Psychologie und der
Sozialpsychologie
Vor 250 Jahren erschien in London „The Theory of Moral Sentiments“
von Adam Smith [*].
Im Unterschied zu Smith’ Klassiker der Ökonomie „An Inquiry into the
Nature and Causes of the Wealth of Nations” (London 1776) ist die
„Theorie der ethischen Gefühle“ heute weitgehend vergessen.
In einem in der Neuen Zürcher Zeitung wiedergegebenen Gespräch mit
Gerhard Schwarz betont der Ökonomienobelpreisträger Vernon Smith zu
Recht den enormen und aktuellen Stellenwert der „Theorie der ethischen
Gefühle“.
Dieses Werk von Adam Smith bilde „die Grundlage aller Sozialpsychologie. Es ist eine Tragödie, dass dieses Werk nicht im gleichen
Ausmass eine Wissenschaft der Sozialpsychologie begründete, wie der
‚Wohlstand der Nationen’ die Volkswirtschaftslehre schuf. (..) Beide
Bücher handeln vom Tausch. Die menschliche Neigung zum Tausch,
sowohl in den sozialen Beziehungen (..) als auch auf Märkten, ist die
verbindende Klammer.“ [**]
Das Studium der „Theorie der ethischen Gefühle“ lohnt sich in der Tat!
Der lange Untertitel
„Versuch einer Analyse der Prinzipen, mittels welcher die Menschen
naturgemäss zunächst das Verhalten und den Charakter ihrer
Nächsten und sodann auch ihr eigenes Verhalten und ihren eigenen
Charakter beurteilen“
macht allerdings deutlich, dass heutige Leserinnen und Leser des Werks
die Lektüre zeitbezogen (1759 erschienen!), nachsichtig und geduldig
angehen müssen. Es gibt viele Wiederholungen und Abschweifungen,
zahllose philosophiegeschichtliche Exkurse und auch ärgerliche
Aussagen – etwa zur „naturbedingten“ Schichtung oder Rangordnung in
sozialen Systemen.
Unterm Strich hat Vernon Smith mit seiner Würdigung aber doch Recht.
Einige wenige Hinweise auf die sieben Teile (Kapitel) der “Theorie der
ethischen Gefühle” können das vielleicht verdeutlichen:

Im 1. Teil unterbreitet Adam Smith Elemente zu einer Theorie
menschlicher Bedürfnisse, die Pflichtlektüre für die neoliberale
Ökonomie sein müssten – etwa die gefühlsmässige Anteilnahme am Schicksal anderer Menschen (Smith nennt dies
„sympathy“; moderner Begriff: Empathie) oder das Bedürfnis,
anderen in Nöten zu helfen bzw. von anderen in Not Hilfe zu
erhalten oder die Bedürfnisse nach Liebe, Freundschaft und
Mitgliedschaft.

Im 2. Teil präsentiert Smith eine Frühform zur heutigen
Attributionstheorie („Von Verdienst und Schuld oder von den
Gegenständen der Belohnung und Bestrafung“) und bespricht
Fragen der Absichtlichkeit, Fahrlässigkeit und Nachlässigkeit
menschlicher Handlungen. In diesem Teil ergänzt er auch die
Theorie menschlicher Bedürfnisse um eine weitere wichtige
Dimension, nämlich das Bedürfnis nach Gerechtigkeit (modern
auch: Reziprozität). Diese Dimension wird im 6. Teil weiter
vertieft.

Der 3. Teil handelt in heutiger Sprache von der Selbstwerttheorie. Smith erörtert hier Fragen des Selbstbilds, der Selbstwahrnehmung und der Selbstbeherrschung (die er dann im 6.
Teil genauer analysiert). Zur Sprache kommt in diesem Teil auch
das Bedürfnis nach Anerkennung (Lob) und die Furcht vor Tadel.

Der 4. Teil ist Fragen der Schönheit bzw. Ästhetik gewidmet –
einem Thema also, das in der heutigen Sozialpsychologie
breiten Raum einnimmt.

Im 5. Teil spricht Adam Smith „Von dem Einfluss, welchen der
Brauch und die Mode auf die Empfindungen der sittlichen
Billigung und Missbilligung üben“. Ein Zitat zu einem Sachverhalt, der inzwischen x-fach untersucht und (sinngemäss)
bestätigt worden ist: „Nicht das ist Mode, was alle tragen,
sondern das, was diejenigen tragen, die von höherem Stand und
Rang sind“ (S. 332).

Im 6. Teil kommt Smith auf Fragen der Bedürfnistheorie zurück
und beschreibt die Dimensionen der (körperlichen) Integrität/
Sicherheit/Unversehrtheit, Rang/Ansehen/Prestige, Besitz/
Eigentum/Vermögen sowie das Bedürfnis nach Regeln für
wiederkehrende Ereignisse.

Der 7. Teil schliesslich umfasst vier Abschnitte zur Moralphilosophie bzw. Ethik.
[*] Smith, A. (1759, 1. Aufl.; 1790, 6. Aufl.). The Theory of Moral Sentiments.
London: A. Millar.
Die erste deutsche Übersetzung durch Chr. G. Rautenberg erschien 1770 unter
dem Titel „Theorie der moralischen Empfindungen“ in Braunschweig.
Zugänglich ist derzeit die Neuauflage „Theorie der ethischen Gefühle“ (nach der
Ausgabe letzter Hand übersetzt und mit Einleitung, Anmerkungen und Registern
herausgegeben von Walther Eckstein. Leipzig 1926), erschienen 2004 beim
Felix Meiner Verlag in Hamburg.
[**] Neue Zürcher Zeitung, 11.07.2008: 25
©Markus Brändle-Ströh – November 2009
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