Leseprobe - STARK Verlag

Werbung
 47
Kernchemie
In einem Hubschrauber wird eine Strahlenmessung über dem völlig zerstörten Block 4 des ukrainischen
Atomkraftwerks TSCHERNOBYL durchgeführt. Die durch einen Bedienfehler ausgelöste Reaktorkatastrophe vom 26. April 1986 war der bisher schwerste Unfall in der Geschichte der friedlichen Nutzung der
Kernenergie. Die Schätzungen der Opferzahlen gehen weit auseinander: sie reichen von 10 000 bis über
250 000 Menschen, die direkt ums Leben kamen oder an den Spätfolgen starben.
48  Kernchemie
1 Radioaktivität
1.1 Die Entdeckungsgeschichte der Radioaktivität
Henri BECQUEREL entdeckte im Jahr 1896 bei Fluoreszenzuntersuchungen zufällig, dass von Uranverbindungen eine unsichtbare Strahlung ausgeht, die in
der Lage ist, Luft zu ionisieren, eine fotografische Platte durch die Verpackung
hindurch zu schwärzen und Leuchtstoffe zur Lumineszenz anzuregen. Marie
und Pierre CURIE erforschten 1898 zwei weitere strahlende Elemente, Radium
und Polonium, die sie aus der Pechblende isolierten. Ebenfalls im Jahr 1898
entdeckte SCHMIDT die Radioaktivität des Thoriums.
Als Radioaktivität bezeichnet man die Eigenschaft bestimmter chemischer Elemente,
Strahlung auszusenden.
Die Wissenschaftler RUTHERFORD, CURIE, BECQUEREL und VILLARD stellten um
das Jahr 1900 fest, dass radioaktive Strahlung nicht einheitlich ist, sondern in
drei Strahlungsarten unterteilt werden kann. Sie erkannten auch, dass diese
drei Strahlungsarten Materie unterschiedlich gut durchdringen können, von
dieser also verschieden gut abgeschirmt werden. Experimente zur Ablenkbarkeit radioaktiver Strahlung im elektrischen und magnetischen Feld ergaben
für die verschiedenen Typen radioaktiver Strahlung verschieden starke Ablenkungen in unterschiedliche Richtungen (siehe S. 49). Zusammen mit Becquerel erhielt das Ehepaar Curie 1903 den Nobelpreis für Physik für ihre Arbeit auf
dem Gebiet der Radioaktivität. Acht Jahre später wurde Marie Curie außerdem
mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. In jahrelanger, mühevoller
Arbeit hatte sie aus mehreren Tonnen Pechblende ein Zehntelgramm Radiumchlorid isoliert, aus dem sie Radium gewann. 1913 formulierten SODDY und
FAJANS die Verschiebungsgesetze des radioaktiven Zerfalls (siehe S. 50 ff.).
1.2 Wirkungen der radioaktiven Strahlung
Die von einem radioaktiven Präparat ausgehende radioaktive Strahlung kann
beim Durchgang durch umgebende Materie Atome anregen oder sogar ionisieren. Dies ist die Ursache für die mess- und beobachtbaren Wirkungen radioaktiver Strahlung:
• Ionisation: Gase werden durch radioaktive Strahlung ionisiert und damit
elektrisch leitend.
Radioaktivität  49
• Luminiszenz: Radiumpräparate leuchten in der Luft blau, was auf die Anregung von Stickstoffmolekülen zurückzuführen ist. Sehr schwach radioaktive Präparate können nur leicht anregbare Substanzen wie Zinksulfid zum
Leuchten bringen. Angewendet wird diese Eigenschaft radioaktiver Substanzen z. B. in Leuchtziffern von Uhren mit Auflage einer dünnen Schicht
aus Zinksulfid und einer schwach radioaktiven Substanz.
• Beeinflussung von Silberhalogeniden: Radioaktive Strahlung bewirkt
einen Belichtungseffekt, d. h. dass sich beim Entwickeln die von radioaktiver Strahlung getroffenen Stellen einer fotografischen Platte wie belichtete
Stellen schwärzen.
• Ozonisierung: Durch radioaktive Strahlung angeregte Sauerstoffmoleküle
reagieren mit weiterem Sauerstoff zu Ozon (O3).
• physiologische Wirkungen: Radioaktive Strahlung kann am Zellaufbau
beteiligte Moleküle anregen oder ionisieren und die Zellen dadurch schädigen (siehe S. 62 ff.).
1.3 Arten und Eigenschaften radioaktiver Strahlung
Im magnetischen Feld lassen sich die einzelnen Komponenten radioaktiver
Strahlung auftrennen: Ein Teil wird in die gleiche Richtung wie bewegte positiv geladene Teilchen abgelenkt. Diese Strahlungsart wird als α-Strahlung bezeichnet. Dabei handelt es sich um zweifach positiv geladene Heliumkerne.
Ein zweiter Teil der Strahlen wird in dieselbe Richtung wie bewegte negativ
geladene Teilchen abgelenkt. Dieser Strahlungsanteil wird β-Strahlung genannt. Es handelt sich um einfach negativ geladene Elektronen. Zwar tragen
Heliumkerne eine doppelt so große Ladung wie Elektronen, dafür sind sie aber
um ein Vielfaches schwerer, weshalb α-Strahlung auch erheblich schwächer
abgelenkt wird als β-Strahlung. Ein dritter Teil, die so genannte γ-Strahlung,
wird vom Magnetfeld nicht beeinflusst:
Strahlenquelle
-Strahlung
N
N
-Strahlung
N
S
-Strahlung
gedachte Ebene
Abb. 15: Beeinflussung radioaktiver Strahlung im Magnetfeld
Herunterladen