TPD PREPRINTS Annual 2002 No.4

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Titel / Title:
Rationaler Ethikbegru ndung und ihre Grenzen:
Das Sein-Sollen-Problem aus moderner Sicht
(Langfassung)
Autor / Author:
Gerhard Schurz
TPD PREPRINTS
Annual 2002
No.4
Edited by Gerhard Schurz and Markus Werning
Vorveroffentlichungsreihe des Lehrstuhls fu r
Theoretische Philosophie an der Universitat Du sseldorf
Prepublication Series of the Chair of
Theoretical Philosophy at the University of Du sseldorf
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RATIONALER ETHIKBEGRU NDUNG UND IHRE GRENZEN:
DAS SEIN-SOLLEN-PROBLEM AUS MODERNER SICHT (LANGFASSUNG)
Gerhard Schurz
INHALT:
1. Die praktische Relevanz des Sein-Sollen Problems (SSP)
2. Die theoretische Relevanz des SSP
3. Arten des SSP: eine methodische Problemzerlegung
3.1 Erweitertes SSP, Standard-SSP und synthetisches SSP
3.2 Logisch - Analytisch - Synthetisch
3.3 Zwei Teilprobleme des Standard-SSP: das logische und das analytische SSP
3.4 Das synthetische SSP
4. Das logische SSP
4.1 Die Paradoxie von Prior: irrelevante ethische Konklusionen
4.2 Logische Resultate
5. Das analytische SSP
5.1 Eine Klassifikation ethischer Theorien
5.2 Werte und Normen deontologischen und teleologischen Theorien
5.3 Fast-Analytizitat und die Glu cksbedingung
5.4 Alethisch-Deontische BPs
5.5 Intersubjektive Aggregationstheorien
5.5.1 Inadaquate formale Rationalitatsannahmen
5.5.2 Die Wahl intersubjektiver Aggregationsmethoden
5.5.2.1 Der Egozentrismus- und Liberalismuseinwand
5.5.2.2 Konfligierende Aggregationsmethoden
5.5.2.3 Minimale Aggregationsprinzipien
5.6 Intersubjektive Koinzidenztheorien
5.6.1 Der Konfusionseinwand
5.6.2 Der Leerheitseinwand
5.7 Intrasubjektive Theorien
5.8 Objektive Theorien
5.9 Zusammenfassung
6. Das synthetische SSP
7. Autonomistische Theorien
7.1 Empiristische Theorien
7.2 Aprioristische Theorien
8. Zusammenfassung negativer Resultate und Ausblick auf eine positive Theorie
8.1 Notwendige ethische Prinzipien, biologische Werte und Kulturwerte
8.2 Physische Gewaltvermeidung als bedeutenster Kulturwert
8.3 Die Etablierung von Kulturwerten: Rationale Werbung
1. Die praktische Relevanz des Sein-Sollen Problems
Beginnen wir mit einem praktischen Beispiel, dem Abtreibungsproblem. Soll man
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dem ungeborenem menschlichen Leben, dem Fotus, dasselbe uneingeschrankte
Grundrecht auf Leben zubilligen, und somit fu r ihn dasselbe uneingeschrankte
Totungsverbot proklamieren, wie wir fu r alle geborenen Menschen tun, und wenn ja,
aufgrund welcher Eigenschaften? Die nun schon jahrzehntelang tobenden offentlichen Meinungsschlacht u ber diese Frage ist offenbar ohne Aussicht auf Konsens.
Am einen Ende des Spektrums befindet sich die Auffassung, da – die Befruchtung
der Eizelle den Beginn des menschlichen Daseins und somit auch den Be ginn des
Rechtes auf Leben markiert, denn in Fotus seien schon alle wesentlichen menschlichen Qualitaten keimhaft angelegt. Dieser Auffassung zufolge, vertreten von tra ditionalistisch-christlich orientierten Ethikern und Politikern 1, ist Abtreibung in
jeder Phase der Schwangerschaft Mord und daher strikt zu verbieten. In der Mitte
des Spektrums ware beispielsweise die (sozial-frauenengagierte) Auffassung angesiedelt, welche vom grundlegenden Recht der Mutter, u ber ihren eigenen Korper
selbst zu verfu gen, ausgeht. Solange der Fotus keines eigenstandigen Lebens au– erhalb des Mutterleibes fahig ist, ist er ein Teil des mu tterlichen Korpers, weshalb
Abtreibung bis in ein spates Stadium zu erlauben sei. Am anderen Ende des Spektrums findet sich schlie– lich die These, erst die Entwicklung von Personalitat … welche Ichbewu– tsein und die Ausbildung von nicht blo – gegenwarts- sondern auch zukunftsbezogener Interessen umfa– t … mache ein menschliches Wesen (im biologischen Wortsinn) auch ethisch vollwertig und verleihe ihm das unteilbare Grundrecht
auf Leben. Aus dieser von analytischen Ethikern wie Peter Singer oder Norbert
Hoerster vorgebrachten Position folgt, da– nicht nur Foten, sondern sogar Neugeborene in ihren ersten Lebensmonaten kein uneingeschr anktes Lebensrecht besitzen, da
sie noch keinerlei Personalitat (im oben definierten Sinn) entfaltet haben, weshalb
gema– Singers "Praktische Ethik" die Totung eines z.B. hamophilen Neugeborenen
in bestimmten Fallen … etwa wenn seine Totung die einzige Moglichkeit darstellt,
der Mutter den Wunsch nach einem gesunden Kind zu verschaffen … ethisch erlaubt
1 Z.B. von Rita Su ssmuth; vgl. die Auseinandersetzung mit ihr in Hoerster (1991).
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ist.2 Der Konflikt zwischen beiden extremen Seiten dieses Spektrums war vorpro grammiert und fu hrte zur hinlanglich bekannten "Singer-Affare". Was hier interessiert, ist nicht die Beurteilung seiner politischen Ausw u chse, sondern der ihn
gebarende geistige Hintergrund. Beide Seiten beriefen sich jeweils auf ein ethisches
Rationalitatskonzept, in dessen Lichte das andere als schlicht irra tional erscheinen
mu– te. Ausgehend von einer humanistischen Vernunftkonzeption, deren Grundprinzip oft als 'Heiligkeit des Lebens' bezeichnet wird, mu – te der ersteren Gruppe
jeglichen Versuch, den Wert menschlichen Lebens berechnen und kalkulieren zu
wollen, als moralisch grundfalsch und abwegig erscheinen. Umgekehrt sahen die
analytische Ethikern in diese pauschale Verurteilung ihrer utilitaristischen Argumente als Beweis der Irrationalitat der Gegenseite an. Frauenvertreterinnen verfallen
angesichts dieser Fehde wiederum nur in Kopfeschu tteln: gehen doch beide Seiten
am wichtigsten Punkt, dem Recht der Mutter, vorbei.
Eine winzige gedankliche Reflexion (die leider allzuoft unterlassen wird) l a– t uns
die rationale Entscheidbarkeit dieser Debatte und die Schlu ssigkeit der in ihr involvierten Argumente grundsatzlich bezweifeln. In allen Fallen wird von einer faktischen Eigenschaft eines menschlichen Lebewesens auf eine es betreffende Norm …
sein unteilbares Lebensrecht … geschlossen: im ersten Fall die Keimanlagen, im
zweiten Fall die Unabhangigkeit vom Mutterleib, im dritten Fall die Eigenschaft der
Personalitat. Ein Sein-Sollen-Schlu– im besten Wortsinn. Doch sind nicht genau
solche Sein-Sollen-Schlu sse, gema– der beru hmten Humeschen These, grundsatzlich
ungu ltig? Zugegeben, der philosophische Streit um die Hume -These ist noch nicht
entschieden, doch intuitiv stimmt ihr die Mehrzahl der Ethiker zu: wie sollte auch
moglich sein, von deskriptiven Eigenschaften auf Normeigenschaften zu schlie – en,
welche doch kategorisch vollig verschieden sind? Dies war auch die wichtigste Begru ndung, die Hume fu r seine These gab: "as this oughtÜ expresses some new relation, it is necessary thatÜ a reason should be given, for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are enti rely
2 Singer (1984), Kap. 4, S. 183; Hoerster (1991), S. 69ff.
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different from it [Hume bezieht sich mit "others" auf "the usual co pulations of propositions, is" - d. A.] (1739/49, S. 177f). Sollte die Humesche These aber richtig se in
… und das mochte ich letztendlich zeigen … so sind derartige Versuche, die
Richtigkeit der eigenen Aufassung mit rationalen Argu menten beweisen, letztendlich
selbst als irrational anzusehen werden. Dann steckt hinter jedem derartigen
'Argument' eine verschwiegene ethische Pramisse, ohne die das Argument ungu ltig
ist, und worin man das, was man zu begru nden vorgibt, bereits voraussetzt. Dann
gibt es ebenso viele verschiede Einstellungen zur Abtrei bungsfrage, wie es
verschiedene ethische Weltanschauungen gibt, und in einer pluralistischen Kultur
auch geben sollte. Alles, was rationale Ethik dann tun kann … und das ist wichtig
genug! … ist, diese verschiedenen Auffassungen rational zu re konstruieren, ihre
Pramissen und ihre Konsequenzen herauszuarbeiten, aber sie kann nicht eine unter
diesen Aufassungen als die richtig beweisen.
Auch MacIntyre hat in "After Virtue" (1981, S. 8) die Abtreibungsfrage gew ahlt,
um das Dilemma des modernen ethischen Diskurses zu demonstrieren. Er spricht
von
konzeptuellen Inkommensurabilitat der rivalisierenden Positionen; unsere
moderne … von religiosen und anderen Autoritaten emanzipierten … Kultur verfu gt
u ber keinen einzigen allgemeinverbindlichen moralischen Standard, um zwischen
ihnen zu entscheiden. Jede der Positionen ist in sich koharent und schlu ssig. Das
Konzept einer keimhaft angelegten, sich zu ihrem nat u rlichen Telos entfaltenden
Qualitat ist bester aristotelischer Tradition (dies sei speziell An hangern Singerscher
Ethik betont, welche mit … wie in Kap. 5.5.1 wird … unzulanglichen Argumenten
einige Annahmen der ersteren Position als 'unhaltbar' darzustellen suchte). Das
Recht der Verfu gung u ber den eigenen Korper ist eines der grundlegensten Menschenrechte, und auch die utilitaristische Interessenskonzeption Singers ist in sich
koharent und schlu ssig. Moralische Fragen wie die der Abtreibung konnen nur u ber
den Weg eines demokratischen Einigungssprozesses entschieden werden, bei dem
rationale Ethik freilich hilfreich sein, den sie aber nicht vorwegnehmen kann … und
zwar nicht aus politischen, sondern aus grund satzlichen, erkenntnistheoretischen
Gru nden.
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In der ethischen Kontroverse trifft man unentwegt auf unfundierte Allgemein verbindlichkeitsanspru che, und meistens (nicht immer) au– ern sie sich in Form
leichtfertiger Sein-Sollen-Schlu sse. Wo es aber keine Allgemeinverbindlichkeit gibt,
mu nden Allgemeinverbindlichkeitsanspru che allzu leicht in Dogmatismus und
Demogagie. Sie schaffen, wie MacIntyre sagt, ein "schrilles Gesprachsklima" (1981,
S. 8) … nicht nur in der offentlichen, auch in der philosophischen Ethikdiskussion.
Annemarie Pieper (1994) hat in einem lesenswerten Artikel Taktiken beschrieben
worin philosophische Ethiker, in Ermangelung rationaler Argumente, ihre Gegner zu
u bertrumpfen suchen … z.B. "die Entmu ndigung", "die Rosinenpickerei", "die
Unterschlagung", "die Spottdrossel". Ich mochte an dieser Stelle vor der eigenen
Tu re, jener der analytischen Ethik kehren, weil mir die wissenschaftliche Methode …
sofern sie undogmatisch angewandt wird … als die beste unter den verfu gbaren
erscheint. Eine von Pieper nicht erwahnte Technik, die mir bei analytischen Ethikern
oft auffiel, ist die der Beeindruckung durch Pseudowissenschaftlichkeit. Darunter
verstehe ich eine Leichtfertigkeit im Umgang mit schwierigen und nur halb
verstandenen logischen Fragen, welche den Laien zu beein drucken oder
beunruhigen, aber nicht wirklich aufzuklaren geeignet sind, und das in einem derart
sensiblem Themenbereich wie dem Totungsverbot. Man findet diese Leichtfertigkeit
in Singers "Praktischer Ethik", dessen logische L u cken vielerorts diskutiert wurden 3,
und woru ber noch zu sprechen sein wird spater (Kap. 5, 7). Der provokante Ton, der
bei
Singer
noch
hinzukommt,
ist
bei
deutschen
analytischen
Ethikern
glu cklicherweise weitaus weniger vorhanden, dafu r gelegentlich ein gro– eres Stu ck
pseudowissenschaftlicher Anma– ung. So sehr ich Herrn Meggles diplomatisches
Geschick bewundere, mu ssen hier, der Sache halber, einige Beispiele aus seiner
Rede in Innsbruck erwahnt werden, welche die osterreichische 'Singer-Schlacht'
ausloste. Meggle erlautert hier eine Methode, nach der man den Wert eines
menschlichen Lebens objektiv, namlich in DM, berechnen konne (II.2.1, 1991), auf
der Grundlage folgender Annahmen: (i) auf Lenzen () zuru ckgreifend geht er davon
3 Vgl. Hoerster (1977), Regan (1980).
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aus, der Wert eines Lebens sei gleich der Summe der Werte, die dessen Tage
besitzen, (ii) betont, da– er den Wert eines Lebensabschnittes als aus der subjektiven
Eigenperspektive beurteilt versteht, (iii) meint aber, da – sich der subjektive Wert
eines Lebenstages dennoch sinnvoll in der objektiven Einheit "DM" aus dru cken la– t,
und (iv) berichtet dann, wie man den subjektiven Wert von Ereignissen wie etwa
dem eines Lebenstages prazise quantitative bestimmen kann, sei in der
Entscheidungstheorie "geklart" (aufgrund der Tonbandabschrift) bzw. "erklart" (in
der Fassung 1991). 4 Unsere spateren Ausfu hrungen werden klarmachen, da– alle
vier Behauptungen unhaltbar und naiv sind, und auch wer in der Kritik dieser
Behauptungen nicht so weit geht, mu – te sie bei Kenntnis der einschlagigen kritischen Lektu re doch zumindest als ho chst problematisch befinden. Ich denke: wenn
man weiä, da– Thesen wie die Kalkulierbarkeit des Wertes eines Menschen so
provokant sind, da– sie Menschen anderer Gesinnung zunachst nur erschrecken, und
dann leichtfertig wissenschaftliche Halbwahrheiten zur Begru ndung von solcher
Thesen "hinknallt", so mu– man sich den Vorwurf der Unverantwortlichkeit gefallen
lassen.
Zusammengefa– t ist die gegenwartige Situation der Ethik doch bemerkenswert.
Der technologische Fortschritt erzeugt fortwahrend neuartige ethische Probleme …
Genmanipulation, Sterbehilfe, usw. … und von u berforderten Politikern zu Hilfe gerufen und auch budgetar belohnt, tragen Philosophen wie Nichtphilosophen eilfertig
diverseste Moralkonzepte zum Markt, die allesamt mit dem hehren An spruch der
Rationalitat und Allgemeinverbindlichkeit prasentieren. So wu rdevoll sich dieser
Anspruch aus der 'Eigenperspektive' auch ausnimmt … von au– en betrachtet wird
man eher an ein merkwu rdiges Theater erinnert, eine szenische Verschmelzung des
Turms zu Babylon mit dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Denn was die Bemu hungen
um eine rationale Moralbegru ndung eingebracht haben (und das im Grunde seit der
4 Die Tonbandabschrift wurde von Irene Lauschmann erstellt und ist abgedruckt in
Geschatztes Leben.Dikumentation zur Neuen Euthanasie , hrsg. am Institut fu r
Philosophie der Universitat Innnsbruck.
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Aufklarung), ist statt Konsens ein immer gro– er werdende Dissens.5 Macintyre
(1981, Kap. 1, 2) sieht den modernen Ethikdiskurs als einen Zustand innerer Zerru ttung. Das aufklarerische Programm einer rational-allgemeinverbindlichen Ethikbegru ndung sei notwendigerweise gescheitert, weil ethischer Konsensus immer nur
durch eine gemeinsame faktische Kultur konstuituiert werden kann, welche jedoch …
gerade aufgrund des sozialpolitischen Emanzipation der Aufklarung … verloren ging
(1981, Kap. 2, 5). In Anlehnung daran konnte man diesen Zustand mit der der Situation von Teilnehmern eines Ballspieles vergleichen, welche allesamt die Spielregel
ihres Spieles vergessen haben, doch in der Einbildung weiterkommunizieren, die
'wahren' Spielregeln allgemeinverbindlich begru nden zu konnen.6
In solcher Situation scheint es angemessen, ja vordringlich, die Grenzen ratio naler Ethikbegru ndung erneut und auf modernem Niveau zu untersuchen. Der 'Konigsweg' hierzu fu hrt u ber das Sein-Sollen-Problem. Ware man sich dieser Problematik
und der damit verbundenden Grenzen rationaler Ethikbegru ndung standig gewahr, so
konnte viel an verbaler Aggression und Fanatismus vermiede n werden, welcher das
Klima heutiger Ethikkontroversen bestimmt. Statt rhetorischer Hartn ackigkeit wu rde
argumentative Bescheidenheit Platz greifen. Toleranz und Offenheit f u r den anderen
Standpunkt … was die heutige Ethikkontroverse am meisten ben otigt … ware keine
blo– 'diplomatische', sondern aus der Sache selbst heraus wachsende Ein stellung. So
5 So schreibt Firth (1952, p. 317) in seiner Einleitung "die M oralphilosophie Ü
war u berweigend derÜ Analyse ethischer Aussagen gewidmetÜ [doch sie]
resultierete in gro– erer Meinungsverschiedenheit als je zuvor".
6 Die 'liberalistische' Fraktion sieht etwa in der Beru hrung des Spielballes mit der
Hand eine grundlegende Tugend, denn die Bewegungsfreiheit der Hand gehort
zu den grundlegenden Menschenrechten. Die 'sozialistische' Fraktion sieht
gerade darin ein Grundu bel, den mit der handischen Ballergreifung sei eine
Besitzergreifung verbunden, welche den Charakter des Balles als offentliches
Gut unterlaufe, was allerdings bei einer Beru hrung lediglich mit dem Fu– nicht
der Fall sei. Die 'fundamentalistische' Fraktion sieht in jeder direkten Ber u hrung
des Balles eine Verletzung seiner Wu rde und verficht daher den Standpunkt, er
du rfe lediglich mit einem Schlager beru hrt werden, wobei hinsichtlich der Form
des letzteren allerdings gravierende Auffassungsunterschiede bestehen.
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hat die Einsicht in die Grenzen rationaler Ethikbegr u ndung eine emminent positive
gesellschaftliche Funktion. Darin liegt die praktische Relevanz des Sein-SollenProblems.
2. Die theoretische Relevanz des SSP
Eben darin ist zugleich die theoretische Relevanz des Sein-Sollen-Problems verwurzelt. Denn selbstverstandlich ist die Frage, wie Ethik rational begru ndbar ist, die
wichtigste aller Fragen rationaler Ethik (somit ist 'Metaethik' nichts von Ethik sepa rierbares, sondern ihr bedeutenster Bestandteil). Wie wir anhand der in Kap. 5.1 ge gebenen U bersicht u ber die Moglichkeiten rationaler Ethikbegru ndung sehen werden, sind fast alle von der Sein-Sollens-Frage betroffen, und von einer umfassenden
Beantwortung dieser Frage zu einer allgemeinen Einschatzung der Grenzen rationaler Ethikbegru ndung ist es nur noch ein kleiner Schritt.
Zuerst mu– der Begriff der rationalen Rechtfertigung moglichst klar expliziert
werden. Was wir hier schon festhalten konnen, ist, da– seine Explikation keine ethische oder metaethische Vorentscheidung involvieren darf. Seine Explikation mu –
unabhangig sein etwa von der ontologischen Autonomie oder Nichtautonomie
ethischer Sachverhalte, usw. Die wichtigste philosophisch neutrale Merkmal rationaler Rechtfertigung ist das insbesondere von Charles Sanders Peirce hervorgehobene
Kriterium der Intersubjektivitat: einem rational gerechtfertigtem Satz mu – te 'im
Prinzip' jeder zustimmen, will in mehr Peirceschen Worten hei– en: von einer
rationalen Rechtfertigungsmethode mu– zu erwarten sein, da– die Meinungen der
Forschergemeinschaft … das sind alle Menschen, die willens sind, die hierzu n otigen
kognitiven Kompetenzen zu erwerben und notigen Prozeduren zu durchlaufen …
nach hinreichend langer Forschung in einen (strengen, nicht 'statistischen') Konsens
einmu nden (Peirce 1978; Schurz 1991c, ´ 2.3).
In betrachtlichen Bereichen des Alltagswissens und der empirischen Wissenschaften liegt, so denke ich, derartige Intersubjektivit at vor. Zwar gibt es einen seit
Kuhn und Feyerabend wieder etwas in Mode gekommenen philosophischen Zweifel
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an der intersubjektiven Rationalitat empirischer Wissenschaften. Manche Ethiker,
wie beispielsweise Toulmin, versuchen gar, die Rationalitat der Ethik auf diesem
Wege zu etablieren: die weltanschauliche Relativit at ethischer Standpunkte sei kein
Grund, an der Rationalitat der Ethik zu zweifeln, denn die Wissenschaftstheorie
hatte 'gezeigt', da– selbst empirische Theorien paradigmenanhangig und somit weltanschaulich beladen sind (s. Toulmin 1950, Kap. 8, 9). Dieses Argument hat dieselbe
Struktur wie die allzumenschlichen Ausrede "ich bin nicht schlecht, denn die an deren sind ja auch nicht besser". Wenn die Pr amissen des Argumentes wahr waren, was
ich bezweifle, so ware damit doch nur gezeigt, da– auch empirische Wissenschaft
nicht rational ist … aber doch nicht, da– Ethik rational ist. Ich werde im folgenden
jedenfalls, aus strategischen Gru nden, dem Verfechter ethischer Rationalitat
gro– zu gige
und
optimistische
Annahmen
u ber
die
Existenz
rationaler
Verfahrensweisen entgegenbringen. Ich nehme an, da– in den Bereichen des
"logisch-mathematischem Wissen" und des "Faktenwissen" intersubjektive Rationalitat vorliegt … soda– , wenn intersubjektive gerechtfertigte Schlu sse vom Sein auf das
Sollen moglich waren, ich die rationale Rechtfertigbarkeit der Ethik sofort zuge stehen wu rde. Ich werde dem Verfechter ethischer Rationalitat auch in anderen
Punkten wesentliche Zugestandnisse machen, etwa einer minimalen intersubjektiven
Kernbedeutung von "gut", oder in der Akzeptanz einiger evidenter Sein -SollensBru ckenprinzipien, und werde zeigen, da– selbst unter solch optimistischen Voraussetzungen jene Prinzipien, die dem Test strenger Intersubjektivitat standhalten, viel
zu schwach sind, um gehaltvolle ethische Thesen zu begru nden.
Seit Hume war das Sein-Sollen-Problem philosophisch hei– umstritten. Eindrucksvoll belegt dies der mittlerweile zum 'Standard' gewordene Sammelband von
Hudson (1969). Black und Searle versuchen darin die Existenz g u ltiger Sein-SollenSchlu sse zu demonstrieren, Hare, Thomson und Flew dagegen sie zu widerlegen.
Eine Entscheidung der Kontroverse ist hier nicht abzusehen, nicht zuletzt, weil die
Stil der Kontroverse informell bleibt und logische Pr azisierungsversuche kaum
unternommen werden. Jene Autoren, die dies versuchten, die Humesche These
logisch prazise zu beweisen, handelten sich ein Problem ein, das noch heute von
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etlichen analytischen Ethikern fu r unu berwindlich angesehen wird (vgl. Kap. 4.1):
die Paradoxie von Prior. Bedingt durch derartige Schwierigkeiten wurde die Sein Sollens-Debatte wieder stiller, und das Sein-Sollen-Problem schwebt seit den 70er
Jahren sozusagen wie ein Damoklesschwert u ber den Kopfen der modernen 'praktischen' Ethiker. Denn wu rden sie die Humesche These ernst nehmen, so mu – ten sie
wohl mehr als die Halfte ihrer Argumente umschreiben. Man kann verstehen, da–
der Flu gel der 'praktischen Ethiker' versucht ist, das Sein -Sollen-Problem zu verdrangen. Solche Verdrangungsversuche haben haufig die Form von 'Trivialisierungsargumenten' angenommen, worin versucht wird, da– Sein-Sollen-Problem als 'trivial'
oder zumindest 'nebensachlich' hinzustellen. Alle derartige Trivialisierungs argumente beruhen auf einer unangemessen oder verku rzten Definition des Sein-SollenProblems. Geht man von einem umfassenden Verstandnis des Sein-Sollen-Problems
aus, und nur dieses ist philosophisch ange messen, so verlieren diese Argument
jeglichen Halt. Sehen wir uns dies anhand dreier Beispiele an.
1973 hat sich Singer angeschickt, das SSP mit folgendem Argument 'vom Tisch
zu fegen'. Das SSP sei trivial, denn: "the issue that really matters Ü
is how state-
ments of facts are connected with reasons for acting, and not how state ments of facts
are connected with moral judgements" (S. 54). Doch der Begriff des Hand lungsgrundes ist zweideutig. Sicherlich will Singer d iesen Begriff hier nicht im faktischdeskriptiven Sinn verstehen: er kann nicht meinen, die eigentlich wichtige Aufgabe
der Ethik sei es, die empirischen Korrelationen zwischen den empirischen Tatsachen
und ihren faktischen Handlungengru nden von Menschen herauszufinden. Offenbar
versteht er Handlungsgru nde im ethischen Sinn … meint also, die wichtigste Aufgabe
der Ethik sei es, herauszufinden, wie die empirische Tatsachen mit mora lisch
gerechtfertigten menschlichen Handlungsgru nden zusammenhangen. Doch die
zentrale Funktion moralischer Urteile liegt ja gerade darin, moralisch gerechtfertigte
von moralisch ungerechtfertigten Handlungsgru nden zu unterscheiden (s. Kap. 7).
Was Singer also "the issue that really matters" nennt, ist nichts anderes als die SeinSollens-Frage, und Singer's Argument verliert jegliche Pointe.
Ein zweites, von MacIntyre (1969, S. 36-9), Toulmin (1950, S. 38-40), Eidlin
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(1989, S. 175) vorgetragenes Argument geht davon aus, da – das SSP seit Hume …
meistens, aber nicht immer … auf die Frage der logischen Ableitbarkeit von Normen
aus Fakten beschrankt wird. Dieses Problem sei insofern nebensachlich, denn auch
wissenschaftliche Theorien konnen aus den empirischen Fakten nicht logisch
abgeleitet werden, wohl aber konnen sie daraus 'synthetisch' (z.B. induktiv) erschlossen werden … und warum sollte, was fu r die Beziehung zwischen empirischen Fakten
und wissenschaftlichen Theorien gilt, nicht auch f u r die Beziehung zwischen
empirischen Fakten und Norm- oder Wertsatzen gelten? Zwar wird sich
herausstellen (Kap. 3.4), da– die Beziehung zwischen Fakten und Normen von ganz
anderer Natur sehr verschiedenen ist von der 'induktiven' Beziehung zwischen
Fakten und Theorien, dennoch la– t sich dieses zweite Argument nicht so einfach
abschu tteln. Ich werde diesem Argument von vornherein dadurch entgehen, da – ich
das SSP nicht auf die Frage logischer Beziehungen einzuschranke … eine philosophisch angemessene Untersuchung des Problems mu– auch die Frage 'synthetischer'
Beziehungen umfassen. Ich unterscheide zwischen dem Standard-SSP, welches die
Frage der logischen Beziehungen betrifft, und dem synthetischen SSP, welches die
Frage schwacherer nichtlogischer Beziehungen behandelt. (Beide 'SSPs' zusammen
bilden das erweiterte SSP). Die Behandlung des synthetischen SSP wird ergeben,
da– und da– eine negative Antwort auf das Standard-SSP auf gute Gru nde fu r eine
negative Antwort auf das synthetische SSP und damit auch auf das erweiterte SSP
liefert.
Ein drittes, ku rzlich vorgetragenes 'Trivialisierungsargument' stammt von Pidgen
(1989). Er geht aus von der traditionellen Unterscheidung zwischen dem logischen
SSP (ist Sollen aus Sein logisch ableitbar?) und das semantischen SSP (sind Sollenssatze gleichbedeutend mit gewissen Seinssatzen)?7 Pidgen identifiziert Hume's
7 Pidgen spricht nicht vom SSP, sondern von der "Autonomiethese" (128f);
gemeint ist dasselbe. Eine dritte Art, die Pidgen anfu hrt, ist das ontologische SSP
(sind ethische Eigenschaften 'sui generis', nicht reduzierbar auf faktische Eigen schaften?), welches in diesem Kontext nicht relevant ist und sp ater eingeordnet
wird.
13
These mit der logischen Sein-Sollens-These und kommt zum Schlu– , diese sei, im
Gegensatz zum semantischen Sein-Sollens-These, aus trivialen Gru nden wahr (S.
148). Doch das einen besonderen Grund: Pidgen identifiziert "Logik" mit
Pradikatenlogik 1. Stufe. Er mu– daher Norm- und Wertbegriffe als unstrukturierte
Pradikate rekonstruieren, angewandt auf Individuenkonstanten. In der Tat gilt die
Humeschen These dann aus logisch recht trivialen Gru nden. Doch Pidgens
Rekonstruktion ist inadaquat. Normen haben immer, und Werte fast immer,
Handlungen oder Sachverhalte zu ihrem Gegenstand, die selbst wie derum aus
Individuen und Eigenschaften zusammengesetzt ist. Gramma tisch handelt es sich
hier als um intensionale Satzoperatoren, welche im Rahmen der Modallogik (im
weiten Sinn des Wortes, nicht eingeschrankt auf die alethische Interpretation
intensionaler Satzoperatoren) rekonstruiert werden mu ssen. U berraschenderweise
gilt die Hume These in Pidgens Rekonstruktion nicht kein em Standardsystem der
Modallogik (sie fallt der erwahnten Prior-Paradoxie anheim; S. 138). Pidgen reagiert
darauf damit, Modallogiken nicht als 'echte Logiken' anzusehen., sondern als eine
Art 'Bedeutungstheorien'. Unsere Untersuchung wird sich dagegen vom Start weg im
modallogischen Rahmen bewegen, und es wird sich sogleich zeigen, da – hier eine
Trennung des 'logischen' vom 'semantischen' Aspekt des SSP im Grun de nicht mehr
moglich ist. Was Pidgen den 'nichttrivialen' Aspekt des SSP nennt, ist also vo ll in
unserer Charakterisierung des Standard-SSP enthalten.
3. Arten des SSP: eine methodische Problemzerlegung
Zunachst einige Vorbemerkungen. In allen ethischen Theorien finden sich Ver knu pfungsprinzipien zwischen Normen und Werten, welche grob gesprochen besagen, da– etwas genau dann geboten ist, wenn es 'in bestimmter Weise' wertvoll ist.
Die genaue Form dieses Prinzips ist in deontologischen und teleo logischen Theorien
unterschiedlich, was wir hier mit 'in bestimmter Weise' andeuteten; wir k ommen darauf zuru ck. Es gibt guten Grund, anzunehmen, da– dies Norm-Wert-Verknu pfungsprinzip analytisch wahr, d.h. in der Bedeutung von "ethisch gut" und "ethisch ge bo-
14
ten" enthalten ist. Damit u bertragt sich alles, was fu r die Beziehung zwischen Sein
und Sollen gilt, auch auf die Beziehung zwischen Sein und ethi schen Werten. Seinssatze nennen wir im folgenden deskriptive Satze, Norm- oder Wertsatze ethische
Satze. Unter dem SSP verstehen wir im folgenden immer die allgemeinere Frage der
Beziehung zwischen deskriptiven und ethischen S atzen bzw. den von ihnen ausgedru ckten Sachverhalten.
Jeder Definitionsversuch des SSP setzt eine Unterscheidung der Klasse aller
Satze (einer gegebenen Sprache) in (mindestens) zwei disjunkte Teilklassen voraus:
die Klasse der deskriptiven Satze und jene der 'prima facie' ethischen Satze, wie ich
sie vorlaufig nenne. Intuitiv sind deskriptive S atze solche, die keine ethischen Normoder Wertbegriffe 'wirksam' enthalten, wahrend ethische Satze dies tun. Diese Unterscheidung richtig vorzunehmen, ist ein schwieriges Problem (was sich in 'wirk sam'
andeutet), welches die Ursache der Prior-Paradoxie war und dessen Losung in Kap.
4.1 entfaltet wird. Hier ist wesentlich, da– eine derartige Satzunterscheidung
jedenfalls voraussetzt, da– es moglich ist, unter den Gundbegriffen der Sprache
zwischen deskriptiven und ethischen klar zu unter scheiden. Z.B. sind "es ist geboten,
da– ", "es ist gut, da– " ethische Satzoperatoren, dagegen "es ist notwendig da– ",
"Person x glaubt, da– " (usw.) deskriptive Satzoperatoren. Einige Autoren haben bezweifelt, da– eine derartige Unterscheidung in der natu rlichen Sprache durchgangig
moglich sei (Warnock 10967, S. 65-9; Foot 1969, S. 198). Ihr Argument ist die
Mehrdeutigkeit der natu rlichen Sprache: viele ihre Satze sind deskriptive und
praskriptiv interpretierbar, und oft in beiden Bedeutungen zugleich. Wie Hare (1952,
S. 112-20) meine ich jedoch, da– es im Prinzip immer moglich ist, die deskriptive
von der ethischen Bedeutung eines Begriffes oder Satzes der natu rlichen Sprache zu
unterscheiden. Beispielsweise kann ich die Aussage "Die G aste mu – ten gleich da
sein" als deskriptive Wahrscheinlichkeitsaussage, im normativen Forderung, oder als
beides zugleich, d.h. als Konjunktion beider Aussagen auffassen. Ein etwas diffizileres Beispiel sind die oft diskutierten teleologischen Aussagen von der Form
"dieses Individuum ist ein gutes Y" (Y ein genereller Begriff, z.B. "Auto", "Kuh",
"Mensch"). Gema– Hare's Analyse enthalten derartige Aussagen grundsatzlich
15
immer zwei Komponenten: (i) eine deskriptive Mittel-Zweck Behauptung (s. auch
Kap. xx) der Form "die Eigenschaften von x sind ein ad aquates Mittel zur Realisierung jenes Sachverhaltes Z, der als Zweck von Y angesehen wird", und (ii) eine ethische Aussage: "der Zweck Z ist wertvoll". Wir haben alle diese drei Beispiele
erwahnt, um gleich einzuraumen, da– sie sich in zweierlei Hinsicht unterscheiden:
erstens ist der Y zugeschriebene Zweck, von "Auto" u ber "Kuh" zu "Mensch", sukzessive immer weniger klar durch Konventionen umrissen, und immer mehr Sache
ethischer Einstellung, und zweitens nimmt, von "Auto" u ber "Kuh" zu "Mensch",
das Gewicht des deskriptiven Aspekts sukzessive ab und der des ethi schen zu. Je
nach Kontext kann eine derartige Aussage auch rein deskriptiv verstehen … z.B. "dies
Auto ist technisch gesehehen gut" … oder rein ethisch - z.B. "dieser Mensch ist
schlechthin gut". In (zugegeben selter vorkommenden) Kontex ten kann aber auch
der umgekehrte Fall eintreten … der Autoliebhaber 'liebt' sein Auto als schlechthin;
wahrend der Firmenchef den Wert seiner Arbeiten ganz 'sachlich' nach ihrem
Arbeitspensum beurteilt.
Ob die Kuh mehr dem Auto oder dem Menschen entspricht, sei dem Leser u berlassen … wichtig ist die Einsicht, da– , gegeben ein ausreichendes kontextuelles Verstandnis eines Satzes, seine deskriptive und seiner ethische Bedeutung immer unter scheidbar sind. Es gibt ein sehr einfaches und grunds atzliches Argument dafu r: ware
die Unterscheidung beider Bedeutung unmo glich, wie konnten wir dann von der
Mehrdeutigkeit u berhaupt Notiz nehmen? Umgekehrt, wenn wir von den zwei
verschiedenen Bedeutungen wissen, dann ist es immer moglich, in einer differenzierten Rekonstruktionssprache … gema– der Carnapschen Einsicht, da– ein- und
dasselbe natu rlichsprachige Explikandum oft mehrere prazise Explikata hat (Kap.
3.2) … fu r die beiden Bedeutungen verschiedene sprachliche Zeichen bzw. Aus dru cke zu benutzen. Sobald man dies getan hat, und nur dann, la– t sich die SeinSollens-Frage prazise stellen.
3.1 Erweitertes SSP, Standard-SSP und synthetisches SSP
Gehen wir also von der Voraussetzung aus, da– wir unter den Grundbegriffen und
16
darauf basierend auch unter den Satzen unserer Sprache zwischen deskriptiven und
prima facie ethischen unterscheiden konnen, dann la– t sich das erweiterte SSP wie
folgt charakterisieren. Die zwischen zwei Sternen gestellte Hinzu fu gung "sinnvoll"
stellt eine bedeutende Verscharfung des SSP dar, welche wir vornehmen werden. In
der Tat gibt es aus deskriptiven Pramissen erschlie– bare prima facie ethische
Konklusionen, aber sie sind allesamt sind in einem sp ater genau definierten Sinn
komplett 'sinnlos' bzw. 'nutzlos' (z.B. 'irrelevant' oder 'trivial').
Das erweitere SSP: Sind *sinnvolle* ethische Konklusion mithilfe deskriptiver
Pramissen rational begrundbar?
Unter einer rationale Begru ndungsrelation (oder Rechtfertigungsrelation) verstehen
wir dabei, wie u blich, eine zweistelligen Relation zwischen einer Satzmenge ('Pramissen') und einem Satz ('Konklusion') derart, da– die angenommene Wahrheit der
Pramissen in intersubjektiv akzeptabler Weise die Wahrheit der Konklusion ent weder sicher macht (logisches Schlie– en) oder zumindest 'wahrscheinlich' macht ('synthetisches Schlie– en'; 'wahrscheinlich' mu– hier nicht induktiv, sondern kann auch
im Sinne des Popperschen Bewahrungsbegriffes verstanden werden kann; vgl.
Schurz 1994b). Weil deskriptive Satze zumindest in vielen Bereichen rational begru ndbar sind, und weil rationale Begru ndungsrelationen normalerweise (bei logischen Relationen sogar immer) transitiv sind, wu rde eine bejahenden Antwort auf
das erweiterte SSP sofort eine rationale Rechtfertigungsmethode der Ethik er geben.
Die Aufspaltung in logisches bzw. 'sicheres' und 'wahrscheinliches' Schlie – en ergibt
sofort folgende Aufspaltung des erweiterten SSP:
Das Standard-SSP: Sind *sinnvolle* ethische Satze aus deskriptiven Pramissen
logisch erschlieäbar (d.h. ableitbar)?
Das synthetische SSP, vorlaufige Version: Sind *sinnvolle* ethische S atze aus
deskriptiver Pramissen 'synthetisch' erschlieäbar?
Wahrend die Akzeptabilitat logischen Schlie– ens nur von der Voraussetzung eines
intersubjektiv akzeptablen Systems logischer bzw. analytischer Wahrheiten abhangt,
hangt die Akzeptabilitat synthetischen Schlie– ens, wie wir sehehen werden, daru berhinaus von der intersubjektiven Akzeptabilit at synthetischer Wahrheiten (Sein-
17
Sollens-Bru cken) ab, weshalb sich eine einfach Umformulierung bzw. Reduktion des
synthetischen SSP ergeben wird.
Unter der Humeschen These bestimmten Typs (Standard, synthetisch, verscharft/unverscharft) verstehen wir jeweils eine verneinende Antwort auf das SSP
des entsprechenden Typs.
Zunachst zum Standard-SSP. Formal-logisch gesehen ist der logische Folgerungs- bzw. Ableitungsbegriff immer relativ zu einem vorausgesetzten Logiksystem. Die so 'unschuldig' wirkenden Formulierung des Standard -SSP ist daher in
Wahrheit eine subtile Verschrankung (1.) eines formal-logischen und (2.) eines
philosophischen Problems, welche vorerst wie folgt formuliert werden k onnen: (1.)
gilt die Humesche These in diesem, dem oder jenem (Ü ) Logiksystem?, und (2.)
welche(s) Logiksystem(e) sind philosophisch bzw. ethisch 'adaquat'? Noch vor 50
Jahren … zur Zeit von als Frankenas "The Naturalistic Fallacy"(1939) … hatten die
meisten Philosophen die zweite Frage als unproblematisch wenn nicht u berflu ssig
empfunden: die (philosophisch adaquate) Logik ist die klassische Pradikatenlogik 1.
Stufe, PL1, und mit "logischem Schlie– en" ist natu rlich "Schlie– en in PL1" gemeint.
In der Gegenwart hat sich die Situation entscheidend ge wandelt. Die moderne
mathematische Logik ist schon lange nicht mehr auf e in Logiksystem 'fixiert', sondern betrachtet … im Regelfall unendlichmachtige … Klassen von Logiken bestimmten Typs, welche bestimmte strukturelle Eigenschaften gemeinsam haben. Dies ist
insbesondere in der zur Rekonstruktion des SSP unentbehrlichen Mod allogik der
Fall. Um hier weiterzukommen, mu– man zunachst zwischen einem weiteren
Konzept von Logik im mathematischen Sinn, und einem engeren Konzept von Logik
im philosophischen Sinn unterscheiden.
Logiken im mathematischen Sinn werden u blicherweise, aus guten Gru nden8,
8 U blicherweise ist die formal… semantische Charakterisierung der 'Angelpunkt' der
philosophischen Interpretation … gelegentlich sind formale Semantiken aber auch
intuitiv schwer durchschaubar und von der philosophischen Interpretation weiter
entfernt als die Axiome der Logik. Mathematisch gesehen liegt die Bedeutung
18
durch eine objektsprachliche Syntax und eine metasprachliche Semantik charakterisiert, welche in Form eines Vollstandigkeitssatzes u bereinstimmen sollen. Sowohl
Syntax wie Semantik sind im Regelfall formal-abstrakt, und noch an keine spezifische natu rlichsprachige oder philosophische Interpretation gebunden. So wird eine
normale Modallogik (im mathematischen Sinn) syntaktisch charakterisiert als eine
Menge modallogischer Formeln, welche gewisse Basisaxiome (genauer gesagt,
Axiomenschemata) enthalt, unter gewissen Basisregeln abgeschlossen ist, aber
daru berhinaus, in ihren 'Zusatzaxiomen' beliebig variieren darf. Semantisch
charakterisiert wird sie als eine Formelmenge, welche in einer Klasse von Kripke Frames <W,R> gu ltig ist (W eine nichtleere Menge), deren zweistellige Relation R
(u ber W) bestimmte strukturelle Eigenschaften besitzt. Der Verband der normalen
Modallogiken enthalt unendlich viele Systeme. Nicht alle, aber viele davon haben
interessante philosophische Anwendungen.
Eine Logik im philosophischen Sinn ist eine mathematische Logik, die eine
adaquate philosophische Interpretation besitzt. In einer solchen Interpretation wer den den formalen Parametern der Logik, den syntaktischen wie den seman tischen,
Konzepte der natu rlichen bzw. philosophischen Sprache zugeordnet. Z.B. wird in der
alethischen Modallogik " " fu r Notwendigkeit, W als Menge moglicher Welten und
R als alethische Erreichbarkeitsrelation interpretiert. Wann ist nun eine solche I nterpretation adaquat? Dann, wenn die so interpretierte Logik die Bedeutung der zugeordneten natu rlichsprachigen Konzepte korrekt wiedergibt. Dies bringt uns zum
Kern der Sache: der philosophischen Konzeption von Logik als eine Art analy tischer
Wahrheit.
3.2 Logisch - Analytisch - Synthetisch
Gema– einer wohletablierten Tradition sind Satze dann analytisch wahr, wenn ihre
Wahrheit aus den Bedeutungsfestlegungen ihrer Terme logisch folgt (Carnap 1972,
der doppelten, syntaktisch und semantischen Charakterisierung, ganz wo anders,
namlich in der Potenzierung der metalogischen Beweismoglichkeiten.
19
279). Diese Bedeutungsfestlegungen sind in der zugrundeliegenden Sprache verankert, in unserem Fall der natu rlichen bzw. philosophischen Sprache. Gewisse analytische Wahrheiten sind 'axiomatische Setzungen', zumeist Explizit definitionen wie
"Junggesellen sind unverheiratete Manner", andere folgen logisch aus solchen Definitionen, z.B. "wenn jemand kein Mann ist, ist er kein Junggeselle". Logische Wahr heiten (im philosophischen Sinn) sind nun eine spezielle Art analytischer Wahr heiten, namlich solche, deren Wahrheit schon allein aus den Bedeutungsfestlegung der
logischen Terme logisch folgt (vgl. Carnap 1972, S. 279, Quine 1952, S. 23f). 9
Individuen- und Pradikatkonstanten sind nichtlogische Terme (sie referieren auf
'reale Entitaten'), aussagenlogische Satzoperatoren und Quant oren sind logische Terme (ihre Funktion ist 'strukturell'). 10 In diesem Sinn folgen z.B. alle aussagenlogischen Tautologien aus der Bedeutungsfestlegung extensionaler Satzoperatoren,
semantisch in Form der u blichen Wahrheitstafeln, und analog fu r Quantoren und
Identitat in der PL1 und fu r intensionale Satzoperatoren in der Modallogik. Damit
haben wir eine klare Grenze zwischen logischen und extralogischen analytischen
Wahrheiten: erste, z.B. "dieser Junggeselle ist verheiratet oder unverheiratet", sind
nur abhangig von der Bedeutung logischer Terme, wahrend letztere, z.B. "dieser
Junggeselle ist verheiratet", zudem von der Bedeutung spe zieller nichtlogischer Terme abhangen. Aus demselben Grund sind logische Systeme, im Gegensatz zu extra logischen analytischen Wahrheiten, immer abgeschlossen unter Substitution fu r Individuen- und Pradikatkonstanten … Logik ist, wie man auch sagt, eine 'Sache der
Form'.
Wie beurteilen wir die Frage der analytischen Wahrheit? Gema– dem von Carnap
9 Die Definition erscheint zirkular, weil "logisch folgt" im Definiens auftritt, in
Wahrheit aber ist sie lediglich rekursiv (i.e., 'logische Folge' wird durch
interative Anwendung logischer Basisregeln erklart).
10 Im Gegensatz zu Etchemendy (1990) meine ich, da– die Unterscheidung
zwischen logischen und nichtlogischen Ter men wohlfundiert ist (Schurz
(1994c).
20
und anderen11 (in ahnlicher Form) vorgeschlagen 'Analytizitatstest' ist ein Satz als
analytisch wahr zu bezeichnen, wenn kein Mitglied der zugrundeliegenden Sprechergemeinschaft sich eine sinnvolle Situation vorstellen kann, in der der Satz falsch is t,
ohne da– sich dabei die Bedeutung seiner Terme geandert hat. Freilich ist die
Bedeutung natu rlichsprachiger Begriffe oft vage oder mehrdeutig. Deshalb mu – im
Regelfall dem Analytizitatstest eine semantische Begriffsexplikation voraus gehen,
worin dem anaysierten natu rlichsprachigem Begriff, dem Explikandum, zunachst
geklart oft in mehrere prazise Explikata ausdifferenziert wird. Das Explika--tum soll
sowohl die Bedeutung des Explikandum wiedergeben und gewissen Prazisionsstandards (vgl. Carnap 1959, Kap. 1.1) genu gen … es handelt sich um ein Verfahren
der rationalen Rekonstruktion. 12
So lassen sich dem Begriff "notwendig" mehrere prazisierte Notwendigkeitsbegriffe zuordenen, z.B. logische Notwendigkeit versus Naturnotwendigkeit (welche
logische Notwendigkeit nur als Grenzfall enthalt). Ebendies ist der Grund, warum es
mehrere philosophisch adaquate alethische Modallogiken gibt. Die Axiome (aK):
(A→B) → ( A→ B) und (aT):
A →A sowie die Necessisierungsregel (aN):
A/ A sind zweifellos in der Bedeutung von "logisch notwendig" wie "natur notwendig" enthalten13 (A, BÜ sind Schemabuchstaben fu r beliebige objektsprachliche
Satze). Anders ist es schon mit den bekannten Axiomen (4):
A→
A, (B):
A→ ◊A und (5): ◊A→ ◊A … sie gelten fu r "logisch notwendig" enthalten, aber
nicht unbedingt mehr fu r "naturnotwendig" (vgl. Schurz 1994a, Kap. 1.5.2). Ebenso
11 Carnap 1955, ´ 3; Mates 1951, S. 531-3; selbst Quine bekennt sich zu dieser Art
von Analytizitatstest (vgl. 1980, ´ 14, speziell S. 107 zur Reizanalytizitat).
12 In Schurz (1983, Kap. I.6.1) wird rationale Rekonstruktion als ein an einem
empirischen und einem normativen Korrektiv orientiertes Verfahren beschrieben.
13 (K) besagt: wenn eines das andere notwendigerweise impliziert, und das erste ist
selbst notwendig, so ist auch das zweite notwendig ist. (T) besagt, we nn etwas
notwendig ist, so ist es auch wahr. ( R) sagt schlie– lich, da– wenn etwas als
wahr beweisbar ist, so ist damit auch seine Notwendigkeit bewiesen. F u r
Philosophen lesbare Einfu hrungen in die (mathematische) Modallogik sind
Chellas (1980) und Hughes/Cresswell (1984).
21
gibt es mehrere philosophisch bedeutsame deontische Modallogiken. Hier ist die
Monotonieregel (dM): A→B / OA→OB und die Axiome (dC): (OA∧OB)→O(A∧B)
und (dD): ¬O⊥ die 'minimalen' analytisch wahren Prinzipien … zumindest fu r einen
'logisch transparenten' Gebotsbegriff. 14 Ob starkere Axiome wie (d4): OA→OOA,
(dT'): O(OA→A), (dB'): O(A→OPA) und (d5): PA→OPA) Geltung haben, hangt
von der spzifischen Art des Gebotbegriffs ab (z.B. setzen sie voraus, da – der Gebotsbegriff nicht nur auf Handlungen, sondern auch auf Normen anwendbar ist). Auf
diese Weise gelangt man zu einer ganzen Reihe philosophisch bedeutsamer, alethischer wie deontischer, Standardsysteme.15 Abstrahiert man schlie– lich von philosophisch-interpretativen Bezu gen, so erhalt man den oben erlauterten mathematischen
Begriff der normalen oder regularen Modallogik: besitzt ein System … neben
Tautologien und Modus Ponens) … (K) und (RN), so hei– t es normal, besitzt es (C)
und (RM), so hei– t es regular; daru ber hinaus darf es beliebige zusatzliche Prinzipien enthalten.
Freilich kann man, wie Quine (1951), grundsatzlich bezweifeln, ob eine klare
14 (dM) besagt, da– logischen Konsequenzen von etwas Gebotenem geboten sind;
(dC) da– Konjunktionen von gebotenen Sachverhalten geboten sind, und (dD)
da– nichts logisch Widerspru chliches geboten ist. Aufgrund des Auftretens
deontischer Paradoxien wie dem Ross-Paradox wurden selbst diese prima facie
evidenten Prinzipien bezweifelt, doch la– t sich zeigen, da– diese Paradoxien bei
Anwendung eines einfachen Relevanzkriteriums verschwinden (Schurz 1991a),
soda– kein Grund besteht, diese Prinzipien weiter abzuschwachen.
15 R ist die kleinste regulare und K die kleinste normale Modallogik. Die Systeme
aT = aK+(aT) zusammen mit den Systemen aS4 = aT+(a4) und aS5 = aS4+(aB)
= aS4 + (a5) sind die drei 'beru hmtesten' alethischen Modallogiken im ph ilosophischen Sinn, doch es gibt wesentlich mehr, z.B. die mittels (aT), (a4), (a5),
(aB) und (aD): ¬ « definierbaren 17 Chellas'schen Standardsysteme (Chellas
1980, S. 132); abgesehen von Nichtstandardsystemen wie dem ber u hmten
System G, welches das Axiom (T) nicht enthalt und worin "notwendig" mit
"arithmetisch beweisbar" zusammenfallt. Das System dW = dR+(dD) ist v.
Wrightsche Sytem (1951); mittels (dT'), (dB'), (d4) und (d5) lassen sich 22
philosophische Standardsysteme definieren, darunter die 10 ' Smiley-Hanson'Systeme (Aqvist 1984, S. 666ff).
22
Grenzziehung zwischen analytischen und synthetischen Wahrheiten u berhaupt
moglich ist. Ich stimmte mit Quine u berein, da– diese Grenzziehung vage ist und die
Frage der Analytizitat oft eine mehr eine Frage des Grades als eine ja-nein-Frage ist
(s. auch Kap. 5.2). Es ist auch richtig, da– diese Grenzziehung in gewissen
Bereichen … z.B. bei wissenschaftlicher Theorien (vgl. Kap. 7) … kaum gelingt. Doch
in anderen Bereichen, z.B. in der Logik oder bei Common-Sense Definitionen, ist die
Unterscheidung unproblematisch, zumindest nach erfolgter Rekonstruktion des
Explikandums. Hat man sich z.B. auf die Bedeutung von "notwendig" als "logisch
notwendig" geeignigt, so sind die aS5-Prinzipien analytisch wahr; usw. Hinzugefu gt
sei, da– selbst fu r den radikalen Quineaner unsere Untersuchung nichts an Relevanz
verliert. Alle unsere Argumente zugunsten der Standard - und der synthetischen
Hume-These bleiben bestehen, lediglich wird sie der radikale Quineaner nicht mehr
(oder nicht mehr streng) unterscheiden, sonder n als Argumente zugunsten der
erweiterten Hume-These 'in einen Topf werfen'.
3.3 Zwei Teilprobleme des Standard-SSP: das logische und das analytische SSP
Wir konnen nun erklaren, warum die auf Frankena zuru ckgehende Unterscheidung zwischen dem logischen und dem semantischen SSP im Rahmen der Modallogik nicht mehr greift. Zunachst eine terminologische Bemerkung. Satze, welche
deskriptive mit einem ethischen Sachverhaltstypen verkn u pfen, nennen wir im folgenden Bruckenpinzipien … denn sie 'u berbru cken' die Sein-Sollen- bzw. Sein-WertKluft (eine prazise logische Definition erfolgt spater). Wir werden viele solcher Bru ckenprinzipen, kurz BPs, in Kap. xx besprechen. Ein klassisches BP ist z.B. das
hedonistische Prinzip "X ist gut Ä X ist lustvoll". Nicht immer haben BPs die Form
von A quivalenzen (bzw. 'Definitionen'), oft handelt es sich auch um einseitige Impli kationen, z.B. beim naturrechtlichen Prinzip "X liegt im Interesse aller Menschen →
X ist gut".
Jedem Sein-Sollen-Schlu– "D / E" (D eine deskriptive Pramissenmenge, E eine
ethische Konklusion) entspricht offenbar ein implikatives BP der Form " D → E"
(D die Konjunktion der Pramissen in D). Ist ""D / E" logisch gu ltig, so ist "D →
23
E" gema– Deduktionstheorem logisch wahr. Wir konnten das Standard-SSP also
auch so formulieren: gibt es logisch wahre BPs? Gema– Frankena (1939, S. 475)
konnte ein naturalistischer Ethiker dem Verfechter der Hume-These (im StandardSinn) nun folgendes entgegenhalten: "Ich habe nie behauptet, da– mein BP … z.B.
die A quivalenz von 'Gut' mit 'Lustvoll' … aus logischen Gru nden gilt. Es gilt schlicht
per Bedeutungsfestlegung, per Definition". Gema– dieser Auffassung … welcher sich
u.a. Morscher (1974, S. 14f; Pidgen 1989) anschlie– en … sind BPs wie "Gut Ä
Lustvoll", falls per Definition wahr, also extralogische analytische Wahrheiten. Dies
trafe zu, wu rde man "Gut" und "Lustvoll" als (nichtlogische) Pr adikate der PL1
betrachten. Doch wie erwahnt sind "es ist gut, da– " (G) und "es ist lustvoll, da– " (L)
intensionale Satzoperatoren, welche innerhalb der Modallogik als logische Symbole
behandelt werden. Ware die A quivalenz "GpÄLp (p eine Satzvariable) also analytisch
wahr, so ware sie modallogisch betrachtet afortiori logisch wahr und somit ein
Kandidat fu r ein Axiom einer bimodalen Logik in den Satzoperatoren G und L.
Generell mu– jedes analytisch wahre modallogische Prinzip, ob BP oder nicht, als
Axiom (oder Theorem) in die entsprechende multimodalen Logik Eingang finden.
Die traditionelle Unterscheidung zwischen dem logischen und dem semantischen
SSP ist somit nicht durchfu hrbar. Dennoch kann man auch im modallogischen Rah men eine Unterscheidung treffen, die dieser traditionellen Unter scheidung sehr gut
entspricht. Kein Verfechter der 'logischen' Hume-These wu rde ja bezweifeln, da–
man Sein-Sollen-Schlu sse herleiten kann, wenn man in der Logik BPs axiomatisch
voraussetzt. Nur wu rde er derartige Logiken niemals als philosophisch ad aquat ansehen, sondern in jedem solchen 'Beweisversuch' eine petitio principii erblicken
(worin das zu Beweisende bereits vorausgesetzt wird). Kurz gesagt, der Verfechter
der Hume-These im 'traditionell-logischen' Sinn seine These nur auf Logiken bezie hen, deren Axiome nicht bereits BPs enthalten. In der Tat haben k lassische naturalistische Ethikern, wie auch Moore betont (1903, S. 12), die von ihnen favorisierten
BPs normalerweise niemals einfach als 'Definition' stipuliert, sondern sie durch
Argumente zu begru nden versucht, in deren Pramissen keine BPs enthalten sind.
D.h., sie versuchten BPs bzw. die ihnen (gema– Deduktionstheorem) entsprechenden
24
Sein-Sollen-Schlu sse mittels logischer Prinzipien zu beweisen, welche keiner lei BPs
axiomatisch voraussetzen. Und genau diese Moglichkeit, BPs zu etablieren, bestreitet der Verfechter der 'logischen' Hume-These. Wir nennen im folgenden eine
multimodale Logiken ohne BPs axiomatisierbar, wenn sie durch Axiome axiomatisierbar ist, unter denen kein BP vorkommt. Damit konnen wir das logische SSPin
unserem Rahmen wie folgt wiedergeben … wieder mit der erlauterten Problemverscharfung *sinnvoll*:
Das logische SSP, 1. Art: Gibt es ohne BPs axiomatisierbare (multimodale)
Logiken, worin aus deskriptiven Pramissen *sinnvolle* ethische Konklusionen
ableitbar sind?
(Die 2. Art des logischen SSPs folgt sogleich). Wie gesagt entspricht jedem SSS ein
logisch wahres BP. Wenn ein BP in (irgend)einer ohne BPs axiomatisierbaren Logik
beweisbar ist, so nennen wir es ein ableitbares BP, andernfalls ein fundamentales
BP. Damit konnen wir das logische SSP (1. Art) auch so wiedergeben: Gibt es ableitbare BPs?. Dem semantischen SSP (in traditioneller Sicht) entspricht nun ander erseits die Frage, ob es BPs gibt die … obwohl nicht ableitbar … aus unabhangigen
philosophischen Gru nden analytisch wahr sind (und somit als logische Axiome in
Frage kommen). Wir sprechen, der scharferen Terminologie halber, vom analytischen SSP sprechen:
Das analytische SSP: Gibt es "*fast* analytisch wahre fundamentale BPs?
Die Hinzufu gung *fast* (d.h. "fast-analytisch") stellt eine wichtige Problemverscharfung des analytischen SSPs dar, die in Kap. 5.2 eingefu hrt wird. Grob
gesprochen mu– fast-analytischen BPs nicht von allen sondern lediglich von allen
'plausiblen' ethischen Positionen zugestimmt werden. Diese Problemverscharfung
wird unsere Argumente gegen den Verfechter von SSSen wesentlich verstarken.
Die meisten naturalistischen Ethiker ziehen zur Begr u ndung ethischer Konklusionen nicht blo– kontingente Fakten, sondern Naturnotwendigkei ten' heran … z.B.
Aussagen u ber die 'Natur' des Menschen. Eine angemessene Rekonstruktion des
logischen SSP mu– daher in der Sprache der modalen Pradikatenlogik erfolgen,
welche neben einem Normoperator zumindest noch einen Notwendigkeitsoperator
25
enthalt … d.h. in einer bimodalen, alethisch-deontischen Pradikatenlogik, kurz a.d.Logik. Im zweiten Schritt werden noch Wertoperatoren und Operatoren fu r subjektive Einstellungen miteinbezogen. Gleich zu Beginn stehen wir bei der Behandlung des logischen SSP vor folgendem Problem: mathematisch gesehen gibt es
unendlich viele ohne BPs axiomatisierbare alethisch-deontische Modallogiken (denn
es gibt unendlich viele alethische und ebensoviele deontische Modallogiken), und
man kann leicht zeigen (Schurz 1991, S. xx), da– aus der Gu ltigkeit der Hume-These
in einer Logik nichts auf ihre Gu ltigkeit in einer starkeren oder in einer schwacheren
Logik geschlossen werden kann. Auf welche Logik sollen wir die Untersuchung des
logischen SSP also beziehen? Wu rden wir lediglich jene a.-d-Logik herausgreifen,
welche uns philosophisch am 'bedeutsamsten' erscheinen, so wu rde unserer logischen Untersuchung ein betrachtlicher Mangel anhaften: ihr Ergebnis ware dann von
einer philosophisch schwierig zu verifizierenden Vorentscheidung bezu glich der 'besten' alethischen bzw. deontischen Modallogik abh angig.16
Doch wir werden unsere Untersuchung von derartigen Vorannahmen frei machen
… durch die Entwicklung logischer Techniken, welche die Beantwortung des
logischen Sein-Sollen-Frage simultan fu r alle unendlich vielen ohne BPs axiomatisierbaren a.d.-Logiken (im mathematischen Sinn) ermoglichen. Dies hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens wird dadurch die Ergebnisse unserer logischen Unter suchung besonders stark: welche Logik auch immer ein Verfechters von SSSen zugrundelegen mag, wenn wir blo– wissen, da– unter ihren Axiomen keine BPs
vorkommen, konnen wir unsere Theoreme anwenden und seine SSSe widerlegen.
Zweitens haben wir damit die zwei Teilprobleme des Standard-SSP, das logisch und
das analytische, auch methodisch klar separiert und lokalisiert. Das logische SSP ist
16 Dieser Mangel haftet fru heren Untersuchungen des logischen SSP … z.B.
Kutschera (1977), Kaliba (1982), Stuhlmann-Laeisz (1983) und Galvan (1988) …
durchgehend an. Am allgemeinsten ist die Untersuchung von Stuhlmann-Laeisz,
welche den normativen Teil der untersuchten a.d.-Logiken variiert, allerdings
den alethischen Teil auf S5 fixiert. Wie unsere Ergebnisse zur speziellen Hume
These zeigen, ist diese Beschrankung keinesfalls harmlos.
26
nun ein formales, von philosophischen Analytizitatsfragen freies Problem. Im analytischen SSP konzentriert sich nun die ganze philosophisc he Seite des Standard-SSP,
in Form der Frage nach der Existenz analytisch wahrer BPs. Das logische SSP ist
'hart', i.e. la– t sichere Antworten zu. Das analytische SSP ist 'weich', la– t lediglich
'mehr oder weniger' philosophisch einleuchtende Antworten zu (hoffentlich mehr
'mehr' als 'weniger').
Allerdings gibt es auch beim analytischen SSP ein bisher unerw ahntes formallogisches Teilproblem: wir sind letztlich an BPs, selbst wenn sie fast -analytisch wahr
sind, nur dann interessiert, wenn sie *sinnv olle*, d.h. weder irrelevante, triviale oder
leere SSSe erlauben. Diese Frage ist rein logisch entscheidbar und ergibt
das logische SSP, 2. Art: Welche BPs ermoglichen *sinnvolle*, und welche dagegen nur *sinnlose* SSSe?
Wir werden das (verscharfte) Standard-SSP beantworten, indem wir zuerst das logische SSP 1. Art, dann jenes 2. Art, und schlie– lich das analytische SSP beantworten.
Die Antwort auf das logische SSP 2. Art zusammen mit der Antwort auf das ana lytische SSP gibt uns die Antwort auf
das verstarkte analytische SSP: gibt es *fast*-analytisch wahre fundamentale
BPs, die sinnvolle SSSe ermoglichen?
Die Antworten auf das logische SSP 1. Art und auf das verstarkte analytische SSP
ergeben uns schlie– lich eine Antwort auf das (verscharfte) Standard-SSP: sind die
beiden ersteren negativ, so ist auch letztere negativ, ist nur eine der beiden ersteren
positiv, so ist letztere positiv.
Abschlie– end sei bemerkt, da– unsere Untersuchungen auch fu r den 'logischen
Traditionalisten', welcher nur die PL1, nicht aber Modallogiken nicht als 'genuine
Logiken' ansieht, unsere Untersuchung nichts an Bedeutung verliert. Die entschei dende Frage des Standard-SSP ist doch, ob aus deskriptiven Pramissen ethische
Konklusionen analytisch folgen, gleichgu ltig ob man die Folgerungsprinzipien als
logisch oder extralogisch ansieht. Fu r den 'logischen Traditionalisten' besteht das
Standard-SSP eben der Frage der Existenz von SSSen in extralogischen analytisch
wahre Axiomensysteme u ber intensionale Satzoperatoren, sonst andert sich dadurch
27
nichts … auch die Aufspaltung in ein formal-logisches und ein philosophisch -analytisches Teilproblem bleibt erhalten.
3.4 Das synthetische SSP
Wie wir sahen, la– t sich sowohl das logische wie das analytische SSP mithilfe des
BP-Begriffs reformulieren. Dies trifft auch auf das synthetische SSP zu. Synthetische
SSSe sind von ganz andere Natur als induktive Generalisierungen. W ahrend bei
ersteren Pramissen und Konklusion diesselben Begriffe enthalten, und der Schlu–
nur in der U bertragung des bisher Beobachteten auf alle (zuk u nftigen) Falle besteht,
sind bei SSSen Pramissen und Konklusio begrifflich verschiedener Natur, und es
von einem auf ein ganz anderes Merkmal geschlossen, egal ob in Form singul arer
oder genereller Satze. Aus diesem Grund liegt auch zwischen singularen Fakten und
deterministischen Allsatzen die beru hmte Poppersche Asymmetrie vor … aus Fakten
sind keine Allsatze, wohl aber aus Allsatzen Fakten ableitbar … wahrend sich im Fall
des SSP eine vollige Symmetrie beweisen la– t: wenn (in einer gegebenen Logik) aus
deskriptiven Pramissen keine ethischen Konklusionen ableit bar sind, so sind darin
auch keine deskriptiven Konklusionen aus ethischen Pr amissen ableiten (s. Schurz
1991, S. xx).
Synthetische SSSe gleichen vielmehr Common-Sense-Schlu ssen wie "dies ist metallisch, also leitet es den Strom". Die 'Gu ltigkeit' solcher Schlu sse verdankt sich natu rlich der Wahrheit verborgener Wenn-Dann-Satze, in diesem Fall des Naturgesetzes, da– alle Metalle Strom leiten, und fu gt man dieses Gesetz den Pramissen hinzu, so wird aus dem 'synthetischen' ein in der Tat logisch g u ltiger Schlu– . genau dasselbe trifft nun auch auf synthetische SSSe zu. Verdeutlichen wir uns dies anhand
folgenden von Toulmin (1950, S. 146) gegebenen Beispiels eines synthetischen SSS
(1): du sollst das Buch Jones zuruckbringen, denn du hast es versprochen. Wie
Toulmin hervorhebt, hat die 'Gu ltigkeit' eines synthetischen SSS immer einen Grund,
welcher sich in Form eines synthetischen BPs rekonstruieren la– t, in unserem Beispiel das folgende (2): wasimmer jemand verspricht, soll er halten. Fu gen wir (2)
als weitere Pramisse zu (1) hinzu, so erhalten wir einen logisch g u ltigen Schlu– . Aus
28
diesem Grund la– t sich die Frage der Existenz synthetischer SSSe daher vollstandig
auf die Frage der Existenz synthetisch wahrer BPs zuru ckfu hren. Damit ein BP aber
als synthetisch wahr bezeichnet werden kann, mu– es auf irgendeine Weise (in intersubjektiv akzeptabler) Weise synthetisch rechtfertigbar, d.h. durch Beobachtung der
realen Wirklichkeit rechtfertigbar sein. Damit konnen wir das synthetische SSP auf
folgende entgu ltige Version bringen:
Das synthetische SSP: Gibt es synthetisch rechtfertigbare BPs?
4. Das logische SSP17
4.1 Die Paradoxie von Prior: irrelevante ethische Konklusionen
Gehen wir vom minimalen logischen Rekonstruktionsrahmen, einer alethisch deontischen Modallogik aus, welche noch keine subjektiven Einstellungsoperatoren
enthalt. Zur Rekapitulation: Eine alethisch-deontische normale Pradikatenlogik,
abgeku rzte eine normale a.d.-Logik, ist eine Menge von Satzen der Sprache der
Pradikatenlogik 1. Stufe mit den Modaloperatoren
und O (bzw. ◊ und P), welche
alle Substitutionsinstanzen bestimmter Basisaxiomenschemata und beliebige Zusatzaxiomenschemata enthalt und unter gewissen Basisregeln abgeschlossen ist. Die Ba sisaxiomenschemata sind: (i) die u blichen Axiomenschemata der PL 1 (Pradikatenlogik 1. Stufe), sowie fu r o =
und O: (ii) das Axiom (K): o(A→B)→(oA→oB)
und (ii) die Barcan-Formel "xoA→o"xA. Die Basisregeln sind: die u blichen Regeln
der PL1 und die Necessisierungsregel A/oA fu r o =
oder O.
Das Haupthindernis einer Losung des logischen SSP bestand in der Frage einer
adaquaten logischen Prazisierung der Hume-These. Intuitiv besagt sie, da– aus deskriptiven Pramissen keine normativen Konklusionen herleitbar sind. Dann kann man
einen deskriptiven Satz einfach als einen definieren, welcher keinen Gebots-operator
enthalt. Was aber ist ein normativer Satz? Jeder, der irgendeinen Gebotsoperator
17 Im folgenden fasse ich die Hauptergebnisse meiner Untersuchungen des
logischen SSP in (1991), (1994e) und (1994d, Kap. 2- 10), knapp zusammen
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enthalt? Dann waren auch Tautotologien der Form "OA∨¬OA" normative Satze,
und da solche aus jedem beliebigem deskriptiven Satz (aussagen logisch) herleitbar
sind, hatte man sofort SSSe. Daher charakterisiert Prior (1960) einen der normativen
(bzw. allgemeiner ethischen) Satz als einen, welcher normativen (bzw. ethischen)
Gehalt hat. Logisch wahre normative Satze haben keinen Gehalt, somit ist deren
Herleitung aus deskriptiven Satzen keine Widerlegung der Hume-These. Aber das
Problem beginnt erst, namlich bei der Beurteilung des normativen Gehalts gemischte
Satze, welche sowohl deskriptive wie normative Komponenten enthalten. Sollte man
z.B. einer Disjunktion aus einem deskriptiven und einem norma tiven Satz, D∨OA,
normativen Gehalt zusprechen? Wu rde man dies tun, so mu – te man den (aussagenlogisch gu ltigen) Schlu– von D auf D∨OA aus SSS und somit als Widerlegung
der Hume-These bezeichnen, was fragwu rdig ist. Andererseits handelt es sich auch
bei der wohl bedeutenster Klasse normativer Prinzipien, der bedingten Gebote, um
gemischte Satze …
solche, welche ein Gebot unter gewissen deskriptiven
Bedingungen aufstellen und daher die Form einer gene rellen oder notwendigen
Implikation von D auf OA haben ("x(Dx→OA[x]) oder
(D→OA)). Man kann
daher keineswegs alle gemischten Satze als normativ gehaltlos ansehen.
Die Grenzziehung zwischen normativ gehaltlosen und gehaltvollen gemischten
Satzen du rfte recht schwierig sein, doch man kann die Hoffnung hegen, da– es
zumindest im Prinzip moglich sein mu – te, diese Grenze durch feinere Kriterien
adaquat zu ziehen und darauf aufbauend die Hume-These zu beweisen in folgender
Form zu beweisen: aus keiner noromativ gehaltlosen Pr amissenmenge ist eine normativ gehaltvolle Konklusion herleitbar. Jetzt wartet Prior mit seinem zun achst verblu ffenden Paradox auf. Betrachten wir folgende (aussagenlogische) Deduk tionen
(D sei ein deskriptiver Satz):
(1) D
D∨OA
(2) ¬D, D∨OA
OA
Sieht man "D∨OA" als normativ gehaltvollen Satz an, so handelt es sich bei (1) um
einen SSS, sieht man ihn als nicht normativ gehaltvoll an, so handelt es sich bei (2)
um einen SSS. Wo immer man also die Grenze zwischen normativ gehaltlosen und
gehaltvollen Satzen zieht, handelt man sich SSSe ein, und zwar schon aus trivialen
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aussagenlogischen Gru nden.
Der einfachste Ausweg, der Priorschen Paradoxie zu entkommen, ist, gemischte
Satze aus dem Bereich der Humeschen These ganz auszuschlie– en. Dieser Weg
wurde von Harrison (1972), Kutschera (1977) und Stuhlmann-Laeisz (1983) beschritten. Unter einem rein normativen Satz versteht man als, dessen samtliche
Atomsatzkomponenten im Bereich eines Sollensoperators vorkommen. Z.B. sind
OA, OA→OB, oder
O"x(Fx→Gx) rein normative Satze. Gemischt hei– en Satze,
die weder deskriptiv noch rein normativ sind. Die von den genannten Autoren
prazisierte These, welche ich die spezielle Hume-These (abgeku rzt SH) nenne, besagt
dann: aus keiner logisch konsistenten deskriptiven Pr amissenmenge ist ein nicht
logisch wahrer rein normativer Satz logisch herleitbar . Kutschera (1977) hat SH fu r
eine monomodale deontische Logik und Stuhlmann -Laeisz (1983) fu r eine Klasse
von alethisch-deontischen Logiken mit S5 als alethischem Anteil bewiesen. Die
Beschrankung auf SH ist aber keine wirkliche Losung des logischen SSP. Denn
wenn die wichtigsten ethischen Prinzipien, bedingte gebote, sich unter den ge mischten Satzen befinden, so mu – te eine befriedigende Explikation der Humeschen
These auch etwas u ber gemischte Konklusionen aussagen konnen.
Bereits Prior sah, da– der normative Anteil der Konklusion "D∨OA" in gewisser
Weise inessentiell ("contingently vacuous") ist, aber es gelang es ihm nicht, ein alle
ahnlichen Falle erfassenes Kriterium hierfu r zu entwickeln, und er zog den Schlu– ,
da– es doch moglich sei, normative Konklusuionen aus deskriptiven Pr amissen
herzuleiten und die Humesche These vermutlich falsch sei. Auch MacIntyre meint in
(1981, S. 57), da– wohl argumentiert werden kann, die Konklusionen von Prior's
Gegenbeispielen seinen ethisch "substanzlos", doch man k onne hierfu r keinen allgemeinen logischen Grund nennen. Genau einen solchen habe ich aber durch An wendung eines in anderen Kontexten entwickelten Relevanzkriteriums (Schurz/Wein gartner 1987, Schurz 1991a, Schurz 1994) gefunden. Betrachtet man diverse
Beispiele, worin (in alethisch-deontischen Standardlogiken ohne BPs) aus deskrip tiven Pramissen gemischte Konklusionen abge leitet werden, wie z.B. Fa
Fa
¬Fa→OFa,
Fa
(Fa∧OFa)∨(Fa∧¬OFa),
Fa
Fa∨OGa,
((Fa∧¬OGa)
31
∨(Fa∧PGa), a=b
OFa↔OFb, so erkennt man ein u bereinstimmendes Merkmal.
Alle Konklusionen solcher Schlu sse sind in folgendem Sinne sollensirrelevant: die
Pradikate der Konklusion lassen sich an allen ihren Vorkommnissen, die im Bereich
eines Sollensoperators liegen (in den Beispielen unter strichen), durch beliebige
andere (gleichstellige) Pradikate ersetzen, salva validitate, d.h. ohne an der
Gu ltigkeit des Schlusses etwas zu andern. Die neuen Pradikate konnen auch
komplex sein, z.B. in der Negation des alten Pradikats bestehen. Sollensirrelevante
Konklusionen sind ethisch natu rlich ganz wertlos: wird aus einer deskriptiven Pr amissenmenge bewiesen, es sei unter gewissen Bedingunge n D geboten, den
Nachsten zu lieben, und ist diese Konklusion sollensirrelevant, so m u – te aus
derselben Pramissenmenge auch beweisbar sein, es sei unter der bedingung D
geboten, Beliebiges zu tun, z.B. auch, den Nachsten zu toten. Kein Ethiker wu rde
derartige Schlu sse als sinnvoll ansehen. Ich habe daher vorgeschlagen, die f u r gemischte Konklusionen verallgemeinerte Humesche These folgenderma – en zu verallgemeinern. Die allgemeine Hume-These (abgeku rzt AH) besagt, da– jede (beliebige,
moglicherweise gemischte) Konklsuion, die sich aus deskriptiven Pr amissen
beweisen la– t, in oben angegebenem Sinne sollensirrelevant ist. Damit ist die PriorParadoxie gelost und der Weg fu r eine hinreichend allgemeine Untersuchung des
logischen SSP frei.
4.2 Logische Resultate
La– t sich die AH tatsachlich fu r alle ohne BPs axiomatisierbare Logiken beweisen? Um diese Frage zu beantworten, ist zuerst eine Prazisierung des Begriffs BP
notig. Ein Axiomenschema heiät BP, wenn es einen Schemabuchstaben enthalt, der
sowohl im Bereich eines Normoperators wie auäerhalb des Bereichs von Normoperatoren vorkommt. Ein BP stellt somit eine Verbindung her zwischen einer des kriptiven (modalen) Eigenschaft von Sachverhalten und einer normativen Eigen schaften von Sachverhalten. ausgedru ckten) Sachverhalt Alle ethisch einschlagige
Bru ckenprinzipien, wie das Sollen-Konnen-Prinzip OA→◊A, oder das Interessenskoizidenzprinzip IntA→OA ("IntA" fu r "A ist im Interesse aller Menschen"), sind
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BPs in diesem Sinn.
Die gegebene Definition unterscheidet noch nicht zwischen essentiellen BPs und
inessentiellen BPs … letztere lassen sich logisch aquivalent in Nicht-BPs umformen,
z.B. OA∧(A∨¬A). Folgende Definition tragt dieser Unterscheidung Rechnung. Eine
a.d.-Logik heiät ohne BPs axiomatisierbar, wenn sie eine Axiomatisierung besitzt,
deren
Zusatzaxiomenschemata keine BPs enthalten. (Die Basisaxiomenschema
enthalten ohnedies keine BPs). Die Definition beru cksichtigt, da– ein- und dieselbe
Logik verschiedene Axiomatisierungen besitzen kann. Enthalt eine gegebene
Axiomatisierung lediglich inessentielle BPs, so kann sie immer in eine aquivalente
Axiomatisierung ohne BPs umgeformt werden. Eine ohne essentielle BPs axio matisierbare Logik ist also immer auch ohne BPs axiomisierbar.
Nicht alle gemischten Satzschemata sind schon BPs, z.B. sind A→OB oder
A∧OB gemischt, aber keine BPs. Einige weitere Klarungen. Man kann zwischen
monomodalen und bimodalen Satzen bzw. Satzschemata einerseits, und zwischen
deskriptiven, rein normativen, gemischten Satzen (Satzschemata) und BPs andererseits unterscheiden. Die monomodal-alethischen und die deskriptiven SChemata
koinzidieren. Unter den monomodal-deontischen Satze finden sich sowohl rein
normative (z.B. OA→OOA), gemischte, die nicht BPs sind (z.B. A→OB) und BPs,
(z.B. A→OA). Unter den bimodalen Satzen finden sich ebenfalls rein normative
(z.B. OA→ OA), gemischte die keine BPs sind (z.B.
A→OB) und BPs (z.B.
A→OA). Die Klasse der ohne BPs axiomatisierbaren a.d.-Logiken ist die umfassenste Klasse normaler a.d.-Logiken, auf welche sich das logische SSP bezieht. In
(1991, S. xx) und (1994d, Kap. 4.2) konnte ich folgendes Haupttheorem beweisen:
Theorem 1: AH gilt in einer a.d.-Logik genau dann, wenn diese ohne BPs
axiomatisierbar ist.
Mit Theorem 1 ist der wesentlichste Schritt zu einer Losung des logischen SSP (1.
Art) getan. Die Antwort darauf ist negativ, und bestatigt Humes These in logischer
Hinsicht. Der praktische Anwendungsbereich von Theorem 1 ist au– erst umfangreich. Wannimmer ein Verfechter von SSSen behauptet, eine normativ (bzw. ethisch)
gehaltvolle Kojklusion aus deskriptiven Pr amissen hergeleitet zu haben, so brauche
33
ich weder seinen genauen Beweisgang noch seine genaue Logik kennen, sondern
kann … da kein Ethiker seine Konklusion als sollensirrelevant ansehen wu rde … ihn
sofort vor folgende Alternative stellen: entweder sein Argument ist logisch ung u ltig,
oder er mochte mir das BP nennen, da– er als Axiomenschema seiner Logik
voraussetzt. In (1994, Kap. 9) habe ich dieses Verfahren auf einige bekannte
Argumente, u.a. von Black (1969), Searle (1969) und Hobbes (1651), angewandt.
In (1991. S. xx) und (1994, Kap. 4.3) konnte ich weiterhin zeigen, da – die AH
auch aquivalente semantische Charakterisierung besitzt, mithilfe sogenannter sein sollens-separierter Frames. Die SH dagegen erwies sich dagegen nicht fu r alle a.d.Logiken ohne BPs gu ltig, sie gilt, entgegen der Vermutung von Stuhlmann -Laeisz
(1986, S. 27), nicht einmal fu r alle a.d.-Kombinationen, die keine gemischten
Axiomenschemata enthalten. Eine a.d.-Logik ist eine a.d.-Kombination, wenn ihre
Zusatzaxiomenschemata sind also entweder monomodal alethisch oder monomodal
deontisch sind. (Die "a.d.-Standardlogiken" sind a.d.-Kombinationen). Das wichtigste Theorem u ber die SH verknu pft SH mit einer bestimmten Eigenschaft des monomodal-alethischen Fragments von a.d.-Logiken, der Hallden-Vollstandigkeit. Eine
alethische Logik hei– t Hallde n-vollstandig, wenn fu r jede Disjunktion A∨B, deren
Glieder A und B keine gemeinsamen Pradikate enthalten, folgendes gilt: ist A∨B ein
Theorem, dann ist auch entweder A ein Theorem oder B.
Theorem 2: SH gilt in einer ohne gemischte Axiomenschemata (und somit auch
ohne BPs) axiomatisierbaren framevollstandigen a.d.-Kombination genau dann,
wenn deren monomodal-alethisches Fragment Hallde n-vollstandig ist.
(s. 1991, S. xx; 1994, Kap. 5.2-3). Framevollstandigkeit mu– verlangt werden, weil
der Beweis semantischer Natur ist. Da es viele alethische Logiken gibt, die nicht
Hallden-vollstandig sind (unter anderem das System G, worin " " mit arithmetischer Beweisbarkeit koinzidiert), gibt es demnach viele ohne BPs (sogar ohne
gemischte oder bimodale Schemata) axiomatisierbare a.d.-Logiken, din denen SH
nicht gilt. Glu cklicherweise gilt in all diesen Logiken jedoch AH … d.h. die rein
normativen Konklusionen, die darin aus des kriptiven Pramissen herleitbar sind, sind
alle sollensirrelevant. Viele weitere Resultate u ber SH (in umfassenderen
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Logikklassen als a.d.-Kombinationen) sind beweisbar (1994, Kap. 5).
Beide Resultate lassen sich auch fu r regulare a.d.-Logiken beweisen (1994, Kap.
8.1, Propositionen 21 und 22), was fu r die deontische Komponente von a.d.-Logiken
von Bdeutung ist. Die Verallgemeinerung fu r Logiken mit Wertoperatoren ist
evident … in den Definitionen von SH und AH mu– nun natu rlich "rein normativ"
durch
"rein
ethisch",
"sollensirrelevant"
durch
"ethisch
irrelevant",
und
"Sollensoperator" durch "ethischer Operator" ersetzt werden, dasselbe gilt f u r die
Definition eines BPs. Die Verallgemeinerung fu r beliebige multimodale Logiken
mu– der Tatsache Rechnung tragen, da– subjektive Einstellungsoperatoren … wie
Person P glaubt, da– Ü wu nscht, da– Ü
usw. … die Wirkung ethischer Operatoren
neutralisieren. Z.B. ist "A ist geboten (oder gut)" ein ethischer Satz, jedoch "Person
P glaubt oder wu nscht, da– A geboten (oder gut) ist" wieder ein deskriptiver Satz.
Ein ethischer Operator hei– t (in einem gegebenem Satz) nichtneutralisiert, wenn er
nicht im Bereich eines subjektiven Einstellungsoperato rs liegt, andernfalls hei– t er
neutralisiert. Um zu adaquaten Definitionen von rein ethischen Satzen, ethisch irrelevanten Konklusionen, SH, AH und BP zu gelangen, mu– nun "ethischer Operator"
jeweils durch "nichtneutralisierter ethischer Operator" ersetz t werden. Die Logik
subjektiver Einstellungsoperators o darf natu rlich Axiome wie oA→A, welche
subjektive Einstellungen (oA) mit objektiven Realitatsaussagen (A) verknu pfen,
nicht enthalten. Allgemeiner gesprochen darf sie keine o-BPs enthalten (ein o-BP ist
ein Axiomenschema, welches einen Schemabuchstaben sowohl innerhalb wie
au– erhalbdes Bereichs von o-Operatoren enthalt; 'BPs simpliciter' sind also O-BPs,
oder W-BPs). Unter dieser Bedingung lassen sich die beiden Theoreme dann auf
beliebige multimodalen Logiken verallgemeinern (1994, Kap. 7.1 und 8.2).
Nun zum logischen SSP 2. Art. Wir nennen einen SSS trivial, wenn seine
deskriptiven Pramissen logisch implizieren, da– dasjenige, was in der normativen
Konklusion N als geboten oder als erlaubt bezei chnet, ohnedies faktsich wahr sein
mu– . Ein solcher SSS wird fu r einen Ethiker ziemlich wertlos sein, da er natu rlich
nicht daran interessiert ist, solche Normen oder Rechte zu begr u nden, die … unter
Voraussetzung der Wahrheit seine Pramissen … ohnedies immer erfu llt bzw. gewahr-
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leistet sein mu ssen. Ein Beispiel ware gegeben, wenn ein Ethiker beweist, da– ein
Menschen, solange er lebt, atmen soll.
Allgemeiner kann man die Konklusion eines Schlusses als trivial definieren,
wenn der Schlu– auch gu ltig bleibt, nachdem man in ihralle Sollensoperatoren weggestrichen hat. Es gibt zwei wichtige alethisch-deontische BPs, die … auf sich allein
gestellt … lediglich triviale SSSe ermoglichen: das Sollen-Konnen-Prinzip (SK):
OA→◊A … was geboten ist, mu– auch moglich sein), und das Zweck-Mittel-Prinzip
(ZM): (OA∧ (A→B)) →OB) … wenn A geboten ist, und B ist eine notwendige
Voraussetzung fu r (oder Folge von) B, so ist auch B geboten. 18 Man kann leicht
bewiesen, da– in normalen a.d.-Logiken das Prinzip (Z) logisch aquivalent ist mit
dem Mu ssen-Sollen-Prinzip (MS):
A→OA … was notwendig ist, ist geboten. In
regularen a.d.-Logiken ist (Z) logisch schwacher als (MS). Das folgende Theorem
erfa– t alle a.d.-Standardlogiken.
Theorem 3: Sei L eine (normale oder regulare) a.d.-Kombination, deren alethi
sches Fragment das Axiom (aT): A→A und deren deontisches Fragment das
Axiom (dD):¬O enthalt, und gehe L* aus L durch Hinzufugung von (SK) und
(MS) [oder (ZM)] hervor. Dann enthalt jeder in L* beweisbare SSS eine triviale
Konklusion. (Schurz 1994, Kap. 6.2).
Eine weitere Art sinnloser BPs sind solche, deren deskriptives Wenn -Glied empirisch leer ist. Sie spielen im Bereich subjektivistischer ethischer Theo rien eine
Rolle. Z.B. besagt IntA→WA, da– alles, was im Interesse aller Menschen liegt,
ethisch wertvoll sei. Wenn es nun aber gar nichts gibt, was wirklich im Interesse
aller Menschen liegt (und Kap. xx wird dies nahelegen), d.h. wenn das Wenn -Glied
dieses BPs keine wahre Instanziiserung besitzt, dann hei – t dieses BP leer. Ein leeres
BP wird ganz ohne ethischen Nutzen sein. Auch dies ist beweisbar.
Theorem 4: Sei L eine bimodale Kombinationen, bestehend aus einer Int-Logik
18 Man beachte, da– der Begriff des "Mittels fu r A" nur als notwendige Bedingung,
nicht aber als hinreichende aufgefa– t werden kann … denn es gibt viele
verschiedene hinreichende Bedingungen fu r A, und viele davon haben neben A
noch viele andere, unter Umstanden schlechte Wirkungen.
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und einer W-Logik ohne BPs, dann gilt fur alle Logiken L*, welche aus L
durch Hinzufugung eines leeren BPs der Form IntA→WA (oder analoger Form)
entstehen, folgendes: in jedem in ihnen herleitbare SSS ist mindestens eine der
deskriptiven Pramissen (empirisch) falsch
(S. Schurz 1994, Kap. 7.2, Prop. 20). Damit haben wir drei Arten *sinnloser*
Konklusionen von SSSen unterschieden: irrelevante, triviale, und solche, die auf
leeren BPs und somit auf falschen Pramissen beruhen. Die beiden ersten Arten der
*Sinnlosigkeit* sind rein logischer Natur, die dritte Art ist empirischer Natur … aber
keine dieser Definitionen von *sinnlos* ist ethisch beladen oder theoriebeladen. Es
zeigt sich, und wird im nachsten Kapitel vollends bekraftigt, da– der entscheidende
Schritt zur Losung des SSP in seiner Verscharfung mithilfe eines adaquat definierten
Begriffs der *sinnvollen* ethischen Konklusion bzw. des *sinnvollen* SSS besteht.
Ohne diese Verscharfung bleibt jeder Losungsversuch des SSPs im Ansatz stecken.
5. Das analytische SSP
Gibt es ein generelles Argument gegen die analytische Wahr heit von Bru ckenprinzipien? In seinem beru hmten Argument der offenen Frage hat Moore (1903, S.
15f) eben dieses versucht. Er meint, wie auch immer unser deskriptives Wissen D[A]
u ber eine Handlung oder einen Sachverhalt A aussieht, die Frage "aber ist A auch
(moralisch) gut?" sei dennoch immer offen, ihre Antwort sei durch unser Wissen von
D[A] niemals analytisch determiniert. Auf seinen Kern reduziert besagt Moore's
Argument nichts anderes als da– ein implikatives BP der Form D[A]→GA oder
D[A]→¬GA niemals analytisch wahr sein kann. Ist Moore's Argument zwingend?
Ich glaube nicht: es appelliert zwar (in geschickter Weise) an unsere In tuition, aber
gibt keine Grunde fu r seine Behauptung. Hare hat versucht, dem Mooreschen
Argument eine solche Begru ndung nachzuliefern. Nach Hare besteht die zentrale
Funktion ethischer Satze darin, Handlungen oder Sachverhalte (A) aufgrund ihrer
deskriptiven Eigenschaften D[A] zu empfehlen. Nur ethische, nicht aber deskriptive
Satze besitzen diesen Empfehlungscharakter. Ware nun GA in der Bedeutung von
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D[A] analytisch enthalten, so ko nnte GA diesen Empfehlungscharakter nicht besitzen, denn dann ware die Bedeutung von GA selbst letztlich deskriptiver Natur (Hare
1952, S. 85). Hare's Argument ist plausibel, aber eben falls in zwingend. Ein naturalistischer Ethiker konnte einwenden, da– die kognitive Bedeutung einer ethischen Empfehlung "GA" letztlich immer darin liegt, da– A spezielle deskriptive Eigenschaften
D[A] besitzt … z.B. da– A dem Glu ck der Menschen forderlich ist. Er konnte
argumentieren, da– wann immer 'normale' Person etwas wahrhaftigerweise als "gut"
empfiehlt, sie damit auch die deskriptive U berzeugung ausdru ckt, da– A dem Glu ck
der Menschen forderlich ist, und da– die kognitive Bedeutung der Empfehlung in
eben dieser U berzeugung liegt. Ich wu – te kein generelles Argument, da– diese
plausible Argumentation zwingend widerlegen k onnte, und sehe grundsatzlich keine
Moglichkeit, da– die Frage der Existenz analytisch wahrer BPs mithilfe genereller
'apriorischer' Argumente zu entscheiden. Ich denke vielmehr wie Kutschera (1982, S.
54), da– die einzige Moglichkeit diese Frage zu entscheiden darin liegt, alle oder
zumindest alle philosophisch bedeutenden BPs im einzelnen zu untersuchen und auf
ihre Analytizitat hin zu testen. Hierzu mu ssen wir uns zuerst eine U bersicht u ber alle
philosophisch bedeutsamen BPs verschaffen, und die tun wir am besten anhand einer
Klassifikation ethischer Theorien.
5.1 Eine Klassifikation ethischer Theorien
Unsere Klassifikation orientiert sich an der Frage, wie innerhalb ethischer Theorien
versucht wird, ethische Satze zu rechtfertigen. Sie beschrankt sich daher auf jene
Theorien, welche ethische Satze als u berhaupt rechtfertigungsfahig ansehen … die
sogenannten kognitiven Theorien. Fu r nonkognitive Theorien erledigt sich die
Rechtfertigungs… und speziell die Sein-Sollen-Frage von selbst, in negativer Weise,
weshalb wir sie hier nicht zu beru cksichtigen brauchen. 19
19 Zur Unterscheidung kognitiv-nonkognitiv vgl. Frankena (1963). Ich halte die
Unterscheidung im Grunde fu r unglu cklich: Stevenson beispielsweise wollte mit
seiner These von der emotiven Funktion ethischer S atze nicht ausschlie– en, da–
sie auch kognitive Funktion haben (1944, S. Kap. VI).
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Jedes Rechtfertigungsverfahren, das nicht in einen Zirkel oder unendlichen Regress verfallen will, mu– (zumindest) zweierlei besitzen: (i) eine Rechtfertigungsrelation (zwischen Pramissenmenge und Konklusion), womit durch bereits gerecht fertigte Satze (die Pramissen) neue Satze (die Konklusion) gerechtfertigt werden
konnen, und (ii) eine Basis von synthetischen Satzen, welche aus guten Grunden als
gerechtfertigt vorausgesetzt werden konnen … entweder weil sie in sich evident sind
und 'selbstrechtfertigend' sind, oder weil ihre Re chtfertigung durch ein anderes Verfahren gewahrleistet wird.20 Sowohl die Rechtfertigungsrelation wie die Basis mu ssen das in Kap. 2 aufgestellte Kriterium der Intersubjektivit at erfu llen. Als Rechtfertigungsrelation kommt, gema– den U berlegungen in Kap. 3, die logische bzw. analytische sowie eine noch zu besprehende 'synthetische' Begr u ndungs- bzw. Schlu– methode in Frage. Unser Klassifikationskriterium fu r ethische Theorien ist nun die
Frage, was darin als die Rechtfertigungsbasis ethischer S atze angesehen wird. Hier
konnen wir zunachst zwischen zwei Hauptgruppen unterscheiden:
1. Autonomistische Theorien betrachten Werte oder Normen als Sachverhalte sui
generis, kategorisch verschieden von deskriptiven Sachverhalten. Ihre Recht fertigungsbasis besteht daher aus gewissen … evidenten oder selbstrechtfertigenden …
ethischen Satzen (allerdings mit Einschrankungen, s.u.).
2. Fu r reduktionistische (oder naturalistische) Theorien sind Werte oder Normen
dagegen auf deskriptive Sachverhalte zuru ckfu hrbar. Ihre Rechtfertigungsbasis besteht daher aus deskriptiven Satzen, welche durch ein 'anderes' Verfahren … das der
empirischen Wissenschaften … gerechtfertigt werden.
Prima facie wird man BPs in reduktionistischen Theorien erwarten, denn jede
Rechtfertigung ethischer mittels deskriptiver S atze setzt solche BPs voraus, wie wir
in Kap. 3 sahen. U berraschenderweise werden wir aber auch in autonomistischen
20 Dies gilt fu r fundamentalistische Rechtfertigungstheorien (vgl. Chisholms 'evidente' Satze, 1977, S. 45) wie fu r nonfundamentalistische bzw. koharentistische
(vgl. Lehrer's 'selbstrechtfertigende' Satze, 1974, S. 175f). Basissatze (in unserem
Sinne) brauchen nicht infallibel zu sein (vgl. das 'Basisproblem des Wiener
Kreises) … doch sie genie– en unter allen synthetischen Satzen 'hochste Autoriat'.
39
Theorien gewisse BPs antreffen.
Autonomistische Theorien zerfallen in zwei Untergruppe n: 1.1 Aprioristische
Theorien meinen, gewisse ethische Prinzipien seien aus kogn itiven Gru nden apriori
evident. 1.2. Empiristische Theorien dagegen behaupten, gewisse ethische Basissatze seien evident, weil sie mithilfe eines 'moralischen Sinnes' beobachtet werden
konnten … analog zur au– eren Sinneswahrnehmung.21
Auch reduktionistische Theorien zerfallen in zwei Hauptgruppen (vgl. Kutschera
1984, S. 54ff). 2.1 Subjektivistische Theorien fu hren ethische Sachverhalte auf die
faktisch vorhandenen subjektiven Interessen bzw. Praferenzen von Menschen zuru ck, wahrend 2.2 objektivistische Theorien diese auf deskriptive Sachverhalte zuru ckfu hren, welche von subjektiven menschlichen Interessen unabh angig sind … beispielsweise auf die natu rliche Evolution, oder den gottlichen Willen. Subjektivistische Theorien zerfallen zum einen in zwei Untergruppen, welche sich durch ihr
Rechtfertigungsziel unterscheiden. 2.1.1 intersubjektive Theorien versuchen, personenunabhangige Wert- oder Norm
der Form "A ist gut (ist geboten)" auf die
Interessen aller Personen zuru ckzufu hren, wahrend 2.1.2 intrasubjektive Theorien
personenrelative Wert- oder Normsatze der Form "A ist wertvoll (bzw. geboten) fu r
Person x" auf die Interessen der gegebenen Person zuru ckzufu hren suchen. Beide
Arten subjektiver Theorien zerfallen weiters in 2.i.1 Aggregationstheorien, welche
zur Begru ndung ethischer Satze unterschiedlichen die Interessen (eines Menschen
bzw. aller Menschen) … nach utilitaristischem Vorbild … 'aufsummieren' bzw. aggregieren, und in 2.i.2 Koinzidenztheorien, welche nur dort von Interessen auf ethische
Satze schlie– en, wenn diese Interessen koinzidieren. Intersubjektive Theorien sind
wesentlich bedeutender als intrasubjektive (weil Ethik pri mar um personenunabhan-
21 Der ethische Intuitionismus, demzufolge uns gewisse ethische Sachjverhalte
durch Intuition als evident erscheinen, nimmt hier eine Mittelstellung ein: je
nach Deutung la– t er sich als empiristisch, aprioristisch oder beides ansehen. Ku tschera rechnet den Intuitionisten Moore beispielsweise zu den Empiristen
(1984, S. 205), wogegen MacIntyres Rekonstruktion (1981, S. 12 -20) auch mit
einer aprioristischen Deutung Moore's vertraglich ist.
40
gige Wertausagen bemu ht ist), und Aggregationstheorien wesentlich aussage kraftiger als Koinzidenztheorien (weil letztere auf den Fall konfligierender Interessen
nicht anwendbar sind). Zudem sind intersubjektive Aggregationsthe orien gegenwartig zweifellos am aktuellsten. Deshalb werden wir ihrer Diskussion, nach einigen
allgemeinen Vorklarungen, den gro– ten Platz einraumen.
5.2 Werte und Normen deontologischen und teleologischen Theorien
In allen ethischen Theorien sind Normen und Werte analytisch verknu pft, doch
die exakte Form ihres Verknu pfungsprinzips ist unterschiedlich in deontologischen
und teleologischen Theorien (s. Frankena 1963, S. 13-16). Autonomistische und
speziell aprioristische Theorien sind typischerweise deontologisch, reduktionistische
und speziell subjektive Theorien sind typischerweise teleologisch … doch logisch
betrachtet ist die Unterscheidung deontologisch -teleologisch von unserer Klassifikation unabhangig.
Der grundlegende Wertbegriff deontologischen Theorien ist der des intrinsischen
Wertes: eine Handlung (oder ein Sachverhalt) A ist intrinsisch wert voll (abgeku rzt:
WiA), wenn A gewissen obersten Moralprinzipien gehorcht, ganz unabhangig von
den Konsequenzen der Handlung. Jede intrinsisch wertvolle Handlung ist geboten …
ihr Gebot ist dann, kantischen Worten, ein kategorischer (d.h. unbedingter) Imperativ (Kant 1975, BA 52). 22 Das erste Wert-Norm-Verknu pfungsprinzip deontologischer Theorien hat also die Form: (D1): WiA → OA. Eine Handlung (oder ein
Sachverhalt) A hei– t extrinsisch wertvoll, wenn A ein Mittel zur Erreichung eines
Zweckes B ist (vgl. Moore 1903, S. 36). Da u ber den intrinischen Wert des Zwecks
hierbei nichts ausgesagt wird, fallt eine extrinische Wertaussage mit einer MittelZweck-Aussage zusammen und ist daher deskriptiver Natur. Dennoch ist sie ethi sch
bedeutsam, aufgrund des in deontologischen Theorien geltenden Mittel-ZweckPrinzips fur Normen (MZN): "Wenn OA, und B ist Mittel fu r A, dann OB". Kant
22 Kant argumentiert dann weiter, es gabe nur einen wirklich kategorischen ethischen Imperativ … 'den' bekannten kategorischen Imperativ.
41
nennt das aus dem Gebot von A konditional folgende Gebot von B einen 'hypothetischen Imperativ' (1785, BA 40). Da die Aussage "B ist ein Mittel f u r A" ist, wie
wir in Kap. 4.2 sahen, als eine notwendige Bedingungsrelation aufzufassen ist, lautet
die exakte logische Form von (MZN): (OA∧ (A→B)) → OB. Das Mittel-ZweckPrinzip gilt natu rlich nicht fu r intrinische Werte (eine notwendige Bedingung eines
intrinsischen Wertes kann selbst intrinisch wertlos sein). Daher gilt auch nicht die
umgekehrte Richtgung OA→WiA des Norm-Wert-Prinzipes (D1). Definiert man jedoch den Begriff "wertvoll", abgeku rzt WA, als "entweder intrinsisch wertvoll oder
Mittel fu r etwas intrinisch Wertvolles" so gilt auch in deontologischen Theorien die
A quivalenz (D2): OAÄ WsA.
In teleologischen Theorien wird der Wert einer Handlung (bzw. eines Sachverhaltes) A aufgrund des Wertes der Konsequenzen von A bestimmt. Jede Handlungskonsequenz hat einen bestimmten intrinsischen Wert, welcher sowohl positiv wie
negativ (d.h. ein Unwert) sein kann. In subjektiv-reduktionistischen Theorien wird
der intrinsische Wert einer Handlungskonsequenz mit ihrer Nutzlichkeit (fu r eine gegebene Person oder Personengruppe) identifiziert, und Nu tzlichkeit wird als deskriptiver Begriff verstanden. 23 Der Gesamtwert einer Handlung A wird durch eine Art
von 'Summierung' bzw. Aggregierung der (positiven oder negativen) Nu tzlichkeiten
aller Handlungskonsquenzen in eine Gesamtnu tzlichkeit. Da hierbei die Einzelnu tzlichkeiten irgenwie (linear oder nichtlinear) 'addiert' werden mu ssen, folgt, da–
der teleologisch Nu tzlichkeitsbegriff letztlich ein quantitativer sein mu– .24 Die
Gesamtnu tzlichkeit einer Handlung wird mit dem Gebotsbegriff nun in auf folgende
23 Frankenas Behahuptung, in teleologischen Theorien seien intrinsische Werte
"au– ermoralische" Eigenschaften (1963, S. 13), trifft daher nur auf reduktio nistisch-teleologische Theorien zu … wie erwahnt, waren auch autonomistischteleologische Theorien denkbar.
24 Zumindest in vollstandigen Aggregationstheorien. Es gibt auch blo –
komparative Nu tzlichkeitstheorien, in Form sogenannter Praferenztheorien, (vgl.
Sen 1970), welche aber immer zur Folge haben, da– die Gesamtpraferenz nicht
in allen sondern nur in einigen Fallen eindeutig durch die Einzelpraferenzen
bestimmt wird. Dies fu hrt zu minimalen Aggregationstheorien (s. Kap. 5.5.2.3).
42
(zum Standard der Entscheidungstheorie z ahlende) Weise verknu pft. Man geht zuaus
von einer gegebenen Menge von (sich gegenseitig ausschlie – enden) Handlungsalternativen, welche dem gegebenen Agenden zur Verfu gung stehen … z.B. alle
Moglichkeiten, den nachsten Tag zu verbringen (auch das Nichts-Tun kann eine Alternative sein). Diese Handlungsalternativen werden als im gegebenen Kontext vollstandig beschrieben angenommen, weshalb wir sie vollstandige Handlungen nennen.
Unter Handlungen (simpliciter) werden nicht nur vollstandige Handlungsalternativen, sondern auch partielle Handlungen verstanden, welche logisch gesehen als
Disjunktionen jener vollstandiger Handlungen aufgefa– t werden, in denen sie
logisch enthalten sind. Wenn z.B. {das rechte Fenster offnen, das linke Fenster
offnen, kein Fenster offnen} die vollstandigen Handlungsalternativen sind, so ist
"ein Fenster offnen" eine in der ersten und zweiten vollstandigen Handlung logisch
enthaltene … und somit mit deren Disjunktion aquivalente … (partielle) Handlung.
Eine vollstandige Handlung mit maximaler Gesamtnu tzlichkeit (unter allen
Alternativen) mu– noch keineswegs geboten sein, da es mehrere vollstandige
Handlungen mit maximaler aber gleich hoher Gesamtnu tzlichkeit geben kann. Das
Wert-Norm-Prinzip teleologischer Theorien ist viel mehr dies: (T): Eine Handlung ist
geboten,
wenn
sie
in
allen
vollstandigen
Handlungen
mit
maximaler
Gesamtnutzlichkeit (logisch) enthalten ist (vgl. Kutschera 1984, S. 127). Wenn z.B.
die Luft im Zimmer schlecht ist, so haben die beiden vollst andigen Alternativen, so
fu hrt sowohl das O ffnen des linken wie des rechten Fensters zu gleich hoher
maximaler Nu tzlichkeit … doch keine dieser Alternativen ist geboten; ge boten ist
lediglich, ein Fenster zu offnen.25
5.3 Fast-Analytizitat und die Glucksbedingung
Ein BP ist analytisch wahr wenn es aus der Bedeutung des Begriffes "(ethisch)
gut" enthalten ist. Doch selbstverstandlich gehen verschiedene ethische Theorien
25 Identifiziert man Handlungen mit ihren Resultaten, und vollst andige Handlungen
mit maximaler Nu tzlichkeit mit idealen moglichen Welten, so entspricht dieses
Prinzip genau der mogliche-Welten-Semantik deontischer Logiken.
43
auch mit verschiedenen Bedeutungen von "gut" einher. 26 Wenn es analytisch wahre
BPs also u berhaupt gibt, so mu– es einen Kernbedeutung von "gut" geben, welche
allen ethischen Auffassungen, weche verschiedene Menschen verschiedener
Kulturen vertreten haben, gemeinsam ist.
Jemand konnte einwenden, die Suche nach einer solchen Kernbedeutung se i,
abgesehen von ihrer relativen Aussichtslosigkeit, von vornherein
die falsche
Strategie. Man mu sse, statt von allen ''kulturell moglichen', von der 'richtigen'
Bedeutung des Begriffes "gut" ausgehen und die Analytizitat von BPs anhand dieser
'richtigen' Bedeutung entscheiden. Doch dieses Argument fu hrt in einen vollstandigen Zirkel … denn um die 'richtige' Bedeutung von "gut" ermitteln zu konnen,
mu – ten wir ja bereits wir u ber das verfu gen, wonach wir hier fragen, namlich ein
rationalen Begru ndungsverfahren von ethischen Satzen und speziell von BPs.
Ein anderer konnte einwenden, man solle, statt nach einer gemeinsamen Kern bedeutung zu fragen, sich damit begnu gen, verschiedene Explikata des Explikandums "gut" zu prazisieren, sagen wir "gut1",Ü ,"gutn". Doch dies wu rde die Aufgabe
der Ethik komplett unterlaufen, die ja darin besteht, eine Einigung im Handeln so zialer Kollektive herbeizufu hren … und dies sitzt eine intersubjektiv akzeptierte Kern bedeutung von "gut" voraus.
Es hilft nichts, die Frage nach analytisch wahren BPs steht und f allt mit der Frage
einer kulturinvarianten Kernbedeutung von "gut". Gema– unserem Analytizitatstest
konnen wir ein BP dann als in dieser Kernbedeutung enthalten und somit als analytisch wahr bezeichnen, wenn es keine vorstellbare Konstellation von auäeren Fakten und ethischen Einstellungen der betroffenen Personen gibt, in welchen das BP
fu r einige der Betroffenen inakzeptabel ist. Wir wollen nennen eine derartige Kon stellation eine kulturelle Situation.27
26 Nicht anders als in empirischem Theorien … der bekannte Bedeutungsholismus
theoretischer Begriffe (vgl. Schurz xx).
27 Eine kulturelle Situation ist eine Episode dessen, was MacIntyre (1981, Kap. 14,
S. 187) eine Praxis nennt.
44
Der Begriff der "vorstellbaren" Situation ist allerdings sehr weitl aufig; man kann
sich sehr abartige ethische Auffassungen vorstellen kann, in der Tat hat es solche
historisch auch immer wieder gegeben. Der Verfechter von SSSen kann also ein wenden, da– bei einer derart weitlaufigen Betrachtung "vorstellbarer" ethischer Auf fassungen freilich fast nichts mehr als "analytisch wahr" u brigbleiben wird; doch der
anwendungsorientierte Ethiker sei niemals an blo – 'vorstellbaren' sondern nur an
'plausiblen' Situationen bzw. ethischen Einstellungen interessiert. Um unsere Argu mente zu starken wollen wir diesem Einwand so weit als moglich entgegenkommen.
Wir nennen ein BP fast analytisch wahr wenn es in keiner plausiblen kulturellen
Situation (fu r einige betroffene) inakzeptabel ist … d.h. in keiner Konstellation von
plausiblen au– eren Fakten und plausiblen ethischen Auffassungen. A u– ere Fakten
hei– en plausibel wenn sie schon einmal historisch realisiert waren oder deren
historische Realisierung zumindest eine nichtvernachlassigbare Wahrscheinlichkeit.
Wann aber nennen wir ethische Auffassungen plausibel? Mein Vorschlag lautet,
wenn sie folgende einschrankende Bedingung erfu llen: in einer ethisch plausiblen
Auffassung mu– zumindest eine Funktion ethischer Werte und Normen darin bestehen, (bei ihrer Befolgung) das Gluck der Menschen in dieser Welt zu vermehren. Ich
nenne diese Bedingung die Glucksbedingung.
Die Glu cksbedingung la– t bewuät vieles offen, z.B. welche Art von Glu ck gemeint ist und was, speziell im Fall konfligierender Interessen, unter Gl u cksvermehrung zu verstehen ist. Es ist lediglich gefordert, da – der Glu cksbegriff deskriptiver
Natur ist28, und da– es sich um Vermehrung in dieser Welt handelt. Die Glu cksbedingung dient dazu, abnormale ethische Auffassungen auszuschlie– en … das sind
solche, die implizieren, es sei ethisch gut, Unglu ck und Leid im irdischen Leben
moglichst zu vermehren. Auch die meisten religiosen ethischen Auffassungen
erfu llen die Glu cksbedingung, obwohl sie durch ihre Jenseitsbezogenheit fu r eine
Abweichung davon 'anfallig' und es historisch gelegentlich auch waren.
28 Kutschera (1984, S. 248f) meint, da– Glu ck auch eine objektive ethische Komponente enthalt. Dem stimme ich nicht zu, denn Glu ck ist etwas, das man fuhlen
kann, und was man fu hlen kann, ist empirisch-deskriptiv.
45
Die zentrale Frage unserer folgenden U berlegungen lautet: gibt es fast analytisch
wahre BPs, die weder trivial noch empirisch leer sind?
5.4 Alethisch-Deontische BPs
Die zwei bedeutensten alethisch-deontischen BPs sind, wie erwahnt, das MittelZweck-Prinzip (MZ): (OA∧ (A→B))→OB und das Sollen-Konnen-Prinzip (SK):
OA→◊A. In reduktionistisch-teleologischen Theorien sind beide Prinzipien gu ltig:
sie folgen aus dem Verknu pfungsprinzip (T) (Kap. xx), da jede Handlungsalternative
und somit auch jede 'ideale' Handlungsalternativen (im Sinn des Gesamtnutzens)
alethisch moglich sein mu– . Die beiden Prinzipien gelten auch in den meisten
aprioristisch-deontologischen Theorien.29 (SK) wurde allerdings von autonomistischer Seite gelegentlich bezweifelt. Betrachtet man etwa, wie Plato, die empirische
Realitat als ein notwendigerweise unvollkommenes Abbild ewiger voll kommener
Ideen, so kann (SK) zumindest nicht wortlich gelten. 30 Dennoch nimmt auch jeder
Platonist an, da– man die vollkommenen Ideen des Gutes empirisch approximieren
kann … versteht man den Begriff "moglich" in (SK) also in diesem schwachen
Approximationssinn, so gilt (SK) sogar in platonistischen (und ahnlichen) Auffassungen. Zusammengefa– t gibt es also guten Grund, die beiden BPs (MZ) und (SK)
als in der Tat fast analytisch wahr zu bezeichnen. Doch sie sind, wie wir aus Kap. 4.2
wissen, beide trivial und wiederlegen daher nicht die verscharfte Hume-These.
5.5 Intersubjektive Aggregationstheorien
Bei dieser gegenwartig wohl bedeutendste Theoriengruppe, welcher auch alle
29 Da– (MZ) nach Kant gilt, wurde in Kap. 5.2 gezeigt. Es wird auch von Hare
(1952, S. 37) anerkannt. Auch (SK) gilt bei Kant, es folgt aus der er sten
Formulierung seines kategorischen Imperativs (vgl. Kutschera 1982, S. 196).
30 Fu r eine ju ngere Diskussion von (SK) s. Mavrodes (1974), welcher (SK) befu rwortet, und Hintikka (1969, S. 196-8), der (SK) bezweifelt und nur das schwachere Prinzip O(OA→◊A) als analytisch gu ltig ansieht.
46
Spielarten des Utilitarismus zuzurechnen sind, geht man aus von einem gegebenem
sozialen Kollektiv, formal eine Menge von Personen (Individuen) P.31 Fu r jede
Person P in P wird eine Menge AP von moglichen Handlungsalternativen dieser Person P angenommen. Da jede individuelle Handlung, zumindest im Prinzip, die
Interessen aller anderen Individuen affiziert, stehen im Zentrum der Betrachtung
nicht die individuellen, sondern die kollektiven Handlungsalternativen. Unter einer
vollstandigen kollektiven Handlungsalternative versteht man eine Liste (bzw. formal
eine Funktion), welche fu r jede Person P angibt welche der Handlungsalternativen in
AP sie realisiert. K sei die Menge aller vollstandigen kollektiven Handlungen. Als
gegeben angenommen wird weiterhin eine individuelle N u tzlichkeitsverteilung u,
welche fu r jede Person und jede kollektive Handlungsalternative K in K den individuellen Nu tzlichkeitswert u(P,K) liefert, welche den Nutzen oder Schaden der kollektiven Handlung K fu r Person P angibt (und zwar in Form einer positiven oder
negativen reellen Zahl). Diese individuellen Nu tzlichkeitswerte sind die quantitative
Form des fu r subjektivistische Theorien grundlegenden Interessens - oder Praferenzbegriffs.32 Welche der kollektiven Alternativen in K ist nun die beste fu r das
gesamte Kollektiv? Die Frage mochten Aggregationstheorien beantworten. Da sich
die individuellen Interessen im Regelfall widersprechen werden … was fu r den einen
nu tzlich ist, ist fu r den anderen schadlich … setzt die Beantwortung dieser Frage ein
Aggregationsverfahren voraus, um aus den individuellen N u tzlichkeitswerten eine
kollektive Gesamtnu tzlichkeit zu bilden. 33 Formal ist die kollektive Nu tzlichkeit
31 Die angefu hrte Rekonstruktion ist die u bliche (vgl. auch Kutschera 1984, S.
127ff). Ihr formaler Rahmen ist die Spieltheorie … die Erweiterung von Nutzenund Entscheidungstheorie auf Mehrpersonenspiele.
32 Es gibt verschiedene empirisch-psychologische Interessenstheorien, z.B. einschichtige (Bentham), mehrschichtige (Mill), egozentrische (Hobbes), altrui stische (Shaftesbury, Hutcheson) … fu r eine Diskussion vgl. Kutschera (1984, S.
148ff). Die folgenden U berlegungen sind davon unabhangig … sie lassen alle
diese Auffassungen von Interessen als moglich zu.
33 Eine sogenannte social welfare function … s. Arrow (1951, S. 21ff), Sen (1970, S.
41ff), Harsanyi (1976, S. 6ff).
47
also eine Funktion, welche fu r jede gegebene individuelle Nu tzlichkeitsverteilung u
und kollektive Handlung K einen kollektiven Nu tzlichkeitswert U(K,u) liefert.
Die Frage, welche kollektiven Handlungen getan werden soll, ist entsprechend
dem teleologischem Wert-Norm-Verknu pfungsprinzip von Kap. xx sehr einfach zu
beantworten: jene kollektiven Handlungen sind geboten, welche in allen voll standigen kollektiven Handlungsalternativen mit maximaler kollektiver Nutzlichkeit
enthalten sind. Dies ist das BP intersubjektiver Aggregationstheorien. Um nicht
gehaltleer zu sein, setzt es natu rlich ein Aggregationsverfahren voraus. Das BP
weder trivial noch leer, sondern au– erst gehaltvoll, liefert es doch fu r jede Situation
eine Entscheidung daru ber, was ethisch geboten ist. Wir fragen nun, ob dieses BP
fast-analytisch wahr ist. Die sich aufdrangende Frage ist natu rlich, ob es ein fastanalytisch wahres und fu r alle plausiblen ethischen Auffassungen akzeptables
Aggregationsverfahren geben kann. Doch unsere Kritik an diesem BP setzt jedoch
noch wesentlich tiefer an.
Aus der Perspektive autonomistischer Ethik wird man diesem BP natu rlich vorwerfen, es sei grundsatzlich verfehlt, ethische Werte auf empirische Interessen zuru ckzufu hren (Kant 1785, BA 34, 76-81). Unter der Annahme unserer Glu cksbedingung ist es jedoch, wenn auch nicht zwingend 34, so doch recht plausibel, da–
Glu cksvermehrung und somit das ethisch Gute im wesentlichen mit der Befriedigung
menschlicher Interessen zu tun hat. Daher wollen wir den grund satzlichen autonomistischen Einwand gegen subjektivistische Theorien u berspringen und zu den
bedeutenderen Einwanden u bergehen. Es handelt sich dabei um eine Kaskade von
Einwanden: selbst wenn Einwand i zuru ckgewiesen wird, bleibt Einwand i+1 weiterhin bestehen.
5.5.1 Inadaquate formale Rationalitatsannahmen
Die
deskriptive
Grundlage
subjektivistischer
Theorien
ist
zunachst
ein
34 Man konnte die Auffassung vertreten, da– es von menschlicher Interessensbefriedigung unabhangige empirische Wege gibt, menschliches Glu ck zu erhohen.
48
personenbezogener Praferenzbegriff (Person x zieht Alternative A gegenu ber B vor).
Um auf dieser Grundlage ein logisch rationale Ethik zu schaffen, mu– dieser
Praferenzbegriff
gewisse
Rationalitatsbedingungen
erfu llen.
Diese
du rfen
selbstverstandlich keinerlei ethische Annahmen involvieren, sonst ware der
Praferenzbegriff kein deskriptiver, sondern ein ethischer Begriff, soda – es wu rde
sich um kein BP mehr handeln wu rde. Die Rationalitatsbedingungen sind logischformaler Natur, z.B. die Transitivitat (wenn A < B und B < C, dann A < C). Dennoch
werden sie von den faktischen Praferenzen der Menschen haufig nicht erfu llt. Es
handelt sich also um kein schlicht empirisches, son dern um einen theoretischidealisiertes Praferenzkonzept, da–
so zu lesen ist: "wurde Person x die
Rationalitatsbedingungen erfu llen, so waren ihre Praferenzen so und so". 35
Eine Anforderung an solche Rationalitatsbedingungen ist ihre deskriptive Zulassigkeit: die Idealisierung darf nicht zu weit gehen … es mu– moglich sein, die
theoretische Praferenz aus den faktischen Praferenzen eines Menschen zumindest
indirekt zu erschlie– en (z.B. durch transitiven Abschlu– seiner Basispraferenzen36).
Die hier wesentliche Frage ist jedoch die ethische Adaquatheit: sind die
Rationalitatsbedingungen mit unseren ethischen Intuitionen koh arent? Die sei nun
gepru ft.
Die Transitivitatsbedingung scheint mir im wesentlichen ethisch adequat zu sein,
denn sie verhindert widerspru chliche Praferenzen bzw. daraus folgende Normen. Sicherlich gibt es ambivalente Praferenzen; z.B. kann fu r eine Person in einer Hinsicht
Alternative A, in anderer dagegen Alternative B vorzuziehen sein. Dies kann man
losen, indem man subjektive Praferenzen auf Aspekte oder Hinsichten relativiert (s.
Kap. 5.7).
Die Transitivitat (zusammen mit der Irreflexivitat fu r < oder Reflexivitat fu r ≠)
ergibt, was man eine partielle Quasiordnung nennt: darin sind einige, aber nicht alle
35 Vgl. Kutschera (1984, S. 24f), Birnbacher (1988, S. 16ff, 140).
36 Dies mu– nicht immer ein eindeutiges Verfahren sein. Die Situation ist ahnlich
wie in der Theorie der Wissensrevisionen.
49
Elemente miteinander vergleichbar. Um daraus eine quantitative (in dividuelle)
Nutzenfunktion zu gewinnen, mu ssen an die individuelle Praferenzrelation jedoch
zwei weitere Rationalitatsbedingungen gestellt werden, welche ethisch au– erst fragwu rdig sind. Die eine Bedingung ist die der Konnexivitat: alles mu– mit allem vergleichbar sein. Die zweite und noch rigidere ist die der Archimedizitat: alles mu–
durch alles (wenn in genu gender Anzahl genommen) aufwagbar sein.37 Diese beiden Bedingungen sind adaquat in der Physik (der Langen und Massen), oder in der
O konomie materieller Gu ter, doch kaum im Gebiet ethischer Bewertungen von Lebenszustanden menschlicher Personen. Einer grundlegenden moralischen Intuition
zufolge ist jedes Menschenleben in seinem Wert einzigartig und daher ein Vergleich
des Lebenswertes zweier Personen weder moglich noch ethisch aktzeptabel. Selbst
bei den bekannten 'Rettungsbeispielen', z.B. dem vom sinkenden Schiffes und dem
zu kleinen Rettungsboot, wu rde man derartige Vergleiche im Regelfall zuru ckweisen, und die in diesem Fall erzwungene Entscheidung wird entweder dem freiwilligen Verzicht (so in 'heroischen' Filmdarstellungen) oder dem Kampf u berlassen.
Das Konnexivitatsaxiom ist auch nicht zu retten, indem man sagt, alle Menschen leben seien gleich viel wert, denn dies hatte zur Folge, da– der Wert von n+1 Menschenleben immer gro– er ware als der von n, was schnell in ahnlich gegenintuitive
ethischen Konsequenzen fu hrt. Noch schlimmer ist es mit dem Archimedizitatsaxiom
bestellt: es hat zur Folge, da– es fu r jede Person eine Zahl n gibt, so da– n DM mehr
wert sind als diese Person. Diesem Axiom zufolge kann jeder Wert, auch der ei nes
Menschenlebens, in jede beliebigen Einheit (z.B. DM oder Schweine) umgerechnet
bzw. sein Tod damit erkauft werden.
Die moralischen Werte der Menschen sind nicht konnex und archimedisch ge ordnet, was Voraussetzung zu ihrer quantitativen Kalkulierbarkeit ware. Meggles
Behauptung, durch die Entscheidungstheorie sei gekl art, wie man den subjektiven
Wert eines Lebenstages in DM umrechnen konne (vgl. Kap. 1), entbehrt also jeder
37 Hierfu r gibt es (vornehmlich) zwei Methoden: extensive Metrisierung (Krantz et
al, Kap. 2) und probabilistische Entscheidungstheorie (Krantz et al, Kap. 8). Die
beiden Bedingungen werden von beiden Methoden vorausgesetzt.
50
Grundlage. In unserem intuitiven Wertekosmos gibt es gewisse oberste Werte (wie
der Lebenswert verschiedener Personen), welche untereinander unvergleichbar sind
und gegenu ber allen Werten niedrigerer Kategorien (z.B. materielle Werte) Prioritat
genie– en (vgl. auch Williams 1972, S. 100-2). Dies ist formal gesehen die Struktur
einer partiellen Ordnung. Dies ist auch die Grundlage der Aufassung, ein mensch liches Leben sei 'heilig' bzw. hatte 'unendlichen' Wert. Singer/Kuhse (1990, S. 121)
und Meggle (1991, S. 214) haben dagegen wiederholt das folgende Argu ment
vorgebracht: hatte menschliches Leben unendlichen Wert, so hatten diesen auch alle
zeitliche Teil desselben … dann ware es aber fu r den Wert eines Lebens belanglos,
wie lange es wahrt unendlich (der Wert ist jedesmal unendlich), was ethisch absurd
sei. Dieses Argument ist hochst naiv, denn es unterstellt eben jene quantitative
Wertstruktur, welche die Vertreter der Heiligkeitsauffassung ja gerade ablehnen. Der
These vom 'unendliche Wert' besagt lediglich, da– der Wert eines Menschenlebens
durch nichts anderes aufgewogen werden kann, was nicht im Widerspruch damit
steht, da– der Wert von ein- und desselbem Menschenlebens mit seiner Dauer
zunehmen kann.38
In allen praktisch angewandten quantitativen Wertheorien mu – es ferner eine
Funktion geben, welche den Wert eines Ganzen als Funktion des Wertes seiner Teile
bestimmt.39 Dies ist eine weitere ethisch problematische formale Rationalitatsbe38 Formal entspricht dies der Struktur einer partiell und monoton geordneten
Gruppe, welche in Schurz/Lambert 1994 in anderem Zusammenhang pr azisiert
wurde. Eine solche besteht aus mehreren Elementen x, yÜ , welche wiederholt
auftreten konnen und zu gro– eren Komplexen verknu pfbar sind. n.x steht fu r
einen Komplex bestehend aus n x-Vertretern. Es gilt darin, da– wenn n > m, so
auch immer n.x > m.x; fu r x und y verschieden kann es jedoch passieren, da– x
und y unvergleichbar sind (d.h. weder x≠y noch x>y gilt) und somit auch fu r
beliebige n und m, n.x und m.y unvergleichbar sind.
39 In der entscheidungstheoretischen Nutzenmetrisierung dieses Problem umgangen
und der Nutzwert vollstandiger Alternativen als primitiv vorausgesetzt. Doch in
praktischen Anwendungen kann dieser nur durch Betrach tung seiner einzelnen
Komponenten bestimmt werden … weshalb Krantz et al (1971, S. 394f) dies als
Nachteil im Vergleich zur extensiven Metrisierung ansehen.
51
dingung. Extensive Standardskalen sind additiv: sei AoB ein Ganzes mit A und B als
Teilen, so wird u(AoB) = u(A)+u(B) angenommen. Wie man wei– , trifft diese (aus
der Langenmetrik herkommende) Annahme nicht einmal auf okonomische Werte zu,
weshalb seitens der Nutzentheorie andere, nichtadditive Funktionen zur Kalkulation
des Wertganzen vorgeschlagen wurden (z.B. das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens). Das Problem im Fall ethischer und asthetischer Werte liegt jedoch darin,
da– der Wert des Ganzen weniger durch seine Teile als durch deren Interaktion bestimmt wird, und zwar auf sensibelste und kontextspezifische Weise. F u r
astehtischerWerte ist die aus der Gestaltpsychologie hinl anglich bekannt, und fu r
ethische Werte gilt dasselbe. 40 Es du rfte daher aussichtlos sein, nach einer
generellen mathematischen Funktion zu suchen, welche den Wert des Ganzen aus
dem seiner Teile bestimmt. Der Vorschlag von Lenzen und Meggle, den Wert des
Lebens mit der Summe des Wertes aller Lebenstage zu identifizieren (und zwar
jeweils in DM), ist angesichts dieser Umstande als ungewohnlich naiv zu
bezeichnen. Milan Kundera (in der "unendlichen Leichtigkeit des Seins") vergleicht
das Leben mit einer musikalischen Komposition … kann man den asthetischen Wert
eines Musikstu cks in die Summe des Wertes seiner Sekundenabschnitte zerlegen?
Die bisher besprochenen Rationalitatsannahmen betriffen die Bestimmung subjektiver Nutzwerte und sind daher fu r intra- wie intersubjetive Theorien von Relevanz. Eine letzte Rationalitatsannahmeg, welche von allen intersubjektiven Theorien
auf subtile Weise vorausgesetzt wird, ist die der intersubjektiven Vergleichbarkeit
intrasubjektiver Werte. Jede extensive Skala ist relativ zu einer willku rlich wahlbaren skalaspezifischen Einheit (cm, m, kmÜ ). Durch Beobachtung einer Person P
kann man (wenn u berhaupt) nur ihr intrasubjektives Nutzwertsystem ermitteln; die
zugrundegelegte Einheit ist ebenfalls subjektiv … eine P-Einheit (z.B. der Wert von
einer DM fur Person P). Intersubjektive Aggregationstheorien mu ssen jedoch
voraussetzen, da– es eine objektive Werteinheit gibt, in welche alle intrasubjektiven
40 Moore (1903, S. 27) spricht von von moralischen Werten als "organischen
Ganzen". Fu r ihn wie fu r andere bedeutende Ethiker gehen u brigens intrinsische
ethische Werte letztlich auf asthetische zuru ck.
52
Nutzwerte umgerechnet werden konnen, denn andernfalls waren intrasubjektive
Nutzwerte u berhaupt nicht vergleichbar (geschweige denn 'addierbar'), ebenso wenig
wie Kilogramm und Meter. Doch es gibt keine empirische Methode, um diese An nahme zu rechtfertigen. Wer sagt, da– 1 Dm-fur P gleich viel, mehr oder weniger
seien als 1 DM-fur-Q? Vielleicht bedeutet Person P Geld grundsatzlich weniger als
Person Q. Dafu r ist vielleicht ist Person Q das ganze Leben insgesamt weniger wert
als Person P, was Q's intrasubjektiven Relationen unver andert lie– e und am Vergleich von P's und Q's Praferenzsystem nie ersichtlich ware. Die einzige Rechtfertigung der intersubjektiven Vergleichbarkeit best u nde in der Annahme, die subjektiven Mentalitaten aller Personen waren gleich oder zumindest so ahnlich, da– man
sie durch eine objektive Einheit 'dividieren' kan n … aber diese Annahme ist ziemlich
fragwu rdig.41
Wenn Lenzen und Meggle betonen, ihre ethischen Kalkulationen st u tzten sich auf
die subjektiven, aus der Eigenperspektive beurteilten Werte, diese aber dann in (personenunrelativierte) DM-Einheiten ausdru ckt, so verbirgt sich dahinter also ein subtiler Widerspruch. Mit "subjektivem Wert" meinen diese Autoren le diglich, da– die
Wertgro äe subjektiv beurteilt wird. Fu r Person P mag beispielsweise einer ihrer
eigenen Lebenstags 500 DM wert sein, ein Lebenstag von Person Q dagegen nur 10
Pfennig, umgekehrt mag ein Q-Lebenstag fu r Q 600 DM, fu r P dagegen nur 2 DM
wert sein. Die Autoren u bersehen aber, da– bei konsequent genommener Eigenperspektive auch die Werteinheit subjektiv ist, und halten diese subjektiven DM-Werte
fu r objektiv vergleichbar … in unserem Beispiel ware der subjektive Wert eines QLebenstages also gro– er als der eines P-Lebenstages.42 Genau das la– t sich daraus
41 Kutschera (1984), S. 130) und Sen (1970, S. 92ff) bringen ahnliche Einwande
vor. Harsanyi argumentiert, zur Rechtfertigung der intersubjektiven Vergleich barkeit sei die Annahme hinreichend, da– Menschen den gleichen psychologischen Gesetzen unterliegen. Psychologische Gesetze determinieren aber nicht die
Mentalitat einer Person, sondern wirken lediglich als einschr ankende Bedingungen derselben. Daher halte ich diese Annahme fu r zu schwach.
42 S. Meggle (1991), S. 217, vorletzter Paragraph.
53
jedoch nicht schlie– en.
5.5.2 Die Wahl intersubjektiver Aggregationsmethoden
5.5.2.1 Der Egozentrismus- und Liberalismuseinwand
Selbst wenn wir, kontrafaktisch, annehmen, da– alle bisherigen Einwande bewaltigbar waren, treten uns noch vernichtendere Einwande beim nachsten Schritt
entgegen: bei der Frage der Wahl einer Aggregationsmethode, um die personen relative Nu tzlichkeitsverteilung u(-,P) in eine kollektive Nu tzlichkeitsfunktion U(-,u)
zusammenzufassen. Um als rational zu gelten, mu–
eine solche von allen
Mitgliedern des Kollektivs aus rationalen Gru nden akzeptierbar sein. Aber alle
rationalen Praferenzen eines Individuums P sind ja bereits in seiner individuellen
Nu tzlichkeitsfunktion u(-,P) zusammengefa– t … diese egozentrische (nicht zu
verwechseln mit egoistische) Basis ist ja die Grundlage aller subjektivistischer
Theorien. Jedes Individuum, mu – te man demnach annehmen, wird also jene
kollektive
Nu tzlichkeitsfunktion
Nu tzlichkeitsfunktion
praferieren,
u bereinstimmt.
die
Wannimmer
mit
seiner
individuelle
personlichen
Interessen
konfligieren … und dies ist der Regelfall … konnte es dann eine von allen Individuen
akzeptierte kollektive Nu tzlichkeitsfunktion gar nicht geben.
Aus diesem Grund schlugen gegenwartige Ethiker wie Rawls (1971, S. 17ff) und
Harsanyi (1976, S. 14) vor, bei der Wahl der kollektiven Nu tzlichkeitsfunktion
mu sse sich jede Person in eine fiktive Situation begegen, in der die Person vorgibt,
nichts u ber sich selbst zu wissen … soda– sie im Grunde mit jeder anderen Person des
Kollektivs austauschbar ware. In dieser hypothetischen "Ursprungssituation", welche
fu r jedes Individuum dieselbe ist, wu rden dann alle Individuen dieselbe kollek tive
Nu tzlichkeitsfunktion wahlen … grob gesprochen eine, welche das 'durchschnittliche'
Interesse eines Kollektivmitglieds am besten befriedigt. Hinter dieser Idee steckt
natu rlich ein bestimmtes normatives Gerechtigkeitsprinzip, welches unabhangig von
den intrasubjektiven Praferenzen zusatzlich postuliert werden mu– … alle auf diesem
Ansatz aufbauenden intersubjektiven Theorien (s. Kap. xx) sind also nicht mehr
54
streng reduktionistisch, sondern in diesem Punkt auto nomistisch.43
Noch wichtiger, dieses Gerechtigkeitsprinzip ist alles andere als apriori plausibel.
Es handelt sich dabei, letztlich, um ein Prinzip distributiver Gerechtigkeit, demzufolge jedermann die Interessen aller anderen Personen im gleichen Ausma – wie die
seinen beru cksichtigen soll 44 und daher distributiver Ungleichheiten (von Vermogen, Besitz usw.) ungerecht und durch 'sozialistische Umverteilung' zu e liminieren sind. Aber es gibt eine ganz andere, ebenso plausible 'liberalistische' Gerech tigkeitskonzeption, welche z.B. von Nozick (1974) ausgearbeitet wurde, und sich allein
auf individuelle Interessen und Rechte stu tzt. Solange die Mitglieder eines
Kollektivs ihre … materiellen oder gesellschaftlichen … Gu ter in einer (durch Vertrage
geregelten) gerechten Weise erworben haben, ist jede soziale Distribution gerecht.
Die einzige soziale Komponente dieser Gerechtigkeitskonzeption ist die formale
Chancengleichheit in der Realisierung individueller Interessen; dar u berhinaus weist
dieser Ansatz jeglichen 'rationalen' Begru ndungsversuch eines 'kollektiven Inte resses' als Beschneidung individueller Freiheiten zur u ck. Diese konfligierenden philosophischen Gerechtigkeitsauffassungen findet man auch im politischen Alltag
wieder; MacIntyre illustriert sie am Beispiel der Frage einkommensprogressiver
Steuerpolitik (1981, S. 244 - 48). Person A, ein wohlhabender 'Liberalist', empfindet
diese als extrem ungerecht, da es niemand zusteht, ihm sein rechtschaffen erwor benes (u ber das staatlich Unabdingbare hinaus) wieder wegzunehmen; Person B findet dagegen die Tatsache, da– einige Personen (darunter er) arm und andere dagegen
reich sind, und halt daher diese Steuerpolitik fu r sehr gerecht.
5.5.2.2 Konfligierende Aggregationsmethoden
Aber selbst wenn man das Rawlssche Methode der 'fiktiven Ursprungs situation'
43 Sowohl Harsanyi (1976, S. 45f) wie Rawls (1971, S. 12ff) betonen, da– hier ein
autonomes ethischen Prinzip in ihre Theorie eingeht. Schon J. St. Mill sah in der
Entscheidung fu r die utilitaristische Maxime "das gro– te Glu ck der gro– ten
Zahl" letztlich eine Frage des Gewissens.
44 Singer nennt es das Prinzip der "gleichen Interessenserwagung" (1984, S. 32).
55
akzeptiert, worin jede Person die Interessen aller gleich ber u cksichtig, bleibt ebenso
gewichtiger Einwand bestehen: diese Methode allein determiert noch keineswegs
eine kollektive Nu tzlichkeitsfunktion, sondern la– t mehrere, tief konfligierende
Aggregationsmethoden zu. Es handelt sich diesmal um den (ent scheidungstheoretisch wohlbekannten) Konflikt zwischen der Verringerung negativen Risikos
und der Erho hung positiver Chancen. Wer nicht wei– , welche soziale Position eines
Kollektivs er einnehmen wird, kann sich entweder dafu r entscheiden, das negative
Risiko, zu den Armen zu gehoren, durch 'sozialistische' Optionen moglichst zu verringern (der 'Sicherheitsmensch'), oder die positive Chance, zu den Reichen zu
gehoren, durch 'kapitalistische' Optionen moglichst zu vergru – ern (der 'Risikofreudige'), oder aber er kann den strengen statistischen Mittelwert bilden. Dementsprechend gibt es drei grundverschiedene Aggregationsmethoden. Entsprechend
dem von Rawls favourisiertem Maximin-Prinzip … die einer Ethik der Sicherheit und
sozialen Gleichheit entspricht … hat jene kollektive Handlung maximale kollektive
Nu tzlichkeit, welche den individuellen Nutzen der Armen (formal gesehen, das
Minimum der individuellen Nutzwerte) maximiert. Der Durchschnittsutilitarismus,
fu r den Harsanyi (1976, S. 39) optiert, identifiziert die kollekti ve Nu tzlichkeit einer
kollektiven Handlung der statistische Durchschnitt ihrer indivi duellen Nu tzlichkeiten; der Summenutilitarismus hingegen, vertreten von den utilitaristischen
Klassikern (Mill 1867, ch. II, S. 163) identifiziert die kollektive N u tzlichkeit mit der
Summe der individuellen Nu tzlichkeiten. Die beiden Formen des Utilitarismus
unterscheiden sich lediglich bekanntlich nur ihrer Beurteilung der optimalen Bev olkerungsgro– e. Das Maximax-Prinzip schlie– lich gibt jener kollektiven Handlung
maximale Nu tzlichkeit, welche den Nutzen der Reichen (formal gesehen, das Maximum der individuellen Nutzwerte) maxmialisiert; es favorisiert individuelle Auf stiegschancen und fordert soziale Elitenblidung.
Gegen alle vier Aggregationsmethoden gibt es wohlbekannte Einwande. Das Maximin-Prinzip scheitert in Situationen unwahrscheinlichen aber hohen Risikos.
Beispielsweise du rfte ein nach dem Maximin-Prinzip handelndes Kollektiv niemals
PKW-Verkehr zulassen, denn die schlechtest Gestellten sind h ierbei tot (vgl. auch
56
(Harsanyis Beispiel der Flugreise; 1976, S. 39). Der schwerwiegenste Einwand ge genu ber beiden Formen des Utilitarismus ist bekanntlich, da– ihm zufolge eine Erhohung des Wohlstands der Mehrheit auf Kosten extreme Unfairness oder gar eines
Verbrechen gegenu ber einer Minderheit als ethisch gerechtfertigt anzusehen ist …
auch der sogenannte Regelutilitarismus schafft hier keinen Ausweg. 45 Die ethischen
Einwande gegen das Maximax-Prinzip sind, jedenfalls in unserer Epoche,
offensichtlich (Stichwort: Rechtfertigung der Sklaverei).
Alle vier Aggregationsmethoden fu hren also nicht blo– in plausiblen sondern in
recht haufig auftretenden Situationen zu inakzeptablen Konsequenzen … sie konnen
somit nicht fast analytisch und noch e inmal als 'synthetisch' wahr bezeichnet werden.
Die Entscheidung fu r eine dieser Aggregationsmethoden oder fu r irgendeine
'Mischung' derselben wird, auf der Ebene politischer Institutionen, vom jeweiligen
konkreten sozialen Geschehen abhangen, und auf der Ebene einer Person letztlich
von ihrem Charakter abhangen … dies gilt insbesondere fu r die Entscheidung zwischen einer sicherheitsorientierten versus risikofreudigen Ethik. Und wenn man denn
liberalistischen Standpunkt einnimmt, so sollte man Handlungs entscheidungen
u berhaupt in moglichst wenig Fallen vom Kollektivinteresse bestimmen lassen oder,
praktisch ausgedru ckt, den Einflu– der offentlichen Macht u ber das Individuum
moglichst gering halten. Freilich gibt es Fragen, wor u ber kollektive Entscheidungen
45 Ihm zufolge soll das utilitaristische Bewertungsverfahren nicht auf Einzel handlungen (Aktutilitarismus), sondern auch allgemeine Handlungsregeln
angewandt werden … welche Regel bringt auch lange Sicht den gro– ten Kollektivnutzen? (vgl. Frankena 1963, S. 33). Damit sollte ein Ausweg geschaffen
werden … den die Schadigung einer Minderheit bringt im Regelfall keine Erh ohung des Kollektivnutzens. Doch man kann sich leicht allgemei ne Regeln vorstellen, welche auf lange Sicht ebendies bewirken … eine Erhohung des Kollektivnutzen auf Kosten der Bildung extreme geschaigter Minoritaten, z.B. ein
Wirtschaftssystems das Slums produziert, wie wir sie von den U.S.A. kennen.
Dem Regelutilitarismus zufolge ware jede derartige Regel ethisch gerechtfertigt.
Ich erwahne dies nur am Rande, weil man bezweifeln kann, ob der Regelutil itarismus u berhaupt in die in deisem Kapitel besprochene ethische Theorienklasse
fallt.
57
unumganglich sind. Das naheliegenste und allen Demokratien faktisch zugrunde liegende Verfahren, in solchen Fallen Kollektiventscheidungen herbeizuf u hren (bzw.
die kollektive Nutzenfunktion festzulegen) ist das Mehrheitsprinzip. Dieses wird
allerdings immer dann hochst fragwu rdig, wenn eine Mehrheitsentscheidung 51%
ma– ig begu nstigt und dafu r 49% stark schadigt. Daru berhinaus kann dieses Verfahren zu irrationalen, namlich intransitiven kollektiven Praferenzen fu hren.46 Es handelt sich also mehr um ein pragmatisches Verfahren als um ein rationales Prinzip.
5.5.2.3 Minimale Aggregationsprinzipien
Bisher besprachen wir vollstandige Aggregationsprinzipien, welche uns fu r alle
gegebenen individuellen Nutzenverteilungen die jeweils 'richtige' ko llektive Nutzenfunktion liefern. Die Einwande gegen sie waren insgesamt vollig erdru ckend. Daher
hat
sich
bemu ht,
zumindest
gewisse
unvollstandige
minimale
Aggregationsprinzipien zu finden, welche frei von Ein wanden und daher
intersubjektiv akzeptierbar sind. Diese minimale Prinzipien schranken die moglichen
kollektiven Nutzenfunktionen auf gewisse 'erlaubte' ein; sie de terminieren, wenn
u berhaupt, nur fu r gewisse individuelle Nutzenverteilungen eine eindeutig bestimmte
kollektive Nutzenfunktion. Sie lassen sich rein komparativ formulieren, in Form
individueller und kollektiver Praferenzrelationen, die nicht einmal konnex oder
archimedisch sein mu ssen. Daher sind minimale Aggregationsprinzipien unserer
ersten Einwandsgruppe, den inadaquaten formalen Rationalitatsprinzipien, nicht
(unbedingt) ausgesetzt. Zwei der beru hmtesten minimalen Prinzipien stammen von
Pareto (1897) und besagen folgendes. Seien A und B zwei alternative kollektive
Optionen:
46 Vgl. Kutschera (1982, S. 135). Angenommen, das Kollektiv besteht aus drei
Personen 1, 2, und 3; die kollektiven Handlungsalternativen sind A, B und C,
und die individuellen Praferenzrelation sind: A< 1B<1C, B<2C<2A und
C<3A<3B. Die aufgrund des Mehrheitsprinzips bestimmte kolle ktive
Praferenzrelation ware dann A<B (1:2), B<C (1:2) und C<A(1:2), also
intransitiv.
58
Das schwache Pareto-Prinzip (swP): Wenn fu r alle Individuen A besser ist als B,
dann hat A kollektive Praferenz gegenu ber B.
Das starke Pareto-Prinzip (stP): Wenn fu r alle Individuem A nicht schlechter
und fu r einige A besser ist als B, dann hat A kollektive Praferenz gegenu ber B.
(schwP) und (stP) lassen sich nur auf solche individuelle Interessens verteilungen
anwenden, in denen keine individuellen Interessenskonflikte vorhanden sind. Dies
ist in der Tat ein (fast nie auftretender) Spezialfall … fu r diesen aber scheinen
(schwP) und (stP) ziemlich evident zu sein. U berraschenderweise kommen diese
beiden Prinzipien dennoch mit einigen ebenfalls hochst plausiblen minimalen
Prinzipien in Konflikt (Kutschera 1984, S. 131ff). Das Unabhangigkeitsprinzip (U)
besagt, da– die kollektive Praferenz zwischen zwei kollektiven Optionen A und B
nur von den individuellen Praferenzen zwischen A und B, nicht aber von den
individuellen Praferenzen zwischen anderen Optionen (C, D etc.) abhangen soll. Das
Nichtdiktatorprinzip (N) schlie– t aus, da– es ein Kollektivmitglied einen 'Diktator') P
gibt,
dessen
individuelle
Praferenzrelation
bei
allen
individuellen
Praferenzverteilungen mit der kollektiven Praferenz u bereinstimmt. Arrow (1951)
hat bekanntlich gezeigt, da– keine kollektive Nutzenfunktion zugleich (swP), (U)
und (N) fu r beliebige individuelle Nutzenverteilungen erfu llen kann (vgl. Sen 1970,
Kap. 3). Man kann allerdings plausibel argumentieren, da– das Prinzip (U) in
Konfliktfallen an Einsichtigkeit verliert und daher als generelles Prinzip aufz ugeben
ist (Kutschera 1984, S. 132).
Ein noch krasseren Konflikt hat Sen bewiesen … zwischen (swP) und dem
Liberalitatsprinzip. Wir gewohnt sind, gewisse Handlungen einer Person P, wie das
Gie– en des eigenen Gartens usw., als zu ihrem Privatbereich geh orig zu betrachten,
u ber dem sie allein und autonom bestimmen. Man beachte, da – derartige Privathandlungen auch in der Klasse moglichen Kollektivhandlungen aufscheinen … als
Handlungslisten, worin lediglich Person P eine 'Privat handlung' ausfu hrt und alle anderen Kollektivmitglieder nichts tun. Das Liberalitatsprinzip (L) besagt nun, da– es
fu r jede Person P zumindest einige solcher 'Kollektivhandlungen' A, B ( Ü ) geben,
deren kollektive Praferenz allein von ihrer individuellen Praferenz bestimmt wird.
59
Sen (1970, S. 87f) hat bewiesen, da– keine kollektive Nutzenfunktion zugleich (swP)
und (L) fu r alle individuellen Praferenzverteilungen erfu llen kann, und zwar wie
folgt. Gegebenen die Privatpraferenzen zweier Personen P und Q, A> PB und C>QD.
Gema– (L) mu – te also fu r die kollektive Praferenz (>) A>B und C>D gelten. Angenommen aber, fu r alle Kollektivmitglieder X gilt B> XC und A>XD. Gema– (swP)
mu – te dann auch B>C und A>D gelten, was zu einer inkoharenten (intransitiven)
kollektiven Praferenz fu hrt.
Man beachte, da– mit (swP) auch (stP) fragwu rdig wird, denn (swP) ist eine
logische Abschwachung von (stP). Es gibt folgende Gru nde, im Konfliktfall (swP)
gegenu ber (L) vorzuziehen. Sens Konstruktion impliziert, da – die Privatpraferenz
beiden Personen mit den individuellen Praferenzen von zumindest einigen anderen
Personen in Konflikt gerat: jede Person, die wie Q C gegenu ber D vorzieht, mu– im
Widerspruch zu P's Praferenz B gegenu ber A vorziehen (der Transitivitat halber);
analoges gilt fu r Q widersprechende Praferenzen. Das Liberalitatsprinzip ist jedoch
fu r den Fall, wo die Privatpraferenz einer Person mit der Praferenz anderer Personen
in Konflikt gerat, bezweifelbar und zweifellos nicht mehr fast analytisch wahr. In
meinem Garten einen Baum zu pflanzen oder auffallende Moden ist, wie man sagt,
meine Privatsache, und wird doch moralisch bezweifelbar, wenn der Baum dem
Nachbar die Sonne wegnimmt oder mein Anblick die Nachbarin jedesmal entsetzt.
Nur im Fall, wo meine Privatpraferenz die der anderen nicht oder in 'vernachlassigbarer Weise' stort, ist das Liberalitatsprinzip zweifelsfrei - in diesem Fall aber wird
es bereits durch das starke Pareto-Prinzip abgedeckt(!). Ich denke, da– es also guten
Grund gibt, die beiden Pareto-Prinzipien als die subjektiv-reduktionistischen einzigen Bru ckenprinzipien anzuerkennen, die zumindest in die Nahe der Fast-Analytizitat gelangen. In der Tat lassen sich beide Prinzipien allein durch unsere Gl u cksbedingung plausibel machen und sind insofern im Bedeu tungskern von gut zumindest 'vage' enthalten, wenn man davon aus, da– ein Mensch sein Glu ck dadurch
erhoht, da– er sein Interesse realisiert … wobei freilich ein subjektiv nichtambivalentes Interesse und kein intrasubjektiver Interessenskonflikt gegeben sein mu– (s. Kap.
5.7). Die einzigen Falle namlich, wo zweifelsfrei von einer Erhohung des
60
Gesamtglu cks gesprochen werden kann, sind jene, wo keine Interessenskonflikte
vorliegen … also die Antecedensbedingungen beider Pareto -Prinzipien. Dagegen
entzieht sich die Glu cksbedingung einer Stellungnahme daru ber, ob und inwieweit
das Glu ck der einen durch das Unglu ck anderer zu rechtfertigen ist.
Die entscheidende Schwache der beiden Pareto-Prinzipien ist nicht ihre ethische
Fragwu rdigkeit, sondern ihre empirische Leerheit. Bedenken wir, da– aus der strengen Intersubjektivitatsperspektive das zugrundeliegende Kollektiv alle Menschen
umfassen mu– , nicht nur jeder der Gegenwart, sondern auch vergangene und
zuku nftige. Es gibt aber, wie im nachsten Kapitel zu sehen ist, keinen oder
zumindest fast keinen Sachverhalt, dessen Realisierung im Interesse aller Menschen
liegt. (swP) ist also (zumindest fast) leer. Aber auch (stP) ist fast leer. Fast jeder
Sachverhalt, dessen realisierung im Interesse einiger Personen steht, konfligiert mit
den Interessen von einigen anderen Personen, wenn auch nur schwach. Dies ist
natu rlich dann der Fall, wenn die Menschen (wie in der gegenwartigen Zeit) auf
dichtem Raum leben; es ist aber auch unabhangig von geographischen Bedingungen
immer dann der Fall, wenn es zwischenmenschliche Feindschaften gibt, aufgrund
derer die eine Person erquickt, was immer ihrem Feind schadet. Dennoch ist (stP)
und nicht einmal (swP) vollig leer … was nichts daran andert, da– sie als Grundlage
einer gehaltvollen Ethik viel zu schwach sind.
5.6 Intersubjektive Koinzidenztheorien
Bei diesem in der naturalistischen Ethik und im Naturrecht verankerte Theorie typus handelt es sich um eine qualitative (statt komparative) Version des schwachen
Pareto-Prinzips. Was im Interesse aller Menschen liegt, so die Grundidee dieser
letztlich auf Aristoteles (NE I, 1, 1094a) zuru ckgehenden Ansatzes, mu sse als
ethisch gut anerkannt werden (fu r eine Rekonstruktion vgl. Weingartner 1983, S.
529). Wahlen wir Int(x,A) als (zweistelligen, zweisortigen) Satzoperator fu r "Sachverhalt A liegt im Interesse von Person x", so hat dieses BP daher die Form (IK):
"xInt(x,A) → WA (W fu r ethisch wertvoll).
61
5.6.1 Der Konfusionseinwand
Wie man haufig hort, gabe es eine Reihe von Sachverhalten, nach denen alle
Menschen streben: so strebe jedermann nach der Erhaltung seines Lebens oder nach
Wohlstand, weshalb gema– (IK) die Erhaltung menschlichen Lebens oder Wohlstand
ethisch gut sei. Genau dies war die Argumentation des klassischen Naturrechts (vgl.
Aquinas 1258-64, 3. Buch, II. Teil, Kap. 213,1; Hobbes 1651, S. 94-102);
Weingartner (1983, S. 540f) argumentiert ebenso. Dennoch liegt hier eine
fundamentale logische Konfusion von (IK) mit einem ganz anderem Prinzip vor .
Wenn jedermann nach der Erhaltung seines Lebens strebt, so hei– t dies nicht im
mindesten, jedermann erstrebe dasselbe. Ich strebe nach meinem Leben, du dagegen
nach deinem, das sind zwei recht verschiedene Dinge, die unter Umstanden, z.B. in
Hungerszeiten, sogar miteinander in Konflikt geraten konnen (vgl. auch Kutschera
1984, S. 34, Fn. 38). Was hier die gleichen Interessen aller Menschen genannt wird,
sind in Wahrheit nicht gleiche Interessen, sondern egoistische Interessen desselben
reflexiven Typs … weshalb ich bei diesem Prinzip vom kollektiven Ego-Prinzip (KE)
spreche. Man kann den Unterschied zwischen (IK) und (KE) auf einen pr azisen logischen Punkt bringen. Das Prinzip (IK) lautet "xInt(x,A) → WA, wobei A einen bestimmten Sachverhalt bezeichnet und daher ein Satz ohne freie Individuenvariablen
sein mu– . Das Prinzip (KE) hat dagegen die Form (KE): "xInt(x,A[x]) → W"xA[x]
… wobei A[x] eine Formel mit x als freier Individuenvariable ist … und besagt informell: wenn jeder Mensch erstrebt, da– er im Zustand A[x] ist, dann ist es gut, wenn
alle sich im Zustand A[x] befinden.
Der Klarung halber sei bemerkt, da– in Naturrechtstheorien das Prinzip (KE)
haufig dazu dient, nicht Werte oder Pflichten sondern Rechte zu begru nden. Was im
egoistischen Interesse aller Menschen liegt … zu leben, sich zu ernahren … da– ist
auch das Recht aller Menschen. Ein Recht einer Person P, A zu tun, impliziert
einerseits, da– es P erlaubt ist, A zu tun, aber voralledem, da– es allen anderen verboten ist, P daran zu hindern. Rechte implizieren also Verbote, und somit Pflichten
(denn ein Verbot ist die Pflicht, eine Handlung zu unterlassen). Oft korrespondieren
62
ethische Werte oder Gebote mit juridischen Rechten: der Rechtsstaat darf nie manden
zu 'seinem Recht' zwingen (dies ware eine Verletzung individueller Freiheiten); doch
mu– andere davor abhalten, jemanden 'sein Recht' zu nehmen.
(KE) wird aber fragwu rdig, sobald die individuellen Interessen konfligieren. So
strebt jeder nach einem eigenen Hauschen mit Garten, doch es ist unmo glich (und
daher aufgrund des Sollen-Konnen-Prinzips ethisch nicht erstrebenswert), da– jedermann ein Hauschen mit Garten besitzt, und selbst wenn es mo glich ware, so wu rde
das kaum jemand erstreben, da es mit einer Zerstorung jeglichen Rests von Natur
verbunden ware. In Situationen extremer U berbevolkerung gilt ahnliches sogar fu r
die Erhaltung des eigenen Lebens: z.B. fu hrt das "Caritas-Prinzip", jedes hungernde
afrikanische Neugeborene moglichst am Leben zu erhalten, nur dazu, da– es in der
nachsten Generation noch wesentlich mehr Hungertote gibt, und ist in soferne
moralisch bezweifelbar (vgl. Schurz 1987). Das Prinzip (KE) ist lediglich in
Situationen ohne individuelle Interessenskonflikte zweifelsfrei akzeptabel. In diesen
Situationen wird es jedoch (ahnlich wie das Liberalismusprinzip) vollst andig durch
das starke Pareto-Prinzip gedeckt, denn dann liegt, fu r jede Person x, die Realisierung des Zustandes A[x] im Interesse von x und widerspricht dem Interesse keiner
anderen Person y x, weshalb gema– (stP) fu r alle x WA(x,A) gilt, woraus mittels
Barcan-Formel W "xA(x,A) folgt.
5.6.2 Der Leerheitseinwand
Im Gegensatz zu (KE) ist (IK) … die qualitative Version von (swP) … ein
naherungsweise fast-analytisch wahres BP. Sein Problem liegt, wie schon
angedeutet, in seiner empirischen Leerheit. Welcher Sacjverhalt wird schon von
allen Menschen erstrebt? Selbst bei so fundamentalen Zielen, wie da– unser
O kosystem intakt bleibt oder genug Luft zum Atmen vorhanden ist, liegt im Grun de
die
kollektive
Ego-Situation
und
nicht
die
(IK)-Situation
vor:
jede
Menschheitsgeneration erstrebt, da– zu ihrer Zeit genug Luft zum Atmen vorhanden
ist, und ku mmert sich leider wenig darum, ob auch fu r alle spateren Generationen
genug Luft zum Atmen da sein wird … denn die Befolgung dieses Ziels mu – te mit
63
extremen wirtschaftlichen Einbu– en der Gegenwart erkauft werden. Dennoch
werden wir am Schlu– der Arbeit etwas finden, das aus biologischen Gru nden von
allen erstrebt wird und die Grundlage unseres Strebens nach Ethik bildet.
5.7 Intrasubjektive Theorien
Selbst im Felde intrasubjektiver Theorien, wo das intersubjektive Aggre gationsproblem entfallt und lediglich personenrelative Wertaussagen "A ist ein Wert f u r
Person x" aufgrund der Interessen von x begru ndet werden sollen, liegen zwar weniger massive aber doch analoge Schwierigkeiten vor. Dies dokumentiert vorz u glich
der Versuch von Black (1969) zur Etablierung von SSSen. Black (1969, S. 113)
schlagt folgendes Sein-Sollen-Prinzip als "allgemein gu ltig" vor: Wannimmer eine
Person P Sachverhalt A erstrebt, und B ist ein notwendiges und hinreichendes Mittel
fu r A, so soll x so handeln da– B.47 Blacks Beispiel ist Fischer, der Botwinik im
Schach schlagen will und wei– , die mit einem Damenzug und nur damit tun zu
konnen … weshalb, so Black, Fischer den Damenzug ausfu hren soll. Sofort aber gibt
Black zu bedenken, da– Situationen denkbar waren, wo die Schachmattsetzung Botwiniks derartig unangenehme Nebenfolgen hatte, da– Fischer von seinem Damenzug
eher abzuraten ware … z.B. wenn ein neues Schachmatt den von Erfolglosigkeit tief
deppresiven Botwinik in den Suizid treiben k onnte. Black schrankt in der Folge sein
Prinzip daher auf den Spezialfall ein, wo die Realisierung von B au – er der der
Realisierung von A keinerlei zusatzliche Nebenfolgen hat (1969, S. 113). In dieser
Version ist Blacks Prinzips in der Tat fast analytisch wahr, aber leider auch fast
vollig gehaltleer, denn fast alle Handlungen haben neben der intendierten Folge auc h
nichtintendierte Nebenfolgen.
Jede individuelle Handlung A hat eine Reihe von Folgen F. Wir nennen die N u tzlichkeit der A-Folge F die Nu tzlichkeit von A in Hinsicht F und schreiben dafu r
47 Black bringt sein Beispiel in Argumentform, wahrend wir es in die Form eines
Wenn-Dann-Satzes kleiden.
64
u(A,F). Diese Hinsichten, in denen eine Handlung nu tzlich oder schadlich ist,
konnen in verschiedenen Dimensionen klassifiziert werden, z.B. in zeitlicher
Dimension (kurzfristiger Nutzen versus langfristiger Schaden). Man kann auch
Praferenzen verschiedener Ordnung einfu hren: so besitze ich die Praferenz 1.
Ordnung, zu rauchen, aber die Praferenz 2. Ordnung, die zuvor genannte Praferenz
nicht zu haben (Birnbacher 1988, S. 32). Sei F eine Variable u ber derartige
Hinsichten, so stehen also intrasubjekktive Theo rien dem Problem gegenu ber, die
hinsichtenrelativen Nutzwerte u(A,F) in eine Gesamtnu tzlichkeit u(A) zu
aggregieren. Die Situation ist offenbar analog der intersub jektiven Situation, blo–
stehen statt Personen P nun Hinsichten F (welche man sich u brigens oft wie 'innere
Personen' vorstellt und miteinander kommunizieren la– t). Alle Einwande gegen
intersubjektive Aggregationstheorien u bertragen sich auf die intrasubjektive
Situation … erstens ist es natu rlich ebenso zweifelhaft, ob individuelle Nutzwerte
u berhaupt quantifizierbar sind, und zweitens gibt e s verschiedene miteinander
konfligierende Aggregationsmethoden. Gerade im intrasubjektiven Bereich ist die
Frage der Wahl einer Aggregationsmethode eine Frage des perso nlichen Charakters
… der eine liebt noch mit 60 (falls er dann noch lebt) die Leidens chaft und ihr Risiko,
der andere dagegen kalkuliert schon mit 25 seine Pensionsanspr u che. Wie im
intersubjektiven so sind auch im intrasubjektiven Bereich die einzigen fast analytisch wahren Bru ckenprinzipien jene, welche auf die Situation nichtkonfligierender Handlungsfolgen beschrankt sind … also das schwache und das starke
Pareto-Prinzip. Liegt also ein Sachverhalt A in allen Hinsichten in P's Interesse
(swP), oder liegt er zumindest in einigen Hinsichten in P's Interesse ohne da – er in
anderen Hinsichten P schadet (stP), so ist A fur P wertvoll. Wir sprechen hier von
einem nichtambivalenten Interesse der Person P. In der Tat du rfte es einige wenige
Sachverhalte oder Handlungen geben, welche im nichtambivalenten Interesse einer
Person liegen, doch zweifellos au– erst wenige. Die beiden intrasubjektiven ParetoPrinzipien zwar nicht so leer wie die intersubjektiven, doch ihr Anwendungsbereich
ist ebenfalls sehr gering und eine gehaltvolle intrasubjektive Ethik kann sich darauf
nicht gru nden.
65
5.8 Objektive Theorien
Obzwar objektive Theorien eine lange Tradition haben, sind die Einw ande gegen
sie … jedenfalls im 'aufgeklarten Zeitalter … so offensichtlich, da– wir uns sehr kurz
halten konnen. Entsprechend der Natur des 'objektiven' Sachverhalts, von dem auf
ethische Eigenschaften geschlossen wird, lassen sich die BPs in biologistische,
soziologistische, rechtspositivistische und religio se einteilen.
Das BP der evolutionaren Ethik bezeichnet alles als ethisch gut, was der Evolution des Lebens dient. Dieser von Spencer (1895) vertretene und auch "Sozialdar winismus" genannte Ansatz (vgl. Jonas 1976, S. 244f) ist zweideutig. Entweder "Evolution des Lebens" wird als streng biologisch -deskriptiver Begriff verstanden … aber
dann fragt sich, warum das, was die biologische Evolution produziert, immer ethisch
gut sein sollte. Sollte es ethisch gut sein, wenn in 2000 Jahren nur noch Insekten
u berlebt haben? Oder aber, "Evolution" wird als ethischer Begriff, als Entwicklung
zum "Hoheren" im Sinn des ethisch Wertvollerem gedeutet … aber dann ist das BP
zirkular, denn dann besagt es, ethisch wertvoll sei, was zu ethisch Wertvollem
fu hrt.48
Man erkennt hier schon die generelle Strategie gegen objektivistische BPs
jeglicher Art. Wird der objektive Sachverhalt, auf den sie sich berufen, wirklich
streng deskritpiv gedeutet, so sind sind diese BPs dogmatisch, denn sie berufen sich
auf eine rational nicht zu rechtfertigende 'Autorit at'. Werden diesem Sachverhalt
dagegen implizite ethische Attribute unter stellt, so sind die BPs zirkular und somit
auch keine wirklichen BPs. Das BP sozialer Fortschrittstheorien (etwa des Marxismus) la– t sich analog behandeln … je nach Deutung des 'objektiven' Konzepts von
sozialem Fortschritt ist es dogmatisch oder zirkul ar. Auch fu r das zentrale BP aller
religio ser Ethiken … gut ist alles, was Gott will … gilt dasselbe: wird Gottes Wille
mithilfe ethischer Eigenschaften definiert, so ist das BP zirkul ar, wird sein Wille
48 Fu r detaillierte Kritik s. Moore (19023, S. 48ff) und Kutschera (1984, S. 184ff).
66
dagegen streng deskriptiv festgelegt … z.B. als alles, was in der Bibel steht oder was
autorisierte Kirchenvertreter daraus lesen …
so ist das BP dogmatisch. Das BP des
Rechtspositivismus identifiziert schlie– lich das zu ethisch Gu ltige mit dem zum
gegeben Zeitpunkt faktisch anerkannten Recht. Abgesehen von der extremen Relativierung des ethisch Gu ltigen, welches es impliziert, ist auch dieses BP dogmatisch,
denn die Berufung auf die Autoritat des faktischen Rechts kann die intersubjektive
Rechtfertigung natu rlich nicht ersetzen. Anders wird es, sobald man das Recht als
ethisch gerechtfertigt voraussetzt … doch dann wird das BP, wie alle anderen, zirkular.
5.9 Zusammenfassung
Die Untersuchung aller bedeutenden ethischen Theorien hat nur vier BPs ergeben,
welche fast-analytisch wahr sind oder diesem Status zumindest nahe kommen: das
Zweck-Mittel-Prinzip (ZM), das Sollen-Konnen-Prinzip (SK), das schwache und das
starke Pareto-Prinzip (swP) und (stP). Wahrend sich die ersten beiden als trivial
erwiesen, erwiesen sich die beiden letzteren als fast leer. Zusammengenommen mit
den logischen Resultaten mu ssen wir das verscharfte SSP im Standard-Sinn somit
negativ beantworten. Es gibt keine oder zumindest fast keine *sinnvollen* ethischen
Konklusionen, welche aus rein deskriptiven Pramissen analytisch folgerbar waren.
6. Das synthetische SSP
Bereits das vorangehende Kapitel legt eine negative Antwort auf das syn thetische
SSP nahe. Denn die diskutierten Einwande machen die untersuchten BPs auch dann
sehr zweifelhaft, wenn man sie als synthetisch ansieht . Dennoch la– t sich zum synthetischen SSP wesentlich Tiefergehenderes sagen. Wie konnte ein synthetisches,
also erfahrungsbezogenes Rechtfertigungsverfahren f u r BPs u berhaupt aussehen?
Wir wollen dabei voraussetzen, da– ethische Merkmale sind keine Beobachtungsmerkmale sind (wahrend wir die alternative Aufassung, den ethischen Empi rismus,
in Kap. xx diskutieren). Daä dieser Greis gefuttert wird, kann ich (und jedermann)
67
beobachten, daä das Futtern des Greises jedoch gut (oder schlecht) ist, ist nicht Resultat meiner Beobachtung, sondern meiner ethischen Interpretation. Dies ist die
Standardauffassung, welche auch allen reduktionistischen Theorien zu grundeliegt,
denn waren ethische Mermkale beobachtbar, so gabe es ja keine Notwendigkeit, sie
… analytisch oder synthetisch … auf deskriptive und letztlich beobachtbare Merkmale
zuru ckzufu hren.
Da ethische Begriffe keine Beobachtungsbegriffe sind, ist eine Recht fertigung
ethischer Satze durch induktive Verallgemeinerung empirischer Daten nicht moglich. Dasselbe trifft aber auch auf die Theorien empirischer Wissenschaften zu. Seit
den Arbeiten von Carnap (1936/37, 1956) und Hempel (1950, 1951) ist es wissen schaftstheoretisches Allgemeingut, da– auch wissenschaftliche Theorien in u berwiegender Zahl sogenannte theoretische Begriffe (wie Kraft, Ladung, etc.) enthalten,
welche reale Merkmale ausdru cken, die nicht direkt beobachtbar, sondern nur in direkt erschlie– bar sind. Diese theoretischen Begriffe sind durch Zuordnungsgesetze
mit Beobachtungsbegriffen (wie Ort, Zeit, Geschwindigkeit) verbunden. Zuordnungsgesetze sind nicht analytische, sondern synthetische Bestandteile der Theo rie.
Das Charakteristikum dabei ist, da– weder die theoretische Gesetze noch die
Zuordnungsgesetze in isolierter Form noch keine empirischen Konsequenzen
besitzen und daher empirisch weder bewahrbar noch schwachbar sind. Nur die
Gesamttheorie, die Konjunktion aller ihrer Bestandteile, hart empirische Konse quenzen und ist als Ganzes empirisch bewahrbar oder schwachbar. Dies ist der (auf
Duhem 1908. Kap. 10, ´ 2-3 und Quine 1951, ´ 5-6) zuru ckgehende Holismus der
Theorienbewahrung. Eine wissenschaftliche Theorie ist als umso bewahrter anzusehen, je mehr empirische Phanomene sie voraussagt und erklart, und umso besser und
einheitlicher sie dies tut (vgl. Schurz/Lambert 1994). Und je mehr eine Theorie in
diesem Sinne empirisch bewahrt ist, umso mehr vertrauen wir auch ihren Einzelbestandteilen und den in ihr enthaltenden theo retischen Begriffsbildungen.
Konnen wir nicht analog auch ethische Begriffe ganz als eine Art theoretischer
Begriffe ansehen, BPs als eine Art von Zuordnungsgesetzen, und ethische Theorien
ganz analog wie physikalische Theorien holistisch rechtfertigen? Ethische Theorien
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waren in dieser Auffassung also Satzsysteme, welche sowohl rein ethische S atze,
BPs und rein deskriptive Satze enthalten, und welche eine Reihe empirischer Konsequenzen implieren, mithilfe derer sie in holistischer Weise u berpru fbar sind. Die
empirischen Konsequenzen waren Prognosen u ber Befindlichkeit und Verhalten von
Personen oder Gruppen unter verschiedensten Umstanden, und je besser die die
derartigen empirischen Prognosen ethischer Theorien mit dem tats achlichen Verhalten von Personen u bereinstimmen wu rden, als umso bewahrter die fraglichen
Theorien und damit auch die in ihnen enthaltenen BPs anzusehen. K onnte man
ethische Theorien und ihre BPs tatsachlich auch diese Weise 'synthetisch' rechtfertigen … ware dies ein letzter 'Hoffnungsanker' des Vertreters von SSSen?
Ich denke nein, denn ein fundamentale Einwande sprechen dagegen. Es ist nicht
die Funktion ethische Satzsysteme, das faktische Verhalten der Menschen zu erklaren oder vorauszusagen, sondern anzuleiten und ethisch zu verbessern. Gegeben
zwei rivalisierende ethische Theorien T 1 und T2, wovon T1 das empirische Verhalten
der Menschen unseres Kulturraumes besser erklart und voraussagt. Impliziert dies,
da– Theorie T1 als ethisch adaquater anzusehen ist als T 2? Sicherlich nicht. Es
impliziert bestenfalls, da– T1 als Theorie der empirischen Soziologie bewahrter ist
als T2, z.B. weil T1 genauere Gesetze u ber das egoistische Kaufverhalten der
Menschen enthalt als T2. Dennoch und vielleicht gerade deshalb kann T2 die
adaquatere ethische Theorie sein, denn sie stellt nicht Prognosen u ber menschliches
Verhalten unter statistischen Normalbedingungen, sondern unter (ethischen) Idealbedingungen an, um den Menschen zu sagen, wie sie ihr Verhalten verbessern konnen.
Aber auch physikalische Theorien, so konnte man erwidern, beziehen ihre
Prognosen (zumeist) auf Idealbedingungen, z.B. auf Bewegungen im Vakuum … liegt
nicht doch eine Parallele vor? Konnte man, wenn man genau definiert, was unter der
Verbesserung des Verhaltens zu verstehen ist, ethische Theorien nicht analog zu
physikalischen Theorien auffassen, welche fu r gewisse idealisierende Bedingungen
ein gewisses (verbessertes) Verhalten prognostizieren? Wieder nein … denn was unter
verbessertem Verhalten zu verstehen ist, ist von ethischer Theorie zu ethischer
69
Theorie ganz verschieden. Daher ist es unmoglich, durch empirische Bewahrung die
ethisch adaquatere Theorie herauszufinden. Das folgende Beispiel soll diesen ekla tanten Unterschied zwischen der Situation in der Ethik und der Physik illustrieren.
Nehmen wir das 2. Newtonische Gesetz (N1) und konfrontieren wir einer von
Aristoteles postulierten und im Spatmittelalter nach und nach verworfenen
Alternative (N2):
(N1): Die Kraft, welche auf einer Ko rper x zurZeit t wirkt, ist proportional der
Masse von x mal der Beschleunigung von x zu t.
(N2): Die Kraft, welche auf einen Ko rper x zur Zeit t wirkt, ist proportional der
Masse von x mal der Geschwindigkeit von x zu t.
Isoliert betrachtet konnen wir zwischen (N1) und (N2) durch empirische Untersuchungen noch gar nicht unterscheiden, denn (abgesehen von der Frage der
Massenmessung) der Kraftbegriff ist ein theoretischer Begriff, und ohne ein wei teres
Zuordnungsgesetz fu r den Kraftbegriff sind sowohl (N1) wie (N2) empirisch gehaltlos.49 Newton hatte ein solches Zurodnungsgesetz gefunden, in Form des Gravi tationsgesetzes
(N1*) Die Gravitationskraft zwischen zwei Ko rpern x und y zur Zeit t ist
proportional dem Produkt der Massen von x und y dividi ert durch das Quadrat
ihres Abstands
und wie sich erwies, hatten nun (N1)+(N1*) zusammen u berwaltigend viele und in
der Tat zutreffende empirische Konsequenzen … die Bewegung von frei fallenden
Korpern auf der Erdoberflache (die Galileischen Fall- und Wurfgesetze), die Bewegung der Planeten im Schwerefeld der Sonne (die Keplerschen Gesetze), die be wegungen der Gezeiten, usw. Zum Aristotelischen Gesetz (N2) lie– sich dagegen
bekanntlich kein adaquates Zuordnungsgesetz (N2*) finden, das die empirischen
Bewegungsphanomene auch nur annaherend so erfolgreich und hoharent hatte
erklaren konnen … im Gegenteil ergab jeder derartige Versuch sofort diverse Kon -
49 Fu r jede Massen- und Beschleunigungs- (bzw. Geschwindigkeits-)funktion la– t
sich eine Kraftfuntkion erfu llen, die (N1) bzw. (N2) erfu llt; vgl. Sneed (1971).
70
flikte mit den empirischen Daten. Daher gibt es guten Grund, an die physikalische
Realitat von Kraften, so wie in der 'Mini-Theorie' (N1)+(N2*) expliziert ist, zu glauben, und ebenso guten Grund, die Realitat von Kraften, so wie im empirisch gescheiterten Gesetz (N2) expliziert, zu bezweifeln. Die empirische U berpru fung ergibt
einen eindeutigen Ausschlag.
Vergleichen wir dies mit der Situation in der Ethik. Betrachten wir die folgenden
zwei ethischen BPs:
(E1): Jene Handlungsweise, welche Vermo gen oder Besitz der handelnden Person
am sichersten gewahrleistet, ist gut.
(E2): Jene Handlungsweise, welche die unmittelbaren Wunsche einer Person am
besten befriedigt, ist gut.
Wieder konnen wir zwischen diesen beiden (E1) und (E2) in Isolation betrachtet
empirisch nicht entscheiden, denn analog zum physikalischen Beispiel ist der Begriff
"gut" ein theoretischer Begriff, und ohne ein weiteres Zuordnungsgesetz f u r "gut"
sind beide Gesetze empirisch gehaltlos. Der ontologisch entscheidende Unterschied
ist nun aber, da– sich der Begriff "gut" nicht, sowie im physikalische Fall, auf eine
subjektunabhangig existierendes reales Phanomen bezieht, welches durch die
ethische Theorie besser oder schlechter erfa– t werden kann … soda– wie die Auswahl
zwischen (E1) und (E2) 'der Natur u berlassen' konnen. Was "gut" ist bzw. "Verhaltensverbesserung" bedeutet, ist selbst eine ethische Auffassungsfrage. Deshalb ist
es auch ein leichtes, ein in die jeweilige ethische Theorie passendes 'Zuord nungsgesetz' fu r 'gut' zu finden … jede ethische Theorie interpretiert den Begriff "gut" ganz
einfach in ihrem Sinn:
(E1*): Ist die Handlungsweise einer Person gut gemaä (E1), so wird ihr Leben Ც
obzwar vielleicht langweilig Ც ein Leben in Wohlstand sein.
(E2*): Ist die Handlungsweise einer Person gut gem aä (E2), so wird ihr Leben Ც
obzwar vielleicht kurz Ც sehr intensiv sein.
Unsere beiden rivalisierenden ethischen 'Minitheorien' (E1)+(E1*) sowie (E2)+(E2)*
implizieren nun tatsachlich folgenden empirischen Prognosen:
(K1): Jene Handlungsweise, welche Vermo gen oder Besitz der handelnden
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Person am sichersten gewahrleistet, wird dazu fuhren, daä die Person ein
(allerdings vielleicht langweiliges) Leben in Wohlstand f uhrt.
(K2): Jene Handlungsweise, welche die unmittelbaren Wunsche einer Person
am besten befriedigt, wird dazu fuhren, daä die Person ein sehr intensives
(obzwar vielleicht kurzes) Leben fuhrt.
Beide Prognosen sind synthetisch und (h ochstwahrscheinlich) wahr … und zwar aus
trivialen Gru nden. Eine Entscheidung zwischen beiden Alternativen aufgrund ihrer
empirischen Bewahrung ist also gar nicht moglich … aber sie ware in er Tat auch
ganz unsinnig. Die beiden ethische Theorien gehen einfach von einem anderen
ethischen Ideal aus … hier materieller Wohlstand, dort Intensitat und Leidenschaft.
Natu rlich konnen beide Theorien prognostizieren, da– wer diesem Ideal entsprechend lebt, auch die diesem Ideal entsprechenden Konsequenzen ernten wird … wu rde aber jemand aufgrund des Zutreffens solcher Prognosen die ethische Adaquatheit
diese Ideale beurteilen, so wu rde man ihn wohl belehren, er hatte nicht ganz verstanden, was Ethik ist. Welchem dieser (und anderer) ethischer Ideale wir uns
zuwenden ist … und das ist der Punkt des ganzen Aufsatzes … keine Frage, die durch
irgendein intersubjektives und wissenschaftliches Rechtfertigungsverfahren ent schieden werden kann, sondern eine Frage des Charakters, der Sozialisation, und
letztlich auch der freien Entscheidung. Dies war ja auch Hume's gro– e Entdeckung,
und die philosophische Grundlage seiner Sein -Sollens-These, da– namlich "morality
consists not in any relations, that are the objects of science"Ü "It lies in yourself, not
in the object" (1739/40, Part I, ´ 1, S. 177). Damit ist also auch die Antwort auf das
synthetische SSP negativ, und die erweiterte Hume-These ist in ihrer verscharften
Fassung als philosophisch im gro– en und ganzen bestatigt anzusehen.
7. Autonomistische Theorien
Um zu allgemeinen Aussagen u ber die Grenzen der Rechtfertigung ethischer
Theorien zu gelangen, bedarf es noch einer Diksussion der beiden Hauptvertretern
autonomistischer Theorien, freilich in aller Ku rze, da es sich hier um eine Art
72
Ausblick handelt.
7.1 Empiristische Theorien
Dieser Auffassung zufolge sind gewisse singul are ethische Sachverhalte direkt
beobachtbar. Ein prominenter Vertreter dieser Auffassung war Hume selbst. 50 Er
sprach von einem moralischen Sinn, welcher freilich nicht auf die au– eren biologischen Sinne reduzierbar ist, sondern angesichts des (mittels der biologischen Sinne)
beobachteten Sachverhalts eine moralischer Empfindung der Billigung oder Verwerfung hervorruft. Die entscheidende Frage ist freilich: kann man solche moralische
'Empfindungen' tatsachlich, in Analogie zur au– eren Wahrnehmung als 'moralische
Beobachtungen' deuten, oder handelt es sich dabei nicht vielmehr um mora lische Interpretationen des Beobachteten? Von moralischen Beobachtungen zu sprechen w are nur dann gerechtfertigt, wenn dieser moralische 'Sinn' biologisch determiniert
ware, also unabhangig von sozialen und kulturellen Einfl u ssen bei allen Menschen
in gleicher Weise funktionieren wu rde. Das dem ethischen Empirismus zugrundeliegende Rechtfertigungsprinzip ist daher folgenderma – en zu formulieren: 51
(E)
Wenn jeder Mensch unter Normalbedingungen der Beobachtung beobachten
wurde, daä A gut ist, dann ist A gut.
A ist ein singularer deskriptiver Sachverhalt, und unter Normalbedingungen sind die
fu r biologische Sinneswahrnehmung erforderlichen Be dingungen zu verstehen, wie
da– Sinne und Kognition des Beobachters in einem biologisch normal ent wickeltem
Zustand sind, da– seine Sinne auf das beobachtete Geschehen gerichtet, etc. 52 Zunachst fallt auf, da– es sich beim Prinzip (E) um ein BP handelt, da sein Wenn-Glied
50 Vgl. Hume (1739/40, S. 178; 1752, S. 289); andere Vertreter sind Kutscher a
(1984, S. 226ff) und Weingartner (1985).
51 Wie Stevenson (1944, S. 274) und Hunter (1969, S. 62), in Kritik an Hume's For mulierung, betonten, mu– im Antecedens u ber alle Beobachter quantifiziert
werden, da (E) bei divergierenden Resultaten verschiedene r Beobachter sonst
widerspru chliche ethische Konklusionen liefern wu rde.
52 Diese Bedingungen sind empirisch u berpru fbar … vgl. Schurz (1988a, S. 312ff)
73
deskriptiver Natur ist (vgl. Kap. xx), und sein Dann-Glied ethischer Natur. Formal
gesehen la– t sich also auch der ethische Empirismus in die Diskussion von BPs ein reihen, obwohl er philosophisch nicht den reduktionistischen, sondern den autono mistischen Positionen zugerechnet wird (was zur Kontroverse daru ber fu hrt,
inwiefern Hume hier nicht mit seiner Sein-Sollens-These in Konflikt gerat53).
Die entscheidende Kritik am BP (E) betrifft nicht die Frage seiner … fast-analytischen oder synthetischen … Wahrheit. Sie lautet vielmehr: gibt es u berhaupt irgendeinen Sachverhalt A, der in streng intersubjektiver Weise von allen moglichen Beobachtern u bereinstimmend als ethisch gut oder schlecht empfunden wird … oder ist (E)
nicht vielmehr, ebenso wie schon die beiden Pareto -Prinzipien, leer oder zumindest
fast leer? Halt man sich die moralische Verschiedenheit menschlicher Kulturen der
Vergangenheit und Gegenwart vor Augen, so mu– man, denke ich, zu dieser Schlu– folgerung gelangen. Man konnte hier einzuwenden geneigt sein, da– die Debatte
u ber die Theoriebeladenheit der Beobachtung doch gezeigt h atte, da– auch die
'Fakten' der empirischen Wissenschaft nicht frei seien von theoretischer Inter pretation … und ohne da– ich hierauf naher darauf eingehen kann (vgl. Schurz 1988a),
mu– dem doch klar entgegengehalten werden, da– sich hinter dem, was in den
Wissenschaften 'empirische Fakten' genannt wird, die Ebene der Wahrnehmungsdaten befindet, auf die sich letztlich auch die Fakten der Wissenschaft st u tzen, und
welche in der Tat streng intersubjektiv und anthropologisch konstant sind. Wenn zur
Illustrierung der Theorieabhangigkeit der Beobachtung etwa das Beispiels vom Be trachter des nachtlichen Sternenhimmels erwahnt wird (heute sehen wir Fixsterne
und Planeten, fru her sah man z.B. Locher im Himmelsgewolbe, durch die Licht
flie– t), so la– t sich doch nicht abstreiten, da– beide Betrachter etwas gemeinsames
sehen, namlich leuchtende Flecken am schwarzen Himmelsgrund. Dies wird nur
allzu leicht u bergangen … MacIntyre streitet es z.B. nicht ab, bezeichnet es aber als
trivial (1981, S. 78) … und doch liegt hier der entscheidende Unterschied, denn im
53 Vgl. die Debatte zwischen Macintyre, Atkinson, Hunter und Flew in Hudson
(1969).
74
Bereich ethischer Sachverhalte gibt es nichts, was einer derartigen intersubjektiv
konstanten Sinnesdatenebene entsprache, und worauf wir notfalls zuru ckgehen konnen.54 Beispielsweise empfinden es die Eskimos als schlecht, altersschwache Menschen, die sich nicht mehr selbst ernahren konnen, zu fu ttern (denn sie sehen darin
ein Signal der natu rlichen Bestimmung, zu sterben), wahrend man in unserer Kultur
dies als gut (und das Gegenteil als fahrlassige Totung) ansieht. Hier gibt es keine
Ebene unmittelbarer 'moralischer Daten', die uns und diesen Eskimos gemeinsam
ware … es liegen schlicht verschiedene ethische Auffassungen vor. Und eben dies ist
auch der Grund, warum es, im Unterschied zu au– eren Wahrnehmungen, im Bereich
moralischer Empfindungen nicht gerechtfertigt ist, von 'Beobachtung' zu sprechen,
und stattdessen immer Interpretationen vorliegen.55
7.2 Aprioristische Theorien
Wenn es u berhaupt ein intersubjektiv evidentes allgemeines ethisches Prinzip
54 Ebenso u bersieht Toulmin (1950, S. 123) diesen entscheidenden Punkt bei sei nem Vergleich au– erer Sinneswahrnehmungen und spontaner ethischer Urteile.
55 Firth (1952) hat das Prinzip (E) durch die Einschrankung auf ideale Beobachter
modifiziert. Das Konzept des idealen Beobachters wird dabei natu rlich als deskriptiv und empirisch testbar angenommen (1952, ´ 5) sonst ware das BP leer
oder zirkular. Die empirischen Bedingungen, welche Furth's idealen Beobachter
ausmachen, sind dann lediglich folgende: er ist (i)+(ii) allwi ssend und 'allsehend'
bezu glich deskriptiver Fakten, (iii)+(iv) er ist unparteiisch und 'nicht -leidenschaftlich', was bedeutet, da– alle Sachverhalt, an denen er (sachlich oder emotionell) interessiert ist, gesetzesartig sind, d.h. keinen essentiellen Be zug auf
Individuen enthalten (S. 338, 340), und (v) er ist konsistent. Es ist fraglich, ob
Firth's Bedingung (iii)+(iv) von realen Personen in irgendeinem u berpru fbaren
Sinn empirisch approximierbar ist. Ganz unabhangig davonb aber wird es auch
unter idealen Beobachtern in Firth's Sinne keine Intersubjektivit at geben, ganz
einfach weil es, wie wir hinreichend oft gesehen haben, es verschiedene Auffas sungen des ethisdhen Idealzustandes gibt. Ideale Beobachter, die an ver schiedenen 'gesetzesartigen Sachverhalten' (namlcih ethischen Idealzustanden) interessiert sind, werden zu verschiedenen moralischen Inter pretationen ein- und
desselben Geschehens gelangen.
75
gibt (was man schon aufgrund der tatsachlichen moralischen Auffassungsvielfalt be zweifeln kann; vgl. Hare 1952, S. 41), dann ist es das Prinzip der Gerechtigkeit, oder
anders ausgedru ckt, der ethischen Universalisierung. Es steckt unter anderem hinter
Kants kategorischem Imperativ und wird oft in Begriffen gleicher Interes sensberu cksichtigung (Singer 1984, S. 32) oder gleicher Rechte (Rawls 1971, 302) aus gedru ckt. Bereits die Diskussion in Kap. 5.5.2.1 hat uns aber gezeigt, da – es ganz
unterschiedliche Auffassungen von Gerechtigkeit gibt, soda– von der Gerechtigkeit
zu sprechen einer Leerformel gleichkommt. Dafu r gibt es einen systematischen
Grund. Man erkennt ihn an Hare's Formulierung (1973, S. 108-113), derzufolge fu r
alle Personen in ahnlichen Umstanden dieselben ethischen Grundsatze, Rechte oder
Pflichten gelten sollen. La– t man diese Klausel "unter ahnlichen Umstanden" weg,
so wird das Prinzip ganz kontraintuitiv (vgl. Kutschera 1982, Kap. 1.6). Mit der
Klausel wird das Prinzip jedoch, ohne materiale ethische Zusatzannahmen, ziemlich
leer, denn nun hangt alles von der Frage ab, welcher Unterschied in den Umst anden
als ethisch relevant angesehen wird und welcher nicht.
Die Klausel "unter ahnlichen Umstanden" zeigt an, da– fast alle Rechte oder
Pflichten von Menschen konditionaler Natur sind: wenn eine Person P gewisse deskriptive Bedingungen D erfu llt, dann hat das Recht, oder die Pflicht, dies zu tun. In
zivilisierten Gesellschaften ohne Todesstrafe ist lediglich das Recht auf Leben
unkonditional. Schon das Recht auf Ernahrung ist konditional: wenn du ein Nahrungsmittel rechtma– ig erworben hast, hast du das Recht (d.h. du darfst und niemand
darf dich daran hindern), es zu essen; andernfalls hast du dies Recht nicht. Dasselbe
gilt fu r das Recht auf Unterkunft, Wohnung, Besitz, Familie, usw. Die Forderung,
da– dieselben konditionalen Rechte bzw. Pflichten fu r alle Personen gelten sollen,
kann man das Prinzip der formalen Gerechtigkeit nennen. Dies garantiert aber noch
nicht im geringsten irgendeine 'reale' bzw. ethisch relevante Gerechtigkeit. Das
Menschenrecht auf Privatbesitz besagt: wenn eine Person ein Gut in vertraglich
rechtma– iger Weise erworben hat, dann hat sie das Recht daru ber zu verfu gen.
Sicher gilt dieses konditionale Recht fu r alle Menschen … auch fu r alle Armen und
Besitzlosen, die leider nie Gut erworben konn ten und somit nie das Glu ck hatten, das
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Wenn-Glied ihres 'Menschenrechtes' zu erfu llen. Ob es aber wirklich gerecht ist, da–
es Besitzende und Besitzlose gibt, daru ber streiten sich die ethischen Geister.
A hnlich gilt fu r alle 'gleichen Rechte'.
La– t man im Wenn-Glied konditionaler Rechte Beliebiges zu, so erfu llt jede
(relevante) ethische Auffassung das Gerechtigkeitsprinzip. Im 'barbarischen' Zeit alter bzw., positiv formuliert, dem der 'heorischen Tugenden' (MacIntyre 1981, S.
Kap. 10), hatte jeder das gleiche konditionale Recht, das Recht des St arkeren, doch
nur die Starksten konnten es ausu ben. In fru heren zivilisierten Kulturen sah man
angeborene Eigenschaften von Personen als ethisch relevant an. Das konditionale
Recht "wenn eine Person adelig ist, hat sie das Recht zu Grund - und Bodenbesitz",
gilt selbstverstandlich auch fu r Nichtadelige, und das konditionale Recht "wenn eine
Person wei– e Hautfarbe hat, hat sie Bu rgerrechte" gilt auch fu r Schwarze. In unserer
'aufgeklarten' Kultur sieht man angeborene Eigenschaften nicht mehr als ethisch
relevant an, wohl aber erworbene Eigenschaften, z.B. "wenn jemand Psychiater ist,
hat er das Recht, andere in die Klinik einzuweisen. Wir haben die Vorstellung,
erworbene Eigenschaften wie Besitz oder Beruf seien 'verdient', woge gen man fu r
angeborene Eigenschaften 'nichts konne', obwohl die meisten erworbenen
Eigenschaften auf dem Spiel gesellschaftlicher Zufalle beruhen, und andere wiederum eine Folge angeborener Eigenschaften sind. Jede Person hat das Recht, von den
Zinsen ihres Vermogens zu leben, doch nur jene, die genug geerbt haben, konnen es
ausu ben; jede Person hat das Recht, Wissenschaftler zu werden, doch setzt die
Ausu bung dieses Rechts einen gewissen (angeborenen) IQ voraus, usw. So ist die
Unterscheidung zwischen angeborenen und erworbenen Eigenschaften sehr schein heilig, aber selbst auf dieser scheinheiligen Ebene halten wir die Unterscheidung
nicht konsequent durch: z.B. ist Aids-Infektion eine erworbene Eigenschaft, Geisteskrankheit kann angeboren sein … hier aber ruft das Zusprechen anderer Rechte bei
Aids-Infizierten in uns Entru stung hervor, dagegen bei Geisteskranken nur
selbstverstandliches Nicken. Aber wenn man auch angeborene Eigenschaften zu la– t,
warum sollte man gewisse Rechte nicht z.B. an den IQ, oder an das Lebens alter
(usw.) binden?
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La– t man dagegen alle deskriptiven Bedingungen als moglicherweise relevant zu,
so bleibt lediglich das formale Gerechtigkeitsprinzip u brig, welches im Grunde nur
besagt, da– ethische Grundsatze gesetzesartige Allsatze sein sollen, und daher ohne
ethischen Gehalt ist. Offenbar hangt alles davon ab, welche deskriptiven
Bedingungen man als ethisch relevant oder zul assig ansieht, und welche nicht. Auf
diese Frage gibt es keine intersubjektiv allgemeinverbindliche, apriori evidente
Antwort … die Antwort darauf ist kulturabhangig (zumeist eine Frage politischen
Drucks und Gegendrucks). Ohne die Spezifizierung der zugrundegelegten ethischen
Relevanzkriterien bleiben die Konzepte der "Gerechtigkeit" oder "gleichen Rechte"
eine leere Phrase, und die Schlu– folgerungen, die man daraus zieht, sind nur durch
die Willku r subjektiver Intuition bestimmt. 56 Ein gutes Beispiel ist Singer (1984,
Kap. 3ff), der dem Leser den Eindruck vermitteln mochte, wer gegen Rassismus
optiert, mu sse auch gegen Speziesismus optieren, da beide aus dem selben Prinzip
der "Gleichheit" folgen wu rden. In Wahrheit folgen beide Positionen nicht daraus
(weil dieses Prinzip eine Phrase bzw. leer ist), sondern aus jeweils anderen ethischen
Relevanzkriterien: im ersten Fall sieht man Unterschiede der menschlichen Rasse als
ethisch irrelevant an (und hierfu r gibt es sehr gute Gru nde), im zweiten Fall sieht
man den Unterschied zwischen Mensch und Tier als ethisch irrelevant an (und hier fu r gibt es kaum gute Gru nde).57
56 Dies wird auch in den Menschenrechten deutlich; z.B. hei – t es in der
Verfassung der franzosischen Republik von 1795, ´ 3 (Heidelmeyer 1972, S. 63)
zunachst: "Die Gleichheit besteht darin, da– das Gesetz fu r alle das gleiche sei".
Dies allein wu rde natu rlich nur formale Gleichheit und damit sehr wenig
garantieren. Es folgt darauf unmittelbar das damals bedeutenste ethische
Relevanzkriterium: "Die Gleichheit la– t keinen Unterschied der Geburt, keine
Erblichkeit der Gewalten zu". Diese Klausel ist es, die den Schritt war von
aristokratischen Gesellschaft, von Rassismus, und von Sklaverei begr u ndet … und
nicht schon die Phrase der "Gleichheit vor dem Gesetz".
57 Das einzige ethische Relevanzkriterium, das Singer in seinem Buch explizit
einfu hrt, ist das der Personalitat (Kap. 4), und seine wirklich markanten (und
ebenso problematischen) Thesen … z.B. da– nur fu r personale Wesen, wie
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8. Rechtfertigungsgrenzen der Ethik: Zusammenfassung und Ausblick auf eine
positive Theorie
Die folgenden Ausfu hrungen haben heuristisch-skizzenhaften Charakter: sie deuten
an, wie aus den bisherigen vornehmlich negativen Resultaten eine positiv ethische
Theorie aufgebaut werden konnte. Hierzu gehe ich zunachst von einer Klassifikation
ethischer Prinzipien bzw. Werte in drei Kategorien aus.
8.1 Notwendige ethische Prinzipien, biologische Werte und Kulturwerte
Es gibt zwei Arten von streng intersubjektiven ethischen Wertprinzipien: solche,
deren Wahrheit notwendig ist, unabhangig von der kontingenten biologischen Natur
des Menschen und solche, deren Wahrheit durch die biologische und daher streng
intersubjektive Natur des Menschen determiniert ist. Alle anderen Wertprinzipien
sind nicht subjektiv variabel und daher kulturabhangig. Dasjenige, was sich in der
Ethik durch rational-wissenschaftliche Rechtvertigungsverfahren in objektiver und
allgemeinverbindlicher Weise begru nden la– t, beschrankt sich auf notwendige und
biologische Wertpinzipien.
Notwendige ethische Prinzipien sind solche, die analytisch oder fast-analytisch
wahr sind, d.h. in der Bedeutung von "gut" enthalten sind. Man kann sie durch
folgendes kontrafaktische Kriterium charakterisieren: ein ethisches Prinzip ist not wendig, wenn es auch dann wahr ware, wenn die biologische Natur der Menschen
(Instinkte, Triebe etc.) ganz anders ware (vorausgesetzt freilich, da– es sich immer
noch um bewu– te interessensbegabte Wesen handelt). Unsere Untersuchung ergab,
da– nur folgende ethische Prinzipien in diesem Sinne notwendig sind:
1) Zweifelsfreie Grundgesetze der deontischen und evaluativen Logik.
2) Das Sollen-Ko nnen und das Zweck-Mittel-Prinzip
Menschen, Schimpansen, Schweine, nicht aber Neugeborene oder Vogel, das
unbeschrankte Totungsverbot gilt … begru ndet Singer damit.
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3) Die Glucksbedingung, als vage Vorform eines subjektiv -reduktionistischen BPs
4) das schwache und das starke Pareto-Prinzip
Alle diese Prinzipien erwiesen sich als entweder trivial oder leer oder zumindest
fast leer. Eine gehaltvolle Ethik la– t sich darauf keinesfalls gru nden. Doch als
rationale Rahmenbedingungen fu r (kulturabhangige) Ethiken haben diese Prinzipien
enorme Bedeutung … durch (1) und (2) sie Koharenz und Konsequenz der Ethik
ermoglicht , durch (3) und (4) ihr Kernanliegen fixiert.
Eventuell kann man auch das empiristische BP (E) und das formale Gerechtigkeitsprinzip als … wenn nicht unbedingt fast-analytisch … so doch als "notwendig
wahr", unabhangig von der biologischen Natur des Menschen ansehen. Aber auch
diese beiden Prinzipien sind, im Verein mit den anderen, leer oder fast leer, soda –
sich an unseren Diagnose, da– auf notwendigen ethischen Prinzipien sich keine
gehaltvolle Ethik stu tzen kann, betsehen bleibt.
Biologische Werte (oder Wertprinzipien) kann man durch folgendes kontra faktische Konditional charakterisieren: ein Wert ist dann biologisch, wenn er auch dann
bestehen bliebe, wu rden sich alle historischen und kulturellen Eigenschaften der
Menschen vollig andern wu rden und nur ihre angeborenen Anlagen bestehen blei ben. Wie biologische Werte zu finden sind, ist aufgrund des schwachen Pareto -Prinzips klar vorgegeben: es mu – te sich um Sachverhalte handeln, die aus naturgesetzlich-biologischen Gru nden im Interesse aller Menschen liegen. Nimmt man das
Prinzip (E) zu den notwendigen Prinzipien hinzu, so w aren biologische Werte auch
solche, die aus naturgesetzlich-biologischen Gru nden von allen Menschen als 'moralisch gut' empfunden werden. Die Problematik ist in beiden F allen die gleiche: es
gibt, wie wir feststellten, keine oder fast keine derartige Sachverhalte. Somit scheint
es, die Klasse biologischer Werte ist leer oder fast leer.
Dennoch gibt es, wie ich glaube, einen Wert, der nicht kulturabhangig ist … namlich den Wert, nach verbindlichen ethischen Regeln zu streben. In allen Kulturen
haben Menschen nach solchen Regeln gesucht und auf verschiedenste Weisen kon solidiert. Das Streben nach gewissen sozialen Regeln, welche fu r das Kollektiv, dem
man angehort, verbindlich sind, ist angelegt in der biologischen Tatsache, da – der
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Mensch kein Einzel-, sondern ein Gruppentier ist, und nur als solches u berleben
kann. Und da mit zunehmender Besiedelungsdichte die sozialen Konflikt- und
Kooperationsareale und damit die sozialen Kollektive immer gr o– er werden, mu ssen
auch die sozialen Regeln immer umfassender und schlie – lich fu r alle Menschen allgemeinverbindlich werden. Das Streben nach ethischen Standa rds ist also sowohl
biologisch angelegt wie bevolkerungsgeographisch erzwungen. In welchem Ausma–
solche Regeln das Kollektiv regulieren (wie gro– die verbleibenden individuellen
Freiheitsspielraume sind), auf welche Weise diese Regeln etabliert werden, und
voralledem welcher Art sie sind, ist von Kultur zu Kultur verschieden, aber daä nach
solchen Regeln gestrebt wird und werden mu– , ist ein in allen Kulturen
auffindbaren, also ein biologischer Wert … und m.E. der einzige von Bedeutung.
Diese Einsicht ist philosophisch nicht neu. Ich denke, der wahre Kern aller trans zendentalen und transzendentalpragmatischen Ethikbegr u ndungen besteht in der
Feststellung, da– alle Menschen aufgrund ihrer inneren und der au– eren Realitat
gezwungen sind, nach irgendwelchen verbindlichen Regeln zu streben … alle Versuche aber, allein daraus eine bestimmte Ethik herzuleiten, mu ssen scheitern. Hinter
unserem 'angeborenen' Gerechtigkeitssinn steckt nichts als dieses Streben nach ir gendeinem Recht, aufgrund dessen Handlungen als gerecht oder ungerecht einzustufen sind, welches aber von Kultur zu Kultur, Charakter zu Charakter, Eltern haus
zu Elternhaus verschieden sein kann. 58 Auch Kants kategorischer Imperativ enthalt
nur diesen rationalen Kern: strebe in deinen Handlungen nach Maximen, die du als
allgemein akzeptabel ansieht. Es war Charles Sanders Peirce, der in seiner pragmatischen Begru ndung der Erkenntnistheorie erstmals, statt von philosophie schweren
Pramissen, lediglich von diesem faktischen Druck zur "Fixierung der Meinung", zur
Konsensbildung ausging (Peirce 1877); Schurz 1991c, Kap. 2.1)
58 Auch die Piaget-Kohlbergsche Stufentheorie der moralischen Ontogenese
(Kohlberg 1981) bringt nur dies zum Ausdruck: auf der 'postkonventionelle'
Stufe wird die Einordnung gruppenspezifischer Wertkonventionen in allgemeinverbindliche ethische Prinzipien angestrebt, welche ihrerseits subjektiv variabel
und kulturabhangig sind.
81
Auch wenn man den biologischen Wert der Suche nach einer Ethik zu den not wendigen ethischen Prinzipien hinzunimmt, so wird dadurch der Spielraum m oglicher ethischer Optionen immer noch nicht wesentlich eingeschr ankt, und eine
gehaltvolle Ethik ist dadurch allein nicht rational zu rechtfertigen. Somit gibt es fu r
die Ethik kein rationales Begru ndungsverfahren, welches eine der empirischen
Wissenschaft auch nur naherungsweise vergleichbare Intersubjektivitat garantiert.
Alle gehaltvollen ethischen Werte sind damit Kulturwerte.
Kulturwerte erkennt man daran, da– ihre Etablierung auf dem Weg gesellschaftlicher Krafteverhaltnisse zustandekommt. Daran, da– ihnen gu nstigenfalls in der
Mehrzahl von Situation von der Mehrzahl von Menschen, aber nie immer von allen
Menschen zugestimmt wird. Daran, da– es zu Kulturwerten immer 'gefahrliche'
Gegenwerte gibt, die wie kulturelle Rebellen in der Seele der meisten Menschen
schlafen und gelegentlich geweckt werden. Daran, da– Kulturwerte standig behu tet
und gepflegt, durch Erziehung und 'Aufklarung' im Geiste der Kulturmitglieder stark
gehalten werden mu ssen, weil sie speziell in schwierigen Zeiten der Gefahr des Zerfalls ausgesetzt sind. Daran, da– die Erziehung zu den Kulturwerten nicht immer
funktioniert und solche Individuen dann eingesperrt, d.h. aus der Gesellschaft ausgesperrt werden mu ssen. Schlie– lich auch daran, da– was immer man gegen sie vorbringt, immer ein schlagendes Argument bleibt: wir brauchen eine soziale Ordnung.
8.2 Physische Gewaltvermeidung als bedeutenster Kulturwert
Wenn Kulturwerte nicht auf nur rationale Weise etabliert werden konnen, wie
dann? Peirce hat … nachdem er die Methode der Ignoranz zur Meinungsbildungverwarf … drei historisch bedeutsame Methoden der Meinungsfixierung unterschieden:
durch au– ere Autoritat, durch innere Autoritat bzw. geistigem Dogma, und durch
Wissenschaft (Peirce 1877; Schurz 1991c, Kap. 2.1). Nachdem die Methode der
Wissenschaft bzw. streng intersubjektiven Rationalitat fu r die Ethik nicht ausreicht,
scheint nur die Methode der (au– erenm oder inneren) Autoritat u brigzubleiben. Die
Methode der Autoritat war historisch sehr bedeutsam. Immer schon suchten Kulturen
nach Wegen der Konfliktregelung unter Vermeidung physischer Gewalt durch eine
82
Richterinstanz, welche meist durch Autoritat festgelegt wurde: der Starkste, Machtigste, der Konig hatte sie inne. Um Konflikte regeln zu konnen, mu– te die
Herrscherinstanz selbst mit einer allen u berlegenen physischen Macht ausgestattet
sein, welche zugleich mit der Ausu bung der Richterfunktion die Durchsetzung
egoistischer Privilegien gegenu ber den Untergebenen sowie gegenu ber unterlegenen
angrenzenden Nachbarn ermoglichte. Unentwegte Kriege waren die Folge. So erwies
sich die Methode der Konfliktregelung durch Herrscher autoritat als letztlich
ungeeignet, zu einer physische Gewalt umgehenden Konfliktregelung zu
gelangen.59
Diese au– erst simplifizierte Skizze macht den obersten Kulturwert deut lich, auf
dem alle zivilisierten Kulturen beruhen: dem Wert der physischen Gewaltvermeidung. Physische Gewalt ist jegliche physische Einwirkung durch einen Menschen
gegen den Willen des Betroffenen. Wie la– t sich die Paradoxie umgehen, da– jene
konfliktregelnde Richterinstanz, welche physische Gewalt innerhalb eines Konflikts
vermeiden soll, zugleich mit einem alles u berlegenen Gewaltpotential ausgestattet
sein mu– , um Konflikte regeln bzw. Regeln zur Geltung verhelfen zu konnen? Indem
diese Gewalt letztlich durch einen Akt der freien kollektiven Entscheidung der
Richterinstanz vom Kollektiv verliehen wurde, und somit keine eigentliche Gewalt
mehr darstellt. Bedenkt man ferner, da– das einzig funktionierende Verfahren
kollektiver Entscheidung im Zustand mangelnder Rationalit atskriterien eine Version
demokratischer Wahl sein mu– , so wird deutlich, da– bereits auf diesem einen
Grundwert die Idee der Demokratie gegru ndet werden kann. Aber nicht nur das. Um
physische Gewalt zu vermieden mu– dafu r gesorgt werden, da– es bei der Befriedigung der primaren Bedu rfnisse der Kollektivmitglieder zu keinen Konflikten
kommt (denn hier ist ist das Konfliktpotential am gr o– ten). Es mu– ein System von
59 Die wichtigsten Erklarungen, welche den Menschenrechten vorausgingen … die
Magna Charta Libertatum von 1215 und die Habeas Corpus Akte von 1679
(Heidelmeyer 1972, S. 47 - 51) und die Bill of Rights von 1689 … hatten die
Funktion, die Machtwillku r der Herrscherautoritat einzuschranken bzw. im Fall
der Bill of Rights an die vom Parlament erlassenen Gesetze zu binden.
83
Regeln gefunden werden, welches besagt, bis wann jemand seinen Primarbedu rfnissen zu Recht nachkommt und ab wann er dabei dasselbe Recht des an deren
verletzt. Wie dieses Regelsystem genau aussieht, ist kulturell variabel und durch den
Grundwert der physischen Gewaltvermeidung noch nicht fixiert. Aufgrund eines
solchen Regelsystems kann dann jedoch jedermann, inklusive der Richterinstanz,
verboten werden, irgend jemandem mit physischer Gewalt daran zu hindern, sei nen
primaren Bedu rfnissen nachzukommen, sofern er dies innerhalb des ge setzten Regelsystems tut. Auf diese Weise entsteht die Idee der Menschenrechte.60
8.3 Die Etablierung von Kulturwerten: Rationale Werbung
Insofern sich auf ihn Demokratie und Menschenrechte gr u nden lassen, ist dieser
Kulturwert physischer Gewaltvermeidung u beraus folgenreich. Um koharent zu bleiben, kann weder dieser Kulturwert noch alle darauf aufbauenden Kulturwerte durch
Autoritat bzw. physische Gewalt etabliert werden. Aber das Verfahren der
Mehrheitsentscheidung wu rde nicht funktionieren, wenn es nicht eine Methode der
'geistigen Angleichung' moralischer Auffassungen g abe, welche tragfahige Mehrheitsbildungen ermoglicht. Nach Peirce mu – te dies die Methode der inneren
Autoritat, des geistigen Dogmas sein, doch dies impliziert eine irrationale
Komponente, insofern ein Dogma mit einem ungerechtfertigten Anspruch strikter
Allgemeinverbindlichkeit auftritt. Die Methode, mittels derer in zivilisierten Gesellschaften geistige Angleichungen erzielt werden, ist viel nu chterner als die Methode
der Werbung zu bezeichnen. Zunachst ist also eine hier nicht zu liefernde Theorie
der ethischen Werbung vonnoten, und eine solche hatte wohl beim … oft mi– verstandenem … Emotivismus Stevensons anzusetzen.
Fu r Stevenson ist "persuasion" kein irrationales, sondern a -rationales Verfahren
60 Die Grundrechte von Virginia 1776, die franzosische Erklarung der
Menschenrechte von 1789, und die franzosische Verfassung von 1793 und 1795
halten in der Tat vornehmlich dies fest. Z.B. hei– t es in letzterer, ´ 7: Was nicht
durch das Gesetz verboten ist, kann nicht verhindert werden . S. Heidelmeyer
(1972, S. 64).
84
(1944, S. 144). Seine Grundlage ist die emotive Bedeutung (bzw. Funktion) ethischer
Urteile, welche u ber deren kognitive Bedeutung hinausgeht. Ein moralisches Urteil
dru ckt eine Wertschatzung des Sprechers aus (Signalfunktion) und affiziert zugleich
den Horer in emotiver Weise (Apellfunktion) 61, welche den Horer dazu drangt,
zustimmend oder (bei zu gro– er Spannung) ablehnend zu reagieren, ihn jedoch nicht
(wie bei rein deskriptiven Urteilen) eventuell gleichgultig la– t. Diese emotive Funktion der Kommunikation ist uns, wie ich meine, als sozialen Tie ren angeboren. Auf
ihr beruht die Mo glichkeit von Werbung … bei biologischen Einzelgangern wu rde
Werbung niemals funktionieren.
Jede moralische Auffassung beruht auf einer inneren Werteeinstellung, welche
Lebenssinn stiftet und damit die Psyche balanciert und sichert. Fu r ein Wertsystem
zu werben erfordert, den Horer dazu zu bringen, das Wertsystem psychisch
nachzuvollziehen und nachzuleben, um ihn dadurch nach und nach zur emotiven
U bernahme desselben zu bringen. Es ist, wie wenn man jemanden eine zuvor nicht
gehorte Musikgattung nahebringen will. Die geisteswissenschaftlichen Methoden
der Einfu hlung und Emphatie und die literarische Erzahlkunst sind verfeinerte
Methoden des Nacherlebens von Wertsystemen, im gegensatz zu jenen groben
Methoden der rethorischen Auslosung von Begeisterung oder Fanatismus.
Bereits der erste Kulturwert, die physische Gewaltvermeidung, bedarf zu ihrer
Etablierung der massiven Werbung, denn dieser Kulturwert geht auf Kosten anderer,
namlich der heorischen Tugenden. Wie soll man den Helden dazu bringen, ein
Wertsystem zu akzeptieren, da– ihm zwar Rechte zuspricht, aber nicht das Recht, fu r
seine Rechte selbst zu kampfen … dies mu– er der den staatlichen Instanzen
u berlassen? Indem man ihn dazu bringt, in der Methode der Gewaltfreiheit eine
'hohere' Wu rde zu sehen, und ihm zugleich langfristigen Folgen der 'auf-eigene…
Faust'-Methode klarmacht, welche langfristig physische Gewalt eskalisieren la– t und
61 Diese Apellfunktion ethischer Urteile wurde … als Empfehlungsfunktion Ც
voralledem von Hare (1952, S. 85) betont. Die Argumentation Hares ahnelt der
Stevensons … obwohl Hare als Kognitivist, Stevenson als Nonkognitivist
eingestuft wird.
85
dadurch der Mehrheit schadet.
Werbung kann nun darauf abzielen, die Rationalit at des anderen moglichst auszuschalten, oder bemu ht sein, diese immer wachzuhalten. Unter rationaler Werbung
verstehe ich eine solche, die das letztere anstrebt. Rationale Werbung vollzieht sich
innerhalb der durch die notwendigen ethischen Rationalit atsprinzipien gesetzten
Grenzen. Sie ist bemu ht, die rationalen Konsequenzen des umworbenen Kultur wertes klar vor Augen zu fu hren und ungerechtfertigte Objektivitatsanspru che zu
vermeiden. Seitens des Horers erfordert rationale Werbung den Willen, sich auf
andere Wertsysteme probeweise einzulassen, somit die Offenheit und Toleranz.
Auch die Argumentationen philosophischer Ethik, sofern sie u ber die Begru ndung
abgeleiteter Werte aufgrund gesetzter Kulturwerte mithilfe der notwendigen
ethischen Prinzipien hinausgehen, sind Methoden der (rationalen) Werbung und
mu ssen solche sein. Diese Einsicht wu rde so manch ungerechtfertigten Objektivitatsanspruch philosophischer Ethiker verblassen lassen und stattdessen einem
gesteigertem gesellschaftlchen Verantwortungsgef u hl des rational Werbenden Platz
machen. Die Metaethik einer Theorie der Kulturwerte mu – te eine Theorie der
rationalen Werbung sein, welche allerdings erst zu entwickeln w are.
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Adresse
Univ. Doz. Dr. Gerhard Schurz, Institut fu r Philosophie, Universitat Salzburg, Franziskanergasse 1,
A-5020 Salzburg, O sterreich, [email protected]
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