R Redundanz,diebairisch‐slawische LukaSzucsich Redundanzen sind die dem Prinzip der geringsten Anstrengung wider‐ sprechenden sprachlichen Mittel zur Diversifikation der physikalischen SeitevonZeichen.SiedienenletztlichderMaximierungvonKlarheit,d.h. formale/morphosyntaktische Merkmalswerte werden durch Redundan‐ zeneindeutigidentifiziertoderzumindesteindeutigeralsbeieinergloba‐ len Anwendung des Prinzips der geringsten Anstrengung. Kurz gespro‐ chen: Einen eigenen Marker oder phonologischen Exponenten für den AkkusativimGegensatzzum(oft,abernichtimmerunmarkierten)Nomi‐ nativ zu haben, ist zwar fürs System ‚anstrengender‘, befördert aber die klareSichtaufdiesprachsystematischenDingeungemein. SyntaxwirdandererseitswesentlichvonMerkmalsbeziehungenange‐ trieben,beidenenInstanzeneinesMerkmalsanzumindestzweiEinheiten eines komplexen Zeichens/Satzes auftreten. Für die letztendliche Inter‐ pretation ist jedoch nur eine Instanz der Merkmalskette relevant. In der neuesten generativen Tradition spricht man von der interpretierbaren und/oder valuierten Merkmalsinstanz. Beide Instanzen ‚physikalisch‘ zu markieren,istabermalseineRedundanz,diedemPrinzipdergeringsten Anstrengungzuwiderläuft.KongruenzphänomeneallerArtsindBeispiele fürsolche‚anstrengenderen‘grammatischenVerfahren. Es stellt sich nun die berechtigte Frage, was all diese Überlegungen gerademitdemBairischenunddemSlawischenzutunhaben,nochdazu inverschränkterForm,diesuggeriert,siewürdenüberzumindestkleine‐ re Strecken intrauter Zweisamkeit sprachlich ausschreiten. Nun verhält essichso,dassdieBaiernnichtalleineaufgrundihreswohlvondenBoii geliehenen Namens eine (ethnonymische) Verbindung zur slawischen Welt aufweisen – ebendiese Boii liehen ja auch Böhmen ihren Namen. Nein, das Bairische ist wie das Slawische an manchen Stellen durchaus über das übliche Maß der Klarheit und somit morphosyntaktischen Re‐ dundanzenverpflichtet.DieserDrangzursprachsystematischenKlarheit brichtsichbeidenBaiern/Bayernmanchmalauchinindividualanarchis‐ tischerFormBahn,wennetwaderangeseheneLinguistundSprachphilo‐ soph Karl Valentin vollkommen nachvollziehbar argumentiert, es müsse richtigerweise Semmelnknödeln heißen, bestünden diese doch in der RegelausmehrerenSemmeln–zumindestistdiesauskulinarischerSicht immerzuhoffen. 189 LukaSzucsich AndieserStellesollaberderBlickinersterLinieaufmorphologische RedundanzenbeisyntaktischenBeziehungengelenktwerden,inSonder‐ heit auf solche zwischen mehr als zwei Elementen im Satz. Dafür bietet das Bairische, aber auch das Slawische zahlreiche Beispiele, wobei an dieserStellenichtallegleichermaßenbetrachtetwerdenkönnen.Somuss der interessante Fall der Komplementiererkongruenz, bair. … obsd ned dudesmochakansd,unterdenTeppichgekehrtwerden(vgl.etwaWeiß 2005).Auchhiersindesdrei(unddamitmehralszwei)Merkmalsinstan‐ zen,diejeweilseinenphonologischenExponentenaufweisen,derdiesel‐ benMerkmalsspezifizierungenrepräsentiert. DasFeldderNegationundletztlichauchjenesvonKasusmarkierun‐ gen bietet für die Illustration multipler Merkmalsketten vortreffliches Anschauungsmaterial.HiersollendiesebeidenBereichezumgutenEnde hinanhanddesSlawischenauchzusammengeführtwerden. EsistnunkeinegroßeNeuigkeit,dassVarietätendesmodernenDeut‐ schen,hierwiederuminsbesonderedasBairische,aberauchältereStufen desDeutschendieMehrfachmarkierungvonNegationohnezwangsläufig aufhebende Wirkung kennen. Donhauser (1996, 1998b) hat schon aus sprachhistorischer Sicht berechtigterweise festgestellt, dass auch das SpätalthochdeutscheunddasMittelhochdeutscheinBezugaufihrNega‐ tionssystem mitnichten bloß als Übergangssystem zwischen einer strikt präverbalen (vielleicht klitischen, vielleicht präfixalen) Markierung ni‐ (späteren‐)unddem‚adverbalen‘nichtanzusehenist.Umsomehrgiltdas für die in dieser Hinsicht stabile Lage im Bairischen: ‚Bairisch‘ und in Sonderheit‚Bayerisch‘und‚Übergang‘istnachgeradeeinecontradictioin adiecto.Eserübrigtsichaberzusagen,dasssichdasAlthochdeutscheund das Bairische selbstverständlich insbesondere in Bezug auf die Negati‐ onsmarkierungunterscheiden(vgl.auchJäger2008). AuchdieslawischenSprachensindfürdieredundanteNegationsmar‐ kierung mit einem präverbalen Marker, meist ne‐, und der Markierung vonIndefinita,insbesondere Indefinitpronomina, meist mitni‐, bekannt, vgl. das russische Beispiel in (1). Dies ist durchaus vergleichbar mit der redundantenbairischenNegationsmarkierungwiein(2). (1) Ni‐kt‐o NEG‐jemand‐NOM ni‐k‐omu NEG‐jemand‐DAT ni‐č‐ego NEG‐etwas‐ACC ‚Niemandhatirgendjemandemetwasgegeben.‘ ne da‐l‐. NEGgeb‐PST‐M (2) daskoaMenschdeJagerkoaBiernedzoidhod. (Bayer1990:19) ImGegensatzzumBairischenkennendieslawischenSprachenjedoch keineRestriktionenbezüglichdiverserInterventionseffekte,diedieAus‐ 190 Redundanz,diebairisch‐slawische breitung der Negation (negative spread) verhindern würden. Für das Bairische hat Bayer (1990) z.B. eine Subjekt‐Objekt‐Asymmetrie festge‐ stellt,diejedochdurchScramblingaufgehobenwerdenkann,vgl.(3)(zu DetailsweitererRestriktionenvgl.Bayer1990undWeiß1999).Dasverb‐ und damit negationsnähere interne Argument/Objekt ist nicht NEG‐ markiertundverhindertdamiteinezweifacheMarkierungdurchnedam VerbundkoaamexternenArgument/Subjekt.ImRussischen(undande‐ renslawischenSprachen)istsolchesnichtzubeobachten:Zwischendem ni‐markiertenindefinitenSubjektunddempräverbalenNegationsmarker könnenandereDPnohneProblemeerscheinen,vgl.(4). (3) a.*daskoaHundanBostboonnedbeisd. b. dasanBostboonkoaHundnedbeisd. (Bayer1990:20) (4) Ni‐kt‐o student‐am ne govori‐l‐ summ‐u NEG‐jemand‐NOM Student‐DAT:PL NEG sag‐PST‐M Summe‐ACC:SG stipendij‐. Stipendium‐GEN:PL ‚NiemandteiltedenStudentendieStipendiensummemit.‘ DieUnterschiedebezüglichdergenanntenBeschränkungenzwischen demBairischenundslawischenSprachensindwohlwenigeraufspekula‐ tiveMentalitätsunterschiedezurückzuführen(hiederstrengereBai(y)er, daderdemLaissez‐fairezugeneigteSlawe).Schoneher–auchwenndies etwastrockenerklingenmag–könntensiezumeinendurchdiePosition der Negationsmarker (russ. ne‐ einerseits und bair. ned andererseits) und/oder durch die Lizenzierungsrichtung des mit dem Verb verbunde‐ nenNegationsmarkersbedingtsein. Bayers(1990)AnalysederUngrammatikalitätvon(3a)basiertjeden‐ fallsaufderAnnahme,dassalleinedasObjektanBostboonvomverbfina‐ lenNegations‐Verb‐Komplexc‐kommandiertwird,nichtaberdasSubjekt koa Hund. Dies wäre aber eine der zwei möglichen Bedingungen für die Koindizierung der NEG‐Marker am Verb und an der DP. Den slawischen verbalen NEG‐Marker kann man hingegen als hierarchisch höheres Ele‐ ment ansehen, dessen syntaktische Anwendungsdomäne dementspre‐ chendweiterwäre,weshalbauchkeineSubjekt‐Objekt‐Asymmetrieauf‐ tritt. UnabhängigvonderobennurangedeutetenFragederBeschränkun‐ gen kann aber festgestellt werden, dass sowohl das Slawische als auch das Bairische Sprachen darstellen, die in Bezug auf die Satznegation mehrfache Merkmalsinstanzen in einer einheitlichen Merkmalskette zulassenunddieentsprechendensyntaktischenEinheiten,diedieMerk‐ malsinstanzenenthalten,auchmorphologischredundantmarkieren.Von 191 LukaSzucsich Zeijlstra (2004) werden – bei allen Unterschieden im Detail – slawische SprachenunddasBairischedementsprechendbrüderlichundschwester‐ lichalsSprachenmitstrikterNegationskonkordanzangesehen. Nun ist es so, dass Mehrfachinstanziierungen eines Merkmals nicht aufdieNegationbeschränktseinmüssen.SosprichtbeispielsweiseEini‐ gesdafür,dassMerkmalsinstanzen,dieletztlichdemstrukturellenAkku‐ sativ zuzuordnen sind, an zumindest drei Elementen eines einfachen Satzes erscheinen können. Dies trifft etwa auf Fälle des von Jakobson (1936) so genannten ‚schwach regierten‘ Akkusativs zu, mit dem in vie‐ len, typologisch sehr unterschiedlichen Sprachen durative Adverbiale markiertsind.DieAkkusativmarkierunganAdverbialenkanngleichzeitig miteinerObjekt‐DPimAkkusativwiein(5)oderimrussischenBeispiel in(6)auftreten.DievielleichtetwasgewagtklingendeBehauptungwäre nun,dassessichbeibeidenAkkusativenumeinemorphologischredun‐ dante Ausbuchstabierung desselben morphosyntaktischen Merkmals handelt, das in einer komplexen Merkmalskette in mehreren Instanzen auftritt. (5) Veronikahat[denganzenVormittag][denArtikel]bearbeitet. (6) Pëtr‐ [vs‐ju noč’‐] čital‐ [knig‐u]. Pëtr‐NOM ganz‐ACC:SG Nacht‐ACC:SG les‐PST‐M Buch‐ACC:SG ‚PëtrlasdieganzeNachtimBuch.‘ Wiehatmansichdiesnunvorzustellen?Zunächstwirdindenjünge‐ ren generativen Modellen davon ausgegangen, dass der strukturelle Ak‐ kusativunterähnlichenBedingungenlizenziertwirdwiederstrukturelle Nominativ, nämlich von einem aktiven syntaktischen Kopf, der als so genannte ‚Sonde‘ fungiert und mit der aktiven, weil nach Kasuslizenzie‐ rung dürstenden DP eine Merkmalsbeziehung eingeht. Im Falle des No‐ minativs ist es nach mittlerweile althergebrachter Vorstellung der Tem‐ puskopf(T0),deralsSondedientundeineBeziehungmitdernächstgele‐ genenDPinseinerSchwester(dervP)eingeht. BeimAkkusativwirdhäufigangenommen,dassessichumden‚klei‐ nen‘verbalenKopf,v0,handelt,derdieseAufgabeübernimmtundeben‐ falls eine Merkmalsbeziehung mit einer DP in seiner Schwesterdomäne (VP) eingehen kann. In (7) ist dies anhand einer einfachen transitiven Struktur mit einem externen Argument (DPSUBJ) und einem internen Argument(DPOBJ)dargestellt. (7) [TPT0[vPDPSUBJv0[VPV0DPOBJ]]]. NOM AKK 192 Redundanz,diebairisch‐slawische Pesetsky&Torrego(2004,2006,2007)argumentierenaußerdemda‐ für,dassKasusmarkierungenannominalenGrößenletztlichnichtsande‐ res als Ausbuchstabierungen von temporalen Merkmalen sind. Für den Nominativistdieswenigkontrovers,daesindenmeistenSpracheneinen engenZusammenhangzwischenderFinitheiteinesSatzesunddemAuf‐ tretendesNominativsgibt. DieseAnnahmeistaberauchimFalldesAkkusativsinsofernsinnvoll, als es in vielen Sprachen einen engen Zusammenhang zwischen der Ka‐ susmarkierunganinternenArgumentenvielertransitiverVerbenundder situationsinternen Zeitstruktur, d.h. Aspekt(ualität), gibt, bei der das Verhältnis zwischen Topikzeit und Situationszeit im Sinne von Klein (1994) verhandelt wird. Eines der meistuntersuchten Beispiele für die RelevanzvonKasusfürdiesituationsinterneZeitstrukturistdieAlterna‐ tionzwischendemPartitivunddemAkkusativbeiinternenArgumenten imFinnischen,beidemessehrdeutlichzuAuswirkungenaufdieaspek‐ tuelleInterpretationdesentsprechendenSachverhaltskommt:DerParti‐ tiv an internen Argumenten dynamischer transitiver Verben löst eine imperfektiveundderAkkusativeineperfektiveInterpretationaus(vgl.zu Details u.a. Kiparsky 1998). In abgewandelter Form hat dies ja auch Donhauser(1992a)fürdenKontrastzwischenGenitivundAkkusativim Althochdeutschenpostuliert. AkzeptiertmandieobigenAnnahmen,soenthaltendiebeidenMerk‐ malsketten in (7) jeweils zumindest zwei Instanzen eines Tempusmerk‐ mals,dasjeweilsauchnureinmalinterpretiertwird.Diemorphologische RedundanzbestehtnuninderAusbuchstabierungdesTempusmerkmals anderDPalsKasus. Wiesiehtesnunjedochmitdem‚schwachregierten‘Akkusativandu‐ rativen Adverbialen aus? Auch für diese gilt die Beobachtung, dass sie zumindest sensitiv für aspektuelle Markierungen sind. Dies sieht man deutlich daran, dass sie in slawischen Sprachen bei episodischer Lesart desjeweiligenSatzesnurmitimperfektivenVerbenkompatibelsind,wie derKontrastindenrussischenBeispielenin(8)zeigt. (8) a. Maš‐a pisa‐l‐a pis’m‐a cel‐yj Maša‐NOM IPFV‐schreib‐PST‐F Brief‐ACC:PL ganze‐ACC:SG čas‐. Stunde‐ACC:SG ‚MašaschriebeineStundelangandenBriefen.‘ b.*Maš‐a na‐pisa‐l‐a pis’m‐a cel‐yj čas‐. Maša‐NOM PFV‐schreib‐PST‐F Brief‐ACC:PL ganze‐ACC:SG Stunde‐ ACC:SG 193 LukaSzucsich Ähnliche Beobachtungen gelten auch für das Englische, wo mit for eingeleitetedurativeAdverbialebeinicht‐iterativenLesartenderjeweili‐ genSätzenichtmitder‚simplepasttense‘kompatibelsind,oderfürdas Finnische, wo bei den oben genannten dynamischen transitiven Verben akkusativischmarkierteDurativenurmiteinemObjektimPartitivauftre‐ tenkönnen,derjawiederumeineimperfektiveInterpretationauslöst. Alldasdeutetdaraufhin,dassDurativegenaujenesyntaktischeKate‐ gorie als Adjunkte ansteuern, die aspektuelle Tempusmerkmale verhan‐ delt. Als eine solche wurde oben die vP ausgemacht, wobei es letztlich nicht auf die genaue Lokalisierung und Etikettierung der Kategorie an‐ kommt,dieaspektuellrelevanteTempusmerkmaleenthält.Anzunehmen ist jedenfalls, dass die modifizierende, adverbiale DP im Akkusativ eine Beziehung zu einem aspektuellen Tempusmerkmal eingeht, im Gefolge dessen die Durative ja auch genau das Topikzeitintervall im Sinne von Klein(1994)limitieren. NunverfügtabereinedurativeDPquaDP‐Statusselbstübereinnicht mit einem Wert versehenes Tempusmerkmal. Dieses kann aufgrund der Beziehung zur syntaktischen Zielkonstituente die Rolle eines ‚Trittbrett‐ fahrers‘einnehmenundamTempusmerkmaldermodifiziertenKategorie – der vP – schmarotzen. Solcherart wird aber die aspektuell‐temporale Merkmalskette um eine Merkmalsinstanz an der Adjunkt‐DP (DPDUR) erweitertundwirerhaltenabermalseinemehralszweifacheInstantiie‐ rungeinesmorphosyntaktischenMerkmals.DiesyntaktischeTeilstruktur könntewiein(9)dargestelltwerden. (9) [vPDPDUR[vPv0[VPV0DPOBJ]]]. AKK DieFrage,diebleibt,istjenenachderEvidenzfürdiestrukturelleNa‐ turdesadverbialen,‚schwachregierten‘Akkusativs.AndieserStellesoll nureinPhänomenbereichalsDiagnoseherangezogenwerden,derwieder zurück zur Negation führt. Einige, beileibe aber nicht alle slawischen Sprachen kennen einen fakultativen (etwa im Russischen) oder einen obligatorischen (im Polnischen) Wechsel vom Akkusativ zum Genitiv unterSatznegation.DasrussischeBeispielin(10b)illustriertdieAlterna‐ tion (fakultativer Genitiv der Negation) unter Satznegation. Der Genitiv ohneNegationistausgeschlossen,vgl.(10a).InterneArgumente,dienicht denstrukturellenAkkusativsondernz.B.Dativtragen,vgl.(11a),lassen unterSatznegationkeinenWechselzumGenitivzu,vgl.(11b). 194 Redundanz,diebairisch‐slawische (10) a. Pëtr‐ čita‐l‐ knig‐u / *knig‐i. Pëtr‐NOM les‐PST‐M Buch‐ACC:SG / Buch‐GEN:SG ‚Pëtrlasein/dasBuch.‘ b. Pëtr‐ ne čita‐l‐ knig‐u / knig‐i. Pëtr‐NOM NEG les‐PST‐M Buch‐ACC:SG / Buch‐GEN:SG ‚PëtrlaskeinBuch/dasBuchnicht.‘ (11) a. Pëtr‐ pomoga‐l‐ druz’jam. Pëtr‐NOM helf‐PST‐M Freund‐DAT:PL ‚PëtrhalfdenFreunden.‘ b. Pëtr‐ ne pomoga‐l‐ druz’jam / *druzej‐. Pëtr‐NOM NEGhelf‐PST‐M Freund‐DAT:PL / Freund‐GEN:PL ‚PëtrhalfdenFreundennicht.‘ Diese und ähnliche Alternationen gelten als probates Diagnostikum für die Unterscheidung zwischen dem strukturellen Akkusativ und nicht‐ strukturellenKasusinslawischenSprachen.WennnundieKasusmarkie‐ rung an durativen Adverbialen ebenfalls struktureller Natur sein sollte, wärefürdasRussischeein(fakultativer)WechselvonAkkusativzuGeni‐ tivzuerwarten,wennderSatzeinenpräverbalenNegationsmarkerent‐ hält.DieseVoraussagewirdnunauchtatsächlicherfüllt,vgl.(12),wobei unter Negation sowohl akkusativische als auch genitivische Adverbiale voneinerPartikelioderni‚(nicht)einmal‘begleitetwerden. (12) a.*Maš‐a pisa‐l‐a pis’m‐o (i) čas‐a. Maša‐NOM schreib‐PST‐F Brief‐ACC:SG PTCL Stunde‐GEN:SG b. Maš‐a ne pisa‐l‐a pis’m‐o i čas‐ Maša‐NOM NEGschreib‐PST‐F Brief‐ACC:SG PTCL Stunde‐ACC:SG / čas‐a. Stunde‐GEN:SG ‚MašaschriebnichteinmaleineStundeandemBrief.‘ Zu bemerken ist, dass die präverbale Negation in Fällen wie (12) keine strikte Negation des gesamten Sachverhalts darstellt, dennoch ist die präverbale morphosyntaktische Markierung obligatorisch, um sowohl einePartikelialsauchdenfakultativenGenitivamDurativzulizenzieren. DersemantischeBeitragdesGenitivsderNegationimRussischenist keineswegs geklärt (vgl. u.a. Partee et al. 2011 zu einer detaillierten Diskussion).AussyntaktischerSichtistjedenfallsdiePräsenzeinesOpe‐ rators verbunden mit einer präverbalen morphosyntaktischen Ausbuch‐ stabierung des Negationsmerkmals eine strikte Voraussetzung für das AuftretendesGenitivs.ZurErklärungderOptionalitätdesGenitivsgibtes unzähligeVorschläge,etwajenenvonBailyn(2004),derfürdenFallder Genitivmarkierungeinquantifizierendes[q]‐MerkmalamVerbannimmt, 195 LukaSzucsich dasdurchdenNegationsoperatorlizenziertwird.DasVorhandenseinvon [q] lizenziert wiederum den Genitiv. Andererseits kann ein [q]‐Merkmal auch von anderen Elementen eingeführt werden, etwa von quantifizie‐ rendenAusdrückenwiemnogo‚viel‘oderMaßausdrückenoderabervon Partikelnwieioderni. DiesergibtwiederumeineinteressanteVoraussagefürdasRussische. Wenn das [q]‐Merkmal tatsächlich am Verb sitzt, so muss der Genitiv sowohlaminternenArgumentwieaneinemmöglichendurativenAdver‐ bial realisiert werden, da das Merkmal Bestandteil der gesamten Merk‐ malskette ist, vgl. (13a). Wird es hingegen von der Partikel eingeführt, verbleibtdasinterneArgumentimAkkusativ,dasDurativerscheintauf‐ grunddeslokalbeschränkten[q]‐MerkmalsaberimGenitiv,vgl.dieVari‐ ante mit Genitiv im obigen Beispiel (12b). Der Fall, dass der Genitiv am internen Argument auftritt, nicht jedoch am Durativ, dürfte hingegen nicht eintreten, da der Genitiv am Objekt auf ein verbales [q]‐Merkmal hindeutet. Auch diese Erwartung wird erfüllt, wie man am Beispiel in (13b)ersehenkann. (13) a. Ivan‐ ne čital‐ žurnal‐ov i čas‐a. Ivan‐NOM NEG les‐PST‐M Zeitschrift‐GEN:PL PTCL Stunde‐GEN:SG ‚IvanlasnichteinmaleineStundeZeitschriften.‘ b.*Ivan‐ ne čital‐ žurnal‐ov i čas‐. Ivan‐NOM NEG les‐PST‐M Zeitschrift‐GEN:PL PTCL Stunde‐ACC:SG Die hier angeführten Daten sprechen mithin dafür, dass es sich bei akkusativischen Kasusmarkierungen von Durativen tatsächlich um re‐ dundante morphologische Ausbuchstabierungen einer Merkmalsinstanz handelt, die Teil komplexer Merkmalsketten ist. Neben einem ‚negative spread‘ gibt es im Russischen also in komplexen Merkmalsketten auch einen‚genitivespread‘. DerKreiszumBairischenkannnungeschlossenwerden,dennbesag‐ ter, eingangs behandelter ‚negative spread‘ tritt im Bairischen auch bei durativenAdverbialenauf,wobeiauchhiernichtzwangsläufigderSach‐ verhaltalssolchernegiertwird. (14) wai'adeskoandognedaushoid. MitdenhierdiskutiertenBeispielenkannsomitgezeigtwerden,dass sowohldasBairischealsauchdasSlawischezahlreichemorphosyntakti‐ scheRedundanzenaufweisen,diesaberselbstredendimmernurimSinne einer Valentinschen Anstrengung, maximale Klarheit ins sprachliche Systemzubringen. 196