150 5 WEITERE ANWENDUNGEN DER NEWTON’SCHEN AXIOME I Mechanik Deshalb ist es auch sinnvoll, das Gaspedal behutsam zu betätigen, wenn man im Schnee feststeckt oder auf einer glatten Fahrbahn fährt, um dadurch ein Durchdrehen der Räder zu vermeiden. Je nachdem, wie man bremst, kann auch beim Abbremsen eines Autos zwischen der Straße und den Reifen entweder die Haftreibung oder die Gleitreibung wirken, um es anzuhalten. Tritt man so stark auf das Bremspedal, dass die Räder blockieren, gleiten die Reifen über die Straße, wobei die Bremskraft nur der Gleitreibungskraft entspricht. Bremst man dagegen schwächer, sodass die Räder nicht ins Rutschen kommen, wirkt die Haftreibungskraft als Bremskraft. Wenn die Räder blockieren und die Reifen rutschen, hat dies gleich zwei nachteilige Auswirkungen: Zum einen steigt der Mindestbremsweg, und zum anderen lässt sich das Auto immer schlechter lenken. Ist das Fahrzeug aber einmal außer Kontrolle geraten, kann dies fatale Folgen haben. Antiblockiersysteme (ABS) sollen verhindern, dass die Räder beim scharfen Bremsen durchdrehen. Diese Systeme besitzen am Rad Geschwindigkeitssensoren. Erkennt das daran angeschlossene Steuergerät, dass das Rad kurz vor dem Blockieren steht, sendet es Signale, die die Bremse veranlassen, den Bremsdruck für dieses Rad bis zu 15-mal pro Sekunde auf- bzw. wieder abzubauen. Dieser veränderliche Bremsdruck wirkt ganz so, wie wenn man mit der Bremse „pumpt“. Allerdings wird beim ABS nur das Rad „gepumpt“, bei dem die Gefahr besteht, dass es blockiert. Bei dieser Schwellwertbremsung wird die maximale Reibungskraft zum Bremsen eingesetzt. Beispiel 5.7. zeigt, wie das ABS den Bremsweg verkürzt. Beispiel 5.7: Die Wirkung des ABS Ein Auto fährt mit 30 m/s auf einer horizontalen Straße. Die Reibungskoeffizienten zwischen der Straße und den Reifen betragen μR,h = 0,50 und μR,g = 0,40. Wie lang ist der Bremsweg des Autos, a) wenn das Auto mit einem Antiblockiersystem (ABS) ausgestattet ist und die Schwellwertbremsung wirkt oder b) wenn das Auto ohne ABS eine Vollbremsung durchführt, bei der die Räder blockieren? (Hinweis: Rutschende Reifen erwärmen sich, wobei sich die Reibungskoeffizienten ändern. Von solchen Temperatureffekten soll in diesem Beispiel abgesehen werden.) Problembeschreibung: Die Kraft, durch die ein Auto, das bremst, zum Stehen kommt, ohne dass es dabei rutscht, ist die Haftreibungskraft, die die Straße auf die Reifen ausübt (Abbildung 5.19). Wir wenden das zweite Newton’sche Axiom an, um die Reibungskraft und die Beschleunigung des Autos zu ermitteln. Der Bremsweg ergibt sich dann aus kinematischen Berechnungen. v FR,1 FR,2 5.19 Lösung: Teilaufgabe a 1. Zeichnen Sie ein Kräftediagramm für das Auto (Abbildung 5.20). Dabei sind alle vier Räder so zu behandeln, als wären sie ein einziger Berührungspunkt mit dem Boden. Weiterhin wird angenommen, dass die Bremsen auf alle vier Räder wirken und dass F R im Kräftediagramm die Summe der auf die einzelnen Räder wirkenden Reibungskräfte ist. +y FR Fn maG +x 5.20 2. Unter der Annahme, dass die Beschleunigung konstant ist, nutzen wir Gleichung 2.15, um den Zusammenhang zwischen dem Bremsweg x und der Anfangsgeschwindigkeit v0,x auszudrücken: 2 + 2 ax x, vx2 = v0,x wenn vx = 0 ist, gilt also x = − 3. Wenden Sie Fi,y = m a y auf das Auto an und stellen Sie die Gleichung nach der Normalkraft um. Verwenden Sie daraufhin |F R,max | = μR,h |F n | und stellen Sie nach der Reibungskraft um: 2 v0,x 2 ax Fi,y = m a y ⇒ |F n | − m g = 0 und so |F n | = m g |F R,h,max | = μR,h |F n | und |F R,h,max | = μR,h m g Tipler/Mosca: Physik, 6. Auflage 5.2 WIDERSTANDSKRÄFTE Fi,x = m ax ⇒ −|F R,h,max | = m ax I Mechanik 4. Wenden Sie Fi,x = m ax auf das Auto an. Stellen Sie die Gleichung anschließend nach der Beschleunigung um: Ersetzt man |F R,h,max | durch μR,h m g, ergibt sich −μR,h m g = m ax ⇒ ax = −μR,h g 5. Einsetzen in die Gleichung für x aus Schritt 2 ergibt den Bremsweg: x = − 2 v0,x 2 ax = 2 v0,x 2 μR,h g (30 m· s−1 )2 = = 0,92 · 10−2 m 2 · (0,50) · (9,81 m· s−2 ) Teilaufgabe b 1. Wenn die Räder blockieren, übt die Straße auf die Räder die Gleitreibungskraft aus. Auf ähnliche Weise wie in Teilaufgabe a erhalten wir für die Beschleunigung: 2. Somit beträgt der Bremsweg: ax = −μR,g g x = − = 2 v0,x 2 ax = 2 v0,x 2 μR,g g (30 m· s−1 )2 = 1,1 · 102 m 2 · (0,40)(9,81 m· s−2 ) Plausibilitätsprüfung: Erwartungsgemäß sind beide Verschiebungen positiv. Wie es sein sollte, verkürzt das Antiblockiersystem außerdem wesentlich den Bremsweg des Autos. Weitergedacht: Wie Sie sehen, ist der Bremsweg mit blockierten Rädern um mehr als 20 % länger. Außerdem ist bemerkenswert, dass der Bremsweg unabhängig von der Masse des Autos ist. Mit anderen Worten, der Bremsweg für einen Kleinwagen ist genauso groß wie der für einen Schwerlasttransport – dies natürlich nur, solange die Reibungskoeffizienten gleich sind. Allerdings heizen sich die Reifen bei einem schweren LKW beim Rutschen stark auf, was den Gleitreibungskoeffizienten μR,g wesentlich ändert – dieser Effekt wurde hier außer Acht gelassen. 5.2 Widerstandskräfte Flüssigkeiten und Gase besitzen verschiedene gemeinsame Eigenschaften und werden deshalb gelegentlich unter dem Sammelbegriff Fluid zusammengefasst. Wenn sich ein Körper durch ein Fluid wie Wasser oder Luft bewegt, erzeugt dieses eine Widerstandskraft, die der Bewegung des Körpers entgegenwirkt. Diese Widerstandskraft ist abhängig von der Form des Körpers, von den Eigenschaften des Fluids und von der Geschwindigkeit des Körpers relativ zum Fluid. Im Gegensatz zur bisher behandelten Reibung steigt diese Widerstandskraft mit der Geschwindigkeit des Körpers an. Bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten ist sie ungefähr proportional zur Geschwindigkeit, bei höheren Geschwindigkeiten dagegen eher proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit. Wir betrachten einen Körper, der unter dem Einfluss der als konstant angenommenen Gravitation aus der Ruhe nach unten Tipler/Mosca: Physik, 6. Auflage fällt. Der Betrag der Widerstandskraft ist dann FW = b |v|n , (5.5) Die Gleichung für die Widerstandskraft wobei b und n Konstanten sind. Wie in Abbildung 5.21 gezeigt ist, wirken auf einen in der Luft fallenden Körper die konstante, nach unten gerichtete Gravitationskraft m g und eine nach oben gerichtete Kraft b |v|n . Legt man die +y-Richtung so, dass sie nach oben zeigt, erhält man aus dem zweiten Newton’schen Axiom −m g + b |v|n = m a y . (5.6) Umstellen nach der Beschleunigung ergibt a y = −g + b |v|n . m 151 (5.7)