Systematisierung von Werbestrategien als Kernelement des Werbeplanungsprozesses: Eine explorative Untersuchung DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von Philipp Stradtmann aus Deutschland Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Sven Reinecke und Prof. Dr. Thomas Bieger Dissertation Nr. 3713 Cuvillier Verlag Göttingen, 2009 2 Die Universität St. Gallen, Hochschule fürWirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 19. Oktober 2009 Der Rektor: Prof. Ernst Mohr, PhD Diese Arbeit erscheint unter dem Titel „Systematisierung von Werbestrategien als Kernelement des Werbeplanungsprozesses: Eine explorative Untersuchung“ im Cuvillier Verlag, Göttingen, 2009. ISBN 978-3-86955-202-6 3 Vorwort Diese Arbeit ist während meiner Zeit als externer Doktorand am Institut für Marketing (IfM) an der Universität St. Gallen entstanden. Von der Universität wurde sie im Oktober 2009 als Dissertation angenommen. Der Anstoß zu dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Werbestrategien ging zurück auf meine beruflichen Erfahrungen mit der Planung und Umsetzung von Werbekampagnen bei der internationalen Werbeagentur Foote Cone Belding (FCB), heute Draft FCB, die mit dem FCB-Grid Anfang der achtziger Jahre einen Ansatz zur Generierung von Werbestrategien entwickelt hat.1 Den zahlreichen Personen, die durch Ihre Unterstützung zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle danken. Mein besonderer Dank gilt natürlich meinem Doktorvater Professor Dr. Sven Reinecke, der mich als externen Praktiker zur Promotion angenommen hat und mich durch alle Phasen der Dissertation mit einem stets konstruktiven und motivierenden Feedback begleitet hat und dessen fachliche Expertise mir Ansporn war, mein Modell aufgabenorientierter Werbestrategien in der vorliegenden Form zu entwickeln. Danken möchte ich auch Herrn Professor Bieger, der mir als Zweitgutachter insbesondere zur methodischen Vorgehensweise wertvolle Impulse gegeben hat. Für einen kontinuierlichen, anregenden und motivierenden Diskurs hat das DespDoc-Team gesorgt, also Annette, Eva, Anne-Kathrin, Carola und Markus, denen ich dafür sehr dankbar bin. Großen Dank gebührt allen werbeverantwortlichen Experten, die sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu Experteninterviews bereit erklärt haben und mir umfassende Einblicke in ihre Kampagnenarbeit gewährt haben. Insbesondere danke ich Herrn Dr. von Vieregge, Geschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA sowie Herrn Dr. Goll für die kritische Reflektion meines Modells. Die Entstehung dieser Arbeit wäre in dieser Form nicht möglich gewesen ohne die Freiheiten, die mir mein Arbeitgeber, die Martin Braun KG, und insbesondere mein Vorgesetzter, Herr Dr. Detlev Krüger, gewährt haben. Ganz besonderer Dank gebührt meinen Eltern, für die Bildung immer ein hohes nachhaltiges Gut war und die mich deshalb darin unterstützt haben, auch noch diesen Schritt meiner akademischen Ausbildung zu vollziehen. Schließlich danke ich sehr herzlich meiner Frau Nicola dafür, dass Sie mir in den vergangenen ereignisreichen Jahren immer wieder liebevollen Zuspruch und Unterstützung gegeben hat sowie meinem Sohn Julian, der auf viele gemeinsame Spielstunden verzichten musste, dafür aber großes Verständnis zeigte. Nürnberg, im Dezember 2009 1 VAUGHN, 1980 Philipp Stradtmann 4 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................. 7 Zusammenfassung.................................................................................................................... 9 Abstract ................................................................................................................................... 10 1. Einleitung ............................................................................................................................ 11 1.1 Problemstellung.............................................................................................................. 11 1.2 Relevanz in Praxis und Forschung ................................................................................. 12 1.3 Bezugsrahmen der Arbeit............................................................................................... 20 1.4 Ziel und Aufbau der Arbeit ............................................................................................ 21 2. Werbeplanung als Teil des Kommunikationsmanagement-Prozesses .......................... 25 2.1 Begriffsdefinition, Aufgaben ......................................................................................... 25 2.2 Akteure ........................................................................................................................... 26 2.3 Prozessmodelle: Phasen und Elemente .......................................................................... 28 2.4 Zusammenfassung .......................................................................................................... 35 3. Werbestrategien als Kernelement des Werbeplanungsprozesses .................................. 39 3.1 Begriffsdefinition und Aufgaben ................................................................................... 39 3.2 Kernelemente ........................................................................................................... 42 3.2.1 3.2.2 Werbesubjekte und -objekte............................................................................. 43 Werbeziele........................................................................................................ 43 3.2.3 3.2.4 Werbezielgruppen ............................................................................................ 50 Positionierung, Werbebotschaft und -stil ......................................................... 52 3.2.5 Mediamix, Werbeareal- und -timing ................................................................ 56 3.3 Systematisierungen von Werbestrategien ...................................................................... 57 3.3.1 3.3.2 Systematisierung nach GUTENBERG............................................................. 59 Systematisierung nach SEYFFERT ................................................................. 63 3.3.3 Systematisierung nach BEHRENS................................................................... 64 3.3.4 Systematisierung nach BIDLINGMAIER ....................................................... 67 3.3.5 Systematisierung nach FAISON ...................................................................... 68 3.3.6 Systematisierung nach ASSAEL...................................................................... 70 3.3.7 Systematisierung nach PERREAULT/McCARTHY....................................... 72 3.3.8 Systematisierung nach KROEBER-RIEL/ESCH............................................. 73 3.3.9 Systematisierung nach BRUHN....................................................................... 76 3.3.10 Systematisierung nach KOTLER ET AL......................................................... 80 3.4 Zusammenfassung und Fazit .......................................................................................... 82 3.5 Anforderungen an das Forschungsmodell...................................................................... 85 4. Grundlagen zur Modellentwicklung................................................................................. 86 4.1 Konsolidierung der bestehenden Werbestrategie-Systematisierungen .......................... 86 4.2 Der theoretische Bezugsrahmen..................................................................................... 92 5 4.2.1 4.2.2 4.2.3 Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF als Systematisierungsraster .................. 92 Der aufgabenorientierte Ansatz von TOMCZAK und REINECKE ................ 96 Bewertung der Kernaufgaben-Seite ............................................................... 103 4.2.4 4.2.5 Bewertung der Kernkompetenzen-Seite......................................................... 105 Auswahl des theoretischen Bezugsrahmens................................................... 108 4.3 Elemente des vorläufigen Modells ......................................................................... 109 4.4 Forschungsleitende Fragestellung ................................................................................ 115 5. Konzeption der empirischen Untersuchung .................................................................. 118 5.1 Forschungsprozess und Forschungsmethodik im Überblick........................................ 118 5.2 Fallstudien als Forschungsmethode ............................................................................. 120 5.3 Datenquellen der Fallstudienanalyse............................................................................ 127 5.3.1 5.3.2 Dokumentenanalyse ....................................................................................... 128 Fokussiertes, leitfadenbasiertes Interview...................................................... 128 5.3.3 Expertenworkshops ........................................................................................ 132 5.4 Auswahl der Fälle......................................................................................................... 134 5.5 Auswertung der Fallstudien-Daten............................................................................... 138 5.6 Zusammenfassung ........................................................................................................ 141 6. Ergebnisse der empirischen Untersuchung ................................................................... 142 6.1 Ergebnisse zu den Werbestrategie-Archetypen auf Fallstudienbasis........................... 142 6.1.1 Kampagnen-Fallstudie „BILDmobil“, Axel Springer.................................... 143 6.1.2 Kampagnen-Fallstudie Audi Q7, Audi........................................................... 149 6.1. Kampagnen-Fallstudie Paula, Dr. Oetker ...................................................... 156 6.1.4 Kampagnen-Fallstudie Dove pro•age, Unilever............................................. 162 6.1.5 Kampagnen-Fallstudie Eucerin, Beiersdorf ................................................... 167 6.1.6 Kampagnen-Fallstudie Touareg, Volkswagen ............................................... 173 6.1.7 Kampagnen-Fallstudie Balisto, Mars ............................................................. 177 6.1.8 Kampagnen-Fallstudie Rama Cremefine, Unilever ....................................... 184 6.1.9 Kampagnen-Fallstudie Golf Schlämmer Blog, Volkswagen ......................... 190 6.1.10 Kampagnen-Fallstudie Drei Wetter Taft, Henkel .......................................... 197 6.1.11 Kampagnen-Fallstudie 1 Euro-Menü, McDonald’s ....................................... 201 6.1.12 Kampagnen-Fallstudie Flatrate XXL local, T-Com....................................... 206 6.1.13 Kampagnen-Fallstudie Gillette Fusion, Procter & Gamble ........................... 213 6.1.14 Kampagnen-Fallstudie Bertolli, Unilever ...................................................... 217 6.1.15 Kampagnen-Fallstudie Allfinanz, Dt. Sparkassen- und Giroverband............ 222 6.1.16 Kampagnen-Fallstudie Mehrprodukte-Vermarktung, ING-DiBa .................. 228 6.2 Ergebnisse zu notwendigen Rahmenbedingungen und Kompetenzen................... 233 7. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse...................................................... 242 7.1 Generelle Schlussfolgerungen...................................................................................... 242 7.1.1 Schlussfolgerungen für das Grundmodell ...................................................... 242 7.1.2 Bewertung der Modellindikatoren ................................................................. 243 6 7.2 Schlussfolgerungen für die Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien........... 246 7.2.1 Schlussfolgerungen für den Archetyp Einführungswerbung .......................... 249 7.2.2 Schlussfolgerungen für den Archetyp Expansionswerbung............................ 254 7.2.3 Schlussfolgerungen für den Archetyp Loyalitätswerbung .............................. 263 7.3 Kompetenzen – Voraussetzungen für den Konsistenz-Fit ........................................... 266 8. Fazit ................................................................................................................................... 268 8.1 Limitationen ................................................................................................................. 268 8.2 Weiterer Forschungsbedarf .......................................................................................... 270 8.3 Idealtypisches Werbeplanungsmodell für die Werbepraxis......................................... 274 8.4 Fazit und Ausblick ....................................................................................................... 278 Literaturverzeichnis............................................................................................................. 280 Anhang .................................................................................................................................. 302 7 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die Werbeplanung in der Planungshierarchie des Unternehmens..................... 25 Abbildung 2: Übersicht verschiedenen Ansätze zum Ablauf des Werbeplanungsprozesses... 31 Abbildung 3: Kommunikationsziele und Zielgrößen............................................................... 46 Abbildung 4: Kategorien und Merkmale zur Segmentierung von Zielgruppen....................... 51 Abbildung 5: Positionierungsstrategien aus der Perspektive des Positionierungsmodells ...... 54 Abbildung 6: Übersicht der verschiedenen Systematisierungen von Werbestrategien............ 59 Abbildung 7: Normziele der Positionierung ............................................................................ 74 Abbildung 8: Implizite Dimensionen der Systematisierung von BRUHN .............................. 79 Abbildung 9: Indikatoren der verschiedenen Werbestrategie-Systematisierungen ................. 83 Abbildung 10: Übereinstimmende Charakterisierungen von Werbearten ............................... 89 Abbildung 11: Produkt-Markt-Matrix nach ANSOFF............................................................. 93 Abbildung 12: Erweiterte Produkt-Markt-Zielgruppen-Matrix nach KOTLER...................... 95 Abbildung 13: Kompetenzen und Kernaufgaben..................................................................... 97 Abbildung 14: Überblick über die Kernaufgaben des Marketing ............................................ 99 Abbildung 15: Wachstums- und Gewinnoptionen ................................................................. 105 Abbildung 16: Spezifische Kompetenzen zur Erfüllung der Kernaufgaben.......................... 106 Abbildung 17: Typologien im Hinblick auf Marketing-Kernaufgaben und -Kompetenzen.. 107 Abbildung 18: Entscheidungsmatrix für Forschungsstrategien ............................................. 121 Abbildung 19: Entscheidungsmatrix zu den vier Fallstudien-Kerntypen .............................. 123 Abbildung 20: Übersicht Fallstudien nach Segmenten und Branchen................................... 142 Abbildung 21: Kampagnen-Steckbrief BILDmobil ............................................................... 144 Abbildung 22: Ausprägungen der BILDmobil-Kampagne als Einführungswerbung........... 148 Abbildung 23: Kampagnen-Steckbrief Audi Q7.................................................................... 151 Abbildung 24: Ausprägungen der Audi Q7-Kampagne als Einführungswerbung................. 155 Abbildung 25: Kampagnen-Steckbrief Dr. Oetker Paula...................................................... 157 Abbildung 26: Ausprägungen der Paula-Kampagne als Einführungswerbung...................... 162 Abbildung 27: Kampagnen-Steckbrief Dove pro age ............................................................ 164 Abbildung 28: Ausprägungen der Dove pro•age-Kampagne als Einführungswerbung ........ 167 Abbildung 29: Kampagnen-Steckbrief Eucerin ..................................................................... 170 Abbildung 30: Zielgruppendifferenzierte Ansprache............................................................. 171 Abbildung 31: Ausprägungen der Eucerin-Kampagne als Einführungswerbung .................. 173 Abbildung 32: Kampagnen-Steckbrief Touareg .................................................................... 174 Abbildung 33: Ausprägungen der Touareg-Kampagne als Expansionswerbung .................. 177 Abbildung 34: Kampagnen-Steckbrief Balisto ...................................................................... 178 Abbildung 35: Ausprägungen der Balisto-Kampagne als Expansionswerbung ................... 184 Abbildung 36: Kampagnen-Steckbrief Rama Cremefine ...................................................... 186 Abbildung 37:Ausprägungen der Rama Cremefine-Kampagne als Expansionswerbung..... 190 8 Abbildung 38: Kampagnen-Steckbrief VW Golf................................................................... 192 Abbildung 39: Ausprägungen der VW Golf-Kampagne als Expansionswerbung................ 196 Abbildung 40: Kampagnen-Steckbrief Drei Wetter Taft ....................................................... 198 Abbildung 41: Ausprägungen der Drei-Wetter-Taft-Kampagne als Expansionswerbung ... 201 Abbildung 42: Kampagnen-Steckbrief McDonald's .............................................................. 202 Abbildung 43: Ausprägungen der McDonald’s-Kampagne als Loyalitätswerbung ............ 205 Abbildung 44: Kampagnen-Steckbrief T-Com ...................................................................... 208 Abbildung 45: Ausprägungen der T-Com-Kampagne als Loyalitätswerbung..................... 212 Abbildung 46: Kampagnen-Steckbrief Gillette...................................................................... 214 Abbildung 47: Ausprägungen der Gillette-Fusion-Kampagne als Loyalitätswerbung ......... 216 Abbildung 48: Kampagnen-Steckbrief Bertolli ..................................................................... 218 Abbildung 49: Produktspezifische Kampagnen-Segmentierung ........................................... 219 Abbildung 50: Ausprägungen der Bertolli-Kampagne als Cross-Selling-Werbung ............. 222 Abbildung 51: Kampagnen-Steckbrief Sparkasse.................................................................. 224 Abbildung 52: Ausprägungen der Sparkassen-Kampagne als Cross-Selling-Werbung ........ 227 Abbildung 53: Kampagnen-Steckbrief ING-DiBa................................................................. 230 Abbildung 54: Ausprägungen der ING-DiBa-Kampagne als Cross-Selling-Werbung ....... 232 Abbildung 55: Potentielle Bruchstellen im Ableitungsprozess.............................................. 233 Abbildung 56: Unterschiede im Hinblick auf den Involvementcharakter der Produkte/Leistungen............................................................................................................... 245 Abbildung 57: Erweitertes Modell aufgabenorientierter Werbestrategien ............................ 246 Abbildung 58: Fallstudien im Hinblick auf den jeweiligen Werbestrategie-Archetyp.......... 247 Abbildung 59: Kernelemente der Werbestrategie .................................................................. 249 Abbildung 60: Charakteristika des Archetypus Einführungswerbung................................... 252 Abbildung 61: Charakteristika des Archetypus Follow-up Werbung .................................... 256 Abbildung 62: Charakteristika des Archetypus Rebrush-Werbung ....................................... 259 Abbildung 63: Charakteristika des Archetypus Relaunch-Werbung ..................................... 263 Abbildung 64: Charakteristika des Archetypus Loyalitätswerbung ...................................... 265 Abbildung 65: Notwendige Kompetenzen ............................................................................ 266 Abbildung 66: Übersicht Fallstudien nach Marketingaufgaben-Typologien......................... 272 Abbildung 67: Idealtypisches Ablaufmodell zur Werbeplanung ........................................... 275 Abbildung 68: Analyseebenen zur Werbestrategie-Entwicklung .......................................... 277 Zusammenfassung Werbetreibende Unternehmen sind bestrebt, die Effizienz und die Effektivität Ihrer Werbeaktivität permanent zu optimieren. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist ein umfassender und konsistenter Werbeplanungsprozess. Kernelement eines solchen ist die Werbestrategie. Umfang und Qualität der Werbestrategie sowie ihre Übereinstimmung mit der übergeordneten Kommunikations- und Marketingstrategie des Unternehmens sind maßgeblich für den kommunikativen Erfolg. Auf Basis bestehender Ansätze zur Systematisierung von Werbestrategien wird in dieser Arbeit ein Modell aufgabenorientierter Werbestrategien entwickelt und in Form einer explorativen Untersuchung anhand von 16 Kampagnen-Fallstudien überprüft. Dabei werden drei Archetypen von Werbestrategien mit entsprechenden Untervarianten identifiziert: Einführungswerbung (Neumarken-Werbung, Line-Extension-Werbung), Expansionswerbung (Follow-up-, Rebrush- und Relaunch-Werbung) und Loyalitätswerbung. Diese drei Archetypen unterscheiden sich signifikant im Hinblick auf den Charakter der beworbenen Leistung (Leistungspflege vs. Leistungsinnovation), den Zielgruppenfokus (Neuversus Bestandskunden), die Höhe des Budgets, die kommunikativen Werbeziele, Positionierung und Werbebotschaft, den Stellenwert der Mediawerbung im Kommunikationsmix sowie die Wahl des Leitmediums. Mit dem in dieser Arbeit entwickelten Modell aufgabenorientierter Werbestrategien können Werbetreibende sicherstellen, dass ihre Werbeaktivitäten eine umfassende strategische Grundlage haben und somit Werbeeffektivität und –effizienz gewährleistet sind. 10 Abstract Constantly advertisers are seeking to optimize efficiency and effectiveness of their advertising activities. To achieve this, a comprehensive and consistent planning process in advertising becomes an essential requirement. Key element is the advertising strategy. Quality, coverage and accordance with the superior communication and marketing strategy are crucial for the communicative impact. Against this background this thesis will develop a model of task-oriented advertising strategies based on existing approaches to classify advertising strategies. Furtherly, the model will be tested by an explorative analysis of 16 campaign-cases. Three major types of advertising strategies with corresponding sub classifications will be identified: launch advertising (introductory advertising, line-extension advertising), expansion advertising (follow-up, rebrush und relaunch advertising) and loyalty advertising. These three types of strategies show significant differentiation with respect to the character of the goods and services advertised, target group, height of budget, communicative objectives, positioning, advertising message, weight of media advertising within the over-all communication mix as well as selection of the lead media. Following the model of task-oriented advertising strategies, companies can ensure that their advertising activities are based on a complete strategic basis safeguarding advertising effectiveness and efficiency. 11 1. Einleitung „Strategie ist ein großes Wort. Oft überlebensgroß. Wenn es in einem Meeting fällt, erstarren alle zur Salzsäure, und jeder hofft auf den Messias, der den Weg weist. Doch man muss sich bewusst machen, dass Strategie oft nur das probate Mittel für die Schwachen ist. Strategie kann helfen, trotz unterlegener Leistung ein höheres Momentum zu erzielen. Sie ist wichtig für den, der es mit schierer Leistung nicht schafft.“2 Holger Jung und Jean-Remy von Matt, Inhaber der Kreativ-Agentur Jung von Matt 1.1 Problemstellung In der aktuellen Wirtschaftskrise werden die Ausgaben für Werbung deutlich reduziert.3 Werbetreibende Unternehmen sind deshalb umso mehr bestrebt, sowohl die Effektivität als auch die Effizienz ihrer Werbeaktivität permanent zu optimieren. Dabei bemisst sich Werbeeffektivität nach TROMMSDORFF und BECKER4 an dem Grad der Zielerreichung (wird z. B. auf Grundlage der Werbestrategie „das Richtige“ getan), während Werbeeffizienz beschreibt, ob diese Aktivität auch „richtig“, d.h. in wirtschaftlicher Weise (ideales Output-Input-Verhältnis) erreicht wurde.5 Erfolgreiche Werbekommunikation basiert somit auf Effektivität und Effizienz, wobei effektive Werbekommunikation eine notwendige Voraussetzung für Werbeeffizienz ist, weil ansonsten im schlimmsten Fall die falschen Werbeziele mit kleinem Budget erfolgreich erreicht werden. Dementsprechend kommt der systematischen Werbeplanung sowie der Werbestrategie als ihrem Kernelement per se eine maßgebliche Rolle zur Gewährleistung der Werbeeffektivität zu. Gleichzeitig hat die Werbeplanung und mit ihr die Werbestrategie aber auch im Hinblick auf die Werbeeffizienz eine besondere Bedeutung: Beide liefern einen notwendigen Handlungsrahmen, innerhalb dessen die Ressourcen zur Strategieumsetzung mit maximaler Effizienz eingesetzt werden. Insofern steht die Frage der Werbeffektivität im Fokus dieser Forschungsarbeit. Diese grundsätzliche Bedeutung werbeplanerischer und werbestrategischer Arbeit für die Kampagnenverantwortlichen wird durch folgende aktuelle Faktoren verstärkt, die dazu führen, dass der Wertbeitrag von Werbekommunikation nicht nur sichergestellt, sondern auch verstärkt belegt werden muss: Die Verschärfung des Kommunikationswettbewerbes (aktuelle Relevanz), Planungsdefizite in der Werbekommunikationspraxis (Bedarf) sowie die unzureichende Systematisierung von Werbestrategien (Defizit).6 2 JUNG/VON MATT, 2002, S. 135 LÖHR, 2009, S. 19; LEMBJ 4 TROMMSDORF/BECKER, 2001, S. 9 5 Eine zentrale Kenngröße in der Werbeeffizienz-Messung ist das pro Prozentpunkt Werbeerinnerungsleistung (Recall-Wert) eingesetzte Mediawerbevolumen in Tsd. Euro im Vergleich zum Wettbewerb. Für die Automobil-Industrie wird dieser Wert jährlich im BrandControl-Monitor erfasst. 6 BRUHN, 2005a, V; NUNES/MERRIHUES, 2007, S. 63 3 12 Diese drei Faktoren, die nachfolgend detailliert erläutert werden, führen dazu, dass Werbestrategien als Kernelement eines umfassenden und konsistenten Werbeplanungsprozesses eine besondere Bedeutung für Effektivitätserreichung bzw. -sicherung zukommt. Bislang fehlen jedoch konsistente, sowohl theoretische fundierte wie auch empirisch ausreichend belegte Systematisierungen von Werbestrategien als Kernelement eines Werbeplanungsprozesses, die den Verantwortlichen eine Orientierung bei der Ableitung einer marketingstrategiekonformen Werbeaktivität geben. 1.2 Relevanz in Praxis und Forschung Verschärfung des Kommunikationswettbewerbes Angesichts homogenisierter Leistungsangebote wächst die Bedeutung von Kommunikation als differenzierendem strategischem Wettbewerbsfaktor.7 Dementsprechend hat sich der Kommunikationswettbewerb in den letzten Jahren auf allen Ebenen verschärft und stellt Unternehmen im Rahmen ihrer Kommunikationsarbeit vor immer umfangreichere und komplexere Aufgabenstellungen.8 Veränderte gesellschaftliche, technologische, wirtschaftliche sowie kommunikationsrechtliche Rahmenbedingungen sowie die Diversifikation der Kommunikationsmittel bei gleichzeitiger Atomisierung der Medienträger9 machen es den Unternehmen zunehmend schwieriger, ihre gleichzeitig fragmentierten Zielgruppen mit wachsendem Individualisierungsgrad10 und mit abnehmenden Interesse an den klassischen Kommunikationsinstrumenten effektiv und effizient zu erreichen.11 Mediawerbung hat zwar innerhalb des Kommunikationsmixes – vor allem in Konsumgütermärkten – weiterhin eine „herausragende Stellung“12. So wird ihr von den Unternehmen die höchste strategische Relevanz gegenüber den übrigen Kommunikationsinstrumenten zugesprochen.13 Eine Untersuchung von BRUHN und BOENIGK ergab entsprechend, dass 40 % des Gesamtbudgets für Kommunikation für Mediawerbung eingesetzt wird.14 Gleichzeitig ist der Rechtfertigungsdruck, unter dem Werbung und somit die für sie verantwortlichen Entscheider stehen, so alt wie die Werbung selbst15. 7 BRUHN, 2005, S. 76 KLOSS, 2007, S. 113; BRUHN, 2005a, S. 73 ff. 9 ZAW, 2007, S. 13 ff. 10 GERKEN, 1989, S. 69 ff.; MEFFERT, 2000, S. 107, S. 1007; KÖHLER, 2001, S. 117ff. 11 BRUHN, 2005a, V 12 NUNES/MERRIHUES, 2007, S.65f.; BRUHN, 2005a, S. 500 13 BRUHN/BOENIGK, 1999, S. 69 14 BRUHN, 2005a, S. 350; BRUHN/BOENIGK, 1999, S. 63, S. 75, S. 166 15 Entsprechend dem populären Zitat von Wannamaker: "Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist herausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte." 8 13 Dennoch gibt es drei aktuelle Entwicklungen, die diesen Wettbewerbsdruck für die Kommunikation insgesamt und insbesondere für die Mediawerbung als ihr zentrales Instrument zusätzlich steigen lassen und damit die Notwendigkeit von Planung zur Steigerung der Wirtschaftlichkeitswahrscheinlichkeit erhöhen: Der Kostenfaktor Mediawerbung, Mediawerbung im integrierten Kommunikations-Mix und Mediawerbung als Treiber des Markenwertes. Kostenfaktor Mediawerbung: Unternehmen geben circa 10 – 20 % ihrer Erträge für Werbekommunikation aus.16 Die Gesamtaufwendungen für Werbung in Deutschland betrugen 2008 30,67 Milliarden Euro (minus 0,5 % gegenüber dem Vorjahr), europaweit wurden circa 120 Milliarden Euro, weltweit über 400 Milliarden in Werbung investiert.17 Nach Schätzung des Forschungsinstituts Prognos wird der deutsche Kommunikationsmarkt (also sämtliche Kommunikationsinstrumente, nicht nur Mediawerbung) im Jahr 2010 ein Volumen von 339 Milliarden Euro haben.18 Insbesondere im Bereich der Konsumgüter sind hohe Werbeinvestitionen notwendig, um neue Produkte bzw. Leistungen im Markt zu etablieren, bzw. bei bestehenden die Marktposition zu stabilisieren bzw. auszubauen.19 Über die normale Preissteigerung hinaus gibt es weitere Treiber, die Werbeaufwand proportional und absolut steigen lassen: Die rasante Ausweitung des Leistungs- und Markenportfolios von Unternehmen als Ergebnis von Diversifikationsstrategien und die daraus resultierenden kürzeren Produkt- und Markenlebenszyklen20, die fortschreitende Internationalisierung der Unternehmen, wobei die Adressierung zusätzlicher Märkte Anpassungen an die jeweils unterschiedlichen Sprach- und Kulturräume bedingen21, die fortschreitende Fragmentierung der Zielgruppen22, die wiederum einhergeht mit der Diversifikation der Werbemittel23; die Atomisierung der Medien bzw. Werbeträger24 sowie Me-too-Strategien in den Werbeaktivitäten der Wettbewerber25. Alle diese Faktoren bedingen für die Planung und Umsetzung von Werbekommunikation ein deutliches Wachstum im Hinblick auf den Umfang und die Komplexität der Aufgaben, was sich wiederum in einem kostentreibenden, höheren Ressourceneinsatz niederschlägt.26 Angesichts des oftmals hohen Reifegrads ihrer Heimatmärkte sowie der globalen Wachstumsperspektiven entscheiden sich viele Unternehmen dazu, ihr Leistungsportfolio und – ver16 BRUHN, 2005a, S. 115 ZAW, 2008, S. 9; S. 22 ff. 18 DIW/PROGNOS, 1995, S. 142 19 BRUHN, 2005a, S. 57; PIMPL, 2003a, S. 18; BROSCHE/WISSMEIER, 1993, S. 822 20 WILDEMANN, 1991, S. 17; SPECHT/BECKMANN/AMELINGMEYER, 2002, S. 3 21 MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2007, S. 855 f. 22 GERKEN, 1989, S. 69 ff.; MEFFERT, 2000, S. 107, S. 1007; KÖHLER, 2001,S. 118; MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2007, S. 852, S. 856 23 KLOSS, 2007, S. 22 24 ZAW, 2007, S. 13 ff. 25 KLOSS, 2007, S. 57 ff. 26 BRUHN, 2005a, S. 115 ff. 17 14 bunden damit – oft ihr Markenportfolio auszuweiten.27 Dieser Prozess geht häufig einher mit der Adressierung neuer Absatzmärkte in oftmals fremden Sprach- und Kulturräumen. Dies bedingt eine entsprechende internationale Organisation für die länderübergreifende Markenund Werbekommunikationssteuerung.28 Bei beiden strategischen Stoßrichtungen kommt der Mediawerbung mit ihrer Fähigkeit, Leistungen und Marken bei einem breiten Zielpublikum bekannt zu machen und zu profilieren, eine hohe strategische Bedeutung zu.29 Durch kürzere Produkt- und Markenlebenszyklen (z. T. bedingt durch Unternehmensverkäufe und -fusionen) wird dieser Prozess zusätzlich verschärft. So beträgt die Zahl der beworbenen Marken im deutschen Markt mittlerweile 64.000, denen 28.770 werbende Unternehmen gegenüberstehen.30 Die Fragmentierung der Zielgruppen31 geht einher mit einer Atomisierung der Werbeträger.32 Gleichzeitig bietet sich den Unternehmen mit dem Internet ein neues Kommunikationsinstrument, das aktuell als Werbeträger enorme Zuwächse verzeichnet.33 Die Konsequenz daraus ist: Der Umfang und die Komplexität der Werbekommunikation wachsen deutlich. Dies bedingt eine adäquate Anpassung der Ressourcenausstattung im Bezug auf den Umfang der Mittel als auch insbesondere im Hinblick auf das zur Verfügung stehende Know-how der verantwortlichen Werbetreibenden. Als Me-too-Verhalten, mit dem sich die werbetreibenden Unternehmen „hochschaukeln“ charakterisiert BRUHN die Tendenz, sich durch einen höheren Werbedruck gegen den Wettbewerb durchzusetzen und das vorherige Niveau der Werbeeffektivität zu erhalten.34 Mediawerbung im integrierten Kommunikations-Mix: Durch die wachsende Bedeutung einer dialog- und beziehungsorientierten Kommunikation35 bei gleichzeitig nachlassender Akzeptanz massenmedialer Werbekommunikation36 ist die Relevanz alternativer Kommunikationsinstrumente (beispielsweise Direct Marketing, Sponsoring, Verkaufsförderung) in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.37 Gleichzeitig bedingt die wachsende Fragmentierung der Mediennutzung38 auf Konsumentenseite den Einsatz unterschiedlicher Kommunikationsinstrumente, um einzelne Zielgruppen sinnvoll zu erreichen. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist: Mediawerbung steht im verschärften interkommunikativen Effektivitäts- und Effi- 27 Entgegen einer solchen Diversifizierungsstrategie gibt es jedoch Gegenbeispiele, bei denen Unternehmen wie z. B. Unilever, Philip Morris/Kraft Foods, und Altana sich Hinblick auf Geschäftsfelder, Märkte und Marken für eine Fokussierungsstrategie entschieden haben. 28 BERNDT, R./FANTAPIÉ ALTOBELLI, C. ET AL. (2005a); S. 225 ff.; BRUHN, 2005b, S. 292 ff.; THIEME, W.M., 2000, S. 293 ff. 29 BRUHN, 2003a, S. 95 30 ZAW, 2007, S. 9 31 BRUHN, 2005a, S. 545 32 BRUHN, 2005a, S. 75 33 ZAW, 2007, S. 12 f. 34 BRUHN, 2005a, S. 82 f. 35 BRUHN, 2005a, S. 72, SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 79I 36 BRUHN, 2005a, S. 75 37 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 108 38 HOLTZ-BACHA/PEISER, 1999, S. 45 ff. 15 zienzwettbewerb mit den übrigen Kommunikationsinstrumenten.39 Gleichzeitig hat es in den letzten Jahren eine deutliche Verschiebung im intramedialen Mediawerbungswettbewerb gegeben: Das Internet hat als Werbemedium massiv an Bedeutung gewonnen.40 So stieg der Umsatz mit Onlinewerbung in 2008 um 29 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro.41 Hintergrund dieser Entwicklung ist: Auch die traditionellen Media-Top-Spender im Konsumgüter- und Automobilbereich setzen verstärkt Microsites und Online-Werbeformate für ihre Werbekampagnen ein42, so dass „Online“ im Markenbildungsprozess einen wachsenden Stellenwert bekommt.43 Sowohl der gewachsene inter- wie auch der intramediale Wettbewerb erfordert die inhaltliche, formelle und zeitliche Abstimmung des Instrumenten-Mixes mit dem Ziel einer integrierten Kommunikation, die als strategischer Erfolgsfaktor deutlich an Bedeutung gewinnt.44 Angesichts ihrer Bekanntmachungsqualität45 ist Mediawerbung nach BRUHN im Rahmen der integrierten Kommunikation das Leitinstrument und übernimmt somit eine Führungsfunktion für die Ausrichtung der Gesamtkommunikation.46 Damit erhöht sich für den Einsatz von Mediawerbung der Planungs-, Steuerungs- und Kontrollbedarf gegenüber früher deutlich. Werbetreibende und ihre Dienstleister sind herausgefordert, die Orchestrierung der Werbemittel und Kommunikationskanäle inhaltlich-konzeptionell, organisatorisch-strukturell und personellkulturell zu bewältigen.47 Mediawerbung als Treiber des Markenwertes: In den vergangenen Jahren hat die monetäre Bestimmung des Markenwertes erheblich an Bedeutung gewonnen. Gründe dafür sind: • Bei Unternehmensaufkäufen und -zusammenschlüssen entscheidet der Wert des Markenportfolios maßgeblich über den Kaufpreis; • bei der Nutzung der Marke im Lizenz- und Franchisegeschäft werden die Gebühren durch den Markenwert beeinflusst; • der Markenwert ist die zentrale Zielgröße zur Steuerung des Markenportfolios; • Markensteuerung und -controlling basieren auf dem Markenwert als zentraler Planungsgröße.48 Bei der Schaffung und Pflege des Markenwertes kommt der Mediawerbung eine besondere Bedeutung zu. Dementsprechend schließen alle Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen zum Markenwert auch die Effektivität von Mediawerbung ein. Dies zeigt sich deutlich in der Dis39 BRUHN, 2005a, S. 82 EDELMAN, 2007; Referenz: Wachsende Bedeutung Online-Werbung 41 Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. BITKOM, 30. Dezember, 2008, S. 1 42 INTERNET WORLD BUSINESS 2007 43 HOLLIS, 2005, S. 17 44 KITCHEN, P./BRIGNELL, J./LI, T. , 2004, S. 22; BRUHN/BOENIGK, 1999, S. 82 ff. 45 BRUHN, 2005a, S. 543 46 BRUHN, 2005a, S. 500 47 SASSER, S.L./KOSLOW, S./RIORDAN, E.A., 2007, S. 254; BRUHN, 2005a, S. 115 ff. 48 HAEDRICH/TOMCZAK/KAETZKE, 2003, S. 171 ff. 40 16 kussion aktueller Markenwert-Rankings, in denen Unternehmen wie ebay, Google und Amazon, die sehr wenig bzw. gar nicht in Mediawerbung investieren, trotzdem Spitzenpositionen einnehmen und somit den Legitimationsdruck auf die klassische Mediawerbung im Hinblick auf ihre Effektivität erhöhen.49 Angesichts des hohen budgetären Stellenwerts von Mediawerbung, der gewachsenen Komplexität bei der Umsetzung einer integrierten Kommunikation sowie dem werttreibenden Charakter von Mediawerbung für den Markenwert erscheint ein systematischer, differenzierter und integrierter Werbeplanungsprozess notwendig. Eine besondere Bedeutung kommt dabei im Hinblick auf die Effektivität von Werbung dem Planungsteil der Werbestrategie zu, denn mit ihr werden die Weichen für den weiteren konzeptionellen Planungs- und operativen Umsetzungsprozess gelegt. Planungsdefizite in der Werbepraxis Aus den skizzierten Veränderungen und Herausforderungen resultiert ein gewachsener Planungsbedarf auf Seiten der Werbeverantwortlichen. Hier sind jedoch anhaltende Planungsdefizite zu beobachten, die vielfältige Ursachen haben. Während zur Erhöhung der Werbeeffizienz insbesondere im Hinblick auf die Media-Planung vielfältige Anstrengungen unternommen werden50, bestehen bei der Sicherstellung der Werbeeffektivität deutliche Umsetzungsdefizite und Kompetenzlücken, wie eine Reihe empirischer Untersuchungen exemplarisch aufzeigen: • 49 Auf Basis einer Befragung von Marketing-Verantwortlichen im Frühjahr 2000 zum Einsatz von Instrumenten und Verfahren des Marketingcontrollings stellen REINECKE und TOMCZAK fest, dass der Werbe- und Kommunikationserfolg – im Gegensatz zu anderen Marketinginstrumenten – deutlich weniger im Mittelpunkt des Interesses steht.51 Nur 22 % der Befragten gaben an, den Werbe- und Kommunikationserfolg regelmäßig zu überprüfen, fast doppelt so viele (40 %) verzichten vollständig auf ein solches Werbecontrolling und 39 % führen es nach eigenen Angaben nur „unregelmäßig“ durch. Diese Zurückhaltung steht im Gegensatz zu der Einschätzung, dass eine solche Überprüfung wichtig sei (4,9 Punkte bei 7 Punkten maximal und einem Höchstwert von 5,9). REINECKE und TOMCZAK führen dieses Defizit auf die Schwierigkeit zurück, den Wertbeitrag „weicher Faktoren“ (Werbewirkung) umfassend zu quantifizieren.52 Weitere Gründe für die Zurückhaltung der Werbeverantwortlichen beim Einsatz von Werbecontrolling-Maßnahmen CHRISTENSEN/COOK/HALL, 2005, S. 80; JOACHIMSTHALER/AAKER, 1997, S. 42 UNGER/DURANTE/GABRYS, 2007, S. 334 51 REINECKE /TOMCZAK, 2001, S. 79 52 REINECKE und TOMCZAK, 2001, S. 79 50 17 dürften auch in der eingeschränkten Umsetzbarkeit (strukturelle Rahmenbedingungen, Aufwand) und dem unerwünschten Erfolgsdruck liegen.53 • In einer weiteren im Jahr 2000 durchgeführten Untersuchung von REIBSTEIN und REINECKE zum Einsatz von Marketing-Kennzahlen wird der geringe Stellenwert von Kommunikations- und Werbezielen bestätigt. Nach Aussage der befragten Marketingverantwortlichen in Deutschland und der Schweiz stehen ökonomische Erfolgsgrößen wie Umsatz, Absatz, Deckungsbeitrag etc. als zentrale Steuerungsgrößen eindeutig im Vordergrund. Kommunikative Zielgrößen wie Bekanntheitsgrad (wird von 36 % der Befragten regelmäßig erhoben), Kaufabsicht (15 %) oder Share of Voice (13 %)54 werden dagegen nur von einem Teil der Unternehmen in Regelmäßigkeit ermittelt. Gleichzeitig behauptet die Mehrheit der Führungskräfte, die erhobenen Kennzahlen intensiv für eine systematische Rückkoppelung zwischen Planung und Zielerreichung im MarketingManagement-Prozess zu nutzen.55 • STEFFENHAGEN und SIEMER zeigen in ihrer 1993 durchgeführten empirischen Studie „Untaugliche Werbeziele in der Praxis“ auf, dass die Werbeverantwortlichen zwar die Unterscheidung zwischen Werbe- und Marketingzielen für notwendig bzw. sogar sehr notwendig halten56, es ihnen aber dennoch in der Praxis schwerfällt, spezifische kommunikative Werbeziele von klassischen Marketing- und Kommunikationszielen im Werbeplanungs- und -kontrollprozess zu unterscheiden. Gleiches ließ sich im Rahmen der in dieser Untersuchung durchgeführten Fallstudien feststellen (siehe Kapitel 6.1). STEFFENHAGEN und SIEMER stellen fest, dass die in den Unterlagen genannten Werbeziele nach willkürlich anmutenden Kriterien voneinander abgegrenzt wurden. Zudem stellen sie fest, dass eine große Anzahl der in der Praxis formulierten Werbeziele den Anforderungen an taugliche Werbezielformulierungen57 nicht genügen.58 Die Studie untersuchte Werbeziele anhand der Kriterien „Reagibilität der Zielvariablen“, „selektive Steuerungskraft“ sowie „Verhaltensrelevanz“ auf Anforderungskonformität und damit Tauglichkeit. Das Ergebnis: In über der Hälfte aller untersuchten Fälle (51 %) wurde die Werbezielformulierungen mindestens einem dieser Anforderungskriterien nicht gerecht. Darüber hinaus identifizieren STEFFENHAGEN und SIEMER allgemeine Absichtserklärungen, die unklare Bedeutung verwendeter Begriffe sowie die mangelnde Detaillierung der Zielart bzw. -variable als Ursachen für defekte Werbezielformulierungen.59 53 KLOSS, 2003, S. 5f.; JANSSEN, 1999, S. 17 REINECKE / REIBSTEIN, 2001, S. 154 ff. 55 REINECKE/ REIBSTEIN, 2001, S. 160 56 STEFFENHAGEN/ SIEMER, 1995, S.7 57 STEFFENHAGEN 1993, S. 288; STEFFENHAGEN/SIEMER, 1995, S. 18; PEPELS, 1999, S. 96 58 STEFFENHAGEN/ SIEMER, 1995, S. 19 f. 59 STEFFENHAGEN/ SIEMER, 1995, S. 178 ff. 54 18 Mögliche Ursachen für diese Abgrenzungsschwierigkeiten sehen STEFFENHAGEN und SIEMER in der mangelnden Professionalität der an der Zielformulierung beteiligten Personen und der damit verbundenen Unkenntnis werbezielrelevanter Konsequenzen, Störungen im Interaktions- bzw. Kommunikationsprozess bei den an der Zielformulierung beteiligten Personen sowie Motivationsprobleme bei der Zielformulierung.60 • • In einer weiteren Studie untersuchten GABRIEL, KOTTASZ und BENNETT61 2004 den Einsatz von Werbe-Wirkungsmodellen im Arbeitsalltag von Account-Verantwortlichen in britischen Werbeagenturen auf Basis einer Befragung. Das Ergebnis: Die Mehrheit berücksichtigt in der Praxis keine der bekannten Theorien. Allerdings stellten sie auch fest, dass die Mehrheit keine Animositäten gegenüber Werbe-Wirkungsmodellen hegt, sondern ihrer Verwendung grundsätzlich offen gegenübersteht. Als Einflussfaktoren für die deutliche Theorie-Praxis-Lücke identifizieren GABRIEL, KOTTASZ und BENNETT in ihrer Untersuchung den Grad des Fachwissens und der Erfahrung der Mitarbeiter in Werbeagenturen sowie die generelle Ressourcenausstattung. Auf Basis einer 2004 durchgeführten Befragung von Werbeverantwortlichen in Unternehmen und auf Agenturenseite stellt PECHMANN62 fest, dass beide Seiten den Abstimmungsprozess zur Kampagnenentwicklung und -umsetzung als ineffizient empfinden. Optimierungsbedarf wird an mehreren Stellen gesehen: 75 % der Befragten insgesamt sehen ihn im besseren „Verständnis für die Unternehmensziele“, davon sogar 67 % der AgenturBefragten. 67 % der Befragten auf Agenturenseite, aber auch 52 % der befragten Werbeverantwortlichen in Unternehmen sehen Optimierungsbedarf bei der „Qualität des Briefings“. Auf Agenturenseite wird insbesondere über unklare Strukturen und Prozesse auf Unternehmensseite geklagt, aus denen nach Meinung von 67 % der Befragten deutlicher Optimierungsbedarf bei den „Entscheidungskompetenzen auf Unternehmensseite“ resultiere. Im Studienfazit verweist PECHMANN auf die Notwendigkeit einer klaren Definition von Kommunikationszielen in Verbindung mit der verbindlichen Formulierung einer Kampagnen-Leitidee.63 Ähnliche Kritikpunkte zur Qualität von Briefings in der Werbepraxis und den Defiziten im Erstellungs- und Umsetzungsprozess finden sich auch bei HARTLEBEN64 sowie BACK und BEUTTLER.65 In der Theorie der Werbewissenschaft wird eine Fülle idealtypischer WerbeplanungsAblaufmodelle präsentiert (siehe Kapitel 2.3), ohne dass deren Entwicklung und Praxistaug- 60 STEFFENHAGEN/ SIEMER, 1995, S. 17 GABRIEL/KOTTASZ/BENNETT, 2006, S. 79 ff. 62 PECHMANN, 2004, S. 8 ff. 63 PECHMANN, 2004, S. 16 64 HARTLEBEN, 2004, S. 14 ff. 65 BACK/BEUTTLER, 2006, S. 7 61 19 lichkeit empirisch validiert ist. Gespräche mit Werbepraktikern ergeben deutliche Diskrepanzen zwischen den Lehrbuchmodellen und der in der Praxis üblichen Vorgehensweise. In der Gesamtschau dieser empirischen Ergebnisse zeigt sich, dass – neben einer generellen Lücke zwischen Werbetheorie und -praxis – zentrale Elemente des Werbeplanungsprozesses wie die Strategiedefinition (inklusive Werbeziele) sowie Kontrolle in der Werbepraxis offensichtlich nur einen geringen Stellenwert genießen und stattdessen, die – im Zweifelsfall entkoppelte – die konzeptionelle und operative Umsetzungsarbeit den Werbeplanungsprozess dominiert. Daraus ergibt sich gleichzeitig die Frage nach den Gründen für diese defizitäre Situation bzw. nach den Erfolgsfaktoren, die einen stringenten und konsistenten Operationalisierungsprozess ermöglichen, in dem aus Marketingzielen und -strategien, Kommunikationsziele und -strategien und aus diesen wiederum Werbeziele und -strategien abgeleitet werden. Auch hier geben die vorliegenden empirischen Ergebnisse erste Hinweise. Danach sind die Ursachen für Effektivitätslücken vor allem fehlendes individuelles Know-how (auf Basis von Ausbildung bzw. Berufserfahrung), unzureichende Motivation (Arbeitsbelastung, Gehaltshöhe, Führung), eine unzureichende Ressourcenausstattung (Personal, Infrastrukturmittel) und vor allem strukturelle Defizite im arbeitsteiligen Planungs- und Umsetzungsprozess auf Seiten des werbetreibenden Unternehmens und den jeweiligen Dienstleistern bzw. zwischen den Instanzen. Dementsprechend sollen im Rahmen dieser Untersuchung auch die vorhandenen bzw. benötigten Kompetenzen auf Seiten der Werbeverantwortlichen untersucht werden, wobei ein besonderer Fokus auf dem Werbeplanungsprozess liegt. Unzureichende Systematisierungen von Werbestrategien Die Analyse bestehender Systematisierungen von Werbestrategien als Bestandteil des Werbeplanungsprozesses (siehe dazu ausführlich Kapitel 3.3) zeigt deutlich, dass in den vorliegenden theoretischen Überlegungen Kataloge von Teilzielen sowie die Beschreibung von Einzelelementen dominieren, jedoch bislang kein konsistentes Modell zur Systematisierung von Werbestrategien vorliegt, das den Werbeverantwortlichen in der Praxis konkrete Gestaltungshinweise gibt. Oft begnügen sich die Autoren damit, labelartig Werbearten wie z. B. informative advertising66 einzuführen, ohne jedoch diese anhand konkreter Eigenschaften gegenüber anderen Werbestrategien zu spezifizieren und zu differenzieren. Angesichts ihrer Bruchstückhaftigkeit finden diese sehr allgemein gehaltenen Überlegungen, die von keinem der Autoren empirisch validiert werden, in der Werbepraxis kaum Widerhall. 66 KOTLER ET AL., 2007, S. 704 ff. 20 1.3 Bezugsrahmen der Arbeit Im Hinblick auf die Konkretisierung des Forschungsthemas sind für den Bezugsrahmen der Untersuchung folgende vier Aspekte zu spezifizieren: 1. Mediawerbung vs. sonstige Kommunikation; 2. absatzbezogene Mediawerbung vs. nicht absatzbezogene Mediawerbung; 3. konsumentenbezogene Mediawerbung (B-to-C) vs. unternehmensbezogene Mediawerbung (B-to-B); 4. strategiegeleitete Mediawerbung vs. taktische Mediawerbung. Mediawerbung vs. Kommunikation Der Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit liegt auf Mediawerbung, d.h. Werbemaßnahmen auf Basis der Instrumente Fernsehen bzw. Kino, Print, Plakat und Online.67 Dies ist vor allem in dem anhaltend hohen strategischen und ökonomischen Stellenwert von Mediawerbung gegenüber den anderen Kommunikationsinstrumenten begründet.68 Auf die in der klassischen Literatur häufig verwendete Unterscheidung zwischen below und above the lineWerbemaßnahmen69 wurde bewusst verzichtet, da diese insbesondere im Hinblick auf die Zuordnung von Internet-Marketing-Maßnahmen nicht mehr konsistent und plausibel erscheint.70 Da jedoch die bisherigen Erkenntnisse nahelegen, dass bei einzelnen Werbestrategietypen auch nicht-massenmediale Werbung bzw. andere Kommunikationsinstrumente (z. B. PR) eine besondere Bedeutung haben können, soll der Erklärungswert der übrigen Kommunikation in der nachfolgenden Untersuchung dadurch berücksichtigt werden, dass der jeweilige Stellenwert von Mediawerbung innerhalb der Werbekommunikation für eine Leistung insgesamt überprüft wird. Da wo nicht-mediale Werbeinstrumente eine besondere Bedeutung in der jeweiligen Kampagne hatten, wird dies in der entsprechenden Fallstudien-Darstellung berücksichtigt. Absatzbezogene Mediawerbung vs. nicht absatzbezogene Mediawerbung Schwerpunktmäßig wird solche Mediawerbung untersucht, die als Absatzwerbung das unmittelbare Ziel einer (positiven) Absatzveränderung verfolgt, d.h. den Adressaten zum Kauf einer Leistung direkt bzw. indirekt auffordert.71 Unberücksichtigt bleibt somit z. B. Imagewerbung, 67 BRUHN, 2005a, S. 223 f.; BERNDT, 1992, S. 224 BRUHN, 2005a, S. 249 69 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 108 f. 70 So werden Internet-Marketing-Maßnahmen dem Below-the-line-Bereich zugeordnet, obwohl sie als klassische Banner-Werbung auf Websites im Above-the-line-Bereich plausibler angesiedelt wären. 71 Vgl. SEYFFERT, 1966, S. 7, BEHRENS, 1963, S. 12 ff. 68 21 wie sie u.a. BRUHN in seiner Systematisierung aufführt72, deren Absatzeffekt nicht unmittelbar ist. Konsumentenbezogene Mediawerbung (B-to-C) vs. unternehmensbezogene Mediawerbung (B-to-B) Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Untersuchung von absatzbezogener Mediawerbung, die sich an den Endkonsumenten richtet. Mediawerbung, die Unternehmen und deren Entscheider adressiert (B-to-B), z. B. Handelswerbung wie sie BRUHN in seiner Systematisierung aufführt73, bleibt somit unberücksichtigt. Argumente für diese Fokussierung sind: • Die größere ökonomische Bedeutung von B-to-C gegenüber B-to-B-Werbung74; • die besondere Bedeutung von Mediawerbung für den Business-to-Consumer-Bereich, wohingegen für die Business-To-Business-Werbung andere Kommunikationsinstrumente eine größere Bedeutung haben.75 Strategiegeleitete Mediawerbung vs. taktische Mediawerbung Letzter Fokussierungsaspekt ist die Untersuchung strategiegeleiteter Mediawerbung, d.h. es wird nur solche Werbeaktivität untersucht, für die zumindest ein Strategiebezug im Hinblick auf die Marketingziele des werbetreibenden Unternehmens proklamiert wird. Werbemaßnahmen dagegen, die erklärtermaßen taktischen Charakter haben (z. B. die kurzfristige Reaktion auf den Wettbewerb) stehen nicht im Fokus der Analyse, weil sie nicht zur Validierung einer Strategiekonsistenz beitragen. Zusammengefasst wird schwerpunktmäßig absatzbezogene Mediawerbung untersucht, die sich an Endkonsumenten richtet (B-to-C) und aus Sicht der Werbetreibenden konform zur Marketingstrategie des Unternehmens ist. 1.4 Ziel und Aufbau der Arbeit Kernziel der vorliegenden Arbeit ist es, auf Basis einer umfassenden Analyse und Bewertung der bestehenden Forschungsergebnisse sowie der aktuellen Praxis der Werbekommunikation ein Modell für die Systematisierung von Werbestrategien als Bestandteil eines integrierten 72 BRUHN, 2005a, S. 386 BRUHN, 2005a, S. 386 74 Nach BRUHN/BOENIGK, 1999, S. 63, S. 75, S. 166 sowie GfK/WIRTSCHAFTSWOCHE, 2003, S. 17 f. werden zwischen 40 und 60 % des Werbebugets von Unternehmen in Mediawerbung investiert. 75 KLEINALTENKAMP/FLIESS, 2002, S. 237 ff.; MEFFERT, 2000, S. 890 73 22 Werbeplanungsprozesses zu entwickeln. Der Grundgedanke dabei ist, dass Effizienz und Effektivität von Werbemaßnahmen gesteigert werden können, wenn sie eine klar definierte Werbestrategie zur Grundlage haben. Werbestrategie-Archetypen als Ergebnis einer Systematisierung geben den Werbeverantwortlichen dabei Orientierung, die ihren Anforderungen gemäße Werbestrategie zu identifizieren und sie anhand einer entsprechenden Systematik umfassend zu konkretisieren, so dass sie als Ableitungsgrundlage für die nachfolgenden konzeptionellen und operativen Arbeitsschritte taugen. Somit liegt dieser Arbeit ein konstruktivistischer Ansatz76 zugrunde, wonach aus der Wahrnehmungs- und Erfahrungsperspektive der Werbeverantwortlichen eine gültige Werbestrategie-Systematik konstruiert werden soll. Dementsprechend werden mit dieser Arbeit folgende Teilziele verfolgt: 1. Die empirische Überprüfung bestehender Systematisierungsansätze von Werbestrategien und ihre Einordnung in eine theoriebasiertes Schema; 2. Erarbeitung konkreter Gestaltungshinweise für die Werbepraxis zur Entwicklung konsistenter und vollständiger Werbestrategien als Bestandteil eines umfassenden und konsistenten Werbeplanungsprozesses. Empirische Überprüfung bestehender Systematisierungsansätze und Einordnung in theoriebasiertes Schema Die in der bisherigen Forschung entwickelten Systematisierungsansätze (häufig in Form deskriptiver Kataloge, siehe Kapitel 3.3) sollen durch eine Verknüpfung mit der Produkt-MarktMatrix von ANSOFF, ergänzt um Überlegungen von TOMCZAK und REINECKE zu den benötigten Kompetenzen im Rahmen ihres aufgabenorientierten Ansatzes (siehe Kapitel 4.1) theoretisch fundiert werden. Das Ziel ist es, induktiv ein Modell für Werbestrategien zu entwickeln, das nachfolgend empirisch überprüft werden kann (deduktiv). Mit der Entwicklung eines Modells aufgabenorientierter Werbestrategien wird angestrebt, die Theorielücke zwischen den sehr grundsätzlichen Überlegungen zur Unterscheidung von Werbestrategien sowie den sehr operativen Überlegungen zur Umsetzung in der Werbepraxis (Mediaplan, Budgetplan etc.) zu schließen. Konkrete Gestaltungshinweise für die Werbepraxis zur Entwicklung konsistenter und vollständiger Werbestrategien als Bestandteil eines umfassenden und konsistenten Werbeplanungsprozesses Wie in der Problemstellung erläutert, scheitert die Anwendung systematischer Planung im Bereich der Werbestrategie u.a. daran, dass entsprechende vollwertige Modelle fehlen, deren 76 REICH, 2001; PESCHL, 1991, S. 41f. 23 praktische Relevanz einerseits belegt ist und die andererseits in ihrem Detaillierungsgrad für die Werbeverantwortlichen in der Praxis relevant und damit potentiell adaptierbar sind. Dementsprechend besteht ein Kernziel dieser Arbeit darin, ein Modell aufgabenorientierter Werbestrategien zu entwickeln, das einen hohen Detaillierungsgrad sowie ein hohes Maß an Anschaulichkeit aufweist. Dies ist jedoch nicht mit dem Ziel gleichzusetzen, ein checklistenbasiertes Regelwerk für erfolgreiche Werbestrategien zu generieren. Dies stünde im Widerspruch zu erfolgreicher Werbekreation, die gerade durch den Bruch mit Altbewährtem Aufmerksamkeit und Momentum generiert und damit Produkt- und Leistungsangeboten zu nachhaltigem Erfolg verhilft. Konsequenz daraus kann jedoch auch nicht eine unstrukturierte Sammlung von Praxisbeispielen sein. Vielmehr besteht die Zielsetzung darin, anhand ausgewählter Best Practices Archetypen von Werbestrategien und die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien erkennbar zu machen. Durch den Einsatz der Fallstudienmethodik wird der spezifische Kontext jeder Kampagne sichtbar, so dass situative, kampagnenspezifische Einflüsse transparent werden. Die identifizierten Archetypen von Werbestrategien sollen dementsprechend in der Art ihrer Darstellung einen deutlichen Leitfadencharakter haben, so dass der jeweils Werbeverantwortliche seine Kampagnenaktivität prüfen kann auf: • Vollständigkeit der gewählten Werbestrategie im Hinblick auf alle relevanten Dimensionen; • Konformität der gewählten Werbestrategie im Hinblick auf die identifizierten Archetypen (Gibt es Abweichungen? Worin sind diese begründet? Besteht entsprechend Korrekturbedarf?) sowie • Übereinstimmung zwischen der jeweiligen leistungsbezogenen Marketingstrategie und der gewählten Werbestrategie. Vervollständigt wird die Darstellung der Werbestrategien durch eine Identifizierung der benötigten Kompetenzen zur entsprechenden Entwicklung, Umsetzung und Kontrolle. Darüber hinaus soll auf Grundlage bereits bestehender Strukturierungsansätze zum Werbeplanungsprozess sowie den in der empirischen Untersuchung generierten Anforderungen und Erfahrungswerten ein idealtypisches, Werbeplanungs-Prozessmodell entwickelt werden, das – mit den Werbestrategien als Kernelement – eine effektive und effiziente werbliche Umsetzung von Marketingstrategien gewährleistet. Um diese Forschungsziele zu erreichen, wird in folgenden Schritten vorgegangen: Nachdem einleitend die Problemstellung und die Zielsetzung der Arbeit erläutert wurden, wird in Kapitel 2 zunächst die Werbeplanung als Gesamtprozess beschrieben, deren Kernelement die Werbestrategie ist. In Kapitel 3 werden Werbestrategien im Hinblick auf ihre 24 charakterisierenden Kernelemente beschrieben sowie wesentliche bisherige Systematisierungsansätze vorgestellt, kritisch analysiert und die entsprechenden Anforderungen an die Entwicklung eines Werbestrategie-Modells spezifiziert. Auf Basis der bisherigen Systematisierungsansätze werden in Verbindung mit der ProduktMarkt-Matrix von ANSOFF in Kapitel 4 erste theoretische Überlegungen zu einem noch zu explorierenden Modell aufgabenorientierter Werbestrategien angestellt. Das methodische Vorgehen zur Überprüfung des Grundmodells auf Basis eines Multi-CaseDesigns wird in Kapitel 5 erläutert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden anhand der analysierten Kampagnenbeispiele als Fallstudien in Kapitel 6 dokumentiert und bewertet. In Kapitel 7 erfolgen die Zusammenfassung der Fallstudienergebnisse zu einem ersten Modellentwurf aufgabenorientierter Werbestrategien, eine kritische Würdigung sowie das Aufzeigen des weiteren Forschungsbedarfs auf Basis dieser Untersuchung. Fazit und Ausblick in Kapitel 8 bilden den Abschluss der Arbeit. 25 2. Werbeplanung als Teil des KommunikationsmanagementProzesses 2.1 Begriffsdefinition, Aufgaben Werbestrategien als Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit sind Bestandteil eines Werbeplanungsprozesses, der wiederum Teil eines übergreifenden Kommunikationsplanungsmanagement-Prozesses ist. Das Konzept des Werbeplanungsprozesses impliziert dabei die Fähigkeit des Unternehmens, die für die erfolgreiche Erfüllung dieser Werbe-Kernaufgaben notwendigen Ressourcen und Kompetenzen bereitzustellen und in sinnvoller Weise miteinander zu verbinden (Outside-in-Perspektive) beziehungsweise die Ressourcen und Kompetenzen zu besitzen, mit denen bestehende Marktpotentiale genutzt werden können (Inside-outPerspektive).77 Im Rahmen der Kommunikationspolitik spielt die Planung der Mediawerbung eine maßgebliche Rolle. Sie ist ein grundlegendes Element des gesamten Marketing-Mixes.78 Der unmittelbare Bezugsrahmen der Werbeplanung ist die Kommunikationsplanung bzw. Kommunikationsstrategie des Unternehmens, die sich wiederum aus der Marketingplanung ableitet.79 Unternehmensstrategie Marketingstrategie Zunehmende Konkretisierung der Strategie Kommunikationspolitik Werbeplanung Media V.förderung Sponsoring PR Direkt-Marketing Messen & Events Zunehmende Zahl der Handlungsfelder Abbildung 1: Die Werbeplanung in der Planungshierarchie des Unternehmens Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an MEFFERT 2000, S. 679 77 VON KROGH/ROOS, 1992, 1995 MURPHY/CUNNINGHAM, 1993, S. 25 79 BRUHN, 2005a, S. 298; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 32 78 26 Zahlreiche Autoren verweisen auf den Ableitungsbezug zwischen Marketing-, Kommunikations- und Werbeplanung80, den SCHULTZ und BARNES den cascade approach81 nennen. Während Marketingkommunikation als „Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen verstanden werden kann“82, umfasst das Kommunikationsmanagement sämtliche Entscheidungen über Ziele und Maßnahmen zur Ausrichtung und Gestaltung der Kommunikation.83 Nach BRUHN ist Werbeplanung als ein systematisch-methodischer sowie integrativ ausgerichteter Prozess der Erkenntnis und Lösung werbedynamischer Problemstellungen zu verstehen.84 Zur Charakterisierung von (Media-)Werbeplanung werden folgende Merkmale herangezogen: Prozessbezogenheit, Rationalität, Zukunftsbezogenheit, Zielbezogenheit.85 2.2 Akteure Die Akteure im Werbeplanungsprozess lassen sich generell unterscheiden nach: • unternehmensinternen und • unternehmensexternen Akteuren86 Unternehmensintern erfolgt die weitere Differenzierung hierarchisch in folgenden Ebenen: 1. Marketing- bzw. Kommunikationsverantwortlicher auf Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebene; 2. Verantwortlicher in der Marketing- bzw. Kommunikationsfachabteilung (Leiter, Direktor); 3. Verantwortlicher in der Werbefachabteilung (Leiter, Direktor). So liegt die Gesamtverantwortung für die Unternehmenskommunikation beim Vorstand bzw. der Geschäftsführung. Diese Ebene hat nach BRUHN nicht nur die Integration der Kommunikation zu initiieren und zu koordinieren, sondern die Schaffung einer „Einheit der Kommunikation“ explizit als ihre Führungsaufgabe anzusehen.87 Dies impliziert auch die Verantwortung für die Schaffung der Rahmenbedingungen des Planungsprozesses der Mediawerbung. Auf der Ebene der Marketing- bzw. Kommunikationsfachabteilung findet die Gesamtplanung 80 MEFFERT, 2000, S. 679; BRUHN, 2005a, S. 59 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 32 82 BRUHN, 2005b, S. 1 83 BRUHN, 2001, S. 390; KUSS/TOMCZAK, 2004b, S. 232 84 BRUHN, 2005a, S. 296 85 WILD, 1982, S. 13; SANDER, 1993, S. 263; BERNDT, 1995, S. 7 86 BRUHN, 2005a, S. 303; WEESER-KRELL, 1987, S. 29 ff. 87 BRUHN, 2005a, S.303 81 27 der Kommunikation statt, was die Rahmenbedingungen für die Mediawerbeplanung einschließt. Die operative Planungs- und Umsetzungsverantwortung für die Mediawerbung liegt auf der dritten Hierarchiestufe, der Werbefachabteilung. Auf Basis der Planung der hierarchisch höhergelagerten Verantwortlichen werden hier alle werbebezogenen Maßnahmen analysiert, geplant, durchgeführt und kontrolliert.88 Die handelnden Akteure fungieren häufig als übergreifend verantwortliche Werbeleiter oder Advertising Director bzw. Brand Manager89 oder haben spezifische Verantwortungen für einzelne Disziplinen (z. B. Leiter OnlineCommunications). Gerade in multinationalen Unternehmen mit breiten Marken-Portfolios wie z. B. Unilever oder Procter & Gamble übernehmen die jeweils verantwortlichen Product Manager90 zahlreiche Aufgaben im kampagnenbezogenen Werbeplanungsprozess. Relevante unternehmensexterne Akteure im Werbeplanungsprozess sind:91 • Werbeagenturen (insbesondere Full-Service-Agenturen); • Media-Agenturen und • Marktforschungsinstitute. Während Werbeagenturen in der Ausprägung als Full-Service-Agentur92 in der Regel die konzeptionelle Planung und kreative Umsetzung einer Werbekampagne verantworten, fokussiert die Media-Agentur auf die Auswahl und Steuerung der Belegung verschiedener Werbeträger. Marktforschungsinstitute flankieren diesen Entwicklungsprozess durch regelmäßige Analysen und Tests. Sowohl unternehmens- wie auch externe Akteure sind an den Phasen des Werbeplanungsprozesses zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Intensität beteiligt. Das operative Gegenüber des werbetreibenden Kunden sind auf Agenturseite klassischerweise der Accountant bzw. Berater und der Creative Director (CD) als Vertreter der Kerndisziplinen Kreation und Beratung. Speziell im Hinblick auf die strategische Entwicklungsarbeit werden diese ergänzt durch einen Planner bzw. Account Planner.93 Die Position des Planners hat ihren historischen Ursprung im angelsächsischen Werbemarkt. Traditionell ist der Account Planner dort das strategisch-inhaltliche Gegenüber des werbetreibenden Kunden auf Agenturseite. Die zentrale Aufgabe des Planners besteht darin, gemeinsam mit dem Kunden die Kampagnenstrategie zu entwickeln und zu definieren und in Form eines Creative Briefs als verbindliche Aufgabenstellung für die gestaltenden Agentur-Mitarbeiter zu fixieren. Ins88 BRUHN, 2005a, S. 304 HANKINSON/COWKING, 1997, S. 22 90 KOPPELMANN, 2000, S. 7 91 BRUHN, 2005a, S. 305 92 BRUHN, 2005a, S. 305 ff. 93 SCHULZE, 2001, S. 17; GIESEKING, 2005, S. 21 89 28 besondere in größeren Agenturen in den USA und Großbritannien kommt Account-Plannern im Werbeplanungsprozess eine hohe Bedeutung zu. Dementsprechend sind ihre Aufgaben, ihre Einsatzfelder und Kompetenzen in zahlreichen Publikationen beschrieben und analysiert worden.94 Darüber hinaus gibt es für den angelsächsischen Raum generell umfangreiche und vielfältige Untersuchungen zu den Rollen und Arbeitsprozessen der am Werbeplanungsprozess beteiligten Personen, dabei insbesondere zur Beziehung zwischen werbetreibenden Unternehmen und ausführenden Kunden.95 Im deutschen Werbemarkt ist der Stellenwert des Planning generell und somit auch die Funktion des Planners im Werbeplanungsprozess gegenüber den angelsächsischen Ländern deutlich geringer.96 Zum einen verfügen oftmals nur die größeren (Network-)-Agenturen über eigene Planning-Abteilungen, die systematisch jeden Kunden betreuen, zudem hat das Planning insbesondere bei den sogenannten Kreativ-Agenturen eher unterstützenden Charakter, der Planner bestimmt jedoch nicht federführend die Kampagnenstrategie. Dennoch hat in den letzten Jahren angesichts der gewachsenen Komplexität von Werbekommunikation (insbesondere in Hinsicht auf das Thema integrierte Kommunikation) das Leistungsfeld Planning eine wachsende Bedeutung bekommen, was sich in einem entsprechenden personellen Ausbau und höheren Kompetenzzuweisung niederschlägt.97 2.3 Prozessmodelle: Phasen und Elemente Auf die Notwendigkeit von Werbeplanung wies SAMPSON bereits 1918 hin, als er im Kapitel „Advertising strategy“ schrieb: „Far more than the actual writing of the advertisement is the planning.“98 Generell bedingen folgende Faktoren eine wachsende Relevanz von definierten Werbeprozessmodellen: • Die Komplexität des Arbeitsprozesses insgesamt ist vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung integrierter Kommunikation im Hinblick auf die Anzahl der Arbeitsschritte sowie der beteiligten Akteure enorm gestiegen99; • der kostenseitige enorme Ressourceneinsatz zwingt zu einer effizienten und effektiven Organisation des Planungsprozesses.100 94 MORRISON./HALEY, 2006, S. 129 f.; BARRY./PETERSON/TODD, 1987; HACKLEY, 2003a, S. S. 237 ff.; STEEL, 1998; ZAMBARDINO/GOODFELLOW, 2003, S. 428 ff. 95 MORRISON/HALEY, 2006, S. 130 f.; BARRY/PETERSON/TODD, 1987; HACKLEY, 2003b, S. 55; STEEL, 1998; ZAMBARDINO/GOODFELLOW, 2003, S. 427 96 SCHULZE; 2001, S. 17 97 AMIRKHIZI, 2004, S.23; RICHTER, 2004, S. 37 98 SAMPSON, 1918, S. 12 99 KLOSS, 2007, S. 113 ff. 100 BRUHN; 2005a, S. 117 29 Die Elemente des Werbeplanungsprozesses implizieren die benötigten Ressourcen und Kompetenzen, um Werbestrategien systematisch entwickeln und umsetzen zu können. Dementsprechend bildet ein umfassender Werbeplanungsprozess die Voraussetzung dafür, dass der Transfer der Marketing- bzw. Kommunikationsstrategie in eine (Media-)Werbestrategie konsistent, vollständig und adäquat verläuft, wobei die Werbestrategie und -konzeption die operative Weiterführung des Kommunikationsteils der Marketingstrategie beschreibt. Insofern basieren die nachfolgenden Überlegungen im Hinblick auf den Ableitungscharakter des Werbeplanungsprozesses auf den Überlegungen von BURGELMANN zu einem induzierten strategischen Verhalten.101 Somit kann eine entsprechende Werbeplanungsstruktur und -prozesskompetenz zur Voraussetzung für kommunikativen Erfolg und auf Seiten der Werbeverantwortlichen zu einem differenzierenden Wettbewerbsfaktor werden. Nachfolgend wird dementsprechend der Status-Quo in Wissenschaft und Praxis zum Werbeplanungsprozess dokumentiert, analysiert und bewertet. Wissenschaftliche Überlegungen zur Strukturierung des Werbeplanungsprozesses bzw. des advertising management process102 reichen zurück bis in die fünfziger Jahre. Komplexere Darstellungen dieses Prozesses im Sinne von Ablaufplänen bzw. -modellen gibt es seit den siebziger Jahren.103 Die Varianz von Werbeplanungs- bzw. Werbeablaufmodellen ist dabei enorm. Sie reicht von stark simplifizierten, linearen Modellen im Sinne von major decisions in advertising104 zu komplexen Ablaufdiagrammen, die einen parallelen bzw. iterativen Prozessverlauf vorsehen. Allen Modellen gemeinsam ist, dass sie auf dem konzeptionellen Strategieplanungsmodell der sogenannten Design School basieren.105 MINTZBERG kritisiert am präskriptiven Ansatz der Design School, die ihm zugrundeliegende mechanistische, formalistische und rein analytische Denkhaltung.106 Nach MINTZBERG ist die Planungspraxis vielmehr geprägt durch inkrementelle, nichtlineare und nachträglich rationalisierte Prozesse.107 Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick zu allen komplexeren Strukturierungsansätzen in Form von Ablaufmodellen. Die jeweils grafische Darstellung dieser Ablaufmodelle befindet sich in der Anlage zu dieser Arbeit. 101 BURGELMANN, 1983, S. 231 f. ASSAEL, 1995, S. 390 103 SANDAGE/FRYBURGER, 1975, S. 9 104 ARMSTRONG/KOTLER, 2007, S. 370 105 MÜLLER-STEVENS/LECHNER, 2003, S. 73; MINTZBERG/AHLSTRAND/LAMPEL, 1999, S. 77 ff. 106 MINTZBERG, 1994, S. 107 ff.; MINTZBERG,1990, S,. 171ff. 107 MINTZBERG/AHLSTRAND/LAMPEL, 1999, S. 7 ff. 102 30 Alle Modelle weisen in zweierlei Hinsicht die gleiche Grundstruktur auf: Sie unterscheiden erstens verschiedene Arbeitsphasen (z. B. Durchführung), die in der Regel mit unterschiedlichem Detailgrad bestimmte Themenkomplexe (z. B. Mediaplanung) oder konkrete Maßnahmen (selecting media) beinhalten. und machen zweitens Angaben zur Planungsrichtung (einseitig-linear, parallel-linear, iterativ). Darüber hinaus definieren einige Modelle Teilergebnisse (z. B. Briefing) als Abschlusselemente einzelner Arbeitsphasen (Milestones). Autor/-en Jahr Phasen und Teilschritte/ Maßnahmen ProzessCharakter Sandage/ Fryburger 1975 Research (Consumer Research, Product Analysis, Market Analysis); Strategic Planning (Objectives, Appropriation, Creative Strategy, Media Strategy); Tactical Decisions (Budgeting and Control, Media Selection, Scheduling); Advertisement Construction (Copywriting, Art and Layout, Production) linear Nylen 1980 Analysis of problems and opportunities facing product; formulation of advertising objectives; defining of advertising programs; implementation of programs; evaluation of actual performance linear Roth 1981 Datenkranz, Zielplanung, Strategieplanung, Positionierung, Copy-Strategie (Zielgruppe, Produktversprechen, Tonalität); Gestaltungsplanung; Programmplanung; Mediaplanung; Mittelplanung; Zeitplanung, Budgetplanung; Durchführung; Kontrolle linear Ray 1982 Situation analysis (company strengths, weaknesses, objectives/product characteristics and price/buyer segments, characteristics and behaviour competion/ trade/past experience with communication elements); Marketing Objectives (overall objectives of the total program, sales votes, various social acts – by segment, time, and area); Size of total communication budget; Advertising: Tentative Budget; Communication goals; Message Strategy: Positioning and Format; Message Distribution Plan; Budget Allocation; Specific Implementation; Control and evaluation information system (continuous measurement of communication and sales effects for all mix elements, separately and in total, by time, area, and segment) iterativ parallel Dunn/Barban 1982 Research Inputs (consumer research, product research, market analysis, competitive situation); Strategic decisions (setting objectives, defining target markets, determining appropriation, deciding message strategy, deciding media strategy, coordinating with other marketing factors); Tactical execution (setting budget, establishing controls, writing and producing ads and commercials, selecting and scheduling media vehicles; Measuring the effectiveness of advertising iterativ 31 Assael 1985 Establish advertising objectives, develop advertising strategies, establish and allocate the advertising budget, select media, evaluate advertising effectiveness iterativ Rogge 1990 Werbevorbereitung (Unternehmens- Markt- und Werbeanalyse; Werbeplanung (Ziel-, Budget-, Zielgruppenbestimmung, Aussagenkonzeption, Mittel- und Trägerauswahl; Werbedurchführung (Werbemittelkonzeption, Mittelherstellung und -streuung); Werbekontrolle (Vortests, Nachtests, Prognose) linear Berekoven 1995 Werbevorbereitung (Situationsanalyse: Unternehmens/Marketingziele; Leistungsprogramm/Werbeobjekte; Markt und sonstige Umwelt); Strategieplanung (Budgetplanung, Zielplanung: Zielbestimmung, Zielgruppe; Werbemittelstrategie: Aussagenkonzeption/CopyStrategie, Mittelbestimmung, Mediastrategie); Detailplanung (Werbemittelkonzeption: Entwürfe; Scribbles, Pretests/Forschung, Media-(Fein-)Auswahl; Durchführung (Werbemittelherstellung, Werbemittelstreuung, Mediaeinsatz); Kontrolle (Posttests/Soll-IstVergleich, Abweichungsanalyse) iterativ Behrens 1996 Bestandsaufnahme; Zielgruppenbestimmung bzw. Kommunikationsziele; Briefing; Kommunikationsstrategie, Gestaltung, Streuung linear parallel Bruhn 2005 Situationsanalyse; Festlegung der Werbeziele, Zielgruppenplanung der Mediawerbung; Festlegung der Werbestrategie; Budgetierung der Mediawerbung; Mediaplanung, Maßnahmenplanung, Erfolgskontrolle der Mediawerbung, Integration der Mediawerbung in den Kommunikationsmix (parallel) Iterativ Parallel Schweiger/ Schrattenecker 2005 Werbeanalyse; Zielgruppenplanung, Festsetzen der Werbeziele, Bestimmung des Werbebudgets, Werbekonzept (Formulierung und Gestaltung der Werbebotschaft, Mediastrategie, Mediaselektion, Frequenz, Timing); Prognose der Werbewirkung; Abstimmung mit den anderen Kommunikations-instrumenten (parallel) iterativ parallel Armstrong/ Kotler 2007 Objectives Setting (Communication objectives, sales objectives); Budget decisions (affordable approach, percent of sales, competitive parity, objective and task); Message decisions (message strategy – execution); Media decisions (Reach, frequency, impact, major media types, specific media vehicles, media timing); Advertising evaluation (communication impact, sales and profit impact, return on advertising) parallel Abbildung 2: Übersicht verschiedenen Ansätze zum Ablauf des Werbeplanungsprozesses Quelle: Eigene Darstellung 32 Arbeitsphasen, Maßnahmen und Dokumente Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen (Datenkranz, Ist-Analyse, Werbevorbereitung, Situationsanalyse) und Detaillierungsgrade ist der Mehrheit108 der untersuchten Ablaufmodelle zum Werbe-Planungsprozess eine Analysephase zu Beginn des Prozesses gemeinsam. Diese umfasst in der Regel die Analyse des Marktes, der Wettbewerber sowie des zu bewerbenden Produktes und des werbenden Unternehmens. Deutliche Abweichungen gibt es dagegen in der Strukturierung des nachfolgenden Planungsprozesses. Während es in der Mehrheit der dargestellten Modelle eine hohe Übereinstimmung in den genannten Einzelelementen bzw. Arbeitsthemen gibt (Zielgruppen, Ziele, Budget, Gestaltung, Media) unterscheiden einige Autoren, den Einzelschritten und -maßnahmen übergeordnet zwischen „Werbestrategie“ und „Werbekonzept“109, zwischen „Strategie-„ und „Detailplanung“110 bzw. zwischen „Strategieplanung“ und „Gestaltungsplanung“111. So verdeutlicht ROGGE112 in seiner Darstellung den fließenden Übergang im Werbeplanungsprozess zwischen strategischen und operativ-konzeptionellen Fragestellungen, indem er parallel zu den Arbeitsphasen Werbeplanung und -durchführung zusätzlich unterscheidet zwischen einen „strategischen Bereich“ – der die gesamte Phase Werbeplanung umfasst – und einem „taktischen Bereich“. Strategischer und taktischer Bereich überlappen sich in den Prozessschritten Aussagenkonzeption, Mittelauswahl und Trägerauswahl.113 Der Begriff „Strategie“ als Prozessbestandteil der Werbeplanung taucht explizit nur bei BRUHN (Werbestrategie), BEHRENS (Kommunikationsstrategie), ASSAEL (advertising strategies) und BEREKOVEN (Strategieplanung) sowie ROTH (Strategieentscheidung) auf. DUNN und BARBAN sprechen von „Strategic decisions“, die im Hinblick auf die übergeordneten Ziele, die anvisierten Zielmärkte sowie den Einsatz von Media zu treffen seien. Dem strategischen Bereich des Werbeplanungsprozesses werden dabei immer die Themen Werbeobjekt, Ziele, Zielgruppe, zugeordnet.114 Dagegen gibt es für die Gestaltung der Werbung (Copy-Strategie) und ihre Streuung (Media-Strategie) unterschiedliche Zuordnungen. Während SCHWEIGER und SCHRATTENECKER sowie ROTH beide als eindeutig operativ-konzeptionell begreifen, ist BRUHN der Auffassung, dass sowohl die Leitidee zur Gestal108 BEREKOVEN, 1995, S. 73; SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 161; SANDAGE/FRYBURGER, 1975, S. 9; BEHRENS, 1996, S. 142; DUNN/BARBAN, 1982, S. 202; ROGGE, 1990, S. 35 109 BRUHN, 2005a, S. 299 110 BEREKOVEN, 1995, S. 73.. 111 ROTH, 1981, S. 624 112 ROGGE, 1990, S. 35 113 ROGGE, 1990, S. 35 114 BEREKOVEN, 1995, S. 71..; ROTH, 1981, S. 624 33 tung wie auch die Basisstrategie zum Mediaeinsatz Teil der Werbestrategie sind, während Copy- und Mediastrategie in der Durchführungsphase ausgearbeitet werden.115 Der Begriff „Werbekonzept“ wird in den Werbeplanungsmodellen nur von SCHWEIGER und SCHRATTENECKER verwendet. Sie fassen unter diese Prozessphase die Arbeitsschritte Formulierung und Gestaltung der Werbebotschaft, Mediastrategie, Mediaselektion, Frequenz sowie Timing zusammen.116 In den übrigen Prozessmodellen taucht Werbekonzeption nur als Werbemittelkonzeption auf.117 Ansonsten werden konzeptionelle Aufgaben und Tätigkeiten entweder dem (werbe- )strategischen Teil118, der Detailplanung119 oder bereits der Prozessphase der operativen Umsetzung120 zugeordnet. In einigen Darstellungen bildet das Briefing der ausführenden Werbeagentur durch das werbende Unternehmen einen Ergebnis-Zwischenschritt im strategischen bzw. konzeptionellen Prozess. Für BRUHN ist das Briefing quasi das Kondensat der Werbestrategie.121 Als weitere arbeitsphasenbezogene Dokumente werden z. T. die Copy-Strategie122 sowie der detaillierte Mediaplan genannt. Mehrheitlicher Bestandteil der dargestellten Modelle ist nach der Vorbereitungs-, Strategieund Konzeptionsphase eine Durchführungs- bzw. Umsetzungsphase, in der die Werbemittel konkret produziert (gedruckt, gefilmt etc.) und geschaltet (Print) bzw. gesendet (Fernsehen, Radio) werden. Ebenso ist in allen Modellen eine abschließende Kontrollphase fester Bestandteil des Werbeplanungsprozesses. Planungsrichtung Generell wird in der Projektmanagement-Literatur u.a. von KNÖSS und KRESSMANN123 für die Planungsrichtung zwischen Top-down, Bottom-up und iterativem Planungs-Ansatz unterschieden. Die vorliegenden Modelle unterstellen grundsätzlich einen Top-Down-Ansatz, da sich die Werbeplanung aus der Marketingplanung und diese wiederum aus der Unternehmensplanung ableiten. Insofern lässt sich eine Differenzierung in der Planungsrichtung noch in anderer Weise bei den vorliegenden Modellen feststellen: • 115 einseitig linear (one way)124; BRUHN, 2005a, S. 298 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 161 117 ROGGE, 1988, S. 35; BEREKOVEN, 1995, S. 17 118 ROTH, 1981, S. 624; ROGGE, 1990, S. 35 119 BEREKOVEN, 1995, S. 17 120 Rogge, 1988, S. 35 121 BRUHN, 2005a, S. 390 122 SANDAGE, C.H./FRYBURGER, V., 1975, S. 289 ff.; Aaker, D.A./MYERS, J.G., 1982, S. 339 ff.; PICKERT, M., 1994, S. 78 ff. 123 KNÖSS/KRESSMANN, 2005, S. 73 ff. 124 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 34 116 34 • parallel linear; • iterativ. Während z. B. in den Ablaufprozessen von DUNN und BARBAN125, SANDAGE und FRYBURGER126 sowie NYLEN127 der Prozessverlauf linear ist, also auf eine Arbeitsphase die nächste folgt, gehen ARMSTRONG und KOTLER128 sowie ASSAEL129 davon aus, dass einige Arbeitsphasen parallel-linear ablaufen. BRUHN130, BEHRENS131, RAY132 sowie auch SCHWEIGER und SCHRATTENECKER133 implizieren dagegen einen iterativen Arbeitsprozess, in dem z. B. die Budgetierung nach erstmaliger Fixierung im Folgeprozess modifiziert wird, wenn die Ergebnisse der nachfolgenden Media- und Maßnahmenplanung dies entsprechend erforderlich machen.134 Charakteristisch für alle Modelle ist auch eine deutliche Inside-out Orientierung. SCHULTZ und BARNES weisen auf die Defizite dieses Ansatzes, exemplarisch dargestellt am Modell von RAY, hin und entwickeln quasi als ein Gegenmodell ein Outside-In-Campaign PlanningModel (grafische Darstellung siehe Anlage).135 In diesem Modell ist der Ausgangspunkt der bestehende bzw. potentielle Kunde in Form der Zielgruppe, die aufgrund soziodemografischer und psychografischer Daten segmentiert wird, so dass für jedes Teilsegment ein spezifisches Kontaktmanagement sowie eine Kommunikationsstrategie mit dem entsprechenden Mediaeinsatz entwickelt und umgesetzt wird.136 Allerdings verzichten SCHULTZ und BARNES auf eine Spezifizierung dieses Perspektivwechsels für den konkreten Werbeplanungsprozess. Außerdem findet diese kundenzentrierte Perspektive Berücksichtigung in den Überlegungen von BRUHN137 und BEHRENS138 zur Differenzierung der Media-Strategie nach KundenGruppen und dem Einsatz verschiedener, zielgruppenabhängiger Werbemotive sowie den Modellen von DUNN und BARBAN sowie ASSAEL, die in einem iterativen Prozess-Verlauf Rückkopplungselemente, sogenannte Feedback-Loops (z. B. auf Basis von Pretests), vorsehen. 125 DUNN/BARBAN, 1982, S. 202 SANDAGE/FRYBURGER, 1975, S. 9 127 NYLEN, 1980, S. 72 128 ARMSTRONG/KOTLER, 2007, S. 370 129 ASSAEL, 1985, S. 390 130 BRUHN, 2005a, S. 299 131 BEHRENS, 1996, S. 142 132 RAY, 1982, S. 54 133 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 161 134 BRUHN, 2005a, S. 299 135 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 27 ff. 136 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 35 f. 137 BRUHN, 2005a, S. 298 ff. 138 BEHRENS, 1995, S. 23 ff. 126 35 2.4 Zusammenfassung Auf Grundlage der vorliegenden Prozessmodelle sind zwei Aspekte zu diskutieren: 1. Die Qualität bestehender Werbeplanungs-Prozessmodelle; 2. der Stellenwert von Werbestrategie als Kernelement eines WerbeplanungsProzessmodells. Die Qualität bestehender Werbeplanungs-Prozessmodelle Die vorgestellten Prozessmodelle unterscheiden den Werbeplanungsprozess nach zahlreichen einzelnen Arbeitsschritten, die strategischen, konzeptionellen und operativen Charakter haben. Kritisch zu bewerten ist bei der Mehrheit der Modelle die fehlende Stringenz und begriffliche Eindeutigkeiten in Verbindung mit einem zum Teil sehen hohen Abstraktionsgrad. So haben insbesondere die Werbeplanungsstrukturen von RAY sowie DUNN und BARBAN stärker den Charakter von Aufgabenlisten als von Prozessmodellen. Insbesondere bei ASSAEL und NYLEN schränkt der hohe Abstraktionsgrad der Prozessstufen (z. B. Definition of Advertising Programs“ bei NYLEN) die praktische Anwendung deutlich ein. Oftmals bleiben Prozessstufen insbesondere im Hinblick auf Ziele, Aufgaben und Maßnahmen diffus, weil die Autoren über die grafische Darstellung hinaus keine detaillierte Erläuterung ihres Werbeplanungsmodells liefern. Dies schließt eine fehlende Akteursdifferenzierung bzw. RessourcenPerspektive ein. Die Aufgabenverteilung in den jeweiligen Arbeitsphasen zwischen den Prozessbeteiligten (Unternehmen, externe Dienstleister) wird in keinem der Modelle spezifiziert. Weiterhin kritisch zu bewerten ist die fehlende empirische Basis. Für keines der Modelle geben die Autoren Hinweise auf die Werbepraxis du einen möglichen Erhebungs- oder Verwendungszusammenhang. Insofern ist die handlungsleitende Qualität dieser Modelle für die Werbepraxis zu hinterfragen. Trotz intensiver Literatur-Recherchen konnten keine vollständig dokumentierten Werbeplanungs-Prozessmodelle ermittelt werden, die nachweislich von werbetreibenden Unternehmen oder ihren Dienstleistern in der Praxis eingesetzt werden. Hier besteht die Vermutung, dass es zwar in der Praxis entsprechende Routinen gibt, diese jedoch in der Regel nicht dokumentiert sind beziehungsweise wenn sie dokumentiert sind, es keinen Bezug zu theoretischen Modellen gibt. Gleichzeitig legen die identifizierten Defizite der vorliegenden Modelle die Vermutung nahe, dass sich ihr Einsatz in der Praxis tendenziell schwierig gestaltet, weil die möglichen Anwender die Praxistauglichkeit der Modelle infrage stellen. Die größte Hürde dürfte der z. T. relativ hohe Abstraktionsgrad in der Darstellung (insbesondere ASSAEL, DUNN; BARBAN, BEHRENS, BRUHN) sein sowie die Linearität der der dargestellten Abläufe (DUNN und BAR- 36 BAN; SANDAGE und FRYBURGER; NYLEN), die im Widerspruch zur iterativen Werbeprozessrealität stehen. Angesichts einer Vielzahl an publizierten Werbeplanungsmodellen, die in der Praxis jedoch offensichtlich keine wirkliche Verwendung finden, stellt sich die Grundsatzfrage, ob solche – ob nun optimiert oder nicht – von den Verantwortlichen überhaupt für ihre tägliche Arbeit benötigt werden. Hierzu gibt es von erfahrenen Werbepraktikern wie OGILVY139 sowie JUNG und VON MATT140 eine deutliche Bekräftigung der Notwendigkeit klar strukturierter und ausreichend dokumentierter Werbeplanungsprozesse. Wenn somit die Notwendigkeit klar strukturierter Werbeplanungsprozesse prinzipiell von der Praxis anerkannt wird, bleibt die Frage, warum es bislang offensichtlich zwischen der entsprechenden Werbetheorie und der Praxis keine hinreichende Interaktion gegeben hat, als dessen Ergebnis ein empirisch fundiertes und für die Planungspraxis handlungsleitendes Modell generiert wurde. Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass analog den Studienergebnissen von GABRIEL ET AL. zum fehlenden Einsatz aktueller Werbewirkungsmodelle in der kreativen Praxis neben Know-how-Defiziten bei den Akteuren im Werbeplanungsprozess141 eine generell fehlende bzw. nur schwach ausgeprägte Struktur- und Prozesskompetenz als Voraussetzung für den Einsatz vollständiger und konsistenter Werbeplanungs-Ablaufmodelle die Ursache ist. Somit ergibt sich im Rahmen des zentralen Forschungsgegenstandes „Werbestrategien“ die Notwendigkeit, diese nicht isoliert zu betrachten, sondern als festen Bestandteil eines konsistenten, praxisnahen Werbeplanungsmodells. Aus den oben skizzierten Defiziten bestehender Ablaufmodelle ergeben sich die entsprechenden Anforderungen für ein Modell, das einen idealtypischen Kampagnen-Prozessverlauf strukturiert und den Bedarf von Ressourcen und Kompetenzen transparent macht. Deutlich geworden ist auch, dass „Werbestrategie“ und „Werbeplanung“ nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern in Verbindung mit den notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen und Kompetenzen der beteiligten Akteure. Der Stellenwert von Werbestrategie als Kernelement eines Werbeplanungs-Prozessmodells Charakteristisch für die vorgestellten Ablauf- und Prozessmodelle der Werbeplanung ist ihre stark konzeptionell-operative Ausrichtung142. Dennoch werden die Begriffe „Strategie“ und „strategisch“ von mehreren Autoren verwandt, jedoch in der Regel zur Beschreibung einer Planungsphase, die mehrere strategische und konzeptionelle Arbeitsschritte umfasst.143 Nur 139 OGILVY, 2000, S. 19 JUNG/VON MATT, 2004, S. 27 f.; JUNG/VON MATT, 2008, S. 88 f. 141 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 47 f. 142 Wobei die Konzeption von Werbung als Arbeitsphase von ihrer operativen Umsetzung zu trennen ist. In vielen Darstellungen erfolgt jedoch keine klare Differenzierung zwischen beiden Phasen. 143 ROGGE, 1990, S. 35; ROTH, 1981, S. 624; BEREKOVEN, 1995, S. 17 140 37 BRUHN verwendet den Begriff (Werbe-) Strategie als eindeutig definiertes, eigenständiges Prozesselement der Werbeplanung.144 Offensichtlich wird von der Mehrheit der Autoren der Begriff als angemessen für die Beschreibung de entsprechenden Arbeitsschritte im Werbeplanungsprozess begriffen, ohne dass Sie ihn jedoch – mit Ausnahme von BRUHN hinreichend explorieren und definieren, um ihn von dem Begriff der Werbekonzeption deutlich abzugrenzen. Angesichts dieses Defizits stellt sich – analog zum Werbeplanungsprozess insgesamt – die Frage, ob es überhaupt einer Werbestrategie als eigenständiges Planungselement bedarf. Die Notwendigkeit eines effizienten und effektiven Mitteleinsatzes durch die systematische Planung von Werbung könnte streng genommen auch durch die konsistente Umsetzung werbekonzeptioneller Arbeitsschritte (insbesondere Werbemittelkonzeption, Mediaplan) gewährleistet werden. Dem widerspricht jedoch eine Reihe von Autoren. So plädieren u.a. ALTSTIEL und GROW145 sowie JONES sehr deutlich für die Notwendigkeit von advertising strategy im Planungsprozess. Sie fordern eine klare Trennung werbestrategischer Planungen von den kreativen und taktischen Aktivitäten. Ihre Argumente lassen sich mit den folgenden Kernargumenten zusammenfassen: • Ableitungskonsistenz: Eine Marketingstrategie ersetzt keine Werbestrategie. Vielmehr bedarf es einer eigenständigen Werbestrategie, die sich aus den zentralen Eckpunkten der Marketing- bzw. Kommunikationsstrategie ableitet. Sowohl die zentralen Begrifflichkeiten einer Werbestrategie als auch ihr Abstraktionsniveau entsprechen mehr dem definitorischen Rahmen von Strategie als von Konzept.146 Würde man somit von der Marketingbzw. Kommunikationsstrategie übergangslos ein auf operative Umsetzung ausgerichtetes Werbekonzept ableiten, blieben grundlegende strategische Aspekte (Zielgruppe, Ziele, Positionierung) möglicherweise unzureichend diskutiert und definiert. Insofern bedingt die Werbestrategie top-down einen Effektivitätsgewinn (Wird nach den Vorgaben der Marketingstrategie für das Richtige geworben?). • Komplexität: Die gewachsene Komplexität bei der Planung und Durchführung von Werbung bedingt ein strategiegeleitetes Vorgehen.147 Die verschiedenen operativen Einzelmaßnahmen müssen auf den gleichen strategischen Vorgaben basieren. Insofern leistet die Werbestrategie bottom-up einen Effizienzgewinn (Wird das Richtige in der richtigen Weise beworben)? • Anspruch der Langfristigkeit: Gegenüber kurzfristig, oftmals auch taktisch geprägten Kreativkonzepten zeichnet sich eine Werbestrategie durch ihren Anspruch auf Langfristigkeit aus.148 144 BRUHN, 2005a, S. 298 ff. ALTSTIEL/GROW, 2006, S. 19 ff.; JONES, 1999, S. 160 ff. 146 BRUHN, 2005a, S. 297 f. 147 ALTSTIEL/GROW, 2006, S. 19 ff. 148 JONES, 1999, S. 160; BRUHN, 2005a, S. 323 145 38 • Messbare Erfolgskontrolle: Dadurch, dass eine Werbestrategie Ziele und Erfolgsparameter definiert, bildet sie – im Gegensatz zu rein konzeptionellen Überlegungen – die Grundlage für eine systematische Erfolgskontrolle.149 Insbesondere JONES verweist auf die praktische Bedeutung einer Werbestrategie als einem Dokument, das die Grundlage für alle nachfolgenden konzeptionellen und kreativen Überlegungen bildet, die wiederum in Folgedokumenten wie dem Briefing oder dem Mediaplan dokumentiert werden. Dies deckt sich mit der Definition von KOSCHNICK, wonach die Werbestrategie „die wesentlichen Bauteile des Werbeplans in komprimierter Form fixiert.“150 Es herrscht somit in der vorliegenden Literatur Einigkeit darüber, dass Anspruch und Komplexität des Werbeplanungsprozesses für die strategische Planungsarbeit einen relevanten Stellenwert bedingen. Insofern wird mit der Werbestrategie der notwendige Handlungsrahmen festgelegt, um sicherzustellen, dass alle operativen (taktischen) Instrumente auch zielführend eingesetzt werden.151 Welche Funktion jedoch eine solche Werbestrategie konkret hat, welche Kernelemente sie beinhaltet und in welcher Weise sie sich möglicherweise differenzieren lässt, ist nachfolgend zu klären. 149 ALTSTIEL/GROW, 2006, S. 20 KOSCHNICK, 1996, S. 1156 151 Vgl. BECKER, 2002, S. 140 150 39 3. Werbestrategien als Kernelement des Werbeplanungsprozesses 3.1 Begriffsdefinition und Aufgaben Vor allem in der – oftmals älteren - allgemeinen betriebswirtschaftlichen bzw. MarketingFachliteratur wird häufig der Begriff Werbearten als universeller Ordnungsbegriff verwandt.152 In der Regel werden Werbearten unterschieden im Hinblick auf die Art des Werbetreibenden, der Werbeobjekte, den Werbesubjekten bzw. Zielgruppen, den geografischen Einsatzgebieten, den Werbeträgern und -mitteln, den Werbezielen, den Werbebotschaften bzw. Ausdrucksformen, der (angestrebten) Werbewirkung, sowie dem Timing der Werbekommunikation.153 Im Hinblick auf die Unterscheidung nach Werbezielen subsumiert der Begriff „Werbeart“ somit auch Aspekte der Werbestrategie. Insofern ist der Begriff Werbestrategie in der Werbewissenschaft lange nicht explizit verwendet worden. Vielmehr haben sich die verschiedenen Autoren damit begnügt, die strategischen Elemente des Werbeplanungsprozesses (Ziele, Zielgruppe etc.) als einzelne Arbeitschritte zu beschreiben, ohne sie jedoch systematisch zueinander in Beziehung zu setzen, als „Werbestrategie“ begrifflich zusammenzufassen und in der Konsequenz unterschiedliche Strategiearten oder -typen zu klassifizieren. Erste Klassifizierungsversuche durch GUTENBERG, SEYFFERT und BEHRENS fokussieren vorrangig auf den Aspekt der Werbeziele als die Strategie determinierendes Element, verzichten jedoch weitestgehend darauf, diese in Bezug zu den anderen Strategieelementen zu setzen. Den Begriff Werbestrategie (advertising strategy) wurde explizit erstmals 1918 von SAMPSON154 verwandt, später dann auch von FAISON155, KROEBER-RIEL156 sowie SCHULTZ und BARNES157, wobei sie keine über eine beschreibende Charakterisierung hinausgehende eindeutige Begriffsdefinition liefern. Häufig werden zudem unter (Werbe-) „Strategie“ und „strategisch“ auch eindeutig konzeptionelle und operative Arbeitsschritte subsumiert.158 Beides hat zur Konsequenz, dass nach SCHMIDT die Begriffe „Werbestrategie“ und „Werbekonzeption“ in den vorliegenden Darstellungen oftmals „nicht trennscharf“159 152 SEYFFERT, 1929, S. 653 ff.; BORDEN, 1937; S. 3, S. 339 HUNDHAUSEN, 1954, S. 105 f.; BEHRENS, 1963, S. 15 ff.; 1975, S. 5 ff.; SEYFFERT, 1966, S. 29 ff.; DUNN/BARBAN, 1982, S. 11 f. ; TIETZ/ZENTES, 1980, S. 111 ff.; SEIDEL/TEMMEN, 2006, S. 94; MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2007, S. 706 154 SAMPSON, 1918, S. 12 ff. 155 FAISON, 1980, S. 261 ff. 156 KROEBER-RIEL, 1988, S. 29 157 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 149 ff. 158 ROGGE, 1990, S. 35; ROTH, 1981, S. 624; BEREKOVEN, 1995, S. 17 159 SCHMIDT, 2004, S. 91 153 40 sind. Auch KLOSS weist darauf hin, dass der Begriff Werbestrategie weder in der Literatur noch in der Praxis einheitlich verwendet werde.160 Eine erste umfassende Definition von Werbestrategie gibt BRUHN161 2005 in folgender Weise: „Werbestrategien sind bedingte, mehrere Planungsperioden umfassende, verbindliche Verhaltenspläne von Unternehmen für ausgewählte Planungsobjekte (z. B. Marken, Unternehmen). Sie beinhalten Schwerpunkte bei den Entscheidungen über: das Objekt, die Zielgruppen, die Botschaft, den Mediamix sowie das Areal der Mediawerbung, um die strategische Werbeziele zu erreichen.“162 Die Bedingtheit von Werbestrategien zeigt sich nach BRUHN darin, dass diese auf der Grundlage spezifischer Markt- und Umfeldentwicklungen sowie der unternehmensinternen Situation festgelegt werden. Dementsprechend bildet im Werbeplanungsprozess die Situations- bzw. Werbeanalyse die notwendige Grundlage für die Definition der Werbestrategie.163 Die mehreren Planungsperioden drücken nach BRUHN den mittel- bis langfristigen Zeithorizont und deren umfassende Verbindlichkeit aus. Als Bindeglied zwischen den strategischen und operativen Entscheidungen beschreiben Werbestrategien nach BRUHN164 sowie SCHULTZ und BARNES165 keine Einzelmaßnahmen, sondern fixieren Schwerpunkte (im Sinne von „Stoßrichtungen“) als verbindlichen Handlungsrahmen. SCHULTZ und BARNES sowie BRUHN nennen verschiedene Anforderungen an Werbestrategien, damit sie ihre Funktion als verbindliche Verhaltenspläne wirkungsvoll erfüllen können:166 • Hinweischarakter auf die Realisation der strategischen Ziele des Unternehmens (Konsistenz); • Priorisierung in der Auswahl und Bearbeitung von Zielgruppen; • Anleitung zur Kanalisierung des Mitteleinsatzes; • Planungsrahmen für die abgeleiteten Konsequenzen im Hinblick auf Mitteleinsatz, Organisation und Personalbedarf; • Fixierung in schriftlicher Form; • Überprüfung im Rahmen eines strategischen Werbecontrollings. Werbestrategien müssen nach BRUHN analog MEFFERT sowie HOMBURG und KROHMER167 in die Zielhierarchie des Unternehmens integriert und mit den übergeordneten strategischen Markt- und Unternehmenszielen sowie den strategischen Kommunikationszielen des 160 KLOSS, 2007, S. 204 BRUHN, 2005a, S. 376 ff. 162 BRUHN, 2005a, S. 373 163 BRUHN, 2005a, S. 323; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 47 ff., S. 86 ff. 164 BRUHN, 2005a, S. 323 165 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 47 ff., S. 86 ff. 166 BRUHN, 2005a, S. 373; SCHULTZ/BARNES, 2005, S. 159 167 BRUHN, 2005a, S. 41f., MEFFERT, 2000, S. 679; HOMBURG/KROHMER, 2006, S. 117 161 41 Unternehmens abgestimmt werden. BECKER spricht in diesem Zusammenhang von einer Marketingplattform, aus der Werbung im Sinne einer konzeptionellen Kette abgeleitet werde.168 Insofern grenzt sich die Werbestrategie von der Marketingstrategie ab, als dass sie im Sinne von BECKER eine zeitlich nachgelagerte Folgestrategie ist.169 So werden im Marketingmix als Teil der Marketingstrategie zur Kommunikationspolitik bereits wesentliche Eckpunkte der nachfolgenden Werbestrategie definiert.170 Auf Grundlage dieses Handlungsrahmens zur Kommunikationspolitik generell wird die jeweilige Werbestrategie – insbesondere im Hinblick auf die Wahl der Medien, die kommunikativen Ziele und Botschaften - spezifiziert bzw. detailliert. Oftmals wird jedoch in der Marketingliteratur die Eigenständigkeit des Elements Werbestrategie negiert und stattdessen entsprechende strategische und konzeptionelle Elemente dem Marketingmix und damit der Marketingstrategie insgesamt zugeschrieben.171 Angesichts der deutlich gewachsenen Relevanz von Werbekommunikation im Marketingmix172, der erhöhten Komplexität (vgl. Kapitel 1.2) sowie der notwendigen Spezifikation (Werbekommunikation als ein Teil der Unternehmenskommunikation insgesamt) erscheint es jedoch sinnvoll und notwendig, von Werbestrategien als eigenständigem Planungsinstrument auszugehen.Dementsprechend weist die Werbestrategie in Abgrenzung der ihr zugrundeliegenden Marketingstrategie detailliertere und spezifischere Informationen (insbesondere zu den Werbezielen und der Werbebotschaft) auf. Dementsprechend unterscheidet sich die Werbestrategie von der Werbekonzeption bzw. dem Werbekonzept in folgenden Schlüsselaspekten: • Abstraktionsgrad: Der Abstraktionsgrad der Werbestrategie ist notwendigerweise höher als der der Werbekonzeption. Es werden grundsätzliche Aussagen zum strategischen Vorgehen gemacht, die vor einer operativen Umsetzung zunächst konzeptionell detailliert werden müssen.173 • Langfristigkeit: Die strategischen Überlegungen sind prinzipiell auf Langfristigkeit angelegt.174 168 BECKER, 2009, S. 567 ebd., S. 144. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Begriff der Marketingstrategie nach KLEINHÜCKELHOVEN und SCHNETKAMP nicht klar definiert ist. Sie wird von einigen Autoren (u.a. BENKENSTEIN, 1997) der Unternehmensstrategie gleichgesetzt, andere sehen in ihr eine von mehreren Funktionalstrategien (CRAVENS, 1999, KÖHLER, 1993, LAMBIN, 1997), während wiederum HOMBURG und KROHMER, 2006, S. 350, in ihre eine dominierende Funktionalstrategie sehen. 170 MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2008, S. 632ff.; KOTLER/KELLER/BLIEMEL,2007, S. 651ff., BRUHN,2008, S. 199ff. 171 ebd., wohingegen BRUHN,2008, S. 210, Werbestrategie als eigenständigen Begriff in der Marketingstrategieplanung differenziert. 172 KUSS/TOMCZAK/REINECKE, 2007, S. 238f. 173 AAKER, D.A./MYERS, J.G., 1982, S. 339 ff.; PICKERT, M., 1994., S. 78 ff.; MURPHY/CUNNINGHAM, 1993, S. 170; STEFFENHAGEN, 2001c, S. 238; SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 196 f. 174 BRUHN, 2005a, S. 375 169 42 • Planungs- und Kontrollfunktion: Die Werbestrategie bildet einen Planungsrahmen und gleichzeitig die Grundlage für eine Kontrolle der erreichten Werbeziele.175 Die Werbekonzeption operationalisiert die in der Werbestrategie definierten Eckpunkte (Ziele, Zielgruppe, Positionierung, Kernbotschaft) im Hinblick auf die konkrete Kampagnenumsetzung.176 Das heißt, wenn beispielsweise in einer Werbestrategie für die Markteinführung eines neuen Produktes TV-Werbung als Leitmedium fixiert wird, wird im Rahmen der nachfolgenden Werbekonzeption in Form eines Mediaplans konkretisiert, auf welchen Sendern, zu welchen Zeiten und in welcher Frequenz der entsprechende Werbespot geschaltet werden soll.177 Auf Basis dieses Mediaplans als unmittelbar umsetzbares Handlungskonzept erfolgt dann die Schaltung des Spots. FAISON weist deshalb auch auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Advertising Strategies und Tactics hin.178 So werden oftmals von taktischen bzw. konzeptionelloperativen Aspekten dominierte Werbearten wie vergleichende Werbung oder TestimonialWerbung begrifflich gleichrangig zu Werbestrategien verwendet.179 Angesichts des fortgeschrittenen medialen Diversifikationsprozesses wird heute vermehrt der Begriff Kommunikationsstrategie statt Werbestrategie verwandt.180 3.2 Kernelemente Als implizite Kernelemente einer Werbestrategie werden häufig folgende genannt:181 • Werbesubjekt – und Werbeobjekt/-e; • Werbeziele; • Werbezielgruppen; • Positionierung; • Werbebotschaft und -mittel; • Mediamix; • Werbeareal und -timing. 175 ALTSTIEL/GROW, 2006, S. 19 ff. SANDAGE, C.H./FRYBURGER, V., 1975, S. 289 ff.; AAKER, D.A./MYERS, J.G., 1982, S. 339 ff.; PICKERT, M., 1994., S. 78 ff.; MURPHY/CUNNINGHAM, 1993, S. 170; STEFFENHAGEN, 2001c, S. 238; SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 196 f. 177 UNGER ET AL., 2007, S. 392; ENGEL/HOFSÄSS, 2004, S. 57 f.; SISSORS/BARON, 2002, S. 10 ff. 178 FAISON, 1980, S. 304 179 Zu vergleichender Werbung als Werbeart siehe BRUHN, 2005a, S. 386; zu Testimonial-Werbung als Werbeart siehe BRUHN, 2005a, S. 386; SOHN/WELLING, 2002, S. 21 f. 180 MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2008, S. 637; BRUHN, 2005a, S. 117; HARTLEBEN, 2004, S. 103 ff. 181 BRUHN, 2005a, S. 376 ff.; ROTH, 1981, S. 87; BEHRENDT, 1963, S. 57; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 155 ff., KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 44 ff. 176 43 Bei der Operationalisierung dieser Elemente sind nach BRUHN bestehende Interdependenzen zu berücksichtigen.182 3.2.1 Werbesubjekte und -objekte Werbesubjekte aus Sicht des Werbetreibenden lassen sich im Hinblick auf folgende Aspekte unterscheiden: • Profitorientierung (ja/nein); • Anzahl der Werbetreibenden (Einzelsubjekt/mehrere Objekte). Werbetreibende mit Profitorientierung sind klassischerweise Unternehmen, wohingegen Parteien oder Vereine in der Regel nicht profitorientiert agieren. Werbeobjekte lassen sich unterscheiden:183 • Nach Marke (Einzelprodukt, Sortiment, Unternehmen insgesamt); • nach Anwendungsform (Produkt, Dienstleistung); • nach Produktcharakter bzw. Involvement (Gebrauchsgut, Investitionsgut). 3.2.2 Werbeziele In zahlreichen Werbeplanungsmodellen (siehe Kapitel 2.3) bildet die Fixierung der Werbebzw. Kommunikationsziele den Ausgangspunkt des Planungsprozesses nach der Analysephase.184 Häufig werden dabei Werbeziele der Werbestrategie gleichgesetzt.185 KLOSS dagegen stellt die Einheit von Werbezielen und Werbestrategien infrage, indem er proklamiert: „Werbeziele können mit unterschiedlichen Werbestrategien verfolgt werden.“186 Nach BECKER muss die Werbestrategie stets an den Werbezielen ausgerichtet sein und bestimmt die zu ergreifenden Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden.187 Nach STEFFENHAGEN und FUNKE kommen Werbezielen dabei folgende Funktionen zu:188 182 BRUHN, 2005a, S. 376 LÖBLER/MARKGRAF, 2004, S. 1494 184 SANDAGE/FRYBURGER, 1975, S. 17; ROTH, 1981, S. 31; ROGGE, 1988, S. 47; BEREKOVEN, 1995, S. 52; BEHRENS, 1996, S. 37; BRUHN, 2005a, S. 340; SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 11; ARMSTRONG/KOTLER, 2007, S. 117 185 GUTENBERG; 1955, S. 440 ff.; SEYFFERT, 1966, S. 43 ff.; BEHRENS, 1963, S. 52 ff. 186 KLOSS, 2007, S. 204 187 BECKER, 2002, S. 140 188 STEFFENHAGEN/FUNKE, 1986, S. 546; STEFFENHAGEN, 1993, S. 287 183 44 • Entscheidungs- und Steuerungsfunktion; • Koordinationsfunktion; • Motivations- und Identifikationsfunktion; • Kontrollfunktion. Von mehreren Autoren wie u.a. REINECKE und REIBSTEIN189 wird auf den zur strategischen Bedeutung im Werbeplanungsprozess disproportionalen Stellenwert von Werbezielen in der Werbepraxis sowie auf erhebliche Defizite bei der Formulierung der Werbeziele selbst hingewiesen.190 Obwohl die verschiedenen Werbe-Wirkungsmodelle den im Hinblick auf die angestrebte Transaktion (z. B. Kauf) nur vorbereitenden Charakter (keine lineare Kausalität) von Werbekommunikation verdeutlichen, gehört die Nennung ökonomischer Kennzahlen und Ziele (insbesondere Absatz, Umsatz und Marktanteil) sowohl in der Werbetheorie wie auch der Praxis (siehe nachfolgende Ergebnisse der Effie-Werbeziele-Analyse) traditionell zum festen Bestandteil jeder Darstellung allgemeiner Werbeziele. Dabei wird in der Regel zwischen ökonomischen bzw. nicht-kommunikativen einerseits und kommunikativen bzw. psychologischen Werbezielen andererseits unterschieden.191 Diese Unterscheidung wird von BRUHN vehement als „irreführend“ kritisiert, da sie impliziere, dass die Verfolgung psychologischer Ziele letztlich nicht ökonomisch sei, hier also ein künstlicher Gegensatz konstruiert werde.192 Auch wenn letztlich mit jeder werbekommunikativen Maßnahme ein ökonomischer Effekt angestrebt wird, sind ökonomische Werbeziele als zentrale Erfolgsgrößen für die Bewertung von Mediawerbung aus folgenden Gründen nicht tauglich:193 • 189 Intransparente Kausalität: Die Veränderung der ökonomischen Größen wird in hohem Maße vom Einsatz des gesamten Marketing- bzw. Kommunikationsinstrumentariums des werbetreibenden Unternehmens, der Marktentwicklung sowie der Werbeaktivität der Wettbewerber beeinflusst. Die Kausalität der Wirkung und der Zielerreichungsgrad sind damit nicht eindeutig und zumindest nicht ausschließlich bzw. überwiegend auf werbepolitische Aktivität zurückzuführen. Dagegen werden nichtmonetäre Zielgrößen wesentlich weniger von anderen Unternehmens- oder Konkurrenzmaßnahmen sowie weiteren Um- REINECKE/ REIBSTEIN, 2001, S. 160 AAKER, 1982, S. 23f.; HÖRSCHGEN/GAISER/STROIBEL, 1981, S. 12 f., STEFFENHAGEN, 1993, S. 298 f.; STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 53 f. 191 BEHRENS, 1963, S. 106 ff.; BIDLINGMAIER, 1970, S. 403 ff.; ROGGE, 1979, S.61; TIETZ/ZENTES, 1980; S. 49; MEFFERT, 2000, S. 452 f.; NIESCHLAG et al., 2002, S. 1059 ff. 192 BRUHN, 2005a, S. 341 193 COLLEY, 1967, S. 69; KAISER, 1980, S. 129; MEYER/HERMANNS, 1981, S. 75; KOPPELMANN, 1981, S. 109 f.; STEFFENHAGEN, 1993, S. 287 f.; SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2001, S. 147; KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 32 f. 190 45 weltfaktoren beeinflusst, so dass hier eine direktere Messung und Ursache-WirkungsZuordnung möglich ist.194 • Fehlende Operationalisierbarkeit: Ökonomische Größen wie Umsatz und Ergebnis sind Inhalte sogenannter „Global- und Oberziele“, die sich aus einer Vielzahl separierbarer Teilziele zusammensetzen. So ist beispielsweise die „Steigerung des Absatzvolumens“ als Marketing-Oberziel vor allem durch den Käuferanteil, die Kaufhäufigkeit, die Menge pro Kauf usw. (als Detailziele) gekennzeichnet. Trotz dieser Grundsatzkritik am Einsatz ökonomischer Zielgrößen für die Werbeerfolgsmessung dominieren diese bis heute den Werbeplanungsprozess in vielen Unternehmen (siehe nachfolgender Exkurs zur Auswertung der Effie-Bewerbungen). Dies geschieht nach REINECKE und JANZ wiederum zu Recht. Sie plädieren dafür, Kommunikationskontrolle nicht ausschließlich auf nichtmonetäre Zielgrößen zu beziehen195. Konkret: Eine Werbemaßnahme, die zwar die Erhöhung des kommunikativen Ziels „Bekanntheit“ bewirkt, jedoch nicht zur Erreichung des ökonomischen Ziels „Mehrumsatz“ führt, kann kaum als erfolgreich bewertet werden.196 Die Konsequenz daraus ist: Ökonomische Ziele sollten nicht unmittelbare und ausschließliche Erfolgsgrößen für die Planung und Kontrolle von Werbeaktivität sein, jedoch als gesetzte Marketing-Oberziele immer Berücksichtigung finden. Dies kann nach REINECKE und JANZ in der Weise geschehen, dass Kommunikationsmaßnahmen und ökonomische Daten (z. B. Absatz) über längere Zeitperioden erfasst und analysiert werden, um mögliche Schwankungen sichtbar zu machen und deren Ursachen besser analysieren und ggf. korrigieren zu können.197 Kommunikative Zielarten und -größen Die kommunikativen Zielarten und -größen leiten sich aus den Stufen der verschiedenen Werbewirkungsmodelle sowie dem Umfang und der Qualität der Konsumenten-Beziehung zu einem Produkt oder einer Leistung ab. Oftmals setzen die werbetreibenden Unternehmen identische Zielarten und -größen ein, die auf den verschiedenen Prozessmodellen zur Marketing- bzw. Markenplanung und -kontrolle (z. B. dem Konzept Brand pipeline der Agentur Icon Added Value, dem Brand Funnel von BBDO oder dem Kauftrichter von McKinsey) basieren.198 Analog zu den psychologischen Zielen in den verschiedenen Werbewirkungsmodellen lassen sich kommunikative Ziele im Hinblick auf die adressierte Ebene der Kommunikationswirkung unterscheiden. Kommunikative Ziele beziehen sich sowohl auf die beworbene Marke 194 REINECKE/JANZ, 2007, S. 224; STEFFENHAGEN, 1993, S. 287; KROEBER-RIEL/ESCH, 2004; S. 35 ff. REINECKE/JANZ, 2007, S. 225 196 REINECKE/JANZ, 2007, S. 225; BLAIR/SCHROIFF, 2001, S. 52 f. 197 REINECKE/JANZ, 2007, S. 225 198 ESCH/LANGNER/BRUNNER, 2005 195 46 bzw. das Produkt sowie auch auf die jeweiligen Werbemaßnahmen. Die Erreichung dieser Kommunikationsziele kann wiederum durch eine Reihe von Zielgrößen erfasst werden (siehe Abbildung). Ebene der Kommunikationswirkung Kommunikationsziele Kognitiv: Awareness • Zielgrößen Markenbekanntheit • (passiv, aktiv, Top of Mind, exklusiv) • Bekanntheit der Wer- • bung allgemein Erinnerung an spezifische Werbeinhalte Ungestützte Wiederkennung (Recognition) Gestützte Erinnerung (Aided Recall) Ungestützte Erinnerung (Unaided Recall) Kognitiv: • Einstellung/ Interesse/ • Zufriedenheit Affektiv: Vertrauen/ Sympathie Markenimage Einstellung zur Werbung • Grad der Zustimmung/Ablehnung Konativ: Präferenz/First Choice (Test-)Kaufbereitschaft (Test-)Kaufabsicht Weiterempfehlungsbereitschaft • Grad der Zustimmung/Ablehnung • • • • • Abbildung 3: Kommunikationsziele und Zielgrößen QUELLE: Eigene Darstellung in Anlehnung an MEFFERT, BURMANN, KIRCHGEORG, 2007, S. 117 Im Hinblick auf den Zielerreichungsgrad sind alle Kommunikationsziele in Bezug auf die Tiefe und Breite des Werbeeffektes zu unterscheiden.199 Im Bezug auf ihren belegten hohen Einflussgrad auf die Kaufabsicht200 sind für die Werbekommunikation die positive Beeinflussung der Markenbekanntheit und des Markenimage in Verbindung mit der Wahrnehmung der jeweiligen Werbemaßnahmen die zentralen Zielgrößen. Diese werden im Folgenden kurz erläutert. 199 200 ESCH, 2007, S. 66 GEUSS, 2004, ´S. 55 47 Kommunikationsziel Bekanntheitssteigerung Die Ermittlung des ungestützten bzw. gestützten Recall-Wertes gehört ebenso wie der Recognition-Wert zu den klassischen Kennzahlen zur Ermittlung des Grads der Bekanntheit einer Leistung bzw. eines Produktes, wobei insbesondere die Aussagequalität des RecallWertes in der Literatur kritisch diskutiert wird.201 Generell wird empfohlen, die Bekanntheit eines Produktes bzw. einer Leistung gestützt (aided) abzufragen, wenn für das Werbeobjekt nur ein geringer Bekanntheitsgrad oder eine hohe Verwechslungsgefahr angenommen wird. Die Abfrage der ungestützten Bekanntheit (unaided recall) bietet sich dagegen bei einer etablierten Marke an.202 Kommunikationsziel Imageverbesserung Aufbauend auf die Produkt- bzw. Markenbekanntheit ist die Verbesserung des Images einer Marke eine weitere zentrale Erfolgsgröße.203 Neben den Zielgrößen zur Erfolgskontrolle traditioneller Werbemedien wie TV und Print bestehen für die Online-Kommunikation als Werbekanal mit wachsender Bedeutung (siehe Einleitung) zusätzliche Meßgrößen.204 Um zu branchenübergreifenden Vergleichswerten zu gelangen, werden regelmäßige Werbetrackings (u.a. der Werbemonitor von Research International sowie GfK ATS) durchgeführt, in denen die wichtigsten Zielgrößen abgefragt werden.205 Komplementär dazu führen viele Unternehmen Panel-Untersuchungen durch, um die Wirkung der Werbung auf einzelnen Zielgrößen isoliert analysieren zu können. Formulierung von Werbezielen Folgende Anforderungen gelten nach STEFFENHAGEN und SIEMER sowie SCHULTZ und BARNES für die Formulierung von vollständigen und präzisen Werbezielen:206 • Hohe werbebedingte Reagibilität, d.h. die Änderung der Zielvariablen hat in starkem Maße sensibel auf die Variation des werblichen Aktivitätsniveaus zu reagieren; • selektive Steuerungskraft der Variablen, d.h. verfügt ein gewählter Zielinhalt über eine hohe selektive Steuerungskraft, so entfaltet ein Werbeziel neben der schon begriffsimmanenten Steuerungswirkung auch Motivations- und Identifizierungswirkung207; 201 MEHTA/PURVIS, 2006, S. 54; DUBOW, 1994; DU PLESSIS, 1994 ZINKHAM, 1982, S. 155ff. 203 ESCH, 2007, S. 543; WALKER/DUBITSKY, 1994, S. 11 204 HÜNDGEN, 2007, S. 61 205 BEREKOVEN/ECKERT/ELLENRIEDER, 2004, S. 190 ff.; ESCH, 2007, S. 540 f. 206 STEFFENHAGEN, 1993, S. 288; STEFFENHAGEN/SIEMER, 1995, S. 18; PEPELS, 1999, S.96; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 50 f. 202 48 • Relevanz, d.h. notwendigerweise sind die Zielvariablen für die Gesamtheit der Kommunikations-, Marketing- bzw. Unternehmensziele relevant; • Situationsgerechtigkeit, d.h. die Werbeziele ist den jeweiligen werblichen Aufgabenstellungen anzupassen; • Integrationsfähigkeit, d.h. alle Zielvariablen müssen in ein System von Ober- und Unterzielen sowie Haupt- und Nebenzielen eingebettet sein; Vollständigkeit, Präzision, Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit, d.h. eine vollständige Zielformulierung ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Werbeziel überhaupt eine hohe selektive Steuerungskraft entfalten kann. Eine vollständige und umfassende Zielformulierung liegt vor, wenn zu den folgenden Zieldimensionen klare bzw. eindeutige Aussagen gemacht werden:208 • • Zielart bzw. -variable (Bsp.: Steigerung des aktiven Bekanntheitsgrades); • Ausmaß einer Zielart bzw. Zielvariable (Bsp.: Steigerung um 20 Prozent); • Zeitbezug bzw. -rahmen der angestrebten Zielerreichung (Bsp.: innerhalb der nächsten 12 Monate); • Objektbezug der angestrebten Zielerreichung (für die Marke XY); • Zielgruppe (Bsp.: bei Haushalten mit einem Netto-Jahreseinkommen von 50.000 Euro und mehr). Dieser Zielkatalog wird in der Werbepraxis auch im Rahmen der DAGMAR-Methode umgesetzt (Defining Advertising Goals for Measured Advertising Results): Erhöhung der Bekanntheit (Zielinhalt) der Marke Y bei der Zielgruppe X (Zielgruppe) von derzeit 15 Prozent auf 25 Prozent (Zielausmaß) im Zeitraum Z (Zielperiode).209 Eine empirische Studie von STEFFENHAGEN/SIEMER210 zeigt jedoch, dass die in der Werbepraxis formulierten Werbeziele die oben genannten Anforderungen mehrheitlich nicht erfüllen und damit Defekte aufweisen. So sind vor allem allgemeine Absichtserklärungen, die unklare Bedeutung verwendeter Ausdrücke sowie die mangelnde Detaillierung der Zielart bzw. -variable nach STEFFENHAGEN/SIEMER die Ursachen für defekte Werbezielformulierungen. Exkurs: Ergebnisse der Werbeziele-Analyse der Effie-Bewerbungen 2007 Nachdem zuletzt 1996 STEFFENHAGEN und SIEMER eine Tauglichkeitsanalyse von Werbezielen auf Grundlage der Kampagnen-Einreichungen zum Preis der Deutschen Fachpresse 207 BRUHN, 2005a, S. 432 BRUHN, 2005a, S. 342; REINECKE/JANZ, 2007, S. 225; STEFFENHAGEN, 1993, S. 298; STEFFENHAGEN, 2000a, S. 71 f.; STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S.47; REINECKE, 2004, S. 329; ROGGE, 1982, S. 44 209 BRUHN, 2004d, S. 890 210 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 53 208 49 1993 durchgeführt haben, wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Replikationsstudie auf Basis aktueller Kampagnen durchgeführt. Grundlage dieser Inhaltsanalyse waren die 113 Einreichungen zum Kommunikationseffizienzpreis „Effie“ des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen (GWA) im Jahr 2007. Der Effie ist im Hinblick auf die Bewertung von Kampagnenstrategie und -erfolg die wichtigste Auszeichnung in der deutschen Werbewirtschaft.211 Seit 27 Jahren wählt eine Jury mit Experten aus werbetreibenden Unternehmen, Kreativagenturen, Wissenschaft und Publizistik unter über 100 Einreichungen die besten Kampagnen aus. Der „Effie“ zeichnet Marketingkommunikation aus, „die ausgewiesen wirkungsvoll und effizient bezogen auf ihr Kosten-Nutzenverhältnis und gesetzte Marketingziele sind“212. Voraussetzung für eine Effie-Nominierung ist eine umfassende Dokumentation zur Kommunikationsstrategie der Kampagne sowie der Nachweis, „dass bei den eingereichten Kampagnen die Kommunikation die wesentliche Rolle zur Erreichung der gesetzten Marketingziele gespielt hat“213. Diese Prämierungsanforderung entspricht dem Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit insgesamt und der Basis für die Ministudie in idealer Weise. Folgende Kernergebnisse ergab die Analyse der 113 Kampagnen-Beschreibungen: • 4,5 Ziele werden im Kampagnen-Durchschnitt genannt; • für 110 Kampagnen (97,4 %) wurden sowohl ökonomische wie auch kommunikative Kampagnenziele von den Akteuren fixiert. Nur für drei Kampagnen (2,6 %) wurden ausschließlich kommunikative Ziele formuliert; • mit durchschnittlich 4,2 dominieren die ökonomischen gegenüber den kommunikativen Zielen mit durchschnittlich 2,1 Nennungen deutlich; • die häufigsten genannten ökonomischen Ziele sind die Steigerung des Marktanteils (95 %) vor Absatz- (50 %) und Umsatzsteigerung (37 %). Sieben Unternehmen (6 %) nennen explizit „Erreichung der Marktführerschaft“ als ein Kampagnenziel; • die häufigsten genannten kommunikativen Ziele sind die Steigerung der gestützten bzw. ungestützten Bekanntheit (93 %) vor Imagekorrektur (71 %); • nur 23 % der Kampagnen-Ziele sind nach den Anforderungskriterien von STEFFENHAGEN und SIEMER weitestgehend tauglich, 57 % dagegen untauglich. Die Ergebnisse bestätigen weitgehend die Aussagen von STEFFENHAGEN und SIEMER214 und machen deutlich, dass die von ihnen identifizierten Defizite auch zehn Jahre später noch bestehen. Außerdem sind diese Ergebnisse ein Hinweis darauf, dass es sich wahrscheinlich tendenziell nur um besonders erfolgreiche Werbekampagnen handelt, für die in ausreichender Weise definierte Ziele vorliegen. 211 GWA, 2007 GWA, 2007 213 GWA, 2007 214 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 48 ff. 212 50 Für die nachfolgende Untersuchung haben diese Ergebnisse zur Konsequenz, dass ein besonderer Schwerpunkt auf die Analyse der Werbeziele und die Güte ihrer Definition gelegt wird. 3.2.3 Werbezielgruppen Zentraler Bestandteil der Werbestrategie ist die Fixierung der zu adressierenden Zielgruppen. Dabei ist das Prinzip der differenzierten Marktbearbeitung von zentraler Bedeutung, d.h. um einen zielgerichteten und effizienten Einsatz der Mediawerbung zu gewährleisten ist es notwendig, Gruppierungen zu ermitteln, die in ihrer Homogenität bzw. Heterogenität das Konsumentenverhalten bzw. ein Produkt, Marke oder Unternehmen betreffen.215 Je detaillierter und transparenter der zu bewerbende Personenkreis beschrieben wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, eine Form der werblichen Ansprache zu finden, die nicht an der Zielgruppe vorbeiläuft, sondern auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche der anvisierten Konsumenten eingeht, womit Streuverluste reduziert bzw. vermieden werden.216 Um zu einer systematischen Zielgruppen-Segmentierung zu kommen empfiehlt sich nach BRUHN ein Vorgehen in folgenden Schritten:217 1. Zielgruppenidentifikation; 2. Zielgruppenbeschreibung; 3. Zielgruppenbeurteilung und -auswahl. Im Verlauf der Zielgruppenidentifikation werden diejenigen Zielpersonen identifiziert, die zur Realisierung der Werbeziele anzusprechen sind. In der Praxis wird dabei oft auch von Bedarfsträgeranalyse gesprochen, mit der die Personen erfasst werden, die als direkte Bedarfsträger durch das Produkt ihren eigenen Bedarf decken sowie die am Vermarktungsprozess maßgeblich beteiligten Personen (indirekte Bedarfsträger).218 Voraussetzung für eine sinnvolle Zielgruppenidentifikation und -beschreibung ist die Fixierung von Gütekriterien für die Bewertung der gewählten Segmentierungskriterien. 219 Dabei werden von BRUHN folgende Anforderungen gefordert:220 • Verhaltensrelevanz; • Messbarkeit (Operationalität); • Erreichbarkeit bzw. Zugänglichkeit; • Zielkonkretisierungsmöglichkeit bzw. Handlungsfähigkeit; • zeitliche Stabilität. 215 BRUHN, 2005a, S. 352; BECKER, 2001, S. 248 BRUHN, 2005a, S. 352 217 BRUHN, 2005a, S. 352, vgl. auch FRETER/DILLER/KÖHLER, 2008 218 BRUHN, 2005a, S. 354 219 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 1995, S. 121 f.; MEFFERT, 2000, S. 178 f.; ROGGE, 2000, S. 105 f.; FRETER, 1983, S. 43 f. 220 BRUHN, 2005a, S. 353 216 51 In einem zweiten Schritt sind in der Zielgruppenbeschreibung die identifizierten Zielgruppen im Rahmen einer Zielgruppenbeschreibung näher zu kennzeichnen. In der Literatur werden dafür eine Fülle von Segmentierungskriterien genannt, die sich folgenden vier Kategorien zuordnen lassen221. 1. demografische Merkmale; 2. sozioökonomische Merkmale; 3. psychografische Merkmale und 4. Verhaltensmerkmale. Kategorien Demografische Merkmale Merkmale Alter, Geschlecht, Familienstand, Einkommen, Haushaltsgröße, Wohnort u.a.m. Sozioökonomische Merkmale Beruf, Ausbildung, Einkommen, Kaufkraft u.a.m. Psychografische Merkmale Persönlichkeitsmerkmale (Aktivität, Interessen, Einstellungen), Nutzenvorstellungen, Motive, Kaufabsichten u.a.m. Verhaltensmerkmale Preisverhalten, Mediennutzung, Kommunikationsverhalten, Einkaufsstättenwahl, Produktwahl, Kaufmengen, Kaufhäufigkeit u.a.m. Abbildung 4: Kategorien und Merkmale zur Segmentierung von Zielgruppen Quelle: BRUHN 2005a, S. 110 Für eine möglichst umfassende Zielgruppenbeschreibung ist die Heranziehung eines Merkmals bzw. von Merkmalen nur einer Kategorie unzureichend. Deshalb empfiehlt sich die Bündelung mehrerer Merkmale. Daraus ergeben sich dann häufig Konsumenten- und Zielgruppentypologien, die heute in vielfältiger Weise von Verlagen, Sendern und Agenturen ermittelt und angeboten werden.222 Der Vorteil im Einsatz dieser Typologien besteht in der Steigerung der Vorstellungskraft; durch die Kombination verschiedener Kriterien entsteht ein mehrdimensionales, plastisches Bild der anvisierten Zielgruppe, was die Planungsarbeit, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Werbebotschaft und Medienauswahl erleichtert. Zudem sind solche Typologien häufig sehr allgemein gehalten, spezifische Fragestellungen des Werbetreibenden bleiben unberücksichtigt. Der Trend- und Lifestyle-Bezug reduziert zusätzlich die geforderte Stabilität der Daten.223 In der Konsequenz bieten Typologien zumindest oft die Möglichkeit, auf Basis der allgemein verfügbaren Daten weiterführende und differenziertere Zielgruppenanalysen durchzuführen 221 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2001, S. 51 ff.; STEFFENHAGEN, 2000a, S. 47 ff.; BECKER, 2001, S. 250 ff.; KOTLER/BLIEMEL, 2001, S. 430 ff.; FRETER, 1983, S. 44 f. 222 ROGGE, 2000, S. 118 f.; MEFFERT, 2000, S. 200; BECKER, 2001; S. 259 ff.; BRUHN, 2005a, S. 360 ff. 223 BRUHN, 2005a, S. 368 52 oder bereits vorliegende eigene Untersuchungen durch entsprechende Typologie-Daten zu komplettieren.224 Die Zielgruppenbeurteilung und -auswahl ist bestimmt von finanziellen und personellen Restriktionen. In der Praxis wird vorrangig eine heuristische Zielgruppenauswahl durchgeführt, die sich im Hinblick auf drei strategische Stoßrichtungen unterscheiden lässt225. Die Bearbeitung 1. aller potentiellen Zielgruppen; 2. mehrerer Zielgruppen oder aber 3. einer (bzw. weniger) Zielgruppen. Maßgebliche Kriterien für die Verfolgung einer dieser Strategien sind neben der antizipierten Erfolgswahrscheinlichkeit vor allem die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Für die notwendige Priorisierung der Zielgruppenansprache empfehlen sich nach BRUHN folgende ökonomische und außerökonomische Kriterien:226 • werbebezogener Nutzen der Zielgruppen; • Kommunikationspräferenzen und Informationsbedürfnisse der Zielgruppen; • integrativer Nutzen der Zielgruppen; • relative Umsatzbedeutung der Zielgruppen; • Kosten für die Bearbeitung der Zielgruppen. In der praktischen Umsetzung ist eine Auswahl bzw. Gewichtung dieser Kriterien vorzunehmen, um zu einer finalen Zielgruppenauswahl zu kommen. BRUHN weist dabei auf das Problem der Informationsbeschaffung und -plausibilisierung – insbesondere im Hinblick auf Kosten-Nutzen-Bewertungen – hin, die letztlich „Gespür und Erfahrung des Entscheiders“ fordern.227 3.2.4 Positionierung, Werbebotschaft und -stil Positionierung Die kommunikative Positionierung ist ein zentrales Element der Werbestrategie für eine Leistung bzw. ein Produkt.228 224 BECKER, 2001, S. 267 HARTLEBEN, 2001, S. 114 f. 226 BRUHN, 2005a, S. 370 ff. 227 BRUHN, 2005a, S. 372 f. 228 BLANK/KALAFATIS, 2007, S. 81 ff.; AAKER/SHANSBY, 1982, S. 58; ALDEN/STEENKAMP/BATRA, 1999; BHAT/REDDY, 1998; CRAWFORD, 1985; DILLON/DOMZAL/MADDEN, 1986; RIES/TROUT, 1986, S. 58 ff. 225 53 Nach ESCH setzt der Aufbau starker Marken voraus, dass eine Marke über eine klare Positionierung im Markt verfügt, die • zu dem Unternehmen im weitesten Sinn passt; • für die Kunden relevant ist; • von diesen auch subjektiv wahrgenommen wird; • eine Abgrenzung von der Konkurrenz ermöglicht; • langfristig verfolgt werden kann229. Nach KROEBER-RIEL soll Werbekommunikation ein Produkt bzw. eine Leistung in der Wahrnehmung der Zielgruppe so positionieren, dass das Angebot in den Augen der Zielgruppe nicht nur relevant und attraktiv ist, sondern sich auch gegenüber konkurrierenden Angeboten kommunikativ im Sinne eines „Unique Advertising Proposition“ (UAP) 230 so deutlich abgrenzt (Uniqueness), dass es diesen vorgezogen wird.231 Dementsprechend ist die Positionierung immer konkurrenzbezogen.232 Unabhängig von der jeweiligen markt- und konkurrenzspezifischen Positionierung einer Leistung bzw. eines Produktes unterscheidet ESCH für die werbe- bzw. markenstrategische Positionierung zwei Dimensionen:233 1. emotionales Involvement (Emotion) und 2. Information (Kognitives Involvement). Für die Umsetzung der Soll-Positionierung sind zwei Strategien denkbar, die auch kombiniert zum Einsatz kommen können:234 1. Die Anpassung des Angebots an die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten oder 2. die Anpassung der Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten an das Angebot. Ziel beider Strategien ist immer die Verringerung des wahrgenommenen Abstandes zwischen einer Idealvorstellung der Konsumenten und dem eigenen Angebot. Daraus ergeben sich drei mögliche Positionierungsstrategien:235 1. Beibehaltung der Markenposition; 2. Umpositionierung der Marke a. im alten Positionierungsraum durch eine Anpassungs- bzw. eine Beeinflussungsstrategie, b. im neuen Positionierungsraum durch eine Anbaustrategie; 3. Neupositionierung der Marke. 229 ESCH, 2005, S. 134 BRUHN, 2005a, S. 377 231 KROEBER-RIEL, 2000, S. 45 232 ROTHSCHILD, 1987, S. 155 233 ESCH, 2005, S. 138 ff.; KROEBER-RIEL, 1993, S. 42 234 ESCH, 2005, S. 143, KROEBER-RIEL, 1992, S. 203 235 ESCH, 2005, S. 145 ff.; HAEDRICH/TOMCZAK/KAETZKE, 2003 230 54 Abbildung 5: Positionierungsstrategien aus der Perspektive des Positionierungsmodells Quelle: ESCH 2005, S. 144 Werbebotschaft MEFFERT236 unterscheidet grundsätzlich zwischen dem informativen und emotionalen Charakter von Werbebotschaften. Da diese analog den Werbezielen mit dem Produktlebenszyklus korrelieren, sollten sie ebenfalls Berücksichtigung finden. BRUHN verweist auf die wachsende Relevanz emotionaler Mediawerbung.237 Angesichts homogener werdender Produktangebote und der Notwendigkeit zur Schaffung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit müsse erfolgreiche Werbung Leistungen emotional präsentieren. Dementsprechend sollte in der Operationalisierung des Indikators Werbestil der Grad an Emotionalität in den Fokus gestellt werden. In der Werbebotschaft korrespondieren die Elemente Inhalt (Was soll kommuniziert werden?) und Form/Tonalität (In welchem Stil soll es kommuniziert werden?) mit der Umsetzung auf Basis ausgewählter Werbemittel und -träger (Wo soll kommuniziert werden?). So werden mit der Werbebotschaft die zentralen, zu transportierenden Inhalte der Kampagne, also die Kernbotschaft bzw. Leitidee definiert.238 Im Rahmen des Konzeptes der integrierten Kommunikation korrespondiert die Werbebotschaft idealerweise mit der kommunikativen Leitidee eines Unternehmens, aus der zielgruppenbezogene Kernaussagen und kommunikationsmittelbezogene Einzelaussagen abgeleitet werden.239 236 MEFFERT, 2002, S. 22 BRUHN, 2005a, S. 550 f. 238 BRUHN, 2005a, S. 377 239 BRUHN, 2005a, S. 146 ff. 237 55 Aus den Positionierungs-Dimensionen Grad des kognitiven Involvements und Grad des emotionalen Involvements ergeben sich für den Charakter der Werbebotschaft folgende zwei klassische Polaritäten:240 1. sachliche, informationsorientierte Ansprache bzw. Vermittlung sachlicher Eigenschaften; 2. emotionale, erlebnisbetonte Ansprache bzw. Vermittlung emotionaler Eigenschaften. An sachliche und funktionale Eigenschaften knüpft eine Mediawerbungsmaßnahme vor allem bei einer Positionierung durch Information an. Bei einer funktionalen Werbebotschaft stehen die Problemlösungsqualität eines Produktes bzw. einer Leistung im Fokus.241 Zu den kommunizierten Eigenschaften können neben der Produktleistung auch Besonderheiten des Designs und der Verpackung gehören. Diese können gerade bei Low-Involvement-Produkten auch nebensächliche Eigenschaften sein, die das beworbene Produkt von dem Konkurrenzangebot signifikant differenzieren. Basis für die richtige Auswahl einer solchen Eigenschaft ist oft ein consumer insight, der den subjektiven Produktnutzen identifiziert.242 Emotionale Werbebotschaften appellieren gegenüber sachlich-funktionalen an die Gefühle der Konsumenten. Beispielweise werden Identifikationsbedürfnis und Zugehörigkeitsgefühl angesprochen.243 PARK, JAWORSKI und MACINNIS sowie BHAT und REDDY unterscheiden neben „functional“ und „symbolic“ explizit „experiental“ als dritte BotschaftsVariante.244 Allerdings ist diese im Sinne skalierbarer Polaritäten dem Bereich der emotionalen Werbebotschaften zuzuordnen. BOYD betont die Notwendigkeit einer Kombination aus emotionaler und kognitiver Ansprache zur Erfolgsmaximierung.245 Bei der kommunikativen Übersetzung einer Positionierung durch Aktualität geht es nach ESCH weniger um die Kommunikation emotionaler oder kognitiver Botschaften, sondern vorrangig um die Thematisierung der Marke im Sinne eines „top of mind“. Die ist im Sinne des Mere-Exposure Effekts246 notwendig, wonach erst durch die wiederholte Kommunikation eines Produktes die Voraussetzung für seine Beurteilung durch den Konsumenten geschaffen wird. Studien von BAKER und HUTCHINSON247 sowie HOYER und BROWN bestätigen die positive Beeinflussung von Einstellung und Markenwahl durch Markenaktualität. Werbemittel Die Werbebotschaft ist außerdem nach BRUHN „die Verschlüsselung werbepolitischer Leitideen durch visuelle, akustische, haptische und gustatorische Modalitäten, um bei den Rezi- 240 MEFFERT, 2002, S. 22; KROEBER-RIEL, 1993, S. 47; BLANKSON/KALAFATIS, 2007, S. 116 ff. BLANKSON/KALAFATIS, 2007, S. 93 242 ROTHSCHILD, 1987, S. 156 243 BLANKSON/KALAFATIS, 2007, S. 93 244 PARK/JAWORSKI/MACINNIS, 1986; BHAT/REDDY, 1998 245 BOYD III, 2006 246 GRUSH, 1976; STANG, 1974 247 BAKER/HUTCHINSON, 1986, S. 22; HOYER/BROWN, 1990, 1991 241 56 pienten durch Aussagen über Produkt/Marken/Unternehmen die gewünschten Wirkungen im Sinne der unternehmenspolitisch relevanten Werbeziele zu erreichen“.248 Modalitäten meint damit die „Verpackungsmöglichkeiten“ der Werbebotschaft auf Basis des jeweils eingesetzten Werbemittels (z. B. eine Print-Anzeige mit Duftprobenstreifen). Werbemittel sind: • Print-Anzeige; • Plakat; • Hörfunk-Spot; • Kino- oder TV-Spot sowie • Online-Werbung. Werbemittel (z. B. TV-Spots) werden auf Basis von Werbeträgern (TV-Sender/TV-Werbung) eingesetzt. Jede Modalität hat isoliert und in der gestalthaften Kombination ein eigenständiges Kommunikationspotential, das zusätzlich durch den Botschaftsinhalt mitbestimmt wird.249 Zwischen Inhalt und Form bestehen somit Wechselwirkungen, so dass die Wirkung eines Werbemittels von einem Konglomerat verschiedener Gestaltungselemente abhängt.250 Konkret heißt das: Für die emotionsstarke Bekanntmachung einer innovativen Neueinführung ist ein TV-Spot sicherlich ideal, während eine auf die Loyalität zielende Kampagne mit der Erklärung spezifischer Produktvorteile in einer Print-Anzeige ihr ideales Leitmedium findet. 3.2.5 Mediamix, Werbeareal- und -timing Im Zuge der Werbestrategie gilt es nach BRUHN251 sowie SCHULTZ und BARNES252 die Kernelemente der Media-Strategie für den Mediamix festzulegen. Das bezieht sich vor allem auf die Frage des Kernmediums. Diese Auswahl korrespondiert stark mit dem Werbeobjekt und den Werbezielen sowie den Überlegungen zum präferierten Werbemittel im Zusammenhang mit der Werbebotschaft. Die Bestimmung des Kernmediums ist dabei eine Frage der Intermedia-Selektion, d.h. der Auswahl zwischen verschiedenen Werbeträgern. Grundlage dafür ist die mediumsspezifische Leistungsfähigkeit253. So ist z. B. Print generell ein optimaler Werbeträger, um die umfangreichen und häufig komplizierten Sachverhalte von Finanzwerbung zu transportieren. Es geht somit in der strategischen Phase vorrangig darum, eine grobe Priorisierung der eingesetzten Werbemittel bzw. Mediagattungen zu fixieren, aus der sich die Grundstruktur eines Media-Mixes ergibt. 248 BRUHN, 2005a, S. 453 TIETZ/ZENTES, 1980, S. 215 250 KROEBER-RIEL/ESCH, 2004, S. 149 ff. 251 BRUHN, 2005a, S. 378 252 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 52 253 BRUHN, 2005a, S. 429 f. 249 57 In der nachfolgenden Phase der Werbekonzeption werden dann diese Vorüberlegungen im Rahmen eines Mediaplans konkretisiert und detailliert (Ergänzung der Inter- um die Intramediaselektion). Als weitere Elemente einer Werbestrategie nennt BRUHN explizit Werbeareal und Werbetiming. 254 Mit dem Werbeareal legt ein Unternehmen fest, mit welcher geografischen Reichweite es seine Werbeaktivität betreibt, also vorrangig: lokal, regional, national, international. Die Bestimmung des Werbeareals korrespondiert stark mit der Definition der Zielgruppe und ihrer entsprechenden geografischen Lokalisierung. Beim Werbetiming werden die Gesamtdauer der Werbemaßnahmen und deren Verlauf definiert. Mit dem Verlauf ist die Intensität der Aktivität, d.h. der Umfang der eingesetzten Media-Maßnahmen gemeint. Oft teilen sich in der Praxis Gesamtkampagnen in Teilkampagnen auf, wobei Werbeintensität und -botschaft variieren. Die Art des Werbetimings wird bestimmt durch die Werbeziele und das jeweilige Werbeobjekt. Eine Imagekampagne zur Profilierung eines Unternehmens wird in der Regel längerfristig angelegt sein als die Einführungskampagne eines Konsumgüter-Artikels. 3.3 Systematisierungen von Werbestrategien Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt wurde der Begriff Werbestrategie bzw. Strategieplanung zwar bereits sehr früh in der Fachliteratur verwandt, jedoch ohne dass die jeweiligen Autoren ihn nach verschiedenen Varianten bzw. Archetypen unterschieden hätten.255 Gleichzeitig wurden immer wieder von Autoren einzelne Werbestrategievarianten genannt, ohne sie jedoch auch nur im Ansatz zu systematisieren.256 Für das Thema dieser Untersuchung erscheinen deshalb unter den zahlreichen Unterscheidungen von Werbearten, -formen und -strategien nur die Systematisierungen relevant, die die Entscheidung über Ziele sowie über Anstrengungen zur Zielerreichung257 als zentrales Aspekte einer Werbestrategie in den Fokus stellen. Mehrheitlich verwenden die Autoren solcher 254 BRUHN, 2005a, S. 378 ROGGE, 1990, S. 35; ROTH, 1981, S. 624, BEREKOVEN, 1995, S. 17; ASSAEL, 1985, S. 390; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 149 ff.; SAMPSON, 1918, S. 12 ff.; FAISON, 1980, S. 261 ff. 256 Exemplarisch dafür ist die Verwendung der Kategorie „Erhaltungswerbung“ bei MEFFERT/ BURMANN/KIRCHGEORG (2007, S. 706) sowie die Unterscheidung zwischen „informierender Werbung“ und „Sympathiewerbung“ bei NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, 2002, S. 1077. 257 STEFFENHAGEN, 1992, S. 548 255 58 Systematisierungen von Werbestrategien jedoch nicht explizit den Begriff Werbestrategie, sondern sprechen häufig von Werbearten und -formen. Diese zielorientierten Werbestrategie-Systematisierungen lassen sich im Hinblick auf den Zielcharakter in zwei Gruppen unterteilen: 1. absatzorientierte Systematisierungen und 2. werbewirkungsorientierte Systematisierungen. Ein erster Ansatz zur Systematisierung von Werbearten findet sich 1955 bei GUTENBERG258, jedoch ist seine Systematisierung wie auch die nachfolgenden von SEYFFERT259, BEHRENS260 und BIDLINGMAIER261 analog zu den späteren aus den achtziger und neunziger Jahren von FAISON262, PERREAULT/McCARTHY263 noch sehr dominiert durch den Zielcharakter, d.h. überwiegend wird ein absatzpolitisches Ziel mit einem Label belegt (z. B. Expansionswerbung für die Ausweitung von Absatz bzw. Umsatz), ohne dass explizit weitere – empirisch belegte - Indikatoren angeführt werden, die den Charakter der jeweiligen Werbeart spezifizieren und von den übrigen differenzieren. Diesen absatzorientierten stehen die werbewirkungsorientierten Systematisierungsansätze von ASSAEL, KOTLER ET AL. sowie aktuell von KROEBER-RIEL und ESCH gegenüber. Sie beziehen sich implizit auf die verschiedenen Werbewirkungsmodelle in denen die Aspekte Schaffung von Bekanntheit durch Information sowie Einstellungsänderung zentrale Komponenten sind. Eine implizite Verknüpfung der beiden Ordnungsprinzipien vollzieht BRUHN in seiner mehrdimensionalen Systematisierung. Bei der Mehrheit der bestehenden Systematisierungen werden Werbearten bzw. -strategien gleichgesetzt mit Werbezielen264 bzw. die Autoren sprechen von „Werbearten nach den Zielsetzungen“265. Dabei wird die „Stossrichtung“ von Werbung als eine Variante der Differenzierung neben vielen weiteren (Zielgruppe, Zielgebiet, Werbeobjekt, Werbetreibender) angeführt, ohne dass diese in einen Bezug zueinander gesetzt würden. Erst BRUHN gebraucht 2005 den Begriff der Werbestrategie als einem Bündel von Elementen, die zueinander in Bezug stehen und sich durch die spezifische Kombination dieser voneinander differenzieren.266 258 GUTENBERG, 1955, S. 439 ff. SEYFFERT, 1963, S. 42 ff. 260 BEHRENS, 1963, S. 50 ff. 261 BIDLINGMAIER, 1973, S. 409 ff. 262 FAISON, 1980, S. 290 ff. 263 PERREAULT/McCARTHY, 2003, S. 358 ff. 264 KOTLER ET AL. ET AL., 2007, S. 704 ff. 265 SEYFFERT, 1966, S. 42 266 BRUHN, 2005a, S. 376ff. 259 59 Autor/-en Jahr Kategorien Gutenberg 1955 Erhaltungs-, Erinnerungs-, Stabilisierungs-, Ausweitungs- oder Expansions- und Einführungswerbung Seyffert 1963 Einführungs-, Erhaltungs-, Verstärkungs-, Konkurrenz-, Erinnerungs- und Zukunftswerbung Behrens 1963 Expansions-, Einführungs-, Erhaltungs-, Reduktions-, Kontinuitäts-, Synchronisations- und Emanzipationswerbung Bidlingmaier 1973 Einführungs-, Fortführungs-, Stabilisierungs-, Expansions-, Kontinuitäts-, Synchronisations- und Emanzipationswerbung Faison 1980 product vs. brand differentiation, market-expansion und brand positioning strategies Assael 1985 informational, brand image, information-oriented change, image-oriented change strategies Perreault/ McCarthy 2003 pioneering, competitive und reminder advertising KroeberRiel/Esch 2004 Informative Werbung, emotionale Werbung sowie informative und emotionale Werbung Bruhn 2005 Einführungs-, Erinnerungs-, Persuasions-, Imagevergleichende, Zielgruppen- und Handelswerbung Kotler et al. 2007 Informierende, einstellungsändernde, erinnernde und bestätigende Werbung Abbildung 6: Übersicht der verschiedenen Systematisierungen von Werbestrategien Quelle: Eigene Darstellung 3.3.1 Systematisierung nach GUTENBERG Eine erste Systematisierung von Werbearten nach Zielen hat GUTENBERG in seinem Klassiker „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ 1955 vorgenommen267. Für GUTENBERG sind Werbeziele die konsequente Operationalisierung absatzpolitischer Ziele. Dementsprechend unterscheidet er folgende fünf Werbearten: 1. Erhaltungswerbung; 2. Erinnerungswerbung; 3. Stabilisierungswerbung; 4. Ausweitungs- oder Expansionswerbung; 5. Einführungswerbung. 267 GUTENBERG, 1955, S. 439 60 Erhaltungswerbung wird nach GUTENBERG von Unternehmen dann betrieben, wenn ein gewisses Absatzniveau erreicht ist, und nicht beabsichtigt ist, dieses auszuweiten. Dafür könne oft nur ein verhältnismäßig geringer Werbeaufwand notwendig sein268, um das Produkt im Bewusstsein des Käufers zu ‚erhalten’. Bei ungünstiger Marktentwicklung „bedarf es aber unter Umständen sehr erheblicher Werbeanstrengungen, um den Absatz zu ‚halten’“269. Erinnerungswerbung wird nach GUTENBERG von werbetreibenden Unternehmen dann eingesetzt, wenn das Absatzniveau sinkt und Kunden an die Leistung erinnert werden sollen. Stabilisierungswerbung wird von Unternehmen nach GUTENBERG dann eingesetzt, wenn die geschäftliche Lage „bedroht“ erscheint und Werbemittel dazu eingesetzt werden, „die sich als gefährlich erweisende Entwicklung abzufangen. Art und Umfang der Werbung hingen vom wahrgenommenen Gefährdungsmaß ab. In der Formulierung von GUTENBERG geht diese Werbeart über die Perspektive auf ein Produkt oder ein Sortiment hinaus und bezieht sich vielmehr auf die generelle Geschäftsgrundlage bzw. das Geschäftsmodell eines Unternehmens. So kritisiert BEHRENS, dass bei dieser Werbeart der explizite Bezug zur Dimension Absatzhöhe fehlt.270 Ausweitungs- oder Expansionswerbung liegt nach GUTENBERG dann vor, wenn ein Unternehmen beabsichtigt, sein Absatzvolumen zu steigern. Das Maß des Werbemitteleinsatzes richte sich dabei nach dem angestrebten Absatzziel sowie nach dem Widerstand, den der Markt diesem absatzpolitischen Bestreben entgegensetzt. Einführungswerbung liegt nach GUTENBERG vor, wenn ein Unternehmen „neue Erzeugnisse auf den Markt bringt oder neue Markträume mit dem bisherigen oder mit einem neuen Warensortiment zu erschliessen versucht“271. Diese könne ebenfalls dem Ziel dienen, den Absatz zu erhalten, die geschäftliche Lage zu stabilisieren oder um zu expandieren. Damit führt GUTENBERG mit der „Einführungswerbung“ eine weitere Betrachtungsdimension ein (Leistung/Produkt, Kunden), ohne diese jedoch in den denkbaren Varianten durchzudeklinieren. Vielmehr unterstellt er eine Dimensionen-Hierarchie in folgender Logik: 1. Ebene: a. Erhaltungs- oder Erinnerungswerbung (-> Absatzfixierung); b. Stabilisierungswerbung (-> Absatzfixierung); c. Ausweitungs- oder Expansionswerbung (-> Absatzsteigerung). 2. Ebene: a. Einführungswerbung (neue Produkte bzw. neue Zielgruppen); b. Implizit „Bestands“-Werbung (bestehende Produkte, bestehende Zielgruppe). 268 Ebd., S. 439 Ebd., S. 439 270 BEHRENS, 1963, S. 15 271 GUTENBERG, 1955, S. 440 269 61 GUTENBERGs Systematisierung folgt somit schwerpunktmäßig der Dimension Absatzvolumen. Nach der jeweiligen Zielrichtung (Niveaufixierung oder -steigerung) lassen sich nach seiner Auffassung maßgebliche Zwecke und Zielsetzungen von Werbung unterscheiden. Wobei der Bezug im Falle der Stabilisierungswerbung von ihm undefiniert ist. Charakteristisch für GUTENBERGs Systematisierung ist somit, dass er eine unmittelbare Kausalität zwischen Werbeaktivität und (positiver) Absatzentwicklung unterstellt. GUTENBERG skizziert zwar zwei mögliche Charakterisierungsmerkmale (z. B. Form und Umfang/Budget der Werbung), gleichzeitig aber betont er, dass diese nicht zwingend mit der Werbeart korrespondieren.272 Dennoch unterstellt er grundsätzlich, dass der Werbeaufwand von Expansionswerbung gegenüber dem für Erhaltungswerbung höher liegt und die Form der Werbung maßgeblich dadurch bestimmt ist, ob für neue oder alte Produkte geworben wird, bzw. bestehende oder neue Zielgruppen adressiert werden sollen.273 Somit erscheint GUTENBERGs Systematisierung noch wenig systematisch und in der Explikation wenig stringent. Auffällig ist außerdem der fehlende empirische Bezug. In einer späteren Auflage stellt GUTENBERG seine ursprüngliches auf absatzpolitischen Zielen basierendes Konzept massiv infrage: „Unter diesen Umständen mag es zweifelhaft erscheinen, ob das Charakteristische des Sachverhalts richtig getroffen wird, wenn von Erhaltungs-, Expansions- und Stabilisierungswerbung als spezifischen Werbezielen gesprochen wird. Diese Ziele sind keine für die Werbung operationalen Ziele. Erhaltungs-, Expansionsund Stabilisierungspolitik sind unternehmenspolitische Zielsetzungen, und die Konzeptionen zur Erreichung dieser Zielsetzungen sind nicht aus der Werbung, sondern aus dem Ganzen des Unternehmens heraus gedacht.“274 Auch negiert er deutlich den Zusammenhang zwischen Werbeart und charakteristischen Werbemitteln oder kommunikativen Techniken, wenn er betont: „Auf die Erhaltung des Geschäftsvolumens gerichtete unternehmenspolitische Zielsetzungen schränken die Freiheit kreativer oder kommunikativer Möglichkeiten nicht ein. Sie beschlagnahmen auch nicht einen bestimmten Katalog werblicher Anstrengungen und Techniken für sich.“275 Im Fall der Stabilisierungspolitik werden nach GUTENBERG die Grenzen werblicher Möglichkeiten „sichtbar“. Neben dem absatzpolitischen Bezug relativiert GUTENBERG zudem Werbung noch im Hinblick auf die Zwangsläufigkeit ihrer unternehmungspolitischen Stringenz: „Es gibt unübersehbar viele, gewissermaßen aktuelle Anlässe, die die Unterstützung der Verkaufsanstrengungen des Unternehmens durch Werbemaßnahmen zweckmäßig und erfolgversprechend er- 272 Ebd., S. 439 GUTENBERG, 1955, S. 473 274 GUTENBERG, 1976, S. 374 275 Ebd., S. 373 273 62 scheinen lassen.“276 Er führt damit einen Aspekt ein, der später als taktische Werbung charakterisiert wird.277 Alternativ zu seinem ursprünglichen Modell skizziert GUTENBERG eine Unterscheidung von Werbearten, die sich implizit eher nach kommunikativen Kriterien richtet als nach absatzpolitischen. Dementsprechend definiert er zwei Werbevarianten: In der ersten Werbevariante gilt es laut GUTENBERG, latente Bedürfnisse für eine Produktart zu wecken, die von der Zielgruppe bisher noch nicht verwendet wird. Dies könne auch in Form von Gemeinschaftswerbung erfolgen. Eine zweite Werbevariante bestünde darin, „die potentiellen Käufer einer bestimmten Produktart in dem Sinne zu beeinflussen, dass sie die Erzeugnisse des Unternehmens und nicht die der Konkurrenzunternehmen kaufen“278. Das absatzpolitische dahinter sei wieder die Erhaltung oder Erweiterung von Marktanteilen. GUTENBERG spricht mit dieser Unterscheidung mehrere Dimensionen (Produktcharakter, Zielgruppe, Konkurrenz, Werbeziele), ohne jedoch ein vollwertiges Alternativkonzept daraus aufzubauen. Somit bleibt die Relativierung des ursprünglichen Konzeptes bestehen. 276 Ebd., S. 374 LAVERMANN, 1995, S. 27 ff; FAISON, 1980, S. 304 278 GUTENBERG, 1976, S. 375 277 63 3.3.2 Systematisierung nach SEYFFERT SEYFFERT unterscheidet erstmals 1962 folgende sechs „Werbearten nach den Zielsetzungen“279: 1. Einführungs-; 2. Erhaltungs-; 3. Verstärkungs-; 4. Konkurrenz-; 5. Erinnerungs- und 6. Zukunftswerbung. Bei der „Einführungswerbung“ steht nach SEYFFERT „das Erregen der Aufmerksamkeit im Vordergrunde“280. Sie trage Experimentcharakter und müsse beweglich genug angelegt werden, um je nach den festgestellten Wirkungen anders dirigiert werden zu können. SEYFFERT greift mit der Einführungswerbung eine Kategorie von GUTENBERG auf, ohne jedoch zu spezifizieren, ob sich diese auf ein neues Produkt oder die Adressierung einer neuen Zielgruppe oder beides bezieht. Die „Erhaltungswerbung“ (ebenfalls ein Begriff von GUTENBERG) entspricht nach SEYFFERT einer Normalwerbung, da sie „den Stand der erreichten Werbewirkung stabilisieren soll.“ Charakteristisch für sie sei, dass die Kosten – im Gegensatz zur Einführungswerbung – höchstens proportional, aber möglichst degressiv zur erzielten Leistung sein sollten. Die Kategorie der „Verstärkungswerbung“ entspricht GUTENBERGs Expansions- bzw. Ausweitungswerbung. Mit ihr sollen nach SEYFFERT die durch die Einführungswerbung gewonnenen Werbeleistungen gesteigert werden. Die „Konkurrenzwerbung“ ist nach SEYFFERT geprägt durch ihren „aggressiven Charakter gegen Mitwerber“, deren Anstrengungen durch die Konkurrenzwerbung neutralisiert werden sollen. Sie werde laut SEYFFERT oft nicht unerwidert bleiben und könne dann zu Kraftanstrengungen verleiten, „die unverhältnismäßigen Aufwand“ erfordern. In der Konkurrenzwerbung stecke somit meist ein großer Anteil unbeabsichtigter Kollektivwerbung. Außerdem bestehe mit ihr die Gefahr einer negativen Werbewirkung. Die „Erinnerungswerbung“ unterscheidet sich nach SEYFFERT deutlich von der Erhaltungswerbung. Bei ihr komme es darauf an, eine durchgeführte Werbung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen; „obwohl von dem Zuumwerbenden im Augenblick ein Zueigenmachen des Werbezwecks gar nicht erwartet wird oder aus äußeren Gründen nicht möglich ist. Zur Veranschaulichung führt SEYFFERT die Werbung von Markenartikelfabrikanten an, die in Zeiten der Nichtlieferbereitschaft z. B. durch kriegsbedingte Rationierungsmaßnahmen trotzdem weiterwerben. 279 280 SEYFFERT, 1966, S. 42 SEYFFERT, 1966, S. 43 64 „Zukunftswerbung“ als siebte Kategorie umfasst nach SEYFFERT Werbung für Leistungen, die noch nicht (auch nicht kurzfristig) zu erwerben sind. Als Beispiel führt er die Werbung der Fluggesellschaften für ihren Düsenflugverkehr 1955 an, obwohl dieser erst fünf Jahre später realisiert wurde und somit erst dann für die Kunden erwerbbar. Ein weiteres Beispiel für Zukunftswerbung sei außerdem die politische Werbung von Parteien. SEYFFERT vollzieht in seiner Systematisierung einen Paradigmenwechsel, indem er im Gegensatz zu GUTENBERGs absatzpolitischen Zielkatalog auf kommunikative Werbeziele (Werbewirkung) fokussiert. Jedoch spezifiziert er diese an keiner Stelle, sondern spricht nur grundsätzlich von der positiven Beeinflussung der Werbewirkung. Die Mehrheit seiner Kategorien ist der Übersicht von GUTENBERG entlehnt. Mit der Differenzierung der Erinnerungswerbung verweist SEYFFERT auf eine den besonderen historischen Rahmenbedingungen (massive Produktionsmittelknappheit in Kriegszeiten) geschuldete Werbevariante. Mit der Zukunftswerbung führt er neben der Ordnungsdimension Werbewirkung noch die Dimension „Zeithorizont“ implizit ein. Entsprechend kritisiert BEHRENS die auf „sehr heterogenen Prinzipien“ basierende Systematik als „bedenklich“281. Ebenso kritisiert LEITHERER282 bei Seyffert die Überschneidungen zwischen Werbezielen und Werbearten. Zwar deutet SEYFFERT die Höhe der Werbeaufwendungen als differenzierenden Aspekt zwischen den Werbearten punktuell an, stellt jedoch keinen systematischen Bezug zu allen genannten Werbearten her. Außer zwei eher grundsätzlichen Hinweisen auf branchenbezogene Werbekampagnen verzichtet auch SEYFFERT auf die empirische Validierung seiner Überlegungen. 3.3.3 Systematisierung nach BEHRENS BEHRENS führt 1963 bei seiner Unterscheidung nach Werbearten als übergreifende Dimension die Komponente „Zeithorizont“ ein. Dementsprechend unterscheidet er Werbearten nach 1. kurzfristigen und 2. langfristigen Werbezielen. Auch BEHRENS charakterisiert Werbeziele als Ableitungen von den generelleren, absatzpolitischen Zielen.283 Dementsprechend erfahren potenzielle Werbeziele von den Plandaten der Absatzwerbung her eine „wesentliche Begrenzung“284 Für die kurzfristigen Werbeziele definiert BEHRENS zwei relevante Dimensionen: 1. den angestrebten Umsatzumfang und 2. die zeitliche Verteilung der Nachfrage. 281 BEHRENS, 1963, S. 15 LEITHERER, 1975, S. 23 283 BEHRENS, 1963, S. 50 284 Ebd., S. 50 282 65 Der Wechsel von der ökonomischen Zielgröße Absatz nach GUTENBERG zu Umsatz bei BEHRENS ist in der besseren Abbildung unterschiedlicher Vertriebsstrategien begründet. So verweist BEHRENS auf die nach Branchen unterschiedliche Präferenz für Preis- oder Mengenstrategien der Werbetreibenden, für welche die erzielte Umsatzhöhe die gemeinsame Messgröße bildet. Die Bedeutung der ökonomischen Kenngröße „Kosten“ als Werbeziel wird von BEHRENS negiert, da sie kein selbständiges Werbeziel sei und zudem durch Werbung implizierte Kostenreduktionseffekte nur schwer zu ermitteln seien.285 Voraussetzung für die Definition von Werbezielen ist nach BEHRENS neben dem Zeitablauf (Periodenbezug) der Objektbezug, d.h. für welches Produkt bzw. welche Leistung geworben wird.286 In expliziter Anlehnung an die Konzepte GUTENBERG und SEYFFERT unterscheidet BEHRENS folgende Werbearten mit kurzfristigem Charakter: Werbearten mit dem zentralen Ziel der Veränderung der Umsatzhöhe: 1. Expansionswerbung; 2. Einführungswerbung (als Spezialfall der Expansionswerbung); 3. Erhaltungs- und 4. Reduktionswerbung. Werbearten mit dem zentralen Ziel der Verschiebung des Umsatzes in der Zeitperiode 1. Kontinuitätswerbung; 2. Synchronisationswerbung und 3. Emanzipationswerbung. „Expansionswerbung“ liegt nach BEHRENS analog GUTENBERG und SEYFFERT dann vor, wenn der der Werbetreibende für ein bestimmtes Werbeobjekt eine Erhöhung seines Umsatzes gegenüber der unmittelbar vorangegangenen Periode anstrebt. Mit der „Einführungswerbung“ wird absatzpolitisch das gleiche Ziel verfolgt wie mit der Expansionswerbung, allerdings mit der Besonderheit, dass der Umsatz der Vorperiode null beträgt. Ob sich die Einführungsstrategie auf eine neue Leistung für bestehende Zielgruppen, eine bestehende Leistung für neue Zielgruppen oder auf beides bezieht, lässt BEHRENS offen. „Erhaltungswerbung“ zielt – analog zu GUTENBERG und SEYFFERT auf den Erhalt des Umsatzes. Damit sei Erhaltungswerbung typisch für Unternehmen, deren Produktions- und 285 286 BEHRENS, 1963, S. 54 BEHRENS, 1963, S. 51 66 Beschaffungskapazität ausgelastet ist oder die auf Grund der Marktverhältnisse bzw. vertraglicher Abmachungen in ihrer Preispolitik unelastisch sind.287 „Reduktionswerbung“ findet nach BEHRENS dann statt, wenn der Werbungstreibende versucht – vor allem im Rahmen der zeitlichen Nachfragelenkung – den Umsatz für ein bestimmtes Werbeobjekt in der laufenden Periode gegenüber dem vorangegangenen Planungsabschnitt zu vermindern.288 BEHRENS räumt ein, dass eine solche Zielsetzung „absonderlich“ anmutet, jedoch bei „grundlegender Umstellung des Leistungsprogramms“ und im Hinblick auf die „zeitliche Lenkung der Nachfrage“ durchaus Sinn mache.289 Angesichts dieser Selbstkritik ist deshalb zu fragen, ob Reduktionswerbung tatsächlich die Qualität eines WerbestrategieArchetyps hat, wenn in der Praxis schlichtweg nur der Umfang der Werbeaktivitäten reduziert wird. Gegenüber diesen vier umsatzbezogenen Werbearten unterscheidet BEHRENS drei weitere, die Werbeaktivität beschreiben, deren Ziel darin besteht, die Nachfrage – ohne Änderung der Umsatzhöhe – in der betreffenden Periode zu verschieben. Demnach fasst „Kontinuitätswerbung“ laut BEHRENS solche Werbemaßnahmen zusammen, die auf eine gleichmäßige Verteilung der Nachfrage in einer Periode zielen.290 Demgegenüber zielt die „Synchronisationswerbung“ auf die Anpassung der Nachfrage an ungleichmäßige Produktions- bzw. Beschaffungsrhythmen der Unternehmung.291 Die „Emanzipationswerbung“ hat dagegen das gegenteilige Ziel, nämlich die Absatzentwicklung von den Produktions- und Beschaffungsrhythmen der Unternehmung abzukoppeln.292 Da diese auf die zeitliche Lenkung der nachfragebezogenen Werbearten letztlich immer auch auf eine Umsatzveränderung zielen, können sie nach BEHRENS den Zielen Expansions- und Reduktionswerbung zugeordnet werden.293 Generell erscheinen jedoch die drei Werbearten, die drei Werbearten Kontinuitätswerbung, Synchronisationswerbung und Emanzipationswerbung problematisch, weil Sie auf der Annahme basieren, dass es zwischen Art und Umfang der Werbeaktivitäten und der Absatz- und Umsatzentwicklung des beworbenen Produktes eine unmittelbare Kausalbeziehung gäbe. Dies widerspricht den aktuellen Erkenntnissen der Werbewirkungsforschung. Werbeziele, die nicht auf kurzfristige Umsatz- und Kosteneffekte zielen, dienen laut BEHRENS als langfristige Ziele zur Stärkung des Goodwills des Unternehmens, um damit eine Absatzsicherung auf lange Sicht zu erreichen. Sie trügen zur Bindung der (potentiellen) Kun287 BEHRENS, 1963, S. 52 Ebd. 289 Ebd. 290 Ebd. 291 BEHRENS, 1963, S. 53 292 Ebd. 293 Ebd. 288 67 den zum Unternehmen bei. BEHRENS weist zudem darauf hin, dass die Erhöhung des Goodwills vielfach nicht beabsichtigt sei, sondern sich vielmehr als Nebeneffekt bei der Verfolgung kurzfristiger werbepolitischer Ziele ergäbe. Eine Werbeart, die diese strategische Stoßrichtung zusammenfasst, nennt BEHRENS nicht. Im Gegensatz zu GUTENBERG und SEYFFERT folgt BEHRENS Systematisierung zwar einer klaren Systematik, jedoch ist diese neben dem Zeithorizont vorrangig auch nur auf die ökonomische Zielgröße Umsatzsicherung fokussiert. Die hinter der Unterscheidung zwischen kurz- und langfristigen Werbeziele anklingende Referenzierung auf verschiedene Werbewirkungsmodelle führt BEHRENS nicht aus. Vielmehr orientiert sich seine Systematisierung – analog zu SEYFFERT und GUTENBERG – ohne dass BEHRENS den Begriff explizit verwendet am Konzept des Produktlebenszyklus, wonach der Absatz- und Umsatzverlauf eines Produktes abhängig von der Variable „Zeit“ ein spezifisches Muster aufweist.294 Im Gegensatz zu GUTENBERG und SEYFFERT verzichtet BEHRENS komplett darauf, seine Werbearten durch die Nennung weiterer Indikatoren zu differenzieren. Auch liefert er für keine der Werbearten ein konkretes Praxisbeispiel oder eine empirische Validierung. 3.3.4 Systematisierung nach BIDLINGMAIER BIDLINGMAIER295 orientiert sich in seiner Systematisierung von Werbearten nach Zielen aus dem Jahr 1975 wieder am ökonomischen Zielfokus von GUTENBERG und BEHRENS. Jedoch erweitert er BEHRENS’ Konstrukt mit dem Dimensionsschwerpunkt „Umsatzumfang“ um die komplementäre Dimension „Kostenumfang“. Dementsprechend unterscheidet er in starker Anlehnung an BEHRENS folgende Werbearten: 1. Umsatzbezogene Werbearten und -ziele: 1.1 Einführungswerbung ( Umsatzexpansion); 1.2 Fortführungswerbung ( Umsatzexpansion); 1.3 Stabilisierungswerbung ( Umsatzerhaltung); 1.4 Expansionswerbung ( Umsatzerhaltung). 2. Kostenbezogene Werbearten und -ziele: 2.1 Kontinuitätswerbung; 2.2 Synchronisationswerbung; 2.3 Emanzipationswerbung. BIDLINGMAIERs Systematisierung ist ebenso wie die von GUTENBERG, SEYFFERT und BEHRENS absatzpolitisch motiviert. Dementsprechend orientiert er sich auch sehr stark an deren – insbesondere den von BEHRENS – eingeführten Begrifflichkeiten. Die besondere Qualität seines Ansatzes besteht in der konsequenten Einordnung der unterschiedlichen Wer294 295 SCHÜRMANN, 1993, S. 20; NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, 2002, S. 121 BIDLINGMAIER, 1975, S. 408 68 bestrategien in ein klares Dimensionenraster mit den zentralen Achsen Kosten und Umsatz. Dabei verzichtet er jedoch auf die von BEHRENS eingeführte Variante der Reduktionswerbung mit dem Ziel der Absatz- bzw. Umsatzreduktion. Der Grund für diesen Verzicht lässt sich nicht eindeutig nachvollziehen, liegt aber wahrscheinlich in der bereits diskutierten Problematik, dass Werbung mit dem strategischen Ziel der Umsatz- und Absatzreduktion nicht der Werberealität entspricht, in der vielmehr auf Werbemaßnahmen gemäß ihres Umfanges und Kostenintensität verzichtet oder sie deutlich reduziert werden, wenn sich das beworbene Produkt in der Schlussphase des Produktlebenszyklus befindet. Kritisch zu bewerten ist die unzureichende Profilierung der einzelnen Werbestrategien durch entsprechende Indikatoren in Verbindung mit einer empirischen Prüfung. Somit bleibt BIDLINGMAIERs Ansatz unter den absatzorientierten derjenige mit dem höchsten Reifegrad und sollte deshalb bei der Weiterentwicklung eines Systematisierungsansatzes berücksichtigt werden. 3.3.5 Systematisierung nach FAISON FAISON unterscheidet in seiner Darstellung aus dem Jahr 1980 drei Gruppen von advertising strategies:296 1. Product versus brand-differentiation strategy; 2. Market expansion strategies; 3. Brand positioning strategies. In der ersten Kategorie grenzt FAISON mit der product versus brand-differentiation strategy zwei Werbestrategien voneinander ab, die jeweils eine eigene Kategorie bilden. Nach FAISONs Definition liegt eine product strategy dann vor, wenn eine echte Produktinnovation im Sinne von „new to the world“297 eingeführt wird.298 Als Beispiel führt er die Einführung der ersten Farbfernseh-Geräte in den USA an. Dementsprechend befindet sich das beworbene Produkt in der Pionierphase seines Lebenszyklus. Die Zahl der Wettbewerber ist überschaubar und es gilt vorrangig die Leistungskompetenz des Produktes im Bezug auf die erfolgreiche Befriedigung von spezifischen Konsumenten-Bedürfnissen möglichst breit zu kommunizieren. Somit entspricht FAISONs Konzept der product strategy den inhaltlichen Überlegungen zur Einführungswerbung von GUTENBERG, SEYFFERT, BEHRENS, BIDLINGMAIER und BRUHN, beziehungsweise zur Pioneering Advertising von PERREAULT/McCARTHY sowie zur Informational beziehungsweise Informative advertising bei ASSAEL und KOTLER ET AL.. 296 FAISON, 1980, S. 290 ff. TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 298 FAISON, 1980, S. 290 297 69 Eine Brand-differentiation Advertising Strategy liegt nach FAISON dann vor, wenn das beworbene Produkt im Lebenszyklus deutlich fortgeschritten ist, die Wettbewerber zahlreich sind und vergleichbare bzw. identische Leistungsstandards offerieren und deshalb die Notwendigkeit besteht, das Produkt kommunikativ über die Marke zu differenzieren. Im Hinblick auf den jeweiligen Einsatzpunkt der beiden Strategien product und branddifferentiation wird laut FAISON manchmal auch von primary versus secondary promotion gesprochen. Für die Market expansion strategies unterscheidet FAISON im Hinblick auf eine signifikante Umsatzsteigerung vier Vorgehensweisen: 1. Erhöhung des Konsums pro Verbrauchssituation; 2. Erhöhung der Konsumfrequenz; 3. Erhöhung der Anzahl Einsatzmöglichkeiten für ein Produkt sowie 4. Erhöhung der Käuferzahl insgesamt durch die Ansprache neuer Kunden (new user strategy). FAISON gibt zu jeder Variante ein Kampagnenbeispiel aus der Praxis, das die werbliche Umsetzung des jeweils angestrebten Effekts illustriert, z. B. die Auslobung eines Rezeptes, das die Verbrauchsmenge von Salatsoße deutlich erhöht.299 Mit dem Aspekt ‚Ansprache neuer Kundensegmente’ ist FAISONs Kategorie gleichartig zu den Überlegungen von GUTENBERG, SEYFFERT, BEHRENS und BIDLINGMAIER zur Expansionswerbung. Problematisch erscheint jedoch an seiner Systematisierung, dass sich viele der Varianten vorrangig bzw. ausschließlich auf Fast Moving Consumer Goods (FMCG) beziehen, damit nicht auf Investitionsgüter oder Dienstleistungen (z. B. Versicherungen) übertragbar sind. Zudem sind es Absatzziele bzw. -strategien, die Werbestrategien vorgelagert sein können, aber keine originären Werbestrategien im Bezug auf Kommunikationsziele und -inhalte. Brand positioning strategies sind nach FAISON Werbestrategien, welche die marketingstrategischen Überlegungen zur Positionierung eines neuen Produktes kommunikativ unterstützen. Er gibt dafür verschiedene Beispiele, die unterschiedlichen Dimensionen für Positionierungsvarianten aufzeigen.300 Auch diese Kategorie orientiert sich stark an der generellen Marketingstrategie ohne eine entsprechende Ableitung für die nächste Stufe der Werbekommunikation zu machen. FAISONs Unterscheidung von Advertising strategies weist viele Parallelen zu den Systematisierungen anderer Autoren auf. Kritisch erscheint jedoch die starke Fokussierung auf die Marketingstrategie, ohne dass werbestrategiespezifische Ableitungen vorgenommen werden. Hinter den drei bzw. vier Kategorien von FAISON ist kein klares Dimensionenraster erkenn299 300 Ebd., S. 292 FAISON, 1980, S. 298 ff. 70 bar. Eine explizite Nennung von Indikatoren fehlt ebenso. Die empirische Validierung beschränkt sich auf wenige Praxisbeispiele, deren Repräsentativität unklar ist. 3.3.6 Systematisierung nach ASSAEL Für die Klassifizierung von advertising strategies stellt ASSAEL301 zwei Schlüsselfragen in den Vordergrund: 1. Zielt die Werbekampagne darauf, die Marktbedingungen beizubehalten oder zu verändern? 2. Zielt die Kampagne darauf, Informationen zu kommunizieren oder Images? Dementsprechend unterscheidet ASSAEL folgende Werbestrategien: 1. Maintenance strategies: a. Informational strategies; b. Brand image strategies. 2. Change strategies: a. Information-oriented change strategies (new uses, new features, belief change); b. Image-oriented change strategies (use new product imagery, increase product involvement, reduce risk and uncertainty, change the brand image). Maintenance strategies im Sinne eines Erhalts des Status Quo lassen sich nach ASSAEL unterscheiden in Kampagnen, die Informationen über den Charakter einer Marke transportieren und solchen, die ein Markenimage kreieren. Als Beispiel für eine solche informationsorientierte Bestandswerbung verweist ASSAEL auf die von Springer & Jacoby entwickelte, vielfach prämierte Mercedes-Kampagne Mitte der achtziger Jahre, für die umfangreiche Copies, die Erläuterung technischer Details sowie der Einsatz entsprechender Medien (vorrangig Print) charakteristisch war. Zur Erläuterung der markenimageorientierten Bestandswerbung liefert ASSAEL als Praxisbeispiel die Marlboro-Kampagne der achtziger Jahre, die in einer Tradition von zwanzig Jahren die zentralen Markenwerte von Marlboro (Männlichkeit, Unabhängigkeit, Freiheit) in immer neuen Bild-Variationen die gleichen Sujets (Cowboys in der freien Natur) inszenierte. Aus der Definition zu Bestandsstrategien nach ASSAEL ergibt sich eine klare Analogie zum Konzept der Stabilisierungswerbung von GUTENBERG, BEHRENS und BIDLINGMAIER sowie zum Konzept der Erinnerungs- bzw. Reminder-Werbung von GUTENBERG, SEYFFERT, KOTLER ET AL., PERREAULT/McCARTHY und BRUHN. 301 ASSAEL, 1985, S. 392 ff. 71 Ebenso wie bei den Maintenance-Werbestrategien unterscheidet ASSAEL bei den change strategies zwischen solchen, die information-oriented und solchen die image-oriented sind.302 ASSAEL unterstellt, dass change strategies in der Werbepraxis deutlich häufiger zu finden sind als maintenance strategies.303 Bei den information-oriented change strategies unterscheidet ASSAEL zwischen solchen, die sich auf eine Produkt-Innovation (new product characteristics) bzw. -Variation (new features) oder Anwendungsmöglichkeiten (new uses) beziehen und solchen, die die Wahrnehmung eines Produktes bzw. einer Produktkategorie im Sinne einer Repositionierung verändern sollen (belief change).304 Image-oriented change strategies haben nach ASSAEL das Ziel, die Wahrnehmung einer Marke aus Konsumentensicht durch Symbole und Bilder zu beeinflussen. Dabei lassen sich nach ASSAEL vier Varianten unterscheiden: • Einführung neuer Produkte mit Fokus auf das Markenimage; • Steigerung des Konsumenten-Involvements; • Reduzierung der Konsumenten-Unsicherheit und Sorge (z. B. durch den Einsatz entsprechender Testimonials) sowie die • Veränderung des bestehenden Images, das eine Marke beim Konsumenten hat. Imageorientierte Werbestrategien sind nach ASSAEL notwendig, wenn es um eine gängige Produktkategorie handelt und keine expliziten Leistungsmerkmale kommunizierbar sind. ASSAELs Praxisbeispiel dazu ist die Bier-Kampagne für Budweiser Light. Hinter diesen Überlegungen steht die Frage des unterschiedlichen Involvementgrades auf Konsumentenseite, der jedoch von ASSAEL nicht thematisiert wird. ASSAELs Werbestrategie-Typen weisen viele Analogien zu den Kategorien der übrigen Autoren auf. ASSAEL entwickelt seine Werbestrategie-Kategorien zwar auf Basis eines klaren zweidimensionalen Rasters (Stoßrichtung: Stabilisierung oder Veränderung, Botschaftsschwerpunkt: informierend oder imagebildend), allerdings erscheinen die gewählten Dimensionen problematisch. Zum einen ist eine Trennung zwischen Stabilisierung und Veränderung in der Werbepraxis kaum darstellbar, zum anderen ist ebenso die Unterscheidung zwischen informierender und imagebildender Werbung wohl eher theoretischer Natur. ASSAEL übersieht, dass gerade die Beispiele Mercedes-Benz für eine informationsorientierte Kampagne und Budweiser für eine imageorientierte Werbung eine andere Unterscheidung nahe legen, nämlich die nach dem Grad des Konsumenten-Involvements im Hinblick auf den unterschiedlichen Charakter der beworbenen Produkte bzw. Leistungen (Investitionsgut Mercedes versus 302 ASSAEL, 1985, S. 394 ff. ASSAEL, 1985, S. 392 304 ASSAEL, 1985, S. 394 f. 303 72 Konsumartikel Budweiser). Als alternative Dimensionen ist in den Überlegungen von ASSAEL die Unterscheidung zwischen bestehenden („Leistungspflege“) und neuen („Leistungsinnovation“) präsent, jedoch wird sie nicht konsequent durchdekliniert. Ebenso liefert er für die Unterscheidung seiner Werbestrategie-Typen keine eindeutigen Indikatoren. 3.3.7 Systematisierung nach PERREAULT/McCARTHY Unter dem Credo „Product advertising – know us, like us, remember us“ unterscheiden PERREAULT und Mc CARTHY drei Arten von absatzorientierter Produktwerbung:305 1. Pioneering advertising; 2. Competitive advertising; 3. Reminder advertising. Pioneering advertising kommt nach PERREAULT und Mc CARTHY zum Einsatz, wenn ein neues Produkt im Markt eingeführt wird und Erstkunden erfolgreich adressiert werden sollen. Damit entspricht diese Kategorie der Einführungswerbung von GUTENBERG, SEYFFERT, BEHRENS, BIDLINGMAIER, BRUHN und der product advertising strategy bei FAISON sowie der Systematisierung von KOTLER ET AL. Competitive advertising findet nach PERREAULT und Mc CARTHY dann statt, wenn ein Produkt im Lebenszyklus einen hohen Reifegrad erreicht hat und sich zunehmend gegen die Wettbewerber behaupten muss. Bei dieser Werbeart sei zudem zwischen dem direkten Typus, der unmittelbare Absatzeffekte anstrebe und dem indirekten, der langfristige Absatzeffekte anstrebe, zu unterscheiden.306 In dieser weitgehenden Definition weist das competitive advertising Parallelen sowohl zur Konkurrenzwerbung von SEYFFERT, wie auch zur Stabilisierungswerbung von GUTENBERG auf. Als „härtere“ Untervariante zur competitive advertising unterscheiden PERREAULT und Mc CARTHY analog BRUHN comparative advertising. Reminder advertising zielt nach PERREAULT und Mc CARTHY darauf, die Marke im Bewusstsein der Konsumenten zu halten. In der Umsetzung würde dies durch ein soft-selling in Form einer bloßen Erwähnung des Markennamens erreicht. Wie viele der übrigen Autoren nehmen auch PERREAULT und Mc CARTHY z. T. Bezug auf das Modell des Produktlebenszyklus, jedoch liegen ihrer Werbestrategie-Systematisierung keine klaren Dimensionen zugrunde. Der Praxisbezug beschränkt sich auf wenige stichwortartige Kampagnenbeispiele, deren Repräsentativität zwangsläufig offen bleibt. Inhaltlich finden sich ihre Kategorien in der Mehrheit der übrigen Werbearten-Systematisierungen wider. Wie 305 306 PERREAULT/McCARTHY, 2003, S. 358 ff. PERREAULT und Mc CARTHY, 2003, S. 358 73 bei der Mehrheit der Autoren finden sich bei ihnen jedoch auch keine die unterschiedlichen Werbestrategie-Typen erklärenden Indikatoren. 3.3.8 Systematisierung nach KROEBER-RIEL/ESCH KROEBER-RIEL unterscheidet erstmals 1988 verschiedene Arten von Werbestrategien.307 Diese Systematisierung wird später von ESCH aufgegriffen und weiterentwickelt.308 Dementsprechend unterscheiden KROEBER-RIEL und ESCH Werbestrategien nach der aus ihrer Sicht zentralen Dimension der Positionierung. Treiber dieser Dimension ist das Involvement der adressierten Konsumenten, dass sich auf den Ebenen Kognition und Emotion unterscheidet.309 Aus diesen zwei Dimensionen ergeben sich nach KROEBER-RIEL und ESCH folgende vier Positionierungsstrategien (siehe auch Abbildung), über die eine attraktive kommunikative Positionierung eines Produktes oder einer Leistung im Sinne eines top of mind erreicht werden kann, und aus der sich entsprechende Werbearten ableiten lassen:310 • Informative Werbung (Positionierung durch Information/ sachorientierte Positionierung); • emotionale Werbung (Positionierung durch Emotion/ erlebnisorientierte Positionierung); • informativ-emotionale Werbung (Positionierung durch Emotion und Information/ gemischte Positionierung); • Aktualisierungswerbung (Positionierung durch Aktualität). 307 KROEBER-RIEL, 1988, S. 47 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 47 ff., 2004, S. 51 ff. 309 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 44 310 KROEBER-RIEL, 2000, S. 44, ESCH, 2005, S. 138 ff., AAKER/SHANSBY, 1982; AAKER/MYERS, 1987; PERCY/ROSSITER, 1982; 1987 308 74 Abbildung 7: Normziele der Positionierung Quelle: ESCH 2005, S. 139 Informative Werbung kommt nach KROEBER-RIEL und ESCH als Werbestrategie zum Einsatz, wenn das kognitive Involvement hoch ist und sich dementsprechend eine Positionierung durch Information anbietet.311 Die sachorientierte oder informative Positionierung ist die klassische Form der Positionierung. Sie dient der Vermittlung von Sachinformationen über Angebotseigenschaften. Damit sind die Überlegungen von KROEBER-RIEL und ESCH deckungsgleich zu denen von ASSAEL mit informational strategies312 und KOTLER ET AL. mit informative advertising313. Eine solche Kommunikation eignet sich nach ESCH besonders bei der Kommunikation für Innovationen und für High-Involvement-Angebote bzw. für Angebote auf wenig entwickelten Märkten, bei denen bei den relevanten Zielgruppen starke und (möglicherweise) noch nicht befriedigte Bedürfnisse bestehen und dementsprechend das Interesse an Produktinformationen groß ist.314 Emotionale Werbung kommt nach KROEBER-RIEL und ESCH als Werbestrategie zum Einsatz, wenn beim Konsumenten hohes emotionales, aber geringes kognitives Involvement vermutet wird und dementsprechend eine Positionierung durch Emotion sinnvoll erscheint.315 311 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 66 ff.; ESCH, 2005, S. 140 ASSAEL, 1985, S. 393 313 KOTLER/BLIEMEL, 1996, S. 705 314 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 68; ESCH, 2005, S. 140 315 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 70 ff. 312 75 Dementsprechend hat die erlebnisbetonte Positionierung zum Ziel, „das Angebot in der emotionalen Erfahrungs- und Erlebniswelt des Konsumenten zu verankern“316. Dieses Positionierungsziel ist nach ESCH von herausragender Bedeutung für Märkte, auf denen Informationen über ausgereifte und in Bezug auf sachliche Eigenschaften austauschbare Angebote trivial sind.317 Die Positionierung sollte hier der Devise „Erlebnisprofil statt Sachprofil“318 folgen. Insbesondere auf gesättigten Märkten319, in denen sich Produkte im Hinblick auf ihre funktionalen Leistungsmerkmale kaum noch sichtbar unterscheiden, sollte den Konsumenten über den sachlichen Grundnutzen hinaus ein emotionaler Zusatznutzen verschafft werden.320 Der Vorteil der Erlebnispositionierung besteht nach WÜTHRICH321 darin, dass diese gegenüber einer sachlichen Positionierung nicht so schnell kopiert werden kann. Gerade bei erlebnisbetonten Positionierungen werden die größten Unterschiede zwischen den Marken eines Produktbereiches wahrgenommen.322 Bei einer Positionierung in einer Kombination aus Emotion und Information sind für den Konsumenten sowohl die Adressierung seiner emotionalen Bedürfnisse wie auch die Bereitstellung von Informationen wichtig.323 Dies bedingt eine informativ-emotionale Werbung.324 Das daraus resultierende Grundmuster der Kommunikation lautet nach ESCH: Appelliere an ein Bedürfnis und informiere über die Eigenschaften des Angebotes, die dazu in der Lage sind, dieses Bedürfnis zu befriedigen.325 Als Beispiel nennt ESCH Werbeappelle der Marke Volvo an das Sicherheitsbedürfnis der potentiellen Käufer bei gleichzeitiger Erläuterung der eigenen Sicherheitsstandards. Aktualisierungswerbung kommt nach KROEBER-RIEL und ESCH als Werbestrategie zum Einsatz, wenn ein gleichermaßen geringes kognitives wie auch emotionales Involvement auf Seiten der Konsumenten besteht, dementsprechend sowohl Informationen als auch emotionale Appelle dem Konsumenten „trivial“ erscheinen und eine Positionierung durch Aktualität bedingen.326 Die Aktualisierung einer Marke durch Kommunikation soll ein Angebot ins Gespräch bringen, es thematisieren.327 Angesichts der allgemeinen Informationsüberlastung und einem oft geringen Konsumenteninvolvement wird die Aktualität zu einem wichtigen Kommunikationsziel.328 Die Notwendigkeit für eine Positionierung durch Aktualisierung ist nach 316 KROEBER-RIEL, 1993, S. 69; vgl. auch S. 147 ff. ESCH, 2005, S. 140 318 KROEBER-RIEL, 1993, S. 68 319 KROEBER-RIEL/ESCH, 2004, S. 22 ff. 320 KROEBER-RIEL/WEINBERG, 2003, S. 221 f. 321 WÜTHRICH, 1991, S. 57 322 BIEL, 1992, S. 48 323 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 61 ff. 324 KROEBER-RIEL und ESCH gebrauchen diese Begrifflichkeit nicht explizit. 325 ESCH, 2005, S. 140, auch ROTH, 1981, S. 628 326 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 89 ff. 327 ESCH, 2005, S. 141 328 ESCH, 2001, S. 71 f.; KROEBER-RIEL/ESCH, 2004, S. 17, S. 96 ff. 317 76 KROEBER-RIEL und ESCH insbesondere bei Low-Involvement-Produkten (klassischerweise bei Fast Moving Consumer Goods – FMCG) gegeben. Nur durch einen permanent hohen Werbedruck können dementsprechend viele FMCG-Produzenten den Absatz ihrer Produkte stabil halten bzw. steigern. Zu den jeweiligen Werbestrategien geben KROEBER-RIEL und ESCH eine Reihe von Kampagnenbeispielen. Diese vier Normstrategien lassen sich nach KROEBER-RIEL und ESCH weiter ausdifferenzieren unter Berücksichtigung folgender drei Faktoren:329 • Bedürfnis-Appell an die Konsumenten (Wird an bestehende oder neue Bedürfnisse appelliert?); • Kenntnisstand der Konsumenten über die Angebotseigenschaften (Wird auf vorhandenes Wissen zurückgegriffen oder muss Wissen über Angebotseigenschaften erst geschaffen werden?); • Konkurrenzorientierung (Ist die Werbestrategie identisch mit der der Konkurrenz oder anders?). KROEBER-RIEL und ESCH verzichten darauf, für die daraus resultierenden Varianten eigene Werbestrategie-Begriffe zu definieren oder sie an entsprechenden Praxisbeispielen zu verdeutlichen. Die Systematisierung von Werbestrategien nach KROEBER-RIEL und ESCH folgt einem klaren Modell basierend auf das Konsumenteninvolvement als zentraler Unterscheidungsgröße. Für die Differenzierung der einzelnen Werbestrategien wird vor allem auf den Charakter der beworbenen Produkte (Low- vs. High-Involvement) und dem jeweiligen Reifegrad der beworbenen Marke verwiesen. Weitere, die Werbestrategien charakterisierende Indikatoren werden nicht genannt. Über die Praxisbeispiele hinaus gibt es keine empirische Validierung der Systematisierung. Auch räumen KROEBER-RIEL und ESCH an mehreren Stellen selbstkritisch „fließende Übergänge“ zwischen den einzelnen Strategien ein.330 3.3.9 Systematisierung nach BRUHN Der bereits von SEYFERT erst im Ansatz vollzogene Paradigmenwechsel von kausal absatzpolitischen hin zu kommunikativen Wirkungszielen wird von BRUHN vollständig vollzogen. Seine Systematisierung bildet gewissermaßen eine Synthese der beiden Systematisierungsrichtungen. 329 330 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 63 f. KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 64, S. 50 77 BRUHN unterscheidet folgende Typen von Werbestrategien:331 1. Einführungswerbung ( Bekanntmachungsstrategie); 2. Erinnerungswerbung ( Bekanntmachungsstrategie); 3. Persuasionswerbung u.a. ( Informationsstrategie); 4. Imagewerbung ( Imageprofilierungsstrategie); 5. Vergleichende Werbung u.a. ( Konkurrenzabgrenzungsstrategie); 6. Zielgruppen-Werbung ( Zielgruppenerschliessungsstrategie); 7. Handelswerbung u.a. ( Kontaktanbahnungsstrategie). Die Einführungswerbung zielt nach BRUHN vorrangig darauf, neue Produkte einem breiten Publikum bekannt zu machen. Die Erinnerungswerbung hat zwar grundsätzlich die gleiche strategische Stoßrichtung (Erhöhung der Bekanntheit), fokussiert jedoch auf die Aktualisierung der Erinnerung an ein bereits im Markt bestehendes Produkt. Erfolgsfaktor ist in beiden Fällen die Erhöhung der Bekanntheit. Als Praxisbeispiel für eine Einführungswerbung skizziert BRUHN die Einführungskampagne des schweizerischen Schnellimbiss-Restaurants tibits. Als weiteren Werbe-Strategietyp definiert BRUHN die Informationsstrategie. Diese zielt auf die „Erhöhung von Bezeichnungs- und Eigenschaftskenntnissen“. Sie sei deshalb stark informativ ausgerichtet, um die Werbeadressaten über neue Produktvorteile, neue Serviceleistungen usw. zu unterrichten. In den Fällen, wo über die Informationsvermittlung hinaus versucht werde, den Werbeadressaten von den produktdifferenzierenden Eigenschaften zu überzeugen, handelt es sich laut BRUHN um Persuasionswerbung.332 Eine feste Bezeichnung für die rein informationsvermittelnde (im Gegensatz zur persuasiven) Werbung liefert BRUHN nicht. Unklar bleibt auch die Abgrenzung zwischen informierenden und eher überzeugenden Werbekampagnen. Das skizzierte Praxisbeispiel einer T-Mobile-Kampagne unterstreicht dieses Problem noch, da es informative und persuasive Kampagnen-Elemente einschließt. Als weiteren Strategietyp unterscheidet BRUHN die Imageprofilierungsstrategie, die implizit die Grundlage bildet für Image-Werbung (diese Begrifflichkeit wird von BRUHN nicht explizit verwendet). Diese Werbeart zielt nach BRUHN vor allem darauf, „positive Eigenschaften bei den anvisierten Zielgruppen gegenüber dem Werbeobjekt zu formieren, bzw. negative zu verändern“333. Im Fokus steht somit die Schaffung bzw. Pflege eines klaren Markenimage. Neben der „speziellen Konzentration auf die Art der Mediawerbung“334 spiele hier laut BRUHN vor allem der Zeithorizont eine wichtige Rolle, weil die Etablierung eines bestimmten Images nur durch einen langfristigen, kontinuierlichen und konsistenten Werbeauftritt zu realisieren sei, der wiederum mit einem erheblichen monetären Aufwand verbunden sei.335 331 BRUHN, 2005a, S. 381 BRUHN, 2005a, S. 381 333 Ebd. 334 Ebd. 335 Ebd. 332 78 Derartige Imagewerbung sei charakteristisch für die Kosmetik-, Mode- und Schmuckbranche und vor allem die Automobilindustrie. BRUHN skizziert hierzu als Praxisbeispiel eine Kampagne des Automobilherstellers Porsche sowie eine Standortkampagne des Landes BadenWürttemberg. Im Fokus der Konkurrenzabgrenzungsstrategie als weiterem Werbe-Strategietyp steht nach BRUHN der Versuch des werbenden Unternehmens, sich gegenüber den Wettbewerbern zu profilieren. BRUHN greift damit die bereits von SEYFFERT eingeführte Kategorie der Konkurrenzwerbung auf und spezifiziert sie. Eine solche Strategie hebt nach BRUHN zwar auch auf die Vermittlung von Kenntnissen und die Bildung von Images ab, im Mittelpunkt stünde jedoch die Hervorhebung derjenigen Produkt- und Unternehmensmerkmale, die das Unternehmen von der Konkurrenz unterscheidet, um eine dimensionsbezogene Alleinstellung bei den Konsumenten zu realisieren. 336 Als Praxisbeispiele führt BRUHN die Fastfood-Kette McDonald’s sowie als exemplarische Discounthändler Saturn und Mediamarkt an. Als deutlichste Form der Konkurrenzabgrenzungsstrategie spezifiziert BRUHN die vergleichende Werbung.337 In dieser werden mehrere Produkte oder Leistungen explizit (unter Nennung der Marken) miteinander verglichen bzw. zumindest deren Produkte und Leistungen erkennbar präsentiert. Als Praxisbeispiele verwendet BRUHN zwei Kampagnenmotive der Automobilhersteller Renault und Mazda, die im Anzeigentext auf das Wettbewerbsprodukt Golf von Volkswagen referenzieren. Die Zielgruppenerreichungsstrategie konzentriert sich nach BRUHN auf die Ansprache und Erschliessung bestehender Zielgruppen durch die Mediawerbung.338 Mit einer solchen Strategie würden gezielt bestimmte Zielgruppen angesprochen, wie z. B. Schüler und Studenten oder Senioren, um dieses spezifische Kundenpotential zu erschliessen und auszuschöpfen. Bei der Verfolgung einer solchen Strategie werden nach BRUHN verstärkt Zielgruppen angesprochen, die bisher nicht oder nur wenig bearbeitet wurden. Als Beispiel führt BRUHN ein Kampagnenmotiv der Deutschen Bahn an, mit dem explizit Schüler bzw. Manager als Zielgruppe angesprochen werden. Unter der Kontaktanbahnungsstrategie fasst BRUHN Werbemaßnahmen zusammen, die nicht auf die unmittelbare Beeinflussung des Absatzes durch die Adressierung der Verbraucher zielen, sondern andere Zielgruppen wie den Handel ( Handelswerbung) oder die allgemeine Öffentlichkeit im Fokus haben. Letzteres ist bei Werbemaßnahmen der Fall, in denen Unternehmen Position zu gesellschaftspolitischen Themen (z. B. Ausländerfeindlichkeit) nehmen mit dem Ziel, Kompetenz auch außerhalb des eigenen Unternehmensbereiches zu vermitteln, um auf diesem Wege Einstellungen im Sinne werblicher Zielsetzungen zu verändern.339 336 BRUHN, 2005a, S. 386 Ebd. 338 BRUHN, 2005a, S. 386 339 DUNCAN/MORIATY, 1997, S. 130 ff. 337 79 BRUHN weist zwar grundsätzlich darauf hin, dass die Art der Werbestrategie die zu wählende Gestaltungsart sowie die damit verbundene Festlegung des Kernmediums zum Transport der Werbebotschaft beeinflusse. Jedoch macht er diesen Zusammenhang im Bezug auf seine Systematisierung nicht explizit. Problematisch an BRUHNs Systematisierung erscheint vor allem, dass er grundsätzlich auf die zugrunde liegende Mehrdimensionalität seiner Werbestrategien verweist, diese Dimensionen jedoch nicht explizit macht. Der Versuch einer Einordnung ergibt insgesamt fünf Dimensionen, die adressiert werden, allerdings dekliniert BRUHN die Mehrheit der Dimensionen nicht vollständig durch. So bezeichnet er mit der Zielgruppen-Werbung die Adressierung neuer Zielgruppen, definiert aber als Gegenpart keine Strategie oder Werbeart zur Ansprache und Bindung bestehender Zielgruppen. Mit den unter Kontaktanbahnungsstrategie subsumierten Werbestrategien verlässt BRUHN den Bereich absatzbezogener Konsumentenwerbung, ohne dies entsprechend deutlich zu machen. Dimension Werbeart Strategie Produkt (alt/neu) Einführungswerbung Bekanntmachungsstrategie Erinnerungswerbung Bekanntmachungsstrategie Zielgruppe (B2C) Zielgruppen-Werbung Zielgruppenerschliessungsstrategie Werbewirkung Persuasionswerbung Informationsstrategie Imagewerbung 340 Imageprofilierungsstrategie Konkurrenz Vergleichende Werbung Konkurrenzabgrenzungsstrategie Absatzfokus Handelswerbung Kontaktanbahnungsstrategie Abbildung 8: Implizite Dimensionen der Systematisierung von BRUHN Quelle: Eigene Darstellung Innerhalb der einzelnen Kategorien fällt die fehlende Trennschärfe auf (Wo hört Persuasionswerbung auf? Wo fängt Imagewerbung an?). Häufig ist die der Strategie entsprechende Werbeart (Imagewerbung für Imageprofilierungsstrategie) nicht explizit genannt oder es werden nur Teilarten von Werbung, die einer Strategie zugehörig genannt, z. B. vergleichende Werbung, ohne dass den übrigen Varianten, die einer Konkurrenzabgrenzungsstrategie folgen, ein Name gegeben wird. Problematisch erscheint die Hervorhebung von Konkurrenzwerbung als eigener Strategietyp, da jeder Werbung potentiell eine Marktanalyse zugrunde liegt, in der eine strategische Positionierung auch im Hinblick auf das Wettbewerber-Umfeld gewählt wird und sich daraus die entsprechenden Werbekommunikationsstrategien ableiten. Unberücksichtigt bleibt zudem, 340 BRUHN verwendet den Begriff Imagewerbung nicht explizit. 80 dass vergleichende Werbung selten ein strategiebasiertes Kernelement von Werbung ist, sondern häufig eine taktische Ergänzung.341 Generell ist BRUHN der erste Autor, der für fast jede Kategorie ein konkretes Praxisbeispiel als Mini-Fallstudie präsentiert, allerdings ist damit noch nicht die Repräsentativität bewiesen. Eine breite empirische Fundierung seiner Systematisierung fehlt jedoch. Außerdem führt BRUHN zwar Werbestrategien als Konstrukt aus mehreren Elementen (u.a. Mediamix, Werbebotschaft) an, differenziert seine Werbestrategie-Typen jedoch nicht nach diesen Elementen. Trotz dieser Kritikpunkte weist BRUHNs Systematisierung als aktuelle Synthese der vorangegangen Ansätze den höchsten Detaillierungs- und Reifegrad auf und sollte deshalb bei Entwicklung eines Werbestrategie-Modells in zentraler Weise Berücksichtung finden. 3.3.10 Systematisierung nach KOTLER ET AL. KOTLER und BLIEMEL liefern erstmals im Jahr 1995 eine an den Wirkungszielen orientierte Systematisierung von Werbeformen, die sie in zahlreichen Veröffentlichungen fortschreiben. 342 So unterscheiden KOTLER, BLIEMEL und KELLER 2007 folgende Varianten:343 1. 2. 3. 4. Informative advertising/ Informierende Werbung; Persuasive advertising/ Einstellungsändernde Werbung; Reminder advertising/ Erinnernde Werbung; Reinforcement advertising/ Bestätigende Werbung. Informierende Werbung hat nach KOTLER ET AL. vielfältige Funktionen:344 • Ein neues Produkt vorstellen; • auf neue Anwendungen eines Produktes hinweisen; • über eine Preisänderung informieren; • die Funktionsweise eines Produktes erläutern; • das verfügbare Service-Angebot beschreiben; • falsche Eindrücke korrigieren; • Verbraucherängste abbauen; • ein Firmenimage aufbauen. 341 LAVERMANN, 1995, S. 27 ff; FAISON, 1980, S. 304 KOTLER/BLIEMEL, 1994, 1995, S. 960 f.; 2001, S. 935 ff.; vgl. auch KOTLER/KELLER, 2006, S. 569; ARMSTRONG/KOTLER, 2007, S. 371 343 KOTLER ET AL., 2007, S. 704 ff. 344 KOTLER ET AL., 2007, S. 704 342 81 NACH KOTLER ET AL. ist informierende Werbung besonders in der Markteinführungsphase einer neuen Produktkategorie wichtig, wenn eine Primärnachfrage erst noch zu schaffen ist. Als Beispiel nennen sie die Einführung der Compact Disc (CD).345 Mit einstellungsändernder Werbung werden nach KOTLER und BLIEMEL folgende Ziele verfolgt:346 • Präferenz für eine Marke aufbauen; • zum Markenwechsel ermutigen; • die Wahrnehmung von Produkteigenschaften beim Kunden verändern; • den Kunden zum sofortigen Kauf überreden; • beim Kunden den Wunsch nach einem Verkäuferbesuch wecken. Einstellungsändernde Werbung wird nach KOTLER ET AL. in der Phase des Markenwettbewerbs besonders wichtig, wenn die Nachfrage für ein spezifisches Produkt gefördert werden soll. Eine Variante der einstellungsändernden Werbung ist nach KOTLER ET AL. die vergleichende Werbung.347 Mit erinnernder Werbung werden nach KOTLER ET AL. folgende Ziele verfolgt:348 • Verbraucher daran erinnern, dass sie das Produkt bald wieder benötigen; • Verbraucher daran erinnern, wo es eine Marke zu kaufen gibt; • Verbraucher auch außerhalb der Saison an die Marke erinnern; • die Markenbekanntheit erhalten. Erinnernde Werbung ist laut KOTLER ET AL. in der Reifephase des Produktlebenszyklus besonders wichtig, damit Produkt und Marke beim Verbraucher präsent bleiben. Die bestätigende Werbung soll als eine der Erinnerungswerbung verwandte Werbeform nach KOTLER ET AL. kognitiven Dissonanzen der Käufer nach dem Kauf entgegenwirken. Dem Käufer wird dementsprechend erneut bestätigt, dass er die die richtige Entscheidung getroffen hat.349 Mit dieser Systematik von Werbearten verknüpfen KOTLER ET AL. das Konzept des Produktlebenszyklus mit den Hierarchie-Modellen der Werbewirkungsforschung. Allerdings erweisen sich die drei Werbearten in ihrer Spezifizierung als wenig trennscharf, wenn z. B. das Ziel „falsche Eindrücke korrigieren“ der Werbeart informierende Werbung zugeordnet ist. 345 KOTLER ET AL., 2007, S. 705; KOTLER/BLIEMEL, 2001, S. 935 KOTLER ET AL., 2007, S. 704 347 KOTLER ET AL., 2007, S. 705; KOTLER/BLIEMEL, 2001, S. 937 348 KOTLER ET AL., 2007, S. 704 349 KOTLER/BLIEMEL, 1995, S. 961; KOTLER/KELLER, 2006, S. 569; KOTLER ET AL., 2007; S. 706 346 82 Der Praxisbezug beschränkt sich in den vielfachen Publikationsvarianten der Systematik auf den stichwortartigen, generisch gehaltenen Hinweis zu einem Markenbeispiel. Ebenso fehlen Indikatoren, nach denen die Werbearten differenziert werden. 3.4 Zusammenfassung und Fazit Grundsätzlich handelt es sich bei der Mehrheit der dargestellten Systematisierungen um erweiterte Werbeziel-Kategorisierungen, d.h. im Fokus der Überlegungen steht eine Systematisierung der Werbeziele nach der „Stoßrichtung“, die häufig mit plakativen Labels wie z. B. Einführungswerbung versehen werden, ohne dass die entsprechende Kategorie mit weiteren charakterisierenden Indikatoren (z. B. spezifische Art der Werbebotschaftsgestaltung, Schwerpunkt im Mediamix) als vollwertiges Modell exploriert wird. Mehrere Autoren verweisen auf die notwendige Ableitung der Werbestrategien bzw. Werbeplanung insgesamt aus den bestehenden gesamtstrategischen und Marketingzielen bzw. ihre Einbettung in diese.350 BRUHN betont entsprechend die Bedeutung eines Einklangs zwischen übergeordneten Strategien und Werbestrategien für Gewährleistung eines langfristigen Erfolges.351 Jedoch findet dieser Ableitungscharakter in keinem der entsprechenden Werbestrategie-Systematisierungen Berücksichtigung. Stattdessen werden die entsprechenden Ansätze isoliert präsentiert und keine Verbindungen zwischen spezifischen Werbe- und die sie bedingenden Marketingstrategien aufgezeigt. Den bestehenden Systematisierungen von GUTENBERG, SEYFFERT, BEHRENS, BIDLINGMAIER, KOTLER ET AL. und BRUHN liegen in der Regel mehrdimensionale Konstrukte zugrunde. Die zugrunde liegenden Dimensionen werden jedoch nur zum Teil als Ordnungsgrößen explizit genannt. Häufig verwendete Dimensionen sind – in der Unterstellung kausaler Beziehungsketten – ökonomische Zielgrößen wie Absatz (GUTENBERG), Umsatz (BEHRENS, BIDLINGMAIER) und Kosten (BIDLINGMAIER). Bei BEHRENS und BRUHN findet sich implizit zudem die grundsätzliche Unterscheidung zwischen unmittelbar absatzbezogenen Maßnahmen mit Konsumentenfokus und solchen, die andere Zielgruppen (z. B. Handel oder allgemeine Öffentlichkeit) adressieren und deshalb als Imagewerbung nur indirekt absatzwirksame Effekte haben. Implizit werden von allen Autoren die Dimensionen Produkt (alt/neu) und Zielgruppen/Märkte (alt/neu) adressiert, doch oftmals bleiben die entsprechenden Werbestrategien (z. B. Einführungswerbung) in ihrer Zuordnung unklar. Ebenso bildet in allen Systematisierungen das Konzept des Produktlebenszyklus das implizite Gedankengerüst. Als weitere Dimen350 351 GUTENBERG, 1955, S. 439; SEYFFERT, 1966, S. 42; BEHRENS, 1963, S. 50 BRUHN, 2005a, S. 374 83 sion tauchen Unterscheidungen nach Kommunikationswirkungsmodellen (BRUHN, KOTLER ET AL.) bzw. Werbewirkung generell (SEYFFERT) auf. Die Dimension „Konkurrenz“ findet sich in den Systematiken von BRUHN und SEYFFERT. Angesichts des heutigen Stands der Werbewirkungsforschung erscheinen die Unterscheidungen von Werbestrategien nach ausschließlich ökonomischen Zielgrößen obsolet. Die diesen Systematisierungen zugrunde liegende, eindeutige Kausalität ist nicht gegeben, eine Fokussierung darauf entsprechend wenig sinnvoll. Die alternative Systematisierung nach Werbewirkung bzw. dem angestrebten Werbeeffekt ist sicherlich praxisnäher, doch erscheint hier die fehlende Eindeutigkeit (Wann ist eine Werbung nur informativ, wann überzeugend?) für die Auswahl als zentrales Ordnungsprinzip problematisch. Die Dimension „Konkurrenz“ weist die gleiche Trennschärfe-Problematik (Wann verfolgt eine Werbung konkurrenzabgrenzende Ziele, wann nicht?) auf. Nachhaltiger erscheint dagegen die von allen Autoren implizit adressierte Kategorisierung nach Produkt/Leistung (alt/neu) bzw. Zielgruppe (alt/neu). Dieses Ordnungsprinzip taucht in allen Systematiken unvollständig auf (meistens mit Fokus auf Produkt/Leistung). Alle Autoren beschränken sich darauf, die strategischen Zielsetzungen der jeweiligen Werbestrategien nur grundsätzlich zu beschreiben. Die Hälfte verzichtet vollständig auf die explizite Nennung charakterisierender Indikatoren. Als relevante Indikatoren werden der Einsatz spezifischer Werbemittel (GUTENBERG, BRUHN), der Umfang des Werbebudgets (GUTENBERG, BRUHN, SEYFFERT), die Branchenzugehörigkeit des Werbesubjekts und damit implizit der Gebrauchscharakter des Werbeobjekts (Gebrauchs- vs. Investitionsgüter) (FAISON, KROEBER-RIEL/ESCH), der Involvementcharakter des Werbeobjekts (KROEBER-RIEL), die Positionierung (KROEBER-RIEL) sowie die angestrebten kommunikativen Werbeziele (BRUHN) genannt. Autor/-en Werbemittel Werbebudget Branchenzugehörigkeit des Werbesubjekts Involvement- Positionierung charakter des Werbeobjekts X X Gutenberg X Seyffert keine Nennung Behrens keine Nennung Bidlingmaier X Faison keine Nennung Assael keine Nennung Perreault/ McCarthy X X X KroeberRiel/Esch X X Bruhn keine Nennung Kotler et al. Abbildung 9: Indikatoren der verschiedenen Werbestrategie-Systematisierungen Quelle: Eigene Darstellung Komm. Werbeziele X 84 Fast alle Autoren verzichten darauf über die Erwähnung dieser Indikatoren hinaus, die Ausprägung dieser Indikatoren im Hinblick auf die jeweilige Werbestrategie zu konkretisieren. Nur GUTENBERG verweist explizit auf den höheren budgetären Aufwand von Einführungswerbung gegenüber den anderen Werbestrategien.352 Aus diesem Defizit in den vorliegenden theoretischen Überlegungen zu Form und Arten von Werbestrategien leitet sich die Notwendigkeit ab, die bereits genannten Indikatoren auf ihren Erklärungswert systematisch überprüft und gegebenenfalls um weitere ergänzt werden. Außerdem müssen die jeweiligen Ausprägungen dieser dann als relevant identifizierten Indikatoren im Bezug zur jeweiligen Werbestrategie untersucht werden. Außerdem erscheint es für die Modellierung ebenfalls sinnvoll, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen zwei Arten von Mediawerbung: zwischen Absatzwerbung353, welche primär der Unterstützung des Abverkaufs von Produkten und Dienstleistungen des werbenden Unternehmens dient und Imagewerbung, mit der nicht vorrangig die Erreichung von Absatz- bzw. Umsatzzielen verfolgt wird und die eher der Profilierung der Marke bzw. Leistung dient, was natürlich mittel- und langfristig auch absatzwirksame Effekte haben kann. Trotz vieler plausibler und sinnvoller Ansätze muss insgesamt festgestellt werden, dass sich aus keinem der vorliegenden Systematiken ein umfassendes Werbestrategie-Modell ergibt. Die vorliegende Konstrukte weisen in der Summe der Einzelkritiken insgesamt vor allem folgende Defizite auf: • Inkonsistenz: Die Systematisierungsgrundlagen im Sinne von Dimensionen sind oft unklar (insbesondere bei GUTENBERG, SEYFFERT und BEHRENS und PERREAULT/McCARTHY, FAISON). • Geringer Detailierungsgrad: Die Darstellungen bleiben pauschal und grundsätzlich. Auf eine systematische Charakterisierung auf Basis entsprechende Indikatoren wird verzichtet. Somit bleiben die theoretischen Überlegungen skizzenhaft. Keine Systematisierung hat folglich die Qualität eines vollwertigen Modells, das die Grundlage für eine deduktiv bestimmte empirische Überprüfung bilden kann. • Fehlende Trennschärfe: Die identifizierten Werbestrategiearten sind häufig nicht eindeutig (insbesondere SEYFFERT, ASSAEL). • 352 353 Fehlende systematische empirische Fundierung: Es werden nur hinweisartige Praxisbeispiele gegeben, ohne dass dieser ausführlicher beschrieben werde (insbesondere GUTENBERG, SEYFFERT und BEHRENS und PERREAULT/McCARTHY, FAISON, ASSAEL). GUTENBERG, 1955, S. 49 BEHRENS, 1963, S. 12 ff. 85 • Kein Bezug zur übergeordneten Kommunikations- bzw. Marketingstrategie: In keiner der vorliegenden Systematisierungen wird Bezug auf eine übergeordnete Kommunikationsbzw. Marketingstrategie genommen. • Keine trennscharfe Einordnung der Werbestrategie als ein Arbeitsschritt in einem Werbeplansprozess-Modell: Alle Autoren außer BRUHN beschreiben Werbestrategien isoliert von den vorangegangenen sowie nachfolgenden Arbeitsschritten. Angesichts dieser Defizite in unterschiedlicher Ausprägung erscheint keine der bestehenden Systematisierungen vollständig geeignet, als Werbestrategie-Modell empirisch überprüft zu werden.354 3.5 Anforderungen an das Forschungsmodell Aus den festgestellten Defiziten leitet sich die Anforderung ab, auf Basis insbesondere der Ansätze von BIDLINGMAIER (stellvertretend für die absatzorientierten Systematisierungen von GUTENBERG, SEYFFERT, BEHRENS, FAISON und PERREAULT/McCARTHY), von KROEBEL-RIEL/ESCH (stellvertretend für die wirkungsorientierten Systematisierungen von und ASSAEL und KOTLER ET AL.) sowie BRUHN zunächst ein WerbestrategieModell explorativ zu entwickeln, das diese Ansätze detailliert, anhand konkreter Fallbeispiele situativ relativiert und dann in der Folge weiter empirisch validiert werden kann. Daraus resultieren für das zu entwickelnde Werbestrategie-Modell folgende zentrale Anforderungen: • Empirische Exploration verschiedener Werbestrategie-Archetypen auf Basis der vorliegenden Ansätze; • Systematisierung von Werbestrategie-Typen auf Basis eines stringenten Dimensionenrasters, die sich im Hinblick auf mehrere, praxisrelevante Indikatoren trennscharf voneinander unterscheiden; • Konsistenz des mit den übergeordneten Marketingzielen durch eine entsprechende modellbasierte Bezugsrahmen; • Validität und Repräsentativität der identifizierten Werbestrategien auf Basis entsprechender empirischer Untersuchungen und Ergebnisse. Darüber bestätigten die vorliegenden Ergebnisse die in Kapitel 2.3 festgestellten Defizite konsistenter, systematischer und praxistauglicher Werbeplanungs-Prozessmodelle. Daraus ergibt sich die zusätzliche Anforderung, das zu entwickelnde Werbestrategiemodell in ein entsprechendes idealtypisches Ablaufmodell zu integrieren. 354 So verzichten SCHWEIGER/SCHRATTENECKER seit der 5. Auflage ihres Standardwerkes „Werbung“ auf die Darstellung des Werbearten-Modells nach BEHRENS, wegen nach eigener Aussage unzureichender Plausibilität und Praxisrelevanz. 86 4. Grundlagen zur Modellentwicklung Wie in Kapitel 3 dargestellt bestehen zur Differenzierung von Werbestrategie-Archetypen seit über fünfzig Jahren theoretische Ansätze, die jedoch nicht ausreichend empirisch belegt sind. Zudem müssen diese Werbestrategien auf Basis eines geeigneten Modells systematisiert werden. Um im Sinne eines explorativ-induktiven Vorgehens für die Modellentwicklung die notwendigen Grundlagen zu schaffen, wird in folgenden Schritten vorgegangen: 1. Konsolidierung der bestehenden Ansätze unter besonderer Berücksichtigung der Systematisierungen von BILDINGMAIER, KROEBER-RIEL und ESCH sowie BRUHN; 2. Definition eines theoretischen Bezugsrahmens zur Systematisierung der konsolidierten Werbestrategien; 3. Definition des Modellrahmens; 4. Entwicklung der zentralen Forschungsfrage und den entsprechenden Unterfragen. 4.1 Konsolidierung der bestehenden Werbestrategie-Systematisierungen Wie bereits in Kapitel 3.3 festgestellt, besteht unter den verschiedenen Systematisierungsansätzen von Werbestrategien eine Vielzahl von Übereinstimmungen in den jeweiligen Charakterisierungen beziehungsweise häufig sogar in der Verwendung wortgleicher Begrifflichkeiten (z. B. Einführungswerbung). Einige Systematisierungen fokussieren einseitig auf die Art der Werbebotschaft (z. B. informative Werbung) und erscheinen deshalb angesichts der komplexeren Begriffsdefinition von Werbestrategien (Vergleiche Kapitel 3.1) weniger ungeeignet. Dies betrifft insbesondere die Systematisierungen von ASSAEL sowie KOTLER ET AL. Die von einigen Autoren angeführte Kategorie der Konkurrenzwerbung355 erscheint als Werbestrategie-Archetyp deshalb ungeeignet, weil die Berücksichtigung der Wettbewerbssituation sowie der konkreten werblichen Aktivität einzelner Konkurrenten im Zuge des Analyseprozesses in jede Werbestrategieeinfliesst. Eine Werbestrategie, die konsistent zu einer entsprechenden Marketingstrategie ausschließlich den Wettbewerber fokussiert, ist als konsequent verfolgtes Grundmodell eher die Ausnahme. Der ewige werbliche Wettstreit zwischen Coca-Cola und Pepsi ist dafür ein plakatives Beispiel.356 Dagegen sind in der Werbepraxis implizit oder explizit auf einen Wettbewerber oder ein Wettbewerbsprodukt zielende Werbe- 355 356 SEYFFERT, 1966, S. 43; PERREAULT/McCARTHY, 2003, S. 359 SCHUESSLER, 2000, S. 77 f.; FRANK, 1997, S. 170 ff.; CAPPARELL, 2007, S. 97 ff. 87 maßnahmen und -aussagen oftmals nur ergänzende Elemente einer Gesamtkampagne, die zudem oftmals ad-hoc initiiert werden357, was ihren taktischen Charakter unterstreicht. Gleiches gilt deshalb auch für die ebenfalls im Zusammenhang mit der Konkurrenzwerbung häufig genannte Kategorie der vergleichenden Werbung, die in der Literatur oftmals in der Art einer eigenen Gattung diskutiert wird358. Auch sie erscheint im Hinblick auf die Kerndimensionen des Modells, „Kunden“ und „Leistung“, als strategischer Archetyp ungeeignet. Aufgrund der lange Zeit geltenden rechtlichen Restriktionen in Deutschland359 und der bereits kritisch diskutierten Wirkungskraft360 sind vergleichende Werbemaßnahmen ohnehin eher eine Ausnahmeerscheinung und die wenigen Praxisbeispiele361 verdeutlichen, dass es sich bei vergleichender Werbung um ein taktisches Instrument im Bereich der konzeptionellen Umsetzung handelt und in der Regel der offensive Vergleich mit einem Wettbewerbsangebot nicht die komplette Werbestrategie eines Unternehmens determiniert. Prominentes Gegenbeispiel ist der schon legendäre kommunikative Dauerwettstreit zwischen Pepsi und Coca-Cola, bei dem beide Unternehmen bereits seit Jahrzehnten ihre Produkte werblich vergleichen.362 Aber auch dieses vielzitierte Beispiel ändert nichts an der Tatsache, dass vergleichende Werbung oder solche, die vorrangig auf die Konkurrenz ausgerichtet ist, in der Werbepraxis generell eher die Ausnahme als die Regel ist und zudem fast nie die Werbestrategie determiniert.363 Andere Systematisierungsansätze wie die von BEHRENS und BIDLINGMAIER vorgeschlagene Differenzierung nach Kosten- und Absatzeffekten (Kontinuitätswerbung, Synchronisationswerbung, Emanzipationswerbung) sind bereits in ihrem Aussagegehalt als kritisch diskutiert worden (vgl. Kapitel 3.3.3 bzw. 3.3.4). Dies gilt ebenso für die von SEYFFERT genannte Zukunftswerbung sowie die von SEYFFERT und BRUHN unterschiedene Reduktionswerbung. Wie bereits diskutiert erscheinen in beiden Fällen die zugrundeliegenden Konzepte nicht tragfähig. Die von BRUHN unterschiedenen Werbestrategien der Imagewerbung und Handelswerbung befinden sich (wie in Kapitel 1.3 erläutert) außerhalb des gesetzten Bezugsrahmens dieser Arbeit. 357 Vgl. dazu das Beispiel Mc Donald’s bei KOTLER,/BLIEMEL/KELLER, 2007, S. 705 KOTLER/BLIEMEL, 2001, S. 937, PERREAULT/McCARTHY, 2003, S. 359; SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 358 ff.; BRUHN, 2005a, S. 386 359 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 358 ff. 360 GREWAL/KAVANOO ET AL., 1997; PECHMANN/RATNESHWAR, 1991, S. 158 ff. 361 PIMPL, 2004; BRUHN, 2005a, S. 386; SCHWAIGER/RENNHAK/TAYLOR ET AL., 2007, S. 11; KOTLER ET AL., 2007, S. 705 362 SCHMEH, 2008; SCHUESSLER, 2000, S. 77 f.; FRANK, 1997, S. 170 ff.; CAPPARELL, 2007, S. 97 ff. 363 Dieser Umstand ist insbesondere im deutschen Werbemarkt auf die langjährig gültige Rechtspraxis zurückzuführen, die vergleichende Werbung in einer offensiven, direkten Form untersagte. 358 88 Somit bleiben im ersten Schritt des Konsolidierungsprozesses folgende vier WerbestrategieVarianten, die von mehreren Autoren wort- bzw. definitionsgleich verwendet werden: Einführungswerbung, Expansionswerbung, Erhaltungswerbung sowie Erinnerungswerbung. Während die jeweiligen Definitionen und Konzepte zur Einführungswerbung und Expansionswerbung schlüssig erscheinen (vgl. Kapitel 3.3), basiert das Konzept der Erinnerungswerbung auf sehr divergenten Überlegungen. So geht GUTENBERG davon aus, dass Erinnerungswerbung dann eingesetzt wird, wenn das Absatzniveau des Werbetreibenden sinkt.364 SEYFFERT dagegen definiert Erinnerungswerbung unabhängig von kurzfristigen Absatzzielen.365 In ähnlicher Weise argumentieren auch PERREAULT und McCARTHY bei ihrer Definition von reminder advertising. Und auch KOTLER ET AL. sehen den Bedarf für erinnernde Werbung dort, wo bekannte Produkte und Marken beim Verbraucher präsent gehalten werden sollen.366 Insofern liegt allen Konzepten absatzpolitisch eine latent stabilisierende Stoßrichtung zugrunde. Dies legt nahe, die Erinnerungswerbung als absatzpolitisch identisch mit dem Konzept der Erhaltungswerbung unter dem Klammerbegriff Loyalitätswerbung zu subsumieren. 364 GUTENBERG, 1995, S. 439 SEYFFERT, 1966, S. 43 366 KOTLER ET AL., 2007, S. 706 365 89 Charakterisierung Begrifflichkeit Autor-/en Einführungswerbung Einführungswerbung Gutenberg Einführungswerbung Seyffert Einführungswerbung Behrens Einführungswerbung Bidlingmaier Pioneering advertising Perreault/McCarthy Einführungswerbung Bruhn Expansionswerbung Erhaltungswerbung Erinnerungswerbung Ausweitungs- oder Expansionswerbung Gutenberg Verstärkungswerbung Seyffert Expansionswerbung Behrens Expansionswerbung Bidlingmaier Market expansion advertising Faison Erhaltungswerbung Gutenberg Erhaltungswerbung Seyffert Erhaltungswerbung Perreault/McCarthy Stabilisierungswerbung Bidlingmaier Erinnerungswerbung Gutenberg Erinnerungswerbung Seyffert Reminder advertising Perreault/McCarthy Erinnerungswerbung Bruhn Erinnerungswerbung Kotler et al. Abbildung 10: Übereinstimmende Charakterisierungen von Werbearten Quelle: Eigene Darstellung Dementsprechend werden die vorliegenden weitestgehend übereinstimmenden Systematisierungen vorläufig zu folgenden Archetypen zusammengefasst: 1. Einführungswerbung, 2. Expansionswerbung, 3. Loyalitätswerbung. Einführungswerbung Bei der Einführungswerbung wird ein neues Produkt bzw. eine neue Leistung vorrangig an eine Zielgruppe adressiert, die das Unternehmen bislang als Kunden noch nicht erreicht hat. 90 Die „Einführungswerbung“ ist gleichzeitig eine Werbestrategietypus, der sich wortgleich in der Mehrheit der bestehenden Systematisierungsansätze findet.367 Die Definition von KOTLER ET AL. für „informierende Werbung“ als Werbung bei der Einführung neuer Produkte kann ebenfalls diesem Typus zugerechnet werden. Expansionswerbung Das Grundprinzip der Expansionswerbung besteht darin, den Markt für ein bestehendes, bereits erfolgreich eingeführtes, bei einer Zielgruppe etabliertes Produkt weiter zu durchdringen: mit dem Ziel, die Kundenzahl insgesamt bzw. die Nutzungsintensität zu erhöhen. Möglicherweise ist die Leistung der anvisierten Zielgruppe aus der Einführungswerbung bereits bekannt, wird jedoch (noch) nicht als relevant und kaufenswert wahrgenommen. Expansionswerbung wird somit genau dann von Unternehmen initiiert, wenn eine Leistung bereits erfolgreich im Markt eingeführt werden konnte und dieser Markterfolg konsequent ausgebaut werden soll (z. B. mit dem Ziel der Marktführerschaft). Die kommunikative Botschaft kann dabei lauten: ‚Dieses Produkt wird bereits von anderen Kunden mit ähnlicher Bedürfnisstruktur verwendet, Du solltest es ebenfalls nutzen.’ Die Kategorie „Expansionswerbung“ findet sich wortgleich bzw. synonym als Verstärkungs-, Kontinuitäts- bzw. Fortführungswerbung in den Systematisierungsansätzen von GUTENBERG368, SEYFFERT369, BEHRENS370, BIDLINGMAIER371 sowie FAISION372. Zur spezifischeren Charakterisierung von Expansionswerbung gibt es in der bestehenden Literatur bei GUTENBERG den Hinweis, dass diese dem monetären Aufwand nach die aufwändigste sei.373 Loyalitätswerbung Unter der Kategorie „Loyalitätswerbung“374 lassen sich die strategischen Konzepte der „Erhaltungswerbung“ bei SEYFFERT375, BEHRENS376 und MEFFERT ET AL.377, beziehungsweise der „Stabilisierungswerbung“ bei BIDLINGMAIER378 sowie die Kategorie „Erinne- 367 GUTENBERG; 1955, S. 440; SEYFFERT, 1966, S. 43; BEHRENS, 1963, S. 52; BIDLINGMAIER, 1973, S. 408; BRUHN, 2005a, S. 381; PERREAULT/McCARTHY, 2003; S. 358 368 GUTENBERG, 1955, S. 440 369 SEYFFERT, 1966; S. 43 370 BEHRENS, 1963, S. 52 371 BIDLINGMAIER, 1973, S. 408 372 FAISON, 1980, S. 292 373 GUTENBERG, 1955, S. 473 374 Der Begriff „loyalty advertising“ wird u.a. verwandt von WEITZ/WENSLEY, 2006, S. 288; BUTTERFIELD, 2003, S. 119 375 SEYFFERT, 1963, S. 43 376 BEHRENS, 1963, S. 52 377 MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2007, S. 706 378 BIDLINGMAIER, 973, S. 408 91 rungswerbung“ von GUTENBERG379, SEYFFFERT380, BRUHN381, PERREAULT und McCARTHY382 sowie KOTLER ET AL.383 subsumieren. So hat Erinnerungswerbung analog der Erhaltungswerbung das Ziel, die Markenwahrnehmung (insbesondere bei Low-InvolvementProdukten) bei den Bestandskunden präsent zu halten und somit ein Abwandern zu Wettbewerbsprodukten zu unterbinden.384 Loyalitätswerbung als Bestandteil eines integrierten Kundenbindungs-Managements385 bzw. Loyalitätsmarketings386 zielt darauf, bestehende Kunden an ein Produkt zu binden bzw. ihre Bindung im Hinblick auf alternative Konkurrenzprodukte zu intensivieren. In der Forschung zur Kundenbindung bzw. Markenloyalität wird auf den besonderen Stellenwert von (Werbe-) Kommunikation hingewiesen. So verweist KRAFFT387 ebenso wie GOUTHIER388 auf die besondere Relevanz einer kundenindividuellen Ansprache, so wie sie in Form des Direkt- und Telemarketings praktiziert wird. Auch RIEKER und STRIPPEL verweisen auf die wachsende Bedeutung einer im Hinblick auf die Auswahl und Gewichtung der eingesetzten Kommunikationsmittel sowie der Tonalität und Botschaft hochdifferenzierten Individualkommunikation bei der erfolgreichen Ausschöpfung des Kundenpotentials, wohingegen der medialen Massenkommunikation eher eine ergänzende Kommunikation zukäme.389 Die zentrale Werbebotschaft der Loyalitätswerbung lautet: ‚Unser Produkt erfüllt Deine Bedürfnisse jetzt und in Zukunft in idealer Weise und Du solltest ihm weiterhin treu bleiben bzw. es regelmäßiger nutzen.’ Es geht also darum, aus Erst- bzw. Gelegenheitsnutzern regelmäßige Nutzer zu machen. Im Hinblick auf die Aktivität des Wettbewerbs sind gemäß der Bedürfnisstruktur die Produkt-Benefits herauszustellen. REINECKE und TOMCZAK unterscheiden für die Kundenbindung als Grundstrategien „Retention“ (Kunden halten) und „Penetration“ (Kunden durchdringen). Zur Penetration zählen sie sowohl die Erhöhung von Wiederverkäufen (Steigerung von Kauffrequenzen und intensitäten) als auch die Initiierung von Verbundverkäufen (Folgekäufe und Cross-Selling). Loyalitätswerbung fokussiert vor allem auf die Retention und auf die Penetration im Sinne einer Erhöhung der Wiederverkäufe. Dagegen wird die Initiierung von Verbundverkäufen als 379 GUTENBERG, 1955, S. 439 SEYFFERT, 1966, S. 43 381 BRUHN, 2005a, S. 240f. 382 PERREAULT/McCARTHY, 2003, S. 359 383 KOTLER ET AL., 2007, S. 706 384 Plakative Beispiele finden sich dafür insbesondere in der Zigaretten- (Beispiel Marlboro) und Bierwerbung (Beispiel Radeberger), wo über Jahre mit identischen Werbemotiven und -aussagen gearbeitet wird, die vorrangig eine Erinnerungs- und Loyalisierungsfunktion haben. 385 BRUHN/HOMBURG, 2005, S. 87 386 SCHÜLLER/FUCHS, 2006, S. 26 ff. 387 KRAFFT, 2007, S. 308 ff. 388 GOUTHIER, 2007, S. 492 f. 389 RIEKER/STRIPPEL, 2003, S. 755f. 380 92 aus Kundensicht neue Leistung („Leistungsinnovation“) verstanden und dementsprechend der Expansionswerbung zugeordnet. Die Loyalitätswerbung schließt alle von TOMCZAK und REINECKE390 sowie HERRMANN391, LURSE392, BÜSCHKEN und VON THADEN393 beschriebenen Varianten der Leistungspflege ein. Wobei das Bewerben eines „Bundlings“, also der Verknüpfung mehrerer Leistungen/Produkte zu einem Gesamtpaket auch wieder als Expansions-Werbung zu verstehen ist. Dementsprechend ist zu prüfen, ob diese Substrategien der Kernaufgabe „Leistungspflege“ analog eine Ausdifferenzierung des Archetyps „Loyalitätswerbung“ bedingen. Zur spezifischeren Charakterisierung von Loyalitätswerbung machen sowohl BRUHN394 (für die synonym verwendete Erinnerungswerbung) wie auch bei SCHULTZ und BARNES395 die Feststellung, dass der budgetäre Werbeaufwand proportional zur Einführungswerbung geringer sei. 4.2 Der theoretische Bezugsrahmen Nach der Konsolidierung der vorliegenden Systematisierungen zu drei Archetypen (Einführungs-, Expansions-, Loyalitäts- bzw. Erinnerungswerbung) wird nun ein geeigneter theoretisch fundierter Ordnungsrahmen zur Systematisierung dieser Archetypen benötigt. Denn wie in Kapitel 3.3 erläutert hat keine der bisherigen Kategorisierungsansätze vollwertige Modellqualitäten. Um somit den in Kapitel 3.4 identifizierten Anforderungen an die Entwicklung eines Werbestrategiemodells vollständig gerecht zu werden, bedarf es für die Einordnung der Werbestrategie-Konzepte eines fundierten theoretischen Bezugrahmens, der den notwendigen Ableitungscharakter der Werbestrategie-Systematik im Hinblick auf die übergeordneten Marktstrategien der Unternehmen sicherstellt.396 4.2.1 Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF als Systematisierungsraster Im Hinblick auf eine möglichst allgemeingültige theoretische Fundierung erscheint die von ANSOFF entwickelte Produkt-Markt-Matrix397 aus folgenden Gründen ideal: 1. Die Kern-Dimensionen Märkte bzw. Kunden und Produkte bzw. Dienstleistungen sind ebenso (z. T. implizite) Grundlage der vorgestellten Systematisierungen von Werbestrategien (vgl. Kapitel 3); 390 TOMCZAK/REINECKE, 2007, S. 18 f. HERRMANN, 1998, S. 23 ff. 392 LURSE, 2007, S. 561 f. 393 BÜSCHKEN/VON THADEN, 2007, S. 595 f. 394 BRUHN, 2005a, S. 255 395 GUTENBERG, 1955, S. 473 396 MEFFERT, 2000, S. 679; BRUHN, 2005a, S. 17 397 ANSOFF, 1965, S. 107ff. 391 93 2. die Produkt-Markt-Matrix hat als „Klassiker“ der strategischen Managementplanung aufgrund seiner Klarheit und Stringenz eine breite Akzeptanz in der Wissenschaft398; 3. das Modell hat einen weiten Anwendungskreis in der unternehmerischen Praxis und ist ausreichend empirisch belegt.399 Die Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF stellt ein systematisches Denkraster potenzieller Wachstumsstrategien dar. Aus der Verknüpfung der Dimensionen Produkte (P1) und Märkte (M1) leitet ANSOFF folgende vier Grundstrategien ab: 1. Marktdurchdringung; 2. Marktentwicklung; 3. Produktentwicklung; 4. Diversifikation. Markt bestehend neu Produkt bestehend Marktdurchdringung Marktentwicklung neu Produktentwicklung Diversifikation Abbildung 11: Produkt-Markt-Matrix nach ANSOFF Quelle: ANSOFF, 1965, S. 109 Nach ANSOFF spricht man von einer Strategie der Marktdurchdringung, wenn durch eine Intensivierung der Marktbearbeitung mit den derzeitigen Produkten bzw. Leistungen auf den gegenwärtig bearbeiteten Märkten weiteres Wachstum erzeugt werden soll. Neben der Erhöhung des Marktvolumens – z. B. durch eine Erhöhung der Verwendungsrate bisheriger Verwender oder die Aktivierung von bisherigen Nichtverwendern (latenter Bedarf) –, kann auch eine Erhöhung des Marktanteils auf Kosten der Konkurrenz diese Strategie zum Erfolg führen. 398 NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, S. 175 ff.; CAMPHAUSEN, 2007, S. 6; McDONALD/WARD/SMITH, 2007, S. 84; WILSON/GILIGAN, 2005, S. 303; MERCER, 1996, S. 172; HERACLEOUS, 2003, S. 5; BAKER, 2003, S. 518 399 DÜSSEL, 2006, S. 135; WARD, 2004, S. 44 94 Im Rahmen der Marktentwicklung sollen mit der vorhandenen Produktpalette neue Märkte erschlossen werden. Diese neuen Märkte können entweder bisher nicht bearbeitete Segmente in den bereits bearbeiteten geografischen Märkten oder die Nutzung des Absatzpotenzials in neuen geografischen Gebieten sein. Bei der Produktentwicklung werden auf den bestehenden Märkten neue Produkte angeboten, wobei diese tatsächliche Innovationen sein können oder gegebenenfalls nur Imitationen bereits vorhandener Produkte, die von dem betreffenden Unternehmen bisher nicht angeboten wurden. Eine Kombination aus Produktentwicklung und Marktentwicklung stellt die Strategie der Diversifikation dar. Hierbei werden neue Produkte bzw. Leistungen auf neuen Märkten angeboten. Als Kritik an der Ansoffschen Produkt-Markt-Matrix werden häufig folgende Aspekte genannt: • Die zwei Grunddimensionen des Modells bedingen einen hohen Abstraktions- und Formalisierungsgrad des Modells, der konkrete Handlungsanweisungen – mit dem Ziel eines maximalen Praxisbezugs – erschwert.400 Gleichzeitig ist das Modell in seiner Grundsätzlichkeit nicht in ein strategisches Planungs- und Prozessmodell integriert, aus dem sich Aufgaben und Verantwortlichkeiten ableiten lassen. Dementsprechend wurden nachfolgend Weiterentwicklungen des Modells u.a. von KOLLAT ET AL.401 sowie ABELL und HAMMOND402 und später KOTLER (s.u.) realisiert – mit dem Ziel einer weiteren Differenzierung. • Die vier Strategierichtungen haben idealtypischen Charakter und sind in der Praxis vielfach nicht eindeutig abzugrenzen, d.h. zwischen den Strategierichtungen gibt es eine Vielzahl von fließenden Übergängen.403 • Der Bezugsrahmen des Modells beschränkt sich auf zwei Dimensionen (Produkte und Märkte). Die bestehenden Kompetenzen des agierenden Unternehmens sowie seine Stärken und Schwächen bleiben ebenso unberücksichtigt wie die Perspektive der Kunden und die Wettbewerbssituation.404 • Das unternehmensstrategische Vorgehen wird – dem historischen Kontext der wachstumsstarken Sechziger Jahre gemäß – einseitig unter dem Wachstumsprimat gesehen. Desinvestitions- oder Rückzugsstrategien sieht das Modell nicht vor. Dementsprechend steht die 400 KÖHLER, 1981, S. 268 KOLLAT/BLACKWELL/ROBESON, 1972, S. 21 ff. 402 ABELL/HAMMOND, 1979, S. 391 ff. 403 So führt z. B. eine Produktentwicklung in vielen Fällen gleichzeitig zu einer Marktentwicklung, ohne dass substantiell von einer horizontalen Diversifikation gesprochen werden kann (z. B. Eindringen in Zusatzmärkten durch gezielte Funktionserweiterungen für bestehende Produkte). 404 LOMBRISER/ABPLANALP, 2005; S. 262 ff.; BEA/HAAS, 2005, S. 158-162; NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, 2002, S. 186, S. 188 401 95 Extrapolation der bestehenden Strategie bzw. ihre pragmatische Verbesserung im Fokus.405 Die Kritikpunkte der fehlenden Berücksichtigung von Übergängen sowie der Beschränkung auf zwei Dimensionen bildete die Grundlage für die Erweiterung des Modells durch KOTLER406 unter Bezugnahme auf MADIQUE und ZIRGER407. Bestehende Produkte Modifizierte Produkte Bestehende Mehr unserer existierenden Existierende Produkte moZielgruppe Produkte an unsere existieren- difizieren und mehr davon und geograden Kunden verkaufen an unsere existierenden phischer (Marktpenetration) Kunden verkaufen Markt Neuer geographischer Markt Neue Produkte Neue Produkte entwerfen, die unsere existierenden Kunden ansprechen (Neuentwicklung) Markteintritt und Verkauf un- Anbieten und Verkauf von Entwicklung neuer Proserer Produkte in anderen modifizierten Produkten in dukte für potentielle geographischen Regionen neuen geographischen Re- Kunden in neuen geogra(geographische Ausdehnung) gionen. phischen Regionen. Entwicklung neuer ProAngebot und Verkauf modiVertrieb bestehender Produkte dukte und Verkauf an Zielgruppe fizierter Produkte an neue an neue Kundentypen neue Kundentypen (DiKundentypen versifikation) Abbildung 12: Erweiterte Produkt-Markt-Zielgruppen-Matrix nach KOTLER Quelle: KOTLER, 1999, S. 47 Aus den folgenden Gründen ist aber das Produkt-Markt-Raster von Ansoff trotz der bestehenden Kritikpunkte tauglich, um die von BILDINGMAIER, KROEBER-RIEL und BRUHN identifizierten Werbestrategien in eine klare Systematik einzuordnen: • Im Bezug auf Werbestrategien haben die Dimensionen der (zu bewerbenden) Produkte bzw. Leistungen in den entsprechenden Märkten eine höhere Relevanz gegenüber dem Wettbewerb (als einer weiteren möglichen Dimension); • 405 die einseitige Wachstumsorientierung des Modells ist kompatibel mit den bestehenden Werbestrategie-Kategorisierungen408. HOMANN, 1995, S. 186; LOMBRISER/ABPLANALP, 2005, S. 262 ff.; BEA/HAAS, 2005, S. 158-162; NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, 2002, S. 186 406 KOTLER, 1999, S. 47 407 MADIQUE/ZIRGER, 1984, S. 192-203 Nur bei BEHRENS (1963, S. 52) findet sich die Idee einer Reduktionswerbung, alle übrigen Autoren unterstellen, dass kapitalintensive Werbemaßnahmen immer wachstumsorientiert sind. 96 Nachteilig erscheint für das vorliegende Forschungsthema jedoch der fehlende Erklärungscharakter des Ansoffschen Modells im Bezug auf • handlungsleitende Aufgaben (bzw. Empfehlungen) als Teil eines praxisorientierten strategischen Planungsprozesses sowie • die fehlende Berücksichtigung der benötigten Kernkompetenzen auf Seiten des Unternehmens. Deshalb wird nachfolgend überprüft, ob der von TOMCZAK und REINECKE entwickelte aufgabenorientierte Ansatz409, der sich als marketingstrategisches Konzept wiederum aus dem Konzept der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF ableitet, einen höheren Erklärungswert für die theoretische Fundierung des Forschungsvorhabens leistet als das Grundmodell von ANSOFF. 4.2.2 Der aufgabenorientierte Ansatz von TOMCZAK und REINECKE Der aufgabenorientierte Ansatz410 rückt mit den sogenannten Kernaufgaben des Marketings die zentralen Wachstums- und Gewinngeneratoren eines Unternehmens bzw. eines Geschäftsbereichs sowie das Management der dazu erforderlichen Kompetenzen in den Mittelpunkt der strategischen Marketingplanung.411 Marktpotenziale, Kernaufgaben und Kompetenzen sind die zentralen Konstrukte des aufgabenorientierten Ansatzes. Um bestimmte Marktpotentiale erschliessen zu können sind von einem Unternehmen spezifische Kernaufgaben zu erfüllen, die wiederum bestimmte Kompetenzen verlangen (Outside-in-Perspektive). Dadurch, dass ein Unternehmen in der Lage ist, sein Wissens- und Aufgabensystem miteinander abzugleichen und zu verbinden, besitzt es die grundsätzliche Fähigkeit, gewisse Marktpotentiale zu nutzen.412 409 TOMCZAK/REINECKE, 1996; TOMCZAK/ REINECKE, 1999; TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007 410 Ebd. 411 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 4 412 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 4; VON KROGH/ROOS, 1995, S. 58; VON KROGH/ROOS, 1992, S. 123 97 Abbildung 13: Kompetenzen und Kernaufgaben Quelle: TOMCZAK ET AL. 2007, S. 15 Vor dem Hintergrund des knowledge-based view setzt sich der aufgabenorientierte Ansatz mit der Frage auseinander, welche Arten von Kompetenzen benötigt werden, um bestimmte Marktpotenziale nutzen zu können.413 Der aufgabenorientierte Ansatz basiert auf der kritischen Reflektion der Defizite des traditionellen Marketing-Mix-Modells sowie der Anforderungen des heutigen Top-Managements an ein integriertes Planungs- und Steuerungsinstrument414 und liefert eine neue Systematik für eine konsistente Marketingplanung, indem er die zentralen Wachstums- und Erfolgstreiber eines Unternehmens bzw. eines Geschäftsbereichs in den Mittelpunkt des MarketingManagement stellt: • aktuelle und zukünftige Kunden, • bestehende und neue Leistungen (Produkte, Dienstleistungen, Rechte). Unternehmen können ihre Umsatz- und Gewinnziele erreichen, indem sie neue Kunden akquirieren bzw. indem sie Preisbereitschaft, Kauffrequenz und -intensität sowie Verbundkäufe 413 414 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 11 TOMCZAK/REINECKE, 1996, S. 1 f. 98 von aktuellen Kunden erhöhen. Analog dazu können sie sich auf neue Leistungen bzw. bestehende Leistungen konzentrieren. Wie die Abbildung verdeutlicht, werden mit diesem Ansatz zwei Seiten derselben Medaille betrachtet. Einmal stellen sich die Unternehmen die Frage nach möglichen Umsatz- und Gewinnquellen aus der Kundenperspektive, das andere Mal aus der Leistungsperspektive. Wie noch gezeigt wird, bedarf es eines integrierten Managements der Kunden- und Leistungsperspektive, wenn ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren will. Das Modell leitet sich aus der traditionellen Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF415 ab. Nach TOMCZAK und REINECKE erhöht diese „Verwandtschaft“ die Kompatibilität zu bestehenden Forschungserkenntnissen und erleichtert es, das operative Marketing mit den Grundstrategien abzustimmen. Richtungweisend und innovativ ist der aufgabenorientierte Ansatz im Hinblick auf die explizite Fokussierung auf den Umgang mit Kunden- und Leistungspotentialen sowie der Forderung, dies bestmöglich mit den Kompetenzen eines Unternehmens abzustimmen.416 Damit ist die erfolgreiche Abstimmung von Marktpotentialen und Unternehmenskompetenzen ein zentrales Element des aufgabenorientierten Ansatzes von TOMCZAK und REINECKE. Um Marktpotentiale, d. h. Kunden- und Leistungspotentiale, nutzen zu können, benötigen Unternehmen spezifische Kompetenzen: zum einen, um Potentiale zu erschliessen (Innovation), und zum anderen, um bereits erschlossene Potenziale auszuschöpfen. Daraus ergeben sich nach TOMCZAK und REINECKE417 vier Kernaufgaben bzw. Kompetenzen des Marketings: 1. Kundenakquisitions-Kompetenz, das heißt die Fähigkeit, Kundenpotentiale zu erschliessen; 2. Kundenbindungs-Kompetenz, das heißt die Fähigkeit, Kundenpotentiale auszuschöpfen; 3. Leistungsinnovations-Kompetenz, das heißt die Fähigkeit, Leistungspotentiale zu erschliessen; 4. Leistungspflege-Kompetenz, das heißt die Fähigkeit, Leistungspotentiale auszuschöpfen. 415 TOMCZAK/REINECKE, 1996, S. 6 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 4 f. 417 TOMCZAK/REINECKE, 1996, S. 5 f.; TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 14 ff. 416 99 Bezeichnung Wachstums- bzw. Gewinnquelle Kundenakquisition Zukünftige Kunden Kernaufgabe Erschliessen von Kundenpotenzialen Ansätze • Gewinnen von Nichtverwendern • Erobern von Kunden der Konkurrenz Kundenbindung Aktuelle Kunden Ausschöpfen von Kundenpotenzialen • Kunden halten (Retention) • Kundengruppen durchdringen (Penetration) Leistungsinnovation Neue Leistungen Erschliessen von Leistungspotenzialen • Echte Marktneuheiten entwickeln und einführen • Imitationen entwickeln und einführen Leistungspflege Bestehende Leistungen Ausschöpfen von Leistungspotenzialen • Leistungen erhalten • Leistungen ausbauen Abbildung 14: Überblick über die Kernaufgaben des Marketing Quelle: TOMCZAK ET AL., 2007, S. 5 Diese Kompetenzen werden im Folgenden detailliert erläutert. Kundenakquisition: Erschliessen von Kundenpotentialen Mit dem Begriff der „Kundenakquisition“ wird die Aufgabe des Erschließens neuer Kundenpotenziale erfasst.418 TOMCZAK und KARG unterscheiden dabei zwei Grundstrategien:419 1. Kunden der Konkurrenz abwerben; 2. bisherige Nichtverwender bzw. -verbraucher ansprechen. Beim Ziel, Kunden der Konkurrenz abzuwerben, besteht die Aufgabe nach TOMCZAK ET AL. vorrangig darin, potenzielle Kunden von den relativen Vorteilen der eigenen Leistung zu überzeugen („Besser-Prinzip“ bzw. „Billiger-Prinzip“), um sie zu einem Anbieterwechsel zu bewegen.420 Bei der Ansprache von Nichtverwendern steht der Anbieter in einem Substitutionswettbewerb, bei dem es im Wesentlichen darum geht, den jeweiligen Kunden davon zu überzeugen, das ein für ihn mit Blick auf einen bestimmten Markt bisher latentes Bedürfnis relevant ist und bei seiner Kaufentscheidung berücksichtigt werden sollte („Anders-Prinzip“). Um poten418 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 16 TOMCZAK/KARG, 1999, S. 4 ; KARG, 2001 420 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 16 419 100 zielle Kunden mit aktuellen, nicht befriedigten Bedürfnissen zu gewinnen, muss ein Anbieter versuchen, jene Barrieren abzubauen, die den Kunden davon abhalten, den Kauf zu tätigen.421 Kundenbindung: Ausschöpfen von Kundenpotenzialen Nach TOMCZAK ET AL. steht im Zentrum der Kernaufgabe „Kundenbindung“ die Frage, wie sich einmal erschlossene Kundenpotentiale erhalten bzw. ausschöpfen lassen.422 Dabei lassen sich zwei Grundstrategien unterscheiden: 1. Retention (Kunden halten); 2. Penetration (Kunden durchdringen). Die Kunden-Retention zielt nach TOMCZAK ET AL. darauf, den Erhalt der Kundenbeziehung durch kontinuierliche Wiederkäufe sicherzustellen, einen Wechsel zur Konkurrenz zu vermeiden oder Kunden zurückzugewinnen. Maßnahmen dafür können u.a. in der Erhöhung der Kundenzufriedenheit423, der Implementierung eines professionellen Beschwerdemanagements424 oder eines systematischen Kundenrückgewinnungsmanagements425 liegen. Die Kundengruppenpenetration erfolgt dadurch, dass Preisbereitschaften (Steigerung des Deckungsbeitrages) besser ausgenutzt, Kauffrequenzen und -intensitäten gesteigert werden (Erhöhung von Wiederverkäufen sowie Verbundverkäufe (Folgekäufe und Cross-Selling) gefördert werden. Folgekäufe beziehen sich auf den Kauf zusätzlicher Leistungen und Produkte, die in einer direkten Beziehung zum Erstkauf stehen (z. B. die Bürstenköpfe für eine Zahnbürste). Cross-Selling-Verkäufe sind dagegen Zusatzverkäufe, bei denen die beim Erstkauf aufgebaute Kundenbeziehung genutzt wird, um weitere Transaktionen zu initiieren, ohne dass die dabei angebotenen Produkte und Leistungen zwangsläufig in einer direkten Beziehung zum Erstprodukt stehen (z. B. die Möglichkeit, ein Auto in Verbindung mit dem Kauf eines Flugtickets zu mieten).426 Leistungsinnovation: Erschliessen von Leistungspotenzialen Die Kernaufgabe „Leistungsinnovation“ umfasst „sämtliche Maßnahmen, die ergriffen werden, um neue Problemlösungen zu kreieren und im Markt durchzusetzen“427. Eine Innovation muss nach TOMCZAK ET AL. muss auf einzigartigen Ressourcen beziehungsweise Fähigkeiten des Unternehmens beruhen. Dies kann eine Marke, die Investitionsintensität in der Forschung und Entwicklung, eine spezifische Unternehmenskultur oder ein Kernprodukt sein.428 421 Ebd. TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 423 DITTRICH, 2002; HERRMANN, 1998, S. 261 ff. 424 STAUSS/SEIDEL, 2002, S. 44 425 Ebd. 426 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 427 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 428 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 f. 422 101 Es lassen sich dabei wiederum zwei Grundstrategien unterscheiden: 1. Echte Marktneuheiten („New to the World“); 2. Imitationen bereits am Markt befindlicher, von Wettbewerbern angebotener Leistungen. „New to the World“-Angebote sind nach TOMCZAK ET AL. prinzipiell neue Problemlösungen, „wobei eine Herausforderung entweder auf völlig neue Weise bewältigt oder aber ein Bedürfnis befriedigt wird, für das es bisher kein Konzept gab“429. SCHEWE unterscheidet in diesem Zusammenhang Innovation nach dem „Zweck“ aus Kundenperspektive und nach dem „Mittel“ aus Anbieterperspektive, wenn z. B. eine neuartige Technologie zum Einsatz kommt.430 BROCKHOFF spricht in diesem Zusammenhang auch von einer radikalen Innovation bzw. einer Basisinnovation.431 Imitationen sind hingegen solche, „die sich nur in ihrer äußeren Gestaltung oder in einer etwas modifizierten, meist verbesserten Funktionserfüllung von ähnlichen bereits am Markt befindlichen Leistungen unterscheiden“432. Oft wird in diesem Zusammenhang auch von einem Me-too-Produkt bzw. einer Me-too-Strategie gesprochen.433 Leistungspflege: Ausschöpfen von Leistungspotenzialen Bei der Kernaufgabe der Leistungspflege geht es darum, den Erfolg der bereits eingeführten Leistung zu optimieren bzw. zu verlängern.434 Auch hier lassen sich zwei Grundstrategien beobachten:435 1. Erhalt von Leistungspotenzialen (Modifikation, Revitalisierung, Produktdifferenzierung); 2. Ausbau von Leistungspotenzialen (Variation, Upselling, Bundling, Multiplikation). Bei der Modifikation handelt es sich um „marginale Adaptionen der bereits am Markt eingeführten Leistung, wobei die Leistung jedoch insgesamt unverändert bleibt“436. HERRMANN437 zählt analog zu BROCKHOFF438 dagegen solche Modifikationen, die auf einer bloßen Veränderung der äußeren Erscheinung oder in einer verbesserten oder erweiterten Funktionserfüllung basieren, ebenfalls zu den Leistungs- bzw. Produktinnovationen. Im Gegensatz zu TOMCZAK ET AL. unterscheidet HERRMANN nicht zwischen Grundstrategien, die den Erhalt oder Ausbau von Leistungspotenzialen zum Ziel haben. Stattdessen fasst er alle Werbemaßnahmen zur Leistungspflege unter dem Begriff „Produktmodifikation“ zusammen 429 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 18; HERRMANN, 1998, S. 510 SCHEWE, 2007, S. 52 431 BROCKHOFF, 2007, S. 22 432 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 18; vgl. auch NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, 2002, S. 692 f.; SCHEWE, 2007, S. 52 ff. 433 HERRMANN, 1998, S. 448 434 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 18 435 KAETZKE/TOMCZAK, 2000, S. 19 436 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 19 437 HERRMANN, 1998, S. 510 438 BROCKHOFF, 2007, S. 22 430 102 und differenziert darunter zwischen „Produktvariation“, „Produktdifferenzierung“, „Produktelimination“ und „Diversifikation“ als Sub-Strategien.439 Den Begriff „Produktvariation“ verwendet er in seiner inhaltlichen Beschreibung analog zur Kategorie „Modifikation“ von TOMCZAK ET AL. Zusätzlich unterscheidet er jedoch die „Produktdifferenzierung“, bei der der Neuigkeitsgrad für die Konsumenten gegenüber der Modifikation höher liegt.440 BROCKHOFF weist darauf hin, dass im Hinblick auf die Wahrnehmungsperspektive der adressierten potenziellen Kunden Leistungs- bzw. Produktmodifikationen sich allein auf den kommunikativen Auftritt beschränken können, ohne dass eine Veränderung der objektiven Produkteigenschaften stattgefunden hat. Er spricht in diesem Zusammenhang von ScheinInnovationen.441 Bei einer Revitalisierung geht es dagegen darum, vorhandene Werte wiederzubeleben.442 Dies kann wie z. B. beim New Beetle von Volkswagen den Effekt haben, dass Leistungspotentiale nicht nur erhalten, sondern sogar ausgebaut werden. HERRMANN ergänzt hierzu als weitere Modifikations- bzw. Variationsvarianten die Repositionierung eines Produktes bzw. einer Leistung sowie den Relaunch.443 Bei der Variation sollen Verkäufe ähnlicher Leistungen erzeugt bzw. erhöht werden. Variationen, HERRMANN verwendet inhaltlich deckungsgleich den Begriff „Produktdifferenzierung“444 können z. B. unterschiedlichen Typen (Kombi-Version) einer Autoreihe sein. Damit wird sowohl kundensegmentspezifischen Bedürfnissen Rechnung getragen wie unter Umständen auch gesetzlichen Auflagen (z. B. Sicherheitsausstattung von Fahrzeugen).445 Beim Upselling wird versucht, die Wertschöpfung zu erhöhen, indem von bisher verkauften Grundversionen teurere Varianten abgesetzt werden. Demgegenüber hat das Bundling zum Ziel, Verkäufe dadurch zu erzeugen bzw. zu erhöhen, das bereits eingeführte Produkte mit komplementären Produkten oder mit (Zusatz-)Dienstleistungen kombiniert werden.446 Bei der Multiplikation werden bestehende Leistungskonzepte wiederholt und im Sinne eines „Skalieren“447 systematisch auf neue Märkte angewendet. Im folgenden soll nun der aufgabenorientierte Ansatz mit seinen beiden Seiten – Kernaufgaben und korrespondierenden 439 HERRMANN, 1998, S. 535 ff. HERRMANN, 1998, S. 510 441 BROCKHOFF, 2007, S. 22 442 TOMCZAK, T./REINECKE, S./KAETZKE, P., 2002 443 HERRMANN, 1998, S. 536 f.; analog dazu auch KOPPELMANN, 1993, S. 14 444 HERRMANN, 1998, S. 537 f. 445 Vgl. auch HERRMANN, 1998, S. 149; MEFFERT, 1998, S. 423 ff.; NIESCHLAG/DICHTL/HÖRSCHGEN, 1997, S. 277 ff. 446 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 19; vgl. auch HERRMANN, 1998, S. 550 ff. 447 KROGH/CUSUMANO, 2001, S. 77 440 103 Kernkompetenzen – auf die Eignung als theoretischer Bezugsrahmen geprüft und gegebenenfalls entsprechend modifiziert werden. 4.2.3 Bewertung der Kernaufgaben-Seite Diese von TOMCZAK ET AL. vorgenommene Zuordnung der unterschiedlichen Leistungsbzw. Produktstrategien nach den Dimensionen „Erhalt von Leistungspotenzialen“ und „Ausbau von Leistungspotenzialen“ erscheint problematisch, da die einzelnen Instrumente in ihrer Wirkung nicht festgelegt sind. So kann beispielsweise das Instrument Variation aus Kundensicht möglicherweise auch nur den Erhalt von Leistungspotenzialen bewirken und nicht den angestrebten Ausbau. Zudem liegen den unterschiedenen Grundstrategien verschiedene Dimensionen-Aspekte (Anzahl der Produkte, Märkte, Positionierung) zugrunde. Plausibler erscheint deshalb eine wirkungsentkoppelte Differenzierung von Leistungspflege, die auf die Anzahl der Produkte fokussiert. Analog den Überlegungen von BÜSCHKEN/VON THADEN448 sowie HUBER und KOPSCH449 sollte man Leistungspflege im Sinne von Leistungs-/Produktmodifikation in dreierlei Weise unterscheiden: 1. Leistungs-/Produktvariation: Der Ersatz eines bestehendes Produktes bzw. einer bestehenden Leistung durch ein variiertes, in den relevanten Leistungsmerkmalen verbessertes Produkt/Leistung (dynamische Betrachtung); 2. Leistungs-/Produktdifferenzierung: Die Ergänzung eines bestehendes Produktes bzw. einer bestehenden Leistung um weitere, kundengruppen- bzw. marktspezifische Varianten (statische Betrachtung); 3. die Kombination zweier bestehender Leistungen bzw. Produkte in Form eines Bundles. Dabei entspricht die Leistungs- oder Produktvariation der von TOMCZAK ET AL. definierten Grundstrategie „Modifikation“ und die Leistungs-/Produktdifferenzierung der Grundstrategie „Variation“. „Revitalisierung“ ist in diesem Kontext eher als Untervariante der Leistungs- bzw. Produktvariation zu verstehen, wobei im Fokus der Variation entweder vorhandene Werte stehen, die wiederbelebt werden sollen oder es vielmehr um die Schaffung und Kommunikation neuer Werte geht. Ebenso ist das von TOMCZAK ET AL. unterschiedene „Upselling“ auch eine Untervariante der Leistungs-/Produktdifferenzierung, wobei hier um die Dimension Preis-LeistungsPositionierung ergänzt wird, also die Frage, wie die Varianten einer Leistung oder eines Produktes im Verhältnis zum Ausgangs- bzw. Basisprodukt preislich positioniert werden. Die Grundstrategie „Multiplikation“ zielt in Richtung neuer Märkte bzw. Grundgruppen und kann in ihrer produktseitigen Umsetzung ebenfalls eine Untervariante der drei Produkt- bzw. Leistungs-Grundstrategien sein. 448 449 BÜSCHKEN/ VON THADEN, 2007, S. 597 ff. HUBER/KOPSCH, 2007, S. 617 ff. 104 Im Hinblick auf den Forschungsgegenstand erscheint es außerdem wichtig, für die Kernaufgabe Leistungspflege auch den Aspekt „kommunikativer Auftritt/Marke“ als Leistungsbestandteil zu berücksichtigen. In der Werbepraxis sind Kampagnen zu beobachten, die ausschließlich auf die kommunikative Leistungspflege fokussieren, wobei das beworbene Produkt bzw. die beworbene Leistung unverändert bleiben. Diesem Aspekt sollte in der Untersuchung entsprechend Rechnung getragen werden. Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit von „Leistungspflege“ bezieht sich auf den Bezug der Leistungs-/Produktmodifikationen zum bisherigen Leistungsportfolio eines Unternehmens bzw. einer Geschäftseinheit. Diese unter dem Begriff „Leistungs- bzw. Produktdiversifikation“ zusammengefasste Unterscheidung weist nach DILLER450 folgende drei Grundstrategien auf: 1. Horizontale Diversifikation; 2. vertikale Diversifikation; 3. laterale Diversifikation. Problematisch erscheint bei der Anwendung des Modells der vier Kernaufgaben innerhalb der Dimension Leistungspotentiale die Abgrenzung zwischen „Leistungspflege“ und „Leistungsinnovation“. TOMCZAK ET AL. sprechen zwar davon, dass, wenn „umfangreiche Veränderungen“ dazu führen, dass der „Leistungskern neu definiert wird“, die Variation einer Leistung unter Umständen bereits als Leistungsinnovation bezeichnet werden kann, liefern jedoch keine eindeutige Abgrenzungsdefinition, sondern verweisen auf andere Autoren (u.a. HERRMANN451), nach denen die Entscheidung darüber letztlich von dem jeweiligen Unternehmen zu treffen sei. Zu den Befürwortern einer solchen Vorgehensweise gehören auch KOTLER ET AL., für die zu einer Innovation zählt „… jedes Produkt, jede Dienstleistung oder Idee, die jemand als neu wahrnimmt. Sie kann schon lange vorhanden sein, doch für diejenigen, der zum ersten Mal davon hört, ist sie neu“452. Analog definiert BROCKHOFF: „Eine Produktinnovation ist ein Bündel von Eigenschaften, das wahrnehmbar von einem zu einem vorausgehenden Zeitpunkt existenten Eigenschaftsbündel abweicht, auch wenn die verglichenen Eigenschaftsbündel gleiche Bedürfnisse erfüllen.“ 453 Auch hier entscheidet also das Verbraucherurteil über den Neuigkeitsgrad und damit, ob es sich um Leistungspflege oder Innovation handelt. Letztlich wird damit die alte Problematik berührt, wonach eine operationale Messung von Neuheitsgraden, die die Voraussetzung für eine entsprechende Abgrenzung der beiden Kategorien wäre, bislang nicht zufriedenstellend gelungen ist.454 450 DILLER, 1994, S. 223 HERRMANN, 1998, S. 535 f. 452 KOTLER/BLIEMEL, 1992, S. 532 453 BROCKHOFF, 2007, S. 22 454 GREEN/GAVIN/AIMAN-SMITH, 1995; KLEINSCHMIDT/COOPER, 1991; BAIER, 1999; SCHLAACK, 1999, S. 19 ff. 451 105 Bei der zweiten Modelldimension „Kundenpotenziale“ erscheint außerdem die Berücksichtigung und Einordnung der Zielgruppe „ehemalige Kunden“ diskussionswürdig. In den Überlegungen von TOMCZAK ET AL. werden sie den Bestandskunden zugeordnet, die im Sinne der Retention zurückgewonnen werden sollen.455 Dabei wäre es ebenso plausibel, sie als Neukunden zu betrachten, die im Sinne der Kundenakquisition wiedergewonnen werden, wobei ihre besondere historische Prädisposition zur Leistung bzw. Marke zu berücksichtigen ist. 4.2.4 Bewertung der Kernkompetenzen-Seite Im aufgabenorientierten Ansatz von TOMCZAK und REINECKE stehen der erfolgreichen Bearbeitung der Kernaufgaben zur Ausschöpfung von Kunden- und Leistungspotenzialen spezifische Kernkompetenzen gegenüber.456 TOMCZAK und REINECKE457 haben zu den im Kapitel 4.2.2 erläuterten vier Kernaufgaben auf Basis qualitativer Forschung (Best Practices) nachfolgende notwendige bzw. unterstützende Kompetenzen identifiziert: Abbildung 15: Wachstums- und Gewinnoptionen Quelle: TOMCZAK ET AL. 2007, S. 20 Die noch recht abstrakten Kernkompetenzen lassen sich dabei weiter ausdifferenzieren und dadurch in konkrete Fähigkeitsanforderungen an das entsprechende Personal umwandeln: 455 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 20 ff. 457 TOMCZAK/REINECKE, 1998, 2001 456 106 Kernaufgabe und Philosophie Kundenakquisition „ Win the Customer“ Erforderliche Kompetenzen (Beispiele) • • • Kundenbindung „Care for the customer“ • • • • Leistungsinnovation „Leave for new shores“ • • • Unternehmensbeispiele Fähigkeit zur Reduktion von perso- Vorwerk, nen-, anbieter- und marktleistungs- AWD bezogenen Risiken Schlagkräftiger Verkauf Fähigkeit zur Fokussierung Fähigkeit, aktuelle Kundeninforma- IBM, MLP, tionen umfassend zu erfassen und zu Carlton verarbeiten Fähigkeit, Kunden individuell zu betreuen Fähigkeit, Kunden in Unternehmensprozesse einzubinden Fähigkeit, rationale und emotionale Bindungen aufzubauen Kreativität und Offenheit Risikobereitschaft Geschwindigkeit Ritz Apple, 3M Leistungspflege Procter & Gamble • Fähigkeit zur Optimierung „Optimize your • Streben nach Sicherheit Solution“ • Standardisierungskompetenz Abbildung 16: Spezifische Kompetenzen zur Erfüllung der Kernaufgaben Quelle: TOMCZAK ET AL. 2007, S. 23 Die genannten spezifischen Kompetenzen sind nach TOMCZAK ET AL. als beispielhaft zu verstehen, da es aufgrund der Komplexität von Unternehmensstrukturen und -prozessen schwierig sei, „alle Fähigkeiten zu eruieren, die in der jeweiligen Situation dazu führen, dass eine Kernaufgabe überdurchschnittlich erfüllt wird“458. Nach TOMCZAK ET AL. steht jedes Unternehmen vor zwei Herausforderungen: 1. Kompetenzen zu entwickeln, die vier Kernaufgaben bestmöglich zu erfüllen; 2. Integration der vier Kernaufgaben im Sinne eines optimalen Kernaufgabenprofils. Im Sinne eines effizienten und effektiven Ressourceneinsatzes sind identifizierte Marktpotenziale und vorhandene Kompetenzen miteinander in Einklang zu bringen (siehe Marktpotenzial-Kompetenzen-Matrix). Idealerweise sollten die Ressourcen eines Unternehmens dort eingesetzt werden, wo bereits vorhandene Kompetenzen auf ein möglichst großes Marktpotenzial stoßen. Verfügt ein Unternehmen bereits über notwendige (Basis-)Kompetenzen, sollte diese Grundlage genutzt und durch (Weiter-)Entwicklung ausgewählter Kompetenzen ausgebaut werden. Bei Wachstumsfeldern mit hohem Marktpotential und fehlenden Kompetenzen stellt 458 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 24 107 sich für das Management die Frage, ob sich Investitionen in den Aufbau dieser Kompetenzen langfristig rentieren. Im Sinne eines effizienten Mitteleinsatzes ist es aber auch erforderlich, Kompetenzen bewusst gar nicht erst zu entwickeln (oder sogar abzubauen), für die kein Marktpotenzial mehr vorhanden ist.459 Da ein Unternehmen in der Regel nicht über alle notwendigen Kompetenzen verfügt, um alle Wachstumspotenziale erschliessen zu können, muss es sich im Sinne eines Kernaufgabenprofils fokussieren. REINECKE und TOMCZAK identifizieren im Hinblick auf den z. T. kombinierten Einsatz verschiedener Kernaufgaben und Kompetenzen folgende exemplarische Typologien:460 1. Trendsetter, 2. Potentialsausschöpfer, 3. Multiplizierer, 4. Marketingvirtuosen/ Mehrkämpfer. Typologien Trendsetter Potentialausschöpfer Multiplizierer Charakteristika Unternehmensbeispiel • Fokus auf Kundenakquisition und E-Plus Leistungsinnovation • Grenznutzen des Marketingbudgets liegt höher als bei Kundenbindung und Leistungspflege • Starker Fokus auf Werbung und Sponsoring zur schnellen Kundenakquisition • Stark differenzierte Preisgestaltung • Erfolgsprinzip: Permanente Innovation • Fokus auf Kundenbindung und Lufthansa Leistungspflege • Rohe Reichweite und Kundenstamm als Basis • Permanente Optimierung der bisherigen Marktingmaßnahmen • • Marketingvirtuosen/ Mehrkämpfer Fokus auf Kundenakquisition und McDonald’s Leistungspflege Zügige Skalierung einer erfolgreichen Geschäftsidee (z. B. durch Franchising) Gleichwertiger Fokus auf alle vier Swisscom Kernaufgaben Abbildung 17: Typologien im Hinblick auf Marketing-Kernaufgaben und -Kompetenzen Quelle: TOMCZAK, REINECKE, 1996, S. 9 ff. 459 460 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 24 f. TOMCZAK/REINECKE, 1996, S. 9 ff., TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 28 ff.; REINECKE, 2004, S. 214 ff. 108 4.2.5 Auswahl des theoretischen Bezugsrahmens Insgesamt lässt sich feststellen, dass der aufgabenorientierte Ansatz als potentieller Ordnungsrahmen für die Werbestrategiekonzepte von BIDLINGMAIER, KROEBER-RIEL und BRUHN gegenüber der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF keinen maßgeblichen zusätzlichen Erkenntnisgewinn liefert. Die Kerndimensionen sind inhaltlich synonym, insofern als dass die Produktperspektive von ANSOFF im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes von TOMCZAK und REINECKE als Leistungsperspektive verstanden wird. Ebenso ist ANSOFFs Dimension Markt auch kundenbezogen interpretierbar. Ein weiteres Gegenargument für die Verwendung des aufgabenorientierten Ansatzes als theorieleitenden Rahmen ist die unvollständige Kompatibilität zwischen Marketingstrategie und Werbestrategien in der Ausprägung „Werbekampagne“ als zentrale Untersuchungsgröße. So sind absatzbezogene – und damit für diese Untersuchung relevante – Werbekampagnen in der Regel produkt- bzw. leistungsspezifisch, während mit dem aufgabenorientierten Ansatz die Marketingstrategie eines Geschäftsbereichs insgesamt erfasst wird. Somit decken sich Werbekampagnen nicht zwangsläufig mit der Strategie nach den vier Kernaufgaben, sondern setzen oftmals nur Teilaspekte um. Einen zusätzlichen Erklärungswert bietet der Ansatz von REINECKE und TOMCZAK jedoch im Hinblick auf die Verknüpfung der marktbezogenen Strategien mit den auf Seiten des Unternehmens dafür notwendigen Kompetenzen. Außerdem entspricht das dem aufgabenorientierten Ansatz von TOMCZAK und REINECKE461 zugrundeliegende Verständnis von Marketingstrategien als Kernaufgaben dem handlungsleitenden Zielcharakter des zu entwickelnden Werbestrategiemodells, weshalb die Begrifflichkeit „aufgabenorientiert“ übernommen wird. Die Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF bildet somit die theoretische Grundlage für Strukturierung der von BILDINGMAIER, KROEBER-RIEL und BRUHN identifizierten, aber vielfach unsystematischen Werbestrategien. Dem aufgabenorientierten Ansatz von REINECKE und TOMCZAK kommt ein theorieergänzender bzw. theorievertiefende Funktion im Hinblick auf den – im Sinne eines hohen Praxisbezugs – handlungsleitenden Charakter sowie die Aspekte der die Strategien bedingenden Kompetenzen zu. 461 TOMCZAK/REINECKE, 1996, 1999; TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007 109 4.3 Elemente des vorläufigen Modells Dimensionen Bei der Darstellung der verschiedenen Systematisierungen von Werbestrategien wurden auch die unterschiedlichen zentralen Unterscheidungsdimensionen (Absatzeffekt, Produkte/Märkte, Werbewirkung) analysiert und kritisch bewertet (vgl. Kapitel 3.3). Aufgrund dessen sowie im Hinblick auf die Kern-Dimensionen der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF erscheint eine Systematisierung von Werbestrategien nach folgenden zwei Dimensionen am sinnvollsten: 1. Aktualitätsgrad der beworbenen Leistung (alt/neu). 2. Aktualitätsgrad bei dem adressierten Markt bzw. der adressierten Zielgruppe (alt/neu). Für eine Systematisierung des Modells nach diesen beiden Dimensionen sprechen vor allem folgende Gütekriterien: • Relevanz; • Universalität; • Eindeutigkeit. Die Relevanz leitet sich zum einen aus der vielfachen Verbreitung und Adaption des Modells der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF462 ab. Zudem wird die grundsätzliche Bedeutung der Ansoffschen Analyse-Dimensionen für die Werbestrategie von verschiedenen Autoren betont. So u.a. von SCHULTZ und BARNES, indem sie die einseitige Fokussierung auf neukundenorientierte Akquisitionskommunikation kritisieren und eine stärkere Berücksichtigung von kundenbindender Werbung anregen463. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Mediawerbung als einem defensive weapon.464 Universalität ist insofern gegeben, als dass sich beide Dimensionen auf jede Werbekampagne anwenden lassen. Eindeutigkeit besteht insofern, dass beide Dimensionen eine eindeutige Zuordnung von Kampagnen zulassen, wobei natürlich die graduellen Abstufungsunterschiede zwischen den Ausprägungen alt und neu berücksichtigt werden müssen. Die an den unterschiedlichen Werbewirkungsmodellen orientierten Systematisierungen465 erscheinen als Kerndimensionen zur Unterscheidung von Werbetypen ungeeignet, weil zum einen in der Praxis für eine Kampagne häufig mehrere Wirkungseffekte (Information und Markenbildung) angestrebt werden und weil zum anderen die Determinanz anderer Aspekte (neu- 462 ANSOFF, 1979, S. 27 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 23 f. 464 SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 24 465 KOTLER/BLIEMEL, 1995, S. 339; BRUHN, 2005a, S. 211 463 110 es Produkt/Leistung versus altes Produkt/Leistung; Involvementgrad) als stärker und deshalb relevanter eingestuft wird. Indikatoren Die vorliegende Forschung zu Werbestrategien hat ein breites Spektrum beschreibender Elementen ergeben, die zur Bestimmung einer Werbestrategie beitragen (Vgl. Kapitel 3.2). Es ist zu prüfen, welche dieser Elemente als Indikatoren einen relevanten Erklärungscharakter für die modellbasierte Unterscheidung von Werbestrategietypologien haben: • Branchenzugehörigkeit des Werbesubjekts; • Involvementcharakter des Werbeobjekts: • Werbemittel; • Media-Mix (Auswahl, Stellenwert im Kommunikationsmix, Wahl des Leitmediums), • Werbebudget; • kommunikative Werbeziele; • Positionierung; • Werbebotschaft; • Werbetiming (Länge, Verlauf) und • Werbeareal. Branchenzugehörigkeit des Werbesubjekts In den wenigen Praxisbeispielen der dargestellten Systematisierungsansätze von Werbestrategien wird kein expliziter Hinweis auf die Bedeutung der Branchenzugehörigkeit gegeben. Zudem erscheint der in Verbindung zum Branchenbezug stehende Involvementcharakter (Automobil=High Involvement) als Untersuchungsaspekt relevanter. Deshalb wird auf eine explizite Berücksichtigung von Branchenzugehörigkeit als Indikator verzichtet. Involvementcharakter des Werbesubjekts Eine besondere Bedeutung kommt in der Werbekommunikation nach PETTY und SCHUMANN der Einflussgröße „Involvement“ zu.466 Mit Involvement oder Ich-Beteiligung bezeichnet man nach KROEBER-RIEL und WEINBERG467 das Engagement, mit dem sich jemand einem Gegenstand oder einer Aktivität widmet. Involvement ist sozusagen ein Maß für die individuelle, persönliche Bedeutung, die jemand einer Leistung (Produkt, Dienstleistung) in einer spezifischen Situation beimisst. Die Stärke des Involvement wirkt sich nach TROMMSDORFF auf die objektgerichtete Informationssuche, -aufnahme, -verarbeitung und -speicherung aus.468 466 PETTY/SCHUMANN, 1983 KROEBER-RIEL/WEINBERG 2008, S. 316ff. 468 TROMMSDORFF, 2004, S. 56 467 111 In der Kaufverhaltens- und Werbewirkungsforschung wird dem Involvement ein wichtiger Erklärungsbeitrag zugesprochen.469 Generell dient Involvement zur Kategorisierung und Beschreibung von Kaufentscheidungsprozessen und zur Erklärung bzw. Abschätzung der Werbewirkung, wobei zwischen hohem („high involvement“) und niedrigem Involvement („low involvement“) unterschieden wird. Bei high involvement wendet der Konsument viel Zeit und Mühe für die Auswahl und Prüfung von Alternativen auf, sucht aktiv Informationen zur angebotenen Leistung, die seine Entscheidung stützen und setzt sich somit gedanklich intensiv mit der Leistung auseinander. Bei low involvement ist die Informations- und Alternativsuche dagegen deutlich beschränkt. Der Kauf erfolgt oft spontan ohne umfassende Reflexion.470 Werbemittel In den vorgestellten Systematisierungen wird punktuell auf den Einsatz bestimmter Werbemittel (z. B. Bewegtbild) bezogen auf bestimmte Werbestrategien eingegangen. Da Werbemittel weitestgehend analog zum Werbeträger eingesetzt werden (Werbemittel Bewegtbild erfordert als Werbeträger Fernsehen oder Kino), erscheint der Media-Mix als zu berücksichtigende Indikatorgröße ausreichend. Media-Mix Die wenigen Praxisbeispiele in den vorgestellten Systematisierungen (vgl. Kapitel 3.3) stellen den Einsatz bestimmter Medien (Werbeträger) als charakteristische Werbestrategieelemente in den Fokus.471 Dementsprechend sollte der Media-Mix im Hinblick auf drei Aspekte als Indikator Berücksichtigung finden: 1. der Stellenwert des Media-Mixes einer Werbekampagne im Verhältnis zum GesamtKommunikations-Mix; 2. die Auswahl und Gewichtung der eingesetzten Werbemedien; 3. die Auswahl des Leitmediums (bezogen auf den Budgetanteil bzw. die Gesamtstrategie). Wahrscheinlich ist das Leitmedium das Werbeinstrument, für das der größte Budgetanteil aufgewendet wurde. Dennoch sollte in der Untersuchung geprüft werden, welches Instrument aus kampagnenstrategischer Perspektive Leitfunktion übernommen hat. Werbebudget Die bestehenden Publikationen zur Werbebudgetierung legen die Berücksichtigung dieses Indikators nahe.472 Zudem findet sich in der Systematisierung von SEYFFERT der explizite Hinweis auf den Faktor Budget bei „Einführungswerbung“473. Problematisch ist jedoch neben der Zugänglichkeit der Budgetdaten generell eine saubere Abgrenzung des Werbebudgets von 469 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 32 SCHWEIGER/SCHRATTENECKER, 2005, S. 32 471 BRUHN, 2005a, S. 386 472 BENZ, 1981, S. 88; PUDENZ, 1978; RAHDERS, 1989 473 SEYFFERT, 1963, S. 34 470 112 anderen Teilen des Marketingbudgets. Generell erscheint der Indikator Budget im Hinblick auf zwei Ausprägungen prüfenswert: Die Höhe des eingesetzten Werbebudgets insgesamt sowie der Anteil, der ausschließlich auf die Mediawerbung verwandt wurde. Kommunikative Werbeziele Kommunikative Ziele sind ein Kernelement der Werbestrategie (vgl. Kapitel 3.2). Dementsprechend sind sie als Indikator in der folgenden Untersuchung zu berücksichtigen. Positionierung Mit der (Marken-)Positionierung differenziert sich ein Produkt bzw. eine Leistung vom Wettbewerb. Wie in Kapitel 3.2.4 beschrieben kann von vier Positionierungsstrategien ausgegangen werden, aus denen sich die entsprechende Werbebotschaft bzw. -stil ableitet. Da die Positionierung maßgeblich den Charakter einer Werbekampagne bestimmt, sollte sie als Indikator in die Untersuchung der Archetypen berücksichtigt werden. 113 Werbebotschaft Aus der jeweiligen Positionierung ergibt sich eine eher emotionale bzw. eine eher sachlichinformative Werbebotschaft (vgl. Kapitel 3.2.4). Diese Differenzierung sollte als Indikator in der folgenden Untersuchung berücksichtigt werden. Werbetiming Wie in Kapitel 3.2.5 dargestellt unterscheiden sich Kampagnen grundsätzlich im Hinblick auf ihre Dauer und den Verlauf (Intensität des Werbedrucks pro Zeiteinheit). Als Indikator für die Differenzierung von Werbestrategietypen ist „Werbetiming“ aus folgenden Gründen jedoch kritisch zu bewerten: • die Länge der Kampagne hängt häufig von Höhe des Budgets ab, • in der operativen Umsetzung (Media-Planung) ergeben sich im Hinblick auf die Länge und den Verlauf kurzfristig Verschiebungen aufgrund von Faktoren wie z. B. bereits belegter Werbeblöcke, preisattraktiver Alternativangebote, • Kampagnen werden abhängig vom Grad der Zielerreichung im Verlauf verlängert, verkürzt bzw. modifiziert. Werbeareal Auch die Entscheidung darüber, wo (landesweit, regional) geworben wird, erscheint sehr stark dem situativen Kontext geschuldet (Marktareal des werbenden Unternehmens) und deshalb als strategiedeterminierenden Element weniger relevant. Eine Relevanz kommt diesem Aspekt sicherlich dann zu, wenn es um nationale versus internationale Kampagnen geht. Im Hinblick auf diese Einflussfaktoren erscheint der Erklärungswert von „Werbetiming“ eher gering, weshalb es als Indikator keine Berücksichtigung findet. Somit erscheinen als Modellindikatoren für die Untersuchung relevant: Werbebudget, MediaMix (Stellenwert Mediawerbung insgesamt, Auswahl des Leitmediums), kommunikative Werbeziele, Positionierung und Werbebotschaft. Kommunikativer Erfolg als subjektive Zielgröße Wie bereits dargestellt, ist im Bezug auf Werbekommunikation der kommunikative Erfolg in Form entsprechender Erfolgsgrößen (gestützte bzw. ungestützte Bekanntheit, Beliebtheit etc.) die maßgebliche Zielgröße. Er bildet in der Regel eine wichtige Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg eines Produktes oder einer Leistung. 114 Nach STEFFENHAGEN und SIEMER474 gibt es insgesamt sechs Gütekriterien475 für Werbeziele, von denen folgende drei für die vollständige Bewertung des kommunikativen Erfolgs relevant erscheinen: 1. Erreichungsgrad; 2. Relevanzgrad; 3. Adäquanzgrad. Die Messung des Erreichungsgrades setzt eine entsprechende Güte der Werbezielformulierung voraus.476 Deutliche Defizite im Hinblick auf die Tauglichkeit der Werbezielformulierung wurden bereits von STEFFENHAGEN und SIEMER477 empirisch belegt und in einer eigenen Erhebung mit ähnlichem Untersuchungsdesign (siehe Kapitel 3.2.2) bestätigt. Jedoch auch bei vollständig und zugleich präzise formulierten Werbezielen lässt sich der Erreichungsgrad nur bedingt objektiv prüfen, da zum einen die entsprechenden Planwerte von den Unternehmen intern festgelegt werden und gleichzeitig die Ist-Werte oftmals auf Erhebungen und Auswertungen basieren, die von den Unternehmen in Auftrag gegeben wurden und nur diesen im Detail vorliegen. Dementsprechend kann der Zielerreichungsgrad des kommunikativen Erfolgs nur durch das kritische Hinterfragen und Plausibilitätsprüfungen (im Hinblick auf die übrigen Werbemaßnahmen sowie von Wettbewerbern) der von den Unternehmen proklamierten Plan- und Ist-Werte sowie weiterer Erfolgs-Aussagen überprüft werden. Das schließt die Möglichkeit ein, dass Kampagnen grundsätzlich erfolgreich sind – jedoch nicht im Sinne der ursprünglichen Planung bei bestimmten Zielgruppen oder in Bezug auf bestimmte Zielwerte (Bekanntheit, Beliebtheit etc.). Hier ist durch eine genaue Prüfung (idealerweise auf Basis mehrerer Datenquellen, deren Informationen gegenübergestellt werden) sicherzustellen, dass die Planwerte nicht nachträglich aus „kosmetischen“ Gründen durch die Ist-Werte ersetzt wurden. Die Notwendigkeit einer solchen multimethodenbasierten Kreuzvalidierung besteht ebenfalls für die Überprüfung des Relevanzgrades. Oftmals werden Kampagnenziele formuliert und erreicht, die für die jeweilige Aufgabenstellung der Kampagne keine oder nur wenig Relevanz hatten. Darüber hinaus ist mit dem Adäquanzgrad zu überprüfen, ob das gesetzte relevante Ziel gemessen an der Unternehmens- und Marktsituation angemessen ambitioniert ist. 474 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 47 f. Nach STEFFENHAGEN/SIEMER (1996, S. 47 f.) müssen taugliche Werbeziele werbebedingt sein, eine selektive Steuerungskraft aufweisen, operationalisierbar sein, Teil eines Systems von Ober- und Unterzielen sowie Haupt- und Nebenzielen sein, relevant für die Gesamtheit der übergeordneten Marketing-Ziele sowie situationsgerecht sein. 476 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 47; ROGGE, 1982, S. 44 477 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 48 ff. 475 115 Notwendige Kompetenzen zur Erfüllung der Werbe-Kernaufgaben In Analogie zum aufgabenorientierten Ansatz von TOMCZAK und REINECKE soll für die vier definierten Werbestrategie-Archetypen nach den spezifischen Kompetenzen (z. B. für „Expansionswerbung“) geforscht werden. Zwar sind diese bereits auf der Meta-Ebene der Marketing-Kernaufgaben identifiziert478, jedoch erscheint es sinnvoll, zu prüfen, inwiefern sie auf der Ableitungs-Ebene der Werbestrategie modifiziert bzw. spezifiziert werden müssen. Die Schlüsselfragen im Hinblick auf die notwendigen Kompetenzen zur Entwicklung von inter- und intrakonsistenten Werbestrategien lauten somit: • Welche Kompetenzen sind auf Unternehmens- und Mitarbeiterebene erfolgskritisch? • Wie sieht ein sinnvoller Werbeplanungsprozess, der in Verbindung mit den als erfolgskritischen identifizierten Kompetenzen die konsistente, vollständige und adäquate Übersetzung der Marketingstrategie für eine Leistung in eine entsprechende Werbestrategie und deren weitere stringente Kampagnen-Operationalisierung gewährleistet? 4.4 Forschungsleitende Fragestellung Auf Grundlage des identifizierten Forschungsbedarfs zur Differenzierung und Systematisierung von Kerntypen aufgabenorientierter Werbestrategien lautet die zentrale Fragestellung für die nachfolgende empirische, hypothesengenerierende Untersuchung: Welche Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien lassen sich unterscheiden? Aus dieser übergreifenden Fragestellung leiten sich folgende Sub-Forschungsfragen ab: 1. Welche Merkmale charakterisieren die unterschiedlichen Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien? 2. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Archetypen auf Basis der Produkt-MarktMatrix von ANSOFF systematisieren? 3. Welche Kompetenzen beeinflussen die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung unterschiedlichen Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien? Charakterisierung der Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien Auf Grundlage der bereits publizierten Überlegungen zur Charakterisierung von Werbestrategie werden folgende Indikatoren mit hohem Erklärungsfaktor als relevant untersucht: • Werbebudget (Kommunikation insgesamt, nur für Mediawerbung); • Media-Mix (Stellenwert Mediawerbung insgesamt, Auswahl des Leitmediums); 478 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 20 ff. 116 • kommunikative Werbeziele; • Positionierung; • Grad des Involvement; • Werbebotschaft. Wie im Bezugsrahmen skizziert dient der Indikator „Stellenwert Mediawerbung“ dazu, die Bedeutung der übrigen Kommunikationsinstrumente (z. B. Direktmarketing, PR etc.) in der Untersuchung der Werbestrategie-Typen zu berücksichtigen. Als beschreibende Größe des Stellenwertes wird der Budget-Anteil von Mediawerbung dem für die übrigen Kommunikationsinstrumente gegenübergestellt. Ebenso wird die Verteilung der Medien auf den Media-Mix und insbesondere die Identifizierung des Leitmediums am Budget-Anteil festgemacht. Der Charakter der Werbebotschaft wird im Hinblick auf den Grad der Emotionalität spezifiziert. Da die jeweilige Ausprägung dieser Indikatoren im Bezug zu den Werbestrategie-Typen in der vorhandenen Literatur oftmals diffus ist (vgl. Kapitel 3.3), steht im Fokus der nachfolgenden Untersuchung die Frage, welche Ausprägung die als relevant identifizierten Indikatoren im Bezug auf den jeweiligen Werbestrategie-Typ haben. Im Sinne eines theoriegenerierenden explorativen Vorgehens wird allen fünf Indikatoren das gleiche Gewicht bei der Erklärung der Werbestrategie-Typen zugesprochen. Ziel der Untersuchung ist dementsprechend, hier zukünftig zu einer differenzierteren Betrachtung zu kommen. Als diesen Indikatoren übergeordnete Einflussgröße wird außerdem der Grad des bei der anvisierten Zielgruppe antizipierten persönlichen Involvements im Bezug auf das beworbene Produkt bzw. Leistung untersucht. Der Grad der Ausprägung eines Indikators für einen spezifischen Archetyp wird immer in Relation zum Grad der Ausprägung dieses Indikators bei den übrigen Archetypen bestimmt. Generell ist bei der Untersuchung der vier Werbestrategie-Archetypen zu prüfen, ob es weitere Sub-Werbestrategien gibt, die hohen Unterscheidungscharakter aufweisen. Möglicherweise haben diese Differenzierungen aber auch eher taktisch-operativen Charakter (z. B. vergleichende Werbung), sind nicht strategiebestimmend und bleiben somit für die Modellierung unberücksichtigt. Systematisierung auf Basis der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF Aus der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF ergeben sich folgende Dimensionen zur Systematisierung der charakterisierten Werbestrategie-Archetypen: 1. Der Produkt-/Leistungscharakter (alt/neu); 2. Der Markt bzw. Zielgruppencharakter (alt/neu). 117 Dementsprechend ist zu überprüfen, inwiefern sich die identifizierten WerbestrategieArchetypen innerhalb dieses Rasters abbilden lassen. Dabei ergeben sich folgende Fragen: • Gibt es Varianten, die sich nicht sinnvoll einordnen lassen und die die Verwendung eines anderen Rasters mit anderen Dimensionen nahelegen? • Bleiben möglicherweise im Raster Lücken, die von keiner der identifizierten Werbestrategien besetzt werden? Wenn ja, was sind die möglichen Gründe dafür? Kompetenzen zur Entwicklung und Implementierung von Werbestrategien Die Konsolidierung der bereits vorliegenden Forschungsergebnisse und Publikationen hat verdeutlicht, welche Bedeutung die Frage der notwendigen Rahmenbedingungen bzw. Kompetenzen in Verbindung mit der Entwicklung und Implementierung von Werbestrategien hat. Dementsprechend lautet eine weitere Folgefrage: Welche Kompetenzen beeinflussen die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung von Werbestrategien? Gemäß BRUHN wird zur Beantwortung dieser Frage zwischen organisatorisch-strukturellen und personell-kulturellen Kompetenzen unterschieden. 479 Darüber hinaus ist außerdem der strukturelle Kontext, innerhalb dessen sich Strategien als iterative Prozesse der Ressourcenallokation vollziehen, zu berücksichtigen.480 Nachfolgend werden die formulierten Methodendesigns empirisch überprüft. Fragestellungen im Rahmen eines Multi- Im Hinblick auf die zentralen Forschungsfragen stehen damit folgende Aspekte im Fokus der Prüfung: 1. Welche Typologien lassen sich anhand der identifizierten Indikatoren in der Praxis wiederfinden? Ergeben sich aus der Detailanalyse Hinweise auf die Relevanz der angenommenen Unterscheidungskriterien (z. B. Einsatz und Budgetierung der Kommunikationskanäle)? Gibt es weitere Kriterien, die in der Folgeuntersuchung berücksichtigt werden sollten? 2. Gibt es womöglich Praxisbeispiele, die sich nicht in das Raster der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF einordnen lassen, auch keine Mischform darstellen, sondern die grundlegende Systematisierung mit ihren Dimensionen infrage stellen und daher eine Korrektur bzw. Erweiterung des Modells nahelegen? Die entsprechenden empirischen Befunde werden auf Basis von Fallstudien dokumentiert und auf Basis von Expertenworkshops mit dem Ziel einer fallübergreifenden Vergleichbarkeit kreuzvalidiert. 479 480 BRUHN, 2005a, S. 118 ff. MÜLLER-STEWENS/LECHNER, 2003, S. 66 f.; BOWER, 1970, S. 67; NODA/BOWER, 1996, S. 57 ff. 118 5. Konzeption der empirischen Untersuchung 5.1 Forschungsprozess und Forschungsmethodik im Überblick Der Forschungsprozess beschreibt die Entwicklung, empirische Überprüfung und Weiterentwicklung des dieser Arbeit zugrunde liegenden gedanklichen Bezugrahmens.481 Es handelt sich um einen iterativen Lernprozess482 im Sinne einer praxisgeleiteten Forschung483, weil die zugrundeliegenden Annahmen abwechselnd und mehrfach abstrahiert sowie im Anwendungszusammenhang überprüft werden. Die Untersuchungsphasen werden somit nicht streng sequentiell durchlaufen.484 Im Hinblick auf den Forschungsgegenstand und den Stand der bisherigen Forschung zu Werbestrategien erscheint ein ausgeprägt induktives exploratives, hypothesengenerierendes Vorgehen notwendig, dem ein konstruktivistischer Ansatz zugrunde liegt, bei dem eine Systematisierung auf Grundlage der Sicht der involvierten Verantwortlichen entwickelt werden soll. So liegt mit den in das Grundraster der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF eingeordneten Werbestrategien von BILDINGMAIER, KROEBER-RIEL und BRUHN ein Untersuchungsmodell vor, das jedoch in seinem Reife- und Erklärungsgrad noch deutlich der empirischen Fundierung durch explorative Methoden bedarf. Ein deduktives, theorieüberprüfendes Vorgehen in Verbindung mit quantitativen Verfahren erscheint dem Forschungsgegenstand somit nicht angemessen. Vielmehr erscheint ein qualitatives Vorgehen mit dem Ziel der Induktion aus mehreren Gründen sinnvoll: • Ganzheitliche Betrachtung und Offenheit: Wie in Kapitel 1.2 und 3 dargelegt weisen die bisherigen Veröffentlichungen zum Forschungsgegenstand zum einen deutliche Lücken auf und entbehren zum anderen eines klaren Bezugs zur Werbepraxis. Eine möglichst umfassende, ganzheitliche Beschreibung im Sinne von MAYRING485, FLICK486, DAVIS487 und GIORGI488 ist als Kernelement qualitativer Ansätze notwendig, um alle möglicherweise relevanten Aspekte zum Forschungsgegenstand tatsächlich zu erfassen und kein Element vorschnell auszuschließen. Dementsprechend ist dem Forschungsgegenstand nach MAYRING mit „möglichst großer Offenheit“489 gegenüberzutreten. Alltagsorientierung, d.h. ein Forschungsvorgehen, das im konkreten Fall möglichst nah an der normalen Arbeitssituati- 481 ULRICH/HILL, 1979, S. 181 TOMCZAK, 1992, S. 181 483 ULRICH, 1981, S. 21 484 ULRICH, 1981, S. 7 ff.; TOMCZAK, 1992, S. 83 f.; HIL/FEHLBAUM/ULRICH, 1994, S. 38 ff. 485 MAYRING, 2002, S. 21 ff. 486 FLICK, 2005, S. 54 487 DAVIS, 1981, S. 23 ff. 488 GIORGI, 1985, S. 51 f. 489 MAYRING, 2005, S. 25 482 119 on bei der Entwicklung und Umsetzung von Werbestrategien ansetzt, ist Teil der Grundprinzipien Offenheit und Ganzheitlichkeit qualitativer Forschungsmethoden.490 • Interpretation: Qualitative Verfahren implizieren auch die Berücksichtigung des Vorverständnisses eines Gegenstandes im Sinne einer Introspektion.491 Die ganzheitliche und alltagsnahe Vorgehensweise schafft die Voraussetzungen dafür, erfasste Daten in Zusammenhang zu setzen, zu hinterfragen und entsprechend zu gewichten. Diese Stärken eines qualitativen Vorgehens erscheinen im Hinblick auf den Aspekt der sozialen Erwünschtheit bei der Diskussion von Werbeerfolgen äußerst wichtig. • Schrittweise Verallgemeinerungen: Ein qualitativ induktives Vorgehen, BOHNSACK spricht auch alternativ von einem „reflexiven“492 Verfahren, erlaubt die schrittweise argumentative Verallgemeinerung der gesammelten Erkenntnisse mit den entsprechenden Verweisen zu den Möglichkeiten der weiteren induktiven Prüfung.493 Um dem Anspruch einer ganzheitlichen Betrachtung und zugleich hohen Praxisrelevanz gerecht zu werden, erscheint der Einsatz von Fallstudien als qualitative Forschungsmethode sinnvoll.494 Im Sinne einer maximalen Daten-Repräsentativität und Validität wird ein MultiMethodendesign mit folgenden Datenquellen bzw. Methodiken eingesetzt: 1. Dokumentenanalyse, 2. Experteninterviews, 3. Expertenworkshop. Dokumentenanalyse und Experteninterviews dienen dazu, die einzelnen Kampagnenbeispiele möglichst umfassend und genau beschreiben und analysieren zu können. Ziel dabei ist es, zu evaluieren, ob es zu den vier aus dem Modell der aufgabenorientierten Werbestrategien entwickelten Archetypen praktische Entsprechungen gibt – und, wo die Fallbeispiele dem definierten Archetyp entsprechen, bzw. wo sie von ihm abweichen. Gleiches gilt für das Gesamtmodell des Werbeplanungsprozesses, für welches zunächst mögliche Analogien aus dem Bereich des Projektmanagements recherchiert werden, um diese dann mit den Erkenntnissen aus den Experteninterviews anzureichern. Mit dem abschließenden Expertenworkshop als methodischer Variante einer Gruppendiskussion495 soll das Ziel einer fallübergreifenden komparativen Analyse verfolgt werden, in der – im Sinne einer Triangulation496 – die fallstudienbasierten Einzelerkenntnisse zu Werbestrategie-Typen und idealtypischem Werbeprozessmodell in einem Gesamtkontext gestellt und diskutiert werden. 490 MAYRING, 2005, S. 24, S. 27 f.; BOHNSACK, 2007, S. 11, LAMNEK, 2005, S. 17 ff., HOFFMANNRIEM, 1980 491 MAYRING, 2005, S. 25, S. 29 ff.; FRIEDRICHSMEIER/MAIR/BREZOWAR, 2007, S. 10 492 BOHNSACK, 2007, S. 11 493 MAYRING, 2005, S. 25 494 YIN 1994, S. 12; FRIEDRICHSMEIER/MAIR/BREZOWAR, 2007, S. 10, GERRING, 2006, S. 37 ff. 495 LAMNEK, 1995a; LOOS/SCHÄFFER, 2001; BOHNSACK, 2003 496 FLICK, 2007, S. 22 120 Nachfolgend wird nun begründet, warum die gewählten Forschungsmethoden zur Bearbeitung der Forschungsfrage zielführend sind. 5.2 Fallstudien als Forschungsmethode 5.2.1 Begründung für die Auswahl der Fallstudie als Forschungsmethode Die zu untersuchende zentrale Fragestellung, welche Werbestrategien sich in der Praxis unterscheiden lassen, bedingt eine qualitativ-explorative Vorgehensweise aus folgenden Gründen: • geringer Praxisbezug und unzureichender Detaillierungs- und Spezifizierungsgrad der vorliegenden Forschung; • soziale Erwünschtheit und Transparenz- bzw. Dokumentationsscheu als signifikante Störgrößen bei einer quantitativen Methodik; • hohe Praxisrelevanz durch eine möglichst anschauliche Darstellung des Untersuchungsgegenstandes bzw. der Untersuchungseinheiten. Der Forschungsgegenstand ist eng verknüpft mit der Frage von Zielerreichung vs. Zielverfehlung bzw. (Werbe-)Erfolg vs. Misserfolg. Dabei handelt es sich aus Unternehmenssicht häufig um sensible und schützenswerte Daten. Dementsprechend ist die Gefahr groß, dass bei Einsatz einer quantitativen Forschungsmethodik (z. B. auf Basis einer schriftlichen Befragung) der Feedback-Umfang (Anzahl der Teilnehmer, Umfang der gegebenen Auskünfte) aufgrund einer generellen Transparenz- bzw. Dokumentationsscheu gering ausfällt und zudem die Qualität der Antworten stark beeinflusst wird durch das Maß an sozialer Erwünschtheit (bestimmende Zielgrößen: Erfolg, Zielgerichtetheit und Konsistenz des Handelns). Ein weiteres Argument für den Einsatz eines qualitativen Vorgehens ist die angestrebte hohe Praxisrelevanz. Nur ein exploratives Verfahren bietet das Maß an Offenheit, das notwendig ist, alle Spezifika der Untersuchungseinheiten zu erfassen und somit eine anschauliche Darstellung zu ermöglichen, die den Vergleich und Transfer in der praktischen Umsetzung erleichtert. Auswahl der Forschungsmethodik Bei der Auswahl einer (qualitativen) Forschungsmethode sind nach YIN497 drei Aspekte zu berücksichtigen: 1. Die Art der Forschungsfrage, 2. die Kontrollmöglichkeiten des Forschers, 3. die Aktualität der Ereignisse. 497 YIN, 1994, S. 14 121 YIN analysiert fünf Forschungsstrategien in den Sozialwissenschaften (inklusive Fallstudien), die nach diesen drei Kriterien verschiedene Vor- und Nachteile aufweisen und somit die Wahl einer Methodik für das Forschungsvorhaben nahe legen. Strategie Forschungsfrage Kontrollmöglichkeit Analyse aktueller durch den Forscher Sachverhalte Experiment wie, warum Ja ja Befragung wer, was, wo, wie viel nein ja Archivanalyse wer, was, wo, wie viel nein ja /nein Historie wie, warum nein nein Fallstudien wie, warum nein ja Abbildung 18: Entscheidungsmatrix für Forschungsstrategien Quelle: In Anlehnung an YIN 1994, S. 6 Die Fallstudie ist nach YIN eine Form der empirischen Untersuchung, die ein zeitgemäßes Phänomen in seinem normalen Umfeld untersucht, speziell wenn die Grenzen zwischen den Phänomenen und seinem Umfeld nicht ganz klar sind.498 Durch die Fallstudie versucht der Forscher entsprechend explorativ und beschreibend Aussagen über den Untersuchungsgegenstand zu erlangen. Insbesondere komplexe soziale Phänomene können durch Fallstudien ganzheitlich und sinnvoll charakterisiert werden. Auch HEIMERL weist darauf hin, dass Fallstudien als Forschungsmethodik häufig zur Generierung von Hypothesen verwandt werden.499 Laut YIN ist die Methodik der Fallstudie vorteilhaft, wenn bei der Analyse aktueller Sachverhalte, auf die der Forscher kaum Einflussmöglichkeiten hat, die Forschungsfragen „Wie“ und „Warum“ lauten. WEBER ET AL. schränken diese Bedingungen weiter ein, indem sie postulieren, dass die Fallstudie für Warum-Fragen nur geeignet ist, wenn die Methode wie z. B. mehrstündige Interviews eine großzahlige Erhebung ausschließt.500 In der vorliegenden Untersuchung wird der aktuelle Einsatz von Werbestrategien ohne Kontrollmöglichkeit der Sachverhalte analysiert. Die Fragestellung bezieht sich darauf, „wie“ diese Werbestrategien charakterisiert sind (im Sinne von Grundtypen) und „warum“ bestimmte Indikatoren strategiebestimmend sind. Für ein fallstudienbasiertes Vorgehen stehen dabei verschiedene Gestaltungsalternativen zur Verfügung. Die vier von YIN entwickelten Grundtypen unterscheiden sich nach folgenden Kriterien: • 498 Anzahl der Fälle (Einzelfall-Studie vs. Mehrfall-Studie); YIN, 1994, S. 13 HEIMERL, 2007, S. 385 500 WEBER/MAYRHOFER/NIENHÜSEr ET AL:, 1994, S. 91 ff. 499 122 • Analyseebene (holistisch vs. eingebettet). Kriterium Fallanzahl Wird nur ein Fall (eine Person, ein Unternehmen) untersucht, spricht man von einem single case design (Einzelfall-Studie). Einzelfallstudien werden z. B. in der Medizin bei seltenen Krankheiten, bei wissenschaftlichen Phänomenen oder als kritischer Fall beim Theorietest verwendet.501 Außerdem gehen Lehrfallstudien zu Veranschaulichung eines bestimmten unternehmerischen Problems oder einer Theorie meistens von einem Fall aus. In der Literatur wird jedoch bezweifelt, ob sich Einzelfallstudien zur Hypothesenprüfung eignen.502 Werden dagegen mehrere Fälle in einer Studie erhoben und analysiert, so wird dies als multiple case design (Mehrfall-Studie) bezeichnet. Damit geht die Möglichkeit einher, dass neben der Analyse der Daten innerhalb eines Falles auch Analysen für alle Fälle übergreifend durchgeführt werden können. Im Gegensatz zur Einzelfallstudie findet die Mehrfallstudie als wissenschaftliche Forschungsmethode in den vergangenen Jahren immer mehr Akzeptanz. Es werden mehrere Untersuchungseinheiten bewusst ausgewählt, die innerhalb eines theoretisch abgesteckten Rahmens dann zu Verallgemeinerungen führen.503 Mehrfallstudien können laut YIN einerseits zur Vorhersage ähnlicher Ergebnisse (literal replication) oder zur Differenzierung aufgrund vorhersagbarer Gründe (theoretical replication) dienen. Kriterium Analyseebene Das zweite Differenzierungskriterium der Analyseebene unterscheidet, ob innerhalb eines Falles mehrere Analyseeinheiten (z. B. Individuen, Teams, Geschäftsbereiche) untersucht werden. Ist dies der Fall, spricht man von einem embedded case design. Beinhalten die Fälle dagegen genau eine Analyseeinheit, wird dies als holistic case design bezeichnet. Die Auswahl eines Grundtyps ist determiniert durch die jeweilige Forschungsfrage bzw. das Forschungsziel und die zur Verfügung stehenden Untersuchungseinheiten. Das skizzierte Modell aufgabenorientierter Werbestrategien mit vier verschiedenen Grundtypen bedingt den Einsatz einer Mehrfallstudie. Durch die Erfassung mehrerer Fälle pro Grundtyp (2-4) soll zusätzlich ein höheres Maß an Repräsentativität erreicht werden. Die gewählte Analyseebene ist somit holistisch, wobei im Sinne höherer Validität durch Cross-Validierung mehrere Personen pro Fall interviewt werden. Dementsprechend wird zur Beantwortung der Forschungsfrage ein holistisches Multi-Case-Verfahren gewählt. 501 YIN, 1994, S. 38 f. BOOS, 1992, S. 9 503 ROYER, 2000, S. 156; YIN, 1994, S. 45 f.; GUMMESSON, 2000, S. 83 f. 502 123 Anzahl der Fälle Analyseebenen Einzelfall-Studie Mehrfall-Studie Vorliegende Untersuchung Holistisch Eingebettet Abbildung 19: Entscheidungsmatrix zu den vier Fallstudien-Kerntypen Quelle: YIN 1994, S. 41 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Fallstudie durch Induktion und Erhebung hauptsächlich qualitativer Daten geeignet ist, komplexe sozial-wissenschaftliche Phänomene und Verhaltensweisen zu erforschen. Auf dieser Grundlage kann mit einer Fallstudienanalyse die Forschungsfrage zur Unterscheidung aufgabenorientierter Werbestrategien induktiv überprüft werden. Gemäß dem skizzierten Forschungsziel wird ein hypothesengenerierendes, holistisches Multi-Case-Verfahren eingesetzt. Ein Fall ist gemäß dem Forschungsziel eine konkrete B-to-C-Werbekampagne für die Leistung (Produkt bzw. Dienstleistung) eines Unternehmens, die das sichtbar gemachte Ergebnis der Werbestrategie für diese jeweilige Leistung ist. 5.2.2 Gütekriterien für den Einsatz von Fallstudien Generell ist beim Einsatz von Fallstudien eine Reihe von Gütekriterien zu beachten, die auch bei quantitativen Verfahren Anwendung finden, damit eine analytische Generalisierbarkeit auch bei einer geringen Anzahl von Fällen gegeben ist.504 • Objektivität, • Repräsentativität, • Validität, • Reliabilität. 504 GUMMESSON, 2000, S. 84; BONOMA, 1985, S. 199 124 Die Anwenderunabhängigkeit einer Methode wird als Objektivität bezeichnet. Vollständige Objektivität kann nur bei standardisierten quantitativen Verfahren gewährleistet sein. Bei einer qualitativen Fallstudienuntersuchung kann eine Objektivität nur zu einem gewissen Grad vorliegen. Durch ein standardisiertes Vorgehen bei jedem Fall und eine genaue Protokollierung der Daten kann eine Überprüfung durch andere Anwender erfolgen. Die Qualität der Ergebnisse hängt jedoch bei Forschungsfallstudien davon ab, inwieweit das Verständnis für den Fall und das Expertenwissen des Anwenders einfließen.505 Eine vollständige Objektivität sollte bei einer qualitativen Fallstudienuntersuchung nicht angestrebt werden. In der vorliegenden Untersuchung wird die Objektivität so weit wie möglich durch eine intersubjektive Überprüfbarkeit der Ergebnisse gewährleistet. Im Interviewleitfaden werden bei jedem Fall inhaltlich gleiche Fragen gestellt, was in der genauen Transkription der Interviews dokumentiert ist. Das Vorgehen bei den Fallstudien wird möglichst einheitlich gestaltet, so dass ein Vergleich der Fallstudien möglich ist. Die Repräsentativität oder Generalisierbarkeit von Daten wird bei qualitativen Untersuchungen oft angezweifelt.506 Diesem Kritikpunkt kann eine differenzierte Sicht der Generalisierbarkeit entgegengesetzt werden. Im Gegensatz zur statistischen Generalisierbarkeit quantitativer Verfahren wird bei der Fallstudienuntersuchung von einer analytischen Generalisierbarkeit gesprochen. Eine vorher entwickelte Theorie wird als Schablone genutzt und mit den empirischen Daten der Fallstudie verglichen. YIN spricht von einem fatalen Fehler, bei Fallstudien eine statistische Generalisierbarkeit anzustreben, da die Fälle nicht als Untersuchungseinheiten aufzufassen sind. Eine höhere Anzahl von Fällen trägt – analog quantitativer Verfahren - jedoch dazu bei, die aufgestellte Theorie oder ein Modell weiter zu bestätigen.507 Die Größe oder die Auswahl der Daten508 wird bei quantitativen Studien als repräsentativer Beweis angeführt. Der Schluss von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit stellt jedoch kein ausschließlich statistisches Problem dar. Bei der Interpretation von Stichprobenergebnissen sollten auch die theoretischen Hintergründe und inhaltlichen Argumente zur Rechtfertigung der Schlussfolgerungen herangezogen werden. Diese Argumentation verfolgen auch Studien nach dem Bayesschen Ansatz, bei dem neben Stichprobenergebnissen das Wissen des Forschers berücksichtigt wird.509 Bei der hypothesengenerierenden Fallstudie erfolgt die Auswahl nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern theoriegeleitet. Diese analytische Generalisierung von Theorien kann durch die Auswahl von „typischen“ Fällen erreicht werden. Als Voraussetzung dafür sollte dem For- 505 SCHOLZ/TIETJE, 2002, S. 334; BORTZ/DÖRING, 1995, S. 180 f. GUMMESSON, 2000, S. 1 f.; MÜLLER/BÖLING, 1996, S. 81; SCHOLZ/TIETJE, 2002, S. 336 f. 507 YIN, 1994, S. 30 ff. 508 BORTZ/DÖRING, 1995, S. 369 ff. 509 BORTZ/DÖRING, 1995, S. 373 und S. 431 506 125 scher der theoretische Hintergrund vertraut sein, um die Repräsentativität der ausgewählten Fälle zu erkennen.510 Ebenso wird in der vorliegenden Untersuchung eine analytische Generalisierbarkeit angestrebt. Die Daten aus den erhobenen Fallstudien werden mit der theoretischen Grundlage abgeglichen, wobei die ausgewählten Fälle für Werbekampagnen typisch sind. Diese theoriegeleitete Auswahl führt dann zu einer analytischen Repräsentativität der Untersuchung. Allgemein spricht man von der Validität oder Gültigkeit eines Verfahrens, wenn es tatsächlich misst, was es zu messen vorgibt. Bei quantitativen Untersuchungen wird vorausgesetzt, dass für einen hohen Validitätsgrad nur geringfügige Messfehler auftreten dürfen.511 Für die qualitative Forschung stellt MAYRING die Relevanz des Gütekriteriums Validität grundsätzlich infrage.512 Andere Autoren dagegen präferieren Validität als Gütekriterium, wenn sie weniger durch Zahlen als durch logische Argumentation überprüft wird. In der vorliegenden Untersuchung werden die von ROYER513 sowie YIN514 vorgeschlagenen Validierungskonzepte für Forschungsfallstudien überprüft: • Konstruktvalidität: Maßgeblich ist hier die korrekte Operationalisierung des zu untersuchenden Konzeptes. In der Vormodellierung der aufgabenorientierten Werbestrategien wurden auf Basis der bisherigen Theorie zunächst drei Grundtypen unterschieden. Auf Basis der Fallstudieanalyse sollen diese Grundtypen induktiv zu einem allgemeingültigen Modell entwickelt werden. Zur Erhöhung der Konstruktvalidität sollten laut YIN viele Datenquellen benutzt, eine Argumentationskette aufgebaut und der Interviewte in die Auswertung einbezogen werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen richtig interpretiert werden. • Interne Validität: Im Zuge einer Prüfung der internen Validität wird eruiert, ob es sich in der Untersuchung um kausale Beziehungen oder nur um Scheinbeziehungen handelt. YIN schlägt zur Überprüfung vier verschiedene Analysearten (Pattern-Matching, Explanation Building, Program Logic Models, Time series Analysis) vor515, von denen für den Typ der vorliegenden Untersuchung das sogenannte explanation building als sinnvoll erachtet wird. Dabei werden die empirischen Daten mit den theoretisch formulieren Zusammenhängen verglichen. Das explanation building zielt darauf ab, die Fallstudiendaten durch den Aufbau von Erklärungen zu analysieren. In einem iterativen Prozess werden die anfänglichen theoretischen Erklärungen nach jedem Fall überarbeitet, um so zu den endgültigen Ergebnissen der Untersuchung zu gelangen. Dieses Vorgehen erscheint für die vorliegende Untersuchung sinnvoll, zumal auch für die Festlegung der Anzahl von Fällen ein 510 YIN, 1994, S. 10; BORTZ/DÖRING, 1995, S. 310 f. STIER, 1996, S. 56 512 MAYRING, 2002, S. 141 513 ROYER, 2000, S. 164 ff. 514 YIN, 1994, S. 32 ff. 515 YIN, 1994, S. 106 ff. 511 126 iteratives Vorgehen gewählt wurde. Nach jeder Fallstudie wird somit die theoretische Grundlage überprüft, um entsprechend dem Explanation-Building die interne Validität zu vergrößern. Insbesondere sollen in der vorliegenden Untersuchung durch Vergleich der Fallstudien sowie Analyse der Gründe für bestimmte Aussagen oder Vorgehensweisen der Unternehmen valide Ergebnisse ermittelt werden. • Externe Validität: Der Begriff der externen Validität beschreibt, inwieweit eine Repräsentativität oder Generalisierbarkeit der Daten vorliegt. Bei Fallstudienuntersuchungen wird eine analytische Verallgemeinerung angestrebt, bei der für jeden Fall die Hypothesen geprüft werden. Das Problem der Verallgemeinerung einer Theorie auf Basis von Fallstudien kann durch eine Replikation der Daten entschärft werden. Bei der Replikation wird die Untersuchung in Teilen kopiert. Bei gleichen Ergebnissen wird eine externe Validität angenommen.516 Die Replikation ist nur erforderlich, wenn die Untersuchung zu unerwarteten Ergebnissen führt.517 Bei der vorliegenden Untersuchung wurden entsprechend dem Vorschlag von BORTZ und DÖRING typische Fälle ausgewählt. Typische Auswahl bedeutet, dass die Fälle theoriegeleitet und gezielt vom Forscher ausgewählt werden und so eine „exemplarische Verallgemeinerung“ gewährleistet wird. BORTZ und DÖRING sprechen vom Prinzip der Offenheit in der qualitativen Forschung, bei dem während der Untersuchung ähnliche Fälle hinzugezogen oder kontrastierende Fälle ausgeschlossen werden können.518 Unter Reliabilität oder Zuverlässigkeit einer Untersuchung versteht man den Grad der Genauigkeit der Messung. Die Wiederholung einer Untersuchung sollte dabei zu den gleichen Ergebnissen führen. Bei Fallstudien kann dieser Forderung nur entsprochen werden, indem der Forscher eine Datenbasis schafft und die Daten genau dokumentiert. So können die Untersuchungen jederzeit von Dritten nachvollzogen werden. Der Forscher sollte laut YIN so vorgehen, „as if someone were always looking over your shoulder“519 Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung, auf die in dieser Untersuchung geachtet wird. Ein Vergleich der Fälle trägt außerdem zur Erhöhung sowohl der Reliabilität als auch der Validität einer Untersuchung bei.520 Ein Vergleich sowie die Dokumentation der Fälle sind für die vorliegende Untersuchung ebenfalls vorgesehen. Zusammenfassend wird die Erfüllung der Gütekriterien für das vorliegende Forschungsdesign durch verschiedene Vorgehensweisen sichergestellt. Die Repräsentativität und Validität der Daten kann durch iteratives Vorgehen, die Auswahl typischer Fälle, den Austausch mit Experten und Interviewten und die Dokumentation der Ergebnisse gewährleistet werden. Dies kann jedoch nur basierend auf einer umfassenden theoretischen Grundlage erfolgen. Außer516 YIN, 1994, S. 36 BORTZ/DÖRING, 1995, S. 37 518 BORTZ/DÖRING, 1995, S. 310 519 YIN, 1994, S. 37 520 LAMNEK, 1995b, S. 114 f.; Royer, 2000, S. 169 517 127 dem sind genaue Kenntnisse der Branche für eine branchenfokussierte Fallstudienuntersuchung unabdingbar. Dieses Wissen konnte der Autor durch seinen beruflichen Hintergrund sowie intensive Gespräche mit Experten verbunden mit ergänzenden Recherchen einbringen. Der hohe Informationsgehalt von Fallstudien und die Zulässigkeit der Induktionsschlüsse hängen somit vom Design der Fallstudienuntersuchung ab.521 5.3 Datenquellen der Fallstudienanalyse Generell gelten nach YIN drei Prinzipien der Datengewinnung, denen bei der Anwendung von Fallstudien als Forschungsinstrument entsprochen werden sollte: 1. Multimethodisches Vorgehen: Der kombinierte Einsatz mehrerer Verfahren und Datenquellen – oft bezeichnet als „Triangulation“522 – wird empfohlen, um die Validität der Forschungsergebnisse zu steigern.523 Dieses Vorgehen führt nur zu weitergehenden Erkenntnissen, wenn die Methoden dem theoretisch fundierten Untersuchungsgegenstand entsprechen und intersubjektiv nachprüfbar sind.524 2. Erstellen einer Datenbasis: Um für jede Fallstudie eine Datenbasis zu erstellen, werden Sekundärmaterialien, Beobachtungen, Interviews und Notizen teilweise in tabellarischer Form und mit vorläufigen Ergebnissen dokumentiert. 3. Logische Beweiskette: Die Daten müssen von der Fragestellung bis zu den Ergebnissen in einer logischen Abfolge nachzuvollziehen sein. Dieses Prinzip dient auch der Steigerung der Reliabilität. Im Sinne der Triangulation wird für diese Untersuchung die Verwendung mehrerer Datenquellen angestrebt. Zu den klassischen Erhebungsverfahren bzw. Datenquellen von Fallstudien gehören:525 • Dokumentenanalyse, • Beobachtung, • Gruppendiskussion und • Interview. Die Auswahl der jeweiligen Verfahren ist wiederum bedingt durch das Forschungsziel. Da es in dieser Untersuchung um die Analyse von Planungs- und Managemententscheidungen und -prozessen zu Werbestrategien geht, erscheint das Interview mit den jeweils Verantwortlichen 521 MÜLLER-BÖLING/KLANDT, 1996, S. 96 LAMNEK, 1995a, S. 248 f.; LAMNEK, 1995b, S. 402; YIN, 1994, S. 91 f.; VILLAR/MARCELO, 1992, S. 182; ROYER, 2000, S. 158 523 VILLAR/MARCELO, 1992, S. 182 524 LAMNEK, 1995a; S. 256 525 MAYRING, 2002, S. 41 522 128 sowie die Gruppendiskussion als ergiebigste Methoden bzw. Datenquellen. Die Dokumentenanalyse hat dazu flankierenden bzw. vorbereitenden Charakter. 5.3.1 Dokumentenanalyse Eine Datenquelle für das Forschungsziel sind öffentliche bzw. interne Dokumente. Dazu gehören vor allem: • Interne Konzepte und Präsentationen zur jeweiligen Kampagne; • Auswertungsergebnisse der internen bzw. externen Marktforschung; • Pressemitteilungen und Presseveröffentlichungen aus der Fach- und Allgemeinpresse zur jeweiligen Kampagne und der Marketingstrategie des Unternehmens generell; • öffentliche Kampagnendokumentationen (für Wettbewerbe wie ADC und Cannes Lions). den Effie und andere Branchen- Diese dokumentenbasierten Sekundärdaten wurden im Sinne der Triangulation mit dem Ziel der Datenvielfalt in der Untersuchung verwandt. Dies geschah in zweierlei Weise: • Basierend auf Vorrecherchen als zusätzliches Stimulus- und Diskussionsmaterial (AdHoc-Fragen) für die Interviews; • innerhalb oder nach den Interviews als belegendes bzw. erklärendes Material der Interviewpartner (z. B. Marktforschungsdaten, die den proklamierten Erfolg einer Kampagne belegen). Zusätzlich wurden die mittels der Dokumentenanalyse erhobenen Daten (insbesondere die Kampagnenporträts für den Effie) dazu genutzt, zu den ausführlich untersuchten 16 Kampagnen-Fallstudien als exemplarische Beispiele bestimmter Archetypen weitere Kampagnen mit Beispielcharakter zu identifizieren. 5.3.2 Fokussiertes, leitfadenbasiertes Interview Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe unterschiedlicher qualitativer Interviewtechniken526, die nach MAYRING eine generelle Offenheit in den Frageformulierungen und auch in den Antwortmöglichkeiten (Freiheitsgrad des Befragten) sowie die qualitative Auswertung der gewonnenen Informationen gemeinsam haben. Zentrales Unterscheidungskriterium ist nach MAYRING der Strukturierungs- bzw. Standardisierungsgrad.527 Er reicht vom problemzent- 526 527 LAMNEK, 1989, S. 77; LAMNEK, 1995b, S. 91 MAYRING, 2002, S. 67 129 rierten Interview528 als stärker strukturierter Interviewform bis zum narrativen Interview als einer schwach strukturierten Variante.529 Angesichts des vorliegenden Modells und der Entscheidung für den Einsatz hypothesengenerierender Fallstudien erscheint der Einsatz fokussierter, teilstandardisierter Interviews als eine Variante des problemzentrierten Interviews sinnvoll.530 Beim ursprünglich von MERTON und KENDALL531 entwickelten fokussierten Interview geht es um die Generierung oder Überprüfung von Hypothesen anhand eines vorformulierten Leitfadens, der zur Reduzierung der Prädetermination des Forschers sowie zur Erweiterung des zugrundeliegenden Modells auch verlassen werden kann.532 Damit fokussiert diese Interviewform auf eine konkrete Fragestellung, lässt dem Interviewpartner jedoch durch eine entsprechend offene Fragestellung größtmöglichen Spielraum bei der Beantwortung der einzelnen Fragen. Nach MAYRING ist die Offenheit zugleich mit dem Aufbau einer Vertrauensbeziehung zwischen Interviewer und Befragten verbunden, die bei idealer Ausgestaltung dem Interviewer die Chance bietet, zu ehrlicheren, reflektierteren und genaueren Antworten zu kommen, als es bei Anwendung eines standardisierten Fragebogens der Fall wäre.533 Dieser Aspekt hat beim vorliegenden Forschungsgegenstand eine besondere Relevanz, weil „Erfolg“ für den Befragten eine subjektive Größe ist (siehe Kapitel 4.2) und deshalb nur die Kampagnenverantwortlichen profunde Auskunft darüber geben können, mit welchen Zielen sie gestartet sind und wie sie den Erfolg ihrer Arbeit rückwirkend bewerten. Somit bietet ein leitfadenbasiertes, entweder persönlich oder telefonisch durchgeführtes Interview die Chance, mögliche Widersprüche, Ungereimtheiten oder Lücken in den Aussagen ad hoc zu hinterfragen, um so zu einer umfassenden und differenzierten Fallbeschreibung zu gelangen. Durch die Befragung mehrerer Experten pro Kampagnenfall ist eine fallinterne komparative Analyse im Sinne einer Triangulation gewährleistet. Für die Strukturierung und Durchführung der Interviews unterscheidet MAYRING drei Phasen bzw. Elemente:534 • Sondierungsfragen sind in der Regel allgemein gehaltene Einstiegsfragen in ein Thema. Dabei soll eruiert werden, welche Bedeutung das Thema für den Befragten hat und welche generelle Perspektive er zu diesem Thema einnimmt; • Die Leitfadenfragen zielen auf die Überprüfung der zentralen Fragestellungen und sind dementsprechend durch Formulierungsvorschläge und -alternativen dokumentiert; 528 WITZEL, 1982; WITZEL, 1985 MAYRING, 2002, S. 67 530 Ebd., S. 70 531 MERTON/KENDALL, 1979 532 LAMNEK, 1995b, S. 91 533 MAYRING, 2002, S. 69 534 Ebd., S. 70 529 130 • Ad-Hoc-Fragen ergeben sich spontan im Interviewverlauf, wenn sich neue Aspekte ergeben, die nicht Teil des Leitfadens sind, aber für die Forschungsfrage oder den Erhalt des Gesprächsverlaufes bedeutsam. Durchführung der Interviews Durch die teilweise Standardisierung der Interviews auf Basis eines Leitfadens ist eine größere Vergleichbarkeit innerhalb der vorgesehenen Multi-Case-Untersuchung gegeben. Die generierten Daten beziehen sich häufig auf identische Fragen, dementsprechend können Übereinstimmungen besser generalisiert werden.535 Basierend auf dem Forschungsziel und den zentralen Fragestellungen wurde ein Kernleitfaden entwickelt und im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Befragten zu einer der jeweiligen Auswahlgruppen modifiziert. Die entsprechenden Varianten A (Werbetreibende im Unternehmen), B (Dienstleister) und C (externe Experten) befinden sich in der Anlage zu dieser Arbeit. In einem Pretest wurde der Leitfaden in zwei Interviews getestet und geringfügig modifiziert. Die endgültige Fassung des Leitfadens in drei Varianten ist in der Anlage zu dieser Arbeit dokumentiert. Im einleitenden Teil des Interviews wurden zunächst Thema und Ziel der Untersuchung erläutert. Als Einstiegfragen dienten Fragen zum Unternehmen allgemein sowie zur Person des Befragten (aktuelle Position, beruflicher Hintergrund). Für die Beantwortung der Leitfadenfragen im Hauptteil wurde von einer konkreten Werbekampagne ausgegangen, für deren Planung und Umsetzung der Interviewpartner maßgeblich verantwortlich war bzw. zu deren Beurteilung er als Wettbewerber oder sonstiger Branchenexperte (siehe Auswahl der Fälle) über ausreichende Expertise verfügte. Dieser Kampagnenfokus wurde bereits bei der Auswahl der der Interviewpartner sowie bei ihrer Ansprache berücksichtigt, um den Befragten die Möglichkeit zu geben, entsprechende Informationen und Daten bei ihren individuellen Antworten berücksichtigen zu können. Das entsprechende Kontaktschreiben ist ebenfalls in der Anlage dokumentiert. Zunächst wurde den Befragten das entwickelte Modell der aufgabenorientierten Werbestrategien vorgestellt, und der Befragte um die Zuordnung der gewählten Kampagne gebeten. Ausgehend von dieser Klassifizierung wurden die als prägend identifizierten Indikatoren (Mediamix, Werbestil etc.) abgefragt. Dem Interviewpartner wurde dabei die Freiheit gelassen, weitere aus seiner Sicht für die jeweilige Werbestrategie charakteristische Indikatoren zu nennen und in ihrer spezifischen Ausprägung zu beschreiben. Gleichzeitig wurden die Befragten mit Meinungen anderer (Wettbewerber, Fachpresse) zur Strategie und Umsetzung der jeweiligen Kampagne konfrontiert, um möglichst reflektierte, offene und ehrliche Antworten zu gewährleisten. Als zusätzliches Instrument zur Vermeidung erfolgskonformer Aussagen, wurden in 535 Ebd., S. 70 131 den Fragebogen Kontrollfragen integriert, die dazu dienen sollten, Widersprüche aufzudecken und somit zu differenzierten und auch selbstkritischen Aussagen zu gelangen. Abschliessend zu diesem Fragekomplex wurden die Interviewpartner gefragt, ob die diskutierte Kampagne im Hinblick auf den Strategie-Archetyp, den sie repräsentiert, typisch sei und wie plausibel ihnen – vor dem Hintergrund ihrer allgemeinen Kampagnen-Erfahrung – das Gesamtmodell aufgabenorientierter Werbestrategien erscheine. Auf diesen spezifischen Frageteil folgten zum Abschluss Fragen zur Beschreibung und Bewertung des generellen Ablaufs von Werbeplanungsprozessen im Arbeitsbereich des Befragten. Diese sehr offen gehaltenen Fragen dienen dazu, Hinweise auf die Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren im Werbeplanungsprozess und bei der Entwicklung intra- und interkonsistenter Werbestrategien zu erhalten. Mit der Platzierung dieser Fragen am Ende des Interviews war die Absicht verbunden, eine bis dahin hergestellte offene und vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre für eine möglichst selbstkritische Reflexion der eigenen Arbeitsweise bzw. -umstände zu nutzen und gleichzeitig entsprechende Aussagen im Bezug auf das vorher besprochene Kampagnenbeispiel zu diskutieren. Zusammenfassend wurden folgende, für den Verlauf eines qualitativen Interviews typischen, Arbeitsschritte durchgeführt:536 1. Inhaltliche Vorbereitung: Innerhalb der Fallstudien wurden zum Thema der Werbestrategien in bzw. zu den ausgewählten Unternehmen teil-standardisierte Interviews mit Experten durchgeführt. 2. Organisatorische Vorbereitung: Zur Kontaktaufnahme wurden die Kontaktdaten per Internet bzw. telefonisch recherchiert und die Termine für die Interviews festgelegt. Das Interviewmaterial (Aufnahmegerät, Interviewleitfaden, Unternehmens- und Kampagnen- und Personeninformationen) wurde für jeden Interviewpartner zusammengestellt. 3. Gesprächsbeginn: Durch persönliche Vorstellung und Erläuterung der Untersuchung sowie der Fallstudienmethodik wurde das Interview eingeleitet und nach einer Erlaubnis zum Mitschnitt des Interviews gefragt. Bedenken zur Vertraulichkeit bzw. zum Datenschutz wurden durch die Vereinbarung der Kontrolle des Interviewtextes durch den Befragten vor der Veröffentlichung eliminiert. Grundsätzlich wurde für das Interview eine Mindestdauer von 60 Minuten angesetzt. Die tatsächliche Dauer der Interviews schwankte zwischen 60 und 130 Minuten. 4. Durchführung und Aufzeichnung der Interviews: Der Gesprächsverlauf war durch den Leitfaden vorgegeben. Die Einstiegsfragen zum Unternehmen sowie zum Person des Gesprächspartners wurden in Frageform gestellt, ebenso die Fragen zur langfristigen Orien536 BORTZ/DÖRING, 1995, S. 283 ff. 132 tierung und ökonomischen Situation. Zur ökologischen und sozialen Orientierung des Unternehmens wurden nur Stichworte genannt, zu denen der Gesprächspartner seine Gedanken äußern konnte. Bei zu knappen Antworten wurde mit Fragen oder Beispielen nachgehakt. 5. Gesprächsende: Nach Abschalten des Aufnahmegeräts konnten informell weitere Informationen zu der jeweils untersuchten Kampagne bzw. dem Unternehmen notiert werden. 6. Verabschiedung: Nach einem kurzen Ausdruck des Danks für die Teilnahme am Interview wurde gefragt, welche weiteren Personen potentiell zur Kampagne Expertenwissen haben könnten und deshalb als weitere Interviewpartner angesprochen werden sollten. Eine Mitteilung der Ergebnisse des Interviews zur Kontrolle wurde dem Gesprächspartner avisiert. Zur Dokumentation wurde im Anschluss an das Interview ein Transkript erstellt. Das Transkript wurde dem jeweiligen Gesprächspartner mit der Bitte zugesandt, Änderungswünsche mitzuteilen. Durch die Verknüpfung mit den Erkenntnissen aus der Dokumentenanalyse sowie der Befragung mehrerer Experten pro Kampagnenfall ist fallintern ein hohes Maß an Validität gewährleistet. Offen bleibt damit jedoch die Notwendigkeit des fallübergreifenden Vergleichs sowie der notwendigen Gewichtung. Aus diesem Grund wurde als weitere Datenquelle das Verfahren eines Experten-Workshops eingesetzt. 5.3.3 Expertenworkshops Die Expertenworkshops dienten – als eine Variante der Gruppendiskussion – dazu, die in den einzelnen Fallstudien auf Basis von Dokumentenanalyse und Experteninterviews gewonnenen Erkenntnisse mit dem Ziel einer Triangulation537 aus einer fallübergreifenden Perspektive zu analysieren und zu bewerten. Nachdem das Modell der aufgabenorientierten Werbestrategien bereits innerhalb der Experteninterviews im Hinblick auf die Einordnung der jeweilige Kampagne und grundsätzlich thematisiert wurde, dienten die Expertenworkshops dazu, aus einer übergreifenden Perspektive die bereits generierten Erkenntnisse zu kreuzvalidieren. Darüber hinaus wurden die Expertenworkshops dafür genutzt, in Verbindung mit den benötigten Kompetenzen zur erfolgreichen Werbestrategieplanung das entwickelte idealtypische Werbeplanungsmodell (siehe Kapitel 7.3) zu prüfen. Methodisch ist die Datenquelle Expertenworkshop als Variante des qualitativen Verfahrens Gruppendiskussion538 zu verstehen. Nach MORGAN werden Gruppendiskussionen als eine 537 538 SCHNELL/HILL/ESSER, 1995, S. 27 LAMNEK, 1998; LOOS/SCHÄFFER, 2001, 2003; BOHNSACK, 2000, 2003, 2003a 133 Erhebungsmethode bezeichnet, „die Daten durch die Interaktionen der Gruppenmitglieder gewinnt, wobei die Thematik durch das Interesse des Forschers bestimmt wird.“539 Als Forschungsmethodik weist die Gruppendiskussion folgende Charakteristika und Vorteile auf:540 • Offenheit: Da die Teilnehmer durch die multilaterale Interaktion (im Gegensatz zur bilateralen im Leitfaden-Interview) den Verlauf und die Hierarchie des Themen-Diskurses in großem Maße mitbestimmen können. • Kommunikativität: Die im Idealfall als alltagsnah empfundene Gesprächssituation gewährleistet in der Regel eine hohe Auskunfts- und Gesprächsbereitschaft der Teilnehmer. • Reflexivität: Im Gruppenkontext und unter dem Einfluss eines Moderators erfolgt in der Regel eine umfangreiche und vielschichtige Reflexion des Forschungsthemas. In der Forschungspraxis steht bei der Gruppendiskussion die „Bedeutung von Interaktions-, Diskurs- und Gruppenprozessen für die Konstitution von Meinungen, Orientierungs- und Bedeutungsmustern“541 im Zentrum des Forschungsinteresses. Gruppendiskussionen werden deshalb in der Sozialforschung häufig dann eingesetzt, wenn es darum geht, Meinungen und Einstellungen, die stark an soziale Zusammenhänge und situative Zusammenhänge (Prozesscharakter) gebunden sind (z. B. Vorurteile), in der sozialen Situation einer Gruppe zu erheben.542 Mit der vorliegenden Fragestellung zur Unterscheidung von Werbestrategien steht der Aspekt des erst im sozialen Kontext ermittelbaren Meinungsbildes bzw. Einstellungsmusters weniger im Fokus. Allerdings ergibt sich mit dem Instrument des Expertenworkshops für jeden Teilnehmer die Anforderung, im Diskurs mit den übrigen Experten mit einem höheren Maß an kritischer Distanz die eigene Arbeit zu reflektieren als dies möglicherweise im Einzelinterview der Fall ist. Außerdem bietet die Konfrontation von Experten unterschiedlicher Disziplinen und Verantwortlichkeiten im Werbeplanungsprozess die Chance, die im Einzelinterview bereits abgefragten Einschätzungen im Meinungsabgleich zu vertiefen und ggf. zu differenzieren. Dahinter steht die Überlegung von MANGOLD543, wonach der situationsbedingten Gruppenkontrolle eine konstitutive Bedeutung für das individuelle Verhalten und für individuelle Meinungen und Einstellungen zukommt. Analog zu den Empfehlungen von MAYRING544 und FRIDRICHS545 wurden die beiden Expertenworkshops wie folgt umgesetzt: 539 LAMNEK, 1998, S. 27 BOHNSACK; 1999, S. 26 ff., S. 75 ff.; LAMNEK, 1998, S. 39 ff. 541 BOHNSACK; 1999, S. 123 542 MAYRING, 2002, S. 76 f. 543 MANGOLD, 1960, S. 67 544 MAYRING, 2002, S. 76 545 FRIEDRICHS, 1980, S. 248 f. 540 134 1. Organisatorische Vorbereitung: Zur Kontaktaufnahme wurden die Kontaktdaten per Internet bzw. telefonisch recherchiert und ein gemeinsamer Termin vereinbart. 2. Inhaltliche Vorbereitung: Allen Workshop-Teilnehmern wurde eine Kurzbeschreibung des Modells der aufgabenorientierten Werbestrategien sowie jeweils eine exemplarische Fallstudiendokumentation pro Archetyp im Vorfeld des Termins zur Verfügung gestellt. 3. Workshop-Verlauf: Den Teilnehmern wurde zunächst die Zielsetzung des Workshops erläutert. Danach wurden die bereits zur Verfügung gestellten Fallstudien in Kurzform vorgestellt. Auf Grundlage dieser Fallstudien wurden folgende Leitfragen (am Flipchart sichtbar dokumentiert) analog zur Forschungsfrage diskutiert: • Geben die vier Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien die Werbepraxis adäquat wieder? Wo besteht Ergänzungs- bzw. Korrekturbedarf? • Welche Merkmale sind für sie charakteristisch? Welche nicht? Welche Kompetenzen bilden die Voraussetzung für einen erfolgreichen Werbestrategie-Prozess? 4. Im Anschluss an die Diskussion der Archetypen wurde das Modell eines idealtypischen Werbeplanungsprozesses präsentiert und im Hinblick auf seine Vollständigkeit und ausreichende Präzision diskutiert. 5. Die Workshop-Dauer umfasste 130 bzw. 180 Minuten. • 5.4 Auswahl der Fälle Auf Basis der grundsätzlichen Entscheidung für ein Multi-Case-Verfahren sind folgende drei Punkte zu definieren: 1. Anzahl der Fälle insgesamt; 2. Grundgesamtheit; 3. Auswahlverfahren. Anzahl der Fälle insgesamt Nach YIN liegt die Zahl der Fälle bei einem Minimum von zwei bis drei Fällen für die Vorhersage ähnlicher Ergebnisse und einer Fallzahl von sechs bis zehn bei einer Differenzierung.546 Bei mehr als zehn Fällen wäre das Datenvolumen zu groß und damit schwer zu bearbeiten. Bei weniger als vier Fällen besteht laut EISENHARDT die Gefahr, dass die empirische Grundlage zur Theoriebildung nicht überzeugt.547 Die Anzahl der Fälle kann auch im Laufe der Untersuchung bestimmt werden. Vertreter dieser Auffassung sprechen davon, dass der Forschungsprozess abgeschlossen werden sollte, wenn der Grenznutzen eines zusätzlichen 546 547 YIN, 1994, S. 46 EISENHARDT, 1989, S. 545 135 Falles als niedrig betrachtet und eine theoretische Sättigung erreicht wird.548 Dieses iterative Vorgehen wird ebenfalls für die vorliegende Untersuchung als sinnvoll erachtet. Grundgesamtheit Gemäß diesen theoretischen Überlegungen wurde ein breites Spektrum an Kampagnen-Fällen angestrebt, wobei die Vielfalt in der Unterschiedlichkeit der beworbenen Produkte und Leistungen, der jeweiligen Branchenzugehörigkeit sowie der Art Kampagnen begründet liegt. Grundprinzip für die Kampagnenauswahl war ein „best practice approach“ im Sinne eines Benchmarking549. Grundüberlegung dabei war es, Kampagnen zu untersuchen, deren kommunikativer und absatzbezogener Erfolg bereits belegt ist, um zu überprüfen, ob sich aus der Detailanalyse dieser Erfolgskampagnen ein Modell aufgabenorientierter Werbestrategien ableiten lässt. Aus diesem best practice approach ergeben sich mehrere Vorteile: • Maximale Praxisrelevanz und Transferpotential (Wie mache ich es richtig?); • Zugänglichkeit der Daten (Dokumentationsgrad, Auskunftsbereitschaft). An die praktische Umsetzung dieses Ansatzes waren folgende Anforderungen geknüpft: • Plausibles und valides Auswahlprinzip; • Generierung einer ausreichend hohen Fallzahl insgesamt bzw. pro Archetyp (mindestens zwei) auf Basis einer entsprechenden Grundgesamtheit; • Generierung eines möglichst breiten Kampagnenspektrums im Hinblick auf Branchenzugehörigkeit und Produktcharakter (low vs. high involvement); • Berücksichtigung der Unternehmen mit den höchsten Werbeausgaben, für welche Mediawerbung einen hohen Stellenwert hat und welche mit entsprechenden Ressourcen, Kompetenzen und Know-how agieren. Gemäß diesem Anforderungsprofil erschien die absolute Höhe des jährlichen Werbebudgets als ein plausibler Indikator und somit sinnvolles Selektionskriterium. Empirische Basis für die Untersuchung auf Fallstudienbasis waren dementsprechend B-to-C-Kampagnen der 50 nach Werbevolumen in Euro größten werbetreibenden Unternehmen Deutschlands.550 Dabei wurden nur herstellende Unternehmen berücksichtigt und keine reinen Handelsunternehmen (z. B. Aldi, Lidl, Media-Markt), da diese in ihrer Werbekommunikation in der Regel nicht eine einzelne Leistung bzw. ein Produkt kommunizieren, sondern eine größere Angebotsauswahl. Die entsprechende Grundgesamtheit ist in der Anlage zur Arbeit dokumentiert. Grundannah548 GUMMESSON, 2000, S. 96; EISENHARDT, 1989, S. 545; KENYON-ROUVINEZ, 2001, S. 179, LAMNEK, 1995, S. 195 549 PETERS/WATERMAN, 1982; CAMP, 1989; KAJÜTER, 2000; LEIBFRIED/McNAIR, 1992; PIESKE, 1994; BUCHHOLZ/WÖRDEMANN, W, 1998, S. 33 550 ZAW, 2007, S. 136 f.: Die top-werbenden Unternehmen investieren ihr Budget zu großen Teilen in B-to-CWerbung. 136 me bei dieser Auswahl war, dass diese Unternehmen das höchste Maß an Kompetenz und Erfahrung in der Planung und Umsetzung von Werbestrategien besitzen. Somit sind diese Unternehmen am besten dafür geeignet, um an ihnen die Richtigkeit und Relevanz des Modells aufgabenorientierter Werbestrategien zu überprüfen. Im Hinblick auf die Verteilung von Produktkategorien (Industrie-, Konsumgüter, Dienstleistungen) und Branchen ergibt sich mit dieser Auswahl eine große Vielfalt. Auswahlverfahren Die Auswahl wurde auf den deutschen Werbemarkt beschränkt, weil dieser wiederum mit einem Gesamtvolumen von 30 Milliarden Euro weltweit der fünftgrößte und in Europa der größte ist.551 Zudem werden in Deutschland viele Kampagnen entwickelt, die als LeitKampagnen von anderen europäischen Märkten adaptiert werden bzw. es werden umgekehrt Kampagnen (insbesondere aus den USA) adaptiert. Der Forschungsschwerpunkt auf den deutschen Werbemarkt gewährleistet somit ein hohes Maß an Relevanz und Varianz. Per Telefon- und Internet-Recherche bzw. Mail-Anfrage wurden die relevanten verantwortlichen Akteure (Marketing-, Werbe-, Media- und Produktmanager in den Unternehmen) für die jeweiligen Produkte, Leistungen bzw. Marken recherchiert. In der Ansprache der jeweiligen Personen wurde die Bitte um ein Experteninterview bezogen auf eine exemplarische Werbekampagne der letzten drei Jahre (Kampagnenstart zwischen dem 1. Halbjahr 2004 und dem 2. Halbjahr 2007), die aus Sicht des Verantwortlichen einen deutlichen Best practice-Charakter im Hinblick auf einen belegten Kampagnenerfolg aufweist. Gemäß dieser Anforderung waren die Mehrheit (elf) der insgesamt 16 untersuchten Kampagnen gleichzeitig Kampagnen, die für den jährlichen Marketing-Kommunikationspreis Effie nominiert bzw. mit ihm ausgezeichnet worden waren. Trotz des Best Practice-Charakters der untersuchten Kampagnen bestand das explizite Ziel der Untersuchung darin, unter Berücksichtigung möglichst vieler unterschiedlicher Datenquellen (Interviewpartner, Dokumente) zu einer möglichst umfassenden und differenzierten Beschreibung jeden Kampagnenfalls zu kommen. Das schließt die Beschreibung von Kampagnen-Besonderheiten und ggf. Defiziten ausdrücklich mit ein. Durch eine Beschränkung auf die Befragung der unmittelbar Kampagnenverantwortlichen wäre dieses Ziel im Hinblick auf den Effekt sozialer Erwünschtheit und auch den Effekt persönlichen Prestiges nicht zu erreichen gewesen. Deshalb wurde mit dem Ziel einer höheren Validität sowie Reliabilität der Kreis der Befragten auf folgende Gruppen ausgedehnt: • Verantwortliche aus Agenturen und anderen Dienstleistern, die die Kampagnen konkurrierender Unternehmen betreuen; 551 ZAW, 2007, S. 9, S. 22 ff. 137 • Werbeverantwortliche aus konkurrierenden Unternehmen bzw. von konkurrierenden Produkten/Leistungen; • Fachjournalisten (Horizont, W&V, Absatzwirtschaft) und • Experten aus Verbänden (ZAW, GWA). Diese Personen wurden einerseits im Vorfeld der Interviews mit den Kampagnenverantwortlichen in den Unternehmen interviewt, um so zusätzlich Stimulusmaterial zu generieren und andererseits anschließend, um von den Interviewpartner getätigte Aussagen (insbesondere im Hinblick auf den Kampagnen-Erfolg) ggf. relativieren zu können. Somit bildeten für jede Kampagnen-Fallstudie mehrere Experteninterviews (mindestens zwei) die Datengrundlage mit dem Ziel zu einer umfassenden und differenzierten Beschreibung und Bewertung des Kampagnenbeispiels zu kommen. Insgesamt wurden zu 16 Werbekampagnen mit 37 Experten leitfadenbasierte Interviews face-to-face bzw. telefonisch im Zeitraum April bis Dezember 2007 durchgeführt, wobei einige Experten zu mehreren Kampagnen befragt wurden (siehe Übersicht in der Anlage). Somit wurden im Sinne der Datenvielfalt zu jeder Kampagne mindestens zwei Experten befragt, in der Regel jedoch drei bzw. vier. Diese 16 Kampagnen wurden im Zeitraum 2004 bis 2007 von insgesamt 13 der 50 werbestärksten Unternehmen in Deutschland durchgeführt. Dabei wurden drei Kampagnen des Konsumgüterherstellers Unilever (Top 3 der Werbetreibenden in Deutschland) sowie zwei des Automobilherstellers Volkswagen (Top 11 der Werbetreiben in Deutschland) untersucht. Bei der Auswahl der Teilnehmer für den Expertenworkshop wurde ein möglichst heterogener Disziplinen-Mix (werbetreibende Unternehmen, Agenturen, Marktforschung) angestrebt. Gleichzeitig wurde bei der Auswahl der Teilnehmer darauf geachtet, eine Konkurrenzsituation zu vermeiden, um somit die Voraussetzung für einen offenen und konstruktiven Erfahrungsaustausch zu schaffen. Wichtige Voraussetzung für die Teilnahme an dieser Überblicksdiskussion war ein möglichst breiter Erfahrungshintergrund im Bereich Werbekommunikation. Da die Teilnehmer z. T. bereits als Kampagnenverantwortliche interviewt worden waren, waren sie mit dem Forschungsthema vertraut, was eine fokussierte Diskussion des Modells erleichterte. Insgesamt wurden zwei Workshops mit jeweils vier bzw. fünf Teilnehmern im Dezember 2007 durchgeführt. Eine Übersicht der Workshopteilnehmer befindet sich in Anlage zu dieser Arbeit. 138 5.5 Auswertung der Fallstudien-Daten Nach MILES und HUBERMAN552 lässt sich die Datenanalyse in drei Schritte gliedern: 1. die Datenreduktion; 2. die Darstellung der Daten; 3. das Ziehen begründeter Schlussfolgerungen. Die Auswahl eines Analyseverfahrens in der qualitativen Sozialforschung hängt vom untersuchten Gegenstand und vom Datenmaterial ab. Zudem gibt es kaum standardisierte Vorgehensweisen bei einer qualitativen Datenanalyse. TESCH553 vertritt sogar die Ansicht, dass jeder seine eigene Analyseform erfinden muss. Diese Ansicht ist kritisch zu betrachten, da auch Methoden der qualitativen Sozialforschung nach bestimmten Regeln ablaufen sollten. Innerhalb dieser Regeln gibt es jedoch keinen richtigen oder falschen Weg, sondern immer auf das Datenmaterial bezogene sinnvolle Vorgehensweisen. Nicht die strikte Anwendung von Verfahren, sondern Kreativität bezogen auf die Ausgestaltung des Verfahrens in einer dem Untersuchungsgegenstand adäquaten Weise ist bei qualitativer Forschung gefordert. Die Auswertungsverfahren reichen von quasi-statistischen über inhaltsanalytische Techniken bis hin zu strukturierenden Interpretationen.554 Für die vorliegende Untersuchung wurde zur Datenanalyse die Variante der qualitativen Inhaltsanalyse555 aus folgenden Gründen gewählt: • Kontextsensitivität: Die qualitative Inhaltsanalyse bietet die Möglichkeit im Sinne einer Explikation den engeren beziehungsweise weiteren Textkontext in der Analyse zu berücksichtigen.556 • Markante Beispiele: Im Sinne eines induktiven, hypothesengenerierenden Vorgehens steht bei der qualitativen Inhaltsanalyse nicht die zahlenmäßige Erfassung der Aussagen, sondern die Dokumentation markanter Beispiele und Aussagen im Fokus.557 Die Umsetzung der qualitativen Inhaltsanalyse erfolgt im Sinne von MAYRING nach den drei Grundprinzipien Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung.558 552 MILES/HUBERMAN, 1994a, S. 25; MILES/HUBERMAN, 1994b, S. 27 TESCH, 1992, S. 43 554 LAMNEK, 1995a, S. 217 f., TESCH, 1992, S. 45 ff. 555 MAYRING, 2002, S. 114 ff.; MAYRING, 2000, S. 31; MAYRING/GLÄSER-ZIKUDA, 2005; S. 27; KRIPPENDORFF, 2004, S. 87 ff.; NEUDENDORF, 2002, S. 23; GLÄSER/LAUDEL, 2004, S. 39 556 MAYRING, 2002, S. 115 ff. 557 RITSERT, 1972, S. 57; 558 MAYRING, 2002; S. 115 ff. 553 139 Auch bei der qualitativen Inhaltsanalyse liegt eine systematische Vorgehensweise vor. Es werden gemäß MAYRING559 induktiv Kategoriensysteme mit den Aspekten festgelegt, nach denen das Datenmaterial ausgewertet werden soll. Dementsprechend wurden für die Darstellung der Kampagnenfallstudien die aus den Experteninterviews und Dokumenten gewonnenen Daten nach folgendem einheitlichen Schema aufbereitet: • Kurzprofil des werbetreibenden Unternehmens mit Angaben zum Kerngeschäftsfeld, der Branchenzugehörigkeit, Jahresumsatz, Mitarbeiterzahl sowie Jahreswerbevolumen; • Beschreibung der spezifischen Marketingsituation, insbesondere im Hinblick auf die Markt- und Wettbewerbssituation; • Eckdaten zur Kampagne: Werbeobjekt, genereller Objektcharakter (low/high involvement), Kampagnenzeitraum und Kampagnenvolumen; • Zielwerte der Kampagne im Hinblick auf ökonomische und kommunikative Ziele; • Beschreibung der Eckpunkte der Kampagnen-Werbestrategie im Hinblick auf Produktcharakter (bestehend/neu), Zielgruppencharakter (bestehend/neu, Media-Mix, Werbemittel, Marketing-/Absatz- und kommunikative Werbeziele sowie kreative zentrale Werbebotschaft/-stil (emotional/informativ); • exemplarische Dokumentation kreativer Kampagnenelemente (Print-Motive, Snap-Shots aus dem TV-Spot etc. Diese Dokumentation befindet sich in der Anlage zur vorliegenden Arbeit; • Gesamtbeurteilung pro Fall: Zur Prüfung der zentralen Forschungsfrage werden die Ergebnisse der unterschiedlichen Datenquellen (Experten-Interviews, Dokumente) zur jeweiligen Kampagne im Sinne einer inhaltlichen Validierung zu einer Gesamtbeurteilung zusammengefasst.560 Der Abgleich dieser Gesamtbeurteilung mit den thesenartigen Annahmen zum jeweiligen aufgabenorientierten Werbestrategie-Grundtyp erfolgt tabellarisch561 sowie mit dem Ziel einer differenzierten Bewertung in Form einer Beschreibung des jeweiligen Erfüllungsgrades. Die tabellarische Darstellung mit prozentualen Erreichungswerten trägt zur Übersichtlichkeit dieser qualitativen Fallstudienuntersuchung bei und verdeutlicht die Essenz der Aussagen; • Gesamtbeurteilung aller Fälle pro Werbestrategie-Grundtyp: Im Anschluss werden alle Fälle zu einem Werbestrategie-Grundtyp im Hinblick auf Übereinstimmungen und Abweichungen und den daraus resultierenden möglichen Korrekturen bzw. Erweiterungen des Modells aufgabenorientierter Werbestrategien diskutiert562; 559 MAYRING, 2002, S. 114; MAYRING/BRUNNER, 2007, S. 674 YIN, 1994, S. 112, MILES/HUBERMAN, 1994, S. 69 ff., WEBER/MAYRHOFER/NIENHÜSER/ RODEHUTH/ RÜTHER, 1994, S. 80 f. 561 MILES/HUBERMAN, 1995, S. 90 ff.; EISENHARDT, 1989, S.539 ff. 562 YIN, 1994, S. 31 ff. 560 140 • Gesamtbeurteilung aller Fälle insgesamt: Abschliessend werden alle Fälle im Hinblick auf den übergreifenden Erklärungswert der Indikatoren (Mediamix, Werbestil etc.) sowie der Trennschärfe der Strategie-Typen zueinander diskutiert. Für die Auswertung des Expertenworkshops wurden in folgender Weise vorgegangen: 1. Spezifische Hinweise und Anmerkungen zu den Fallstudien wurden in deren Einzelbeschreibung und Analyse eingearbeitet (im Sinne einer iterativen, nicht-linearen Vorgehensweise); 2. Grundsätzliche Ergänzungen bzw. Kritikpunkte zu den vier Werbestrategie-Archetypen wurden im Ergebnisteil dokumentiert und bei den Überlegungen zu den ModellImplikationen berücksichtigt. Für die Auswertung der Interviews zur Darstellungen der notwendigen Rahmenbedingungen und Kompetenzen wurde zur Systematisierung der Aussagen nach folgenden induktiv definierten Kategorien unterschieden: 1. Strukturell-organisatorische Rahmenbedingungen und Kompetenzen; 2. personell-kulturelle Kompetenzen. Die strukturierte Darstellung der Ergebnisse erfolgte nach diesen beiden Kategorien. Im Sinne der Explikation wurden zur Erfassung aller relevanten Aussagen auch der enge Textkontext, d.h. Aussagen aus dem Kontext der übrigen Fragen des Leitfadens berücksichtigt.563 563 MAYRING, 2002, S. 118 141 5.6 Zusammenfassung Im Hinblick auf den explorativen Charakter des Forschungsthemas wurde als adäquate Forschungsmethode ein induktives, hypothesengenerierendes, holistisches Multi-Case-Verfahren gewählt. Durch ein strukturiertes, regelgeleitetes Vorgehen sowie die Generierung einer ausreichenden Zahl von Fällen und Datenquellen konnte die Erfüllung der Gütekriterien Objektivität, Repräsentativität, Validität und Reliabilität gewährleistet werden. Eine Kreuzvalidierung der Daten fand bei der Untersuchung auf zwei Ebenen statt: • Fallbezogen durch die Berücksichtigung mehrerer Datenquellen; • fallübergreifend und modellbezogen durch die Expertendiskussion im Workshop. Grundsätzlich lassen sich beim gewählten Vorgehen die prinzipiellen Kritikpunkte an qualitativer Forschung und den jeweiligen Verfahrensweisen anbringen. Dazu gehören in der vorliegenden Untersuchung vor allem folgende Aspekte: • Grundproblematik der Triangulation564: Wie wird im Hinblick auf die verschiedenen Datenquellen pro Fall bzw. den Fällen einer Werbestrategietyp-Gruppe mit Widersprüchen umgegangen? Wie werden die Ergebnisse entsprechend gewichtet? • Ist die Zahl der untersuchten Fälle für die gewünschte Repräsentativität ausreichend? • Sind die Auswahlstrategie (best practice approach) und das konkrete Auswahlprinzip für die Untersuchungsfälle (Top 50 der werbetreibenden Unternehmen in Deutschland) sinnvoll gewählt? Sind möglicherweise alternative Selektionskriterien plausibler? Die vorliegende Untersuchung versucht die angeführten Probleme zu lösen, indem die Daten logisch und theoriegeleitet nach der Methode des explanation buildings analysiert und bewertet werden. Sich widersprechende Daten werden genauer hinterfragt, um sie dann in einer Gesamtbeurteilung argumentativ zu belegen. Eine Gewichtung der Methoden erfolgt sukzessiv fallbezogen, indem die Aussagen von im Unternehmen Kampagnenverantwortlichen als Grundlage für die Modellüberprüfung verwendet werden, um diese dann durch die Berücksichtigung weiterer Expertenaussagen zu relativieren bzw. ggf. zu korrigieren. Aufbauend auf der Fallauswahl und der Datengewinnung konnte eine logische Methode zur Datenanalyse ausgewählt werden, die der Fragestellung gerecht wird. Durch eine Fallbeschreibung sowie eine tabellarische Darstellung nach der Methode des explanation buildings wird die Datenanalyse innerhalb des Falles vorgenommen. Die tabellarische Form wird dann auch beim Vergleich der Fallstudien angewendet. Dieses Vorgehen trägt zur Validierung des gesamten Untersuchungsdesigns bei. Die Ergebnisse dieser Datenanalysen sind in detaillierter Form im folgenden Kapitel zu finden. 564 LAMNEK, 1995a, S. 255 ff. 142 6. Ergebnisse der empirischen Untersuchung 6.1 Ergebnisse zu den Werbestrategie-Archetypen auf Fallstudienbasis Insgesamt wurden 16 in Deutschland geschaltete Werbekampagnen aus dem Zeitraum 2004 bis 2007 auf Basis von insgesamt 37 leitfadenbasierten Experteninterviews sowie ergänzenden Dokumentenanalysen analysiert und in Form von Fallstudien nachfolgend dokumentiert. Diese Kampagnenbeispiele der größten werbetreibenden Unternehmen Deutschlands565 weisen im Hinblick auf Branchenzugehörigkeit, das jeweils werbetreibende Unternehmen sowie den Grad des Konsumenteninvolvements im Hinblick die beworbene Leistung bzw. das Produkt ein breites und vielfältiges Spektrum auf: neun Unternehmen (56 %) gehören der Konsumgüterindustrie an, vier dem Dienstleistungssektor (25 %) und drei (19 %) dem Segment Investitionsgüter. Das entspricht weitgehend der gewichteten Verteilung der Branchensegmente der Top 50 der Werbetreibenden in Deutschland (siehe Anlage). Unter den 16 Fallstudien sind neun Werbekampagnen (56 %) für sogenannte Low-Involvement-Produkte und sieben (19 %) für sogenannte High-Involvement-Produkte. Dazu gehören alle Automobile (Golf, Audi, Touareg). Ein mittleres Involvement (19 %) liegt für Finanzprodukte (Sparkasse, ING DiBa) sowie Spezial-Pflegeprodukte im Hochpreis-Bereich (Eucerin) vor. Somit kann im Bezug auf die Auswahl der Fälle eine substantielle Aussagekraft unterstellt werden. Leistung/ Produkt/Marke Audi Q7 Balisto Bertolli BILDmobil Dove pro•age Drei Wetter Taft Eucerin Gillette Mach5 ING-DiBa McDonald’s Dr. Oetker Paula Sparkasse T-Com Rama Cremefine VW Touareg VW Golf Segment Branche Investitionsgüter Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Dienstleistung Dienstleistung Konsumgüter Dienstleistung Dienstleistung Konsumgüter Investitionsgüter Investitionsgüter Automobil Lebensmittel Lebensmittel Medien Pflege Pflege Pflege Pflege Finanzen Gastronomie Lebensmittel Finanzen Telekommunikation Lebensmittel Automobil Automobil Abbildung 20: Übersicht Fallstudien nach Segmenten und Branchen Quelle: Eigene Darstellung Zu den nachfolgenden Fallstudien befindet sich eine Auswahl der entsprechenden Kampagnen-Motive in der Anlage zu dieser Arbeit. 565 Empirische Basis: Top 50 der werbestärksten Unternehmen 2006 laut Nielsen Media Research/ZAW. 143 6.1.1 Kampagnen-Fallstudie „BILDmobil“, Axel Springer Marketingstrategie Die BILD-Zeitung des Axel-Springer Verlages ist mit einer täglichen Auflage von 3,3 Exemplaren (IVW 4. Quartal 2007) und einer Leser-Reichweite von 11,6 Millionen Lesern (2. MA 2007) die größte Tageszeitung Deutschlands. BILD ist verlegerisch, kaufmännisch sowie als Marke das wichtigste Objekt des Medienhauses. Analog anderen Tageszeitungen ist BILD mit folgenden Marktentwicklungen konfrontiert: • • In den jüngeren Zielgruppen nimmt der Zeitungskonsum dramatisch ab566; die Nachfrage nach Boulevardthemen steigt zwar, wird aber zunehmend durch alternative Informationsquellen wie Fernsehen, aber insbesondere Online- bzw. mobile Angebote befriedigt.567 Zentrale Konsequenz dieser Entwicklungen ist: Langfristig ist das auf Reichweite basierende Geschäftsmodell des klassischen Print-Produktes mit einem Mix aus Vertriebs- und Anzeigenerlösen bedroht. Konkret zeigt sich dieser Prozess am Rückgang der verkauften Auflage der BILD-Zeitung von durchschnittlich 4,2 Mio. Exemplaren im 4. Quartal 2000 um 22 % im vierten Quartal 2007 (Quelle: IVW). Der Axel Springer Verlag hat auf diese Entwicklung in folgender Weise reagiert: • Erweiterung des bestehenden Geschäftsmodells durch eine plattformunabhängige Inhaltsdistribution („one brand all media“) in Kanäle und Medien, die insbesondere von jüngeren Zielgruppen präferiert werden (Beispiel: Online-Portal BILD T-Online); • Verlängerung der Traditionsmarke BILD in diese neuen Kanäle mit dem Ziel, die Markenstärke auch dort zu nutzen und gleichzeitig BILD als trägermedienunabhängige Medien- bzw. Inhaltemarke zu profilieren. Angesichts der wachsenden Bedeutung mobiler Kommunikation bestand vor dem Hintergrund dieser strategischen Zielsetzung für das BILD-Management die Herausforderung darin, ein publizistisch und technologisch innovatives Produkt zu entwickeln, das dem Marktführerstatus der Marke Bild entspricht. „Die Entscheidung, einen mobilen Dienst zu machen, war neben der verlegerischen auch immer eine kaufmännische“, erklärt der ProjektVerantwortliche Dr. Markus Dömer, Leiter BILD-Merchandising. Es habe immer die Anforderung an das Projekt bestanden, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Insofern bestanden für das geplante Mobilfunk-Angebot zwei Herausforderungen: Zum einen soll der für die Mehrheit der Verbraucher noch weitgehend unbekannte nutzen des mobilen Internets be- 566 567 RAGER, 2003 BRAUCK/HÜLSEN, 2008 144 kannt und attraktiv gemacht werden. Zum anderen sollte in einem gesättigten Prepaid-Marke eine neue Marke etabliert werden.568 Das Ergebnis dieses mehrjährigen Entwicklungsprozesses war „BILDmobil“. Der MobilfunkService BILDmobil ist eine Kombination aus einem sehr günstigen Prepaid-Tarif (10 Cent pro Minute in alle Mobilfunknetze) und einem WAP-Portal mit permanent aktualisierten BILD-Inhalten, das nach einer Startgebühr von netto 4,95 Euro unbegrenzt kostenlos nutzbar ist. BILDmobil differenziert sich als „New-to-World“-Innovation“569 von Wettbewerbern wie u.a. ALDI und Tchibo nach Aussage von Dömer dadurch, „dass wir als erster Anbieter Markeninhalte mit einem günstigen und flexiblen Mobilfunk-Tarif verbinden.“ Somit bietet BILDmobil die Kombilösung für zwei Konsumentenbedürfnisse: Günstig telefonieren und aktuell kompetent informiert werden. Laut Thomas Brindöpke, verantwortlicher Projektleiter im Bereich Werbung und Merchandising der Zeitungsgruppe BILD, hat die Marktforschung im Vorfeld ergeben, dass ein wettbewerbsfähiger Prepaid-Tarif die zwingende Voraussetzung für eine ausreichende Kundenresonanz ist, jedoch die kostenlose täglich aktuelle Bereitstellung von BILD-Inhalten auf das Handy einen signifikanten Mehrwert darstellen. Die verlegerische Perspektive zu BILDmobil formuliert BILD-Chefredakteur Kai Diekmann so: „Das ist die immer aktuelle BILD für die Jackentasche“570. Die technische Innovation des BILDmobilDienstes besteht darin, dass die Software der gekauften BILDmobil-SIM-Karte die automatische Ansteuerung des WAP-Portals initiiert, dem Benutzer also die manuelle Konfiguration seines Handys erspart bleibt. Vertrieben wird die SIM-Karte im Starterset über circa 11.000 Zeitungs- und Zeitschriftenhändler im gesamten Bundesgebiet. Marketingstrategisch agiert der Axel-Springer-Verlag angesichts eines branchenweiten Diversifikationsprozesses eindeutig als Trendsetter: Die Ansprache neuer Kundengruppen basierte auf dem Angebot einer unternehmens- und marktbezogenen Leistungsinnovation. Werbestrategie: Im Zentrum der Kampagne stand die Einführung des Mobil-Services BILDmobil mit den beiden Bestandteilen Prepaid-Karte und WAP-Portal zum 16. Oktober 2007. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Axel Springer Verlag AG Medien BILDmobil Low involvement Oktober bis Dezember 2007 3 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 21: Kampagnen-Steckbrief BILDmobil Quelle: Eigene Darstellung 568 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 43 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 18 570 AXEL SPRINGER VERLAG, Pressemitteilung vom 17. November 2007 569 145 Als Zielgruppe wurden laut Dömer und Brindöpke BILD-Markenaffine fokussiert. „Wir haben für unsere Zielgruppen-Berechnung im ersten Schritt alle Personen im weitesten Leserkreis der BILD-Produktfamilie (BILD, Sport BILD, BILD am Sonntag, BILD der Frau, AutoBILD) identifiziert“, so Brindöpke. Aus diesem Kreis wurden die wechselwilligen PrepaidTelefonierer identifiziert. „Dies ergab nach unserer Analyse für das Angebot eine potentielle Zielgruppe von 3,5 Millionen Kunden“, so Brindöpke weiter. Die wichtigsten Wettbewerber Aldi und Tchibo haben aktuell ein Kundenvolumen von knapp über einer Million Kunden erreicht. Angesichts der Zielgruppenstrukturdaten (sehr viele Personen unter 30 Jahren) ergab sich mit BILDmobil laut Dömer die strategische Chance, „jüngere Zielgruppen, die wir mit dem Printtitel nur noch zum Teil oder gar nicht mehr erreichen, an die Marke BILD heranzuführen und langfristig zu binden.“ Diese vorrangige Zielsetzung sollte komplettiert werden durch ein Cross-Selling bei den bestehenden BILD-Lesern. Als zentrales absatzpolitisches Ziel wurde ein bestimmtes Kundenvolumen in deutlich sechsstelliger Höhe für Ende 2008 fixiert.571 „Weitere kommunikative Ziele zum Kampagnenerfolg hatten wir uns im Vorfeld nicht gesetzt“, so Brindöpke. Stattdessen werde man in der standardisierten Werbemessung zur BILD-Werbung insgesamt die Effizienz der Kampagne gegenüber der klassischen printbezogenen Werbung überprüfen. Später wurde dieses Ziel deutlich präzisiert. So soll BILDmobil zur etablierten Marke im Prepaid-Segment werden und deutlich gegenüber bereits etablierten Wettbewerbern (u.a. Fonic, Congster) wahrgenommen werden. Außerdem soll sich BILDmobil zu einem reichweitenstarken redaktionellen Mobilportal entwickeln. Konkret soll das neue Angebot unter die Top 3 der redaktionellen Contentportale aufsteigen, wofür circa 2 Millionen Pageimpressions erreicht werden müssten. Schließlich soll die Kampagne zur neuen Submarke im Hinblick auf die Werbeerinnerung Spitzenwerte unter allen BILD-Kampagnen erreichen.572 Die Positionierung des neuen Dienstes BILDmobil sollte zum einen eindeutig innovativ sein, zum anderen aber auch traditionelle BILD-Werte (Nah bei den Menschen, plakativ-direkt) berücksichtigen. Grundlage für die Werbeaktivität zu BILDmobil war die klassische BILDWerbung unter dem Claim „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht“. Nachdem vor wenigen Jahren noch die BILD-Kommunikation aktuelle Themen des Blattes (sogar im Spots am Vorabend) ins Zentrum stellte, hat die heutige von aktuellen redaktionellen Themen ungebundene Kommunikation vorrangig die Funktion der Aktualisierung der Markenbotschaft im Sinne des Modells von ESCH.573 „Die Kampagne zu BILD Print folgt gestalterisch einem klaren Raster, das auch Basis für die Mobil-Kampagne war“, so Andre Lascheit, kampagnenverantwortlicher Planner auf Agenturseite (BBDO Campaign). 571 In der späteren Einreichung zum Werbepreis Effie wurde diese Wert mit 100.000 Stück in den ersten 3 Monaten präzisiert. 572 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 43f. 573 ESCH, 2007, S. 58 146 Aus Sicht des Kampagnenverantwortlichen Brindöpke bestand für die kommunikative Umsetzung eine doppelte Herausforderung: 1. Massenverständliche Kommunikation eines komplexen Produktpaketes und 2. BILD-konforme Markenkommunikation. „Die Herausforderung für uns bestand darin, gleich zwei Produkte (Prepaid-Tarif, WAPPortal) einzuführen, die beide erklärungsbedürftig sind, gleichzeitig als Marke BILD aber zu Klarheit und Einfachheit verpflichtet zu sein“, so Brindöpke. Gleichzeitig sollte die kreative Umsetzung formell und in der Tonalität konform gehen zur bisherigen MarkenKommunikation von BILD. Das Ergebnis war eine Kampagne unter dem in bester BILD-Manier plakativen Motto: „BILD wird Handy“. In der kreativen Umsetzung wird dieses Motto wörtlich genommen. So sieht man TV-Spot „Flughafen“ Menschen, die statt mit ihren Handys mit zusammengerollten BILD-Zeitungen telefonieren, als sei dies die normalste Sache der Welt. Das kommt einem Reisenden befremdlich vor. Auch er zieht irgendeine Zeitung hervor und meldet sich mit einem schüchternen „Hallo“, jedoch nichts passiert. Darauf folgt die Auflösung: „Das kann nur BILD. Prepaid telefonieren in alle Netze. Plus BILD-Internet auf dem Handy für null Euro.“ Das Keyvisual „BILD am Ohr“ wurde zielgruppenspezifisch variiert. So zeigen die verschiedenen Kampagnenmotive beispielsweise den Fußballfan im Stadion, die Frau beim Shoppen oder den Handwerker auf der Baustelle. Lascheit zum Gestaltungskonzept der Kampagne: „Innerhalb des prägnanten und gelernten BILD-Kampagnen-Layouts haben wir gezielt frischere und technischere Bildmotive eingesetzt, die den Innovationscharakter des Produktes unterstreichen sollten und gleichzeitig positiv auf die Marke BILD einzahlen.“ Das Dilemma der notwendigen Produkterklärungen und Zusatzhinweise, die klassischer Bestandteil aller Telekommunikationskampagnen sind, wurde laut Lascheit so gelöst, dass diese Informationen komplett in Headlineform in ein exemplarisches BILD-Zeitungsformat als Bestandteil der Motive integriert wurden. Im Media-Mix war Print mit einem Budget-Anteil von 55 % das am stärksten eingesetzte Kampagnen-Medium. „Das ist natürlich atypisch für eine Einführungskampagne, aber als Verlagshaus und in Verbindung mit der Absendermarke BILD war es für uns nur konsequent, die preis-leistungsoptimale Medialeistung des eigenen Print-Objektes zu nutzen“, so Brindöpke. Im Hinblick auf die Adressierung markenaffiner, aber unregelmäßigerer BILD-Leser habe deshalb der TV-Spot eine besondere strategische Rolle gespielt. Außerdem sei Bewegtbild zum Transport der emotionalen Markenbotschaft zwingend gewesen. Der TV-Spot wurde als 28-Sekünder in der geschilderten sowie in einer weiteren Variante, in der eine Putzfrau mit der BILD-Zeitung telefoniert, bei allen reichweitenstarken Sendern ausgestrahlt. Der Budgetanteil für TV betrug 30 %. Eine traditionell hohe Relevanz für BILD haben die Citylight- 147 Motive, für die 12 % des Budgets ausgegeben wurde. Der Etatrest von 3 % wurde in InternetWerbung investiert. „Der crossmediale Charme“ der Kampagne entfaltet sich laut Dömer darin, dass das tagesaktuelle WAP-Portal ständig Anlass bietet, in der BILD-Zeitung redaktionell über neue Inhalte zu berichten und damit gleichzeitig das Prepaid-Angebot zu platzieren. Analog zu den Wettbewerbern sind im nächsten Schritt redaktionell gestaltete Anzeigen geplant. Kampagnenerfolg: Die gesteckten Ziele wurden deutlich übertroffen:574 • Im Hinblick auf das zentrale absatzpolitische Ziel sieht sich der Axel Springer Verlag mit deutlich über 100.000 Prepaidkarten-Käufern über der angenommenen Absatzentwicklung. • Sechs Monate nach dem Launch konnte sich BILDmobil unter den führenden Marken im Prepaid-Mobilfunk-Segment etablieren und erreichte nach Aldi Talk die zweithöchsten, monatlichen Aktivierungen. • Mit großem Abstand wurde BILDmobil zur Nummer 1 unter den redaktionellen Mobilportalen mit der höchsten User-Reichweite nach Page-Impressions. • Die Werbeerinnerung der Launchkampagne lag durchschnittlich bei 56 Prozent, womit der höchste Wert seit vier Jahren erreicht wurde. Angesichts des Starterfolges auf der Absatzseite wird die Kampagne fortgesetzt. Im nächsten Flight sollen verstärkt redaktionelle Anzeigen zum Einsatz kommen, wie sie auch die Wettbewerber Tchibo und Aldi erfolgreich für ihre Angebote nutzen. Mit dem 10-Cent-Tarif hat BILD in den ohnehin wettbewerbsintensiven Mobilfunkmarkt zusätzlichen Preisdruck gebracht, so dass einige Wettbewerber bereits mit identischen Tarifangeboten reagiert haben. Für die Zukunft wird deshalb auch über eine Ausweitung des BILDmobil-Angebots auf weitere, umfangreichere und auch deckungsbeitragsstärkere Dienste nachgedacht. Die Launchkampagne wurde mit dem Effie 2009 in Bronze ausgezeichnet. Fazit: Die BILDmobil-Kampagne ist in vielerlei Hinsicht eine klassische Einführungskampagne: Eine Low Involvement-Leistung (Prepaid-Karte), zu der Handy-Dienste mittlerweile geworden sind, wird in Verbindung mit einem innovativen Neuprodukt (WAP-Portal mit MarkenContent) unter dem Dach der profilierten Medienmarke BILD als Sub-Brand (line extension) aufmerksamkeitsstark im Markt platziert. Dabei sollen vor allem Neukunden erreicht werden, die der Absendermarke BILD zwar positiv gegenüberstehen, aber nicht zum Kreis der regelmäßigen Bestandskunden des Print-Kernproduktes gehören. Sie sollen Kunden einer mobilen 574 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 47f. 148 Leistungsvariante575 eines trägermediumunabhängigen, ganzheitlichen Inhalteprodukts BILD werden. Die zugrundeliegende Markendehnung wird dabei gleich mit dem Claim „BILD wird Handy“ plakativ kommuniziert. Als Low Involvement-Produkt wurde ein deutlicher Fokus auf die ökonomischen Ziele (Anzahl der Neukunden) gelegt und keine spezifischen kommunikativen Ziele definiert. Angesichts eines erklärungsbedürftigen Produkt-Bundles ist die kommunikative Positionierung geprägt durch eine Kombination aus Emotion und Information. Die Werbebotschaft ist plakativ informativ („BILD wird Handy“). Mediawerbung hat im Kommunikations-Mix zur Produkteinführung einen sehr hohen Stellenwert. TV ist das strategische Leitmedium in der Kampagne, auch wenn budgetär Print dominiert, was durch die inhouse vorhandene Print-Medialeistung der Dachmarke BILD bedingt ist. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukt Zielgruppenfokus Überwiegend Neukunden Budgethöhe höchstes Budget Kommunikative Werbeziele Awareness Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft/-stil Eher informativ Stellenwert Mediawerbung Sehr hoch Leitmedium Print (budgetär), TV (inhaltlich) Abbildung 22: Ausprägungen der BILDmobil-Kampagne als Einführungswerbung Quelle: Eigene Darstellung 575 BÜSCHKEN/VON THADEN, 2007, S. 597 ff., HUBER/KOPSCH, 2007, S. 617 ff. 149 6.1.2 Kampagnen-Fallstudie Audi Q7, Audi Marketingstrategie: Als Teil des Volkswagen-Konzerns liegt der Tätigkeitsschwerpunkt der Audi AG auf der Entwicklung und Produktion sportlicher Limousinen im Hochpreis-Segment. Im Frühjahr 2006 erweiterte der Premium-Automobilhersteller576 mit dem Audi Q7 seine Modellpalette unter der Dachmarke Audi erstmals um ein so genanntes Sports Utility Vehicle (SUV).577 Audi folgte damit der aktuellen Marktentwicklung: Die Akquisition neuer Kunden auf Basis einer Leistungsinnovation. Gleichzeitig ging es nach Aussage der Interviewpartner aber auch darum, den bestehenden AUDI-Kunden zu demonstrieren, dass AUDI seine innovative Technologieführerschaft fortsetzt und sie somit weiter an die Marke zu binden. Bei der Einführung des Q7 war Audi mit folgenden Herausforderungen konfrontiert:578 • • Der Markteintritt von Audi in dieses Marktsegment erfolgte deutlich verspätet.579 Eine Reihe von Wettbewerbern (insbesondere BMW, Porsche, Range Rover) hatten SUVModelle bereits seit Ende der neunziger Jahre erfolgreich im Markt etabliert. Der Markt zeigte bereits erste Übersättigungserscheinungen. So sank die Absatzentwicklung im Jahr 2005 im Premium-SUV-Segment um minus 6,8 % auf 58994 Einheiten (kumulierte Absatzwerte von BMW X5, Mercedes-Benz M-Klasse, Volvo XC90, Lexus RX, Porsche Cayenne und VW Touareg). • Zum Kreis der Wettbewerber gehörte auch das VW-Produkt Touareg (siehe Fallstudie) aus dem Mutterkonzern Volkswagen. Eine Kannibalisierung sollte vermieden werden. Ein Markterfolg des Q7 sollte dennoch durch eine technologische Differenzierung im Sinne des traditionellen Audi Markenversprechens „Vorsprung durch Technik“ erreicht werden. Nach den SUVs der zweiten Generation mit eher geringen Offroad-Qualitäten, aber dafür größtmöglicher Straßentauglichkeit wurde der Audi Q7 als erster SUV der dritten Generation (Performance SUV) so konzipiert, dass er sowohl im Gelände als auch im normalen Straßenverkehr fahrtechnisch überzeugt. Somit war im Hinblick auf den Produktnutzen ein signifikantes Differenzierungspotential gegenüber den aktuellen Wettbewerbern gegeben. Dieses sollte dann durch den Einsatz der hohen Reputation und des Imageprofils der Dachmarke Audi zusätzlich potenziert werden. Werbestrategie: 576 ROSENGARTEN/STÜRMER, 2005, S. 115 ff., S. 187 ff. PANDER, 2006, S. 19 578 GERBER, 2007b, S. 35 579 „Audis erster echter Geländewagen kommt spät, aber er kommt“, 27. Februar 2005 577 150 Gemäß dem Kernaufgabenprofil des Trendsetters waren die Marketingressourcen zur Einführung des Audi Q7 auf die Werbekommunikation fokussiert. Dementsprechend setzte Audi im Einführungsjahr 2006 mit insgesamt 105,4 Mio. Euro 66,5% mehr für Mediawerbung ein als im Vorjahr, was unter u.a. auch auf den Q7-Launch zurückzuführen ist.580 Die Einführungskampagne für den Audi Q7 zielt auf Neukunden, insbesondere aus dem Kreis derer, die bislang einen Premium-SUV der Konkurrenz fahren und nun zum Upgrade auf den aktuellsten Stand der Fahrtechnologie motiviert werden sollten. „Deshalb haben wir mit der Einführungskommunikation auch so früh begonnen, um allen SUV-Fahrern für ihren geplanten Anschlusskauf frühzeitig das Signal zu geben ‚Da kommt bald der erste SUV von Audi’, auf den ihr Euch upgraden solltet“, so Jagoda Low-Becic, Head of International Advertising bei Audi. Als Fahrer sportlicher Premium SUVs weisen sie folgende soziodemografischen und qualitativen Eigenschaften auf: überwiegend männlich, zwischen 45 und 50 Jahre alt und verheiratet. Das monatliche Haushaltsnettoeinkommen dieser „erfolgsorientierten Führungspersönlichkeiten“ liegt bei etwa 6500 Euro. Sie legen außer auf die im SUV erhöhte Sitzposition und das große Raumangebot vor allem Wert auf dynamische Fahreigenschaften und die hohe Performance – egal ob auf der Straße oder im Gelände; für sie gilt: „Ich will keine Kompromisse.“581 „Audi kam mit dem Q7 klar als Nachzügler in einen bereits besetzten Markt“, beschreibt Nils Wollny, Strategic Planner in der verantwortlichen Agentur kempertrautmann die kommunikative Herausforderung. Somit musste ein kommunikativer USP gefunden werden, der den Follower Q7 trotzdem begehrenswert macht. Deshalb wurde der funktionale USP (hohe Performance auf allen Straßenlagen) kommunikativ aufgeladen mit dem Bezug zum populären quattro-Allradantrieb von Audi. Wollny: „Mit einem visuellen Streifzug durch die Modellhistorie von Audi wollten wir dem Zuschauer verdeutlichen, dass Audi synonym für Allrad-Kompetenz ist.“ Dafür wurde die Audi Q7-Kommunikation eng mit der im Vorjahr gelaunchten und breit gestreuten Kampagne „25 Jahre quattro-Jubiläum“582 verknüpft und der Audi Q7 als SUV „vom Erfinder des quattro“ positioniert, denn der quattro-Antrieb steht seit 25 Jahren für mehr Performance. Becic: „Wir wollten die Bekanntheit und Popularität von quattro für den Q7 nutzen. Gleichzeitig sollte die Bewerbung des Q7 in Verbindung mit quattro auch positive Image- und Absatzeffekte für alle übrigen quattro-betriebenen Modelle von Audi haben.“ Becic dazu: „Wir wollten damit zeigen, dass der Audi Q7 nicht nur einen Meilenstein für die Marke Audi darstellt, sondern als Performance-SUV gleichsam eine neue Automobilklasse begründet.“ So lautete die zentrale Botschaft der Kampagne: „Mit dem Audi Q7 gibt es jetzt einen Audi, der für noch mehr Sportlichkeit und quattro Performance steht.“ Die visuelle Idee 580 ZAW, 2007, S. 136 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 6 582 Ebd. 581 151 der Kampagne stellt diese Technologieführerschaft und Sportlichkeit von Audi deutlich in den Vordergrund. Für die Kampagne wurden folgende ökonomischen Ziele gesetzt: • Absatzerfolg: o Abverkauf von mindestens 10.000 Einheiten im Einführungsjahr 2006; o Höchstes Neuzulassungsvolumen im Bereich der SUVs gegenüber den Wettbewerbern; o Erhöhung der Audi-Neuzulassungen mit quattro-Antrieb um mindestens 10 %. Daraus leiteten sich folgende kommunikativen Ziele ab: • Awareness: o Erreichung eines im internen Vergleich mit anderen Audi-Werbekampagnen überdurchschnittlichen Recall- und Recognition-Wertes. • Image-Verbesserung: o Verbesserung der Q7-relevanten Imagedimensionen für die Marke Audi um mindestens 5 %. • Interessenten-Generierung: o Erhöhung der monatlichen Besucher (Unique Visitors) auf audi.de auf über 1 Million während des Kampagnenzeitraums; o Generierung von 150000 Interessentenadressen im Vorfeld der Weltpremiere (März bis September 2005). Der kommunikative Zielfokus der Kampagne ging nach Wollny deutlich über die klassischen Recall- und Recognition-Ziele hinaus, da es sich zum einen um ein High-InvolvementProdukt handelte und die Kampagne entsprechend breit und zeitlich umfassend angelegt war, um ein breiteres Zielspektrum anzustreben. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Audi AG Automobil Audi Q7 High involvement März 2005 bis März 2006 15 - 20 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 23: Kampagnen-Steckbrief Audi Q7 Quelle: Eigene Darstellung. Für die Einführung des Q7 wurden drei unterschiedliche Phasen konzipiert, um den Spannungsbogen bis zur Markteinführung aufrechtzuerhalten: 152 1. Phase: Pre-Launch (März bis September 2005); 2. Phase: Weltpremiere (September 2005); 3. Phase: Verkaufsstart (März 2006). In der Pre-Launch-Phase dominierten Direkt-Marketing-Maßnahmen. Auf Basis bestehender Adressen wurden Mailings an zielgruppenkonforme potentielle Kunden verschickt, in denen auf das Produktportal zum Q7 verwiesen wurde. In der Interaktion mit den Besuchern dieser Site wurden dann die Daten von Q7-Interessenten generiert. Erst mit der Weltpremiere des Q7 auf der Internationalen Automobilausstellung IAA im September 2005 wurde einem breiteren Umfang klassische Mediawerbung eingesetzt. Dabei wird dem Betrachter in der kreativen Umsetzung als TV-Spot die Performance verschiedener quattro-Modelle aus einer völlig neuen und ungewöhnlichern Perspektive gezeigt. Er sieht die verschiedenen Autos auf ihrer Fahrt über eine Schotterpiste, nassen Asphalt und Eis. Dabei befindet er sich direkt unter dem Wagen oder unmittelbar über dem Untergrund. Von dieser quattro Leistungsshow wird übergeleitet zum konkreten Neuobjekt mit der Botschaft: „Seit 25 Jahren bauen wir quattro für mehr Fahrspaß. Jetzt haben wir ein Auto für mehr quattro gebaut. Der Audi Q7. Vom Erfinder des quattro.“ Erstmals wurden sowohl im TV-Spot wie auch in den Print-Anzeigen zum Q7 eine modellspezifische URL (www.audi.de/q7globe) kommuniziert. Mit entsprechend prominenter Platzierung der URL wurde die Zahl der Besucher auf der Audi Q7-Site weiter ausgebaut. Durch eine kontinuierliche Erweiterung der Inhalte auf dieser Site (u.a. 3-D-Showroom mit 360-Grad-Ansichten) wurde aus der wachsenden Besucherzahl der Site auf Basis einer Registrierung nach dem On Demand-Prinzip583 Interessenten generiert und durch weitere Direct-Mailing-Maßnahmen zu Vorbestellungen animiert. Zum Verkaufsstart im März 2006 wurde der Media-Impuls auf Basis von TV und Print erneuert, um möglichst viele Interessenten zur Besichtigung der Produkt-Website oder jetzt zur Live-Besichtigung und Probefahrt in die Showrooms der Audi-Händler zu animieren. 90 % des Kampagnenbudgets wurde für Mediawerbung eingesetzt, wobei angesichts der emotionalen Kampagnen-Botschaft für ein High Involvement-Produkt wie den Q7 das Trägermedium Fernsehen mit einem Budgetanteil von 40 % deutliches Leitmedium der Kampagne war. Komplementär mit einem hohen Budgetanteil von 30 % wurden Print-Anzeigen in Publikumszeitschriften und Tageszeitungen (jeweils 15 % Budgetanteil) eingesetzt. Die hohe Bedeutung von Online fand ihren Niederschlag in einem entsprechenden Budgetanteil von 20 %. Kampagnenerfolg: Im Rahmen der Kampagne wurden folgende Ergebnisse erzielt: • 583 Awareness: Vgl. RAPPAPORT, 2007, KENNY, 2007 153 o Die ungestützte Kampagnenerinnerung lag in der Zielgruppe der Autofahrer insgesamt bei 7 % und somit im Durchschnitt anderer Audi-Kampagnen; o die gestützte Bekanntheit lag mit 37 % in der Zielgruppe der Autofahrer und mit 44 % bei den SUV-Fahrern über dem für Audi-Kampagnen regulären Durchschnittswert. • Image-Verbesserung: o Bei der Leserwahl des Leitmediums „auto motor sport“ wird der Q7 mit 19 % zum besten SUV gewählt; o die Audi Q7-Kampagne hat mit ihrem Fokus auf Performance und die historischen Rennerfolge von Audi nachhaltig zur Verbesserung der sportlichen Wahrnehmung der Gesamtmarke beigetragen. Die Zielwerte der Imagedimensionen „baut sportliche Autos“ und „ist im Motorsport erfolgreich“ konnten erfüllt beziehungsweise übererfüllt werden, bei weiteren (dynamisch, attraktiver Fahrspaß, fortschrittliche Technik, innovativ, Likability der Kampagne) konnten zumindest hohe Zustimmungswerte generiert werden. • Interessenten-Generierung: o Die Zahl der monatlichen Besucher (Unique Visitors) auf audi.de stieg während des Kampagnenzeitraums auf über 1 Million. Das entsprach einer Steigerung von + 14,2 % im ersten Pre-Launch-Monat, von +89,6 % im Monat der Weltpremiere und +38,5 % zur Markteinführung; o im Vorfeld der Weltpremiere wurden über 200.000 Interessentenadressen generiert. Dies waren 33,3 % mehr als ursprünglich geplant. Bis zur Markteinführung im März 2006 lagen bereits 5000 Vorbestellungen zum Q7 vor. • Absatzerfolg: o Insgesamt wurden 11.603 Einheiten im Einführungsjahr 2006 (16 % mehr als geplant) abverkauft; o damit wurde das höchste Neuzulassungsvolumen im Bereich der SUVs gegenüber den Wettbewerbern BMW mit dem Modell X5 (8723 Neuzulassungen) und Porsche Cayenne (3346 Neuzulassungen) erreicht; o die Audi-Neuzulassungen mit quattro-Antrieb erhöhten sich von 57.120 in 2005 auf 74.844 in 2006 (Nettozuwachs ohne Q7 von 6121 Einheiten). Mit dieser Steigerung von 30 % wurde die Zielmarke von 10 % deutlich übertroffen. Der Einsatz des Internets als Erfolgsfaktor für die Lead-Generierung bestätigt die Untersuchungsergebnisse von YOON und KIM584, wonach Online-Maßnahmen insbesondere für die Bewerbung von High Involvement-Produkten relevant sind. Darüber hinaus war der Audi Q7 mit 13.202 Neuzulassungen 12 Monate nach Markteinführung der erfolgreichste Neuproduktstart im Segment der sportlichen Premium-SUVs gegen584 YOON/KIM, 2001, S. 55 154 über BMW X5, Porsche Cayenne und Range Rover Sport. Der Absatzerfolg setzte sich über die Einführungsphase hinaus fort.585 Zudem zeichnete sich die Q7-Kampagne durch die höchste Werbeeffizienz im Wettbewerbsumfeld aus. So lagen die Spendings pro Recall-Prozentpunkt mit 0,9 Mio. Euro deutlich unter dem Vergleichswert zur BMW X5-Kampagne (1,5 Mio. Euro). Der Kampagnenerfolg ist aus Expertensicht insofern bemerkenswert, als dass Audi mit dem Q7 als deutlicher Nachzügler in einen bereits stagnierenden Markt eingetreten ist. Wollny: „Mit der Q7-Kampagne ist es gelungen, die natürliche Schwäche des Nachzüglers in eine Stärke zu verwandeln, in dem wir konsequenter und umfassender die potentielle Zielgruppe adressiert haben als die Wettbewerber.“ Begünstigt wurde der Kampagnen-Erfolg durch folgende Umstände: • Gutes Timing: Der Launch des Q7 erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem Wettbewerbsmodelle der sogenannten zweiten SUV-Generation wie z. B. der BMW X5 bereits einen hohen Reifegrad erreicht hatten. • Kommunikative Synergien: Mit der umfangreichen quattro-Kampagne im Vorjahr wurde kommunikativ massive „Vorarbeit“ für die Q7-Einführungskampagne geleistet. • Doppelter Imagetransfer: Durch den Einsatz der imagestarken Dachmarke Audi als Absender des Q7 sowie die kommunikative Verbindung mit der Antriebsmarke quattro wurden gleich zwei relevante und etablierte Marken für die Werbekommunikation genutzt und damit Markenkompetenz kapitalisiert.586 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Audi als Marke insgesamt mit einem Jahreswerbevolumen von 105,4 Mio. Euro 2006 an sechster Stelle unter den Top-Werbetreibenden im deutschen Automobilmarkt steht und damit deutlich vor anderen Wettbewerbern im SUVPremium-Segment (u.a. Porsche und Volvo). Kommunikationsstrategisch hatte die Q7-Kampagne für Audi eine besondere Bedeutung, weil die Kampagne anschaulich die Mobilisierungsqualität des Internets unter Beweis gestellt hat und sich zudem mit diesem Kanal für Audi die Möglichkeit ergibt, in größerer Zahl und zugleich sehr effizient mit ihren (potentiellen) Endkunden in Kontakt zu treten (vgl. dazu auch die vorgestellte VW Golf-Kampagne). Die Q7 Einführungskampagne wurde mit dem Euro Effie in Gold sowie dem deutschen Effie in Bronze ausgezeichnet. 585 586 KATZENSTEINER, 2006, S. 11 ESCH, 2002, S. 203 ff. 155 Fazit: Die Einführungskampagne zum Audi Q7 ist exemplarisch für die Einführungswerbung eines High Involvement-Produktes. Das erste Modell des Ingolstädter Autobauers im bestehenden Marktsegment der sogenannten Sports Utility Vehicle richtet sich vorrangig an Neukunden, die häufig noch segmentgleiche Modelle der Wettbewerber fahren. Ungewöhnlich für die kommunikative Zielsetzung ist die Ausblendung von Awareness-Zielen bei klarer Fokussierung auf hohe Relevanzwerte, die in diesem Fall festgemacht werden an den Besuchern (Unique Visitors) und Produktinteressenten, die online generiert werden konnten. Bei dieser Ergänzung des vorhandenen Modell-Portfolios setzt der Anbieter neben der Dachmarke Audi auch auf eine kommunikativ-inhaltliche Line-Extension: Der Innovationscharakter des Q7 wird in Verbindung gebracht zum bekannten quattro-Antrieb von Audi. Als HighInvolvement-Produkt ist die kommunikative Positionierung durch eine Kombination aus Emotion und Information bestimmt. In der Werbebotschaft dominiert die Information über den Leistungsvorsprung auf Basis bewährter innovativer Antriebstechnologie („von den Machern/Erfindern des quattro). Mediawerbung hat im Kommunikationsmix zur Produkteinführung einen hohen Stellenwert. Allerdings spielen Instrumente wie Direkt-Marketing und Event-Marketing in der mehrstufigen Kampagne eine wichtige Rolle. Inhaltlich wie budgetär ist Bewegtbild/TV das Leitmedium der Kampagne. Der Erfolg der Audi Q7 ist exemplarisch für eine Follower-Strategie587: Audi eroberte die Marktführerschaft in einem bereits bestehenden und sogar bei Markteintritt stagnierenden Markt durch den kommunikativen Verweis auf traditionelle Technologie-Kompetenzen (Von den Erfindern des quattro-Antriebs) in Verbindung mit einem – gegenüber den Wettbewerbern – deutlichen funktionalen Vorteil (höhere Geländeflexibilität) sowie unter Einsatz einer für den anvisierten Markt idealen Absendermarke. Der Q7 ist auch ein Beispiel dafür, wie die für das anvisierte Ziel-Segment ideal positionierte Marke – trotz deutlich verspäteten Markteintritts – maßgeblich aufgrund ihrer Markenstärke in die Führungsposition kommt. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukt Zielgruppenfokus Fast ausschließlich Neukunden Budgethöhe höchstes Budget Kommunikative Werbeziele Awareness, Image Positionierung Emotion und Information Werbebotschaft/-stil eher informativ Stellenwert Mediawerbung hoch (70%) Leitmedium TV Abbildung 24: Ausprägungen der Audi Q7-Kampagne als Einführungswerbung Quelle: Eigene Darstellung 587 COVIN/SLEVIN/HEELEY, 2000, S. 178 ff. 156 6.1.3 Kampagnen-Fallstudie Paula, Dr. Oetker Marketingstrategie Der Lebensmittel-Produzent Dr. Oetker hat mit der Übernahme der Firma Onken 2004 sein Portfolio um sogenannte milchbasierte Frische-Produkte vorrangig für Erwachsene erweitert. Nach dem Transfer und der Integration des bestehenden Onken-Sortiments wurden neue Wachstumsquellen zur Auslastung der erworbenen Produktionskapazitäten und zur Umsatzsteigerung des Sortimentsbereichs insgesamt gesucht. Der Markt für Molkereiprodukte (MoPro) in Deutschland ist durch folgende Entwicklungen geprägt: • Absatz- und Umsatz sind bereits seit einigen Jahren kontinuierlich rückläufig; • angesichts ausgeschöpfter Marktpotentiale hat ein intensiver Verdrängungswettbewerb eingesetzt; • insbesondere europäische und internationale Wettbewerber nutzen ihre Innovationskraft zur Differenzierung. Auf der Suche nach Wachstumsmöglichkeiten wurde der Markt für milchbasierte Kinderdesserts (Puddings) als relevant identifiziert. Gleichzeitig wurde die Chance gesehen, vor allem den Wettbewerber Zott als Marktführer mit einem Anteil von 55 % in diesem Markt, erfolgreich zu verdrängen. Zott war bereits seit 2001 mit dem Puddingprodukt Monte in diesem Markt vertreten und hatte bereits 2004 einen deutlichen Strategiewechsel von der vorrangigen Ansprache der Gatekeeper Mütter zu den Kindern als Endkonsumenten des Produktes vollzogen. Auf Grundlage der erweiterten Frische-Kompetenz führte Dr. Oetker zum 1. Juni 2006 einen speziell für die Zielgruppe Kinder konzipierten Schoko-Vanille-Pudding unter dem SubBrand „Paula“ ein. Das Produkt wird im 125 Gramm-Becher jeweils in den Sorten Vanille mit Schoko sowie Schoko mit Vanille angeboten, wobei der Pudding einmal weiß und einmal braun gesprenkelt aussieht, fast so wie das Fell einer Kuh. Somit agierte Dr. Oetker in der Systematisierung von TOMCZAK ET AL. als Multiplizierer588, indem das bestehende Pudding-Produktsortiment um eine zielgruppenspezifische Variation (Fokus Kinder) erweitert wurde, um das Marketingziel der Kundenakquisition zu erreichen. Insofern handelt sich bei Paulas Pudding nicht um eine Leistungsinnovation im Sinne von TOMCZAK ET AL.589 und HERRMANN590, sondern um eine Variation bestehender Leistung im Sinne einer Leistungspflege.591 588 589 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 19; S. 28 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 18 157 Das strategische Ziel, durch die erfolgreiche Einführung von Paula Kinderpudding die Marktposition von Dr. Oetker im Markt der gekühlten Dessertprodukte insgesamt auszuweiten entspricht dem Kernaufgabenprofil des Multiplizierers. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Dr. August Oetker Nährmittel KG Konsumgüter/Lebensmittel Paulas Pudding Low-Involvement April bis November 2006 10-15 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 25: Kampagnen-Steckbrief Dr. Oetker Paula Quelle: Eigene Darstellung Werbestrategie: Gemäß des Marketingziels der Kundenakquisition lag der Marketingfokus auf der Werbekommunikation. Die Bedeutung des Produktlaunches von Dr. Oetker Paula verdeutlicht sich an der Tatsache, dass mit einem Kampagnenbudget von 10-15 Mio. Euro fast 10 % des Jahres-Gesamtwerbevolumens in 2006 von 75,6 Mio.592 investiert wurde. „Das Produkt selber ist sicherlich eher banal, aber durch die hellen Vanille-Flecken im Schoko-Pudding in Verbindung mit der Marke Paula und der gleichnamigen Kuh als Key-Visual ist es uns gelungen, ein für die Zielgruppe relevantes Differenzierungsmerkmal zu schaffen“, so Dr. Oetker-Marketing-Manager Axel Kampmann. Als Neukunden standen für den Absatz von Paula zwei Zielsegmente im Fokus: 1. Kinder; Jungen und Mädchen zwischen 5 und 10 Jahren, wobei die Kernzielgruppe im Alterskorridor 6 bis 9 Jahre liegt. Sie sollen „die Kuh Paula ‚KUHL’ finden und Spaß an der lustigen Ausstrahlung der Kuh Paula haben und somit ihre Mütter zum Kauf animieren.“593 2. Mütter; haushaltsführende Frauen ab 30 Jahren in ihrer Funktion als Gatekeeper, die über Kauf oder Nichtkauf von Produkten entscheiden. Für die Mütter soll die Kuh Paula „Natürlichkeit transportieren und als Lieferant der guten und frischen Zutaten stehen – als Rückversicherung für das gute Gefühl, das Richtige für ihre Kinder zu tun. Als marketingspezifische Ziele im Verdrängungswettbewerb wurden für die Einführung von Paula gesetzt:594 590 HERRMANN, 1998, S. 510 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 19; HERRMANN, 1998, S. 510 592 ZAW, 2007, S. 136 593 JUNG/VON VIEREGGE, 2007, S. 38 594 JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 43 591 158 • Platzierung von Paulas Pudding unter den fünf erfolgreichsten Neueinführungen auf dem Markt für Molkereiprodukte in 2006; • Penetration von Paulas Pudding in Höhe von mindestens 5 % Marktanteil mit dem Benchmark Müller Doppeldecker als zweitgrößtem Anbieter nach Zott Monte mit 20 % Marktanteil; • Erreichung eines Umsatzziels im ersten Jahr von 10 Mio. Euro (die in etwa einem Drittel des Umsatzes von Hauptkonkurrent Zott Monte entsprechen). Kommunikative Ziele der Paula-Kampagne waren: • Erreichung einer Werbeawareness von 60 % in der Zielgruppe; • Awareness-Steigerung bei den Müttern für die Dr. Oetker-Frischekompetenz im Kühlregal generell; • Erreichung von 60 % gestützter Markenbekanntheit in der Zielgruppe. Effizienzziele der Paula-Kampagne waren: • direkter Einfluss der Kampagne auf den Produktabsatz; • effizienterer Einsatz der Werbespendings als bei vergleichbaren Produktneueinführungen im MoPro-Markt in den vergangenen Jahren. „Angesichts der traditionell hohen Floprate im Food-Sektor war es uns bei den absatzpolitischen Zielen vorrangig wichtig, zügig zu einer marktrelevanten Position zu kommen. Zentrale Kenngröße ist dafür klassischerweise der Marktanteil“, so Kampmann. Zum Ziel des direkten Einflusses der Kampagne auf den Produktabsatz merkt Christian Oetker, Leiter der Dr. Oetker-Marktforschung Folgendes an: „Anders als bei Investitionsgütern gibt es bei den Low-Involvement-Produkten im Food-Sektor keine Time-gaps. Wenn sich nicht innerhalb der ersten vier Kampagnenwochen signifikante Absatzeffekte bemerkbar machen, ist die Kampagne bzw. das Produkt gefloppt.“ Angesichts klassischer Low-Involvement-Werte im Hinblick auf Kognition und Emotion war die Positionierung auf aktuelle Präsenz im Sinne von Awareness ausgerichtet.595 Schlüsselelement einer aufmerksamkeitsstarken Werbebotschaft war laut Kampmann „Paulas Rap“.596 Im TV-Spot wird dieser Rap („Die Paula ist ’ne Kuh, die macht nicht einfach ‚muh’“) von Kindern gesungen, die dabei im TV-Spot genussvoll Paulas Pudding löffeln. Funktionelle Aspekte des Low-Involvement-Produktes waren dabei nachrangig. Key-Visual des TV-Spots war die animierte Comic-Kuh Paula, die mit ihrer Sonnenbrille von der Kinder-Zielgruppe als „cool“ empfunden wird und die Mütter gleichzeitig an die natürliche Quelle des Rohstoffs 595 596 ESCH, 2007, S. 27 ff. Vgl. zur Bedeutung von Musik in Werbung OAKES, 2007, S. 48 159 Milch erinnert. „Der Kuh kam in Verbindung mit dem Rap-Song eine besondere kommunikative Bedeutung als Identifikationsfigur zu, da sie für Jungen und Mädchen der Zielgruppe hochattraktiv ist“, so Karin Ferber, als Group Account Director bei BBDO verantwortlich für die Kampagne im Hinblick auf die Figur „Monti“ des Wettbewerberproduktes Monte. „Für die erfolgreiche Positionierung des Produktes war es notwendig, mit Paula eine eigene Sub-Brand unter der Marke Dr. Oetker zu schaffen, die all das verkörpert, was für die Zielgruppe der Kinder relevant ist, für das die Traditionsmarke Dr. Oetker jedoch nicht steht“, so Kampmann. „Die Führung von Paula als Submarke ermöglicht es uns in der Kommunikation, eine eigenständige Welt für das Produktangebot aufzubauen, die sich mit eigenen Werten/Facetten von der Marke Dr. Oetker absetzen kann: In diesem Fall eine attraktive kindgerechte Welt mit einer „Identifikationsfigur Paula als „coole Comic-Kuh Die Marke Dr. Oetker liefert als Absender die notwendige Qualitätsgarantie für die Mütter“, so Ferber.597 Positionierung und kreative Leitidee (Paulas Rap) bedingten die Wahl von Bewegtbild als zentralem Werbemittel. Der 30sekündige TV-Spot wurde in zwei Varianten jeweils für die Zielgruppe der Kinder und Mütter produziert, „wobei in der Kinderversion die Kuh Paula noch etwas stärker in Szene gesetzt wurde“, so Ferber. Dementsprechend dominierte im Media-Mix der Kampagne TV als Leitmedium mit einem geschätzten Budgetanteil von 95 %. „Wir brauchten im Sinne maximaler Awareness einen schnellen Reichweitenaufbau. Das ist nur mit TV möglich“, so Ferber. Dementsprechend wurden alle reichweitenstarken TV-Sender sowie Kindersender (Super RTL) und Sender mit hohem Anteils an Kids-Formaten belegt. Das Sponsoring eines Kinder-Kinofilms sowie eine Kampagnen-Website hatten dagegen zum Start nur flankierenden Charakter. Als überraschend äußerst erfolgreich erwies sich laut Kampmann die Kooperation mit der Kinder-Online-Community toggo.de des Senders Super RTL. Mit dem Ziel einer Vitalisierung der Leitfigur Paula wurden auf toggo.de parallel zu den TV-Spots Online-Games mit dem Spielcharakter Paula angeboten sowie ein Gewinnspiel, in dem es galt, Paulas Rap-Song mit einer eigenen Liedzeile fortzuschreiben. Die Kampagne wurde in zwei großen Flights vom April 2006 bis zum November 2006 geschaltet. Kampagnenerfolg: Mit der Kampagne wurden die gesetzten absatzpolitischen Ziele übertroffen: • Paulas Pudding gelangte nicht nur – wie angestrebt – unter die Top-5-Neueinführungen, sondern war mit großem Abstand die erfolgreichste Neueinführung im wettbewerbsintensi- 597 Vgl. dazu die Überlegungen von ESCH, 2002, S. 203 ff. sowie ANDRESEN/NICKEL, 2005, S. 777 f. zu den Erfolgsbedingungen der vertikalen Dachmarken-Dehnung in Form eines Sub-Brandings. 160 ven Markt für Molkereiprodukte, wobei die übrigen Neueinführungen auf deutlich größere Zielgruppen (Erwachsene insgesamt) zielten; • mit dem Start der TV-Kampagne im März wurde eine kontinuierliche Steigerung der Nachfrage generiert, wobei die Jahreszielmarke von 5 % bereits im 3. Quartal erreicht wurde und der Marktanteil zum Jahresende 6,5 % betrug. Konsequenz: Der Marktanteil von Dr. Oetker im Fertigdessert-Markt insgesamt stieg durch den Paula-Erfolg um 10 % von 24,6 % auf 27,0 %; • das Umsatzziel von 10 Mio. Euro wurde um 44,3 % übertroffen (insgesamt 14,5 Mio. Euro), während der Hauptwettbewerber Zott Monte 1,3 Mio. Euro Umsatz einbüßte (minus 4,8 %). Gleichzeitig wuchs der gesamte Markt für Milchpudding-Kinderprodukte durch Paulas Pudding von 45,9 Mio. Euro um 32,4 % auf insgesamt 60,9 Mio. Euro. Ohne den Umsatzanteil von Paulas Pudding betrug das Marktwachstum nur 1 %; • die höchsten Umsatzsteigerungen erzielte Paulas Pudding während der zwei TV-Flights im Frühjahr und Herbst; • Paulas Pudding erreichte im Startjahr einen Marktanteil von 24 %, 20 % über der anvisierten Zielmarke: Gleichzeitig büßte der Marktführer Zott Monte 18 % seines Marktanteils ein; • die gestützte Bekanntheit von Paulas Pudding in der Kinder-Zielgruppe lag bei 70 %, 74 % erklärten, den TV-Spot Paulas Rap gesehen zu haben; • Kaufanimation: Die qualitative Marktforschung ergibt, dass bei 32 % der Kinder bzw. 47 % der Mütter der TV-Spot eine direkte Wirkung auf die Kaufentscheidung hat. 48 % des Absatzes von Paulas Pudding im Jahr 2006 sind nachweislich auf TV-Werbung zurückzuführen (OMD Modelling). Generell belegt dies jedoch auch die Notwendigkeit eines konstant hohen Werbedruck zur kontinuierlichen Absatzsteigerung bei Low-InvolvementProdukten (permanenter Aktualisierungsdruck, um im relevant set der Konsumenten zu bleiben); • im Zuge der Online-Maßnahmen wurden knapp 10 Millionen Page-Impressions generiert und knapp 17000 Teilnehmer innerhalb der zwei Gewinnspiele rekrutiert; • die Effizienz der eingesetzten Spendings lag mit 538200 Euro pro Prozentpunkt Marktanteil höher als die anderer Kampagnen (Vergleich Crema Joghurtschnee mit 769800 Euro pro Prozentpunkt). Im Zuge der Einführungskampagne ist es Dr. Oetker mit Paulas Pudding offensichtlich gelungen, einen Marktanteil von 24 % im Markt der Milchpudding-Kinderprodukte im ersten Jahr sowohl aus einer deutlichen Nachfragesteigerung nach Milchpuddingprodukten für Kinder wie auch aus einer erfolgreichen teilweisen Verdrängung des Sortiments-Marktführers Zott Monte zu generieren. 161 Erfolgsfaktor für die Kampagne war nach Einschätzung von Ferber die in allen Dimensionen „konsequente zielgruppenspezifische Kampagnenumsetzung.“ Damit bestätigt die Fallstudie die Überlegungen von BRUHN zu den Erfolgsparametern integrierter KommunikationsKampagnen.598 Die Bedeutung der zielgruppenattraktiven Figur „Paula“ für den Kampagnen-Erfolg ist ein weiterer Beleg für die Überlegungen von GARRETSON und BURTON zur Bedeutung der übergreifenden Verwendung solcher Figuren in der Werbekommunikation und auf der Verpackung 599 ebenso wie die hohe positive Resonanz auf Paulas Rap die Überlegungen von GORN600 zum Erfolgstreiber Musik in der Werbung unterstreicht. Die gesetzten Ziele waren nach Einschätzung von Angela Wisken, Chefredakteurin der Lebensmittel Zeitung relevant und hinreichend ehrgeizig. „Die Einführung von Paulas Pudding war im Gegensatz zu vielen ‚One-Shots’ ein echter und nachhaltiger Markterfolg“, so Wisken. „Tendenziell fehlen Dr. Oetker die Mittel, um gegenüber den internationalen Food-Multis und ihren Werbeetats kommunikativ bestehen zu können“, so Wisken weiter. Im Falle von Paula seien jedoch durch die Wahl einer engen Zielgruppe und einer einzigartigen (‚uniquen’) Kreatividee die Werbemittel ausreichend gewesen. „Der Erfolg der Kampagne basiert maßgeblich darauf, dass Dr. Oetker die riesige Positionierungslücke neben Zott Monte richtig identifiziert und Paula konsequent in diesem Freiraum platziert hat“, so Effie-Jury-Mitglied Peter Schütz. Dementsprechend wurde die Kampagne 2006 mit einem silbernen Effie ausgezeichnet. Fazit: Die Paula-Kampagne von Dr. Oetker ist exemplarisch für die Einführungskampagne eines Low-Involvement-Produktes. Zwar stehen bei dem ersten, spezifisch für die Zielgruppe der Kinder entwickelten Milchprodukt des Lebensmittelproduzenten Dr. Oetker vorrangig Neukunden (Kinder) im Fokus der Kampagne, allerdings ergeben sich auch partielle CrossSelling-Effekte durch die Ansprache der Müttern in ihrer Gatekeeper-Funktion als finale Kaufentscheider. Als Einführungswerbung ist die Bekanntheit des Produktes das vorrangige Kommunikationsziel der Kampagne gewesen. In der besonderen Ausprägung eines Neuproduktes, das sich vorrangig an einem bestehenden marktführenden Wettbewerbsprodukt orientiert, ist die Werbebotschaft vorrangig emotional und offeriert eine „Kids-Coolness“ als zielgruppenkonformen Erlebnischarakter, der deckungsgleich ist mit der klassischen Positionierung eines Low-Involvement-Produktes. Mediawerbung dominiert den Kommunikations-Mix 598 BRUHN, 2005a, S. 113 ff. GARRETSON/BURTON, 2005, S. 120 600 GORN, 1982, S. 100 599 162 der Kampagne in hohem Maße. zum schnellen Reichweitenaufbau und als Werbemittel mit der höchsten Emotionalität wurde beim Media-Mix ein starker Fokus auf TV gelegt. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukt Zielgruppenfokus überwiegend Neukunden Budgethöhe höchstes Budget Kommunikative Werbeziele Bekanntheit Positionierung Emotion Werbebotschaft/-stil emotional Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (90%) Leitmedium TV Abbildung 26: Ausprägungen der Paula-Kampagne als Einführungswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.4 Kampagnen-Fallstudie Dove pro•age, Unilever Marketingstrategie Mit einem Jahresumsatz von 39,6 Mrd. Euro, von denen sechs Prozent in Deutschland erwirtschaftet werden, ist Unilever einer der größten Konsumgüterhersteller weltweit. Das Portfolio reicht von Nahrungsmitteln und Getränken über Haushalts- und Textilpflege bis zu Körperund Haarpflegeprodukten. Im Segment der Körperpflegeprodukte ist Unilever mit der Marke Dove (heute knapp 100 Artikel in neun Kategorien) seit 1991 im deutschen Markt präsent. Innerhalb der ersten zehn Jahre konnte Dove in Deutschland für sich eine relevante Marktposition erobern, blieb jedoch mit einem Gesamtmarktanteil von 5 % deutlich hinter dem nationalen Marktführer Beiersdorf (37 % Marktanteil in 2003) zurück. In der Kommunikation präsentierte sich Dove bis 2003 mit dem Key-Visual des Tauben-Signets eher zurückhaltend. Die Ergebnisse der qualitativen Marktforschung ergaben, dass Dove damals eine „passive Weiblichkeit“ für „Frauen von gestern“601 repräsentierte. Die Dove-Produkte standen hauptsächlich für „viel Feuchtigkeitspflege“. Somit war für die Verantwortlichen bei Unilever klar, dass eine deutliche Ausweitung von Absatz, Umsatz und Marktanteil von Dove – insbesondere in Deutschland – nur durch eine kommunikative Repositionierung der Marke in Verbindung mit verbesserten Produkten zu erreichen wäre. Konsequenz: Unilever startete 2004 eine prägnante Relaunch-Kampagne602, in der – als radikales Gegenstück zur klassischen Körperpflegewerbung mit Models – ‚echte’ Frauen in den Fokus gesetzt wurden. Diese Kampagne für die hautstraffende Pflegeserie von Dove war im Hinblick auf Awareness, Image und konkrete Absatz- und Umsatzeffekte äu- 601 602 JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 37 TELGHEDER, M., 2004, S. 14 163 ßerst erfolgreich und trug zu einer massiven Steigerung des Markenwertes bei.603 Beate Kindler, kampagnenverantwortliche Brand-Managerin für Dove: „Markenstrategisch war es konsequent, zunächst für Dove ein funktionales Markenversprechen zu etablieren, um dann die Marke so massiv emotional aufzuladen.“ Mit der Repositionierung von Dove wurde kommunikativ eine deutliche Differenzierung zum weiterhin klassisch werbenden Wettbewerber L’Oreal vorgenommen. Dagegen ist die Abgrenzung zum vor allem nationalen Wettbewerber Beiersdorf „die unschärfste“, weil Beiersdorf immer schon mit natürlicher Schönheit geworben hat. „Letztlich haben wir diese Natürlichkeitspositionierung nur noch konsequenter und radikaler besetzt“, so Kindler. Auf Grundlage der erfolgreichen Repositionierung der Marke Dove wurde im nächsten Schritt die weitere Marktpenetration auf Basis einer Line-Extension zur gezielten Ansprache einer bis dato eher vernachlässigten Zielgruppe beschlossen, den Frauen im Altersbereich über 40 Jahre. „Mit der repositionierten Marke Dove hatten wir die notwendige Power und Glaubwürdigkeit sowie mit der Kampagnenplattform der ‚echten Frauen’ eine adäquate Kommunikationsplattform, um dieses Kundensegment erfolgreich anzugehen“, so Kindler. Gleichzeitig trat Dive damit aber aber auch in den seit Jahren boomenden, wettbewerbsintensiven Anti-AgingMarkt ein.604 Dementsprechend wurde unter dem Subbrand pro•age im Februar 2007 ein neues Sortiment von 12 Pflegeprodukten aus neun Warenkategorien speziell für ältere Frauen im deutschen Markt eingeführt. Mit dieser vertikalen Dehnung der erfolgreich repositionierten Absendermarke Dove agierte Unilever auch markenstrategisch konsequent als Multiplizierer: Durch eine zielgruppenspezifische, leistungspflegende Variation des bestehenden Sortiments an Pflegeprodukten sollte das Marketingziel der erfolgreichen Kundenakquisition erreicht werden.605 Werbestrategie: Als Einführungswerbung zielte die Kampagne vor allem auf Neukundinnen in der Altersgruppe 50 Jahre und älter. Kindler erläutert dazu: „Wir waren uns der Problematik bewusst, dass mit dem neuen zielgruppenspezifischeren Sortiment bestehende Dove-Kundinnen der Pflegeserie möglicherweise kannibalisieren. Wir haben für uns dennoch diesen Schritt als notwendig und sinnvoll zur langfristigen Expansion der Marke Dove bewertet.“ 603 BERGMANN, 2007, S. 21 f.; JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 38 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 247 605 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 19 604 164 Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Unilever Deutschland Holding GmbH Konsumgüter/Pflegeprodukte Dove pro•age-Pflegeserie Low-Involvement Februar bis Dezember 2007 Keine Angaben * Brutto-Werbevolumen Abbildung 27: Kampagnen-Steckbrief Dove pro age Quelle: Eigene Darstellung Als zentrale Herausfoederungen für die Kommunikation wurden folgende gesehen:606 • Ein Umdenken in der Gesellschaft zu forcieren, • Frauen zu ermutigen statt Anti-Age „Pro Age“ zu sein, • und die Produkte ohne übertriebene Versprechen und der Altersgruppe entsprechend anzubieten. Als zentrales kommunikatives Kampagnenziel wurde vor Kampagnenstart fixiert: • Gestützte Bekanntheit von mindestens 20 % in der Zielgruppe. • Aufbau starker Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft in einem Umfeld von eher übertriebenen Versprechen. Als zentrales absatzpolitisches Kampagnenziel wurde vor Kampagnenstart fixiert: • Erreichung der Marktführerschaft im Marktsegment der Pflegeprodukte für Frauen ab 40 Jahren. • Ausbau der Käuferreichweite durch den Dove pro•age-Launch. „Traditionell stehen auch für mich als Kommunikationsverantwortliche die Absatzziele im Fokus“, so Kindler. Gerade angesichts der Imageerfolge der Vorläufer-Kampagne von 2004 waren für pro•age das schnelle Erreichen der Absatzziele maßgeblich. Kindler erläutert Motivkonzept wie folgt: „Im Sinne eines deutlichen Aberverkaufs-Fokus präsentieren wir in den einzelnen Werbemitteln immer einen konkreten Artikel. Angesichts der Komplexität des Gesamt-Portfolios von Dove liegt unserer Kommunikation eine klare Plattform-Strategie zugrunde.“ Die Grundphilosophie zur pro•age-Kampagne lautete: ‚Keine Frau sollte das Gefühl haben, dass älter werden etwas Negatives ist, das um jeden Preis verhindert werden muss. Im Gegenteil: Wir möchten Frauen, die an der Schwelle zum vielleicht spannendsten Abschnitt ihres Lebens stehen, inspirieren, ihr Potential zu erkennen und auszuschöpfen.’ 606 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 247 165 Daraus resultierte der Kampagnen-Claim „Dove pro•age, denn Schönheit kennt kein Alter“. Die Kampagne machte die Schönheit von Frauen 50+ für alle sichtbar. Um ihre Schönheit zu zeigen, entblößten sie stolz ihren Körper: mit Altersflecken, Falten und grauen Haaren.607 „Strategisch ist die pro•age-Kampagne als markanter Widerspruch gängiger Schönheitsideale eine konsequente, zielgruppenspezifische Fortsetzung der Relaunch-Kampagne von 2004“, so Kindler. Dementsprechend wurde für die kreative Umsetzung das Kampagnen-Format adaptiert. „Key-Visual der Kampagne sind ‚echte’ Frauen im Alter zwischen 40 und mehr Jahren, die in großer Natürlichkeit ihre Schönheit nackt präsentieren“, so Kindler.608 Analog der Relaunch-Kampagne und konform mit dem FMCG-Markt war TV-Werbung mit einem Budgetanteil von circa 60 % das Leitmedium im Media-Mix für pro•age. Flankiert wurde dies durch Print-Werbung (circa 30 %). Eine ebenfalls traditionell besondere Rolle spielten – ebenfalls analog der Einführungskampagne – Riesenplakate. Kindler: „Bei der Kampagne 2004 haben wir die enorme Bedeutung von PR als Instrument zur effizienten Awareness-Generierung gelernt und dieses Wissen bei der pro•age-Kampagne entsprechend eingesetzt.“ Darüber hinaus spielten für die pro•age-Kampagne der Einsatz vielfältiger belowthe-line-Maßnahmen eine wichtige Rolle. So wurde im September eine Online-Community unter der URL-Adresse http://www.proage-netzwerk.de/ von Unilever gelauncht. „Wir haben festgestellt, dass wir mit dem neuen Image von Dove viel eher in der Lage sind, in eine direkte Kommunikation mit den Konsumentinnen zu treten und dass dieses Angebot, obwohl es um klassische Low-Involvement-Artikel geht, angenommen wird“, so Kindler zur Dialogstrategie von Dove. Insgesamt konnten bereits über 4 Millionen Endkunden-Kontakte über die verschiedenen Interaktionskanäle generiert werden. Kampagnenerfolg: • Gestützte Bekanntheit von 25 % (25 % über dem Zielwert); • Im Vergleich zur übrigen Werbung erzielte die Kampagne in den Dimensionen und Identifikation überdurchschnittliche Werte; • Die umfassende Berichterstattung in den Medien verdeutlicht, welche gesellschaftliche Relevanz die Kampagne erhalten hat. So wurden über 1 Milliarde Kontakte durch TVBerichte, Print- und Onlineberichte generiert; • Neukundenakquisition: Mit Dove pro•age generierte Unilever bis Ende des Kampagnenjahres 2007 über drei Million neuer Kundinnen; • Zielgruppen-Penetration: Dove pro•age erreichte in den anvisierten Kern-Alterssegmenten (40-69 Jahre) durchschnittlich mehr als ein Viertel der Frauen als Erstkäufer der pro•ageProdukte; 607 608 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 250 Dies entspricht nach MEFFERT/BURMANN/KOERS, 2005 S. 715 f. der Variante von Testimonial-Werbung mit „typischen“ Verwendern. 166 • Marktführerschaft: Dove pro•age ist im Markt der Pflegeprodukte speziell für ältere Frauen mit 60 % Marktführer, deutlich vor dem wichtigsten Wettbewerber Beiersdorf mit 35 %. • Der Erfolg der Dove pro•age-Pflegeserie beeinflusste signifikant den gesamten DoveBody-Care-Umsatz . Innerhalb eines Jahres stieg dieser um 72 Prozent. • Durch die erfolgreiche pro•age-Kampagne konnte die Käuferreichweite von Dove um 36 Prozent gesteigert werden. Grundlage für den schnellen Erfolg von Dove pro•age als zielgruppenspezifischer Produktrange ist nach Aussage von Kindler maßgeblich die konsequente Nutzung der renovierten Dachmarke Dove in Verbindung mit dem prägnanten Gestaltungsformat („natürliche“ Frauen als Key-Visuals). Diese hohe kommunikative Nähe auf Basis eines entsprechenden SubBrandings entspricht im Hinblick auf den leistungspflegenden Charakter der neuen Produkte den Empfehlungen, die u.a. ANDRESEN und NICKEL609 geben. Gleichzeitig warnen sie aber wie ESCH auch 610vor Kannibalisierungseffekten, die mit solchen Produktvariationen einhergehen können. Dementsprechend besteht nach Meinung von Marktexperten für Dove perspektivisch auch die Gefahr der Markenüberdehnung.611 Neben der Kannibalisierungsproblematik ist zur abschließenden Kampagnenbeurteilung auch die Nachhaltigkeit des absatzpolitischen Erfolges relevant. Die Dove pro•age-Kampagne wurde mit dem Effie 2008 in Gold ausgezeichnet. Fazit: Die Dove pro•age-Kampagne ist eine Einführungskampagne für ein Low-InvolvementProduktes. Mit der Line-Extension, die sich explizit an ältere Konsumentinnen richtet, stehen zwar überwiegend Neukundinnen im Fokus, jedoch bestehen auch Überschneidungen mit der bestehenden Kunden-Klientel, die bislang die altersunspezifischen Körperpflege-Produkte gekauft hat. Vorrangige Kommunikationsziele sind die Bekanntheit, gefolgt von Präferenz. Die Positionierung des Produktes zielt gemäß eines Low-Involvement-Produktes auf Emotion. Dementsprechend ist die Kampagnen-Botschaft in Verbindung mit „echten“ Frauen als KeyVisuals hochemotional. Mediawerbung einen hohen, aber keinen absolut dominierenden Anteil am Kommunikations-Mix, wobei TV als Leitmedium fungierte. 609 ANDRESEN/NICKEL, 2005, S. 776 ESCH, 2002, S. 203 ff.;siehe auch ESCH./FUCHS/BRÄUTIGAM ET AL:, 2005, S. 29 611 Vgl. dazu auch BERGMANN, 2007, S. 111 610 167 Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukt Zielgruppenfokus Überwiegend Neukunden Budgethöhe hohes Budget Kommunikative Werbeziele Bekanntheit, Präferenz Positionierung Emotion Werbebotschaft/-stil emotional Stellenwert Mediawerbung hoch (70%) Leitmedium TV Abbildung 28: Ausprägungen der Dove pro•age-Kampagne als Einführungswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.5 Kampagnen-Fallstudie Eucerin, Beiersdorf Marketing-Situation Eucerin gehört zu den Kernmarken612 des Konsumgüterherstellers Beiersdorf (5,1 Milliarde Euro Jahresumsatz in 2006, 17.000 Mitarbeiter weltweit). Unter der Marke Eucerin vertreibt Beiersdorf in Abgrenzung zum allgemeinen Körperpflegeangebot unter der Marke Nivea und weiterer Marken seit mehr als 100 Jahren ein „medizinisches Hautpflegeprogramm“. Historischer Ursprung einer breiten Endverbrauchervermarktung war das neutrale WaschlotionProdukt ph5, das bis heute zu den Produkt-Bestsellern von Eucerin gehört. Auf Grundlage des „pH5“ Produktes wurde das Produkt-Portfolio vor etwa 10 Jahren (beginnend Ende 1996) konsequent um Gesichtspflege-Produkte erweitert, deren jeweilige Zuordnung – genauso wie die der übrigen Produkte des Eucerin-Sortimentes – in der Weise erfolgt, wie ein Hautarzt eine Indikation feststellt (gegen Altersfalten, gegen trockene Haut, gegen unreine Haut, für (sonnen-)empfindliche Haut). Heute werden unter der Marke Eucerin insgesamt 92 Artikel (35 Gesichtspflege- und Reinigungscremes, 29 Körperpflegeprodukte, 15 Körperreinigungsprodukte, 12 Sonnenschutzprodukte sowie drei Deos) exklusiv über den Vertriebskanal Apotheke vertrieben. Eucerin verfügt bei der anvisierten Kern-Nutzerschaft mit regelmäßigen oder gelegentlichen Hautproblemen, aber auch Problemhaut angesichts der funktionalen Benefits der Produkte und einer langen Markentradition über eine hohe Loyalität und ausgeprägtes Vertrauen in die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Produkte. In dieser Ausgangssituation war der Markt durch folgende Entwicklungen geprägt: • Der Gesamtmarkt für Gesichtspflege-Produkte in der Apotheke (394 Mio. Euro zum vom Hersteller vorgeschlagenen Verkaufspreis (EVP) Volumen im Jahr 2006 bei einem Gesamtvolumen des Körperpflege- und Kosmetikmarktes im exklusiven Verkauf in der Apotheke von ca. 830 Mio. Euro) stagnierte leicht. Ein Grund dafür ist, dass die traditionelle Trennung zwischen den Absatzkanälen Apotheke und klassischer Handel zunehmend aufweicht und Marken, die aus dem klassischen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Droge- 612 BEIERSDORF AG, 2007 168 riemarkt vertrieben werden, ebenfalls verstärkt medizinisch positionierte Konzepte und Wirkversprechen anbieten. • Gleichzeitig wuchs auf Verbraucherseite die Nachfrage nach wirkungsintensiveren AntiAging-Produkten als Präventiv- oder Komplementäranwendung zu operativen Maßnahmen deutlich. • Andere Marken wie der Marktführer Vichy (vormals 40 % Marktanteil in der Gesichtspflege aus der Apotheke), La Roche Posay und Avène hatten gegenüber Eucerin bereits eine lange Markentradition in der Gesichtspflege bzw. sind mit ihrem Kernsortiment aus der Gesichtspflege hervorgegangen, während Eucerin seinen Ursprung in der Körperpflege und -reinigung hat. Zudem war der Marktführer Vichy bereits mit Anti-Aging-Produkten erfolgreich im Markt vertreten. Im Teilmarkt der Anti-Aging-Gesichtspflege-Produkte war Eucerin bereits mit dem Produkt Empfindliche Gesichtshaut Q10 Anti-Falten-Pflege sowie im Teilmarkt der FeuchtigkeitsAufbaupflege mit sieben weiteren Artikeln vertreten, die jedoch aufgrund ihrer Auslobung für empfindliche Gesichtshaut von bestimmten Verbraucher-Zielgruppen im Bezug auf die AntiAging-Leistung als weniger intensiv wirkend wahrgenommen wurden. Dadurch bedingt lag in den Jahren bis etwa Ende 2004 der Marktanteil unter 10 % und Eucerin bis zu diesem Zeitpunkt damit deutlich hinter den Wettbewerbern Vichy (40%) und Celyoung (9%). Dabei gelang es Eucerin, seine Marktposition im Gesichtspflegemarkt kontinuierlich auszubauen, die Marke stieß aber zunehmend an Potentialgrenzen. Auf dieser Grundlage beschloss das Beiersdorf-Management, das bestehende Portfolio von Eucerin im Bereich der Anti-Aging Gesichtspflege zu erweitern und damit die Gesamtposition im Apothekenmarkt der Gesichtspflege-Produkte zu stärken. Grundlage für die Einführung eines neuen Produktes war die Weiterentwicklung von Hyaluronsäure in Verbindung mit Saponin als wirkungsvolles Anti-Faltenmittel. Dieser Wirkstoff war die Grundlage für die Entwicklung der Eucerin Hyaluron-Filler-Creme, die 2006 sowohl in einer Tages- wie einer Nachtpflegevariante eingeführt wurde. Mit einem Verkaufspreis von 19,95 Euro (für 50 ml der Nachtpflegevariante) handelt es sich bei der Hyaluron-Filler-Creme neben der Anwendungsrelevanz auch preislich um ein Produkt mit mittlerem bis hohem Involvement. Werbestrategie: Für die Einführungskampagne des Anti-Aging-Neuproduktes Eucerin Hyaluron-Filler wurden dementsprechend Neukundinnen anvisiert. „Aufgrund des dezidierten AntifaltenWirkungsbezugs gibt es keine Überschneidung zu den Verwenderinnen bestehender EucerinProdukte, deren jeweilige Wirk-/ Leistungsprofile deutlich andere sind“, so Georg Lutter, Marketingleiter Eucerin. Lutter weiter: „Die große Herausforderung bestand für uns darin, die Markenkompetenz von Eucerin im Bereich ‚medizinische Gesichtspflege’ um eine kosmetische Kompetenz zu erweitern, da die anvisierte Zielgruppe der ‚Anti-Age-Fighter’ ganz 169 überwiegend von kosmetisch geprägten Leistungsversprechen getrieben ist“. Voraussetzung für den Erfolg war also ein Zusammenspiel von bestehender medizinischer Leistungsfähigkeit und zu kreierender kosmetischer Begehrlichkeit. Als absatzbezogene Kampagnenziele wurde folgende fixiert:613 • Erreichung eines Umsatzziels von 8 Mio. Euro zu EVP für Hyaluron-Filler im Jahr 2006; • Umsatzwachstum im Gesamtsortiment Eucerin Anti-Age von 18 % (und somit deutlich über dem Marktdurchschnitt von 9 %), davon mindestens 50 % durch Hyaluron-Filler; • Wachstum im Bereich Anti-Aging deutlich über dem Marktdurchschnitt von 9 %. Daraus leiteten sich folgende kommunikativen Ziele ab: • Bekanntheit: 15 % gestützte Produkterinnerung Ende 2006; • Image-Erweiterung: signifikante Steigerung der Imagewerte kosmetisch, innovativ, modern und anspruchsvoll, Level halten in den Bereichen medizinisch, kompetent, problemlösend und verantwortungsbewusst. • Likability: o Persuasionswert des TV-Spots über der Massenmarkt-Norm von 16 %; o signifikante Steigerung von Relevant Set und First Choice der Marke Eucerin. Lutter erklärt zur Zielgruppenspezifizierung: „Aus unserer Marktforschung haben wir gelernt, im Bezug auf die Phänomene der Hautalterung und das damit einhergehende Verhalten von Verbrauchern zwischen Acceptern und Fightern zu unterscheiden. Mit Eucerin HyaluronFiller zielen wir auf die Gruppe der Anti-Age Fighter. Darunter verstehen wir Frauen, deren wesentliches Problem darin besteht, dass sie sich noch lange nicht so alt fühlen, wie sie sind, und sie wollen auch dementsprechend jünger aussehen. Altern ist für sie kein zu akzeptierendes Übel, sondern da, um bekämpft zu werden. Und das tun sie intensiv.“ Dies geschieht auf alle erdenklichen und im Markt angebotenen Weisen wie z. B. durch die Injektion von die Hautfalten aufpolsternder Mittel (ärztliche oder dermatologische Behandlung) oder durch die Behandlung von Hautfalten durch das Auftragen von Kosmetikprodukten mit entsprechender Wirkauslobung (kosmetische Behandlung). Während der Einsatz von Injektionen von vielen Frauen der Zielgruppe noch gescheut wird, gehört der regelmäßige Gebrauch von Kosmetik- und Pflegeprodukten zum Standard. Dabei wurden bislang eher Marken mit von Verbrauchern eher als kosmetisch wahrgenommenem Profil präferiert. Produkte, deren Positionierung aber stark von der Eignung für sensible Haut und dementsprechend als besonders verträglich geprägt sind, werden hingegen in Bezug auf die Anti-Aging Leistung als zu schwach und medizinische Produkte als nicht kosmetisch genug empfunden. „Dementsprechend stand die Zielgruppe den existierenden Anti-AgingProdukten der medizinischen Hautpflege-Marke Eucerin mit dem vorwiegend als besonders 613 GWA-Jahrbuch, 2007, S. 191 170 verträglich und der damit vermuteten geringeren Anti-Aging-Leistung als eher kritisch gegenüber“, so Lutter, „weil sie für die Faltenbekämpfung bislang nur mit der medizinischen und kosmetischen Behandlung in der traditionellen Ausprägung vertraut waren.“ Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Beiersdorf AG Konsumgüter/Körperpflege Eucerin Hyaluron-Filler mittleres bis hohes Involvement Mai bis Dezember 2006 (sowie Fortsetzung in 2007) ca. 6,2 Mio. Euro (Jahresvolumen 2006) * Brutto-Werbevolumen Abbildung 29: Kampagnen-Steckbrief Eucerin Quelle: Eigene Darstellung In der Kommunikation wollte man die medizinisch-dermatologische Herkunft von Eucerin bewusst nutzen. „Deshalb lautete die Kernbotschaft, dass Eucerin Hyaluron Filler aufbauend auf dem Prinzip wie die Hyaluronsäure-Behandlung beim Dermatologen funktioniert und die Kundin quasi in Eigenbehandlung tiefe Falten dadurch bekämpft, dass die Creme zur Aufpolsterung des Bindegewebes von innen führt“ , so Lutter. Das Neuprodukt sollte bewusst als Ergänzung zur Injektionsbehandlung beziehungsweise als Alternative für alle Frauen, die einen Eingriff scheuen, positioniert werden. Lutter: „Wichtig war uns dabei, Eucerin Hyaluron Filler nicht als Ersatz zur medizinischen Behandlung zu positionieren und damit den Dermatologen ihr Geschäft streitig zu machen, sondern das Produkt als die medizinische Behandlung ergänzende Pflege zu kommunizieren.“ Um die Alternativ- bzw. Komplementärfunktion von Eucerin Hyaluron Filler zu verdeutlichen, wurde nach längerer interner Diskussion, in den Print-Motiven (siehe Anlage) die Creme in Verbindung mit einer Injektionsnadel gezeigt. Lutter: „Wir wollten damit die Alternativüberlegungen in den Köpfen derjenigen in der Zielgruppe ansprechen, die eine Injektion beim Arzt (noch) scheuen“. In der kreativen Umsetzung mussten dementsprechend die medizinische Leistungskraft von Eucerin Hyaluron-Filler verdeutlicht werden als auch der Anti-Aging-Effekt als deren Ergebnis. Lutter: „Bereits zu Anfang stand fest, dass die Kampagne über sehr viele Kanäle für unterschiedliche Zielgruppen zum Einsatz kommen sollte. Wir brauchten somit ein impactstarkes Key-Visual als Kernelement einer starken visuellen und inhaltlichen Klammer, die einen integrierten Kampagnenauftritt garantiert.“ In Assoziation zur Gesichtsmarkierung bei der klassischen Faltenbehandlung per Injektion wurde als Key-Visual ein Frauengesicht gewählt, das an den entsprechenden kritischen Hautstellen mit Eucerin Hyaluron Filler „markiert“ ist (siehe Anzeigenmotive in der Anlage). Mit dem Copy-Hinweis „Zum Patent angemeldet“, sollte nach Lutter ein weiterer Hinweis auf die unternehmenseigene Forschungs- und Entwicklungskompetenz gegeben werden. 171 Für den TV-Spot wurde gezielt das klare und saubere Sujet einer Dermatologen-Praxis gewählt, um auch hier den medizinischen Bezug plakativ herauszustellen, gleichzeitig durch die futuristischen Elemente aber auch den Innovationscharakter des Produktes herauszustellen. Zur erfolgreichen Markteinführung des Produktes wurden neben den Konsumenten auch Apotheker und Dermatologen als wichtige Absatzmittler mit jeweils spezifischen Kommunikationszielen und unterschiedlichen Kommunikationsinstrumenten (Infobroschüren, GiveAways) angesprochen. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Apotheken als Vertriebspartner wurde etwa die Hälfte des Kampagnenbudgets in nichtmediale Kommunikationsinstrumente (Verkaufsförderung, Point of Sale) investiert. Innerhalb der medialen Instrumente war TV mit einem Budgetanteil von 60 % eindeutig Leitmedium. Die übrigen 40 % wurden auf Print verwandt. Zielgruppen Konsumenten Kommunikationsziel Awareness und Relevant Set Apotheker Information und Sales-Support Dermatologen Information (klinische Studien) Instrumente TV, Anzeigen in Publikumszeitschriften (z. T. mit eingeklebten Proben), PR Info-Flyer, Schulungsunterlagen, VKF-Material (Thekenaufsteller, Sales-Folder ( u.a.m.) Werblich aufbereitete Studienergebnisse zur Wirkungsweise in Verbindung mit Mailings Abbildung 30: Zielgruppendifferenzierte Ansprache Quelle: Eigene Darstellung Kampagnenerfolg: In Verbindung mit der Kampagne wurden folgende Ergebnisse erreicht: • Bekanntheit: 25 % gestützte Produkterinnerung Ende 2006. Damit lag die Bekanntheit 67 % über dem Zielwert von 15 % und fast auf dem Niveau der seit Jahren eingeführte pH5Pflegeserie von Eucerin (32 % gestützte Produkterinnerung). Parallel stieg die Kompetenzzuweisung im Bereich „Faltenminderung“ für die Marke Eucerin von 2 % vor Start der Kampagne auf 18 % zum Jahresende 2006. • Image-Erweiterung: Alle relevanten Imagedimensionen konnten bei den Werbeerinnerern um mindestens 30 % gesteigert werden. Dies entsprach dem Ziel einer signifikanten Steigerung. • Likability: Im Pretest erreichte der TV-Spot einen fast doppelt so hohen Persuasionswert (dieser setzt sich aus einer Reihe von Einzelfragen zusammen, die kumuliert Aussagen zu Produktakzeptanz/-glaubwürdigkeit und Kaufabsicht wiedergeben) wie die Referenz aus dem Massenmarkt. Die Post-Messung bestätigte dieses Ergebnis: Konsumenten, die sich an die Werbung erinnerten, zogen Eucerin mehr als doppelt so häufig in Betracht (Rele- 172 vant Set) beziehungsweise bevorzugten die Marke beim Kauf (siehe Abbildung). Das Ziel einer signifikanten Steigerung in diesen Dimensionen wurde somit erreicht. • Umsatzwachstum produkt- und segmentbezogen: Im Teilmarkt Anti-AgingGesichtspflege realisierte Eucerin im Jahr 2006 ein deutlich marktüberdurchschnittliches Wachstum. Während der Markt der Anti-Age-Produkte aus der Apotheke um 7,7 % wuchs, wuchs Eucerin um 39,9 %. Damit wurde das Ziel von +18 % deutlich übertroffen. Gleichzeitig resultierte das Wachstum zu 100 % aus der Neueinführung von HyaluronFiller. Konsequenz: Sowohl das Tages- als auch das Nachtpflegeprodukt sind Ende des Jahres 2006 die beiden erfolgreichsten Neueinführungen im Körperpflege- und Kosmetikmarkt aus der Apotheke. • Eucerin konnte auf Grundlage des Neuproduktes seinen Marktanteil im Anti-AgeProduktsegment der Apotheken von 12,5 auf 16,3 % ausbauen, während die restlichen Wettbewerber signifikant Anteile verloren und an Eucerin abgeben mussten. Die Konsequenz daraus war: Eucerin rückte im Marktranking dieses Marktsegmentes von der dritten auf die Position des Marktzweiten hinter dem Hauptwettbewerber vor. Aufgrund dieser Erfolgswerte wurde die Kampagne mit dem Silber-Effie 2007 ausgezeichnet. Der im Einführungsjahr 2006 erzielte Markterfolg wurde auch im Folgejahr auf Basis entsprechender, deutlicher Umsatz- und Marktanteilssteigerungen fortgesetzt. Generell ist bei der Bewertung des Kampagnen-Erfolges zu berücksichtigen, dass mit dem beworbenen Produkt eine echte „New-to-the World-Produkt“ 614 vorlag, deren fundamentaler Innovationscharakter an den vielen nachfolgenden, bis hin zu fast namensgleichen bzw. ähnlichen Imitationsprodukte der Wettbewerber abzulesen ist. Fazit: Bei der Kampagne zu Eucerin Hyaluron-Filler handelt es sich um eine Einführungswerbung für ein „New-to-the World-Produkt“: Ein neues Produkt, basierend auf einer innovativen Wirkstoff-Kombination, wird vom Hersteller Beiersdorf an einen Kundenkreis adressiert, den man mit dieser Marke bislang kaum erreicht hat. Vorrangiges Kommunikationsziel ist die Bekanntheit, vor Image und Präferenz. Die Positionierung des Produktes zielt gemäß eines Produktes mit tendenziellem hohem Involvementcharakter auf eine Kombination aus Emotion und Information. Dementsprechend ist die Kampagnen-Botschaft geprägt durch emotionale und informative Inhalte. Mediawerbung hat im Fall der Eucerin Hyaluron-Filler-Kampagne einen hohen, aber keinen absolut dominierenden Anteil am Kommunikations-Mix. Dies ist insbesondere bedingt durch die spezifische Absatzstruktur (Vertrieb ausschließlich über Apotheken), wobei TV Leitmedium der Kampagne war. 614 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 17 173 Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukt Zielgruppenfokus Fast ausschließlich Neukunden Budgethöhe höchstes Budget Kommunikative Werbeziele Bekanntheit, Image, Präferenz Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft/-stil Emotional und informativ Stellenwert Mediawerbung mittel (50%) Leitmedium TV Abbildung 31: Ausprägungen der Eucerin-Kampagne als Einführungswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.6 Kampagnen-Fallstudie Touareg, Volkswagen Marketingstrategie Der Automobilhersteller Volkswagen verfügt über ein breites Portfolio an Marken und Modellen. Ende der neunziger Jahre wurden geländefähige Automobile, sogenannte SUVs (Sports Utility Vehicles) bei den Autofahrern immer beliebter, so dass Volkswagen beschloss, in diesem neuen, stark wachsenden Segment ein Premium-Modell zu platzieren. Dabei war Volkswagen mit folgender Marktsituation konfrontiert: • Intensiver Wettbewerb: Außer Audi (vergleiche Fallstudie zur Einführung des Q7) waren alle klassischen deutschen Premium-Hersteller615 wie Mercedes-Benz (M-Klasse), BMW (X5) bereits mit SUV-Modellen im Markt vertreten. • Diskonformes Markenprofil: In dem neuen Automobil-Segment, dass von Marken wie Mercedes-Benz und BMW geprägt worden war, musste die Traditionsmarke Volkswagen als Marken-Absender für ein sportliches, geländefähiges Fahrzeug nach Aussage der Kampagnen-betreuenden Agentur Grabarz & Partner „eher als ein Fremdkörper erscheinen“.616 Trotz dieser herausfordernden Ausgangssituation setzte sich Volkswagen zum Ziel, die Marktführerschaft in diesem noch jungen Segment zu erreichen. Im November 2002 wurde der Touareg als erster SUV von Volkswagen in Deutschland eingeführt. Die Unique Selling Proposition (USP) des Automobils, die in der Einführungs-Kampagne kommuniziert wurde, war nach Aussage von Grabarz & Partner der „drei Automobile in-einem“-Mehrwert. So verbindet der Touareg nach Aussage von Volkswagen „den Luxus einer Oberklassen-Limousine mit Leistungswerten auf Sportwagen-Niveau sowie mit authentischen Offroadfähigkeiten eines puren Geländewagens.“ 615 616 ROSENGARTEN, STÜRMER, 2005, S. 19 ff. JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 39 174 Analog zu Audi (siehe Fallstudie zum Audi Q7) agiert Volkswagen bei der Einführung des Touareg marketingstrategisch nach der Systematisierung von TOMCZAK ET AL.617 als Trendsetter: Mit dem Eintritt in ein neues Marktsegment ist das zentrale Ziel der NeukundenAkquisition verbunden. Werbestrategie: Nach der erfolgreichen Markteinführung des Touareg wurde eine Folge-Kampagne initiiert, die nach Aussage von Volkswagen vor allem darauf zielte, den enormen Starterfolg des HighInvolvement-Produktes auf Basis weiterer Neukunden konsequent auszubauen. Gewünschter Nebeneffekt war gleichzeitig die kommunikative Loyalisierung der bereits gewonnenen Touareg-Fahrer. Werbetreibender Volkswagen AG Branche Automobilhersteller Werbeobjekt Touareg Objektcharakter High-Involvement Kampagnenzeitraum August bis Dezember 2004 Kampagnenvolumen keine Angaben Abbildung 32: Kampagnen-Steckbrief Touareg Quelle: Eigene Darstellung Für diese „Follow-up-Kampagne“618 im Sinne einer weiteren Marktpenetration setzte sich Volkswagen laut folgende absatzpolitische Ziele: • Ausbau der bestehenden Marktposition auf Basis des Marktanteils; • signifikant höhere Absatz-Steigerung des Wettbewerbs als beim Kernwettbewerb; • Fernziel: Marktführerschaft . Aus diesen absatzpolitischen Zielen leiteten sich folgende kommunikativen Ziele ab: • Deutlich überdurchschnittliche Leistungswerte (mehr als 20 %) bei KampagnenBekanntheit sowie –erinnerung, • Spitzenposition bei der Modellbekanntheit, • Verbesserung des Gesamtimages im Vergleich zum gesamten Wettbewerb. Mit dem Touareg spricht Volkswagen laut Grabarz & Partner eine für die Marke VW noch neue Zielgruppe an: „Unternehmer und Freiberufler, die selbstbewusst ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen. Sie gehören einer neuen Unternehmergeneration an, sind erfolgreich, modern, visionär, technisch interessiert und aufgeschlossen. Sie sind viel unterwegs – beruflich wie auch privat. Das bewußte Ausleben ihrer Persönlichkeit und Überlegenheit, beziehungsweise die Möglichkeit es zu tun, steht für sie im Vordergrund. Sie stellen bewusst exklusive 617 618 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2005, S. 28 JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 40 175 Ansprüche, um auch ihre Persönlichkeit und Überlegenheit gegenüber anderen zu betonen.“619 In soziodemografischen Merkmalen klassifiziert ist die Zielgruppe für den Touareg zu 88 % männlich, im Durchschnitt 45 Jahre alt, in großer Mehrheit (90 %) verheiratet mit Kindern, verfügt über eine hohe Bildung, ein überdurchschnittlich hohes Haushalts-NettoEinkommen (monatlich 7000 Euro) und lebt in einem Mehrwagenhaushalt (85 %). Grundlage für die Kreativstrategie war – analog zur Einführungswerbung – die „DreiAutomobile-in-einem“-Positionierung: Alle Kommunikationsmittel und -maßnahmen inszenierten die einzigartigen (‚uniquen’) Onroad-, Offroad- und Luxusqualitäten des Touareg. Damit knüpft die Kreation der Follow-up-Kampagne an die der Einführungskampagne an. Die Komplexität des Touareg und die entsprechenden Kommunikationsinhalte werden im Print durch die Darstellung als mathematische Summen-Formel wiedererkennbar geklammert. Ergebnis der Formel bleibt stets der Volkswagen Touareg selbst, beziehungsweise ein Angebot, das nur er bieten kann. Gegenüber der Einführungskommunikation erfolgte laut Grabarz & Partner in der Follow-upPhase folgende Modifikation: „Es wird weniger erklärt und bewiesen. Der Touareg kann selbstbewußter als bisher kommunizieren und deutlich mehr Charakter und Persönlichkeit zeigen. Er ist als Ausnahme-Automobil positioniert und hat seine technische Überlegenheit in fast jedem Automobiltest bewiesen, zu dem er angetreten ist. Nun gilt es, sein Image zu schärfen und seine Marken-Gene zu betonen, um ihn so vom Wettbewerb zu differenzieren.“620 Dementsprechend basiert die kommunikative Positionierung auf eine Kombination aus Emotion und Information. Die Werbebotschaft gewinnt gegenüber der Einführungswerbung deutlich an Emotionalität: Die neuen Motive sind emotionaler und humorvoller, um den Touareg „anfassbarer und authentischer“ erscheinen zu lassen. Die Tonalität der Follow-upKommunikation sei somit insgesamt menschlich und sympathisch, „ohne die Hochwertigkeit und Souveränität zu vernachlässigen“, so Grabarz und Partner. Kreative Leitidee war dementsprechend: In jeder Situation überlegen“. Das übergreifende und verbindende Element der Überlegenheit des Touareg wurde so zum Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Aktivität. Leitmedium im Media-Mix vor allem für die Vertiefung der Werbebotschaft war Print. Dafür wurden ganz- bzw. doppelseitige Anzeigen in ausgewählten Publikumszeitschriften der Automobil- und Nachrichtenpresse geschaltet. Zusätzlich wurden Sondermotive platziert (z. B. Kommunikation von Leserwahl- und Testsieg-Ergebnissen) und Schaltungen in den überregionalen Tageszeitungen sowie Special-Interest-Titeln. Parallel dazu wurde zum emotionalen Ausbau und Stärkung des Images als „Ausnahme-Automobil“ TV-Spots geschaltet. Als weitere Media-Maßnahmen wurden Plakate in Sonderformaten an Flughäfen und Bergbahnen geschaltet. Konkrete Angaben zur Verteilung des Kampagnen-Budgets auf die einzelnen Kommunikationsinstrumente wurden von Volkswagen nicht gemacht. 619 620 JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 27 JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 29 176 Kampagnenerfolg: Die angestrebten Ziele wurden im Zuge der Kampagne erreicht: • Signifikant höhere Zulassungszahlen als der Wettbewerb: Während die Zulassungszahlen für den Touareg in 2004 gegenüber dem Vorjahr um 210 % stiegen, entwickelte sich der Kernwettbewerb deutlich schwächer (BMW X5 plus 15 %, Mercedes M-Klasse minus • 16,3 %). Signifikant höheres Marktanteilswachstum als der Wettbewerb: Der Marktanteil des Touareg wächst in 2004 um 4,8 % auf 10,2 % Marktanteil insgesamt. Das ist eine Steigerung von über 82 % und entspricht fast einer Verdoppelung des 2003er Wertes. Der KernWettbewerb verliert dagegen Marktanteile (BMW X5 minus 0,1 %, Mercedes M-Klasse minus 3,1 %). • • • • • • Fernziel Marktführerschaft: Mit einem Marktanteil von 10,2 % liegt der Touareg nach weniger als drei Jahren Marktpräsenz zusammen mit dem BMW X5 auf Platz 1 in seinem Automobilsegment. Mit einem Bekanntheitswert von 47 % liegt die Touareg-Kampagne im Dezember 2004 deutlich vor den Werten der Wettbewerber. Zudem konnte die Bekanntheit gegenüber dem Startwert im August (33 %) um 42 % gesteigert werden. Auch die Erinnerungswerte liegen über den Zielvorgaben: Mit zielgruppenspezifischen Werten von 58, 66 bzw. 70 % (zu unterschiedlichen Meßzeitpunkten) liegt sie deutlich über dem jeweiligen Wettbewerbsdurchschnitt (zwischen 48 und 51 %). Bei den sogenannten Main-Impressions (z. B. „Easy to understand“) aus dem ATPTracking des Marktforschungsinstituts Millward Brown übertraf die Touareg-Kampagne ebenfalls den Wettbewerb. Bei Abfrage der ungestützten Bekanntheit bestätigte der Touareg mit einem Wert von 26 % seine Spitzenposition als bekanntestes Modell im Gesamtmarkt der Geländewagen (inklusive SUVs und Premium SUVs). Eine Verbesserung des Gesamtimages wird laut Volkswagen bestätigt durch den 1. Platz bei der Leserwahl der Fachzeitschrift „Auto Motor Sport“ für „Die besten Autos“. Während der Touareg gegenüber den Vorjahren den Grad der Zustimmung kontinuierlich erhöhen konnte, sank er bei den Kern-Wettbewerbern Mercedes M-Klasse und BMW X5 deutlich. Bei der Bewertung dieser Erfolgswerte sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Aufgrund seiner deutlich späteren Markteinführung konnte sich der Touareg gegenüber den Wettbewerbern mit reiferen SUV-Modellen durch einen höheren TechnologieStandard profilieren. • Die Vertriebsmacht des Marktführers Volkswagen ermöglicht eine generell höhere Marktpenetration. 177 Fazit: In der Grundstrategie ist die Touareg-Kampagne eine Expansionswerbung. Aufbauend auf den Erfolg der Einführungskampagne fokussiert die Kampagne vorrangig auf den Zugewinn weiterer Neukunden, ergänzt durch das Ziel, bestehende Kunden an die Marke und das Produkt zu binden. Die kommunikative Positionierung ist konsistent mit der Einführungskampagne, wobei der strategische Fokus auf der weiteren Imageprofilierung des neuen Sportwagen-Modells von Volkswagen liegt. Print hat im Media-Mix eindeutig LeitmediumsFunktion. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Bestandsprodukt Zielgruppenfokus überwiegend Neukunden Werbebudget Keine Angaben Kommunikative Werbeziele Image, Präferenz Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft informativ Stellenwert Mediawerbung sehr hoch Leitmedium Print Abbildung 33: Ausprägungen der Touareg-Kampagne als Expansionswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.7 Kampagnen-Fallstudie Balisto, Mars Marketingstrategie Der Konsumgüterhersteller Mars (1,3 Mrd. Euro Jahresumsatz in Deutschland, ca. 1.900 Mitarbeiter) ist mit einem Marktanteil von 30 % knapper Marktführer im deutschen Schokoriegelmarkt vor Ferrero (28,3 %), Nestlé (7,8 %) und Kraft Jacobs Suchard (3,5 %). Zum Schokoriegel-Portfolio von Mars gehört neben Klassikern wie u.a. Mars, Twix, Snickers und Bounty auch Balisto. Der Getreideriegel mit Schokoladenüberzug wurde 1981 in Deutschland eingeführt. Aktuell ist Balisto erhältlich in den Varianten Müsli-Mix (grüne Verpackung), Korn-Mix (orange Verpackung) und Joghurt-Beeren-Mix (lila Verpackung), Wichtigster Wettbewerber zu Balisto ist das 1989 eingeführte Produkt Kinder-Country des italienischen Süßwaren-Produzenten Ferrero. Die Marktsituation im deutschen Schokoriegel-Markt ist geprägt durch folgende Entwicklungen: • Absatz und Umsatz der klassischen 50 bis 60-Gramm Schokoriegel gehen dramatisch zurück (Minus 3 % in 2005). Der Grund dafür: Sie stecken in einer „Sandwich-Position“ zwischen den 100-Gramm Tafeln (insbesondere Premium-Produkte von Lindt), die vom Verbraucher als vollwertiger Schokoladengenuß wahrgenommen werden und den als 178 leichter und gesünder wahrgenommenen Schokosnacks (weniger als 30 Gramm mit als gesund ausgelobten Inhaltsstoffen wie Milch und Cerealien); • die Nachfrage der Verbraucher nach nachgewiesen vollwertigen und gesunden Süßwaren ohne Genusseinbuße wächst; • Mars-Wettbewerber wie insbesondere Ferrero führen in kurzer Frequenz neue innovative Schoko-Snack-Produkte mit hohen Werbevolumina in den Markt ein. So war das Werbevolumen des Hauptwettbewerbers Ferreo in 2005 mit 245,4 Mio. Euro gegenüber dem von Mars (101,5 Mio.) um das 2,4fache größer. Von dieser Entwicklung ist insbesondere das Mars-Produkt Balisto betroffen. Das Produkt war „in die Jahre gekommen und wird als verstaubtes Produkt der Achtziger wahrgenommen“621. Die Werbebilder früherer Kampagnen (Leitmotive Kornfeld und Heuwagen) prägen das Öko-Image des Produktes. In der Vorstellung der Nichtverwender schmeckt Balisto „staubig und trocken“622. Dementsprechend gingen Absatz und Umsatz (12,2 % Rückgang im ersten Halbjahr 2005 gegenüber dem gleichen Vorjahres-Zeitraum) des „verstaubten ÖkoRiegels“623 innerhalb der letzten Jahre deutlich zurück. Vor der Kampagne fanden bereits seit einiger Zeit keine nennenswerten werblichen Aktivitäten mehr statt. Mars beschließt in dieser Situation einen Relaunch von Balisto, ohne das jedoch dass Produkt in seinen funktionalen Eigenschaften (Gewicht, Form, Geschmack, Inhaltsstoffe, Verpackung) verändert werden soll. Somit ist ein rein kommunikativer Relaunch geplant. Das schränkte den Spielraum für die kreative Umsetzung zwangsläufig ein. „Wir hatten auch ansonsten im Marketing-Mix außer der Kommunikation keine entscheidenden Stellschrauben, an denen wir hätten drehen können“, so Malte Dammann, kampagnenverantwortlicher Marketing Director Snackfood bei Mars. Mit dieser Strategie der kommunikativen Leistungspflege zur Akquise von Neukunden des Low Involvement-Produktes agiert Mars marketingstrategisch als Multiplizierer. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Mars Deutschland GmbH Lebensmittel Balisto Low-Involvement Mai 2005 bis heute 5 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 34: Kampagnen-Steckbrief Balisto Quelle: Eigene Darstellung Werbestrategie: 621 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 32 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 108 623 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 109 622 179 Balisto soll als bestehendes, seit fast 25 Jahren im Markt etabliertes Produkt, kommunikativ repositioniert werden, um neben den massiv zurückgegangenen loyalen Stamm-Nutzern Neukunden, von denen einige in der Vergangenheit bereits Nutzer waren, (zurück) zu gewinnen. Gleichzeitig soll die Loyalität der bestehenden Verwender nachhaltig gestärkt und ihre Nutzungsfrequenz erhöht werden. Der Zielgruppen-Fokus der Kampagne liegt zunächst auf der ehemaligen Stammkunden-Klientel. „Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, dass bei unseren Low-Involvement-Artikeln maximal ein Drittel der aktuellen Konsumenten loyale Stammkunden sind. Die übrigen zwei Drittel müssen durch einen hohen Werbedruck permanent neu gewonnen werden“, so Dammann. Dementsprechend lag der Kampagnenfokus auf der Neukunden-Ansprache im Sinne einer „Reaktivierung von Alt-Verwendern (lapsed user)“, wobei jedoch ein komplementäres Ziel die Ausschöpfung der bestehenden Kunden im Sinne einer höheren Kauffrequenz war. Als übergeordnetes Absatzziel für den Turnaround von Balisto wurde vorgegeben: • Umsatzsteigerung bis Ende 2005 von 20 %, wofür eine Steigerung des Marktanteils um 10 % Prozent notwendig war. • Daraus leiteten sich als entsprechende kommunikative Kampagnen-Ziele folgende ab: • Awareness-Steigerung: Mindestens Verdoppelung der ungestützten Werbeerinnerung von 3 % vor Kampagnenbeginn. • Imageoptimierung: Verbesserung um durchschnittlich 20 % (Grad der Zustimmung) in den relevanten Imagedimensionen (Qualität und Wertigkeit des Produktes sowie Loyalität und Identifikation mit der Marke). • Rückkehr ins Relevant Set: Steigerung der Kaufrelevanz um mindestens 20 % und Verdoppelung der Probierrate („Balisto gekauft innerhalb der letzten vier Wochen?“) von aktuell 1 % in der Gesamtbevölkerung und 2 % in der Kernzielgruppe. Die Balisto-Kernzielgruppe wurde als generell jünger (zwischen 15 und 30 Jahren), ernährungsbewusster und primär weiblich identifiziert. „Unsere Marktforschung hat ergeben, dass es weniger klassische soziodemografische Merkmale sind, die den Balisto-Konsumenten charakterisieren, sondern ein spezifischer Lebensstil“, so Dammann. So zeichnet sich die Zielgruppe durch einen aktiven und optimistischen, aber auch entspannten („alles in Balance“) und natürlich-authentischen Lebensstil aus. „Die qualitative Marktforschung hat ergeben, dass es bei den Verwendern eine ausgesprochene Identifikation mit und Leidenschaft für ihre jeweilige Balisto-Lieblingsvariante gibt“, so die verantwortliche Plannerin Maren Jens bei der betreuenden Agentur Scholz & Friends. Dementsprechend waren Aussagen wie „Ich bin Grün“, „Ich bin Orange“ bzw. „Ich bin Lila“ zentrale VerbraucherStatements in den Fokusgruppen. „Diese Erkenntnis bildete für unsere werbestrategische Planung das maßgebliche Kern-Insight für eine Kampagne, die der Zielgruppe eine hohe Identifikationskraft bieten sollte“, so Jens weiter. 180 „Ziel der Kampagne war es, die Marke Balisto zu entstauben und idealerweise darüber hinaus den Grundstein für ein langfristig tragfähiges Markenfundament als Plattform für alle Folgekampagnen zu legen“, so Dammann. Balisto sollte (wieder) für einen bewussten, genussvollen, modernen Snacking-Stil stehen, mit dem sich die Zielgruppe wirklich identifizieren kann. Dazu musste ein aufmerksamkeitsstarker Weg gefunden werden, der die kommunikative Positionierung „Natürlichkeit“ eher implizit, spielerisch, aber nicht belehrend inszeniert. Maren Jens zur Kampagnenidee: „Unsere Kreativ-Idee zu dieser Kampagne war eben einfach wie effizient: Natürliche, junge Menschen, nur mit einem Balisto in der Hand, bekennen in einem sehr reduzierten Umfeld (Hintergrund in den Kernfarben der Balisto-Sorten): ’Natürlich nasch’ ich.’“ Somit waren das Bekenntnis in Claim-Form und der Balisto-Farbcode die zwei zentralen Säulen des Kreativ-Ansatzes: 1. Der Claim „Natürlich nasch’ ich“: Durch den Claim wird die Markenbotschaft auf den Punkt gebracht: Die Testimonials der Kampagne bekennen sich zum natürlichen Naschen und gleichzeitig zu Balisto. Der Claim bringt fokussiert die Botschaft der Kampagne auf den Punkt und zeichnet sich dabei laut Jens durch eine „charmante Doppeldeutigkeit aus, die ihm das Potential verschafft zum geflügelten Wort zu werden: Das Bekennertum zum Naschen generell und die Art und Weise, wie Naschen heute sein muss und von Balisto angeboten wird – eben natürlich.“ 2. Der Farbcode: Der neue Werbeauftritt von Balisto zeichnet sich durch eine dominante konsequente Einheitlichkeit der Farbgebung vom jeweiligen Testimonial, Umfeld und Produkt aus. „So wurde in stringenter Weise der identifizierte Insight ‚Ich bin Grün’ umgesetzt und gleichzeitig eine unique und differenzierende Markensprache für Balisto entwickelt“, so Jens weiter. Das Kampagnenkonzept beinhaltete laut Jens folgende strategische Überlegung: „Die Kampagne hebt sich für den Verbraucher sichtbar von den klassischen Genuss-Szenen traditioneller Food-Werbung ab. Das garantiert ihr bereits eine höhere Aufmerksamkeit.“ Aus der Kreativstrategie resultierte bereits eine Präferenz für Print als idealem Trägermedium. Neben der Kreation war Differenzierung auch das Leitmotiv für die Media-Auswahl. „Wir haben uns, was ungewöhnlich ist für Schokoriegel-Werbung, dafür entschieden, einen deutlichen MediaSchwerpunkt auf Print zu legen“, so Dammann. So wurde 50 % des Media-Budgets in Print investiert. Daneben spielte Plakatwerbung (10% Budgetanteil) eine Rolle. Grundlage dieser Strategie war jedoch auch eine budgetäre Restriktion: Angesichts des in der Ausgangssituation niedrigen und gleichzeitig stagnierenden Umsatzvolumens von Balisto stand mit einem Umsatzanteil von 10-15 % ein zunächst mit fünf Mio. Euro Brutto-Werbevolumen niedriges Budget (weniger als 1,5 % des Gesamt-Werbevolumens im deutschen Schokoriegel-Markt) zur Verfügung. „Das schloss zunächst den umfangreichen Einsatz von TV-Werbung schlichtweg aus“, so Dammann. Ein inhaltliches Argument für Print neben Differenzierung und Budgetrestriktionen war, dass die vorrangig weibliche Zielgruppe durch ein ausgewähltes Printumfeld rund um das Thema 181 „Frauen/Wohlfühlen/Wellness“ gezielt angesprochen werden konnte. TV war zwar als flankierendes Medium in der Kampagnenplanung angedacht, bekam aber nach dem deutlichen Anfangserfolg budgetär noch eine größere Bedeutung, so dass es bezogen auf das erste Kampagnenjahr einen Budgetanteil von 40 %, in den Folgejahren von 60 % hatte. Dammann: „Wir sahen nach den guten Zwischenergebnissen von Print die Chance, mit der hohen Reichweite und Aufmerksamkeitsstärke von TV die erzielten Effekte noch deutlicher zu multiplizieren.“ Auch für die Umsetzung von TV galt die Grundbedingung Budgetrestriktion in Verbindung mit dem Ziel Differenzierung. So wurden statt eines klassischen 30-Sekunden-Spots 7Sekunden-Kurzformate ausgestrahlt, die ob ihrer Kürze und Gestaltung in der Konsumentenwahrnehmung analog zum Print-Auftritt auftraten und dessen Botschaft somit zusätzlich verstärkte. Durch die Verwendung von drei Einzelspots (jeweils in Balisto-grün, -orange und lila), die innerhalb eines Werbeblocks geschaltet wurden, wurde die gesamte Produkt-Range und der Kampagnen-Insight zusätzlich penetriert. Kampagnenerfolg: Die Kampagne erfüllte die gesetzten Ziele in folgender Weise: • Schneller und hoher Awareness-Aufbau: o Die ungestützte Bekanntheit stieg im Vergleich zum Vorjahr von 3 % auf 9 % (+200%) und lag damit deutlich über dem Ziel der Verdoppelung (6 %). o Die gestützte Werbeerinnerung lag mit 83 % deutlich über dem Durchschnitt anderer Kampagnen mit 63 % (+31,7 %). Ebenfalls überdurchschnittlich war die Bewertung der Originalität der Kampagne: 70 % gegenüber durchschnittlich 50 % bestätigten die Aussage „Die Idee ist originell“. • Deutliche Verbesserung des Markenimage: Das Balisto-Image konnte in den entscheidenden Dimensionen der Markenbindung (Loyalität und Identifikation mit der Marke) und der Kategorietreiber (wahrgenommene Qualität und Wertigkeit/Preiswürdigkeit) um 27 bis 83 % verbessert werden. Angestrebt war ein durchschnittlicher Zuwachs von 20 %. • Anstieg der Kaufabsicht: Dank der aufmerksamkeits- und imagestarken Kampagne stieg die Kaufabsicht bei den Konsumenten gegenüber dem Vorjahr insgesamt um 50 % (von 12 % auf 17 %) bzw. um 35 % in der Kernzielgruppe (von 17 % auf 23 %). • Steigerung der Probierrate: Die tatsächliche Probierrate („Balisto gekauft innerhalb der letzten vier Wochen?“) stieg in der Gesamtbevölkerung von 1 % auf 4 % (+ 300%), in der Kernzielgruppe von 2 % auf 5 % (+150 %). • Deutlicher Absatzeffekt: Der Balisto-Absatz stieg um 57,9 % im 2. Halbjahr 2005 gegenüber dem Vorjahreszeitraum. • Deutlicher Umsatzeffekt: Der Balisto-Umsatz stieg während der Kampagne um 65 %, wobei das angestrebte Umsatzwachstum um plus 20 % bereits während des ersten reinen Print-Flights erzielt wurde, der nachfolgende Einsatz der TV-Mini-Spots dann jedoch für 182 einen zusätzlichen Steigerungseffekt gesorgt hat: „Die nervten die Leute offensichtlich nicht, sondern sorgte für eine positive Awareness“, so Jens. • Steigerung des Marktanteils: In Konsequenz der deutlichen Absatz- und Umsatzeffekte stieg der Balisto-Marktanteil im Schokoriegel-Markt von 3,2 % vor Kampagnenstart um über 26 % auf 4,0 % nach den ersten sechs Kampagnen-Monaten und lag somit deutlich über dem Jahresziel von 3,5 %. „Der überdurchschnittliche Turnaround-Erfolg der Balisto-Relaunch-Kampagne hat uns gezeigt, dass wir mit Balisto einen Juwel im Portfolio hatten, der nur aufpoliert werden musste“, so Dammann. Aus strategischer Sicht sieht er für den Erfolg zwei wichtige Faktoren: • Der allgemeine Bio-/Wellness-Trend; • Die im Produkt vorhandenen Inhaltsstoffe (Getreide) zur Adressierung dieses Trends. „Uns kam beim Start des kommunikativen Relaunches von Balisto die allgemeine Orientierung in Richtung gesunder, aber genussreicher Ernährung sehr entgegen“, erklärt Dammann. Gleichzeitig hatten wir glücklicherweise mit Balisto das richtige Ausgangsprodukt für diesen Trend im Portfolio.“ Konsumententests hätten gezeigt, dass gerade der deutlich identifizierbare Geschmack von Keks und Früchten dem neuen Bedürfnis nach Natürlichkeit in idealer Weise entsprochen hätten. Aus kommunikativer Sicht besteht die zentrale Erfolgsformel der Balisto-Kampagne nach Meinung von Plannerin Jens in der konsequenten Umsetzung des Meta-Ziels „Differenzierung“ auf drei Ebenen: 1. Strategie: Offensiv-konsequente Bekennerkampagne („Natürlich nasch’ ich“); 2. Kreation: Konsequente Reduktion bzw. Prägnanz (Testimonials, Produkt, SortenFarbcode); 3. Media: branchen-nonkonformer Media-Mix (Fokus auf Print statt TV). „In der Entwicklungsphase der Kampagne hatten wir sehr intensive Diskussionen darüber, ob die Fokussierung auf den Produktfarbcode in Verbindung mit der nur verbal kommunizierten rationalen Botschaft ausreichend ist“, so Jens. Letztlich sei man jedoch mutig genug gewesen, die Kampagne „ungetestet und unverwässert“ mit der Konzentration „auf eine prägnante Kernbotschaft“ zu schalten. Neben den deutlichen übertroffenen Performance-Kennzahlen wertet man es auch als Erfolg, dass die für den deutschen Markt konzipierte Kampagne für andere europäische Märkte adaptiert wurde. Als Bestätigung für die Richtigkeit und den Erfolg der Kreativstrategie wird außerdem gewertet, dass der Wettbewerber Ritter Sport zentrale Kampagnenprinzipien in seiner aktuellen „Ritter Sport-Freunde“-Kampagne adaptiert hat und Marktführer Ferrero sich in ei- 183 ner neuen Kampagne zu „Kinder bueno“ explizit an die Balisto-Kernzielgruppe junger erwachsener Frauen wendet. In der aktuellen Fortsetzung der Kampagne wird auf Basis der kreativen Plattform (Farbcodierung, Modelle, Claim) die Relaunch-Botschaft in Richtung der gesunden Inhaltsstoffe evolutionär spezifiziert. Mit einer Nominierung für den Effie 2006 wurde der Kampagnenerfolg auch von externer Expertenseite gewürdigt. Dr. Jörg Goll, Unternehmensberater, Effie-Jury-Mitglied und früher selbst Werbeverantwortlicher für Balisto bestätigt den Relaunch-Erfolg: „Die Konsequenz der Verantwortlichen war die Voraussetzung für die Deutlichkeit der erzielten Zielwerte.“ Fazit: Die Balisto-Kampagne ist zu überwiegenden Teilen eine Expansionswerbung, da mit einem in seiner kommunikativen Leistung (Image) gepflegten Produkt – angesichts eines fortgeschrittenen Stagnationsprozesses – überwiegend Neukunden gewonnen werden sollten. Gleichzeitig ist mit der Kampagne auch eine Ansprache der Bestandskunden verbunden, die loyalisiert werden sollen, indem ihre Kauffrequenz gesteigert wird. Damit verdeutlicht die BalistoKampagne exemplarisch für jede Form der Expansionswerbung den Umstand, dass allein aufgrund des Reifegrades der Produkte die Bestandskunden-Ansprache – qua bestehender Kundenbasis – automatisch immer eine Rolle spielt. Gleichzeitig verdeutlicht dies aber auch eine generelle Abgrenzungsproblematik: Wann ist ein Kunde noch ein Bestandskunde? Wann nicht mehr? Bei den Kampagnen-Zielen haben Imagekorrektur und -verbesserung einen deutlich höheren Stellenwert gegenüber der Bekanntheit. Analog zu anderen Low-Involvement-Produkten flankieren sie kurzfristige signifikante Absatzerfolge. Generell wird an der Balisto-Kampagne folgender signifikanter Unterschied zu anderen expansiven Werbestrategien deutlich: Grundlage der Kampagne ist eine kommunikative Leistungspflege (Relaunch), um Kunden- und daraus resultierende Absatz- und Umsatzverluste expansiv zu kompensieren. Die Balisto-Kampagne unterscheidet sich somit fundamental von einer Expansionswerbung, die auf eine erfolgreiche Einführungskampagne folgt (siehe Fallstudie Rama Cremefine) und das Ziel hat, den bereits erzielten Erfolg konsequent zu verlängern. Als kommunikative Relaunchkampagne weist der Balisto-Case folgende Spezifika auf: • deutlich veränderte kommunikative Positionierung (Balisto – der natürliche Schokoriegel) bei Beibehaltung des bestehenden Produktes; • deutlich veränderte Art der Konsumenten-Ansprache (rationale Werbebotschaft statt vormals emotionale); • Einführung einer neuen, auffälligen Formsprache (Sorten-Farben als Key-Colours) als Kampagnen-Klammer; 184 • Mediawerbung hat im Fall der Balisto-Kampagne im Vergleich zu den anderen expansiven Kampagnen einen sehr hohen Anteil am Kommunikations-Mix, wobei Print als Leitmedium fungiert. Der Grund für den hohen Mediaeinsatz liegt zu einen darin, dass es sich um ein Low-Involvement-Produkt handelt, für dessen Bewerbung andere Kommunikationsinstrumente deutlich weniger relevant und wirkungsvoll sind und zum anderen das Produkt vor der Kampagne für einen längeren Zeitraum keine werbliche Präsenz hatte, was die Notwendigkeit eines reichweitenintensiven Auftritts sicherlich verstärkte. Diese besonderen Spezifika im Vergleich zu den anderen untersuchten expansiven Kampagnen legen eine Differenzierung von Expansionswerbung als möglicher WerbestrategieArchetyp nahe. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Bestandsprodukt Zielgruppenfokus Überwiegend Neukunden Kommunikative Werbeziele Image, Präferenz Positionierung Emotion Werbebotschaft informativ Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (100%) Leitmedium Print Abbildung 35: Ausprägungen der Balisto-Kampagne als Expansionswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.8 Kampagnen-Fallstudie Rama Cremefine, Unilever Marketingstrategie Der internationale Konsumgüterhersteller Unilever verfügt über ein breites Portfolio von Lebensmittelmarken, zu denen u.a. auch der Margarine-Klassiker Rama gehört. Rama ist mit einem Marktanteil von 23 % immer noch mit deutlichem Abstand Marktführer. Jedoch war Unilever im Bezug auf Rama in den vergangenen Jahren mit folgender Marktentwicklung konfrontiert: • Die Nachfrage der Konsumenten nach Margarine sinkt deutlich und seit Jahren, • Preisgünstigere Handelswaren gewinnen bei den Konsumenten zunehmend in der Kaufpräferenz. Konsequenz für Rama: Absatz und Umsatz gingen in den letzten Jahren deutlich zurück (Zahlen?). Das Rama-Image wirkte „verstaubt“624. In dieser Ausgangssituation entschloss sich Unilever zu einer Markendehnung von Rama in Richtung eines neuen Sortimentsfeldes. Im Ap624 JUNG/VON VIEREGGE, 2007, S. 78 185 ril 2004 wurde der Subbrand „Rama Cremefine“ als ist die leichte Alternative zu Sahne, Crème fraîche und Co. gelauncht. Rama Cremefine wird in vier Produkt- bzw. Anwendungsvarianten (zum Schlagen, zum Kochen, zum Verfeinern sowie als Vanille-Version zum Versüßen) angeboten. „Neu an dem Produktkonzept ist, dass Produkt- und Anwendungsvariante identisch sind. Der Konsument weiß bei der Auswahl explizit, welche Cremefine für welches Gericht ideal ist“, so Rama Brand-Managerin Anke Fydrich. Funktionaler Benefit des innovativen Produktes ist die Zusammensetzung aus pflanzlichen Fetten und Milch, die mit 15 % einen deutlich niedrigeren Fettgehalt als herkömmliche Schlagsahne oder Crème fraîche (bis zu 50 %) ergeben. „Der Konsumenten-USP besteht darin, den Geschmack von Sahne genießen zu können ohne sich mit den damit normalerweise verbundenen hohen Fettwerten zu belasten“, so Fydrich. Mit dieser Marketingstrategie, dem Trend fettreduzierter Markenprodukte mit einer entsprechenden Leistungsinnovation zu begegnen, um Neukunden zu akquirieren, profiliert sich Unilever nach TOMCZAK ET AL. als Trendsetter.625 Rama Cremefine wird zudem in einer auffällig gestalteten 250-Milliliter-Flasche verkauft, auf der neben dem traditionellen Rama-Logo vor allem die Key-Colour Lila – ebenfalls neu im Frischeregal – dominiert. Bis zum Markteintritt von Rama Cremefine war der Markt für Sahne-, Creme fraîche- und Schmandprodukte mit 95 % Marktanteil dominiert von ungebrandeten Produkten regionaler Molkereiproduzenten. Die einzigen vergleichbaren Markenartikel stammten von Dr. Oetker mit den 2003 eingeführten Produkten Crème Balance und Crème Légère. Rama Cremefine wurde mit einem Verkaufspreis von 1,28 Euro (+ 27 % gegenüber markenlosen Produkten) ganz deutlich als hochwertiges Markenprodukt positioniert. Gegenüber dem Hauptwettbewerber Dr. Oetker differenzierte sich Cremefine in der Positionierung deutlich als Familienprodukt. Mit einer auffälligen Einführungskampagne, in der der Schlagersänger Udo Jürgens als prominentes Testimonial seinen Hit „Aber bitte mit Sahne“ produktadäquat in „Aber bitte mit Rama“ modifizierte, wurde Rama Cremefine sehr erfolgreich eingeführt und erreichte bis Ende 2005 einen Marktanteil von knapp 3 %. „Der Clou der Einführungskampagne bestand darin, dass wir aus rechtlichen Gründen Cremefine nicht als Sahne-Produkt deklarieren durften, der Udo Jürgens-Song aber beim Konsumenten den Sahne-Benefit nachhaltig verankerte“, erläutert Anke Fydrich die damalige Kampagnen-Strategie. Der Erfolg der Einführungskampagne bestand laut Fydrich darin, ein Markenprodukt in einem von markenlosen Produkten dominierten Markt langfristig etabliert zu haben. Auf die Einführungskampagne folgten zwei saisonale Aktions-Spots, die die saisonalen Anwendungsmöglichkeiten (Cremefine für die Verfeinerung von Erdbeer- und Pilzgerichten) in Verbindung mit der traditionellen Rama- 625 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 28 186 Familienwelt kommunizierten und den Probierimpuls der Einführungskampagne aktualisieren sollten. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Unilever Deutschland Holding GmbH Konsumgüter/Lebensmittel Rama Cremefine Low-Involvement Februar bis Dezember 2007 8 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 36: Kampagnen-Steckbrief Rama Cremefine Quelle: Eigene Darstellung Werbestrategie: Nach der erfolgreichen Markteinführung von Rama Cremefine bestand der Schwerpunkt der nachfolgenden Kampagne nun darin, den Markterfolg des Low-Involvement-Produktes konsequent auszuweiten und den einzigen Marken-Wettbewerber Dr. Oetker als Marktführer zu verdrängen. Nachdem die Einführungswerbung erfolgreich für die Bekanntheit des Produktes gesorgt hatte, galt es nun, die Profilierung von Rama Cremefine zu intensivieren. „Neben diesem klar absatzpolitischen Ziel ging es uns aber auch darum, Rama Cremefine auf eine neue, langfristige kommunikative Plattform zu stellen“, so Fydrich. Als Zielgruppe wurden analog der Einführungskampagne „moderne Mütter, die selbstbewusst den Haushalt managen“626, adressiert. „Angesichts des hohen Substitutionspotentials im Bereich der markenlosen Produkte lag der Fokus der Kampagne vor allem bei den Neukundinnen. Daneben ging es uns aber auch darum, die Loyalität der Bestandskundinnen durch eine Frequenzsteigerung in der Nutzung und die Nutzungsausweitung auf weitere Cremefine-Varianten zu stärken“, so Fydrich zur Zielgruppen-Strategie. Als ökonomische Kampagnenziele wurde folgende fixiert: • Massive Abverkaufssteigerung: Erhöhung der Käuferreichweite um mindestens 25 % und Erreichung eines Absatzvolumens von 10000 Tonnen zum Ende des Kampagnenjahres 2006; Marktführerschaft: Ablösung von Dr. Oetker als Marktführer im Bereich der MarkenArtikel. Daraus leiteten sich folgende kommunikativen Ziele ab: • • 626 Erhöhung der Aufmerksamkeit: Steigerung der gestützten Werbeerinnerung von Rama Cremefine um mindestens 20 %; JUNG/VON VIEREGGE, 2007, S. 79 187 • Imageprofilierung: Deutliche Profilierung des Produktvorteils „Sorgenfreier Sahnegenuss“ durch Penetration der Kernbotschaft „hat halb so viel Fett wie Sahne“. Konkret: Steigerung der Zustimmungswerte in der Imagedimension „verbindet guten Geschmack und gute Ernährung“ um mindestens 50 %. Zur Ziel-Gewichtung merkt Fydrich an: „Letztlich haben auch für uns Kommunikationsverantwortliche die ökonomischen Ziele höchste Priorität, die kommunikativen sind dagegen eher flankierend.“ Neben dem kurzfristigen Absatzfokus wäre jedoch mit Cremefine auch eine markenstrategisch längerfristige Zielsetzung verbunden. „Nach der erfolgreichen Einführung des Produktes sehen wir für Cremefine deutliches Potential, die Dachmarke Rama zeitgemäßer erscheinen zu lassen“, so Fydrich. Somit werden die Vitalisierungseffekte angestrebt, die sich nach ESCH sowie ANDRESEN und NICKEL627 im Idealfall durch die richtige Positionierung und Präsentation einer Sub-Brands für die Dachmarke ergeben. „Der aus unserer Sicht relevante Consumer Insight war, dass die Zielgruppe der modernen Mütter die Familie gesund ernähren will. Das meiste, was gesund ist, schmeckt nicht; das was lecker schmeckt, ist nicht unbedingt gesund, so wie Sahne“, erklärt Achim Rietze, Strategic Planner bei der kampagnenverantwortlichen Agentur Jung von Matt. Rama Cremefine löse dieses psychologische Dilemma der Mütter, denn aufgrund des reduzierten Fettgehalts braucht man sich mit der Verwendung nicht zurückzuhalten und hat sorgenfreien Sahnegenuß. Rietze: „Daraus ergab sich für unsere Arbeit als klare strategische Stoßrichtung der Kommunikation: ‚Mit Rama Cremefine braucht man nicht zimperlich und zurückhaltend zu sein, denn das ist sorgenfreier Sahnegenuß.’ Insofern sei Rama Cremefine als klassischer Konsumartikel kategorisch ein Low-Involvement-Produkt, „jedoch hat das Versprechen weniger Fett hoch-involvierenden Charakter“, merkt Rietze an. In der kreativen Umsetzung wurde dieses Versprechen auf die Spitze getrieben. „Im TV-Spot zeigen wir bewußt kein idyllisches Werbefamilieklischee, wie es Rama noch vor Jahren zelebriert hat, sondern den realen Alltag in einer Familie, wo Kinder nicht nur quengeln, sondern richtig schreien“, so Rietze. Das strategische Ziel sei somit gewesen, in Zusammenhang mit der Marke Rama ein authentisches, zeitgemäßes Familienbild zu etablieren, mit dem sich die Mütter von heute identifizieren können. In der Media-Strategie dominiert – klassisch für FMCG-Kampagnen – TV als emotionalisierendes und reichweitenstarkes Leitmedium mit einem Budgetanteil von 80 %. Innerhalb der Gesamtkampagne gibt es zu dem Basis-TV-Spot gab es saisonale Varianten, wobei im Frühjahr passend zum frischen Obst Cremefine Vanilla und im Winter Cremefine zum Kochen 627 ESCH, 2002, S. 203 ff.; ANDRESEN/NICKEL, 2005, S. 777 f. 188 beworben wurde. Unterstützend zu TV kamen Printanzeigen in frauenaffinen Medien zum Einsatz. Durch Print sollten schnell und effizient neue Verwendungsanlässe für Cremefine im Bewusstsein der Zielgruppe verankert werden. Werbestrategisch betrachtet ist die Rama Cremefine-Kampagne laut Rietze im Hinblick auf drei Aspekte eine konsequente evolutionäre Fortsetzung zur äußerst erfolgreichen Einführungswerbung: 1. Nach der Launch-Botschaft „Rama macht jetzt auch etwas mit Sahne“ zur AwarenessGenerierung für das Produkt standen jetzt eine stärkere Produktprofilierung (sorgenfreier Sahnegenuss) und Erläuterung der funktionalen Vorteile des Produktes („halb soviel Fett“, „pflanzlich“) im Fokus; 2. Der in der Einführungskampagne mit Udo Jürgens per Lied massiv penetrierte Claim „Aber bitte mit Rama“ wird im Abbinder aufgegriffen, somit ist der Sub-Marken-Claim von Cremefine zum Claim der Dachmarke Rama avanciert; 3. Die gesamte Spot-Tonalität entspricht ebenso wie die Launch-Kampagne nicht dem klassischen Rama-Markenbild. Die kreative Fortschreibung der Produkt-Marketingstrategie bedinge nach Rietze nicht zwangsläufig ein „Weiter so“ in der Verwendung zentraler Key-Visuals (vgl. Fallstudie Touareg-Kampagne). Rietze weiter: „Die gestellte kommunikative Aufgabe der weiteren Markenprofilierung bedingte eine spezifische Herangehensweise, bei der eine Kontinuität gegenüber der Einführungswerbung – zumal es sich um ein schnelllebiges Konsumgut handelt – nicht maßgeblich war.“ Kampagnenerfolg: Mit der Kampagne waren folgende kommunikative und absatzpolitische Ergebnisse verbunden: • Steigerung der Awareness: Die Rama Cremefine-Kampagne erreicht während der Flights eine gestützte Werbeerinnerung von bis 42 % gegenüber einem Normalniveau von 25 %. Das entspricht einer Steigerung von bis zu 68 % und liegt somit deutlich über der angestrebten Zielmarke von 30 %. Deutlich wird daran jedoch auch, wie notwendig ein permanent hoher Werbedruck ist, um in der Awareness der Konsumenten zu bleiben. • Deutliche Imageprofilierung: o Die Kampagnen-Botschaften „Hat halb soviel Fett wie Sahne“ und „Hat wenig Fett“ o • werden gestützt von 50 % der Befragten genannt; Die Kampagnen-Botschaft „Verbindet guten Geschmack und gute Ernährung“ wurde gestützt von 18 % der Befragten bestätigt. Das entspricht gegenüber dem Vorjahreswert einer Steigerung von 90 % und liegt deutlich über der Zielmarke von 15 %. Absatzsteigerung: 189 o o Steigerung Käuferreichweite: Das Ziel, weitere Neukunden für das Produkt zu gewinnen wurde deutlich erreicht. 20 % der deutschen Haushalte kauften das Produkt im Dezember 2006. Das entsprach einer Steigerung von 36 % gegenüber dem VorKampagnen-Monat März 2006, in dem die Haushaltsreichweite nur 15 % betrug; Absatzsteigerung: Steigerung des Jahres-Absatzes von 7.000 Tonnen in 2005 auf fast 12.000 Tonnen (+60 %) in 2006. Die Zielmarke von 10.000 wurde damit deutlich überschritten; o Marktführerschaft: Der Marktanteil wuchs von 3,2 % vor Kampagnenstart auf 4,8 % zum Jahresende. Damit wurde Dr. Oetker mit fast kontinuierlich 4,4 % Marktanteil als Marktführer durch Rama Cremefine abgelöst. Bei der Bewertung dieser Erfolgswerte sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Durch die Einlistung des Produktes bei einem großen Discounter ergab sich in der Distributionspolitik ein massiver Effekt, der den Einfluss der Kommunikation auf die enormen Absatzsteigerungen relativiert. • Das Substitutionspotential der unbeworbenen Handelswaren ist mit einem Gesamtmarktvolumen von über 90 % immer noch enorm; • Der einzige Markenwettbewerber Dr. Oetker agiert traditionell mit marktunterdurchschnittlichen Werbebudgets. Als Erfolgsfaktoren aus kreativer Perspektive hebt Rietze die „Originalität“ und „Auffälligkeit“ der Kampagne hervor. So sei der TV-Spot in der ausgestrahlten Variante nicht getestet worden, „was sicherlich zu einer deutlichen Normalisierung der kreativen Umsetzung geführt hätte.“ Gleichzeitig war der Kampagnenerfolg von Rama Cremefine für den Markenartikler Unilever laut Fydrich auch gesamtstrategisch wichtig, weil mit dem nachhaltigen Erfolg eines Markenproduktes wie Rama Cremefine in einem ansonsten fast markenlosen Markt vor dem Hintergrund der stark gewachsenen Bedeutung und heutigen Dominanz von Handelsmarken628, plakativer Beweis für die anhaltende Bedeutung von Marke geliefert wurde. Fazit: In der strategischen Grundstruktur erscheint die Rama Cremefine-Kampagne exemplarisch für Expansionswerbung. Aufbauend auf den Erfolg der Einführungskampagne fokussiert die Kampagne vorrangig auf den Zugewinn weiterer Neukunden, adressiert aber auch Bestandskunden, deren Penetration durch eine höhere Kauffrequenz gesteigert werden soll. Dementsprechend unterscheiden die Kampagnenverantwortlichen in ihren Kampagnenzielen nicht 628 ESCH, 2007, S. 504 ff. 190 explizit zwischen Neu- und Bestandskunden. Bei den kommunikativen Zielen liegt der Fokus auf der Verbesserung der Imagewerte. Die kommunikative Positionierung wurde gegenüber der Einführungswerbung beibehalten, wobei eine stärkere Fokussierung auf die Produktprofilierung in Verbindung mit einer sehr funktionalen Botschaft („Rama Cremefine hat halb soviel Fett wie Sahne“) erfolgte. Auffällig ist jedoch gegenüber der Einführungswerbung ein deutlicher Bruch in der kreativen Umsetzung. Mediawerbung hat einen sehr hohen Anteil am Kommunikations-Mix mit einer starken Dominanz von TV. Grund dafür könnte sein, dass es sich um ein Low-Involvement-Produkt handelt, für das generell der Einsatz reichweitenstarker Mediawerbung (insbesondere TV) charakteristisch ist. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Bestandsprodukt Zielgruppenfokus Überwiegend Neukunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Image, Präferenz Positionierung Emotion Werbebotschaft informativ Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (95%) Leitmedium TV Abbildung 37:Ausprägungen der Rama Cremefine-Kampagne als Expansionswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.9 Kampagnen-Fallstudie Golf Schlämmer Blog, Volkswagen Marketingstrategie Der Produktklassiker des Automobilherstellers Volkswagen (104,8 Mrd. Euro Umsatz, 324,9 Tsd. Mitarbeiter) ist der Golf. Seit der Einführung des Erstlings 1974 wurde das Schlüsselprodukt sechsmal in grundlegend überarbeiteter Form wieder neu auflegt. Zuletzt 2008. Mit 25 Mio. Exemplaren ist der Golf das meistverkaufte Auto in Deutschland und Europa.629 Auf die breit angelegte Einführungskampagne folgten „taktische Abverkaufs-Kampagnen“ mit dem Ziel, den Markterfolg konsequent zu verbreitern. Im Fokus dieser seit zwei Jahren im Quartalswechsel stattfindenden Promotionen stehen „All-Inclusive“-Paketlösungen, bei denen in der Regel ein Sondermodell des Golf (z. B.Golf Plus Tour Edition) in Verbindung mit Zusatzleistungen (z. B. Versicherung) und auf Basis eines attraktiven Finanzierungangebots platziert werden. Diese abverkaufsdominanten Kampagnenformate mit TV als Leitmedium weisen jedoch zunehmend Schwächen auf: 629 VOLKSWAGEN AG, 2007 191 • niedrige Prägnanz (Preis-Pakete werden nur bedingt wahrgenommen und erinnert); • geringer Imagegewinn: Starke Preis-Dominanz in der Kommunikation zahlt wenig auf das Markenprofil ein; • keine nachhaltige Differenzierung (Preismodelle werden von Verbrauchern nur bedingt antizipiert und zudem vom Wettbewerb schnell kopiert); • geringes Involvement (Preisargumente haben keinen emotionalen Mehrwert). Die Konsequenz dieser Entwicklung ist: Das Kosten-Nutzenverhältnis verschlechtert sich zunehmend. In dieser Situation begann man bei Volkswagen über neue Werbestrategien für Bestandsprodukte nachzudenken, bei denen sowohl in den Zieldimensionen Abverkaufssteigerung als auch Imagezuwachs signifikante Erfolge erzielt werden. Ein zusätzlicher aktueller Anlass war die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007. Ralf Maltzen, Leiter Internetmarketing bei Volkswagen: „Uns war klar, dass in dieser Situation alle Wettbewerber ihre klassischen Werbemaßnahmen noch einmal zusätzlich erhöhen würden. Daraus hat sich für uns die Frage ergeben, ob wir Sichtbarkeit durch exponentiell noch mehr Mediaspendings erreichen wollen, oder im Sinne einer Differenzierung einen völlig anderen Weg gehen.“ Somit agierte Volkswagen in dieser Phase des fortgeschrittenen Lebenszykluses des MarkenKernproduktes nach TOMCZAK ET AL.630 als Multiplizierer: Auf Basis einer kommunikativen Leistungspflege sollte die Voraussetzung für die Akquise weiterer Neukunden erreicht werden. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass ausgerechnet der Golf von vielen Menschen als unerreichbar empfunden wurde. Dementsprechend lautete das Ziel, eine Kampagne zu kreieren, die den Golf wieder zum „Auto für Menschen wie uns“ macht.631 Werbestrategie: Die Schlämmer-Blog-Kampagne, die Ende 2006 begann, stellte den Produktklassiker Golf in den Fokus. Mit der Kampagne wurden vor allem Neukunden, die bislang Fahrzeuge des Wettbewerbs nutzen, aber auch bestehende Golf-Fahrer mit dem Ziel eines Upselling bzw. Reassurance adressiert. Zum einen sollten die Defizite bisheriger klassischer Follow-upWerbung gelöst werden, zum anderen sollte aber – gerade angesichts der intensivierten Werbeaktivität des Wettbewerbs – ein hohes Maß an Differenzierung erreicht werden. Dies sollte durch drei Maßnahmen gewährleistet werden: 1. Einsatz der Kultfigur „Horst Schlämmer“ als Testimonial; 2. Video-Blog als zentrales Kampagnenmedium; 3. Hintergründige Verkaufsargumente statt plakativer Preisbotschaften. 630 631 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 28 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 29 192 Dazu erklärt Niklas Feuerle, kampagnenverantwortlicher Account-Manager der Agentur DBB: „Wir haben bewusst mit dem Prinzip gebrochen, dass bei Volkswagen Testimonials nur bei Neueinführungen eingesetzt werden.“ Die von Komiker Harpe Kerkeling gespielte Kultfigur des Horst Schlämmer, Lokalredakteur beim Grevenbroicher Tageblatt, erschien Agentur und Kunden als „Volksvertreter“ ideal für den Volkswagen Golf. „Mit seiner originellen Art, als Lokalredakteur des Grevenbroicher Tagblatts den Dingen des Lebens auf den Grund zu gehen, ist er einer breiten Zielgruppe grundsympathisch und passte hervorragend als StoryTeller, der die Vorzüge des Golf plastisch schildert“, so Feuerle weiter. Neuland betrat Volkswagen auch mit der Entscheidung einer viralen Kampagne632 auf Basis eines VideoBlogs. Maltzen: „Uns war klar, dass wir die anvisierte Zielgruppe auch mit den klassischen Media-Instrumenten, insbesondere TV erreichen. Für uns bestand der Reiz eines Video-Blogs jedoch in der besonders hohen Affinität und Involvementgrad der jüngeren Konsumenten.“ Für die Verbreitung der Videobotschaften setzten die Kampagnenverantwortlichen auf das „Seeding“, das Aussäen der Video-Blog-Inhalte auf andere Blogs und Video-Portale, woraus sich eine zügige Reichweitensteigerung ergibt. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Volkswagen AG Automobil Golf High-Involvement Dezember 2006 bis Februar 2007 Ca. 7 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 38: Kampagnen-Steckbrief VW Golf Quelle: Eigene Darstellung Drittes Differenzierungselement war ein radikaler Wechsel von plakativen Preisbotschaften zu eher hintergründigen Verkaufsargumenten ohne offensive Penetrierung der Marke Volkswagen. Maltzen: „Wir wollten prüfen, ob man gerade mit dieser tendenziell jüngeren, internet-affinen Zielgruppe als Volkswagen nicht anders kommunizieren muss und kann.“ Aus dieser spezifischen Kampagnenstrategie resultierten in der Planung besondere Zielwerte:633 • Awareness und Involvement: mindestens 1 Million Videoviews in den ersten sechs Kampagnenwochen; • Likability: Mindestens 3 von 5 Punkten bei der Bewertung der Videos. • Positive Veränderung des Items „Golf ist ein Auto für Menschen wie mich. 632 633 LANGNER, 2005, S. 55 ff. GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 29 193 Darüber hinaus sollten mehr als 15.000 qualifizierte Interessenten für deutlich weniger als 190 Euro (der bisherige Volkswagen Richtwert für Online-Kommunikation) gewonnen werden. Maltzen: „Klassischerweise setzen wir uns natürlich auch ökonomische Ziele. Dies ist jedoch bei einem bestehenden Massenprodukt wie dem Golf deutlich schwerer zu plausibilisieren. Dort kurzfristige Absatzeffekte auf eine kleinere Kampagne zurückzuführen, erschien uns nicht opportun, weshalb wir in diesem Fall bewusst auf ökonomische Ziele verzichtet haben.“ Kreative Kernidee der Kampagne war, dass Horst Schlämmer alias Harpe Kerkeling den Führerschein macht und sich sein erstes Auto kauft. Über seine Erlebnisse dabei berichtet er per Video-Tagebuch im Internet. Die Umsetzung der viralen „Schlämmer-Golf“-Kampagne erfolgte in drei Phasen: 1. Mystery, 2. Sponsoring, 3. Vermarktung. In der Mystery-Phase wurde der Video-Blog von Horst Schlämmer unter der Internet-Adresse www.schlaemmerblog.tv gestartet. Auf dieser ungebrandeten Site wurden im Abstand von einigen Tagen neue Videosequenzen veröffentlicht, die Horst Schlämmer während seiner Fahrstunden in einem VW Golf zeigen. Kampagnenverantwortlicher Feuerle dazu: „Es war eine bewusste und sicherlich auch riskante Entscheidung, Volkswagen nicht als den eigentlichen Urheber des Videoblogs von Anfang an zu kommunizieren. Wir wollten jedoch bewusst die Spekulation über die Urheberschaft dafür nutzen, die Awareness zu steigern und sukzessive Reichweite aufzubauen.“ Nachdem bereits im deutschen Internet umfangreich über Volkswagen als Urheber spekuliert wurde, erfolgte nach weniger als vier Wochen mit der zweiten Phase Sponsoring das Outing: „Volkswagen übernimmt faktisch meinen Führerschein“, bekannte Horst Schlämmer auf seiner Website. Während der gesamte Blog weiterhin neutral, also ungebranded blieb, wurde nur bei den Videofilmen im Abbinder das Volkswagen-Logo integriert. Auch in der Handlung der Videosequenzen bekam der VW Golf mehr Bedeutung, auch wenn auf offensive Verkaufsbzw. Preisargumente weiterhin verzichtet wurde. Die dritte Phase der Vermarktung begann nach weiteren vier Wochen mit dem erfolgreichen Abschluss der Führerscheinprüfung und dem Kauf eines Golfs als Erstwagen durch Horst Schlämmer. Beides bildete die Grundlage für den Launch der Website www.schlaemmerhatgolf.de. Diese Seite (Headline: „Euer Horst hat Führerschein“) war nun – im Gegensatz zu den Vorgängerseiten – deutlich gebrandet (VW Golf als Key-Visual, VWLogo). Der Video-Blog mit insgesamt 14 Kurzfilmen blieb über diese Vermarktungssite als Dokumentation bestehen. Gleichzeitig wurden die Horst Schlämmer-Inhalte in ein Webspecial auf der Konzern-Website www.volkswagen.de integriert. 194 Im nächsten Schritt hätte die virale Kampagne in eine klassische Kampagne münden sollen, in der Horst Schlämmer als Testimonial auch in TV-Spots aufgetreten wäre. Kampagnenerfolg:634 Im Zuge der der viralen Kampagne wurden folgende Ergebnisse erreicht: • Awareness und Involvement: o Über 1,1 Million Unique User besuchten die drei kampagnenbezogenen Seiten; o über 3,2 Millionen Mal wurden die insgesamt 14 Videoclips (der längste mit fast 5 Minuten Spieldauer) angesehen, d.h. jeder Besucher hat im Durchschnitt fast drei Videos angesehen; o Durch das Seeding auf andere Video-Portale und insbesondere BILD.de wurden fast vier Millionen weitere Video-Views generiert; o Insgesamt wurden die Video-Clips zu Horst Schlämmer und dem Golf über 7 Millionen Mal angesehen. Damit wurde der Zielwert von 1 Million um ein Vielfaches übertroffen; o Aus über 1300 Blogs wurde auf den Schlämmer-Blog verlinkt. • Likability: Die Videoclips erhielten in der User-Bewertung im Schnitt 4,45 Sterne von 5 maximal möglichen. Diese überdurchschnittliche Bewertung nahm auch nach dem „Outing“ von Volkswagen als Sponsor nicht ab und bewegte sich auf den externen SeedingSites in ähnlicher Höhe. • Das Item „Der Golf ist ein Auto für Menschen wie mich“ wird durch die Kampagne um 12 Prozent von 51 Prozent Zustimmung auf 57 Prozent Zustimmung gesteigert. • Ebenso wird das Item „Qualitativ hochwertiges, zuverlässiges Auto“ um 17 Prozent von 54 Prozent Zustimmung auf 63 Prozent Zustimmung gesteigert. • Die Kampagne generierte 90.000 qualifizierte Kontakte. Dabei mussten nur 16,63 Euro pro Kontakt investiert werden. Der kommunikative Erfolg der Schlämmer-Blog-Kampagne bestätigt die Überlegungen von HERR, KARDES und KIM635 zu den Erfolgsfaktoren von Word of Mouth-Effekten ebenso wie die Feststellung von PHELPS, LEWIS, MOBILIO, PERRY und RAMAN636, dass vor allem Inhalte mit hochemotionalisierenden Charakter (wie u.a. auch Humor) Erfolgstreiber für virales Marketing sind. Trotz dieser belegten Erfolge ist eine Erfolgsanalyse dieser viralen im Vergleich zu klassischen Kampagnen problematisch. Feuerle erläutert folgendermaßen: „Wir haben zwar versucht, die vorliegenden Daten in klassischen Media-Währungen wie z. B. Reichweite umzurechnen, nur gibt es dafür noch keine gültigen Regeln, und sie kommen im ersten Schritt eher 634 GESAMTVERBAND KOMMUNIKATIONSAGENTUREN (GWA), 2009, S. 32ff. HERR/KARDES/KIM, 1991, S. 460 ff. 636 PHELPS/LEWIS/MOBILIO/PERRY/RAMAN, 2004, S. 345 ff. 635 195 zu unbefriedigenden Werten, weil die Kosten einer viralen der einer klassischen Kampagne vergleichbar sind, die erfassbaren Reichweiten jedoch deutlich niedriger ausfallen.“ Unberücksichtigt blieben zwangsläufig die vielfältigen Domino- und Kaskadeneffekte durch die Fortsetzung des Seeding- und Verlinkungprozesses. „Außerdem haben Sie es mit dramatisch unterschiedlichen Involvement-Qualitäten zu tun: Das im Zweifelsfall beiläufige Ansehen eines 30sekündigen TV-Spots nach dem Push-Prinzip hat eine völlig andere Qualität als das bewusste Downloaden eines über 4 Minuten langen Spots im Web nach dem Pull-Prinzip“, so Feuerle. So kommt bei der VW Schlämmer-Blog-Kampagne die u.a. auch von RAPPAPORT und KENNY diskutierte On demand-Qualität des Werbemediums Internet zum Tragen.637 Dennoch ließe es sich nicht vermeiden, dass sich einem mit dem Medium Internet weniger Vertrauter als erster Eindruck aufdrängt: Soviel Kosten und wir sind noch nicht einmal im Fernsehen.“ Aus Sicht von Feuerle unterstreicht die Kampagne neben der Reichweitenqualität des Internets die Bedeutung von „Branded Entertainment“. „Das Schlämmer-Beispiel zeigt, dass ich mit unterhaltsamen Inhalten, in denen eine Marke bzw. ein Produkt sehr subtil und hintergründig eingebunden ist, zu einem hohen Reichweiten und Imageerfolg kommen kann. Aus Sicht von Feuerle zeigt sich hier eine intelligente Fortschreibung des klassischen TestimonialEinsatzes ebenso wie eine effizientere Alternative zum Entertainment-Licensing, bei dem insbesondere Filmfiguren in Verbindung mit Marken gebraucht werden, und dem weit verbreiteten Product Placement. „Im Schlämmer-Blog ist uns die Einbindung des Golfs auf eine intelligente und symbiotische Weise gelungen.“ Die Kampagne zeigt außerdem, wie sich die Kommunikations- und im Ansatz auch die Vertriebsstrategie eines Unternehmens verändern kann. Maltzen: „Blogs leben vom Dialog. So waren wir während der insgesamt nur zehnwöchigen Kampagne mit über 2000 Kommentaren und Fragen konfrontiert, die wir z. T. dann auch zügig beantworten mussten.“ Der Reiz eines solchen Dialogs bestände darin, als Automobilhersteller erstmals in größerem Umfang direkt mit den (potentiellen) Endkunden in Kommunikation treten zu können, wobei die Kundenansprache und -betreuung traditionell bei den überwiegend unabhängigen Händlern liegt. Maltzen: „Für die Organisation dieses Dialogprozesses müssen Sie jedoch auch inhaltlich und strukturell gerüstet sein.“ Die VW Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Führerschein“ wurde mit dem Effie 2008 in Gold ausgezeichnet. Fazit: Die „Horst Schlämmer“-Kampagne zum Golf ist in ihrer Grundstrategie der Expansionswerbung zuzurechnen: Ein seit mehreren Jahren im Markt befindlicher Produkt-Klassiker wird vorrangig an Neukunden adressiert. Unterstrichen wird dies durch die Kampagnen-Story, in 637 RAPPAPORT, 2007; KENNY, 2007 196 der der Protagonist seinen Führerschein macht, um den VW Golf als Erstwagen zu erwerben. Dementsprechend erfolgt die Ansprache von Bestandskunden im Sinne einer Loyalisierung bzw. eines Cross-Selling (der Golf als Zweitwagen) eher flankierend und implizit, d.h. ohne konzeptionelle oder kreative Berücksichtigung. Das vorrangige Kampagnen-Ziel bestand in einer Image-Erweiterung. Die Positionierung des High-Involvement-Produktes basiert auf der Kombination von Emotion und Information. Dementsprechend sind in der viralen Kampagne viele funktionale Argumente (als Teil der „Recherchen“ des Protagonisten) integriert. Im Kommunikations-Mix der ersten Kampagnenphase hat Mediawerbung in Form des Internets einen absolut dominanten Stellenwert. In den nächsten (nicht mehr realisierten) Kampagnenphasen hätten andere Kommunikationsinstrumente (insbesondere Verkaufsförderungsmaßnahmen bei den Händlern) deutlich an Bedeutung gewonnen. Mit dem Internet als einzigem und somit Leitmedium der Kampagne ist die „Horst Schlämmer“-Kampagne auch mediamix-bezogen ungewöhnlich. So weist die Kampagne in ihrer Umsetzung viele Charakteristika einer Einführungswerbung mit den Besonderheiten einer viralen Prelaunch-Kampagne (analog der Audi Q7-Kampagne) auf. Vielleicht liegt in diesem Gegensatz zwischen Strategie und Umsetzung auch ein Grund für den unvollständigen Roll-Out der Kampagne: Als Awareness-orientierte Einführungswerbung wäre die Kampagne mit höherer Wahrscheinlichkeit fortgesetzt worden denn als stärker absatzorientierte Expansionswerbung. Das explizite Ziel einer Imagekorrektur steht im Widerspruch zur Zielsetzung anderer Expansionswerbungs-Kampagnen. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Bestandsprodukt Zielgruppenfokus Überwiegend Neukunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Image Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft informativ Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (100%) Leitmedium Internet Abbildung 39: Ausprägungen der VW Golf-Kampagne als Expansionswerbung Quelle: Eigene Darstellung 197 6.1.10 Kampagnen-Fallstudie Drei Wetter Taft, Henkel Marketingstrategie Innerhalb des Unternehmensbereichs Kosmetik und Körperpflege der Henkel AG & Co. KGaA (22 % Umsatzanteil von insgesamt 12,7 Milliarden Umsatz im Geschäftsjahr 2006, 51.716 Mitarbeiter weltweit) ist die Marke Drei Wetter Taft als Top-Marke die älteste und renommierteste Marke für Haarstyling-Produkte. Drei Wetter Taft ist mit langer Tradition und deutlichem Abstand Marktführer im deutschen Markt für Hairstyling-Produkte (23,8% Marktanteil in 2006) sowie in Europa (12,2%). Diese Position wurde seit der Einführung des ersten Taft-Produktes 1955 durch eine konsequente Produkt-Diversifikation ausgebaut. Heute werden unter der Dachmarke Schwarzkopf insgesamt 60 Taft-Produkte in acht Linien angeboten. Jede Linie fokussiert einen spezifischen funktionalen Hairstyling-Benefit (Mehr Volumen, mehr Glanz etc.) und hat eine entsprechend spezifische Stammnutzerschaft, die sich nur geringfügig überlappt. Der Gesamtmarkt für Hairstyling-Produkte ist durch folgende Entwicklungen geprägt: • Nach einer Boom-Phase in den achtziger Jahren ausgelöst durch die starke Nachfrage nach Gel- und Wachsprodukten hat der Markt heute insgesamt einen hohen Sättigungsgrad erreicht; • Der Markt wird dominiert von wenigen großen Markenartiklern mit Schwarzkopf & Henkel als klarem Marktführer (29,0%) vor P&G/Wella (20,3%) bzw. L’Oréal (13,9%); Handelsmarken spielen keine relevante Rolle; • Die Konsequenz daraus ist: Weiteres Wachstum ist nur durch Verdrängung möglich, dementsprechend ist der Spielraum für positive Marktanteilsveränderungen gering. Diese allgemeine Marktsituation hat auch die Entwicklung von Taft geprägt: In den letzten Jahren war die Absatz- und Umsatzentwicklung der Taft-Produktfamilie durch eine deutlich stagnative Entwicklung geprägt. „Wir mussten feststellen, dass sich trotz deutlicher werblicher Anstrengungen unsere marktführende Position nicht weiter ausbauen ließ“, so Wolfram Gollin, Marketing Director International Styling. Die interne Marktforschung ergab dafür eine deutliche Erklärung: „Drei Wetter Taft wurde für seine funktionalen Produktqualitäten geschätzt, aber als Marke nicht wirklich gemocht.“ Insbesondere in der jüngeren Zielgruppe wurden deutliche „Berührungsängste“ festgestellt. Diese waren begründet in der Wahrnehmung von Taft als „kühle Leistungsmarke“. Dieses Image war nachhaltig geprägt worden durch den Drei Wetter-Taft-TV-Spot Klassiker aus den achtziger Jahren, in dem das Drei Wetter Taft Modell als Geschäftsfrau um die Welt jettete (Claim "Perfekter Halt bei jedem Wetter"). Gollin: „Wir mussten feststellen, dass unser einseitig funktionales Markenprofil die maßgebliche Barriere für weiteres Wachstum war.“ In dieser Situation beschloss das Management von Schwarzkopf Henkel zwei Maßnahmen: 198 1. Die produktbezogene Optimierung und artikelbezogene Ausweitung der bestehenden „grünen“ Linie (Benefit: „100% mehr Volumen“); 2. die demonstrative Repositionierung der Traditionsmarke „Drei Wetter Taft“ mit dem Produktlinien-Relaunch als Aufhänger. „Uns war klar, dass nur die Kombination aus funktionaler und kommunikativer Optimierung eine ausreichende Grundlage für eine nachhaltige Marken-Expansion bilden würde“, so Gollin. Diese Leistungspflege als Grundlage für die Akquise neuer Kundinnen bildet die marketingstrategische Grundlage für Schwarzkopf Henkels Profil als Multiplizierer. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Henkel AG & Co. KGaA Körperpflege/Hairstyling Drei Wetter Taft grüne Linie (Volume-Push-Up-Line) Low – medium Involvement Seit April 2007 Ca. 20 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 40: Kampagnen-Steckbrief Drei Wetter Taft Quelle: Eigene Darstellung Werbestrategie: Die aktuelle Drei Wetter Taft-Kampagne hat dementsprechend eine leistungsoptimierte Produktrange zur Grundlage. Das Produktversprechen der grünen Volume-Push-Up-Line lautet „Für perfekten Halt und bis zu 100% mehr Volumen - bei jedem Wetter, den ganzen Tag“. Dieses Produktversprechen sollte auf Basis eines modernisierten Markenimages vor allem in Richtung jüngerer Neukundinnen platziert werden. Daraus ergab sich für die Kampagne laut Gollin eine doppelte Herausforderung: 1. Die Taft-Stammkundinnen durften nicht „vergrault“ werden; 2. potentielle Neukundinnen mussten mit einem glaubwürdigen, selbstbewussten Auftritt gewonnen werden. Der Fokus der Kampagne lag deutlich auf den Neukundinnen, wobei sich diese laut Gollin in zwei Teil-Zielgruppen unterscheiden lassen: 1. Kundinnen, die bereits Hairstyling-Produkte der Wettbewerber benutzen; 2. junge Erstverwenderinnen. Angesichts des deutlich größeren Kundinnenpotentials sollten mit der Kampagne vor allem die Benutzerinnen von Wettbewerbsprodukten zum Ausprobieren der neuen TaftPflegeprodukte animiert werden, um mittelfristig die Stammklientel signifikant zu erweitern. 199 Da es sich bei den Taft-Hairstyling-Produkten weitestgehend eher um Low-InvolvementProdukte handelt (zwei Spezialprodukte aus der Produktlinie weisen aufgrund ihrer PreisLeistungsstruktur potentiell höheren Involvementcharakter auf), die als Massenprodukt vertrieben werden, ist die Zielgruppenbeschreibung sehr generell gehalten: „Wir adressieren mit der Kampagne Frauen zwischen 20 und 59 Jahren, die ihrem Haar sichtbar mehr Volumen geben wollen“, so Gollin. „Angesichts dieser Herausforderung und des Klassiker-Status der Marke Taft musste die werbestrategische Weiterentwicklung evolutionär sein“, so Gollin. Als absatzpolitische Ziele wurden für die Kampagne folgende fixiert: • Steigerung des Marktanteils im Haarfestiger-Segment um mindestens einen %-Punkt; • zweistelliges Umsatzwachstum der Volumen-Linie; • Dynamisierung des Markenumsatzes. Daraus leiteten sich folgende kommunikativen Ziele ab: • Deutliche Absenkung der gefühlten Zugangsbarrieren durch eine Imagekorrektur in den relevanten Dimensionen „Sympathie“ und „Modernität; • nachweisbare Verbesserung des Modernitätsimage von Taft. In der kreativen Übersetzung dieses Spagats bedeutete das die zeitgemäße Neuinszenierung des Drei Wetter-Tafts Klassiker aus den achtziger Jahren. „Mit dem expliziten Verweis auf diesen Klassiker wollten wir Selbstbewusstsein und Konstanz demonstrieren“, so Gollin. Statt des namenlosen Modells hatte man sich diesmal für Heidi Klum als Testimonial entschieden. „Unsere Marktforschung zeigte deutlich, dass sie bei den Frauen generationenübergreifenden Vorbildcharakter hat, weil sie es schafft, Erfolg im Job und ein harmonisches Familienleben miteinander zu verbinden“, begründet Gollin die Auswahl. Im Gegensatz zur kühlen Powerfrau der Klassikkampagne sei Klum „facettenreich und sympathisch.“ Die Storyline des TV-Spots ist identisch zur historischen Vorlage: Heidi Klum bewältigt ihr Tagespensum als Top-Modell an verschiedenen Orten der Welt. Jedoch werden die die Klischee des Ur-Spots „ironisch gebrochen“: So kommt der Wind z. B. aus einer Windmaschine beim Fotoshooting und den Regen stammt aus dem Gartenschlauch des Gärtners. Die Kampagnen-Vorlage bedingte den Einsatz von Bewegtbild als Werbemittel. Produziert wurde der Spot in zwei Varianten, als 20- und als 30-Sekünder. Leitmedium und gleichzeitig einziges Medium der Kampagne ist TV. Gollin zur Medienauswahl: „Generell wird im Hairstyling-Markt produktbedingt sehr TV-lastig, d.h. mit einem 200 Budgetanteil von 95 % und mehr geworben. Da unser vorrangiges Ziel schnelle ReichweitenGewinnung und eine breite Penetration der vitalisierten Markenbotschaft war, erschien uns die Fokussierung auf TV konsequent.“ Flankiert wurde die TV-Kampagne durch eine europaweite PoS-Kampagne, bei der ein Fotoshooting mit Heid Klum zu gewinnen war. Kampagnenerfolg: • Umsatzerfolg: Die angestrebte zweistellige Umsatzsteigerung für die Volumenlinie konnte mit tatsächlich erreichten 36% signifikant übertroffen werden; • der Marktanteil im Festigermarkt wurde um 2%-Punkte auf aktuell 15,8 % nachhaltig gesteigert und die Marktführerschaft in diesem Segment zurückerobert; • in einer repräsentativen Befragung wurden für die relevante Dimension „Modernität“ Zustimmungswerte von 64% (Frauen 20 bis 30 J.) bzw. 73% (35-45 J.) ermittelt, die um 28 % bzw. 56 % Punkte höher gegenüber der Vergleichsgruppe lagen, der die bisherige Taft TV-Kampagne gezeigt wurde. Gollin zum Kampagnenerfolg: „Der zentrale Erfolg der Kampagne bestand für uns darin, dass wir zu einem ausbalancierten Produktprofil von Taft gekommen sind, das für unsere Zielgruppe sowohl funktionale wie auch emotionale Benefits beinhaltet.“ Aufgrund des deutlichen Kampagnenerfolges in Deutschland ist die Kampagne für die weiteren europäischen Märkte von Schwarzkopf & Henkel adaptiert worden. Fazit: In ihrer Grundstrategie entspricht die Drei-Wetter-Taft-Kampagne dem aus der Theorie abgeleiteten Archetyp der Expansionswerbung: Ein optimiertes Produkt bzw. Produktrange wird im Rahmen einer ebenfalls überarbeiteten Werbekommunikation vorrangig an Neukundinnen adressiert, wobei angesichts der Ausgangssituation als marktführender Anbieter die Loyalisierung der Bestandskundinnen eine wichtige Rolle spielt. Das vorrangige Kampagnenziel bestand in einer Imageerweiterung sowie einer deutlichen Steigerung der Präferenzwerte (First Choice). Die Positionierung des Low-InvolvementProduktes basiert auf einer Kombination aus Emotion und Information. Der funktionalen Aussage zur Leistungsverbesserung der überarbeiteten Produktrange kommt ein hoher Stellenwert zu. Gleichzeitig wurde angesichts des Reifegrades der Absendermarke eine Überarbeitung mit dem Ziel einer Aktualisierung der Marke für notwendig erachtet. So weist der Spot in der kreativen Umsetzung eine gewisse Kontinuität zur fast 20 Jahre alten Einführungswerbung auf, jedoch wird die Geschichte der um die Welt jettenden Business-Lady in der Neuauflage mit Heidi Klum bewußt ironisch gebrochen. Im Kommunikations-Mix hat Media einen absolut dominanten Stellenwert. Die Gründe dafür sind vor allem branchenspezifisch. Als Leitmedium der Kampagne wurde TV-Werbung eingesetzt. 201 Das explizite Ziel einer deutlichen Aktualisierung der Markenbotschaft verbunden mit einer neuen – auf der Verbesserung des Produktes basierenden - Werbebotschaft legt eine Differenzierung des Archetyps Expansionswerbung im Hinblick auf die Imagekorrektur-Aktivität nahe. Diese wird in den Schlussfolgerungen des Kapitels 7 entsprechend diskutiert. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Bestandsprodukt Zielgruppenfokus Überwiegend Neukunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Imagekorrektur; Präferenz Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft informativ Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (80%) Leitmedium TV Abbildung 41: Ausprägungen der Drei-Wetter-Taft-Kampagne als Expansionswerbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.11 Kampagnen-Fallstudie 1 Euro-Menü, McDonald’s Marketingstrategie: Das amerikanische Schnellrestaurantbetreiber McDonald’s ist mit einem Jahresumsatz von 2,57 Milliarden Euro in 2006, 891 Millionen Gästen in insgesamt 1276 Restaurants sowie 52000 Mitarbeitern der größte Systemgastronom Deutschland. In 2006 investierte das Unternehmen 127,1 Mio. Euro in Werbung (+ 6,4 % gegenüber dem Vorjahr), was einem Umsatzanteil von 4,9 % entspricht. Nach langem Expansionserfolg im US-Heimatmarkt sowie in Übersee war McDonald’s Anfang der Neunziger erstmals in eine Wachstumskrise geraten, die 2002 im ersten Quartalsverlust seit Börsennotierung des Unternehmens gipfelte.638 In der Kampagnen-Ausgangssituation 2004 war McDonald’s mit stagnierenden Ab- und Umsätzen in Deutschland konfrontiert. Die Gründe dafür waren vielfältig: • generell rückläufiger Konsum der Privathaushalte aufgrund schlechter konjunktureller und volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen; • nachhaltige Irritation der Konsumenten nach deutlichen Preiserhöhungen im Gastronomie-Bereich im Zuge der Euro-Einführung Anfang 2002; • preisaggressive Expansionspolitik bestehender und neuer Wettbewerber; • wachsendes Gesundheitsbewusstsein bei der Ernährung im deutlichen Widerspruch zur traditionellen Fastfood-Positionierung von McDonald’s; • höhere Flexibilität bestehender und neuer Wettbewerber bei der Erweiterung ihres Angebots um abwechslungsreichere und gesündere Snacks. 638 BUCKLEY, 2003 202 Die Konsequenz aus dieser Entwicklung war: Insbesondere die Kernzielgruppe der jungen Erwachsenen hatte das Gefühl, sich immer seltener einen Besuch der Fastfood-Kette leisten zu können. Die daraus resultierende rückläufige Besuchsfrequenz hatte entsprechende Absatzund Umsatzeffekte. Ziel war es, diese Entwicklung kurzfristig zu stoppen. Wichtigster Ansatzpunkt war dafür eine deutliche Flexibilisierung des bestehenden Preissystems. Somit agiert McDonald’s marketingstrategisch nach TOMCZAK ET AL. im deutschen Markt als Potentialausschöpfer: Die Bindung bestehender Kunden erfolgt auf Basis einer Leistungspflege mit dem Schwerpunkt auf die Marketing-Mix-Dimension Preis. Werbestrategie: Im Fokus der Kampagne standen dementsprechend die Bestandsprodukte. Angesichts der gewachsenen Preissensibilität wurde auf Basis dieser bestehenden Produkte das McDonald’s Ein-Mal-Eins-Angebot kreiert: elf Produkte für je 1 Euro jeden Tag. Laut Susan Schmidt, Department Head Marketing wurden mit diesem Preis-Programm zwei Strategien verfolgt: 1. Ein günstiges und zugleich niedrigschwelliges Angebot nach dem Baukastenprinzip zur kurzfristigen Besuchs- und Umsatzfrequenzerhöhung bei den Bestandskunden; 2. Eine günstige zusätzliche Ergänzungsoption zum Menü-Produkt im Sinne eines Upselling. Zielgruppe dieses Preisprogramms waren vor allem die Bestandskunden, die durch einen Frequenzerhalt bzw. -steigerung ihrer Filialbesuche loyalisiert werden sollten. Diese Kernzielgruppe von McDonald’s besteht aus Fast-Food-affinen Teenagern und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 25 Jahren. Ergänzend dazu sollte die „Ein-Mal-Eins“-Aktion auch ein attraktives Einstiegsangebot für Neukunden (wie z. B. junge Mütter), die in dem 1 Euro-Angebot eine attraktive Preis-Alternative zu den gewohnten Snack-Points sehen. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* McDonald’s Promotions GmbH & Co. KG, München Dienstleistung/Systemgastronomie Gesamtangebot Low-Involvement Januar bis Dezember 2005 Keine Angaben * Brutto-Werbevolumen Abbildung 42: Kampagnen-Steckbrief McDonald's Quelle: Eigene Darstellung Dementsprechend lagen der Werbekampagne folgende absatzpolitische Ziele zugrunde: 203 • signifikante Steigerung der Besuchsfrequenz bestehender Kunden als Grundlage für eine Absatz- und Umsatzsteigerung; • Adressierung neuer Kundenschichten (z. B. junge Mütter). Aus diesen absatzpolitischen Zielen leiteten sich folgende kommunikativen Unterziele ab: • Imagekorrektur bzw. Verbesserung in der Dimension Preis-Leistungsverhältnis; • kurzfristiger Aufbau hoher Bekanntheit der neuen Preis-Werbung (ungestützte Bekanntheit); • Erreichung hoher Likeability in der Zielgruppe. Für die kreative Kommunikation des neuen Preisprogramms von McDonald’s waren laut Carina Eickmann, Senior Account Director bei der verantwortlichen Agentur Heye & Partner drei Kernelemente zentral: Angebotsvielfalt und -relevanz (elf Produkte), günstiger Preis (1 Euro) sowie Kontinuität (Dauerangebot statt befristetes Aktionsangebot). Kernbotschaft der Kampagne war dementsprechend „Für alle viel Auswahl für wenig Geld“. Leitmedien im Media-Mix waren nach Aussage Schmidts TV und Radio mit dem Ziel einer schnellen Bekanntheit. Entsprechend wurden drei TV- und sieben Radio-Motive eingesetzt. Ergänzend wurden Plakatmotive geschaltet. Die ganzjährige Kampagne wurde in zwei Phasen organisiert: Während in der ersten Phase die Bekanntmachung der Preisaktion im Vordergrund stand, wurde in der zweiten Phase der direkte Kaufaufruf mit der Auslobung eines konkreten Produktes verbunden. Flankiert wurde diese Werbeaktivität durch weitere Werbemaßnahmen am Point of Purchase. In der gestalterischen Umsetzung blieb die Kampagne im Rahmen des bestehenden prägnanten Werbeformats von McDonald’s. Während der TV-Spot das 1 Euro-Angebot – wie in den Kampagnen vorher bereits – in Verbindung mit einer Kundensituation am McDonald’sFilialtresen thematisierte, wurden in der Printwerbung plakativ die elf Produkte des Angebots präsentiert. Anders als bei vielen McDonald’s-Kampagnen wurde auf den Einsatz prominenter Testimonials verzichtet. Kampagnenerfolg: Folgende Ergebnisse wurden im Zuge der Kampagne erreicht: • In einem mit knapp 2 % nur schwach wachsenden Außer-Haus-Konsum-Markt stiegen die McDonald’s-Besucherzahlen in 2005 gegenüber dem Vorjahr um 12,8 %, während die Zahl der bundesweiten Restaurants von 2004 auf 2005 nur um 0,1 % auf insgesamt 1264 gestiegen war. • Der Besucherzuwachs schlug sich in höheren Umsätzen nieder, so wurden die Umsätze pro Filiale im Durchschnitt um 5,1 % gesteigert, während er in den Filialen der Wettwerber im gleichen Zeitraum um 2,7 % sank. 204 • In den Imagedimensionen „Niedrige Preise“ und „Gutes Preis-Leistungsverhältnis“ wurden Steigerungen gegenüber dem Vorjahr von 30 bzw. 25 % erzielt. Damit wurde der Zielwert von +15 % deutlich übertroffen. • Die Likeability wuchs gegenüber dem Vorjahr um 16 % bei der Zielgruppe der 1417jährigen und um 12 % bei der Zielgruppe der 18-19jährigen ohne Kinder. Für die Bewertung diese Kampagnen-Ergebnisse sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • McDonald’s steigerte seine Werbespendings 2005 gegenüber dem Vorjahr um 7,3 % auf 119,4 Mio. Euro. • Parallel zum „Ein-mal-Eins-Programm“ wurde als weiteres Element der Preisflexibilisierungs- und Loyalisierungsstrategie eine umfangreiche, zeitlich befristete Rabatt-CouponAktion gestartet, bei der auf bestimmte Produktbundles und Menüvarianten Preisrabatte von bis zu 50 % auf den Normalpreis gewährt wurden. Die Produktauswahl dieser Couponing-Aktion war komplementär zur Auswahl der Ein-Mal-Eins-Aktion. Die Coupons wurden sowohl als Einhefter in Publikumszeitschriften, als Hauswurfsendung wie auch als frei downloadbares pdf-File im Internet vertrieben. Trotz einiger Loyalisierungserfolge im Zuge der „Ein-Mal-Eins-Kampagne“ konnte der Stagnationsprozess bei McDonald’s nicht in einen deutlichen Wachstumspfad gewendet werden. Als Konsequenz aus dieser Entwicklung wurde die bereits 2003 unter dem Arbeitsmotto "Rolling Energy" gestartete Kampagne zur weltweiten Stärkung und Revitalisierung der Marke McDonald's mit dem neuen Claim „Ich liebe es“ 2005 um eine deutliche angebotsseitige Veränderung als Grundlage für eine grundsätzliche Umpositionierung639 ergänzt: Das traditionelle Fast-Food-Sortiment wurde um gesunde und regionale Produkte erweitert und passend zur neuen Positionierung das Top-Modell Heidi Klum als Testimonial für die Werbung in Deutschland verpflichtet. Mit dem Aufbau der sogenannten Mc Cafés wurde zudem dem Wettbewerber Starbucks offensiv Konkurrenz gemacht.640 Somit wechselte McDonald’s marketingstrategisch seinen Fokus von der Rolle des Potentialausschöpfers zurück zur traditionellen Positionierung als Multiplizierer.641 Aktuell hat sich der Schnell-Imbiss-Anbieter jedoch zum Marketing-Virtuosen weiterentwickelt: Komplementär zur den Leistungs-Innovationen zur Ansprache neuer Kundenschichten wird das „Einmaleins-Programm“ – mit einer Reduzierung auf neun Angebotsprodukte – nach Aussage von Schmidt als „nachhaltig erfolgreiche Loyalisierungsmaßnahme“ fortgesetzt. 639 ZOBAY, 2005, S. 11 ff. EBERLE, 2007, S. 16 641 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 29 640 205 Fazit: Die „Ein-Mal-Eins“-Kampagne von McDonald’s weist deutliche Charakteristika einer Loyalitätswerbung auf: Bestehende Produkte werden schwerpunktmäßig an die Bestandskunden adressiert. Zentraler USP ist dabei eine Flexibilisierung der Preissysteme, die zu einer KundenPenetration im Sinne eines höheren Umsatzes pro Kunde auf Basis einer höheren Besuchsfrequenz bzw. eines Cross-Sellings (Aktions-Produkte werden mit anderen Produkten kombiniert) führen soll. Die Ansprache von Neukunden ist demgegenüber deutlich nachrangig. Im Fokus steht die Schaffung von Awareness für das spezifische Loyalisierungsangebot verbunden mit einer entsprechenden Imagekorrektur. Kommunikative Positionierung und Werbebotschaft wurden gegenüber der bisherigen Werbekommunikation beibehalten. Media hat im Kommunikations-Mix eine hohe strategische Bedeutung. Dies ist im Falle von McDonald’s strukturell bedingt: Die Filialen sind über Franchiser organisiert, McDonald’s verfügt somit nicht über den unmittelbaren Kundenkontakt, hat also auch nicht die Möglichkeit, Kundendaten direkt am Point of Purchase zu generieren. Zudem sind DirektMarketingmaßnahmen in Verbindung mit Low-Involvement-Produkten generell kritisch zu bewerten, weshalb der Schwerpunkt-Einsatz von Massenmedien im Fall eines Massenanbieters wie McDonald’s plausibel erscheint. Auffällig an der Loyalitätskampagne von McDonald’s ist die Parallelität zu Kampagnenbeispielen für neukundenorientierte Expansionswerbung, in denen stagnativen Entwicklungen mit einer fokussierten Leistungsoptimierung des Produktes in Verbindung mit einem überarbeiteten Markenauftritt (Drei-Wetter-Taft, VW Golf) entgegengewirkt wurde. Dennoch ist als deutlicher Unterschied in der strategischen Ausrichtung der jeweilige Zielgruppenfokus entscheidend: Während McDonald’s den Schwerpunkt seiner Werbestrategie ausdrücklich auf die Penetration der Stammkundschaft legte, stand bei den Kampagnen für Drei-Wetter-Taft, und den VW Golf die Adressierung von Neukunden stärker im Fokus. Kriterien Leistungscharakter Zielgruppenfokus Werbebudget Kommunikative Werbeziele Positionierung Werbebotschaft Stellenwert Mediawerbung Leitmedium Ausprägung Bestandsprodukt Überwiegend Bestandskunden k.A. Bekanntheit, Präferenz Information (synchron) Informativ (synchron) sehr hoch (80%) TV Abbildung 43: Ausprägungen der McDonald’s-Kampagne als Loyalitätswerbung Quelle: Eigene Darstellung 206 6.1.12 Kampagnen-Fallstudie Flatrate XXL local, T-Com Marketingstrategie: Mit einem Umsatz von 61,3 Mrd. Euro in 2006 und 111.267 Mitarbeitern im Geschäftsjahr 2006642 ist die Deutsche Telekom AG absoluter Marktführer im deutschen Telekommunikationsmarkt sowie ein führender Telekommunikationsanbieter in Europa. Das Angebotsportfolio reicht von Festnetz-Telefonie über Mobilfunk, Online-Zugangsgeschäft bis zu IT- und Telekommunikations-Dienstleistungen im Business-Bereich. Nach der Privatisierung des ehemaligen Staatsmonopolisten im Jahr 1999 wurde 2003 das Unternehmen in verschiedenen Geschäftssparten organisiert, die abgeleitet vom „T“ als Dachsignet unter einem entsprechend Subbrand positioniert wurden. So firmierte der Festnetzbereich, das ursprüngliche Kerngeschäft des Unternehmens, ab 2003 unter der Marke T-Com. Der Geschäftsbereich Festnetz/Breitband erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2006 mit 103786 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von 24,7 Milliarden Euro, was 40 % des Konzernumsatzes entspricht. T-Com investierte 2006 in Deutschland insgesamt 169,7 Mio. Euro in Mediawerbung und war damit mit großem Abstand größter Werbetreibender im Telekommunikationsmarkt insgesamt sowie im Markt der Anbieter für Festanschlüsse. Als Betreiber des Festnetzes haftete T-Com im Denkgefühl der Kunden „das negative Image des schwerfälligen Monopolisten an, der sich nicht wirklich um seine Kunden kümmert“.643 Gleichzeitig war T-Com im Rahmen der Liberalisierung des deutschen Telekommunikationsmarktes mit einem intensiven Wettbewerb konfrontiert. Konsequenz dieser Entwicklung waren „Geringe Markenloyalität und dramatische Kundenabwanderungen.“644 Dies traf TCom doppelt hart: Zum einen verzeichnete T-Com eklatante Umsatzeinbrüche im essentiellen Kerngeschäftsfeld Festnetzanschluss durch Kundenabwanderungen zu preisagressiven nationalen Anbietern wie z. B. Arcor und regionalen Festnetzbetreibern wie Hansenet (“Alice“) oder an Mobilfunkbetreiber wie Vodafone und E-Plus. Zum anderen war mit jedem verlorenen klassischen Festnetz-Kunden der Verlust eines potentiellen Breitband- bzw. FlatrateKunden verbunden. Kommunikativ war zum Start von T-Com die Assoziation mit der Muttergesellschaft immer noch sehr hoch, wohingegen die ungestützte Bekanntheit der Marke TCom erst bei knapp 30 % lag. Parallel zu dieser Entwicklung wurde die Deutsche Telekom AG 2002 einer der vierzehn internationalen Hauptsponsoren der FIFA Fußballweltmeisterschaft 2006, die in Deutschland stattfand. Dieses WM-Sponsorship wurde verknüpft mit der Vermarktung des Flatrate-Tarifs XXL local. Somit verfolgte T-Com marketingstrategisch eindeutig das Ziel der Bestandskundenbindung auf Grundlage einer vor allem kommunikationsfokussierten Leistungspflege und 642 DEUTSCHE TELEKOM AG, 2006, U2 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 29 644 JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 30 643 207 agierte somit in der Definition von TOMZAK, REINECKE und MÜHLMEIER als Potentialsausschöpfer.645 Werbestrategie: „Anfang 2005 war innerhalb der Deutschen Telekom die Verwertung der enormen Vermarktungsmöglichkeiten als Hauptsponsor der FIFA-Fußballweltmeisterschaft noch ein crossdivisionales Projekt ohne Fokus auf eine Marke oder ein Produkt“, beschreibt Sven Grümer, damals Leiter des FIFA WM 2006-Projektes bei T-Com die Ausgangssituation. Erst im laufenden Entwicklungsprozess hätten sich eine Reihe von Argumenten für die Verknüpfung TCom und FIFA WM 2006 ergäben: • Die Bekanntheit der Marke war immer noch unterproportional zur Kundenreichweite, das Image zudem negativ; • die Intensivierung des Wettbewerbs im deutschen Telekommunikationsmarkt verschärfte insbesondere auf die Festnetzsparte den Absatz- und Ergebnisdruck. Es bestand hoher Bedarf für eine deutliche nachhaltige kommunikative Differenzierung angesichts einer täglichen veränderten Wettbewerbssituation die leistungsbezogene Differenzierung immer unschärfer erschienen ließ; • als Sponsor des Bundesligavereins FC Bayern München war T-Com bereits im Sportbereich engagiert. Daraus entstand eine Fußballweltmeisterschafts-Kampagne, die die Vermarktung der Deutschen Telekom mit der regulären Produktwerbung von T-Com verband. „Uns war klar, das wir mit der Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen nicht nachhaltig erfolgreich werden sein können, wenn die Absender-Adresse T-Com pauschal negativ bewertet wird“, so Grümer zu der Verbindung. Im Fokus der Kampagne stand die Bewerbung des neuen Flatrate-Tarifs XXL local. Um für diesen Tarif angesichts täglich neuer und attraktiver Wettbewerbsangebote einen einzigartigen und nachhaltigen Mehrwert zu generieren, wurde ein eigenes T-Com FIFA-WM-T-Shirt entworfen, das jeder neue Vertragskunde als zusätzliches und anfassbares Goodie zum Tarifvertrag erhielt. „Dieses T-Shirt war der greifbare Ausdruck des emotionalen Mehrwerts, der mit unserer Kampagne transportiert wurde“, so Hans Albers, damals verantwortlicher Geschäftsführer bei der ausführenden Agentur Economia. Die Herausforderung habe schon damals darin bestanden, dass im intensiven Preis-Wettbewerb das beworbene Tarif-Angebot innerhalb kürzester Zeit von Wettbewerbern unterboten worden sei. „Angesichts eines fluiden funktionalen Mehrwerts waren wir somit gezwungen, den Vertragskunden einen Mehrwert zu bieten, den sie von keinem der Telekom-Wettbewerber in gleicher Weise erhalten konnten“, so Albers weiter. 645 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 28 208 Zielgruppe der Kampagne waren alle privaten Nutzer von Telefonie, darunter insbesondere die circa 40 Millionen T-Com-Bestandskunden. Diese hatten sich nicht bewusst für die die Leistung von T-Com entschieden, sondern blieben als Kunden des ehemaligen Monopolisten, standen aber 2005 angesichts der preisagressiven Wettbewerbsangebote täglich vor der Frage zu wechseln. Dementsprechend war der Schwerpunkt der Kampagne eine Loyalisierung dieser Kunden aus zwei Gründen: 1. Erhalt der bestehenden Umsatz- und Ergebnisbasis; 2. Upselling in breitbandigere und gleichzeitig umsatz- und ergebnisstärkere Dienste. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Deutsche Telekom AG Telekommunikation City-Flatrate XXL local Low-Involvement Oktober 2005 bis August 2006 20 Mio. Euro * Brutto-Werbevolumen Abbildung 44: Kampagnen-Steckbrief T-Com Quelle: Eigene Darstellung Grümer: „Der Flatrate-Tarif war für uns deshalb ein wichtiges Loyalisierungsinstrument, weil er die bisherigen klassischen Festnetz-Nutzer von einem Vertragsverhältnis mit drei Monaten Kündigungsfrist in ein auf 12 Monate fixiertes Vertragsverhältnis konvertierte.“ Daraus ergaben sich laut Grümer folgende zwei Anforderungen an die T-Com-Kampagne646: 1. T-Com als Marke differenziert und relevant ins Bewusstsein zu bringen und so die bisher überwiegend leidenschaftslosen Kunden nachhaltig für T-Com zu begeistern; 2. die involvierten Kunden zielgerichtet zu den Vertriebskanälen (T-Punkt-Filialen, TelefonHotlines, Online-Plattform) zu führen, um sie dort durch den beworbenen Flatrate-Tarif oder andere Dienstleistungen zu loyalisieren. Entsprechend wurden folgende Kampagnenziele fixiert: • Awareness: Steigerung der ungestützten Werbebekanntheit von T-Com um mindestens 20 % auf 40 %; • Image-Korrektur: Signifikante Steigerung der Markenstärke in den entsprechenden Dimensionen um mindestens 10 %; • Kundenkontakt: Deutliche Frequenzerhöhung am Point-of-Sale über dem Zielwert von 10 %, nämlich um 24 % in den T-Punkten und um 12 % in den Callcentern • Absatz: Verkauf von mindestens 1 Million Flatrate-Tarifen mit dem Kampagnen-T-Shirt als zusätzlichem Leistungsbestandteil. 646 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 31 209 In der kreativen Umsetzung war laut Albers eine doppelte Herausforderung zu bewältigen, „weil es galt, sowohl eine Kampagne zu entwickeln, die so emotional-einprägsam ist, dass sie sowohl der Marke T-Com ein relevantes und attraktives Image verleiht, als auch mit einer klaren funktionalen Botschaft Kunden loyalisiert, indem sie zum Produktkauf animiert.“ Grundlage der Kreativ-Strategie war die FIFA WM 2006 in Deutschland. Grümer: „Kaum ein anderes Thema verbindet so viele Menschen so intensiv und emotional miteinander. Dieses Volks-Event war damit wie geschaffen für unser Volksprodukt.“ Albers: „Deshalb wollten wir T-Com als einen der Hauptsponsoren der WM als eine volksnahe Marke inszenieren.“ Um ein Maximum an Verbraucherbindung zu erreichen, bildeten für die kreative Umsetzung zwei Motivationsquellen laut Grümer das strategische Fundament:647 1. Das intensive kollektive Streben vieler Deutschen nach einer positiven Darstellung ihres Landes im Ausland (analog dem offiziellen Claim: „Die Welt zu Gast bei Freunden“); 2. das stark verbreitete Bedürfnis des Individuums nach Wahrnehmung und Geltung in einer zunehmend medialisierten Gesellschaft (analog TV-Formaten wie Big Brother und Deutschland sucht den Superstar). Die Idee war, beide Motivationsquellen zu einer lückenlos vernetzten Kommunikations- und Vertriebskampagne zu verbinden. Zentrale Botschaft dieser Kampagne war: „Machen Sie mit im größten Nationalteam aller Zeiten und heißen sie die Fußballfans aus aller Welt in Deutschland willkommen.“ Unter der Marke T-Com sollten die Fußballbegeisterten Deutschlands zu einer Community vernetzt werden. Dies erfolgte in zwei Stufen: 1. Dem Erwerb des T-Com WM-Welcome-Trikots als kostenlose Zugabe zum neuen Flatrate-Tarif; 2. die Teilnahme als neuer T-Com-Flatrate-Kunde an der WM-Kampagne. Grümer: „Mit dem Kauf des neuen Tarifs war das Versprechen an den Kunden verbunden: ‚Du wirst ein Teil unserer WM-Kampagne’“. Dementsprechend konnten sich die Kunden auf einer eigenen Online-Plattform registrieren und mit ihrem Foto präsentieren. Aus diesem Community-Pool wurde dann hunderte von Kunden ausgewählt und zu Foto-Shootings und TV-Aufnahme eingeladen. „Als schier endlose Menschenkette getreu dem Kampagnen-Motto ‚Das größte Nationalteam aller Zeiten’ haben wir dann die Kunden zusammen mit der deutscher Fußball-Nationalmannschaft gezeigt“, so Albers. Deshalb hatte die Kampagne im kreativen Ergebnis viele Elemente einer klassischen Unternehmens- und Imagewerbung, die komplettiert wurde um den konkreten Hinweis auf den Aktionstarif. 647 JUNG/VON VIEREGGE, 2006, S. 32 210 Leitmedium im Media-Mix war angesichts des emotionalen Themas WM und der benötigten hohen Reichweite TV mit einem Budgetanteil von knapp 40 %. Flankiert wurden die vielen Menschenketten-Varianten-TV-Spots um Print-Anzeigen in Publikumszeitschriften und Tageszeitungen (Budgetanteil circa 10 %). Eine wichtige Bedeutung hatten zudem Plakatwerbung, weil hier ungewöhnliche Formate (Super-Poster) und Buchungen (mehrere Plakatflächen nebeneinander) die Kampagnenbotschaft prägnant unterstrichen. Besonders hohe Kampagnenrelevanz hatte angesichts der Einbeziehung der Kunden in die Kampagnengestaltung PR. So wurde verschiedene „Welcome-Events“ inszeniert (u.a. der „Welcome-Day“ in Leipzig im Dezember 2005), zu denen die Bevölkerung eingeladen wurde und über die die Presse – ebenso wie zu den lokalen Menschenketten-Drehterminen – breit berichtete. 40 % des Kampagnenbudgets wurden dagegen in Below-the-Line-Maßnahmen investiert. Dazu gehörten vor allem Bestandskunden-Mailings sowie umfangreiche Point-ofSale-Massnahmen. Kampagnenerfolg: Folgende Ergebnisse erzielte die Kampagne: 1. Awareness: Steigerung der ungestützten Werbebekanntheit von T-Com auf 43 %; 2. Image-Korrektur: Signifikante Steigerung der Markenstärke in den entsprechenden Dimensionen um 17 %; 3. Kundenkontakt: Frequenzerhöhung am Point-of-Sale (T-Punkt, Call-Center) um 10 %; 4. Absatz: Verkauf von mindestens 1,6 Million Flatrate-Tarifen mit dem Kampagnen-T-Shirt als zusätzlichem Kaufanreiz, 60 % mehr als geplant. Für den enormen Awareness-Erfolg gibt es zwei Erklärungen: 1. Das im Vergleich zu allen Wettbewerbern überproportional hohe Werbebudget von TCom mit 169,7 Mio. in 2006; 2. der hohe Multiplikator-Faktor durch die allgemeine WM-Berichterstattung. Kampagnenverantwortlicher Grümer dazu: „Durch die Welcome-T-Shirts, welche die Kunden die ganze WM über trugen und die vielen Events waren wir permanent in der WMBerichterstattung präsent und konnten wir eine gigantische Multiplizierung der klassischen Media-Reichweite erreichen.“ Aus Sicht der Kampagnenverantwortlichen gab es für den Erfolg drei Treiber: 1. Exposition, 2. First Mover, 3. Bekenntnismut. Die Exposition bestand nach Grümer in der anhaltenden Konsequenz der Deutschen Telekom, die Kampagne der Bedeutung des Ereignisses angemessen budgetär und inhaltlich-komplex 211 „groß zu fahren“ und sich auch den mit dem Kampagnen-Konzept verbundenen hohen logistischen Herausforderungen zu stellen. Ein weiterer Erfolgsfaktor war nach Albers außerdem das Timing der Kampagne, die deutlich vor allen Werbekampagnen mit WM-Bezug bereits im Winter des Vorjahres gestartet wurde. „Mit dem Auftakt-Event in Leipzig haben wir als erste realisiert und mitinitiiert, dass die WM letztlich zu einem Volksfest wurde“, so Albers. Dritter maßgeblicher Erfolgsfaktor war nach Grümer das öffentliche Kampagnen-Bekenntnis zur deutschen Nationalmannschaft zu einem Zeitpunkt, als diese angesichts ihrer Leistung in der Presse noch massiv kritisiert wurde. Grümer dazu: „Angesichts dieses frühen Bekenntnismuts haben wir auch überproportional von der später einsetzenden Zustimmung und Euphorie profitiert.“ Ein zusätzlicher, ungeplanter Überraschungserfolg der Kunden-Kampagne war die Mobilisierung der Telekom-Mitarbeiter intern: So haben insgesamt 50000 Mitarbeiter, also mehr als ein Drittel der damaligen Belegschaft, das Welcome-T-Shirt nachgefragt. Aufgrund dieser enormen internen Resonanz wurde die gesamte Mitarbeiterkommunikation kurzfristig auf das WM-Thema umgestellt. Grümer: „Das Menschenketten-Prinzip der Konsumentenkampagne wurde auf die T-Com-Mitarbeiter übertragen und standortweit entsprechende Shootings organisiert.“ Was eigentlich zur Kundenbindung gedacht gewesen sei, hätte angesichts der fortlaufenden Stellenabbau-Maßnahmen den gleichen loyalisierenden Effekt nach innen gehabt. Grümer: „Mit dem Welcome-T-Shirt fand durch die Mitarbeiter ein öffentliches Bekenntnis zu ihrem Arbeitgeber statt, der in dieser Phase massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt war“, so Grümer weiter. Für die Mitarbeiter habe sich mit der Kampagne „Stolz“ und „Erhabenheit“ im Bezug auf den eigenen Arbeitgeber entfaltet. „Der eigentliche Erfolg der Kampagne bestand darin, die fast zwangsläufige Abwanderung der Kunden vom ehemaligen Monopolisten T-Com mit Hilfe des emotionalisierenden Großereignisses Fußball-Weltmeisterschaft temporär abgebremst werden konnte“, so Albers. Der in der Kampagnen erzielte Sympathiegewinn für die Marke T-Com blieb jedoch nur von begrenzter Nachhaltigkeit: Mit dem Wechsel des Vorstandvorsitzenden Klaus Ricke zu René Obermann wurde die bestehende Sparten- und Markenorganisation wieder verändert: Nach drei Jahren Lebenszeit verschwand die Marke T-Com zum Mai 2007 aus der Öffentlichkeit und wurde durch die Marke T-Home ersetzt.648 Fazit: Die T-Com WM-2006-Kampagne ist in den Kerndimensionen eine exemplarische Form der Loyalitätswerbung: Der große Kreis der Bestandskunden soll von der Aufrechterhaltung der 648 DEUTSCHE TELEKOM, 2007 212 bestehenden Kundenbeziehung durch eine Produktvariation649 überzeugt werden. Angesichts des Status als Ex-Monopolist war zum Kampagnenzeitpunkt die Zahl der Nicht(-mehr)Kunden immer noch verhältnismäßig gering, weshalb die Ansprache von Neukunden (im Sinne zurückgewonnener Altkunden) automatisch gar keine strategische Relevanz hatte. Die leistungspflegende Produktvariation bestand in der Platzierung eines City-Flatrate-Tarifs, der den Festnetz-Anschluss der Bestandskunden als ein für viele Kunden günstigeres längerfristiges Angebot (24 Monate Laufzeit) im Sinne eines Upselling ersetzen sollte. Ungewöhnlich war die absolute Priorisierung auf eine Imagekorrektur der Absendermarke. Die Bekanntheit des Loyalisierungsangebotes XXL-Tarif spielte dagegen keine vorrangige Bedeutung. Auffällig im Vergleich zu anderen Loyalitätskampagnen ist die Veränderung der kommunikativen Positionierung und Werbebotschaft gegenüber der bisherigen Kommunikation. Analog ist dagegen die reduzierte strategische Bedeutung von Mediawerbung im Kommunikations-Mix. Die Fallstudie belegt anschaulich die hohe Bedeutung von Maßnahmen am PoS, PR und Event-Marketing. Der Einsatz von TV als Leitmedium entspricht der bisherigen Priorisierung im Media-Mix von T-Com. Auffällig an der Loyalitätskampagne von T-Com ist die hohe strategische Bedeutung einer massiven Imagekorrektur der Absendermarke als Voraussetzung für eine erfolgreiche generelle Loyalisierung der Bestandskunden. Demgegenüber erschien die Bedeutung der konkret beworbenen Leistung eher nachrangig. Das erklärt, warum die Kampagne in Teilen (insbesondere bezogen auf die TV-Spots) eher den Charakter einer Unternehmensimage-Werbung denn einer absatzorientierten Produktwerbung hatte. Kriterien Leistungscharakter Zielgruppenfokus Werbebudget Kommunikative Werbeziele Positionierung Werbebotschaft Stellenwert Mediawerbung Leitmedium Ausprägung Verbesserte Bestandsleistung Fast ausschließlich Bestandskunden hoch Imagekorrektur Emotion Emotion mittel (50%) TV Abbildung 45: Ausprägungen der T-Com-Kampagne als Loyalitätswerbung Quelle: Eigene Darstellung 649 BÜSCHKEN/VON THADEN, 2007, S. 597 ff.; HUBER/KOPSCH, 2007, S. 617 ff. 213 6.1.13 Kampagnen-Fallstudie Gillette Fusion, Procter & Gamble Marketingstrategie Gillette, seit 2005 Teil des US-amerikanischen Konsumgüterherstellers Procter & Gamble, ist die marktführende Marke im weltweiten Nassrasur-Markt. Auch im deutschen Markt ist Gillette seit vielen Jahren stabiler Marktführer mit einem Gesamtmarktanteil von 29 % (48 % unter den Markenartiklern) vor dem traditionellen Konkurrenten Wilkinson mit knapp 9 % bzw. mit 14 % unter den Markenartiklern (AC Nielsen, September 2005). Beide Unternehmen stehen in einem intensiven Wettbewerb, wobei jede Produkt-Neueinführung des einen, einen Produktlaunch des anderen zur Folge hat, wobei über den tatsächlichen Innovationscharakter der jeweiligen Produkte massiv gestritten wird.650 1998 wurde von Gillette das äußerst erfolgreiche 3-Klingen-System Mach3 in Deutschland eingeführt und später im Sinne einer leistungsverbessernden Variation651 durch das Produkt Mach3 Turbo ersetzt. Der Nassrasurmarkt ist aktuell durch drei Entwicklungen geprägt: • Innovationsdruck des wichtigsten Marken-Wettbewerbers: Im Herbst 2003 hat der größte Marken-Wettbewerber Wilkinson ein 4-Klingen-System in Konkurrenz zu Gillettes aktuellem 3-Klingen-System Mach3Turbo eingeführt. • Substitutionsgefahr durch Handelsmarken: Die Eigenmarken des Handels stellen für viele Konsumenten eine Alternative zu den bewährten Marktprodukten dar. Ihr Marktanteil lag im September 2005 bei knapp 39 %. • Preissensibilität als Wachstumsbarriere. Die Bereitschaft der Kunden, hohe Abgabepreise für Rasierapparate und -klingen zu akzeptieren, stagniert deutlich und liegt mit dem Mach3 Turbo bei einem Abgabepreis von 8,62 Euro deutlich unter der „magischen 10 EuroSchwelle“. Die Konsequenz aus dieser Entwicklung ist: Günstige Handelsprodukte einerseits und ein innovatives Marken-Wettbewerbsprodukt andererseits führen zur Abwanderung bestehender Gillette-Kunden, was den Verlust von Marktanteilen zur Folge hat. Diese Entwicklung soll durch ein signifikantes Produkt-Upgrade – das letzte erfolgte vor acht Jahren – gestoppt werden. Gleichzeitig sollte die deutliche Leistungsverbesserung zur Durchsetzung eines höheren Abverkaufspreises genutzt werden bzw. mit ihr einhergehen. Das Ergebnis war die Einführung des Gillette Fusion als 5-Klingen-System in Verbindung mit einem Präzisionstrimmer für schwer erreichbare Stellen. Aus der Verbindung dieser Leistungskomponenten rührt der Produktname Fusion her. Der Verkaufspreis für das Produkt Fusion lag bei 11,99 Euro und somit deutlich sowohl über der 10-Euro-Schwelle als auch 39 % über dem Verkaufspreis des Vorgängermodells Mach3 Turbo (8,62 Euro). Angesichts dieses hohen Preises in Verbindung 650 651 SIEGLOCH, 2005 BÜSCHKEN/VON THADEN, 2007, S. 597 ff.; HUBER/KOPSCH, 2007, S. 617 ff. 214 mit einer starken Emotionalisierung des Alltagsproduktes Rasierklinge ist der Gillette Fusion aufgrund seiner Lifestyle-Qualitäten als High-Involvement-Produkt einzuordnen. Trotz der Einführung des Gillette Fusion wurde der Mach 3 als 3-Klingen-Modell weiterhin angeboten. Angesichts dieses konsequenten Substitutionsprozesses durch die Einführung eines ProduktUpgrades als leistungspflegende Maßnahme zum Erhalt der bestehenden Kundenbasis lässt sich Gillette marketingstrategisch als Potentialausschöpfer charakterisieren. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Procter & Gamble Deutschland GmbH Konsumgüter/Pflegeprodukte Gillette Fusion mittel-high-Involvement September 2006-Dezember 2007 Keine Angaben * Brutto-Werbevolumen Abbildung 46: Kampagnen-Steckbrief Gillette Quelle: Eigene Darstellung Werbestrategie: Im Fokus der Kampagne stand die Einführung des Gillette Fusion als Produkt-Upgrade (Leistungspflegende Variation) zum bisherigen Mach3 Turbo. Der Adressatenfokus lag dabei sowohl auf der Stammkundschaft, die durch den Wechsel auf das deutlich verbesserte Produkt nachhaltig loyalisiert werden sollte wie auch auf Neukunden, die bislang Verwender des leistungsschwächeren Produktes des Hauptwettbewerbers Wilkinson waren. Maßstab für die konkreten Kampagnenziele waren die Ergebnisse der vorangegangenen sehr erfolgreichen Mach3 Einführungskampagne. Dementsprechend wurden absatzpolitischen Ziele fixiert: • Abverkaufszahlen der ersten Wochen sollten den Mach3-Benchmark noch übertreffen; • Steigerung der Preisakzeptanz durch zusätzlichen Produktnutzen; • Marktanteile zurückerobern. Daraus leiteten sich folgenden kommunikativen Ziele ab: • Awareness: Bekanntheit von mindestens 60 %. Laura Posler, kampagnenverantwortliche Produktmanagerin für Gillette bei Procter & Gamble Deutschland erklärt zum Kampagnenziel: „Um die Marktführerschaft Gillettes zu sichern und die Voraussetzung für Preissteigerungsspielräume zu schaffen, musste der absolute Premiumanspruch der Marke in der Kommunikation deutlich werden.“ Zu diesem Zweck wurde „Innovationskraft“ als die Kernkompetenz von Gillette zum zentralen Thema der Kampagne. Nach Posler bestand die Relevanz dieses Kundenbenefits auf Basis der neuen 5- 215 Klingen-Technologie in seinem hohen Differenzierungscharakter sowohl gegenüber dem Marken- wie auch den Handelswettbewerbern. In Assoziation zum Produktnamen wurde kreativ das Thema Kernfusion visualisiert, wobei – in Anspielung auf die zwei Leistungskomponenten – ein hohes Maß an Energie freigesetzt wird. Sandra Vent, kampagnenverantwortliche Account Director bei der Werbeagentur BBDO: „Durch eine dynamisch-futuristische Bildwelt wollten wir das Thema Innovation in den Köpfen der Konsumenten in Verbindung mit Gillette verankern.“ In der Kampagnenumsetzung wurde zweistufig vorgegangen: In einer Pre-Launch-Phase ging es vor allem darum, Aufmerksamkeit zu generieren. Dafür kamen vor allem nicht-mediale Instrumente wie PR, Roadshows für den Handel und die Konsumenten zum Einsatz. In der zweiten Stufe der Launch- und After-Launch-Phase wurden dann die konkreten Eigenschaften und Benefits des Neuprodukts kommuniziert. Dabei kam vor allem TV als KampagnenLeitmedium zum Einsatz. Flankiert wurden die TV-Spots durch Print-Anzeigen in zielgruppenadäquaten Publikumszeitschriften. Diese wurden immer am Tag nach einer umfangreicheren TV-Spot-Präsenz geschaltet. Kampagnenerfolg: Im Zuge der Kampagne wurden folgende Ergebnisse erzielt: • Bekanntheit: Gillette Fusion erreichte bereits einen Monat nach Produkteinführung eine Bekanntheit von 65 %. • Der Rasierapparate-Absatz verdoppelte sich fast von 224.000 Stück (Mach3) auf 432.000 (Nachfolgemodell Fusion). Damit lagen die Umsatzwerte deutlich über denen des Wettbewerbers bei dessen letztem Produktlaunch. • Der Gesamtmarktanteil von Gillette am deutschen Rasierapparatemarkt stieg im Zuge der Einführung des neuen Produktes von 29 % um 92 % auf 56 %. Dagegen verloren alle übrigen Wettbewerber deutlich: Wilkinson um minus 35 %, die Eigenmarken des Handels um 43 % und die anderen Markenartikler um minus 31 %. Somit wurde der Abstand zum wichtigsten Marken-Wettbewerber Wilkinson (von 20 auf 50 %) deutlich ausgebaut. • Mit der Einführung Gillette Fusion ging der Absatz der übrigen Gillette-Rasierapparate deutlich zurück (bis zu minus 15 %), dieser Rückgang wurde jedoch durch den entsprechenden Marktanteilsgewinn von Fusion überkompensiert. • Während der Launch-Kampagne stieg der Umsatz im Rasierapparate-Markt um zeitweise 131 %, was auf eine hohe Probierquote insbesondere in der Gruppe der Nicht-Nassrasierer zurückzuführen ist. • Mit dem Neuprodukt Fusion konnte die „magische 10-Euro-Schwelle“ für einen Rasierapparat überschritten werden. Preissteigerungen von 39 bis 44 % für Apparat bzw. verschiedene Klingensets wurden von den Konsumenten akzeptiert. 216 Für die Bewertung der Erfolgszahlen sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Hohe Verfügbarkeit des Produktes im Handel bereits in der Launchphase (96 % gewichtete Distribution); • kein in den beworbenen Leistungsmerkmalen vergleichbares Produkt des Wettbewerbs. Darüber hinaus ist bei dieser Fallstudie die Dominanz absatzpolitischer Zielgrößen auffällig. Generell sind die Zielwerte sehr generalistisch formuliert652, so dass eine präzise Zielerfüllung nur bedingt gewährleistet ist. Fazit: Die Gillette Fusion-Kampagne von Procter & Gamble ist eine Einführungswerbung insofern als das unter einer neuen Marke als leistungspflegende Variation eines bestehenden Produktes (Mach 3) etabliert werden sollte. Mit der Einführungswerbung sollten sowohl Bestandskunden adressiert und somit ein Upselling-Prozess erfolgreich initiiert werden, als auch Neukunden als Verwender von Wettbewerbsprodukten gewonnen werden. Im kommunikativen Fokus stand die Bekanntmachung des neuen Produktes sowie der neuen Marke. Die kommunikative Positionierung und Werbebotschaft der bisherigen Kommunikation wurde in der Kampagne beibehalten bzw. akzentuiert. Media hatte eine hohe strategische Bedeutung im Kommunikations-Mix für das beworbene High-Involvement-Produkt. TV war deckungsgleich zur Vorgängerwerbung Leitmedium der Kampagne. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Verbesserte Bestandsleistung Zielgruppenfokus Überwiegend Bestandskunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Bekanntheit, Präferenz Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft emotional Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (80%) Leitmedium TV Abbildung 47: Ausprägungen der Gillette-Fusion-Kampagne als Loyalitätswerbung Quelle: Eigene Darstellung 652 STEFFENHAGEN/FUNKE, 1986, S. 549 ff. 217 6.1.14 Kampagnen-Fallstudie Bertolli, Unilever Marketingstrategie: Zu den internationalen Foodmarken des Konsumgüterproduzenten Unilever gehört u.a. die Marke Bertolli. Im historischen Ursprung war Bertolli ein italienisches Olivenöl, das weltweit exportiert wurde. So ist das Bertolli Olivenöl bis heute weltweit Marktführer unter den Markenprodukten dieses Segments. Unilever baute unter der Marke Bertolli zunächst eine Range von Olivenöl- und Margarine-Produkten auf. Diese wurden in Verbindung mit der Marke Bertolli erstmals im Jahr 2000 im deutschen Markt eingeführt und konnten innerhalb von zwei Jahren erfolgreich bei den deutschen Konsumenten etabliert werden. So erreichte das Olivenöl einen Marktanteil von durchschnittlich 10 %, im Segment der Brotaufstriche mit Olivenöl wurde Bertolli Marktführer. Bertolli wurde dabei als Marke positioniert, die „für mediterranes Lebensgefühl steht, die Liebe zu Italien und die Erfahrung und Begeisterung für gutes Essen in der Gemeinschaft.“653 Zu dieser Positionierung gehörte der Verzicht auf Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe bei der Herstellung der Bertolli-Produkte. Angesichts dieser starken Marktposition und eines gleichzeitig stagnierenden MargarineMarktes (vgl. Fallstudie Rama Cremefine) beschloss Unilever zur Realisierung zusätzlicher Wachstumspotentiale die Ausweitung der Marke auf folgende Produktgruppen: Pastasaucen (Launch im Juli 2002), Pesti (Launch 2003), Vinaigrettes und Aceti (Launch Mai 2003/2004) sowie Antipasti und La Brusschetteria (Launch im Juli 2005). Die Konsequenz daraus war, dass die Marke Bertolli von einer produktspezifischen zu einer produktübergreifenden italienischen Food-Marke wurde. Dabei sieht sich jedes Teilprodukt bzw. Teilsparte mit spezifischen Markt- und Wettbewerbs-Bedingungen konfrontiert, z. B. im Bereich der Pastasaucen, in denen Barilla und Buitoni seit 15 Jahren etablierte Marktführer sind und gleichzeitig lokale Massenmarken wie Miracoli und Raguletto den Preis-Wettbewerb bestimmen. Aufgrund von Budgetrestriktionen (das Medienbudget erhöhte sich 2004 lediglich um 4 % gegenüber dem Vorjahr) war es Unilever jedoch nicht möglich, jedes Teilprodukt- bzw. -sortiment im Rahmen einer eigenen Einführungskampagne zu penetrieren. Gleichzeitig mussten der Werbedruck im bestehenden Kerngeschäft, insbesondere der Margarine, die gegenüber dem Olivenöl immer noch den größten Anteil des Markenumsatzes ausmachte, aufrechterhalten werden. Dieser Ausbau der Leistungspotentiale der Marke Bertolli durch die Erweiterung des Sortiments um komplementäre Produkte in Verbindung mit der angestrebten Ausschöpfung bestehender Kundenpotentiale charakterisiert Unilever in diesem Fall als Potentialausschöpfer. Werbestrategie: Auf Grundlage der Marktstärke der Bestandsprodukte und angesichts deutlicher Budgetrestriktionen fiel die Entscheidung nach Aussage von Christina Müller, European Brand Development Manager für eine „Huckepack-Strategie“: Mit der Bewerbung der etablierten 653 UNILEVER, 2007 218 Stammprodukte sollten gleichzeitig die neuen Produkte und Sortimente bei den bestehenden Kunden und Zielgruppen im Sinne eines Cross-Selling gepusht werden. Christina Müller dazu: „Dieses Vorgehen erschien uns strategisch sinnvoll, da die neu einzuführenden Produkte alle klassisch italienische Produkte waren und wir davon ausgingen, dass ein bestehender Kunde, der bereits die Qualität des Bertolli-Olivenöls zu schätzen weiß, in hohem Maß positiv prädisponiert für weitere typische Bertolli-Produkte ist.“ Flankierend sollten auch neue – insbesondere jüngere Bertolli-Kunden – gewonnen werden. Dementsprechend standen im Fokus der Kampagne neben den Produktklassikern Olivenöl und Margarine die Neuprodukte Pastasaucen, Vinaigrette sowie La Bruschetteria (Kombination aus Mozzarella, Tomaten und Olivenöl). Angesichts des Marktvolumens waren dabei die Pastasaucen ein wichtiger potentieller Wachstumsträger. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Unilever Deutschland Holding GmbH Konsumgüter/Food Bertolli Teilsortimente Low-Involvement Oktober 2004-Oktober 2005 Keine Angaben * Brutto-Werbevolumen Abbildung 48: Kampagnen-Steckbrief Bertolli Quelle: Eigene Darstellung Dementsprechend lagen der Werbekampagne folgende absatzpolitische Ziele zugrunde: • Jährliche Steigerung des Umsatzes aller Produkte unter der Marke Bertolli um 10 %; • Beibehaltung des Marktanteils von Margarine und Olivenöl; • Anstieg des Umsatzes von Pastasaucen um 20 %. Aus diesen absatzpolitischen Zielen leiteten sich folgende kommunikativen Ziele ab: • Imageprofilierung von Bertolli als authentische italienische Food-Marke; • Erhöhung des Bekanntheitsgrades des gesamten Portfolios, insbesondere der Pastasaucen. Bertollis bestehende Kernzielgruppe für die etablierten Startprodukte Margarine und Olivenöl sind laut Müller Erwachsene über 40 Jahren – bei den meisten sind die Kinder bereits erwachsen und ausgezogen – mit Fokus auf den weiblichen haushaltsführenden Teil. Diese Kernzielgruppe bildet die bisherige Erfolgsgrundlage der Marke Bertolli, und laut Müller bestand das Ziel darin, diese Bestandskunden im Sinne eines Cross-Sellings zum Kauf der Produkte zu Bertolli-Gesamtportfolios zu motivieren. Zusätzlich zu den bestehenden Käufergruppen sollten neue – insbesondere jüngere – gewonnen werden. Dies liegt laut Müller in den Ergebnissen der internen Marktforschung begründet. Sowohl die ältere Zielgruppe, die das Leben bis ins hohe Alter genießen will, als auch die jüngere Zielgruppe habe das Bestreben, den „italienischen Traum“ zu leben und somit Arbeit und Leben miteinander in Einklang zu bringen, wobei gutes Essen erfülltes Leben bedeute. 219 Daraus leitete sich für die kreative Umsetzung die Anforderung ab, die neuen BertolliProdukte (insbesondere die Pastasaucen) in der – den Bestandskunden bereits vertrauten Markenwelt – zu präsentieren. Müller: „Dementsprechend haben wir in den TV-Spots und Printmotiven an das Sujet des vergnüglichen italienischen Familienlebens in ländlicher Idylle aus der Einführungskampagne angeknüpft.“ Für jede Produktgruppe bestand eine spezifische Botschaft (siehe Tabelle), die in ihrer Gesamtheit durch eine gemeinsame Idee zusammengehalten werden sollten. Produktgruppe Pastasauce Botschaft Mit Hingabe und Leidenschaft authentisch in Italien zubereitet Vinaigrette Flasche schütteln, um die beiden Phasen zu vermischen: Einfach schütteln und fertig. La Bruschette- Italienisch genießen ria ohne zu kochen Kampagnen-Motiv „Grannies“ Schaltung Feb. 04 bis Apr. 04 „Postman“ Mai 04 bis Aug. 04 „Book“ Aug. 05 bis Okt. 05 Abbildung 49: Produktspezifische Kampagnen-Segmentierung Quelle: JUNG/VON VIEREGGE 2006, S. 38 Während in der Einführungskampagne noch die Idee eines langen vergnüglichen Lebens unter italienischer Sonne die Leitidee war, wurde diese für die neue Kampagne erweitert um die alterunabhängige Idylle vom „italienischen Traum“. Diese Müller: „Die Kampagne zeigt dementsprechend eine freundliche Welt, in der die Menschen mit Humor leben, Kinder in ländlicher Umgebung spielen, alle Generationen vereint sind und die Sonne immer scheint. Kurzum eine Welt, in der die Familien stets gemeinsam essen und die Mutter kocht – mit frischen Zutaten aus dem Garten. Diese Welt erscheint durchgehend in allen Bertolli-TV-Spots und PrintMotiven.“ Die kreative Grundidee (italienischer Traum) bedingt bereits Bewegtbild als Werbemittel. TV wurde dementsprechend als Leitmedium der Kampagne gewählt (90 % Budgetanteil), um für die neuen Low-Involvement-Produkte zu schneller Reichweite und Awareness zu kommen. Flankierend wurden Print (10 Budgetanteil eingesetzt). Angesichts der besonderen Relevanz des Produktes Pastasaucen wurde der entsprechende TV-Spot in beiden Kampagnenjahren intensiv geschaltet. Kampagnenerfolg: Die angestrebten Ziele wurden im Zuge der Kampagne erreicht: • Der Umsatz der Bertolli-Markengruppe stieg in 2005 gegenüber dem Vorjahr um 16,5 %, damit wurde der Zielwert von 10 % deutlich überschritten; 220 • Wachstumsmotor waren neben dem nicht beworbenen Kernprodukt Olivenöl (+43 %) vor allem die neuen, beworbenen Produktgruppen Pastasauce (+28 %), Antipasti (+6 %), La Bruschetteria (+18 %); • der Umsatz mit Pastasaucen wuchs um 40 % in 2004 und 30 % in 2005 und erhöhte damit den Marktanteil um 50 % von 3 % auf 4,5 %; • diese Umsatzsteigerung war überproportional zum Share of Voice, der lediglich um 4 % stieg; • Marktanteil und Umsatz von Margarine blieben konstant, der Marktanteil für Olivenöl stieg um 2 %; • die spontane, ungestützte Bekanntheit der Gesamtmarke wurde verdoppelt, von 10 % Anfang 2004 auf 22 % Ende 2005; • der Bekanntheitsgrad für Pastasaucen stieg von 28 % auf 51 %, während der Bekanntheitsgrad der Kernprodukte konstant blieb; • die Markenwahrnehmung verlagert sich von einer Gesundheitsmarke (gesundes Öl im Alter) hin zu einer authentischen italienischen Foodmarke: Nach dem Millward BrownTracking (Messung von 11 Image-Items) fielen gesundheitsorientierte Aussagen wie zu Beispiel „Für vitale und aktive Leute“ von Platz 9 auf 17, beim Item „Ideal für eine gesunde Ernährung von Platz 7 auf Platz 12. Diese Aussagen wurden ersetzt durch Aussagen, die Bertolli als authentisch italienische Foodmarke darstellen: Bei dem Grad der Zustimmung zur Aussage „Ist Experte in der Zubereitung italienischer Gerichte“ gelang Bertolli im Wettbewerbsvergleich unter die ersten 5, bei der Aussage „Verbreitet mediterrane Atmosphäre“ stieg Bertolli auf Platz 1 der Zustimmung und bei der Aussage „Hat Familienwerte“ stieg Bertolli von Platz 13 auf 10. Die Marke wird als zunehmend bekannt angesehen: Das Item „Wird immer bekannter“ steigt um 4 Plätze von 10 auf 6. Das Kernimage der Marke bleibt beständig – so bleibt das Item „Verbreitet italienischen Gusto des Lebens“ durchgehend hoch. Bis September 2004 sank der Umsatz mit dem Margarine-Umsatz kontinuierlich (-10 % zum Jahresanfang) und erhielt erst durch die Werbekampagne wieder deutliche Wachstumsimpulse (+12 %); • während der Werbeschaltung für die Pastasaucen („Grannies“) erhöhte sich der monatliche Pastasaucen-Umsatz um 40 Tonnen; • der Absatz von „La Bruschetteria“ stieg während der Kampagne um 127 % auf über 10 Tonnen. Bei diesem enormen Wachstum ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Range bestehend aus zwei Produkten erst einen Monat vor Kampagnenstart eingeführt wurde; • der monatliche Vinaigrette-Umsatz stieg während der Postman-Werbung um 100 %. Ein Vergleich mit den Absatzwerten des werbefreien Folgejahres zeigt einen deutlichen Unterschied im Absatzerfolg; • während der Kampagne zu den Pastasaucen steigt die Zustimmung bei den Imageaussagen zum Markenimage von Bertolli wie „Ist eine echte italienische Marke“ und „Ist eine Mar- 221 ke für Food-Liebhaber wesentlich steiler nach oben als während der Zeiträume ohne Werbung; • die Kaufbereitschaft für Pastasaucen nahm während des Werbezeitraums zu, woraus sich ableiten lässt, dass die Kampagne einen echten Kaufanstoß für das Produkt gegeben hat und nicht nur den Aufbau der Marke förderte. Während der Kampagne gab es keine gravierenden Veränderungen im Marketing-Mix, d.h. die Preise blieben konstant, die Vertriebsreichweite wurde nicht durch neue Listungen (z. B. bei Discountern gravierend verändert). Fazit: Die Bertolli-Kampagne weist in den Kerndimensionen Züge einer Cross-Selling-Werbung mit deutlichen Cross-Selling-Aspekten auf: Als Line-Extension der bereits bestehenden italienischen Lebensmittelprodukte werden unter der Dachmarke Bertolli wurden Produkte eingeführt, die sich auch an die Bestandskunden richtet. Auffällig ist, dass in der Wahrnehmung der Kampagnenverantwortlichen die Unterscheidung zwischen Bestands- und Neukunden keine Relevanz hat und deshalb auch in der Erfolgsmessung zur Kampagne nicht zwischen beiden Gruppen differenziert wurde. Zentrales Kommunikationsziel war die Awareness für die neuen Low-Involvement-Produkte als Voraussetzung für einen kurzfristigen Absatzerfolg. Kommunikativen Positionierung und zentrale Werbebotschaft waren mit der bisherigen Kommunikation konform. Media hatte eine hohe strategische Bedeutung im Kommunikations-Mix für das LowInvolvement-Produkt. TV war übereinstimmend zur Vorgängerwerbung Leitmedium der Kampagne. Der Grund dafür dürfte in der spezifischen Distributionsstruktur liegen: Der Produzent Unilever verfügt für diesen Massenmarkt über keine ausreichenden und relevanten Endkundendaten, kann also auch seine Bestandskunden nur massenmedial erreichen. Im Hinblick auf die Modell-Relevanz der Kontinuität bei Werbebotschaft und Positionierung fällt eine deutliche Parallele zur Eucerin- sowie Dove pro•age-Kampagne als Beispiele für Einführungswerbung auf. In beiden Fällen handelte es sich ebenfalls um Neuprodukte als Ergebnis einer Line-Extension unter Verwendung des bestehenden Markendachs. Im Hinblick auf die dokumentierte planerische Irrelevanz des Segments Bestandskunden analog der Bertolli-Kampagne erscheint die Eigenständigkeit eines möglichen Archetyps CrossSelling-Werbung prüfenswert. 222 Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukte (als Ergebnis einer Line-Extension) Zielgruppenfokus Bestands- und Neukunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Bekanntheit Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft emotional Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (90%) Leitmedium TV Abbildung 50: Ausprägungen der Bertolli-Kampagne als Cross-Selling-Werbung Quelle: Eigene Darstellung 6.1.15 Kampagnen-Fallstudie Allfinanz, Dt. Sparkassen- und Giroverband Marketingstrategie: Die Sparkassen-Finanzgruppe (nachfolgend die Sparkasse) ist mit 650 Unternehmen (457 Sparkassen, 11 Landesbanken, 11 Landesbausparkassen, 12 öffentlichen regionalen Erstversicherergruppen, der DekaBank sowie zahlreichen Kapitalbeteiligungsgesellschaften und Spezialkreditinstituten) und einem kumulierten Geschäftsvolumen von rund 3.300 Milliarden Euro die größte Kreditinstitutgruppe weltweit. Mit einem Filialnetz von über 16.000 mitarbeiterbesetzten Sparkassenstellen verfügt die Sparkassen-Finanzgruppe über eine flächendeckende Präsenz. Angesichts dieser organisatorischen Reichweite ist rund jeder zweite Bundesbürger Kunde (45 Mio.) der Sparkassen-Finanzgruppe. Als Dachverband der SparkassenFinanzgruppe organisiert der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) die Willensbildung innerhalb der Gruppe und legt die strategische Ausrichtung fest. Zu den Aufgaben des DSGV gehört auch die übergreifende Werbekommunikation unter der Dachmarke „Sparkassen-Finanzgruppe“. Das Werbevolumen des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes betrug 2005 insgesamt 126,8 Mio. Euro, 8,3 % weniger als im Vorjahr.654 Als traditionsreiche Finanzinstitution ist die Sparkasse in den vergangenen Jahren mit folgenden Entwicklungen konfrontiert:655 • Die Loyalität der Kunden sinkt dramatisch. Es entwickelt sich eine hohe Bereitschaft, Finanzdienstleistungen verschiedener Anbieter in Anspruch zu nehmen und dabei vor allem auf kurzfristig attraktive Zins-Konditionen zu achten (Boom des Finanzproduktes Tagesgeldkonto seit 2000). • Auf den bislang geschlossenen Markt deutscher Banken und Finanz-Dienstleister drängen verstärkt europäische Anbieter (u.a. ING-DiBa, Bank Santander, Royal Bank of Scotland) mit preisagressiven Einsteiger-Angeboten auf den Markt, und vermarkten diese in der gleichen Weise, in der Markenartikler ihre Produkte vermarkten. 654 655 ZAW, 2007, S. 144 McKINSEY, 2007 223 Die drohende Kundenabwanderung ist für die Sparkasse in doppelter Hinsicht bedrohlich, denn neben dem unmittelbaren Umsatz- und Ertragsverlust verliert sie auch die Beziehungsgrundlage für ein Cross- und Upselling.656 Denn das größte Problem der Sparkasse ist, dass sie von ihren Kunden traditionell für die alltäglichen Geldgeschäfte auf Basis eines Girokontos oder Sparbuchs genutzt wird, während für größere oder komplexere Finanzierungs- und Vermögensfragen häufig Großbanken und Spezialisten wie Baufinanzierer, Fonds- oder Versicherungsgesellschaften präferiert werden. „Unsere Marktforschung zeigte, dass unsere Kompetenz für‚großes Geld’ eher schwächer eingeschätzt wird“, so Dr. Lothar Weissenberger, Leitung Werbung beim DSGV. Pointierter formuliert es Michael von Bach, kampagnenverantwortlicher Planner auf Agenturseite: „Die Kunden sahen in der Sparkasse eher den sympathischen Allgemeinmediziner Dr. Brockmann aus der Praxis Bülowbogen als den Herzspezialisten Christiaan Barnard.“ Grundsätzlich besteht dabei im Bereich der Finanzkommunikation die Herausforderung, dass es selten einfache und zugleich standardisierte Produkte sind, die vertrieben werden, sondern individuelle, auf Beratung basierende Finanz-Dienstleistungen. „Diese grundsätzliche Herausforderung der Finanzkommunikation wird im Fall der Sparkasse noch verschärft, weil wir aufgrund unserer spezifischen föderalen Struktur nicht in der Lage sind, gruppenübergreifend bestimmte Finanzprodukte wie z. B. ein Tagesgeldkonto mit bundesweit einheitlichen Konditionen anzubieten“, so Weissenberger. Deshalb bestünde der Schwerpunkt der Sparkassen-Werbekommunikation darin, Themen- und Kompetenzfelder zu adressieren. Angesichts der verschärften Situation im deutschen Privatkundengeschäft agiert der Deutsche Sparkassen- und Giroverband marketingstrategisch als Potentialausschöpfer: Durch eine vor allem kommunikative Markenpflege des bestehenden Leistungsangebots soll die Kundenbindung auf Grundlage eines Cross- bzw. Upselling intensiviert werden. Werbestrategie: Im Fokus der „Allfinanz“-Kampagne stand dementsprechend die Kommunikation der Allfinanz-Kompetenz der Sparkassen-Finanzgruppe. „Die Kernbotschaft der Kampagne lautete dementsprechend: ‚Die Sparkasse verfügt über mehr Kompetenzen, als man denkt.’“, so Michael von Bach, Kampagnenverantwortlicher Planner bei der Agentur Jung von Matt. „Die Kampagne sollte plakativ vermitteln, dass der Sparkassen-Verbund von Deka Investmentfonds bis zur LBS-Bausparkasse über ein breites Portfolio an Finanz-Dienstleistungen verfügt, die für den Kunden in jeder Sparkassen-Filiale erhältlich ist“, ergänzt Weissenberger. Um volumenstärkere und damit deckungsbeitragsstärkere Finanzgeschäfte für die Sparkasse zu erschliessen und gleichzeitig stärkere Synergien zwischen den Partnern des Finanzverbundes zu generieren, sei es notwendig gewesen, kommunikativ die Brücke zwischen dem fernen 656 Vgl. RITTER, 1988 224 „Big Business“ der internationalen Finanzwelt und der vertrauten Sparkassen-Filiale vor Ort zu steigern. Weissenberger: „Die bestehende Positionierung ‚geografische Allgegenwärtigkeit’ der Sparkasse sollte um die Dimensionen ‚Internationalität’ (im Sinne von Weltläufigkeit), ‚Professionalität’ und ‚universelle Finanz-Kompetenz’ erweitert werden.“ Die Kommunikationsaufgabe bestand also darin, die Größe und Kompetenz der Sparkasse eindrucksvoll zu vermitteln und damit die Nachfrage nach volumenstärkeren und komplexeren Finanzprodukten nachhaltig zu steigern. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV) Finanzen/Banken Finanzdienstleistungen Mittleres Involvement Januar 2005 bis Mai 2005; Mai bis August 2006; Mai bis August 2007 bundesweit ca. 7-8 Mio. pro Jahr * Brutto-Werbevolumen Abbildung 51: Kampagnen-Steckbrief Sparkasse Quelle: Eigene Darstellung Dementsprechend sollten mit der „Allfinanz“-Kampagne insbesondere die einkommensstärkeren und vermögenden Privatkunden zwischen 30 und 60 Jahren unter den insgesamt 45 Millionen Bestandskunden adressiert werden. „Unsere Kundenanalysen zeigten bei den Bestandskunden ein gigantisches Cross-Selling-Potential, dass wir ausschöpfen wollten“, so Weissenberger. Flankierend sei es auch um eine generelle Loyalisierung der Bestandskunden gegangen. „Ihnen wollten wir das gute Gefühl geben, mit der Sparkasse bei der richtigen Finanzadresse zu sein“, so Weissenberger. Eine positive Differenzierung im Hinblick auf das Thema Finanzkompetenz sollte vor allem gegenüber den Volks- und Raiffeisenbanken sowie den traditionellen Großbanken erreicht werden, dagegen standen „Preis-Fighter“ wie INGDiBa und Postbank nicht im Wettbewerbsfokus der Kommunikation. Daraus leiteten sich folgende Kampagnen-Ziele ab: • Awareness-Lead: Es soll maximale Kampagnen-Erinnerung gegenüber den wichtigsten Wettbewerbern auf Basis der ungestützten Bekanntheit (spontane Erinnerung) erreicht werden. • Imageprofilierung: Die zentrale Botschaft „Die Sparkasse ist der kompetente Allfinanzdienstleister“ soll verankert werden und eine signifikante Steigerung der entsprechenden Imagedimensionen um mindestens +10 % dokumentiert werden. • Nachfrage-Generierung: Die potentielle Abschlussbereitschaft in definierten Geschäftsfeldern soll um +20 % im Vergleich zum besten Wettbewerber gesteigert werden. 225 Für die kreative Umsetzung sollte die informativ-sachliche Botschaft „Gut, wenn sich Kompetenzen ergänzen“ laut von Bach „mit emotionaler Größe und Modernität transportiert werden“. Kernelement dafür war der Sparkassen-Mitarbeiter im Helikopter. Im TV-Spot unternimmt er mit einem exemplarischen Kunden einen Rundflug durch die Sparkassen-Welt und zeigt ihm aus dem Helikopter voller Stolz und Begeisterung die gesamte Bandbreite der Partner im Sparkassen-Verbund. Der Rundflug endet dort, wo für den Kunden alle präsentierten Kompetenzen abrufbar sind – in einer der 16000 Sparkassen-Filialen. Das Key-Visual Helikopter-Flug und das Volumen der Zielgruppe bedingten den Einsatz von TV als Leitmedium der Allfinanz-Kampagne im Media-Mix. Dementsprechend wurden bundesweit ca. 80 % des Budgets in TV investiert. Flankierend wurde Print eingesetzt. Belowthe-line-Maßnahmen wie Direkt-Marketing und PoS-Maßnahmen in den Filialen vor Ort hatten nach Aussage von Weissenberger im Hinblick auf Cross-Selling und Loyalisierung eine große Bedeutung in der Kampagne, sind aber aufgrund der föderalen Struktur des SparkassenVerbundes budgetär nur grob schätzbar. Kampagnenerfolg: • Awareness-Lead: Die Allfinanz-Kampagne war im Kampagnen-Zeitraum Januar bis Mai 2005 die mit Abstand durchsetzungsstärkste Kampagne im Finanzdienstleistungsmarkt: So stieg der Wert der spontanen Werbeerinnerung von 28 % in der Gesamtbevölkerung um 45 % auf 35 % im Monat Mai. Die Wettbewerber Dresdner Bank, Volksbanken/Raiffeisenbanken und Deutsche Bank lagen mit Ausgangswerten von weniger als 15 % deutlich darunter. Nur der Deutschen Bank gelang im gleichen Zeitraum eine deutliche Steigerung um 17 %. Damit war nach der ICON-Kampagnen-Datenbank die Kampagne die durchsetzungsstärkste Finanzdienstleistungs-Kampagne der letzten sieben Jahre. • Image-Generierung: Bei den Spot-Kennern stieg die Bewertung der Sparkasse in allen relevanten Image-Dimensionen um 14 bis 28 %. Besonders deutlich stieg die Zustimmung zur Aussage „Man erhält alle Finanzdienstleistungen aus einer Hand“. • Nachfrage-Generierung: Die Abschlussbereitschaft („Welche Geldinstitute kämen für folgende Geschäftsfelder für Sie in Frage?“) konnten in den verschiedenen strategischen Geschäftsfeldern gegenüber den relevanten Wettbewerbern um +33 % (Baufinanzierung) bis zu +71 % (Sparvertrag) gesteigert werden. Damit lag diese Steigerung deutlich über dem Zielwert von +20 %. • Bei der Selektion dieses Abschluss-Goodwill nach Personen, die sich an die HelikopterKampagne erinnerten, zeigt sich die Wirkung der Kampagne: Die Abschlussbereitschaft liegt um bis zu 25 % höher als bei den Nichtkennern. Dabei ergibt sich aus der Kampagne insbesondere in den strategischen Geschäftsfeldern eine marktüberdurchschnittliche Performance. 226 Der besondere Erfolg der Kampagne besteht laut von Bach darin, „dass das traditionelle Image der Sparkasse deutlich zügiger als von uns erwartet in Richtung Modernität und Allfinanzkompetenz geshiftet werde konnte und sich die implizierten Absatzeffekte dementsprechend signifikanter abgezeichnet haben.“ Weissenberger verweist für den Konvertierungserfolg auf die notwendige Ganzheitlichkeit des Ansatzes: „Zeitgleich bzw. im Vorfeld der Kampagne sind in der Vertriebsorganisation der Sparkassen weitere intensive Anstrengungen unternommen worden, um die durch den Auftritt positiv gestimmten Kunden in eine adäquate Beratungssituation zu transferieren.“ Die markenstrategische Positionierung der Sparkasse als flächendeckender Qualitätsanbieter müsse dabei in jedem Kundenkontakt erlebbar gemacht werden. Das erfolgreiche Key-Visual des Helikopters wurde nachfolgend als Intro- und Extrosequenz für themenspezifische Werbemotive (z. B. Altersvorsorge) verwandt. Bei der Bewertung des Kampagnenerfolges ist zu berücksichtigen, dass der Deutsche Sparkassen- und Giroverband im Kampagnenjahr 2005 sowie in den Jahren vorher der Finanzdienstleister mit dem mit Abstand größten Media-Werbevolumen war. Allerdings ist dabei auf Grund der föderalen Struktur der Sparkassen-Finanzgruppe ein Bruchteil in die beschriebene Allfinanz-Kampagne geflossen. „Wir müssen in der Gruppe daran arbeiten, unsere Gesamtausgaben noch mehr auf bestimmte Kampagnen zu konzentrieren“, fordert Weissenberger. Unter den 50 größten werbetreibenden Firmen befanden sich nur noch die Volks- und Raiffeisenbanken mit 65,7 Mio. Euro. Die übrigen Wettbewerber lagen mit ihren Budgets entsprechend niedriger. Erst 2006 schlug sich das verstärkte Engagement der Großbanken sowie von Postbank und ING-DiBa in einer entsprechenden Ausweitung der Media-Werbebudgets nieder.657 Fazit: Der Allfinanz-Kampagne der Sparkasse lag nach ihrer strategischen Zielsetzung (Neue Produkte für Bestandskunden) teilweise eine Cross-Selling-Werbestrategie zugrunde. Gleichzeitig sollten jedoch mit dem Verweis auf das breite Leistungsportfolio der Finanzgruppe die ca. 45 Millionen Bestandskunden im Sinne einer Retention loyalisiert werden. Bei der Kampagnenplanung und -erfolgskontrolle wurde nicht explizit zwischen Neu- und Bestandskunde unterschieden. Die Kampagne ist außerdem im Bezug auf die Branche (Finanz-Dienstleistung) und das werbetreibende Unternehmen (Sparkasse) speziell: Zum einen sind generell nur wenige Finanzdienstleistungen als konfektionierte Standardprodukte vermarktbar (z. B. Tagesgeld-Konto). 657 ZAW, 2007, S. 136 f. 227 Zum anderen ist gerade die Sparkasse aufgrund ihrer föderalen Struktur nicht in der Lage, diese wenigen möglichen Standardprodukte organisationsübergreifend anzubieten. Zentrales Kommunikationsziel war die Awareness für weitere Produkte der SparkassenFinanzgruppe, gefolgt von dem Bestreben eines deutlichen Imageshifts in der GesamtWahrnehmung der Sparkasse. Kommunikative Positionierung und Werbebotschaft wurden gegenüber der bisherigen Kommunikation beibehalten. Mediawerbung hatte im Kommunikations-Mix gegenüber anderen Instrumenten wie insbesondere Direkt-Marketing und Verkaufsförderungsmaßnahmen in den einzelnen Filialen vor Ort eine geringere Bedeutung. TV war übereinstimmend zur Vorgängerwerbung Leitmedium der Kampagne. Auffällig an der Sparkassen-Kampagne ist eine in mehrfacher Hinsicht deutliche Analogie zur T-Com-Kampagne. Beide Kampagnen Ausgangssituation folgendes gemeinsam: haben im Hinblick auf die Marketing- • Historisch bedingt großer Bestandskundenstamm (45 bis 50 Millionen Kunden); • intensive, sich kontinuierlich verschärfende Wettbewerbssituation; • Imageprofil mit deutlichen Defiziten; • in der Konsequenz hohe Relevanz von Loyalisierungs-Maßnahmen. Im Hinblick auf die dokumentierte planerische Irrelevanz des Segments Bestandskunden analog der Bertolli-Kampagne erscheint die Eigenständigkeit eines möglichen Archetyps CrossSelling-Werbung prüfenswert. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukte (als Ergebnis einer Line-Extension) Zielgruppenfokus Bestands- und Neukunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Bekanntheit Positionierung Kombination aus Emotion und Information Werbebotschaft emotional Stellenwert Mediawerbung sehr hoch (90%) Leitmedium TV Abbildung 52: Ausprägungen der Sparkassen-Kampagne als Cross-Selling-Werbung Quelle: Eigene Darstellung 228 6.1.16 Kampagnen-Fallstudie Mehrprodukte-Vermarktung, ING-DiBa Marketingstrategie Die heutige Direktbank ING-DiBa (Claim: „Die neue Generation Bank“) entstand 2003 aus der Übernahme der deutschen Direktanlagen-Bank durch die niederländische Bank ING. ING-DiBa ist mit über sechs Millionen Kunden aktuell das siebgrößte Finanzinstitut insgesamt und die drittgrößte Privatbank in Deutschland. Die dynamische Wachstumsgeschichte des Unternehmens begann mit der aggressiven Vermarktung des Extra-Kontos als TagesgeldKonto mit attraktiven Zinskonditionen als zentralem USP im Jahr 2000. Die DiBa war damals das erste Unternehmen, das eine Finanz-Dienstleistung in der Art eines Konsumartikels standardisierte und – ähnlich einem Waschmittel- ebenso konsequent vermarktete. Ergebnis: Innerhalb von sechs Jahren erhöhte sich durch das „Hero-Produkt“ Extra-Konto die Privatkundenzahl der Bank von 1 Million auf über 5 Million. Dementsprechend sind Extra-Konto und die Absendermarke ING-DiBa in der Verbraucherwahrnehmung bis heute weitestgehend synonym. Im Herbst 2007 wurde das bereits bestehende Girokonto-Angebot der ING-DiBa standardisiert, modifiziert und damit für ein Massenpublikum vermarktbar gemacht. Zentraler neuer USP dieses Finanzproduktes: Neben der mittlerweile obligatorischen Null-EuroKontoführungsgebühr sind weltweit Geldabhebungen am Automaten möglich, ohne dass zusätzliche Gebühren anfallen. Eine 50 Euro-Gutschrift zum Kontostart soll den Transferaufwand von einem bestehenden Konto (Ummeldung Daueraufträge) kompensieren. Strategische Relevanz hat das Giro-Konto, weil es im Gegensatz zum Tagesgeld-Konto nahezu täglich genutzt wird und damit die Wechselbarrieren bzw. der Loyalitätsgrad signifikant höher ist. Damit verfolgt die ING-DiBa im Marketing nach Aussage von Waltraud Niemann, Ressortleiterin Werbung bei der ING-DiBa, heute folgende Doppelstrategie: • Mit den beiden niedrigschwelligen Massenprodukten Tagesgeld- und Girokonto wird die Gewinnung von Neukunden weiter vorangetrieben und als Standalone-Vermarktung organisiert; • auf Basis der bereits gewonnenen sechs Millionen Privatkunden (überwiegend ExtraKonto-Kunden) werden Mehrproduktvermarktungs-Maßnahmen mit dem Ziel des Crossbzw. Upselling organisiert. „Loyalitäts-Marketing ist dagegen für uns – im Gegensatz zu den traditionellen Finanzinstituten – schwierig. Denn wir haben unsere Extra-Konto-Kunden mit dem zentralen Benefit eines marktüberdurchschnittlichen Zinssatzes gewonnen. Wenn nun andere Institute kurzfristig bessere Konditionen bieten, verlieren wir einige dieser Smart Shopper genauso schnell wie sie zu uns gekommen sind“, so Niemann. Somit agiert die ING-DiBa marketingstrategisch in einer Doppelrolle: Als Multiplizierer setzt sie die Adressierung von Neukunden auf Basis optimierter Bestandsleistungen (z. B. Giro- 229 Konto mit neuen Vorteilen) fort, während sie sich mit der Mehrproduktevermarktung eindeutig als Potentialausschöpfer profiliert. Werbestrategie: Mit der Bewerbung des Extra-Kontos wurde von der ING-DiBa die Sportkampagne initiiert, die seitdem im Hinblick auf das Spektrum der beworbenen Produkte zwar evolutionär erweitert wurde, im konzeptionellen und kreativen Kern jedoch identisch geblieben ist. „So gesehen ist die ING-DiBa mit der Kampagne seit sieben Jahren on-air“, erklärt Katharina Wiehrdt, kampagnenverantwortliche Beraterin bei der betreuenden Agentur Wünsche Rohwer Baier. Das Themenfeld Sport wurde damals gewählt, weil es in der Finanzwelt unbesetzt war und „die Leistungsbereitschaft und -stärke von Spitzensportlern passend zur Kernkompetenz der ING-DiBa ist“, so Niemann.658 Dementsprechend setzt die ING-DiBa neben einer prägnanten visuellen Klammer (blau und orange als dominierende Key-Colours) und dem signifikanten Jingle „DiBa, DiBa du“ seit 2000 Motive aus der Sportwelt in Verbindung mit dem Claim „einfach, schnell und günstig“ ein. 2003 wurde diese Symbolwelt dann personalisiert, indem der Top-Basketballer Dirk Nowitzki als Testimonial verpflichtet wurde. Seitdem ist Nowitzki fester Bestandteil aller Werbemaßnahmen der ING-DiBa, was sowohl die massenmedial orientierte Produkt-Einzelwerbung für das Extra- und das Giro-Konto betrifft wie auch für alle Below-the-Line-Maßnahmen. Mit der Mehrproduktvermarktung wurde 2002 begonnen. Grundlage waren zunächst die drei Finanzprodukte Baufinanzierung, Extra-Tagesgeld-Konto sowie das Aktien-Depot-Konto. Diese Form des Loyalitätsmarketing gewinnt angesichts verlangsamter Erstkundenzuwächse für die Umsatz- und insbesondere Deckungsbeitragssituation der Bank massiv an Bedeutung. Nach dem Kommunikations- und Vertriebserfolg der Top-Produkte-Kampagne auf Basis von zuletzt vier Produkten wurde das Portfolio im aktuellen Top-Produkte Kampagnen-Zyklus, der im Oktober 2007 gestartet wurde, auf sechs erweitert. Beworben wurden neben den Massenprodukten Extra-Konto und Girokonto, Festgeld, Direkt-Depot, Privatkredit und DirektBaufinanzierung. Niemann zu diesem erweiterten Kommunikationskonzept: „Wie tragen damit unser Cross- bzw. Upselling-Strategie Rechnung. Ziel war es, aufzuzeigen, wie breit unser Portfolio ist.“ Gleichzeitig sei diese Kampagnenmaßnahme aber auch der Versuch, Effizienzpotentiale auszuschöpfen, indem statt vier gleich sechs Produkte penetriert werden. Im Fokus der Kampagnenmaßnahme standen vor allem die bereits bestehenden Kunden. Niemann: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mehrheitlich die Kunden über unsere beiden Einstiegsprodukte an die übrigen Produkte heranführen.“ Dementsprechend wurden als zentrale Ziele der Kampagne fixiert: 658 Vgl. dazu die Überlegungen von ADJOURI und STSTNY (2006, S. 17) zum Sport-Sponsoring. 230 • Leistungs-Awareness: Bei der Zielgruppe sollte eine um 15 % höhere Wahrnehmung des Allfinanz-Angebots der ING-DiBa erreicht werden. • Kontakt-Generierung: Es sollten mindestens 100.000 Interessenten generiert werden in Verbindung mit einem im Vergleich zur Vorgänger-Kampagne 5 % niedrigeren Cost-perInterest-Wert (CpI). • Abschlussbereitschaft: Die Bereitschaft, eine der beworbenen Finanz-Produkte zu erwerben sollte um 10 % steigen. • Kundenakquisition: Es sollten mindestens 10.000 Neukunden auf Basis eines Cost-perOrder-Wertes (CpO) gewonnen werden, der um 5 % niedriger liegt als der der VorgängerKampagne. • Deckungsbeitrags-Optimierung: Erreicht werden sollte ein insgesamt und auf die Einzelprodukte bezogen niedrigerer Cost-per-Value-Wert (CpV). Dagegen waren allgemeine Awareness- und Imagewerte laut Niemann „nachrangig, da wir ja bereits wussten, auf was für einem guten Bekanntheits- und Imageniveau wir mit der Kampagne starten.“ „Kernfrage dieses einmonatigen Test-Flights war für uns, ob wir mit der Präsentation von sechs Produkten möglicherweise das Fassungsvermögen der potentiellen Kunden überfordern“, so Niemann. Trotz des Fokus auf Bestandskunden hat man sich nicht auf reine DirectMailing-Maßnahmen beschränkt, sondern reichweitenstarken Titeln einen Top-ProdukteFolder als Supplement beigelegt bzw. als Einhefter in der Zeitschriften-Heftmitte platziert. „Mit über sechs Millionen Kunden haben wir eine ausreichend große Basis, um diese auch über klassische Massenmedien anzusprechen“, so Niemann zur Begründung des MediaMixes. Werbetreibender Branche Werbeobjekt Objektcharakter Kampagnenzeitraum Kampagnenvolumen* ING-DiBa Finanzen/Banken Finanzdienstleistungen Mittleres Involvement Oktober 2007 bis heute Keine Angaben * Brutto-Werbevolumen Abbildung 53: Kampagnen-Steckbrief ING-DiBa Quelle: Eigene Darstellung Die kreative Umsetzung der Kampagne erfolgte auf Basis der bestehenden Kommunikationsplattform der Sport-Motive in Verbindung mit dem Testimonial Dirk Nowitzki und in Verbindung mit der starken visuellen Klammer aus Farben und Typo. Die kampagnenbezogenen Maßnahmen zur Mehrprodukte-Vermarktung werden überwiegend im Bereich nicht-medialer Kommunikationsinstrumente (insbesondere Direkt-Marketing) 231 eingesetzt. Bei den medialen, die nur 30 % des Kampagnen-Budgets in der MehrprodukteVermarktung ausmachen, wird ausschließlich Print in Form von Beilegern und Einheftern eingesetzt. TV ist dagegen der breiten Bewerbung der Einstiegsprodukte Extra-Tagesgeldund Giro-Konto vorbehalten. Kampagnen-Erfolg: Folgende Kampagnen-Ergebnisse wurden erzielt: • Leistungs-Awareness: Die Wahrnehmung des Allfinanz-Angebots der ING-DiBa stieg um 20 % (5 % höher als geplant). • Kontaktgenerierung: Es wurde deutlich mehr als die geplanten 100.000 Interessenten generiert. Der Cost-per-Interest-Wert (CpI) lag gegenüber der Vorgängerkampagne dementsprechend um 7 % niedriger. • Abschlussbereitschaft: Die Bereitschaft eine der beworbenen Finanz-Produkte zu erwerben stieg um 12 %. • Kundenakquisition: Es wurden circa 10.000 Neukunden gewonnen auf Basis eines Costper-Order-Wertes (CpO), der um 8 % niedriger lag als in der Vorgänger-Kampagne. • Deckungsbeitrags-Optimierung: Es wurde ein insgesamt und auf die Einzelprodukte bezogen niedrigerer Cost-per-Value (CpV) erreicht (keine spezifische Angabe). „Gemäß ihrer gesamten Geschäftsaktivität ist die ING-DiBa auch in der Werbekommunikation äußerst effizienz-orientiert“, lobt Dr. von Vieregge, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V. Zur kreativen Umsetzung der Cross-SellingWerbung merkt er aber auch an, dass „die ING-DiBa mit der bestehenden kommunikativen Plattform strategisch und gestalterisch am Scheideweg steht: Sie profitiert zwar von den Synergien einer integrierten Kommunikation, schafft es aber in dieser Umklammerung nicht mehr ausreichend, die Aufmerksamkeit auf neue Botschaften zu lenken. Der Leser sieht nur noch Basketball, Nowitzki und Blau-orange und blättert weiter.“ Angesichts der wachsenden strategischen Bedeutung der loyalisierenden Mehrprodukte-Vermarktung ergäbe sich für die ING-DiBa das klassische Problem aller Werbetreibenden, die mit prominenten Testimonials arbeiten: „Ein prominentes Testimonial verschafft einer Marke Aufmerksamkeit, taugt aber selten, differenzierte Aussagen zu Produktvorteilen zu transportieren“, so von Vieregge. Auf Gefahren und Risiken, die mit dem Einsatz von Prominenten in Werbung verbunden sind weisen auch KAIKATI659 sowie GAIL ET AL. hin.660 Fazit: Die Mehrprodukte-Vermarktung ist ein Element in der Gesamtkampagne der ING-DiBa, die diese seit 2000 mit nur geringfügigen Modifikationen kontinuierlich schaltet. Gegenüber den 659 660 KAIKATI, 1987, S. 97 f. GAIL/CLARK/ELMER/GRECH/MASETTI/SANDHAR, 1992, S. 47 232 Kampagnen-Maßnahmen, die auf die Bewerbung der Einzelprodukte (Tagesgeld- und Girokonto) als Einstiegsprodukte für Neukunden zielen, haben die werblichen Maßnahmen zur Mehrprodukte-Vermarktung hauptsächlich die Bestandskunden im Fokus. Zentrales Kommunikationsziel ist die Generierung von Bekanntheit für das erweiterte Leistungsangebot der Bank. Im Kontrast zur Sparkasse (siehe entsprechende Fallstudie) profiliert sich die ING-DiBa erfolgreich damit, Standardprodukte mit attraktiven Konditionen zu entwickeln und diese bundesweit anzubieten. Charakteristisch für die Kampagne ist die Beibehaltung der kommunikativen Positionierung und Werbebotschaft gegenüber der bisherigen Kommunikation zur MehrprodukteVermarktung sowie zur Gesamtkampagne. Auffällig ist für den Kampagnenteil der Mehrprodukte-Vermarktung auch die geringere Bedeutung von Mediawerbung im Kommunikations-Mix gegenüber anderen Instrumenten wie insbesondere Direkt-Marketing-Maßnahmen. Print ist analog zur Vorgängerwerbung Leitmedium der Kampagne. Der Umstand, dass die untersuchten Cross-Selling-Maßnahmen nur Teil einer Gesamtkampagne sind, die gleichermaßen auf die Akquise von Neukunden zielt, lassen eine kritische Prüfung der Eigenständigkeit eines möglichen Archetyps Cross-Selling-Werbung sinnvoll erscheinen. Kriterien Ausprägung Leistungscharakter Neuprodukte Zielgruppenfokus Bestands- und Neukunden Werbebudget hoch Kommunikative Werbeziele Bekanntheit Positionierung Information (synchron) Werbebotschaft Informativ (synchron) Stellenwert Mediawerbung mittel (50%) Leitmedium Print (synchron) Abbildung 54: Ausprägungen der ING-DiBa-Kampagne als Cross-Selling-Werbung Quelle: Eigene Darstellung 233 6.2 Ergebnisse zu notwendigen Rahmenbedingungen und Kompetenzen Wie in der Einleitung zum Forschungsziel dieser Arbeit dargelegt soll neben der Entwicklung eines Modells aufgabenorientierter Werbestrategien im Sinne eines knowledge-based view auch geklärt werden, welchen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen im Werbeplanungsprozess als Teil eines integrierten Kommunikationsmanagement-Prozesses idealerweise gegeben sein müssen, um die praktische Anwendung aufgabenorientierter Werbestrategien zu gewährleisten. Insofern beziehen sich die nachfolgend dargestellten Kompetenzen vorrangig auf den Prozess der Entwicklung einer Werbestrategie, auf wenn einige der identifizierten Kompetenzen sicherlich auch Relevanz für den nachfolgenden konzeptionellen und operativen Umsetzungsprozess haben. Die Experten-Einzelinterviews und sowie die beiden Experten-Workshops haben ergeben, dass es keine – analog dem Modell von TOMCZAK und REINECKE - spezifischen Kompetenzen pro Werbestrategie-Archetyp gibt. Vielmehr gibt es bestimmte Voraussetzungen, die einen erfolgreichen stringenten Transferprozess von Marketing- in aufgabenorientierte Werbestrategien und deren konsistente Umsetzung in Kreation insgesamt bedingen. Dennoch sind einige der identifizierten Kompetenzen identisch mit den ihnen in den MarketingKernaufgaben661 vorangestellten und werden ihrem Operationalisierungsgrad entsprechend interpretiert. MarketingMarketingStrategie Strategie WerbeWerbeStrategie Strategie WerbeWerbeKonzept Konzept Kreation &&Kreation KommunikationsErfolg Potentielle Bruch-Stellen Abbildung 55: Potentielle Bruchstellen im Ableitungsprozess Quelle: Eigene Darstellung. Im Idealfall erfolgt dieser Transferprozess nicht nur konsistent, sondern ist generell getragen von einer langfristig angelegten Marketing- und Werbestrategie, die weniger auf kurzfristige Absatz-, sondern vielmehr auf nachhaltige Markenerfolge zielt. Oder wie es ein Befragter 661 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 20 ff. 234 formulierte: „Der größte Feind der langfristig angelegten und nachhaltig erfolgreichen Werbestrategie ist die kurzfristige Vertriebstaktik.“ Die notwendigen Kompetenzen für die Entwicklung aufgabenorientierter Werbestrategien als Teil eines konsistenten Werbeplanungsprozesses lassen sich auf zwei Ebenen unterscheiden: 1. Unternehmensebene: Struktur, Organisation und Prozesse in den beteiligten Unternehmen; 2. Mitarbeiterebene: fachliche und soziale Fähigkeiten der verantwortlich Handelnden. Im Hinblick auf diese beiden Ebenen wurden sowohl die Kampagnenexperten zu den Fallstudien wie auch die Teilnehmer der Workshops zu den notwendigen Kompetenzen in Form einer offenen Fragestellung (siehe Interview-Leitfaden in der Anlage) befragt. Die Auswertung der Experten-Interviews erfolgte auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse (vergleiche Kapitel 5.5). In der Regel wurden von den Befragten mehrere erfolgskritische Kompetenzen genannt, die aus ihrer Sicht die Entwicklung von Werbestrategien als Kernelement eines WerbeplanungsProzesses generell sowie deren Inter- und Intrakonsistenz beeinflussen. Nachfolgend sind die entsprechenden Kompetenzen beschrieben. Viele davon sind deckungsgleich zu den Ergebnissen verschiedener Aufsätze und Untersuchungen, insbesondere zu den Akteuren im Werbekommunikationsprozess in den USA und England. Dementsprechend wird jeweils auf die entsprechenden Quellen verwiesen. 6.2.1 Strukturell-organisatorische Rahmenbedingungen und Kompetenzen Folgende strukturell-organisatorische Kompetenzen wurden von den Befragten als notwendig für die Planung, Umsetzung und Kontrolle von Werbestrategien als Teil eines Werbeplanungsprozesses beschrieben: • 662 Institutionalisierter Planungs-, Abstimmungs- und Entscheidungsprozess: Viele der befragten Akteure berichteten darüber, dass oftmals sowohl Entscheidungsprozesse innerhalb der eigenen Organisation, aber insbesondere in der Zusammenarbeit zwischen werbetreibenden Unternehmen und Dienstleister(-n) bzw. insbesondere zwischen den Dienstleistern untereinander unklar seien. Institutionalisierte und formelle Abstimmungsund Entscheidungsregeln fehlen häufig.662 Dies geht in der Regel einher mit undefinierten Jobprofilen (s.u.) sowie mit einer intransparenten Aufbau- und Ablauforganisation. Häufig wird dadurch die Gefahr des „Aneinander-vorbei-Arbeitens“ provoziert, was Zeit- und Ressourcenverluste zur Folge hat.663 Eine notwendige Voraussetzung ist deshalb auch eine Standardisierungskompetenz664, mit der die Prozesseffizienz kontinuierlich verbessert Vgl. PECHMANN, 2004, S. 8 ff.; BRUHN, 2005a, S. 118 ff. Vgl. BRUHN, 2005a, S. 118 f. 664 Vgl. TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 21; auch DAY, 2000 663 235 wird. Eine besondere Herausforderung für die Organisation ergibt sich bei multinational agierenden Unternehmen mit einer stark divisionalen Organisationsstruktur im länderübergreifenden Planungs- und Kontrollprozess von Marketing- und Werbemaßnahmen. Hier besteht oft auf Seiten der Firmenzentrale der Wunsch nach einer Standardisierung bzw. Adaption mit dem Ziel der Kostensenkung sowie Ausschöpfung von Synergien.665 Der Grad des Standardisierungsprozesses wird dabei maßgeblich von der Entscheidungsautonomie der jeweiligen Landesgesellschaft in Verbindungen den vorhandenen Fähigkeiten, der Vertrautheit der Zentrale mit den Marktspezifika sowie kulturellen Ähnlichkeiten der Märkte und dem generellen Entwicklungsgrad des Landes bestimmt.666 Oftmals liegt die Entscheidungshoheit einseitig bei der Zentrale. Häufige Konsequenz: Werbestrategien, die zwar den Anforderungen des nationalen Marktes, aber nicht der internationalen Werbestrategie entsprechen, durchlaufen nach Aussage eines befragten Experten einen „Kastrationsprozess“, wodurch ihre ursprünglich „pointierte Aussage massiv verwässert“ wird und sie zwangsläufig an kommunikativer Schlagkraft verliert. Idealerweise würde der Planungs- und Entscheidungsprozess deshalb in einer Interaktion aus Top-down und Bottom-Up-Initiativen erfolgen.667 • Umfassende, strategiegeleitete, konsistente, iterative mehrstufige Vorgehensweise: Angesichts eines häufig als „unstrukturiert“ geschilderten Arbeitsprozesses erscheint es zwingend notwendig, dass alle Kampagnenverantwortlichen auf Basis eines fixierten und kommunizierten Ablaufmodells arbeiten, das sowohl klare Verantwortlichen in den Teilschritten als auch Meilensteine im Sinne von Zwischenschritten auf Dokumentenbasis umfasst. Solche Ablaufmodelle liegen zwar in der Werbetheorie (siehe Kapitel 2.3) sowie bei einigen Unternehmen (Werbetreibenden wie Dienstleistern) zum Teil vor, kommen jedoch oft nicht zur Anwendung oder werden aus Mangel an Zeit und Ressourcen nur unzureichend verfolgt. Am häufigsten wird dabei aus Sicht vieler Werbepraktiker die Analysephase vernachlässigt, d.h. es wird zu wenig Zeit und Aufwand darauf verwandt, Daten zum Markt, den Wettbewerbern und der Zielgruppe zu generieren, analysieren und kritisch zu bewerten. Eine häufige Konsequenz daraus ist: Werbestrategien bauen auf unvollständigen oder falschen Annahmen auf und erzielen einen nur unterdurchschnittlichen kommunikativen Erfolg. Auffällig wird dieses Analysedefizit z. T. auch in den präsentierten Fallstudien, wo die Zielgruppenbeschreibungen sehr generell gehalten sind. Diese notwendige Kompetenz korrespondiert mit der von TOMCZAK ET AL. diskutierten Fähigkeit, aktuelle Kundeninformationen umfassend zu erfassen und zu verarbeiten.668 So durchlaufen viele Kampagnen eine extrem verkürzte und unvollständige Planungsphase, 665 Vgl. MELEWAR/VEMMERVIK, 2004, S. 863 ff. Zur Standardisierung von International Advertising gab es in den lerzten Jahren zahlreiche Publikationen und Untersuchungen, u.a. von HARVEY, 1993; GREG, 1994; LAROCHE/KIRPALANI/PONS/ZHOU, 2001, S. 262; TAI/WONG, 1998, S. 335. Im Hinblick auf die Qualität der Ergebnisse vieler Studien mahnt TAYLOR, C. R. (2002) für die weitere Forschung einen deutlich höheren Praxisbezug an. 667 Vgl. MÜLLER-STEWENS/LECHNER, 2003, S. 79 ff.; GLASL/DE LA HOUSSAYE, 1975, S. 29; BRUHN, 2005a, S. 120 668 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 21; auch DAY, 2000 666 236 weil alle Beteiligten zügig auf den Umsetzungsteil fokussieren („Ein erster Entwurf ist immer schnell gemacht und für den Kunden ein dankbar greifbarer Output“, so ein befragter Verantwortlicher in einer Werbeagentur). Dementsprechend hat die präzise Definition von Werbezielen häufig nur einen geringen Stellenwert.669 Eine mögliche Konsequenz daraus ist: Aufgrund fehlender Ziele wird in der Kontrollphase nicht zielgeleitet erhoben und bewertet.670 Voraussetzung für die mehrstufige Entwicklung einer erfolgreichen Werbestrategie ist Konsistenz mit der ihr zugrundeliegenden Marketingstrategie. Der erfolgreiche Transferprozess setzt voraus, dass den Kampagnenverantwortlichen im Sinne eines Strategic Alignments nicht nur über die Eckpunkte der Marketingstrategie informiert sind, sondern idealerweise diese mit ihren eigenen Erfahrungswerten mitgestalten bzw. spezifizieren können.671 Häufig sind solche Rückkopplungsprozesse, allein schon im Hinblick auf eine oftmals organisatorische Trennung der Bereiche Marketing und Vertrieb, nur erschwert umzusetzen bzw. auch gar nicht gewollt. So werden viele Werbeplanungsprozesse linear exekutiert und iterative Schleifen innerhalb der Prozesskette bzw. darüber hinaus in Richtung der Werbestrategie sind nicht vorgesehen. • Integrierte Kommunikationsorganisation: Die wachsende Bedeutung integrierter Kommunikation erhöht die Aufgabenkomplexität und den damit verbundenen Bedarf nach Planung und Kontrolle erheblich. Daraus resultieren ebenfalls spezifische Anforderungen an die Organisations- und Prozessstruktur.672 Die bewusste organisatorische Trennung der mit Werbekommunikation befassten Personen sowohl auf Seiten der werbetreibenden Unternehmen wie auch der Dienstleister erschwert dabei deutlich den Arbeitsprozess integrierter Kommunikation.673 • Strategiegeleitete Budgetplanung: Eine maßgebliche Hürde für die Entwicklung und den Roll-out einer nachhaltigen Werbestrategie ist ein stabiles Budget. In der Praxis kommt jedoch häufig eine taktisch dominierte Ad-Hoc-Budgetplanung zum Einsatz, bei der in der Regel zum Ende des ersten Halbjahres die verbleibenden Mittel radikal gekürzt werden. In der Konsequenz werden langfristig angelegte Kampagnen kurzfristig abgebrochen bzw. ausgesetzt, die Kampagnenverantwortlichen gehen zu einer taktischen Planung über. Durch die Fixierung eindeutiger Keyperformanceindicators und adäquater Zielwerte in Verbindung mit einem kontinuierlichen Erfolgstracking könnten die Voraussetzungen für eine längerfristig angelegte, strategische Budgetplanung gelegt werden. Zusätzlich könnte die Einbeziehung von Agenturen in den Budgetierungsprozess einer umfassenderen Planungsweise förderlich sein, wobei finanzielle Eigeninteressen immer auszubalancieren sind.674 669 Vgl. STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 48 Vgl. REINECKE /TOMCZAK, 2001, S. 79 671 Vgl. WADE/RECARDO, 2001; LUFTMAN, 1996; CAMPBELL/KAY/AVISON, 2005, S. 30 672 Vgl. SCHULTZ, 2000, S. 14; KITCHEN/BRIGNELL/LI, 2004, S. 20; BRUHN, 2005a, S. 118 673 Vgl. GOULD/LERMAN/GREIN, 1999, S. 41 ff. 674 Vgl. HARRIS/TAYLOR, 2003, S. 350 670 237 • Planning-Ressourcen und multidisziplinäre Experten-Teams: Die Erarbeitung von Werbestrategien setzt auf Agenturseite die entsprechenden Ressourcen im Bereich Planning voraus sowie Kompetenzen, die dieser Arbeit den notwendigen Stellenwert geben. Gleichzeitig erfordern die komplexe Organisation von integrierten Kommunikationskampagnen entsprechende Organisationsmodelle (Matrix-Organisation), in denen die durchgängige und konsequente Einbindung der jeweiligen Experten für einzelne Kommunikationsinstrumente gewährleistet ist.675 Die Befragten berichteten, dass in der Praxis oft Kampagnen isoliert für den Kanal TV geplant und umgesetzt werden und nachträglich die Experten der übrigen Instrumente mit einer bloßen Adaptionsarbeit beauftragt werden. • Personelle Kontinuität und fixierte Arbeitsprofile: Die Konsistenz von Werbestrategien und ihre Umsetzung hängen maßgeblich von einer Kontinuität der involvierten Personen in Verbindung mit fixierten Arbeitsprofilen ab. Jedoch beklagen viele der befragten Kampagnenmacher auf Agenturseite „Halbwertszeiten“ von Produkt- bzw. Brand-Managern auf Kundenseite von 24 Monaten und weniger. Ein personeller Wechsel ist dann häufig automatisch mit einer radikalen Korrektur der Werbestrategie verbunden, ohne dass sich die Notwendigkeit dazu aus dem Kampagnen-Evolutionsprozess ableitet. Andererseits agieren insbesondere Agenturmitarbeiter zwar unter gängigen Job-Labels (u.a. Planner, Kontakter, Creative Director), jedoch nicht in Verbindung mit fixierten Arbeitsprofilen, die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung eindeutig regeln.676 • Langfristige Partnerschaft zwischen Unternehmen und Dienstleistern: Die gewachsene Komplexität von integrierter Werbekommunikation in Verbindung mit der Fokussierung langfristiger nachhaltiger Erfolge bedingt eine langfristige, partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem werbetreibenden Unternehmen und seinen Dienstleistern.677 Ein Bestandteil dessen wäre auch die Beteiligung der Agenturen am Budgetierungsprozess.678 Dennoch wird in der Praxis – unterstützt durch entsprechende Wechsel und Brüche in den Berufsbiografien der Beteiligten (s.o.) mit dem Fokus auf Einzelkampagnen nur kurzfristig geplant und dementsprechend häufig ein (neues) partnerschaftliches Verhältnis etabliert. • Leistungsgerechte Vergütung: In der Werbepraxis dominieren weiterhin pauschale Vergütungsmodelle auf fester Honorarbasis pro Projekt bzw. in Kombination mit anteiligen Provisionen am eingesetzten Mediavolumen. Flexible Vergütungsmodelle wie erfolgsabhängige Honorare oder Service-Fee-Systeme sind dagegen die Ausnahme.679 Damit bleiben jedoch zeit- und Know-how intensive Leistungen insbesondere im strategischen Bereich unberücksichtigt bzw. haben gegenüber allen umsetzungsorientierten Maßnahmen einen deutlich geringeren Stellenwert. Eine explizite Vergütung von Strategiearbeit auf 675 Vgl. SASSER/KOSLOW/RIORDAN, 2007, S. 254; BRUHN 2005a, S. 118 Vgl. HIRSCHMAN, 1989, S. 44 677 Vgl. SCHULTZ, 2001, S. 11 ff. 678 Vgl. HARRIS/TAYLOR, 2003, S. 352 679 Vgl. GWA, 2000 676 238 Stundenbasis oder nach sogenannten Tagewerken, wie sie bei den klassischen Beratungen gängig ist, lässt sich Kunden von ihren Werbedienstleistern nur bedingt vermitteln.680 • Kommunikationssynchrone Vertriebsarbeit: Da alle werblichen Maßnahmen nur Kaufabsichten des Kunden initiieren können, ist ein schlagkräftiger Vertrieb die Voraussetzung dafür, hohe Präferenz in Absatz zu konvertieren. Maßgeblich dabei ist vor allem, ob das in der Werbekommunikation vermittelte Bild mit dem Eindruck, den der Kunde in der Filiale oder in der Service-Hotline gewinnt, möglichst deckungsgleich übereinstimmt. Entsprechende Fallbeispiele dazu sind T-Com und Sparkasse, in denen jeweils ein bestehendes Image korrigiert werden sollte, dieses Ziel jedoch nur erreicht werden konnte, wenn sich das vermittelte Bild in der Praxis bestätigte. Voraussetzung dafür sind entsprechende Schulungs- und Trainingsmaßnahmen. Zu den strukturellen Voraussetzungen, die in dieser Untersuchung nicht genannt wurden, gehört auch der Stellenwert von Werbekommunikation im Marketing-Mix des jeweiligen Unternehmens im Hinblick auf die Budget- und Personalausstattung in Verbindung mit dem Grad der vor allem intern kommunizierten Relevanz. Die strukturellen und prozessbezogenen Voraussetzungen stehen in einem engen Interaktionsprozess mit den Fähigkeiten der verantwortlich Handelnden, indem sie die Ausbildung dieser Fähigkeit fördern oder erschweren bzw. verhindern. 6.2.2 Personell-kulturelle Kompetenzen Folgende personell-kulturellen Kompetenzen wurden von den Befragten als notwendig für die Planung, Umsetzung und Kontrolle von Werbestrategien als Teil eines Werbeplanungsprozesses beschrieben: • Kreativität: Die Kernkompetenz aller Werbeverantwortlicher liegt sicherlich in der Generierung neuer, ungewöhnlicher Ansätze, Produkte und Leistungen auf eine prägnante und nachhaltige Art zu kommunizieren.681 Dies beschränkt sich nicht nur allein auf die visuelle und textuelle Umsetzung, sondern beginnt bereits im strategischen Bereich, beispielsweise bei der Auswahl und Gewichtung des Media-Mixes (siehe dazu die Fallstudien zur VWGolf und Balisto-Kampagne), der durchaus kreativ sein kann. • Analysefähigkeit und Strategiekompetenz: Viele der befragten Experten beklagen eine vorschnelle Umsetzungsorientierung im Kampagnenprozess, die neben einem fehlenden strukturellen Rahmen (s.o.) auch in einem Mangel an Analysefähigkeit und StrategieKompetenz begründet ist. Oftmals sind die Kampagnenverantwortlichen sowohl auf Seiten des werbetreibenden Unternehmens wie auch auf Seiten der Dienstleister nicht in der Lage 680 681 Vgl. BRUHN, 2005a, S. 316 ff. Vgl. RUST, 2006, S. 112 ff.; MORIARTY/VANDEN, 1984, S. 164; WEST, 1994, S. 212 239 oder willens, entsprechende Daten zu Märkten, Zielgruppen und Wettbewerbern zu analysieren und daraus entsprechende werbewirkungsmodellbasierte Zieldefinitionen und Werbestrategien abzuleiten.682 Gründe dafür können in einem unzureichenden Ausbildungsgrad liegen.683 Vielfach – so wird von einigen Befragten ebenfalls selbstkritisch eingeräumt, mangelt es aufgrund von „Arroganz“ auch schlichtweg an der Bereitschaft, die beworbene Leistung, die Marke und den Markt intensiver zu analysieren.684 Dieses Kompetenzdefizit wird durch die strukturellen Rahmenbedingungen (Zeit- und Budgetmangel, beschränkte Befugnisse) zusätzlich begünstigt. Zum Teil wird dieses Defizit auf Kundenseite kompensiert durch entsprechende Strategic-Planning-Kompetenzen auf Agenturseite (siehe Kapitel 2.3), oftmals fokussieren jedoch beide Seiten vorschnell auf eine kreative Idee, die nicht ausreichend strategisch fundiert ist. Ursache dafür ist neben einer fehlenden strukturierten Vorgehensweise in Verbindung mit einem effizienten Projekt-Management auch der empfundene Widerspruch zwischen Kreativität und Effektivität.685 Von vielen wird deshalb das produktive Zusammengehen von Kreativität und Struktur schlichtweg negiert. • Beherrschung von Projektmanagement-Techniken: Für die erfolgreiche Organisation des Werbeplanungsprozesses ist neben kreativen, analytischen und kommunikativen Fähigkeiten auch die Beherrschung von klassischen Projektmanagement-Techniken maßgeblich.686 Das gilt vor allem für ein effizientes Zeit-Management, bei dem insbesondere der Analysephase ausreichendes Volumen eingeräumt wird. Dies korrespondiert mit den strukturellen Voraussetzungen einer konsistenten, iterativen mehrstufigen Vorgehensweise sowie eines interaktiven Planungs- und Entscheidungsprozesses. Projektmanagemement-Techniken schliessen auch den Willen und die Fähigkeit zur Struktur- und Prozessoptimierung mit dem Ziel eines angemessen Standardisierungsgrades ein. Die Konsequenz daraus darf nach Aussage der Experten nicht eine Normierung auf Checklisten-Basis sein, vielmehr geht es darum, handlungsleitende Prinzipien (sogenannte guiding principles) zu fixieren und insbesondere Schlüsseldokumente wie z. B. den Creative Brief konsequent weiterzuentwickeln. • Kommunikations-, Kooperations- und Integrationsfähigkeit und -bereitschaft: Die Übersetzung von Marketing- in Werbestrategien und wiederum in Kreation erfordert sowohl auf Seiten des werbetreibenden Unternehmens wie auch auf Seiten der Dienstleister ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit, um die unterschiedlichen Welten zu „übereinzubringen“.687 Das schließt das Bewusstsein für die Besonderheiten der Bereiche Marketing, Kommunikation, Kreation ein. Oder wie ein Experte es formulierte: „Aus Sicht der Kommunikationsplanung ist es kein Problem, wenn der werbetreibende Kunde in Absatzzielen denkt. Problematisch ist, wenn er nur in Absatzzielen denkt.“ Somit entscheidet der persön682 Vgl. BRIGGS, 2006; KOVER, 1995 , S. 599; GABRIEL/KOTTASZ/BENNETT, 2006, S. 79 Vgl. STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 50 684 Vgl. KOVER, 1995, S. 608 685 Vgl. KOVER/GOLDBERG/JAMES, 1995, S. 39 686 Vgl. BOHINC, 2006, S. 19 ff.; LITKE, 2007, S. 54 ff.; KRAUS/WESTERMANN, 1998, S. 12 ff.; KESSLER/WINKELHOFER, 2007, S. 20 ff. 687 Vgl. GAYLORD, 1994; CORNER/KINICKI/KEATS, 1994, S. 300; KIRCHNER, 2001, S. 257 683 240 liche „Fit“ insbesondere zwischen den zentralen Ansprechpartnern auf Kunden- und Agenturseite maßgeblich über die partnerschaftliche Qualität der Zusammenarbeit (s.o.).688 Neben der Überwindung dieser traditionellen Differenzen zwischen den Leistungsdisziplinen (z. B. zwischen Copy-Writern und Art-Direktoren)689 macht die wachsende Relevanz von integrierter Kommunikation es notwendig, die nach Aussage eines Experten „SiloMentalität“ der unterschiedlichen Disziplinen im Hinblick auf das Planen und Umsetzen auf Basis eines Kommunikationsinstrumentes statt mehrerer zu durchbrechen, und Experten für die Ausgestaltung aller relevanten Kanäle einzubeziehen. Dem steht jedoch häufig die Angst vor Kompetenzverlust entgegen.690 Dementsprechend gibt es in der Praxis häufig zwischen den Dienstleistern verschiedener Disziplinen (insbesondere zwischen klassischer Kreation und Online sowie PR) Konflikte, um den jeweiligen Rang im Werbeplanungsprozess und die entsprechende Lead-Position.691 • Fähigkeit zur Risikoreduktion: Dies meint die Wahrnehmung und Analyse der Risiken, die sich aus dem Evolutionsprozess der beworbenen Leistung bzw. der Marke ergeben. Notwendige Veränderungen in der Markenkommunikation müssen rechtzeitig erkannt und der Situation angemessen umgesetzt werden. Bei der Einführungswerbung kann der Einsatz einer bewährten Absendermarke ebenso zur Risikoreduktion beitragen wie die bereits auf der Marketingstrategie-Ebene getroffene Entscheidung für die einzuführende Leistung.692 • Risikobereitschaft: Erfolgreiche Werbung zeichnet sich nach Meinung aller Befragten immer dadurch aus, dass sie anders ist. Die Quelle dafür findet sich natürlicherweise nicht in der Bestätigung des Status Quo. Risikobereitschaft ist somit die Fähigkeit zu einem missionarischen, entschlossenem Verhalten, gleichzeitig verbunden mit der Bereitschaft, für das Ergebnis die Verantwortung zu übernehmen.693 Dieses Verantwortungsbewusstsein wiederum geht jedoch nicht immer konform mit den strukturellen Rahmenbedingungen. Die Notwendigkeit zur Risikobereitschaft sahen mehrere Befragte im Prozess der Bewertung einer kontroversen Kampagnenidee. Oftmals würde in dieser Situation versucht, durch den „inflationären Einsatz“ von Pretests zu einer verbindlichen Gewissheit über den zu erwartenden Kommunikationserfolg zu kommen. Dies sei jedoch gerade bei Regelbrüchen in Verbindung mit ungewöhnlichen und neuen Ideen schwierig und somit letztlich nicht effektiv. Gründe für dieses Vorgehen seien neben dem Wunsch nach Sicherheit auch die fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit, die strategische Konsistenz der Werbebotschaft in Eigenanalyse zu bewerten.694 So seien erfolgreiche Kampagnen oftmals diejenigen, die vorher explizit nicht getestet wurden oder bei denen sich der Kampagnenverantwortliche auf 688 Vgl. CRUTCHFIELD, T.N./SPAKE, D.F./D’SOUZA, G./MORGAN, R.M., 2003 Vgl. YOUNG, C.E. , 2000 690 Vgl. SASSER/KOSLOW/RIORDAN, 2007, S. 254; CALDER/MALTHOUSE, 2005; GOULD/GREIN/LERMAN, 1999; GRONSTEDT, 1996; GRONSTEDT/THORSON, 1996; BRUHN, 2005a, S. 119, S. 122 691 Vgl. EAGLE/KITCHEN, 2000; KIM/HAN/SCHULTZ, 2004 692 Vgl. TOMCZAK, REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 20 693 Vgl. EL-MURAD/WEST, 2003 694 Vgl. TAUBER, 1984, S. 39 689 241 Kundenseite über ein negatives Pretestergebnis hinweggesetzt hatte. Grundlage dafür ist neben einer ausreichend Entscheidungskompetenz auch die entsprechende Erfahrung auf Basis einer ausreichend langen Berufspraxis (s.o.).695 • Fähigkeit zur Fokussierung: Erfolgreiche Werbekommunikation zeichnet sich nach Ansicht der Experten auch dadurch aus, dass sie sich auf den Transport einer zentraler Botschaft beschränkt und dementsprechend alle konzeptionellen und kreativen Elemente auf die Botschaft fokussiert. Diese Bereitschaft und Fähigkeit zur Fokussierung geht somit oft einher mit der Fähigkeit zur Risikobereitschaft, einzelne Zielgruppen bewusst auszuschließen, nur einen funktionalen und kommunikativen Mehrwert zu penetrieren. Denn oftmals bedingen Unsicherheit und die Berücksichtigung möglichst vieler Interessen eine massive Verwässerung der Werbebotschaft, worunter wiederum die Originalität zwangsläufig leidet (s.o.). Diese für den deutschen Werbemarkt explorativ ermittelten Erfolgstreiber im Werbeplanungsprozess sind sinnvollerweise in weiteren Untersuchungsschritten zu detaillieren. 695 Vgl. WEST, 1999, S. 59 f. 242 7. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse 7.1 Generelle Schlussfolgerungen Nachfolgend wird zunächst auf die generellen Schlussfolgerungen für das Gesamtmodell (Kapitel 7.1.1) und die Modellindikatoren (Kapitel 7.1.2) eingegangen, bevor in Kapitel 7.2 die Schlussfolgerungen für die einzelnen Archetypen diskutiert werden. 7.1.1 Schlussfolgerungen für das Grundmodell Zentrale Forschungsfrage: Welche Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien lassen sich unterscheiden? • Welche Merkmale charakterisieren die unterschiedlichen Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien? • Wie lassen sich diese unterschiedlichen Archetypen auf Basis der Produkt-MarktMatrix von ANSOFF systematisieren? Die Kern-Dimensionen des Modells aufgabenorientierter Werbestrategien wurden von der Mehrheit der Befragten als relevant und ihre Werbekommunikationsarbeit prägend beschrieben. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Kerndimension Leistung (bestehend/neu) zu. Sie bestimmt insbesondere in der Ausprägung „Marke“ (bestehend/neu) maßgeblich den werbestrategischen Planungsprozess. Dagegen hatte die Unterscheidung zwischen Neu- und Bestandskunden nach Aussage vieler Befragter für ihre werbestrategischen Überlegungen einen deutlich geringeren Stellenwert. Die Gründe dafür sind vielfältig: • Fehlende Datenbasis: Bei vielen Kampagnen fehlt zur anvisierten Zielgruppe eine umfassende Datenbasis mit soziodemografischen und qualitativen Beschreibungen (vergleiche dazu die fehlenden bzw. Nur allgemeinen Angaben in den jeweiligen FallstudienBeschreibungen). Teilweise sind diese Daten auf Unternehmensseite vorhanden, werden aber aus Gründen der Vertraulichkeit nicht der planenden und ausführenden Agentur zur Verfügung gestellt. In anderen Fällen wird schlichtweg nicht die Notwendigkeit gesehen bzw. zeitliche und budgetäre Restriktionen verhindern, fehlende Zielgruppendaten zu generieren. • Unzureichendes analytisches Know-how: Oftmals fehlt das notwendige Know-How zur Ermittlung der Daten bzw. der Auswertung vorhandener (Roh-)Daten sowohl auf Seiten des werbetreibenden Unternehmens wie auch der ausführenden Dienstleister. • Elastizität der Erfolgskontrolle: Ein maßgeblicher Grund ist taktischer Natur: Durch die bewusste Nicht-Differenzierung zwischen Neu- und Bestandskunden entfällt die Notwen- 243 digkeit einer teilgruppenspezifischen Zielplanung und Erfolgskontrolle. Den Werbetreibenden steht schlichtweg mehr „Kundenmasse“ zur Verfügung, um seine übergreifenden Kampagnenziele zu erreichen. Oft wird dann im Prozess der Post-Rationalisierung aus der dann erreichten Kundenstruktur ein adäquates Konvertierungs- oder Expansionsziel für die einzelnen Kundensegmente abgeleitet.696 Als Konsequenz daraus dominiert in der praktischen Kampagnenplanung und -darstellung insbesondere bei der kommunikativen Einführung von Produkten und Leistungen die TeilDimension „Neukunden“. 7.1.2 Bewertung der Modellindikatoren Anhaltende Defizite bei der Werbezielformulierung Die Fallstudien-Ergebnisse bestätigen die bereits von STEFFENHAGEN und SIEMER697 und in einer eigenen Erhebung mit ähnlichem Untersuchungsdesign (siehe Kapitel 3.2.2), zu den einige Fallstudien eine Schnittmenge bilden, empirisch belegten Defizite. Zwar betonte die Mehrheit der Befragten die hohe Relevanz von Werbezielen im Werbestrategie-Prozess, allerdings wurden in der Umsetzung sehr häufig die von STEFFENHAGEN und SIEMER definierten Gütekriterien698 verletzt. Einflusscharakter des Involvementgrads Die theoriebasierten Vorüberlegungen zur Unterscheidung von Werbestrategien beinhalten die Annahme, dass der Involvementgrad der jeweils beworbenen Leistung die Ausprägung der die Archetypen determinierenden Indikatoren beeinflusst. Die Ergebnisse der Fallstudien bestätigen zwar die generelle Bedeutung des Involvementgrades auf den Charakter der Werbekommunikation. Allerdings konnte kein archetypen-spezifischer Einfluss festgestellt werden, sondern vielmehr ein genereller. So bedingt beispielsweise der Involvementgrad deutlich erkennbar den Umfang des Budgets für Mediawerbung massiv (exemplarisch das Kampagnen-Budget von über 15 Mio. Euro für das High-Involvement-Produkt Audi Q7 gegenüber dem Kampagnen-Budget von 5 Mio. Euro für das Low-Involvement-Produkt Balisto von Mars), während der Einfluss des jeweiligen Archetypen eher nur noch eine graduelle Variation bedingt. Das gleiche gilt für die Art der Positionierung und die daraus abgeleitete Werbebotschaft. Wie bereits von KROEBER-RIEL und ESCH dargestellt, wird gerade bei der Bewerbung von Low-Involvement-Produkten eine Positionierung durch Emotion in Verbindung 696 Beleg dafür sind entsprechende ausdrückliche Hinweise von einigen Interviewpartnern (insbesondere auf Seiten der Agenturen) sowie Widersprüche zwischen den Zielangaben der verantwortlichen Akteure, die auf Post-Rationalisierungseffekte schliessen lassen. 697 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 48 698 STEFFENHAGEN/SIEMER, 1996, S. 47 f. 244 mit einer emotionalen Ansprache der Konsumenten bevorzugt.699 Dagegen wird der Aspekt der Konsistenz von Positionierung und Werbebotschaft gegenüber der bisherigen Werbekommunikation maßgeblich durch den jeweiligen Archetypen geprägt. Dies ist entsprechend für die Spezifizierung des Modells zu berücksichtigen. Während also die Modell-Indikatoren Budget, Positionierung und Werbebotschaft (beide in der Ausprägung Art und Inhalt) maßgeblich durch den Involvementcharakter geprägt zu sein scheinen, weisen Media-Mix, Copy und vor allem die Werbeziele deutlich archetypenspezifischen Erklärungswert auf. Eine präzisere Bestimmung des jeweiligen Einflussgrades muss Bestandteil der weiteren empirischen Vertiefung sein (siehe Kapitel 7.2 Limitation und weiterer Forschungsbedarf). Wie in Kapitel 6.1 dargelegt, weisen die untersuchten Kampagnen im Hinblick auf den Involvementgrad des beworbenen Produktes bzw. der beworbenen Leistung deutliche Unterschiede auf, wobei diese Unterscheidung eine grundsätzliche übergreifende und keine Archetypenspezifische ist. Folgende vom Involvement abhängigen Besonderheiten lassen sich deshalb archetypenübergreifend übergreifend feststellen: • Kommunikative Werbeziele: Zwar wurden zu den entsprechenden Low-InvolvementKampagnen jeweils auch kommunikative Ziele genannt, jedoch wurde das Primat der ökonomischen Ziele (Umsatz, Absatz, Marktanteil) betont, gegenüber denen Awareness und Image nur flankierenden Charakter hatten. Somit lag der Fokus der Werbeverantwortlichen deutlich auf kurzfristigen Absatzerfolgen und Marktanteilsgewinnen. Zum Teil erschienen die genannten kommunikativen Zielwerte im Sinne einer Post-Rationalisierung nachträglich zum ökonomischen Erfolg ergänzt. Dagegen war der Fokus bei den Kampagnen zu High-Involvement-Produkten (Audi Q 7, VW Golf) deutlich auf das kommunikative Ziel Präferenz gerichtet. Ein möglicher Erklärungsansatz dafür ist: Eine kurzfristige Generierung von Kunden für teure Investitionsgüter vorrangig durch werbliche Ansprache ist gegenüber Low-Involvement-Produkten eher unwahrscheinlich. • Positionierung: Low-Involvement-Produkte weisen eine deutlich stärkere Positionierung durch Emotion auf, da Informationen zu ihnen dem Rezipienten eher „trivial“700 erscheinen. Im Gegensatz dazu weisen High-Involvement-Produkte eher eine Positionierung durch eine gleichmäßige Mischung von Emotion und Information701 (Beispiel Audi Q7) auf. • Werbebotschaft: Resultierend aus der emotional dominierten Positionierung ist bei LowInvolvement-Produkten auch die Botschaft an den Rezipienten emotional dominiert. Dagegen hat in der Werbung für High-Involvement-Produkte Information einen deutlich 699 KROEBER-RIEL/ESCH, 2000, S. 74; WEINBERG, 1999, S. 113 ff. KROEBER-RIEL, 1993, S. 43 701 ESCH, 2005, S. 140 700 245 stärkeren Stellenwert (Beispiel: funktionale Vorteile des VW Golfs als Story-Element des Schlämmer-Blogs). • Stellenwert Mediawerbung: Bei Low-Involvement-Produkten dominiert Mediawerbung deutlich den Kommunikations-Mix, gegenüber High-Involvement-Werbung (Audi Q7, VW Golf-Kampagne in der geplanten Fortsetzung), wo bedingt durch die höhere Bedeutung von Information in Positionierung und Werbebotschaft nicht-mediale Kommunikationsinstrumente (insbesondere am Point of Sale) zum Einsatz kommen. • Leitmedium: Bei Werbung für Low-Involvement-Produkte ist die Dominanz von TV als Leitmedium gegenüber High-Involvement-Produkten noch deutlicher. Dementsprechend haben bei High-Involvement-Produkten wie dem VW Golf oder Audi Q 7 solche Medien, die sich eher zum Transport von Informationen eignen (Print, Internet) einen strategisch und in der Regel somit auch budgetär höheren Stellenwert. Kriterien Low-Involvement High-Involvement Media-Mix: Stellenwert Mediawerbung sehr hoch Hoch Media-Mix: Leitmedium TV mit sehr hohem Stellenwert) TV mit hohem Stellenwert Kommunikative Werbeziele Eher flankierend zu den als Zentral maßgeblich betrachteten ökonomischen Zielen Positionierung Meist Emotion und Aktualisierung Mischung von Emotion und Information Werbebotschaft emotional Emotional mit informativem Anteil Abbildung 56: Unterschiede im Hinblick auf den Involvementcharakter der Produkte/Leistungen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an KROEBER-RIEL, 2000, S.45. 246 7.2 Schlussfolgerungen für die Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien Die Einzelanalyse sowie der Vergleich der insgesamt 16 auf Basis von Fallstudien untersuchten Kampagnen (siehe Kapitel 6.1) zeigen deutlich, dass sich drei Archetypen aufgabenorientierter Werbestrategien in der Werbepraxis wiederfinden lassen: 1. Einführungswerbung (Neumarken-Werbung, Line-Extension-Werbung); 2. Expansionswerbung (Follow-up-, Rebrush-, Relaunch-Werbung); 3. Loyalitätswerbung. Neukunden Bestandskunden Loyalitätswerbung Bestehende Leistung/Produkt Expansionswerbung Follow-up, Rebrush, Relaunch Neue Leistung/Produkt Einführungswerbung Neumarke, Line-extension Abbildung 57: Erweitertes Modell aufgabenorientierter Werbestrategien Quelle: Eigene Darstellung Leistung/Marke Audi Q7 Balisto Bertolli BILDmobil Dove pro•age Drei Wetter Taft Eucerin Gillette Fusion ING-DiBa McDonalds Dr. Oetker Paula Sparkasse T-Com Rama Cremefine Werbestrategie-Typ Einführungswerbung (Line-Extension) Expansionswerbung (Relaunch) Einführungswerbung (Line-Extension) Einführungswerbung (Line-Extension) Einführungswerbung (Line-Extension) Expansionswerbung (Rebrush) Einführungswerbung (Line-Extension) Einführungswerbung (Line-Extension) Loyalitätswerbung Loyalitätswerbung Einführungswerbung (Line-Extension) Loyalitätswerbung Loyalitätswerbung Expansionswerbung (Follow-up) 247 Touareg Expansionswerbung (Follow-up) VW Golf Expansionswerbung (Rebrush) Abbildung 58: Fallstudien im Hinblick auf den jeweiligen Werbestrategie-Archetyp Quelle: Eigene Darstellung Diese Archetypen unterscheiden sich deutlich im Hinblick auf folgende Indikatoren: • Werbebudget (Kommunikation insgesamt, nur für Mediawerbung); • Media-Mix (Stellenwert Mediawerbung insgesamt, Auswahl des Leitmediums); • Kommunikative Werbeziele und Zielgrößen; • Konsistenz der Positionierung; • Konsistenz der Werbebotschaft • Copy (u.a. Einsatz von Testimonials). Copy als zusätzliches Strategieelement und Indikator Zu den bereits aus der Theorie abgeleiteten Elementen einer Werbestrategie (siehe Kapitel 3) wurde von mehreren Befragten der Einsatz von kreativen Kernelementen als weiterer Archetypen-Indikator ergänzt. Das bestätigt die Untersuchungen zur Bedeutung Gestaltungselemente von PIETERS und WEDEL zur Differenzierung von Werbestrategien.702 Darüber hinaus impliziert der gängige Begriff Copy-Strategie bereits den Bezug zum Werbestrategie-Prozess. Teil der Copy sind insbesondere die Key-Visuals. Sie ergeben sich aus den wichtigsten konstituierenden Markenelementen (Markenassets), die die Markenwahrnehmung der Konsumenten dominieren und im Sinne der Selbstähnlichkeit strategisch wichtig sind.703 Das kann am Beispiel der Marke Jacobs neben der Key-Colour grün die Krone als Bestandteil des Logos, der Claim „mit dem Verwöhnaroma“, aber auch ein festlicher Anlass (Hochzeit, Geburtstag) als klassisches Marken-Sujet sein. Bei einer Produktlinienerweiterung ist jedoch für die kreativen Kernelemente eine Differenzierung notwendig, um eine Verwechslung zwischen den Produkten zu vermeiden. Somit ist eine Balance zu finden zwischen der Wahrung der kreativen Elemente der zentralen Dachmarken-Signale und der Einbringung neuer anderer konzeptioneller und kreativer Elemente.704 Ein anschauliches Beispiel ist das Zusammenspiel von Rama als Dachmarke und Rama Cremefine als Sub-Brand. Mit kreativen Kernelementen sind dabei folgende gemeint: • Claim (Kampagnen- oder Marken-Claim, z. B. „Aber bitte mit Rama“); • Key-Visual; • Testimonial (z. B. Heidi Klum, Horst Schlämmer); • Key-Colour (-s) (z. B. Sortenfarben bei Balisto); 702 PIETERS/WEDEL, 2004, S. 38 ff. ESCH, 2007, S. 335 704 ESCH, 2007, S. 337 703 248 • Sprachliche Gestaltung (typischer Tonfall bzw. Ausdrucksweise); • Typografische Gestaltung (z. B. Nivea-Typo); • Sujet/Setting (z. B. italienische Familienidylle bei Bertolli, Dermatologen-Praxis bei Eucerin). Als ein wichtiges Gestaltungselement wurde dem Einsatz von Testimonials eine Archetypenabhängige Verwendungsintensität zugesprochen. So sind nach Aussage der Experten Testimonials ein beliebtes und bewährtes Gestaltungselement insbesondere bei Einführungswerbung. Bei Follow-up-Werbung werden sie – abhängig vom Erfolg ihres Einsatzes bei der Einführungswerbung – oftmals weiterhin eingesetzt. Seltener mit einem strategischen Bedeutungsgehalt aufgeladen finden sich Testimonials hingegen in Rebrush- oder RelaunchWerbung. Die analysierte Golf Schlämmer Blog-Kampagne ist so eine Ausnahme. Sehr selten werden sie dagegen in der Loyalitätswerbung eingesetzt. Die Begründung dafür lautet, dass eine intensivere Beziehung zur beworbenen Leistung als Grundlage für loyalisierende Werbebotschaften gerade bei prominenten Testimonials nicht als glaubwürdig wahrgenommen wird. Die Bedeutung der Copy als Element der einer Kampagne zugrundeliegenden Werbestrategie bezieht sich auf deren Kontinuität bzw. Modifikation im Werbeevolutionsprozess. So wird beispielsweise die für eine erfolgreiche Follow-up-Kommunikation notwendige Kontinuität nicht nur an der Konstanz von Positionierung und Werbebotschaft festgemacht, sondern auch an der Weiterverwendung von in der Einführungswerbung etablierten kreativen Kernelementen wie z. B. Key-Visuals und Claim. Dementsprechend wird Copy im Bereich der Werbestrategie vorrangig im Hinblick auf folgende Aspekte diskutiert: • Welche kreativen Kernelemente sind durch die bisherigen Werbe-Maßnahmen bzw. die Markenstrategie insgesamt (bei Einführungswerbung für Line-Extensions) vorgegeben? • In welchem Umfang und Grad sollen diese beibehalten oder modifiziert werden? Der Einfluss des Involvementgrades der Konsumenten auf die beworbene Leistung wurde generell bestätigt, jedoch ist er nicht archetypen-spezifisch, sondern prägt die Werbekommunikation zu den jeweiligen Leistungen grundsätzlich (s.u.). Dementsprechend bilden die untersuchten und als relevant belegten Indikatoren generell die Kernelemente einer Werbestrategie (siehe Abbildung). 249 We m? s? Wa Womit? Budget Werbestrategie Media-Mix Wo du rch ? Zielgruppen (neu/alt) Ziele Wozu? Objekt (neu/alt) Positionierung, Botschaft & Copy e? Wi Abbildung 59: Kernelemente der Werbestrategie Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BRUHN 2005a, S. 376 7.2.1 Schlussfolgerungen für den Archetyp Einführungswerbung Der Begriff der Einführungswerbung als Werbestrategie, mit der ein neues Produkt bzw. einen neue Leistung einem Neukundenkreis vorgestellt wird, ist der bereits im täglichen Sprachgebrauch der Werbeverantwortlichen gängigste Werbestrategie-Archetyp. Zu diesem Archetyp wurden in der Untersuchung die meisten Charakterisierungen mit dem höchsten Grad an Übereinstimmung gegeben. Somit ist die Einführungswerbung auch die Strategieform, der Kampagnen immer eindeutig zugeordnet wurden. Einführungswerbung ist auch in der Wahrnehmung der Werbeverantwortlichen der Strategietyp, dem am eindeutigsten die notwendigen konzeptionellen und operativen Maßnahmen zur Umsetzung zugeordnet werden konnte. Aus der bestehenden oder nicht bestehenden Ansprache von Bestandskunden ergibt sich für den Archetyp Einführungswerbung die Unterscheidung von zwei Untervarianten: 1. Neumarken-Werbung; 2. Line-Extension-Werbung. 250 Die Neumarken-Werbung bezieht sich auf Einführungskampagnen, bei denen eine neue Leistung bzw. ein neues Produkt unter einer neuen Marke eingeführt wird. Die Entscheidung für eine neue Marke versus die Dehnung einer vorhandenen Marke kann in der mangelnden Übereinstimmung oder Relevanz des bestehenden Markenimages mit der neuen Produktkategorie begründet liegen.705 In der Regel geht dies einher mit der Adressierung von neuen Kundengruppen, für deren erfolgreiche Ansprache der Einsatz der bestehenden Marke kontraproduktiv oder ohne Relevanz ist. Insofern beginnt die Neumarken-Werbung werbekommunikationsstrategisch bei „null“, was sie fundamental von der Einführungswerbung unterscheidet. Neumarken-Werbung ist zudem gegenüber dem Einsatz bestehender Marken mit einem erheblichen Mehraufwand an Investitionen706 verbunden: So wird in einer Managerbefragung von SATTLER das Kosteneinsparungspotential abhängig von der Produktkategorie auf 50 % und mehr geschätzt.707 Die Dehnung (brand stretching) bzw. Expansion einer Marke (brand expansion) zur Produktlinienerweiterung in gleiche oder verwandte Produktkategorien wird als line extension definiert.708 Dementsprechend handelt es sich im Fall der Line-Extension-Werbung um Einführungswerbung, die ein erweitertes Leistungs- bzw. Produktportfolio mit einer bereits bekannten Marke als Absender bewirbt. Die Entscheidung für den Einsatz einer bestehenden Marke geht häufig einher mit dem Ziel, neben Neukunden auch Bestandskunden (der zugrundeliegenden Familienmarke) zu adressieren und den bei ihnen bestehenden Bekanntheits- und Vertrauensvorsprung im Sinne eines Image- bzw. Goodwill-Transfers zu nutzen.709 Angesichts des generell hohen Kostenaufwands für eine Neueinführung verbunden mit dem hohen Risiko eines Flops710 sind Markenerweiterungen nach ESCH711 sowie KELLER712 und MURPHY713 die zurzeit am häufigsten genutzte Strategie zur Einführung einer neuen Leistung bzw. eines neuen Produktes und haben insbesondere im Bereich der Konsumgüter in ihrer Bedeutung enorm zugenommen.714 In einer empirischen Untersuchung zum amerikanischen Konsumgütermarkt belegen zudem SMITH und PARK die höhere Wirksamkeit von Markendehnungsstrategien gegenüber Neumarkenstrategien.715 Bei der Umsetzung der Line-Extension-Werbung ist zu berücksichtigen, ob es sich um eine direkte oder eine indirekte Markenerweiterung handelt und ob sie vertikal oder horizontal 705 ESCH, 2007, S. 321 ff. SATTLER, 1997, S. 88; TAUBER, 1988; S. 27 707 SATTLER, 1997, S. 88 708 BURMANN/MEFFERT/BLINDA, 2005, S. 196; ESCH, 2007, S. 319; AAKER, 1990, S. 54 f.; PARK/MILBERG/LAWSON, 1991, S. 190 709 MEFFERT, 1994, S. 189 ff.; SATTLER, 2004, S. 828 ff. 710 Die Flopquote im Konsumgüterbereich wird von der Gesellschaft für Konsumforschung GfK mit 70 % beziffert, siehe SAAL, 2006, S. 17; auch ROHWETTER, 2004, S. 20 711 ESCH, 2007, S. 323 712 KELLER, 2003, S. 581 713 MURPHY, 1997, S. 53 714 RANGASWAMY/BURKE/OLIVA, 1993, 71 ff. 715 PARK/MILBERG/LAWSON, 1991, S. 190 f. 706 251 ausgeprägt ist.716 Eine in der Werbepraxis häufige Variante (siehe Fallstudien zu Rama Cremefine, Dove pro•age, Dr. Oetker Paula, Gillette Fusion) ist die vertikale Markenerweiterung nach unten in Form eines Sub-Brandings: Die Master-Marke wird um eine Submarke ergänzt. Im besten Fall kann diese Sub-Brand zur Vitalisierung und Stärkung der Master-Marke beitragen (siehe Fallstudie Rama Cremefine), er birgt jedoch auch das Risiko der Kannibalisierung (siehe Fallstudie Dove pro•age), die als gesteuerter Substitutionsprozess jedoch auch strategisch gewollt sein kann.717 Auch reduziert eine Subbranding-Strategie negative Rückwirkungen auf die etablierte Marke bei Markenerweiterungen, die sich durch zur Stammmarke inkonsistente Eigenschaften auszeichnen. In jedem Fall gilt: Je größer die Nähe zur Bestandsmarke ist, desto stärker sind die Werbestrategie-Elemente (insbesondere Positionierung und Botschaft) in ihren Ausprägungen prädisponiert.718 Umgekehrt ist einer größeren Produkt-Marken-Distanz in der Werbestrategie ebenfalls Rechnung zu tragen.719 Line-Extension-Werbung schließt auch Kampagnen ein, bei denen im Zuge einer indirekten horizontalen Markenerweiterung zwei bestehende Marken auf Grundlage einer Markenkooperation bzw. -allianz mit unternehmensinternen oder -externen Marken in Form von CoBranding, Composite-Branding, Cross- bzw. Co-Promotion, Ingredient Branding oder MegaBranding kombiniert werden.720 Während die Begriffe der Neumarken- bzw. Launchwerbung sich auf Kampagnen beziehen, bei denen ausschließlich Neukunden adressiert werden, spielt bei der Line-ExtensionWerbung die Ansprache von Bestandskunden in unterschiedlichem Umfang eine strategische Rolle. Allen sechs in Fallstudien vorgestellten Praxisbeispielen Audi Q7, BILDmobil, Dove pro age, Eucerin, Dr. Oetker Paula, Gillette Fusion) zu Einführungswerbung sind in unterschiedlicher Deutlichkeit folgende Charakteristika gemeinsam: • Ein besonderer strategischer Stellenwert in der Marketingstrategie der jeweiligen Unternehmen insgesamt (resultierend aus dem in der Regel hohen und kapitalintensiven Entwicklungsaufwand) sowie im Marketing-Mix zum jeweiligen Produkt bzw. der jeweiligen Leistung; • Daraus resultiert ein im Verhältnis zum Gesamtbudget und den übrigen Kampagnen überproportional hohes Kommunikations- wie auch Mediawerbungsbudget; • Der hohe Stellenwert (strategisch und budgetär) von Mediawerbung im Werbekommunikationsbudget insgesamt; 716 ESCH, 2007, S. 327 ESCH, 2007, S. 351 ff.; CRAVENS/PIERCY/PRENTICE, 2000, S. 383 718 vgl. ESCH, 2007, S. 377, S. 381 719 vgl. ESCH, 2007, S. 377 720 ESCH, 2007, S. 328, S. 401 ff.; FRETER/BAUMGARTH, 2005, S. 478; BAUMGARTH, 2004, S. 240 ff. 717 252 • Der Einsatz von TV als Kampagnen-Leitmedium strategisch und damit in der Regel auch budgetär dominant (Sonderfall BILDmobil); • Die Schaffung von Aufmerksamkeit (gemessen meist auf Basis der gestützten bzw. ungestützten Bekanntheit) ist das zentrale Kommunikationsziel; • Eine grundsätzlich durch Emotion dominierte Positionierung, aus der sich entsprechend eine überwiegend emotionale Form der Ansprache (Werbebotschaft) ableitet. Diese Positionierung wird jedoch – abhängig vom Innovationsgrad des beworbenen Produktes – deutlich um eine informative Komponente ergänzt, die ihren entsprechenden Niederschlag in der Konsumenteninformation über einzigartige Produkteigenschaften findet (Beispiel BILDmobil, Audi Q7); • Copy: Der Einsatz von Prominenten als Testimonials zur Awareness-Generierung. Indikatoren Budget Ausprägung Proportional gegenüber allen anderen Archetypen das höchste Media-Mix Hoher Stellenwert von Mediawerbung, Leitmedium TV Kommunikative Ziele Aufmerksamkeit Positionierung u. Botschaft Überwiegend emotionale Positionierung und emotionale Werbebotschaft Copy Häufiger Einsatz von Prominenten als Testimonials Abbildung 60: Charakteristika des Archetypus Einführungswerbung Quelle: Eigene Darstellung Diese Charakteristika bedingen einander. So leitet sich aus dem Kommunikationsziel Awareness der massive Einsatz des reichweitenstarken Mediums TV ab, dessen Bewegtbild als Werbemittel gleichzeitig das ideale Instrument ist für den Transport emotional geprägter Werbebotschaften ist. Abweichungen von diesen Grundprinzipien der Einführungswerbung sind erkennbar situativ bzw. strukturell geprägt. So dominiert beispielsweise im Media-Mix zur BILDmobilKampagne Print gegenüber TV, weil das beworbene Produkt markentechnisch eine line extension des bestehenden Print-Objektes ist und es von daher nur konsequent und wirtschaftlicher ist, in diesem massiv Werbung für das neue Produkt zu schalten. Die ergänzende Analyse von Einführungswerbung für Neumarken wie die exemplarischen Kampagnen für „Alice“ und „Base“721 bestätigt die ermittelten Grundcharakteristika von Einführungswerbung mit drei Abweichungen: • 721 Das eingesetzte Werbevolumen liegt proportional deutlich über dem von Einführungswerbung auf der Basis von Line-Extension-Werbung; JUNG/VON VIEREGGE, 2006; S. 73 253 • Der Zielfokus liegt noch deutlicher auf der Bekanntmachung der Marke, imageprofilierende Ziele sind dem nachgelagert, da nur auf Basis von Bekanntheit eine Imagebildung stattfinden kann; • Copy: Bestehende Kreativ-Elemente als Bezugsgrößen bestehen nicht. Der kreative Auftritt ist dementsprechend betont eigenständig (siehe Beispiel BASE). Einführungswerbung in der Untervariante der Line-Extension-Werbung unterscheidet sich gegenüber der Neumarken-Werbung fundamental insofern, als dass sie auf eine Produkt- und Markenhistorie aufbaut. Dementsprechend besteht ein wesentlicher Erfolgsfaktor dieser Werbestrategie darin, inwiefern diese Historie konzeptionell und kreativ in sinnvoller Weise Berücksichtigung findet. Parameter dafür sind die eingesetzte Markentechnik (Eigenmarke mit Hinweis auf die Dachmarke, Sub-Brand) sowie der Grad der Nähe zur Ausgangsmarke. Anschauliche Beispiele für eine hohe Ausschöpfung des Markenkapitals sind insbesondere die Kampagnen zu Audi Q7, Bertolli sowie der Mehrprodukte-Vermarktung der ING-DiBa. Angesichts der grundsätzlich hohen Übereinstimmung zwischen Neumarken- bzw. Launchwerbung und Line-Extension-Werbung erscheint die Verwendung von „Einführungswerbung“ als übergreifender Archetyp weiterhin sinnvoll. Zwar ist in drei untersuchten Kampagnenbeispielen die Adressierung von Neuprodukten an Bestandskunden ein explizites oder implizites Teilziel, jedoch steht entweder die Gewinnung von Neukunden (Bertolli, ING-DiBa) bzw. die Loyalisierung der Bestandskunden (Sparkasse) im Fokus der Aktivität. So sollte beispielsweise die Vorstellung des breiten Leistungsspektrums der Sparkasse-Finanzgruppe neben der konkreten breiteren Ausschöpfung der Kundenbasis die bestehenden Kunden auch in der Aufrechterhaltung ihres bestehenden Kundenverhältnisses bestärken. Somit legen die untersuchten Kampagnenbeispiele nahe, dass in der Werbepraxis Cross-Selling-Werbeaktivitäten keinen eigenständigen Archetyp begründen, sondern die den entsprechenden Kampagnen zugrundeliegenden strategischen Zielsetzungen komplementäre Teilziele der Einführungs- oder Loyalitätswerbung sind. Cross-Selling kein eigenständiger Archetyp Auch wenn für die parallele Ansprache von Bestandskunden bei der Einführung neuer Produkte und Leistungen im Sinne einer Cross-Selling-Werbung ein eigenständiger Werbestrategie-Archetyp für Massenkommunikation empirisch nicht belegt werden konnte, lässt sich feststellen, dass diese Form der Werbung grundsätzlich an Bedeutung gewinnt. Die Gründe dafür sind: • Diversifikationsstrategien sind eine maßgebliche Wachstumsstrategie vieler Unternehmen; 254 • Line-Extensions dominieren heute bereits den Bereich der Produktneueinführungen und werden weiter an Bedeutung gewinnen722; • Im Rahmen entsprechender CRM-Maßnahmen entstehen entsprechende Kundendatenbanken, die z. B. auch Konsumgüterproduzenten in die Lage versetzen, ihre traditionelle massenmedial dominierte Kommunikation durch eine Direktansprache ihrer Bestandskunden (z. B. per Mail) zu ergänzen. 7.2.2 Schlussfolgerungen für den Archetyp Expansionswerbung Die analysierten Kampagnenbeispiele zeigen deutlich, dass der Archetyp „Expansionswerbung“ als Beschreibung für Kampagnen, in denen eine bestehende Leistung bzw. Produkt Neukunden kommuniziert wird, zu undifferenziert ist. Die entsprechenden Fallstudien zu den Kampagnen von VW Golf, Drei Wetter Taft, Rama Cremefine und Balisto zeigen deutlich die Relevanz der entwicklungshistorischen Position des beworbenen Produktes bzw. der Kampagne im Sinne des Modells vom Produktlebenszyklus.723 Während beispielsweise die Rama Cremefine-Kampagne das Ziel verfolgt, den Erfolg der Einführungswerbung mit einer fokussierten Kommunikation fortzusetzen und weitere Kunden zu gewinnen, geht es bei der Balisto-Kampagne darum, die in die Jahre gekommene Marke kommunikativ grundlegend zu repositionieren, um den Absatzrückgang zu stoppen und Neukunden zu gewinnen bzw. verlorene Kunden zurückzugewinnen. Bei der Drei Wetter Taft-Kampagne wird eine Stabilisierung der Marktführerschaft auf Basis einer Modifikation der bestehenden Produktlinie sowie einer entsprechenden Anpassung in der Kommunikation angestrebt. Diese unterschiedliche strategische Ausgangssituation bedingt eine Differenzierung des Archetyps Expansions-Werbung nach dem Grad der Veränderung bzw. Kontinuität. Dabei lassen sich folgende drei Varianten unterscheiden: 1. Follow-up-Werbung; 2. Rebrush-Werbung; 3. Relaunch-Werbung. Im Gegensatz zur Binnendifferenzierung von Einführungswerbung in Launch- und LineExtension-Werbung als Unter-Varianten ersetzen die drei Varianten expansiver Werbestrategien den zu „groben“ Archetypbegriff Expansionswerbung, da ihr Erklärungsgehalt präziser und prägnanter ist. Insofern fungiert der Begriff Expansions-Werbung im erweiterten Modell als Oberbegriff für drei Varianten dieses Archetyps. Archetyp-Variante Follow-up-Werbung 722 723 KELLER, 2003, S. 581 HOOGLEY, 1995, S. 24 255 Follow-up-Werbung wird in der Werbepraxis häufig verwendet, um die der Einführungswerbung zeitlich und inhaltlich nachfolgenden Werbemaßnahmen zu beschreiben.724 In diesem Sinne wird Follow-up-Werbung als Werbestrategie definiert, die nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich auf die Einführungswerbung folgt725 und zum Ziel hat, den in der Markteinführungsphase erreichten Markterfolg expansiv fortzusetzen. der Kundenbasis zum Ziel haben. Von einigen Interviewten wurde sie deshalb auch als „Eroberungswerbung“ bezeichnet. Damit hat die Follow-up-Werbung automatisch loyalisierende Elemente im Bezug auf die bereits gewonnenen Bestandskunden. Dabei steht neben einer weiteren Steigerung der Bekanntheit vor allem die verstärkte Profilierung der beworbenen Leistung bzw. des Produktes im Fokus. Grundlage dafür ist ein unverändertes Produkt- bzw. Leistungsangebot. In der Regel geschieht dies dadurch, dass – bei entsprechendem Erfolg der Einführungswerbung – die strukturellen und kreativen Kernelemente der Einführungs-Kampagne beibehalten werden. Im Extremfall besteht die Follow-up-Werbung aus einer Schaltung der identischen Motive der Einführungswerbung lediglich mit einem modifizierten Mediaplan. Häufig werden jedoch auf Grundlage entsprechender Kampagnenanalysen Aussage und Elemente der LaunchKampagne in der Follow-up-Werbung fokussiert bzw. akzentuiert, um einzelne Leistungswerte zu optimieren. Exemplarisch dafür ist die als Fallstudie vorgestellte Touareg-Kampagne. Dennoch ist Follow-up-Werbung nicht im Sinne eines bloßen „Weiter so“ zu verstehen. Vielmehr zeigt das Kampagnenbeispiel zu Rama Cremefine, dass eine erfolgreiche Followup-Werbung auch die Notwendigkeit bedingen kann, neue konzeptionelle und kreative Elemente einzusetzen, um die weitere Durchsetzung der Produkt- bzw. Markenstrategie zu gewährleisten. Von Follow-up-Werbung als Untervariante der Expansionswerbung wird gesprochen, wenn auf eine erfolgreiche Einführungswerbung weitere Werbemaßnahmen folgen, die dem Ausbau der erreichten Marktposition dienen. In der Grundstrategie baut die Follow-up-Werbung auf die Einführungswerbung auf mit dem Ziel, den Auftakterfolg fortzusetzen. Häufig bedingt dies eine Übernahme zentraler konzeptioneller und kreativer Elemente. Dies ist jedoch – wie das vorgestellte Kampagnenbeispiel zu Rama Cremefine zeigt - keine zwingende Notwendigkeit. Follow-up-Werbung weist folgende Charakteristika auf: • 724 725 Einen gegenüber der Einführungswerbung deutlich geringeren strategischen Stellenwert in der Marketingstrategie der jeweiligen Unternehmen insgesamt bzw. im jeweiligen MarkeVgl. Agenturdarstellung zur Touareg Follow-Up-Kampagne in JUNG/VON VIEREGGE, 2005, S. 39 ff. BEHRENS (1963, S. 22) gebraucht den Begriff „Fortführungswerbung“ vorrangig zeitbezogen, betont aber auch die den Kontinuitätscharakter zwischen Fortführungs- und Einführungswerbung im Hinblick auf die Zielgruppen-Identität. 256 ting-Mix. Der Hintergrund dafür ist: Oftmals werden andere „Stellhebel“ (insbesondere Preis und Distribution) als wirkungsvoller zum Ausbau der erreichten Marktposition erachtet. • Daraus resultierend ein im Verhältnis zum Gesamtbudget und den übrigen Kampagnen (insbesondere Einführungswerbung) eher durchschnittliches Kommunikations- wie auch Mediawerbungs-Budget. • Bei Follow-up-Werbung hat Mediawerbung einen hohen, aber im Verhältnis zur Einführungswerbung tendenziell geringeren Stellenwert (strategisch und budgetär) im Werbekommunikationsbudget insgesamt. • Follow-up-Werbung weist den gleichen Media-Mix wie die Einführungswerbung auf mit TV als Kampagnen-Leitmedium, aber einer gegenüber der Einführungswerbung strategisch und budgetär proportional gewachsenen Bedeutung anderer Mediakanäle (insbesondere Print) sowie generell aller nicht-medialen Kommunikationsinstrumente (insbesondere Verkaufsförderung). • Der Aus- bzw. Aufbau von Relevanz und Präferenz auf Basis einer deutlicheren Imageprofilierung als zentrale Kommunikationsziele (während in der Einführungswerbung die generelle Bekanntmachung und Verankerung eines zentralen Benefits im Kommunikationsfokus steht). • Die Positionierung von Einführungswerbung ist zu der von Follow-up-Werbung nahezu identisch. Daraus resultiert in der Regel eine hohe Wiederverwendungsrate bei Rezipienten bereits etablierter Kampagnenelemente (z. B. Claim, Key-Visual, Key-Colour) in unterschiedlich starken Umfang. Indikatoren Ausprägung Budget Gegenüber allen anderen Archetypen eher durchschnittlich Media-Mix Hoher Stellenwert von Mediawerbung, Leitmedium TV Kommunikative Ziele Relevanz, Präferenz Positionierung u. Botschaft In hoher Übereinstimmung zur Einführungswerbung Copy Wiederverwendung etablierter Gestaltungselemente Abbildung 61: Charakteristika des Archetypus Follow-up Werbung Quelle: Eigene Darstellung Häufig ist bei Follow-up-Werbung ein hohes Maß an konzeptioneller und kreativer Kontinuität gegenüber der Einführungswerbung festzustellen. Plakative Beispiele dafür sind neben der vorgestellten Touareg-Kampagne von Volkswagen u.a. die Folge-Kampagnen der PaulanerBrauerei726 und den Telekommunikationsanbieter Hansenet mit der Marke Alice727. Insbesondere die Follow-up-Kampagnen für Konsumgüter mit geringem Involvementcharakter basieren auf einer Positionierung durch Aktualität728 und funktionieren mit einer hohen Konsistenz 726 JUNG/VON VIEREGGE, 2007, S. 150 ff. JUNG/VON VIEREGGE, 2007, S. 60 ff. 728 ESCH, 2005, S. 141 727 257 im kommunikativen Auftritt im Sinne von GUTENBERG729, SEYFFERT730 und BRUHN731 als Erinnerungswerbung. Dass dies jedoch kein Muss ist, illustriert plakativ das vorgestellte Kampagnenbeispiel Rama Cremefine. Mit dem Ziel einer stärkeren Markenprofilierung wurden gegenüber der Einführungswerbung neue konzeptionelle und kreative Elemente eingesetzt, die besser geeignet erschienen, die bestehende Markenbotschaft zu verbreiten. Archetypen-Variante Rebrush-Werbung KOPPELMANN weist auf das Kontinuum zwischen jeder Form der Veränderung eines bestehenden Produktes im Sinne eines Relaunches bis zur Entwicklung eines Neuproduktes hin.732 Angesichts der in den Fallstudien dokumentierten hohen Bandbreite von (Marken-) Kommunikations-Modifikationen – häufig in Verbindung mit dem Reifegrad der beworbenen Leistung bzw. des Produktes – erscheint es jedoch notwendig, neben der Kategorie RelaunchWerbung eine weitere Kategorie zu definieren, die geringfügigere Veränderungen im Sinne einer Aktualisierung der Werbebotschaft bei hohem Kontinuitätsgehalt abdeckt. Im Medienbereich ist der Begriff Rebrush – äquivalent zum Begriff facelift im Automobildesign733- eine gängige Bezeichnung, um die Überarbeitung eines Produktes im Sinne einer Aktualisierung zu beschreiben.734 Dementsprechend wird der Begriff Rebrush in dieser Arbeit verwendet, um eine Veränderung der Werbekommunikation im Sinne einer Aktualisierung zu beschreiben, wobei der Grad der Veränderung deutlich unter dem liegt, was üblicherweise als Relaunch bezeichnet wird. Die Rebrush-Werbung folgt im Anschluss an die Follow-up-Werbung, wenn das beworbene Produkt/Leistung bzw. die Marke bereits einen gewissen Reifegrad erreicht haben und Gefahr laufen, nicht mehr hundertprozentig aktuell und zeitgemäß zu sein. Diesem Reifeprozess kann durch Veränderungen auf zwei Ebenen begegnet werden: 1. Produktebene und 2. Markenkommunikations-Ebene. Ein Rebrush auf Produktebene bedingt geringfügige Veränderungen in den Leistungsmerkmalen (insbesondere Design, Verpackung, Ergänzung oder Intensivierung einzelner Leistungskomponenten), ohne dass das Produkt grundsätzlich verändert wird. Ein Rebrush oder „Facelift“ auf der Ebene der Markenkommunikation geht entweder einher mit der Veränderung des beworbenen Produktes oder als Stand-alone-Maßnahme. Ein kommunikativer Rebrush hat zum Ziel, die Markenbotschaft zu aktualisieren bzw. zu vitalisieren, sie jedoch nicht in ihrer 729 GUTENBERG, 1955, S. 440 SEYFFERT, 1963, S. 44 731 BRUHN, 2005a, S. 115 732 KOPPELMANN; 1993, S. 70 733 HUCHO, W.-H., 2007, S. 219 734 GRUNER+JAHR 2007; MOTORPRESSE STUTTGART, 2003 730 258 Grundaussage gravierend zu verändern. Ein plastisches Beispiel dafür ist die vorgestellte Drei Wetter-Taft-Kampagne, in der die Storyline des Vorläufers aus den achtziger Jahren beibehalten wird, jedoch ironisch gebrochen wird und das typische achtziger Jahre-Modell ersetzt wird durch das aktuelle Topmodel Heidi Klum. Die Rebrush-Werbung folgt im Anschluss an die Follow-up-Werbung, wenn das beworbene Produkt/Leistung bzw. die Marke bereits einen gewissen Reifegrad erreicht haben und Gefahr laufen, nicht mehr hundertprozentig aktuell und zeitgemäß zu sein. Diesem Reifeprozess begegnet das werbetreibende Unternehmen durch eine geringfügige Modifizierung des Produktes (z. B. durch Anpassung des Designs, Erhöhung der Leistungswerte) in Verbindung mit einer entsprechenden Korrektur der Kommunikation. Exemplarisch dafür ist die vorgestellte Drei-Wetter-Taft-Kampagne sowie die Werbung für den VW Golf. Angesichts der Tatsache, dass die Rebrush-Werbung im Lebenszyklus zwischen der Follow-up- und der RelaunchWerbung steht, weist sie konsequenterweise Eigenschaften beider Werbestrategien auf. So lassen sich folgende Charakteristika für Rebrush-Werbung ableiten: • Rebrush-Werbung zeichnet sich gegenüber der Einführungswerbung durch einen deutlich geringeren strategischen Stellenwert in der Marketingstrategie der jeweiligen Unternehmen insgesamt bzw. im jeweiligen Marketing-Mix aus. • Daraus resultierend wird für Rebrush-Werbung ein im Verhältnis zum Gesamtbudget und den übrigen Kampagnen (insbesondere Einführungswerbung) eher geringeres Kommunikations- wie auch Mediawerbungs-Budget eingesetzt. • Mediawerbung hat im Werbekommunikationsbudget insgesamt einen hohen, aber im Verhältnis zur Einführungswerbung tendenziell geringeren Stellenwert (strategisch und budgetär). • Rebrush-Werbung hat einen im Verhältnis zur Einführungs- und Follow-up-Werbung gleichen Media-Mix (weiterhin mit TV als Kampagnen-Leitmedium). Jedoch haben – analog zur Follow-up-Werbung – andere Media-Kanäle (insbesondere Print) sowie generell alle nicht-medialen Kommunikationsinstrumente (insbesondere Verkaufsförderung) eine proportional höhere Bedeutung. • Zentrale Kommunikationsziele sind die Stabilisierung bzw. der Ausbau von Relevanz und Präferenz-Werten auf Basis einer deutlicheren Imageprofilierung in den bislang als unterdurchschnittlich bzw. schwach bewerteten Leistungskategorien. • Rebrush-Werbung zeichnet sich durch eine zur jeweiligen Einführungswerbung im Kern nahezu identische Positionierung aus – mit jedoch zum Teil neuer bzw. veränderter Akzentuierung bzw. der gezielten Ergänzung von Image-Dimensionen. Das hat zur Konsequenz, dass im Sinne einer Widererkennbarkeit bereits erfolgreich etablierte und bewährte Elemente (Formsprache, Claim, Key-Colours) beibehalten, jedoch bei anderen (z. B. KeyVisual, Testimonial-Einsatz) deutliche Korrekturen vorgenommen werden, um dem strategischen Ziel der Aktualisierung gerecht zu werden. 259 • Die Aktualisierung des bisherigen Markenauftritts wird vor allem durch eine Veränderung einzelner Gestaltungselemente initiiert. Auffällig ist außerdem der Einsatz von Prominenten als Testimonial zur Verdeutlichung der angestrebten Aktualisierung (Heidi Klum bei Drei-Wetter-Taft, Horst Schlämmer beim VW Golf). Indikatoren Budget Media-Mix Kommunikative Ziele Positionierung u. Botschaft Ausprägung Gegenüber allen anderen Archetypen eher niedriger Hoher Stellenwert von Mediawerbung, Leitmedium TV Aktualisierung, Relevanz, Präferenz, Imageprofilierung Grundsätzliche Übereinstimmung zur Einführungswerbung mit jedoch zum Teil neuer bzw. veränderter Akzentuierung Copy z. T. Einsatz von Prominenten als Testimonial zur Verdeutlichung der angestrebten Aktualisierung Abbildung 62: Charakteristika des Archetypus Rebrush-Werbung Quelle: Eigene Darstellung Berücksichtigt man für diesen Archetypus zusätzlich den Aspekt des Involvementcharakters des jeweils beworbenen Produktes (Low- versus High-Involvement), fallen folgende Besonderheiten auf: • Bei Einführungswerbung für Low-Involvement-Produkte (Beispiel Paula-Kampagne) ist die Dominanz von TV als Leitmedium gegenüber High-Involvement-Produkten noch deutlicher. Dementsprechend haben bei High-Involvement-Produkten (Beispiel Audi Q7) Medien, die sich eher zum Transport von Informationen eignen (Print, Internet), einen strategisch und budgetär höheren Stellenwert. • Low-Involvement-Produkte weisen eine deutlich stärkere Positionierung durch Emotion auf, was dadurch bedingt ist, dass Informationen zu ihnen dem Rezipienten eher „trivial“735 erscheinen. Im Gegensatz dazu weisen High-Involvement-Produkte eher eine Positionierung durch Emotion mit einem höheren Anteil an Informationselementen736 auf. Archetypen-Variante Relaunch-Werbung Der Begriff Relaunch wird sowohl im Bereich der Produkt- wie auch der Kommunikationsund Markenpolitik verwandt. Für die Veränderung eines Produktes in Form einer Produktvariation oder Produktdifferenzierung737 wird häufig der Begriff (Produkt-) Relaunch verwandt. Mit einem Relaunch wird dabei zumeist die Wiederbelebung einer stagnierenden oder rückläufigen Umsatz- oder Gewinnentwicklung bezweckt. Durch entsprechende Modifikationsmaßnahmen kann die Lebensdauer eines Produktes verlängert werden.738 Dementsprechend 735 KROEBER-RIEL, 1993, S. 43 ESCH, 2005, S. 140 737 MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2008, S. 456 f. 738 HAEDRICH/TOMCZAK, 1996, S. 236 f. 736 260 wird ein Relaunch in der Regel in der Sättigungs- bzw. Rückgangsphase des Produktlebenszyklus durchgeführt.739 Für den Begriff (Produkt-)Relaunch existiert in Wissenschaft und Praxis eine Bandbreite unterschiedlicher Bedeutungen.740 So versteht BIRKIGT unter einem Relaunch die „Wiedereinführung eines alten Produktes, welches in den wesentlichen Parametern – Produkt, Verpackung, Packungsgestaltung, Werbung – geändert wurde.“741 Laut BROCKHOFF ist der Relaunch eine Kombination absatzpolitischer Instrumente zur Repositionierung eines etablierten Produkts.742 Eine Konkretisierung zu Art und Anzahl der bei einem Relaunch einzusetzenden absatzpolitischen Instrumente liefert er nicht.743 Nach HÖFER ist das Ziel eines Produktrelaunchs die Wiederbelebung eines existierenden Produktes, wobei er die untrennbare Verbindung von Produkt- und Kommunikationsmodifikation plädiert.744 Im Gegensatz dazu fokussieren MEFFERT, BURMANN und KIRCHGEORG bei ihrer Definition eines Produktrelaunches auf die „umfassende Veränderung einer oder mehrerer Produkteigenschaften“, die „in vielen Fällen (…) durch Veränderungen bei anderen Marketinginstrumenten (z. B. (…) neue Werbebotschaft) unterstützt werden.“745 TENNAGEN plädiert mit ihrer Definition eines Produktrelaunchs für die Integration von Modifikationen, die sich auf die funktionalen Eigenschaften des Produktes sowie seiner Markenkommunikation auswirken: Sie definiert einen Produktrelaunch als „zeitablaufbezogene Veränderung eines am Markt etablierten Produkts (…). Das Ziel eines Relaunchs ist die Umpositionierung eines bereits existierenden Produkts unter Beibehaltung des Namens (der Wortmarke). Die Veränderung muss dabei mindestens eine der folgenden Marketing-Variablen umfassen: • Produktsubstanz/-gestalt; • Verpackung; • Kommunikation bzw. • Markensymbol/Logo. Zusätzlich können auch andere Marketing-Instrumente wie z. B. die Preisforderung oder Serviceleistung in die Umgestaltung einbezogen werden.746 Das Ergebnis ihrer Untersuchung, wonach nachlassende Markenaktualität aus Sicht der Unternehmen ein zentraler Einflussfaktor für die Relaunchentscheidung ist747, stützt TENNAGENs integrierten Ansatz. 739 TENNAGEN, 1993, S. 306 f. TENNAGEN, 1993, S. 5 741 BIRKIGT, 1971, S. 286 742 BROCKHOFF, 1988, S. 26 743 BROCKHOFF, 1988, S. 26. f. 744 HÖFER, 1983, S. 109 745 MEFFERT/BURMANN/KIRCHGEORG, 2008, S. 457 f. ; ähnlich auch ZANGER, 2002, S. 111 746 TENNAGEN, 1993, S. 10 f. 747 TENNAGEN, 1993, S. 309 f. 740 261 Die Begriffe für entsprechende Veränderungen der Markenkommunikation sind in der Regel Umpositionierung, Repositionierung bzw. Revitalisierung oder Rebranding und Neupositionierung748. Der Begriff Relaunch als Begriffsklammer für alle diese Formen kommunikativer Korrekturen wird von TROMMSDORF749 verwandt, ist jedoch im Gegensatz zum Bereich Produktpolitik weniger gängig. Für die vorliegende Untersuchung unterschiedlicher Werbestrategien erscheint der Begriff Relaunch-Werbung im Sinne des integrierten Ansatzes von TENNAGEN sinnvoll als Bezeichnung aller Kampagnen, die eine deutliche Veränderung der bisherigen Markenkommunikation auf Grundlage einer Um-, Re- oder sogar Neupositionierung beinhalten, wobei diese häufig mit einer Veränderung des Produktes (Substanz, Gestalt) bzw. seiner Verpackung einhergeht. Die Relaunch-Werbung zielt zwar ebenfalls auf Expansion im Sinne einer positiven Steigerung der ökonomischen und kommunikativen Leistungswerte, jedoch kommt sie zu einem deutlich späteren Zeitpunkt im Produkt-/Leistungs-Lebenszyklus zum Einsatz, nämlich dann, wenn eine beworbene Leistung/Produkt bereits eine hohe Marktreife erreicht hat und in den Leistungswerten deutlich stagniert. Die Verantwortlichen stehen dann vor der Frage, ob sie die entsprechende Leistung/Produkt vom Markt nehmen und durch ein Neuprodukt ersetzen ( Einführungswerbung) oder aktive Leistungspflege betreiben, um den Leistungs- bzw. Produktlebenszyklus zu verlängern. Im Gegensatz zur Rebrush-Werbung ist bei der Relaunch-Werbung die Veränderung des Produktes bzw. der Kommunikation grundlegend. D.h. der Reifegrad von Produkt/Leistung und Marke ist weit fortgeschritten und notwendige Rebrushs wurden seit dem Launch unterlassen, sodass das Produkt radikal auf einen veränderten Markt bzw. Konsumentenbedürfnisse ausgerichtet werden muss. Die Ergebnisse der Experten-Interviews verdeutlichen, dass sowohl die Rebrush- wie auch die Relaunch-Werbung zwar auf Neukunden zielt, sich darunter aber auch zahlreiche ehemalige Kunden befinden, für die das Produkt in der Vergangenheit einmal eine größere Relevanz hatte bzw. die es in der Vergangenheit regelmäßig verwendet haben. Ihnen soll die bereits geläufige Leistung bzw. Produkt oder Marke in neuer Form präsentiert werden, um einmal vorhandene Begehrlichkeit zu reaktivieren. Grundsätzlich ist bei der Unterscheidung zwischen Follow-up-, Rebrush- und RelaunchWerbung als Untervarianten der Expansionswerbung zu berücksichtigen, dass die Übergänge fließend sind und die jeweiligen Phasen abhängig von der Art des Produktes, der Markt- bzw. Branchenentwicklung zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzen und andauern können. 748 ESCH, 2005, S. 145 f. ; HAEDRICH/TOMCZAK, 1990; TROMMSDORFF, 2002, S. 357 ff.; TOMCZAK/REINECKE/KAETZKE, 2002, S. 479 749 TROMMSDORFF, 2002, S. 362 f. 262 Oftmals ist es nach Aussage einiger befragter Experten auch so, dass statt eines notwendigen Relaunchs des Kernproduktes diverse line extensions (z. B. neue Geschmacks- oder Größenvarianten eines Produktes) auf Produktebene initiiert werden, um die Marktposition in Summe zu stabilisieren. Damit werde der Stagnationsprozess von Leistung und Marke jedoch nur verschleiert und im schlimmsten Fall ein ungesteuerter Kannibalisierungsprozess in Gang gesetzt. Neben der bereits diskutierten Abgrenzungsproblematik zwischen „Leistungspflege“ und „Leistungsinnovation“ verdeutlicht die notwendige Ausdifferenzierung des Archetyps Expansionswerbung eine weitere Unschärfe in der Produkt-Markt-Matrix von ANSOFF, nämlich die fehlende Differenzierung zwischen Neukunden, die erstmalig eine Produkt bzw. eine Leistung beziehen und Neukunden, die eine Leistung bzw. ein Produkt in der Vergangenheit bereits einmal oder mehrfach erworben haben, dies jedoch seit längerem nicht mehr tun und deshalb als „alte Neukunden“ gezielt zurückgewonnen werden sollen. Zur Relaunch-Werbung als Untervariante der Expansionswerbung zählen Kampagnen, bei denen die kommunikative bzw. funktionale Leistungspflege dazu dient, in der Vergangenheit verloren gegangene Kunden (als Neukunden) zurückzugewinnen und damit einen in den Erfolgskennzahlen deutlichen Stagnationsprozess in einen nachhaltigen Wachstumsprozess zu drehen. Die Relaunch-Werbung gehört analog zur Launch-Werbung zu den im Sprachgebrauch der Werbepraxis gängigen Werbestrategien. Den zwei vorgestellten Kampagnenbeispielen zur Relaunch-Werbung (Balisto, Drei Wetter Taft) sind folgende Charakteristika gemeinsam: • Relaunch-Werbung hat einen besonderen, nahezu an die Einführungswerbung heranreichenden, strategischen Stellenwert in der Marketingstrategie der jeweiligen Unternehmen. Dies resultiert aus dem in der Regel hohen und kapitalintensiven Entwicklungsaufwand sowie einer absolut prioritären Bedeutung im Marketing-Mix des jeweiligen Produktes bzw. der jeweiligen Leistung. • Daraus resultierend wird für Relaunch-Werbung ein im Verhältnis zum Gesamtbudget und den übrigen Kampagnen überproportional hohes Kommunikations- wie auch Mediawerbungs-Budget eingesetzt, das jedoch tendenziell unter dem für Einführungswerbung liegt. • Mediawerbung hat - analog der Einführungswerbung - zur breiten Penetration der Relaunch-Botschaft eine sehr große Bedeutung. • TV wird als strategisches Kampagnen-Leitmedium eingesetzt und dominiert in der Regel auch den Budgeteinsatz (Ausnahme Balisto). • Die Rückgewinnung von Relevanz und Präferenz auf Basis eines deutlichen Imageshifts sind die zentralen Kommunikationsziele der Relaunch-Werbung. 263 • Die Positionierung ist substantiell verändert. Daraus resultiert eine neue Werbebotschaft. • Es findet eine deutliche Abkehr von den bisherigen Copy-Elementen statt mit Ausnahme der Corporate Identity (Markenlogo, Claim). Indikatoren Ausprägung Budget Überdurchschnittliches Budget Media-Mix Sehr hoher Stellenwert von Mediawerbung, Leitmedium TV Kommunikative Ziele Imagekorektur, Awareness Positionierung u. Botschaft Deutliche Modifikation gegenüber der Einführungswerbung Copy Deutlicher Bruch mit traditionellen Gestaltungselementen Abbildung 63: Charakteristika des Archetypus Relaunch-Werbung Quelle: Eigene Darstellung 7.2.3 Schlussfolgerungen für den Archetyp Loyalitätswerbung Zwar konnten vier Kampagnenbeispiele für Loyalitätswerbung identifiziert und analysiert werden (T-Com, McDonald’s, Sparkasse), jedoch fällt auf, dass dieser Archetyp im Vergleich zur Einführungs- oder Expansionswerbung bzw. deren Varianten Follow-up-, Rebrush- und Relaunch-Werbung deutlich seltener zum Einsatz kommt und dementsprechend vielen Befragten als Begrifflichkeit plausibel, aber nicht gängig erschien. Dies ist sicherlich – trotz aller gegenteiligen Behauptungen – im in der Unternehmenspraxis immer noch disproportionalen Stellenwert der Bindung bestehender Kunden gegenüber der Akquisition von Neukunden begründet.750 So wird das Ziel der Kunden-Loyalisierung häufig verwässert durch die geplante Parallelansprache von Neukunden. Die Konsequenz daraus ist: Zwischen den beschriebenen expansiven Werbestrategien Follow-up-, Rebrush-, und Relaunch-Werbung mit unterschiedlich stark ausgeprägten loyalisierenden Teilzielen und der Loyalitätswerbung mit einer anteiligen Neukundenansprache bestehen zwangsläufig Überlappungen. Ein maßgeblicher Grund dafür liegt jedoch sicherlich im Untersuchungsfokus auf massenmediale Kommunikation, die per se nicht zielgruppenpräzise (im Hinblick auf Bestands- vs. Neukunden) sein kann. Ein weiterer Grund für die fehlende Resonanz bei den Praktikern ist jedoch auch, dass Loyalisierungsmaßnahmen sich häufig auf punktuelle taktische Maßnahmen beschränken, die vorrangig direkt im Vertrieb, der Verkaufsförderung (z. B. durch Couponing) oder des DirektMarketing stattfinden und nur selten auch werblich in Form einer breit angelegten MediaKampagne begleitet werden.751 Wenn dies geschieht, dann weil der Adressatenkreis entsprechend groß ist und es zudem – aus Gründen der Marktstruktur - keine direkten Endkundenkontakte auf Basis entsprechender Kontaktdaten gibt. Dies trifft auf die vorgestellten Kampagnen zu Bertolli, McDonald’s als Franchise-Unternehmen und den Sparkassen-Verbund als Dachorganisation sowie auf die Mehrheit der Automobil-Hersteller (Volkswagen, Ford, Toyota) zu. 750 751 UEBEL/HELMKE/DANGELMAIER, 2004, S. 11 ff. HIPPNER/WILDE, 2006, S. 5 ff. 264 Auffällig ist, dass darüber hinaus größere mediale Loyalisierungskampagnen vor allem dann initiiert werden, wenn Monopol- bzw. Quasi-Monopolpositionen beendet werden bzw. ihre Beendigung droht. Dazu gehört die vorgestellte Fallstudie T-Com des Ex-Monopolisten Deutsche Telekom. Weitere Beispiele finden sich auch unter den im Zuge der StrommarktLiberalisierung erstmalig entstandenen zahlreichen Endkundenkampagnen der Energieversorger. Ein Beispiel für eine quasi präventive Loyalisierungskampagne ist die PostbotenKampagne von Deutsche Post WorldNet, in der die traditionelle Qualität und Zuverlässigkeit des Postzustelldienstes des Noch-Monopolisten – in Abgrenzung zu den sich formierenden privaten Wettbewerbern beworben wird.752 Die vorgestellten Kampagnenbeispiele zur Loyalitätswerbung (T-Com, McDonald’s, Sparkasse) weisen folgende Charakteristika auf: • Loyalitätswerbung hat einen der Einführungswerbung vergleichbar hohen Stellenwert in der Marketingstrategie des jeweiligen Unternehmens bzw. im jeweiligen Marketing-Mix. Die Erklärung dafür könnte sein: Wenn generell eher taktisch motivierte flankierende Loyalisierungsmaßnahmen einen eigenen Kampagnenstatus erreichen, ist eine hohe strategische Relevanz die Voraussetzung dafür. • Daraus resultierend wird für Loyalitätswerbung ein im Verhältnis zum Gesamtbudget und den übrigen Kampagnen eher überproportionales Kommunikations- wie auch Mediawerbungsbudget eingesetzt. • Mediawerbung hat gegenüber anderen Kommunikationsinstrumenten einen unterproportional strategischen und budgetären Stellenwert. • Für Loyalitätswerbung wird TV zwar als strategisches Kampagnenleitmedium eingesetzt, wobei dieses Instrument aber nicht (immer) den höchsten Anteil am Budget haben muss. Dagegen haben nicht-mediale Kommunikationsinstrumente wie Direkt-Marketing oder Verkaufsförderungs-Maßnahmen eine deutlich strategische und budgetäre Relevanz. • Als zentrale Kommunikationsziele stehen bei der Loyalitätswerbung die Stabilisierung bzw. Rückgewinnung von Relevanz- und Präferenzwerten im Fokus. • Im Hinblick auf die Positionierung und die daraus abgeleitete Werbebotschaft besteht bei der Loyalitätswerbung eine hohe Varianz. Loyalisierungsmaßnahmen in Verbindung mit einer Repositionierung (Kampagnenbeispiele Sparkasse, T-Com) –vergleichbar der Rebrush-Werbung – weisen entsprechend deutlicher Konsistenz zur bisherigen Werbekommunikation auf als Loyalisierungswerbung, die bewusst auf das bestehende, starke Markenprofil setzt (Kampagnenbeispiele McDonald’s). • Überwiegend werden etablierte Gestaltungselemente im Sinne einer hohen Wiedererkennbarkeit eingesetzt, wobei der Umfang vom Reifegrad der beworbenen Leistung und dem daraus resultierenden Veränderungsbedarf (analog der Rebrush-Werbung) abhängt. Testimonials haben für Loyalitätswerbung keine bzw. nur geringe Relevanz. 752 DEUTSCHE POST WORLD NET, 2007 265 Indikatoren Budget Media-Mix Kommunikative Ziele Positionierung u. Botschaft Ausprägung Gegenüber allen anderen Archetypen eher durchschnittlich Geringerer Stellenwert von Mediawerbung, Leitmedium TV Relevanz, Präferenz Sehr unterschiedliche Konsistenzgrade abhängig von der Marketingsituation und dem Reifegrad der beworbenen Leistung Copy Wiederverwendung etablierter Gestaltungselemente, geringe Relevanz von Testimonials Abbildung 64: Charakteristika des Archetypus Loyalitätswerbung Quelle: Eigene Darstellung Die im Gegensatz zur Einführungs- und Expansionswerbung fehlende Relevanz von Testimonials wurden von den befragten Experten in folgender Weise begründet: • Testimonials können in der Regel ein Produkt erfolgreich bekannt machen oder zu einer aktualisierten Wahrnehmung beitragen, jedoch vertreten sie (gerade wenn es sich um Prominenten handelt) selten glaubhaft eine enge und lange Beziehung zu einem Produkt bzw. einer Werbung. • Testimonials werden, gerade wenn sie bereits sehr erfolgreich für ein Produkt geworben haben, sehr teuer. Der kommunikative Zugewinn resultierend aus ihrer weiteren Verpflichtung steht dann häufig in keinem effizienten Verhältnis zum Kostenaufwand. Diese Aussagen stehen allerdings z. T. im Widerspruch zur Kampagnenpraxis, in der beispielsweise der TV-Moderator Thomas Gottschalk bereits seit 14 Jahren für den Süßwarenhersteller Haribo wirbt und damit einen Guiness-Rekord für das „längste Werbeverhältnis zwischen einem Testimonial und einem werbetreibenden Unternehmen“ aufgestellt hat.753 Die Überlappung von Loyalitätswerbung mit den drei expansiven Archetypen zeigt sich auch konzeptionell-kreativ. So ist die McDonald’s-Kampagne in ihrer konzeptionellen sowie formell-kreativen Stringenz der Follow-up-Werbung sehr ähnlich. Der Image-Shift der Sparkassen-Kampagne kommt den Charakteristika einer Rebrush-Werbung nahe. Die T-ComKampagne hat dagegen in ihrer radikalen Umsetzung fast die Qualität einer RelaunchWerbung. Dennoch erscheint die Loyalitätswerbung als eigenständiger Archetyp sinnvoll, da die ihr zugrundeliegenden Zielsetzungen sich deutlich von denen der übrigen Archetypen unterscheiden. Zu berücksichtigen ist zudem, dass das unklarer erscheinende Profil des Archetypus Loyalitätswerbung maßgeblich dem Untersuchungsfokus auf massenmediale Werbung geschuldet ist. So wurden häufig von den befragten Kampagnenverantwortlichen Loyalisie753 NETZEITUNG , 2006, Ausgabe vom 12. Januar 266 rungseffekte als erweitertes Kampagnenziel genannt, ohne dass diese jedoch in der Zielplanung spezifiziert wurden. Eine Ausweitung der empirischen Prüfung auf weitere Kommunikationsinstrumente (insbesondere Verkaufsförderung und Point-of-Sale-Maßnahmen) würde wahrscheinlich ein prägnanteres Bild dieses Archetyps ergeben. 7.3 Kompetenzen – Voraussetzungen für den Konsistenz-Fit Abgeleitete Forschungsfrage: „Welche Kompetenzen beeinflussen die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung von Werbestrategien?“ Die Untersuchungsergebnisse (siehe dazu ausführlich Kapitel 6.2) zeigen eine Reihe von Faktoren auf, die sowohl als Kompetenzen auf der Unternehmens- wie auf der Mitarbeiterebene die Entwicklung erfolgreicher Werbestrategien maßgeblich beeinflussen (siehe Abbildung). Unternehmensebene: Strukturell-organisatorische Kompetenzen • Institutionalisierter Planungs-, Abstimmungs- und Entscheidungsprozess • Umfassende, strategiegeleitete, konsistente, iterative, mehrstufige Vorgehensweise • Integrierte Kommunikationsorganisation • Strategiegeleitete Budgetplanung • Planning-Ressourcen und multidisziplinäre Experten-Teams • Personelle Kontinuität und fixierte Arbeitsprofile • Langfristige Partnerschaft zwischen Unternehmen und Dienstleistern • Leistungsgerechte Vergütung • Kommunikationssynchrone Vertriebsarbeit Mitarbeiterebene: Personell-kulturelle Kompetenzen • • • • • • • Kreativität Analysefähigkeit und StrategieKompetenz Beherrschung von ProjektmanagementTechniken Kommunikations-, Kooperations- und Integrationsfähigkeit und -bereitschaft: Fähigkeit zur Risikoreduktion Risikobereitschaft Fähigkeit zur Fokussierung Abbildung 65: Notwendige Kompetenzen Quelle: Eigene Darstellung Eine Reihe der skizzierten Grundprobleme in Verbindung mit den dazu komplementären Lösungsansätzen gleichen grundsätzlich denen komplexer, interdisziplinärer Projekte in anderen Branchen und Bereichen754, wobei jedoch bestimmte Ausprägungen spezifisch sind. Dazu ge- 754 Vgl. BOHINC, 2006; LITKE, 2007; KRAUS/WESTERMANN, 1998; KESSLER/WINKELHOFER, 2007 267 hört auf Unternehmensebene insbesondere der institutionelle Integrationsgrad der unterschiedlichen Kommunikationsdisziplinen und ihrer entsprechenden Leistungsträger sowie auf Mitarbeiterebene die Bedeutung von Kreativität in Verbindung mit einer entsprechenden Risikobereitschaft. Damit ergibt sich aus der Untersuchung ein erstes Grundgerüst, das in der Folgeforschung – insbesondere im Hinblick auf die Interdependenzen zwischen einzelnen Kompetenzen – analysiert werden muss. 7.4 Zwischenfazit: Erkenntnisgewinn Insgesamt wurde mit der vorliegenden Untersuchung folgender Erkenntnisfortschritt gegenüber dem bisherigen Forschungsstand erreicht: • Eine Konsolidierung und Weiterentwicklung bestehender Ansätze zur Systematisierung von Werbestrategien (insbesondere die von BIDLINGMAIER, KROEBER-RIEL und ESCH sowie BRUHN) auf Basis der ANSOFFSCHEN Produkt-Markt-Matrix als Ordnungsrahmen sowie unter Berücksichtigung bekannter Begriffe und Konzepte im Markenund Produktmanagement755 zu einem Modell aufgabenorientierter Werbestrategien; • Eine erste explorative Detaillierung der Modellskizze auf Basis von 16 KampagnenFallstudien mit entsprechenden Implikationen für die Werbestrategie-Archetypen; • Eine Identifizierung modellrelevanter Indikatoren (Budget, Media-Mix, Positionierung, Werbebotschaft, Ziele, Copy) als Kernelemente einer Werbestrategie, die Analyse ihrer in Bezug auf die jeweiligen Archetypen charakteristischen Ausprägungen sowie eine erste Bewertung ihres Erklärungswertes und Berücksichtigung des Involvementcharakters der beworbenen Produkte. Im nachfolgenden Kapitel 8.1 werden auf dieser Grundlage die grundsätzlichen Einschränkungen zu den jeweiligen Erkenntnissen diskutiert und der entsprechende weitere Forschungsbedarf (Kapitel 8.2) aufgezeigt. In Kapitel 8.3 wird dann gemäß der festgestellten Defizite in den Kapiteln 2.4 und 3.4 abschließend ein Entwurf für ein ideales Werbeplanungs-Prozessmodell skizziert, in das die aufgabenorientierten Werbestrategien als Kernelement integriert sind. 755 Stellvertretend vor allem BECKER, 2007; BURMANN/MEFFERT, 2007, ESCH, 2007 268 8. Fazit 8.1 Limitationen Grundsätzlich ist an der vorliegenden Untersuchung ihr explorativer Charakter mit den entsprechenden möglichen Defiziten im Hinblick auf Repräsentativität und Validität kritisch zu bewerten.756 Wie jedoch in Kapitel 5 umfassend dargestellt wird, bedingt die theoretische Ausgangslage ein qualitatives Vorgehen, um zunächst zu einem tauglichen Modell aufgabenorientierter Werbestrategien zu gelangen, das dann nachfolgend auch quantitativ überprüft werden kann. Limitationen im Hinblick auf die Aussagekraft und Gültigkeit der Untersuchungsergebnisse bestehen konkret in vierfacher Hinsicht: 1. Ausreichende Repräsentativität im Hinblick auf das Auswahlprinzip; 2. Vollständigkeit und Objektivität der erfassten Daten; 3. Kausalität des kommunikativen Erfolges im Hinblick auf den Mediafokus; 4. die Intra- und Interkonsistenz von Werbestrategien. Ausreichende Repräsentativität im Hinblick auf das Auswahlprinzip Wie in der Erörterung der Forschungsmethodik (siehe Kapitel 4) dokumentiert, erfolgte die Kampagnenauswahl auf Basis der Top 50 der deutschen Unternehmen mit den höchsten Werbeausgaben im Geschäftsjahr 2006 (siehe Anlage) in Verbindung mit einem best practiceapproach. Die Begründung dafür ist die Annahme, dass ein – proportional und absolut betrachtet – maximaler Kapitaleinsatz für Werbemaßnahmen positiv mit dem Know-How, der Relevanz und Professionalität zum Thema Werbekommunikation in den entsprechenden Unternehmen korreliert. Der Best Practice-Approach korreliert mit dieser Annahme in der Weise, dass nach dem Prinzip „Von den Besten lernen“ vorrangig Beispiele erfolgreicher Kommunikation analysiert werden, um die ihnen gemeinsamen – nicht situativ und strukturbedingten – Erfolgsprinzipien zu identifizieren. Kritisch an diesem Auswahlprinzip ist folgendes zu bewerten: • Die Top 50 der Werbetreibenden in Deutschland wird dominiert von Konsumgüterherstellern (32 %). Anbieter von Dienstleistungen (insbesondere im Bereich Finanzen und Versicherungen) sind eher unterrepräsentiert, weil sie einen proportional kleineren Teil ihrer Marketing- bzw. Kommunikationsbudgets für/in Mediawerbung investieren. Gleichzeitig sind im Bereich der Werbetreibenden für High-Involvement-Produkte ausschließlich Au- 756 Vgl. dazu MAYRING, 2002, S. 9 269 tomobilproduzenten vertreten. Durch eine möglichst ausgewogene Auswahl von Fallstudien zu Kampagnen aus unterschiedlichen Branchen (siehe Kapitel 6.1) wurde versucht, diesem Rechnung zu tragen. • Das Auswahlprinzip lässt kleine und mittelständische Unternehmen unberücksichtigt. Damit wird ihren – möglicherweise spezifischen - Werbemaßnahmen gerade unter dem Einfluss kleinerer Werbebudgets nicht Rechnung getragen. • Der Best Practice-Approach fördert potentiell eine Erfolgsdarstellung der entsprechenden Kampagnen im Sinne einer Post-Rationalisierung: Unter der „Überschrift“ Best Practice wird jeder Kampagnenaspekt gegebenenfalls in Richtung Erfolg umgedeutet. Vollständigkeit und Objektivität der erfassten Daten Ebenso ist die Vollständigkeit und Objektivität der Befragungsergebnisse grundsätzlich kritisch zu hinterfragen. Durch die Wahl von leitfadenbasierten Face-to-Face-Interviews als Forschungsmethodik, die Gestaltung des Leitfadens (die Integration von Kontrollfragen) sowie die Befragung mehrerer Verantwortlicher und Experten (Fachjournalisten, Wettbewerber) zu einer Kampagne wurde zwar eine möglichst umfassende und kritisch-differenzierte Analyse und Bewertung angestrebt. Letztlich bleibt jedoch im Hinblick auf den Forschungsgegenstand und das Thema die Problematik bestehen, dass der kommunikative Werbeerfolg im Hinblick auf gängige Erfolgsgrößen wie gestützte/ungestützte Bekanntheit und Präferenz zwar grundsätzlich objektiv erfassbar ist, die kampagnenbezogene Operationalisierung (Auswahl der für die Kampagne relevanten Erfolgsgrößen, Bestimmung angemessener Zielwerte) aber subjektiv bleibt. Diese subjektive Zielvorgabe ist allerdings durch interne und externe Plausbilitätsprüfungen (Vergleich mit anderen Kampagnen des Unternehmens, Vergleich mit der Werbeaktivität der Wettbewerber) z. T. zumindest validier- und entsprechend differenzierbar. Maßgeblich erschwert wird dieser Prozess allerdings durch die offensichtlich gängige Praxis der PostRationalisierung, d.h. von den Werbeverantwortlichen werden zu den erzielten Erfolgen einer Kampagne nachträglich die passenden Zielarten und -größen definiert.757 Diese gängige Praxis ist nach Aussage von Dr. Henning von Vieregge, Geschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen, die permanente und größte Herausforderung der Experten-Jury zur Verleihung des Effie. Deshalb wurden bei den untersuchten Kampagnenbeispielen immer mehrere Experten befragt, um solche Mechanismen „aufzudecken“ und die realen Ursprungsdaten zu generieren. 757 Konkret wurde diese Praxis auch bei drei der untersuchten Kampagnen festgestellt, wo die Fallstudie zur Effie-Einreichung signfikant mehr Ziele und Erfolgskriterien enthielt, als zuvor in den verschiedenen Interviews dokumentiert worden waren. 270 Da insbesondere die Zielwerte stark von der Markt-, Wettbewerbs- sowie der Ausgangssituation des jeweiligen Unternehmens abhängig sind, fällt eine Bewertung von außen über angemessen ambitionierte Ziele und deren Erreichung deutlich schwerer. Dennoch wurde versucht, ein Maximum an Objektivität bei der Analyse der einzelnen Kampagnen durch die Einbeziehung externer Expertenmeinungen (Journalisten, Verbandsmitglieder, Marktforscher) sowie durch den Gesamtvergleich bzw. den spezifischen Wettbewerbsvergleich zu gewährleisten. Drei der untersuchten Kampagnen wiesen absatzpolitisch deutliche Cross-Selling-Ansätze auf (Bertolli, ING-DiBa und Sparkasse). Dennoch wurde die Idee von Cross-Selling-Werbung als eigenständigem Werbestrategie-Archetyp für absatzbezogene Mediawerbung, die sich an Endkonsumenten richtet (B-to-C), aufgrund der analysierten Fallbeispiele verworfen. Bei einer Ausweitung des Bezugsrahmens (insbesondere auf B-to-B-Werbung) wäre zu prüfen, ob diese Entscheidung ebenso Gültigkeit hat. Kausalität des kommunikativen Erfolges im Hinblick auf den Media-Fokus Wie im Methodenteil beschrieben lag der Fokus der Untersuchung auf Mediawerbung bzw. Media-dominierten Kampagnen. Dies ist insofern konsequent, weil Media bei den führenden Werbetreibenden die Mehrheit des Kommunikationsbudgets ausmacht. Dennoch ist kritisch zu hinterfragen, ob der in den Fallstudien dokumentierte kommunikative Erfolg ausschließlich bzw. mehrheitlich der Einsatz von Media-Instrumenten zur Werbekommunikation zuzuschreiben ist oder inwiefern auch andere Kommunikationsinstrumente wie zum Beispiel Verkaufsförderungsmaßnahmen oder Event-Marketing einen Einfluss hatten. Außerdem zeigt sich im Hinblick auf den Archetypus Loyalitätswerbung die besondere Relevanz von nichtmassenmedialen Kommunikationsinstrumenten. 8.2 Weiterer Forschungsbedarf Aus den skizzierten Limitationen leitet sich weiterer Forschungsbedarf auf zwei Ebenen in insgesamt vierfacher Weise ab: Horizontal: • Ausweitung der empirischen Untersuchungsbasis; • Ausweitung des inhaltlichen Spektrums. Vertikal: • Vertiefung auf Basis konkreter Anwendungsbeispiele; 271 • Vertiefung im Hinblick auf die benötigten Kompetenzen. Ausweitung der empirischen Untersuchungsbasis Nachdem in der vorliegenden Untersuchung quasi explorativ Kerntypen aufgabenorientierter Werbestrategien identifiziert wurden, müssten im nächsten Schritt diese Kerntypen auf breiterer Datenbasis auf Basis eines quantitativen Methodenansatzes (z. B. Befragung) validiert werden. Zentrales Ziel wäre dabei, die Gültigkeit der identifizierten Archetypen zu überprüfen. Dabei wäre insbesondere der bereits belegte Einflusscharakter des Involvementgrades gegenüber den Indikatoren zu präzisieren und der Erklärungswert der einzelnen Indikatoren im Hinblick auf die Archetypen zu detaillieren. Die Intra- und Interkonsistenz von Werbestrategien Zur weiteren Forschungsperspektive gehört auch die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen dem kommunikativen Erfolg einer Kampagne und dem Grad ihrer Übereinstimmung mit einem der vier Werbestrategie-Archetypen besteht. Voraussetzung dafür ist eine breitere empirische Basis, die auch Kampagnenbeispiele einschließt, die aufgrund einer objektiven Bewertung die gesetzten Ziele nicht erreicht haben, somit als wenig oder gar nicht erfolgreich waren. Daran schließt auch die Frage der Interkonsistenz zwischen Werbe- und Marketingstrategie an. Eine entsprechende forschungsleitende Fragestellung könnte lauten: „Besteht ein Zusammenhang zwischen dem kommunikativen Erfolg einer Kampagne und dem Grad ihrer Übereinstimmung mit der zugrunde liegenden Marketingstrategie.“ Theoretische Basis zur Typologisierung der Marketingstrategien könnte der beschriebene aufgabenorientierte Ansatz von TOMCZAK ET AL.758 sein. In der nachfolgenden Abbildung sind den jeweiligen Kampagnen die entsprechenden Kernaufgabentypen zugeordnet. Diese Marketing-Kernaufgabentypen wären nachfolgend in Bezug zu den jeweiligen Werbestrategie-Archetypen zu setzen. Natürlich ist es in der Praxis denkbar, dass die Werbekommunikation eines Unternehmens – analog zu seinen Marketing-Kernaufgaben – mehrere Aufgaben zu erfüllen hat. Dies wäre bei der von REINECKE und TOMCZAK beschriebenen Typologie des „Mehrkämpfers“ zwangsläufig der Fall. So sind theoretisch 16 verschiedene Profil-Kombinationen denkbar. Im Hinblick auf die konkrete Umsetzung ergibt sich angesichts mehrerer Kombinationen zwangsläufig der Bedarf nach mehreren Kampagnen pro Aufgabe oder die Anforderungen an eine Kampagne, die mehrere Aufgaben zu erfüllen hat, wachsen deutlich. Dennoch ist davon auszugehen, dass es im Hinblick auf das Untersuchungsobjekt „Werbekampagne“ eine SchwerpunktAufgabe gibt, die diese Kampagne für eine bestimmte Leistung erbringen soll. Dementsprechend ist die Ableitungsgröße der aufgabenorientierten Werbestrategien nicht die Marketing758 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 28 f. 272 strategie des Unternehmens bzw. der selbständigen Geschäftseinheit insgesamt, sondern die einzelne Produkt- bzw. Dienstleistungs-Marketingstrategie. Leistung/Marke Audi Q7 Balisto Bertolli BILDmobil Dove pro•age Drei Wetter Taft Eucerin Gillette Fusion ING-DiBa Mc Donalds Dr. Oetker Paula Sparkasse T-Com Rama Cremefine Touareg VW Golf Kunden-Fokus Kundenakquisition Kundenakquisition Kundenbindung Kundenakquisition Kundenakquisition Kundenakquisition Kundenakquisition Kundenbindung Kundenbindung Kundenbindung Kundenakquisition Kundenbindung Kundenbindung Kundenakquisition Kundenakquisition Kundenakquisition Leistungs-Fokus Leistungsinnovation Leistungspflege Leistungspflege Leistungsinnovation Leistungspflege Leistungspflege Leistungsinnovation Leistungspflege Leistungspflege Leistungspflege Leistungspflege Leistungspflege Leistungspflege Leistungsinnovation Leistungsinnovation Leistungspflege MarketingKernaufgaben-Typ Trendsetter Multiplizierer Potentialausschöpfer Trendsetter Multiplizierer Multiplizierer Trendsetter Potentialausschöpfer Potentialausschöpfer Potentialausschöpfer Multiplizierer Potentialausschöpfer Potentialausschöpfer Trendsetter Trendsetter Multiplizierer Abbildung 66: Übersicht Fallstudien nach Marketingaufgaben-Typologien Quelle: Eigene Darstellung Auch hierfür wird neben einer entsprechenden Fallzahl eine ausreichende Zahl von weniger erfolgreichen beziehungsweise erfolgslosen Werbekampagnen benötigt, um zu einer ausreichenden Plausibilität zu kommen. Darüber hinaus sollte die weitere Forschung – analog zu den Typen von Kernaufgabenprofilen von TOMCZAK und REINECKE759 – zu Aussagen über ihre Häufigkeit und Relevanz zu kommen. Ebenso ist der bereits festgestellte Zusammenhang zwischen kommunikativen Erfolg und einer Inter- bzw. Intrakonsistenz im Detail weiter zu prüfen. Durch die Ausweitung der Untersuchungsbasis könnte auch die Gegenprobe zum gewählten Best-Practice-Ansatz gemacht werden, denn mit der Zahl der nach einem Zufallsprinzip ausgewählten Fälle würde die Wahrscheinlichkeit steigen, auch Kampagnen zu erfassen, deren kommunikativer Erfolg deutlich von den gesteckten Zielen abgewichen ist. Damit würde die Datenvarianz und somit der Erklärungswert des Modells signifikant steigen. Neben der Repräsentativität und Validität ist auch die Universalität des explorierten Modells kritisch zu bewerten. Die Datenbasis wurde ausschließlich im deutschen Werbemarkt generiert. Über gültige Ableitungen für andere Märkte kann nur spekuliert werden. Dementsprechend wäre eine weitere Forschungsperspektive die geografische Ausweitung der Untersuchung. Denkbar wäre z. B., im nächsten Schritt Kampagnen aus mehreren europäischen Län759 TOMCZAK/REINECKE/MÜHLMEIER, 2007, S. 28 ff. 273 dern zu untersuchen, um somit kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Alternativ könnten in einer Untersuchung die deutschen bzw. europäischen Kampagnen US-amerikanischen gegenübergestellt werden. Ausweitung des inhaltlichen Spektrums Die untersuchten Kampagnenbeispiele illustrieren anschaulich die sinkende Bedeutung einer Mono-Media-Strategie (mit Fokus auf TV-Werbung) in der deutschen Werbekommunikation und die wachsende Bedeutung weiterer Werbeinstrumente wie insbesondere der Onlineinstrumente (siehe insbesondere die Fallstudie zum VW Golf) sowie nicht-medialer Kommunikationsinstrumente (siehe insbesondere Eucerin, ING-DiBa). Dieser wachsenden Bedeutung ist in der Beschreibung der Fälle Rechnung getragen worden, indem fallbezogen auf besondere Aktivität u.a. in den Bereichen PR und Verkaufsförderung eingegangen wurde. Insbesondere die untersuchten Fallstudien zum Archetypus Loyalitätswerbung zeigen die strategische Bedeutung von Nicht-Media-Werbekommunikation auf. Dementsprechend erscheint es sinnvoll, in einem nächsten Forschungsschritt das vorliegende Modell aufgabenorientierter Werbestrategien auch im Hinblick auf seine Gültigkeit für die übrigen Kommunikationsinstrumente systematisch zu überprüfen und insofern das Untersuchungsspektrum horizontal zu erweitern. Vertiefung auf Basis konkreter Anwendungsbeispiele Der vorliegenden Arbeit lag der Anspruch hoher Praxis-Relevanz zugrunde, weshalb auch im Sinne eines maximalen Transferpotentials ein Best Practice-Approach gewählt wurde. Auf Grundlage des Konzeptes der Aktionsforschung760 und nach dem Primat der Gestaltungsaufgabe nach ULRICH761 könnte in einem nächsten Forschungsschritt anhand eines vollständigen Kampagnen-Planungsprozesses für mehrere Unternehmen die Praxistauglichkeit des Modells aufgabenorientierter Werbestrategien weiter falsifiziert werden. Eine solche praktische Übung würde noch deutlicher und differenzierter aufzeigen, welche Voraussetzungen auf Seiten des Unterernehmens sowie der beteiligten Mitarbeiter notwendig sind. Vertiefung im Hinblick auf die benötigten Kompetenzen Ein zentrales Element im Theorem, das dem Modell aufgabenorientierter Werbestrategien von TOMCZAK und REINECKE zugrunde liegt, sind die spezifischen Kompetenzen, die für die erfolgreiche Bearbeitung der vier Kernaufgaben im Marketing notwendig sind. Die Frage der benötigten Kompetenzen bei der Entwicklung und Umsetzung aufgabenorientierter Werbestrategien war in der vorliegenden Untersuchung nur ein Teilaspekt. Die generierten Erkennt760 761 KÜHN/GRÜNIG, 1986, S. 22; KROMREY, 2000, S. 515 ff. ULRICH, 1981, S.14 274 nisse liefern die Basis für eine empirische Vertiefung. Besonderer Forschungsbedarf besteht im Bereich der strukturellen Voraussetzungen (u.a. Ausbildungshintergrund, Jobprofile, Organisationsmodelle im Werbeplanungs-Management der Unternehmen und ihrer Dienstleister) und Rahmenbedingungen (Arbeitsprozess mit dem Kunden, Vergütungsmodelle etc.). Während es für die USA und England bereits zahlreiche Publikationen und insbesondere empirische Untersuchungen762 zu diesem Themenbereich gibt – vor allem zum Aufgabenfeld und Stellenwert des für die Werbestrategie verantwortlichen Account-Plannings auf Agenturseite – bestehen für den deutschen und europäischen Werbemarkt über die allgemeine Darstellung von Berufsbildern und Ausbildungswegen763 hinausgehend noch erhebliche Forschungslücken. 8.3 Idealtypisches Werbeplanungsmodell für die Werbepraxis Die Ergebnisse der Experten-Interviews zu den notwendigen Kompetenzen als Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz des Modells aufgabenorientierter Werbestrategien (siehe Kapitel 6.2) haben u.a. ergeben: • Es gibt in der Werbepraxis immer noch deutliche Effizienz- und Effektivitätsdefizite, insbesondere im strategischen Planungsbereich; • Die Ursache dafür liegt dafür u.a. in unzureichend definierten Ablauf- und Prozessstrukturen in Verbindung mit einer unklaren Verteilung von Ressourcen und Kompetenzen. Damit wird der in Kapitel 2.3 angenommene Bedarf eines praxistauglichen Werbeplanungsmodells bestätigt. Wie in Kapitel 2.3 skizziert, weisen die bislang veröffentlichten Prozessmodelle zur Werbeplanung deutliche Defizite auf. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist dabei die fehlende Stringenz der Modelle in Verbindung mit einer z. T. hohen phasenbezogenen Kleinteiligkeit. Um zu einem besseren Ablaufmodell zu kommen, bietet sich der Transfer aus anderen Theoriekontexten an. Hier bieten sich konkret das Projektmanagement und insbesondere das EDVProjektmanagement an. Denn bei der Einführung einer neuen Software geht es analog zur Werbekampagne um ein Projekt mit analytischen, konzeptionellen und gestalterischen Elementen. So gliedert sich ein exemplarischer Projektstrukturplan für ein Software-Projekt in folgende Phasen: Ist-Analyse, Soll-Konzept, Design und Realisierung, Test, Implementierung und Schulung.764 762 MORRISON/HALEY, 2006, S. 129; BARRY/PETERSON/TODD, 1987, S. 17; HACKLEY, 2003a, S. 239; STEEL, 1998, S. 89; ZAMBARDINO/GOODFELLOW, 2003, S. 432 763 WEESER-KRELL, 1987; KAMMERER, 2005 764 PATZAK/RATTAY, 2004, S. 154 275 Analog dazu erfolgt die Einteilung des Werbeplanungsprozesses in vier Phasen: 1. Analyse; 2. Strategie; 3. Konzeption; 4. Kontrolle. Budgetplan Werbestrategie Analyse xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxx xxx Strategie xxxxxx xxxxxx Mediaplan xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx Gestaltungsplan xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxx xxxxxx xxxxxx xxx xxxxxx xxx xxxxxx xxx xxxxxx xxx xxx Konzept Umsetzung Kontrolle Abbildung 67: Idealtypisches Ablaufmodell zur Werbeplanung Quelle: Eigene Darstellung Die Analysephase umfasst die in der einschlägigen Literatur empfohlenen Maßnahmen zur Situationsanalyse.765 Die Strategiephase (siehe Kapitel 3.2 Kernelemente der Werbestrategie) thematisiert zwar grundsätzlich bereits Themen der Konzeptphase, fixiert jedoch nur Eckpunkte, um eine generelle „Stoßrichtung“ vorzugeben. Dementsprechend werden auf Grundlage entsprechender Kernaussagen zu Budgetvolumen, Media-Mix und Copy-Strategie in der Konzeptphase, Detailkonzepte (Budgetplan, Mediaplan, Copy-Konzept) abgeleitet, die dann in der Umsetzungsphase (Werbemittelproduktion, -schaltung) operationalisiert werden. Die Kontrollphase ein durchgängiger Parallelprozess, wobei sich in jeder Arbeitsphase aus der Zwischenprüfung Erkenntnisse ergeben können, die quasi als iterative Schleifen zu einer Modifizierung der Vorstufen führen. Auf Basis dieses Phasenmodells wurden die identifizierten Kernelemente des Werbeplanungsprozesses (vgl. Kapitel 2.3) den jeweiligen Phasen zugeordnet und entsprechend spezifiziert. Aus den Einzelinterviews ergaben sich dabei zusätzliche Anregungen und Hinweise zur Bedeutung einzelner Elemente und ihrer notwendigen Ausgestaltung. Das entsprechend spezifizierte Phasenmodell wurde in den Expertenworkshops den Teilnehmern vorgestellt und insbesondere im Hinblick auf Vollständigkeit, Stringenz und Praxistaug- 765 BRUHN, 2005a, S. 323; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 47 ff., S. 86 ff. 276 lichkeit diskutiert. Entsprechende Hinweise und Anregungen wurden in das Modell eingearbeitet. Die spezifische Qualität des Prozessmodells besteht darin, dass bereits in der ersten Phase der Analyse strategiegeleitet vorgegangen wird. Somit wird vermieden, dass unsystematisch Daten um der Daten willen generiert werden und die Entwicklung einer konsistenten Werbestrategie bereits an der ineffizienten Bearbeitung dieser Daten scheitert. Die Umsetzung der Analyse-Phase erfolgt in zwei Stufen: 1. Stufe Grobanalyse: Bestimmung des zugrundeliegenden Werbestrategie-Archetypen; 2. Stufe Feinanalyse: Spezifizierung der Werbestrategie. Die Grobanalyse erfolgt auf Basis eines Entscheidungsbaums (siehe Abbildung). Die zentralen Filterfragen sind dabei folgende: 1. Welchen Innovationsgrad hat die beworbene Leistung bzw. das Produkt (neu/bestehend)? 2. An welche Kundengruppe soll die beworbene Leistung bzw. das Produkt vorrangig adressiert werden (Bestands-/Neukunden)? 3. Marken-/ Sortiments-/ Produktbezug bzw. Produkt-/ Leistungslebenszyklus: a. Bei der Einführung einer neuen Leistung/ Produkt: Wie groß ist die Nähe zum bestehenden Sortiment bzw. den Produkten und den Marken (Dachmarke, Sortimentsmarke/-n, Produktmarke-/n) des werbenden Unternehmens? Handelt es sich leistungs- bzw. markenbezogen um eine line extension oder eine Standalone-Einführung? b. Bei der Pflege von bestehenden Leistungen/ Produkten: Wo steht die Leistung/ das Produkt aktuell im Lebenszyklus? Welchen Reifegrad hat es? Ist die werbliche Kommunikation mit einer Veränderung der funktionalen Eigenschaften des Produktes verbunden? Wird eine kommunikative Veränderung angestrebt? 4. Welchen Involvementcharakter (hoch, niedrig) hat die beworbene Leistung bzw. das Produkt? Aus dieser Grobanalyse ergibt sich eine Zuordnung der geplanten Werbekommunikation zu einem der drei Werbestrategie-Archetypen bzw. deren Untervarianten. Die Aussage über den Involvementcharakter des beworbenen Produktes gibt zusätzliche Hinweise auf die Ausprägung der jeweiligen Kernelemente (z. B. Media-Mix). Zusätzlich zu diesen Kernelementen sind situative Elemente zu berücksichtigen wie beispielsweise das einmalige Ereignis einer Fußballweltmeisterschaft in Deutschland als zentraler Bestandteil der T-Com-Kampagne. 277 Analyse-Perspektiven Kernelemente der Werbestrategie Unternehmen Stellenwert der Mediawerbung Produkt/Leistung Wahl des Leitmediums Zielgruppe Kommunikative Werbeziele Markt Positionierung, Werbebotschaft und Copy Wettbewerb Abbildung 68: Analyseebenen zur Werbestrategie-Entwicklung Quelle: Eigene Darstellung Davon ausgehend sind die allgemeinen Fragen der Werbeanalyse zu Markt, Kunden/ Zielgruppe, Produkt/ Leistung, dem Unternehmen sowie dem Wettbewerb766 z. T. entsprechend zu spezifizieren: Während die Fragen zu den Analyseperspektiven „Unternehmen“, „Markt“ und „Wettbewerb“ über alle Archetypen hinweg gleich sind, variieren sie zu den Bereichen „Produkt/ Leistung“ und „Zielgruppe“ deutlich. In der Anlage dieser Arbeit findet sich dazu eine entsprechende Handlungsanleitung, mit deren Hilfe für die einzelnen Archetypen und ihre Varianten anhand von Schlüsselfragen die Kampagnen-Strategie auf Grundlage des Modells aufgabenorientierter Werbestrategien ausgestaltet werden kann. Die Antworten auf diese spezifischen Leitfragen bilden die Grundlage für die Prüfung, Bestätigung oder ggf. Modifikation der sich aus der Archetypen-Zuordnung abgeleiteten Ausprägung der Werbestrategie-Kernelemente. So kann z. B. die Information über die besonderen Medien-Nutzungsgewohnheiten der anvisierten Zielgruppe dazu führen, dass Print statt TV das Leitmedium in einer Einführungswerbung ist. Diese Werbestrategie wird dann im gestaltenden Teil der nachfolgenden Werbekonzeptionsphase in den Bereichen Werbegestaltung und Mediaplanung detailliert. 766 BRUHN, 2005a, S. 323; SCHULTZ/BARNES, 1995, S. 47 ff., S. 86 ff. 278 8.4 Fazit und Ausblick In der vorliegenden Arbeit wurde auf Basis bestehender Ansätze zur Systematisierung von Werbestrategien ein Modell aufgabenorientierter Werbestrategien entwickelt, validiert und praxisbezogen dargestellt. Kernbestandteil dieses Modells aufgabenorientierter Werbestrategien sind drei Archetypen von Werbestrategien mit entsprechenden Untervarianten: 1. Einführungswerbung (Neumarken-Werbung, Line-Extension-Werbung), 2. Expansionswerbung (Follow-up-, Rebrush- und Relaunch-Werbung), 3. Loyalitätswerbung. Diese drei Archetypen unterscheiden sich signifikant im Hinblick auf den Charakter der beworbenen Leistung (Leistungspflege vs. Leistungsinnovation), den Zielgruppenfokus (Neuvs. Bestandskunden), die Höhe des Budgets, die kommunikativen Werbeziele, Positionierung und Werbebotschaft, den Stellenwert der Mediawerbung im Kommunikationsmix sowie die Wahl des Leitmediums. Das Modell aufgabenorientierter Werbestrategien soll sicherstellen, dass auf Basis der identifizierten Archetypen die definierten Marketing-Kernaufgaben eines Unternehmens konsistent und stringent in eine adäquate Werbekommunikation übersetzt werden. Auf Basis von 16 Fallstudien zu unterschiedlichen Media-dominierten Werbekampagnen deutscher Unternehmen verschiedener Branchen wurden die drei unterschiedlichen Archetypen in ihrer systematischen Zuordnung und ihren spezifischen Charakteristika definiert. Grundlage dafür waren Interviews mit unmittelbaren Kampagnenverantwortlichen auf Kunden- und Agenturseite sowie mit Wettbewerbern und unabhängigen Experten aus den Bereichen der Verbände sowie Fachpublizistik. Deren kampagnenspezifische Aussagen wurden im Rahmen von Experten-Workshops aus einer übergreifenden Perspektive kreuzvalidiert. Darüber hinaus wurde in der explorativen Untersuchung festgestellt, welche strukturellorganisatorischen und personell kulturellen Kompetenzen die Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung aufgabenorientierter Werbestrategien als Teil eines integrierten Kommunikationsmanagementprozesses bilden. Anhand der Kampagnenbeispiele wurde verdeutlicht, dass die verschiedenen Werbestrategiemodelle eher den Charakter von Denkprinzipien haben, in denen kreative Ausnahmen die Regel bestätigen, und sich der kommunikative Werberfolg einer Kampagne nicht in der Art vom Checklisten erarbeiten lässt. Im Fokus steht dagegen die Einheit von Marketingstrategie und Werbekommunikation. Die Untersuchungsergebnisse legen die Bedeutung dieser InterKonsistenz auf Basis einer hohen Übereinstimmung von Marketing-Kernaufgaben- und Werbestrategie-Typen nahe. Somit stellt das in dieser Arbeit entwickelte Modell aufgabenorientierter Werbestrategien sicher, dass die leistungs- bzw. produktbezogene Marketingstrategie analog zur Werbestrategie 279 entwickelt wird und damit die Grundlage für eine maximale Effektivität der eingesetzten Maßnahmen gewährleistet ist. Die Voraussetzung für die Relevanz und Wirksamkeit aller EffizienzOptimierungsmaßnahmen insbesondere im Mediabereich bildet die Entscheidung für die richtige Werbestrategie als Effektivitätsfrage. Das Modell aufgabenorientierter Werbestrategien bietet dafür den entsprechenden praxistauglichen Begriffs- und Definitionsrahmen. Angesichts des wachsenden Kapitaleinsatzes sowie der hohen Komplexität in Verbindung mit einer immer stärker globalen und multimedialen Werbekommunikation wird die Bedeutung von Werbestrategien als Teil eines systematischen Werbeplanungsprozesses steigen. Das hat entsprechende Konsequenzen für die notwendige Qualität der Arbeitsprozesse und insbesondere den Professionalitätsgrad der verantwortlichen Akteure. 280 Literaturverzeichnis AAKER, D.A. (1990). Brand Extensions: The Good, the Bad, and the Ugly, in: Sloan Management Review, Summer, S. 47-56. AAKER, D.A. (1992). Management des Markenwertes. Frankfurt am Main: Campus. AAKER, D.A./MYERS, J.G. (1982). Advertising Management. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall. AAKER, D.A./SHANSBY, J. (1982): Positioning Your Product, in: Business Horizons, 25, 3, S. 56-62. ABELL, D. F./HAMMOND, J. S. (1979). Strategic Marketing Planning. Problems and Analytical Approaches, Englewood Cliffs, New Jersey: Prentice Hall. ABRATT, R., COWAN, D. 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Advertising Audi AG** Nils Wollny, Strategic Planner kempertrautmann** Dr. Henning von Vieregge, Hauptgeschäftsführer GWA* Malte Dammann, Marketing Director Mars** Maren Jens, Strategic Planner Scholz & Friends Hamburg* Dr. Jörg Goll, JGM Unternehmensberatung u. Effie Jury-Mitglied* Christina Müller, Brand Manager Bertolli** Volker Schütz, Chefredaktion Horizont** Thomas Brindöpke, Projektleiter Werbung & Marketing BILD* Dr. Markus Dömer, Leiter BILD Merchandising* André Lascheit, Strategic Planner BBDO Berlin** Tanja Kindler, Brand Manager Dove* Illona Elspass, Accoutant Ogilvy Düsseldorf** Georg Lutter, Marketingleiter Eucerin* Wolfram Gollin, Werbeleiter Styling Henkel Schwarzkopf** Kristina Debiel, Beratung TBWA Düsseldorf** Georg Lutter, Marketingleiter Eucerin* Heike Brünjes, Beratung FCB** Dr. Jörg Goll, JGM Unternehmensberatung u. Effie Jury-Mitglied* Laura Posler, Brand Manager Gillette** Sandra Vent, Accountant BBDO Düsseldorf** Dr. Henning von Vieregge, Hauptgeschäftsführer GWA* Waltraud Niemann, Werbung/Kommunikation ING* Katharina Wiehrdt, Beratung Wüschner • Rohwer • Baier** Dr. Henning von Vieregge, Hauptgeschäftsführer GWA* Susan Schmidt, Department Head Marketing** Carina Eickmann, Beratung Heye & Partner** Stefan Krüger, Chefredaktion Werben & Verkaufen** Axel Kampmann. Marketing Manager Dr. Oetker** Karin Ferber, Group Accountant Director BBDO** Angela Wisken, Chefredaktion Lebensmittel Zeitung** Dr. Lothar Weissenberger, Leitung Werbung DSGV* Michael von Bach, Chef Planner Jung von Matt Hamburg* Sven Grümer, Marketing T-Com* Hans Albers, Geschäftsführung Tribal DDB** Dr. Henning von Vieregge, Hauptgeschäftsführer GWA* Anke Fydrich, Produktmanager Rama* Achim Rietze, Planner Jung von Matt Hamburg* Axel Kampmann. Marketing Manager Dr. Oetker** Veronika Ziegaus, Produktmarketing Volkswagen** Peter Stroeh Group Head Beratung Grabarz und Partner** Ralf Maltzen, Leiter Internetmarketing Volkswagen** Niklas Feuerle, Accountant DDB* Balisto Bertolli BILDmobil Dove pro•age Drei Wetter Taft Eucerin Gillette Mach5 ING-Diba Mc Donalds Dr. Oetker Paula Sparkasse T-Com Rama Cremefine Touareg VW Golf * Persönliches Interview, **telefonisches Interview Interviewdatum 19.11.07 20.11.07 21.11.07 26.10.07 12.11.07 20.11.07 4.05.07 3.05.07 19.11.07 19.11.07 20.11.07 5.11.07 7.11.07 6.12.07 17.12.07 21.12.07 6.12.07 6.12.07 20.11.07 18.12.07 19.12.07 21.11.07 23.11.07 27.11.07 21.11.07 2.06.07 3.6.07 9.7.07 14.11.07 16.11.07 17.10.07 29.10.07 1.11.07 9.11.07 12.11.07 21.11.07 12.11.07 19.11.07 14.11.07 2.4.07 1.11.07 5.12.07 6.12.07 Interviewdauer in Min. 60 75 180 120 90 180 80 70 100 100 45 80 50 90 140 60 90 40 180 50 110 180 135 70 180 55 45 40 100 70 50 140 130 140 70 180 80 190 100 35 55 110 125 311 Übersicht Top 50 Werbetreibende Unternehmen in Deutschland 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 Werbevolumen in Mio. € Unternehmen 2005,0 2006 Entw. Media-Markt/Saturn 454,4 396,8 -12,7% Lidl 359,1 346,2 -3,6% Unilever 325,6 2341,2 619,0% Procter & Gamble 304,1 293,5 -3,5% Aldi 275,7 263,8 -4,3% L'Oreal 275,4 222,5 -19,2% Axel Springer Verlag 242,8 275,7 13,6% Ferrero 242,4 245,4 1,2% Gruner+Jahr 184,2 158 -14,2% T-COM 169,7 99,6 -41,3% VW 168,6 188,5 11,8% Danone 168,0 143,1 -14,8% Beiersdorf 163,7 140,4 -14,2% C&A 152,6 173,5 13,7% DSGV 145,5 126,9 -12,8% Opel 15,3 153,8 905,2% Toyota 139,5 144,8 3,8% Reckitt Benckiser 137,8 162,5 17,9% DaimlerChrysler 133,0 107,7 -19,0% Mc Donalds 127,1 119,4 -6,1% T-Mobile 125,2 93,9 -25,0% Schlecker 122,1 90,7 -25,7% E-Plus 120,8 65,2 -46,0% Renault-Nissan 117,5 122,6 4,3% Mars 109,2 101,5 -7,1% Audi 105,4 63,3 -39,9% Ford 103,4 99,6 -3,7% Peugeot 98,8 93,5 -5,4% Gillette 95,8 58,4 -39,0% Coca-Cola 94,7 95,8 1,2% O2 93,7 82,3 -12,2% Citroen 88,8 90,3 1,7% Jamba 87,8 136,8 55,8% Kraft Foods 87,6 73,1 -16,6% WAZ 84,9 54,6 -35,7% Henkel 84,7 98,3 16,1% Tchibo 79,2 71,5 -9,7% Schwarzkopf & Henkell 79,1 68,1 -13,9% Vodafone 76,9 96,9 26,0% BMW 76,5 56,1 -26,7% Dr. Oetker 75,6 63,6 -15,9% Edeka 73,4 80,3 9,4% Karstadt 72,0 69,2 -3,9% Volksbanken Raiffeisen 71,8 65,7 -8,5% Heinrich Bauer Verlag 70,6 77,5 9,8% Müller Molkerei 70,1 77,5 10,6% Penny 69,8 113,3 62,3% Glaxo Smith Kline 69,7 51,7 -25,8% Rewe 68,2 34,3 -49,7% ING-DIBA 66,6 62,2 -6,6% Segmente Handel Konsumgüter Dienstleistungen Investitionsgüter Insgesamt Firmen 9 21 10 10 50 % Budget 18,0% 1466,1 42,0% 4975,9 20,0% 948,9 20,0% 1120,2 100,0% 8511,1 Branche Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Medien Konsumgüter Medien Dienstleistung Automobil Konsumgüter Konsumgüter Konsumgüter Dienstleistung Automobil Automobil Konsumgüter Automobil Dienstleistung Dienstleistung Dienstleistung Automobil Konsumgüter Automobil Automobil Automobil Konsumgüter Konsumgüter Dienstleistung Automobil Dienstleistung Konsumgüter Medien Konsumgüter Konsumgüter Dienstleistung Automobil Konsumgüter Dienstleistung Medien Konsumgüter Konsumgüter Dienstleistung % 17,2% 58,5% 11,1% 13,2% 100,0% 312 Interview-Leitfäden Interview-Leitfaden, Variante A „Werbetreibende Unternehmen“ Sehr geehrte/-r Frau/Herr XY, herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben. Wie angekündigt möchte ich mit Ihnen nachfolgend über das Thema Werbestrategien anhand eines konkreten Kampagnenbeispiels aus Ihrem Unternehmen sprechen. Das Transkript dieses Gesprächs wird Ihnen vor Veröffentlichung zur Freigabe vorgelegt, so dass Sie dann in jedem Fall noch die Möglichkeit haben, Aussagen zu korrigieren bzw. zu ergänzen. Das Interview hat drei Teile. Zum Einstieg würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen zu ihrem Unternehmen und ihrer Person stellen, um dann mit Ihnen im Hauptteil des Interviews über das konkrete Kampagnenbeispiel zu diskutieren. Zum Abschluss des Interviews würde ich dann gerne mit Ihnen über den Werbeplanungsprozess generell in Ihrem Unternehmen sprechen und Ihre Erfahrungen und Einschätzungen zu relevanten Erfolgsfaktoren in diesem Prozess. I. Zu Ihrem Unternehmen und Ihrer Person 1. Für welchen Bereich innerhalb Ihres Unternehmens sind Sie werbeverantwortlich? (Bitte nur eine Nennung) Gesamtunternehmen Regionale Vertriebsgesellschaft Geschäftseinheit für folgende (s) Produkt (e) /Sortiment (e)/Marke (n) Geschäftseinheit für folgende Kundengruppe (n) 1. Der gewählte Bereich erzielte 2006 einen Gesamtumsatz in Höhe von ______ Mio. € mit ______ Mitarbeitern 2. Wie hoch waren in 2006 die Ausgaben für Kommunikation insgesamt bzw. für MediaWerbung? ______ Mio. € für Kommunikation insgesamt 313 ______ Mio. € für Mediawerbung insgesamt 4. Welcher Branche ist Ihr Unternehmen zuzuordnen? Konsumgüter Industriegüter Dienstleistung 5. Wie lautet der vollständige Titel Ihrer aktuellen Position? __________________________________________________________________ 6. Seit wann befinden Sie sich in dieser verantwortlichen Position? (Monat/Jahr) ____________________________________________________________________ I1. Marketing- und Werbestrategie für das Produkt/ die Leistung XY 7. Welche Marketing-Kernaufgaben standen in der Ausgangssituation zur Werbekampagne für das Produkt/die Leistung XY im Fokus? Welche der nachfolgenden waren in den vergangenen drei Jahren aus Ihrer Sicht besonders wichtig, welcher weniger bzw. gar nicht? Wie schätzen Sie die Wichtigkeit in den kommenden Jahren ein? Marketing-Kernaufgaben Im Hinblick auf die Kam- Heute und in der der weipagne … teren Zukunft … Gar nicht Sehr Gar nicht Sehr wichtig wichtig wichtig wichtig Neue Kunden gewinnen Bestehende Kunden binden/ durchdrin- gen Neue Leistungen/Produkte entwickeln/ einführen Bestehende verbessern Leistungen pflegen/ 8. Bitte beschreiben Sie in wenigen Sätzen die weitere Markt- und Wettbewerbssituation für das Produkt/die Leistung XY zum Ausgangspunkt der Kampagne? Mit welchen Herausforderungen war das Produkt konfrontiert? Welche Anforderungen ergaben sich daraus für die Werbekommunikation? 314 _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 9. Wann (Monat/Jahr) ist die Kampagne gestartet worden? Wann ist Sie beendet worden? Start: ______ Ende: ______ 10. Mit dem Produkt/ der Leistung XY stand im Zentrum der Kampagne: Ein neues Produkt/Leistung mit folgender Markentechnik (Neumarke, Line-Extension) Ein bestehendes Produkt/Leistung Sonstiges: ________________________ 11. Diese Kampagne richtete sich vor allem an: Neukunden Bestehende Kunden Neukunden UND bestehende Kunden gleichermaßen Sonstiges: ________________________ 12. Wie hoch schätzen Sie den Involvement-Charakter von Produkt/Leistung XY bei Ihrer Kernzielgruppe ein? Sehr geringes Involvement Sehr hohes Involvement 13. Welches Positionierung lag für das Produkt/die Leistung XY bzw. die Marke XY der Kampagne zugrunde? War diese Positionierung identisch mit der bisherigen Positionierung _________________________________________________________________________ 14. Wie würden Sie den Charakter der Werbebotschaft Ihrer Kampagne bewerten? Eher informativ oder eher emotional? Sehr ausgeprägt emotional sehr ausgeprägt informativ 315 15. Bitte beschreiben Sie mir in wenigen Sätzen das Kernziel, den Inhalt der Kampagne sowie deren Kernbotschaft an den Konsumenten? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 16. Wenn Sie auf Grundlage der beschriebenen Zielsetzung die Kampagne für das Produkt/ die Leistung XY in folgendes Grundmodell aufgabenorientiertes Werbestrategien einordnen müssten, welchem der vier Kerntypen entspricht Ihre Kampagne am ehesten? Grundmodell aufgabenorientierter Werbestrategien Neukunden „Kunden-Akquisition“ Bestandskunden „Kundenbindung“ Bestehende Leistung/Produkt „Leistungspflege“ Expansionswerbung Loyalitätswerbung Neue Leistung/Produkt „Leistungsinnovation“ Einführungswerbung Cross-Selling-Werbung 17. Was spricht aus Ihrer Sicht für die entsprechende Zuordnung? Was spricht möglicherweise dagegen? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 18. Wie hoch war das Kommunikations-Budget für die Kampagne insgesamt? ______ Tausend Euro bezogen auf folgenden Zeitraum: ______________ 19. Wie hoch war das Media-Werbebudget für die Umsetzung der Kampagne? ______ Tausend Euro bezogen auf folgenden Zeitraum: ______________ 20. Wie verteilte sich dieses Mediawerbungs-Budget ungefähr auf die eingesetzten Kommunikationskanäle? 316 Kanal Budgetanteil in % TV Print Internet Radio Kino Insgesamt 100 % 21. Was der Kommunikationskanal mit dem höchsten Budgetanteil zugleich Leitmedium in der Kampagne? Ja Nein Sonstiges: ________________________ 22. Wie bewerten Sie den Gesamterfolg dieser Kampagne auf einer Skala von 0 bis 7 (0= gar nicht erfolgreich, 7 = sehr erfolgreich)? gar nicht erfolgreich sehr erfolgreich 23. Was sind die Gründe für diese Bewertung? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 24. Welche ökonomischen und kommunikativen Erfolgskennzahlen wurden in der Planungsphase/bzw. im Agenturbriefing festgelegt? Für welche geschah dies in Verbindung mit absoluten, für welche mit einem eher groben Richtungswert? Welche Kennzahlen (Top 3) waren Ihnen im Hinblick auf die Erfolgsbewertung besonders wichtig? 25. In welchem Umfang wurden diese Erfolgskennzahlen erreicht? Ökonomische Kennzahlen Fixiert wurde diese Kennzahl … mit einem Besonders wichtig festen mit einem groben Rich(Top 3) Erreichungsgrad Wert (absolut oder prozentual) tungswert (z.B. deutlich höher) 1. Top % 2. Top % 3. Top % 317 4. Top % 5. Top % Fixiert wurde diese Kennzahl … Besonders wichtig Erreichungsgrad mit (Top 3) Kommunikative Kennzahlen einem Wert (absolut oder mit einem groben Richtungswert (z.B. deutlich prozentual) höher) festen 1. Top % 2. Top % 3. Top % 4. Top % 5. Top % 26. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den erzielten Erreichungsgrad? Was waren Erfolgstreiber der Kampagne und welche Aspekte haben es deutlich erschwert, bzw. unmöglich gemacht die gesetzten Zielwerte zu erreichen? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 27. Gab es weitere Erfolgs-Kennzahlen, die in der Planung noch keine Rolle gespielt hatten, aber aus Ihrer heutigen Sicht bei der Erfolgsbewertung der Kampagne berücksichtigt werden müssten? Kennzahl Relevanz-Gründe 28. Gab es neben dem Budgethöhe und –verteilung, dem Media-Mix, der Erfolgskennzahlen sowie der Werbebotschaft noch weitere aus Ihrer Sicht wichtige Charakteristika der Kampagne? Wenn ja, welche sind das? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ 318 29. Wenn Sie Ihrer Kampagne die zeitnahe Kampagne Ihres wichtigsten Wettbewerbers für ein Konkurrenzprodukt/-leistung gegenüberstellen, zu welchem Werbestrategie-Grundtyp würden Sie dessen Kampagne zuordnen? 30. Welche Stärken und welche Schwächen sehen Sie in der Kampagne Ihres Wettbewerbers? Stärken ☺ - Schwächen - 31. Wurde/wird die Kampagne zum Produkt/Leistung XY fortgesetzt? Ja Nein Sonstiges: ________________________ 32. Wenn Antwort „Ja“: In welcher Werbestrategie-Variante (bestehende, neue) wird die Kampagne fortgesetzt? Welche Besonderheiten weist sie im Vergleich zur VorläuferKampagne im Hinblick auf Budgethöhe und –verteilung, dem Media-Mix, der Erfolgskennzahlen sowie der Werbebotschaft auf? Wenn Antwort „Nein“: Was sind die Gründe für die Nicht-Fortsetzung? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 33. Wenn Sie sich über die diskutierte Kampagne hinaus alle Kampagnen Ihres Unternehmens in den letzten Jahren vergegenwärtigen, erscheint Ihnen eine Einordnung dieser unterschiedlichen Kampagnen in das vorgestellte Grundmodell aufgabenorientierter Werbestrategien möglich und sinnvoll? Gibt es Aspekte die die Zuordnung erschweren? Wenn ja, welche sind das? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ 319 III. Werbeplanungsprozess 34. Können Sie bitte den bei Ihnen im Unternehmen üblichen Werbeplanungsprozess ausgehend von der Marketingstrategie- bis zur Umsetzung für eine Werbekampagne skizzieren. Welches sind die zentralen Arbeitsschritte in diesem Prozess? Welche Personen sind wann und in welcher Weise in diesen Prozess involviert? Welche Dokumente bilden die Grundlage für das gemeinsame Arbeiten? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ 35. Wenn Sie sich den Planungsprozess vieler Kampagnen in Ihrem Unternehmen vergegenwärtigen, was sind maßgebliche Hürden für die Realisierung erfolgreicher Werbekommunikation? Welches sind dementsprechend aus Ihrer Sicht die notwendigen Kompetenzen als zentrale Erfolgsfaktoren? Welche von diesen Kompetenzen sind strukturellorganisatorischen Natur und beziehen sich auf das Unternehmen, welche personellkultureller Natur mit Bezug zum Einzelnen an der Kampagne Beteiligten? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ Herzlichen Dank für das Gespräch! 320 Interview-Leitfaden, Variante B „Dienstleister“ Sehr geehrte/-r Frau/Herr XY, herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben. Wie angekündigt möchte ich mit Ihnen nachfolgend über das Thema Werbestrategien anhand eines konkreten Kampagnenbeispiels eines Ihrer Kunden sprechen. Das Transkript dieses Gesprächs wird Ihnen vor Veröffentlichung zur Freigabe vorgelegt, so dass Sie dann in jedem Fall noch die Möglichkeit haben, Aussagen zu korrigieren bzw. zu ergänzen. Das Interview hat drei Teile: Zum Einstieg würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen zu Ihrer Person stellen, um dann mit Ihnen im Hauptteil des Interviews über das konkrete Kampagnenbeispiel zu diskutieren. Zum Abschluss des Interviews würde ich dann gerne mit Ihnen über den Werbeplanungsprozess generell in Ihrem Unternehmen sprechen und Ihre Erfahrungen und Einschätzungen zu relevanten Erfolgsfaktoren in diesem Prozess. I. Zu Ihrem Unternehmen und Ihrer Person 1. Wie lautet der vollständige Titel Ihrer aktuellen Position? __________________________________________________________________ 2. Seit wann befinden Sie sich in dieser verantwortlichen Position? (Monat/Jahr) ____________________________________________________________________ 3. In welcher Weise waren Sie an der Kampagne zum Produkt/Leistung XY beteiligt? Was waren Ihre Aufgaben und Kompetenzen? ____________________________________________________________________ I1. Die Marketing- und Werbestrategie für das Produkt/ die Leistung XY 4. Welche Marketing-Kernaufgaben standen in der Ausgangssituation zur Werbekampagne für das Produkt/die Leistung XY im Fokus? Welche der nachfolgenden waren in den ver- 321 gangenen drei Jahren aus Ihrer Sicht besonders wichtig, welcher weniger bzw. gar nicht? Wie schätzen Sie die Wichtigkeit in den kommenden Jahren ein? Im Hinblick auf die Kam- Heute und in der der weipagne … teren Zukunft … Marketing-Kernaufgaben Gar nicht Sehr Gar nicht Sehr wichtig wichtig wichtig wichtig Neue Kunden gewinnen Bestehende Kunden binden/ durchdrin- gen Neue Leistungen/Produkte entwickeln/ einführen Bestehende verbessern Leistungen pflegen/ 5. Bitte beschreiben Sie in wenigen Sätzen die weitere Markt- und Wettbewerbssituation für das Produkt/die Leistung XY zum Ausgangspunkt der Kampagne? Mit welchen Herausforderungen war das Produkt konfrontiert? Welche Anforderungen ergaben sich daraus für die Werbekommunikation? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 6. Wann (Monat/Jahr) ist die Kampagne gestartet worden? Wann ist Sie beendet worden? Start: ______ Ende: ______ 7. Mit dem Produkt/ der Leistung XY stand im Zentrum der Kampagne: Ein neues Produkt/Leistung mit folgender Markentechnik (Neumarke, Line-Extension) Ein bestehendes Produkt/Leistung Sonstiges: ________________________ 8. Diese Kampagne richtete sich vor allem an: Neukunden Bestehende Kunden Neukunden UND bestehende Kunden gleichermaßen Sonstiges: ________________________ 322 9. Wie hoch schätzen Sie den Involvement-Charakter von Produkt/Leistung XY bei Ihrer Kernzielgruppe ein? Sehr geringes Involvement Sehr hohes Involvement 10. Welches Positionierung lag für das Produkt/die Leistung XY bzw. die Marke XY der Kampagne zugrunde? War diese Positionierung identisch mit der bisherigen Positionierung _________________________________________________________________________ 11. Wie würden Sie den Charakter der Werbebotschaft Ihrer Kampagne bewerten? Eher informativ oder eher emotional? Sehr ausgeprägt emotional sehr ausgeprägt informativ 12. Bitte beschreiben Sie mir in wenigen Sätzen das Kernziel, den Inhalt der Kampagne sowie deren Kernbotschaft an den Konsumenten? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 13. Wenn Sie auf Grundlage der beschriebenen Zielsetzung die Kampagne für das Produkt/ die Leistung XY in folgendes Grundmodell aufgabenorientiertes Werbestrategien einordnen müssten, welchem der vier Kerntypen entspricht Ihre Kampagne am ehesten? Grundmodell aufgabenorientierter Werbestrategien Neukunden „Kunden-Akquisition“ Bestandskunden „Kundenbindung“ Bestehende Leistung/Produkt „Leistungspflege“ Expansionswerbung Loyalitätswerbung Neue Leistung/Produkt „Leistungsinnovation“ Einführungswerbung Cross-Selling-Werbung 323 14. Was spricht aus Ihrer Sicht für die entsprechende Zuordnung? Was spricht möglicherweise dagegen? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 15. Wie hoch war das Kommunikations-Budget für die Kampagne insgesamt? ______ Tausend Euro bezogen auf folgenden Zeitraum: ______________ 16. Wie hoch war das Media-Werbebudget für die Umsetzung der Kampagne? ______ Tausend Euro bezogen auf folgenden Zeitraum: ______________ 17. Wie verteilte sich dieses Mediawerbungs-Budget ungefähr auf die eingesetzten Kommunikationskanäle? Kanal Budgetanteil in % TV Print Internet Radio Kino Insgesamt 100 % 18. Was der Kommunikationskanal mit dem höchsten Budgetanteil zugleich Leitmedium in der Kampagne? Ja Nein Sonstiges: ________________________ 19. Wie bewerten Sie den Gesamterfolg dieser Kampagne auf einer Skala von 0 bis 7 (0= gar nicht erfolgreich, 7 = sehr erfolgreich)? gar nicht erfolgreich sehr erfolgreich 20. Was sind die Gründe für diese Bewertung? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 324 _________________________________________________________________________ 21. Welche ökonomischen und kommunikativen Erfolgskennzahlen wurden in der Planungsphase/bzw. im Agenturbriefing festgelegt? Für welche geschah dies in Verbindung mit absoluten, für welche mit einem eher groben Richtungswert? Welche Kennzahlen (Top 3) waren Ihnen im Hinblick auf die Erfolgsbewertung besonders wichtig? 22. In welchem Umfang wurden diese Erfolgskennzahlen erreicht? Ökonomische Kennzahlen Fixiert wurde diese Kennzahl … mit einem Besonders wichtig festen mit einem groben Rich(Top 3) Wert (absolut oder tungswert (z.B. deutlich prozentual) höher) Erreichungsgrad 1. Top % 2. Top % 3. Top % 4. Top % 5. Top % Kommunikative Kennzahlen Fixiert wurde diese Kennzahl … mit einem Besonders wichtig festen mit einem groben Rich(Top 3) Wert (absolut oder tungswert (z.B. deutlich prozentual) höher) Erreichungsgrad 1. Top % 2. Top % 3. Top % 4. Top % 5. Top % 23. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den erzielten Erreichungsgrad? Was waren Erfolgstreiber der Kampagne und welche Aspekte haben es deutlich erschwert, bzw. unmöglich gemacht die gesetzten Zielwerte zu erreichen? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 325 24. Gab es weitere Erfolgs-Kennzahlen, die in der Planung noch keine Rolle gespielt hatten, aber aus Ihrer heutigen Sicht bei der Erfolgsbewertung der Kampagne berücksichtigt werden müssten? Kennzahl Relevanz-Gründe 25. Gab es neben dem Budgethöhe und –verteilung, dem Media-Mix, der Erfolgskennzahlen sowie der Werbebotschaft noch weitere aus Ihrer Sicht wichtige Charakteristika der Kampagne? Wenn ja, welche sind das? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ 26. Wenn Sie Ihrer Kampagne die zeitnahe Kampagne Ihres wichtigsten Wettbewerbers für ein Konkurrenzprodukt/-leistung gegenüberstellen, zu welchem Werbestrategie-Grundtyp würden Sie dessen Kampagne zuordnen? 27. Welche Stärken und welche Schwächen sehen Sie in der Kampagne Ihres Wettbewerbers? Stärken ☺ - Schwächen - 28. Wurde/wird die Kampagne zum Produkt/Leistung XY fortgesetzt? Ja Nein Sonstiges: ________________________ 29. Wenn Antwort „Ja“: In welcher Werbestrategie-Variante (bestehende, neue) wird die Kampagne fortgesetzt? Welche Besonderheiten weist sie im Vergleich zur Vorläufer- 326 Kampagne im Hinblick auf Budgethöhe und –verteilung, dem Media-Mix, der Erfolgskennzahlen sowie der Werbebotschaft auf? Wenn Antwort „Nein“: Was sind die Gründe für die Nicht-Fortsetzung? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 30. Wenn Sie sich über die diskutierte Kampagne hinaus alle Kampagnen Ihres Unternehmens in den letzten Jahren vergegenwärtigen, erscheint Ihnen eine Einordnung dieser unterschiedlichen Kampagnen in das vorgestellte Grundmodell aufgabenorientierter Werbestrategien möglich und sinnvoll? Gibt es Aspekte die die Zuordnung erschweren? Wenn ja, welche sind das? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ III. Werbeplanungsprozess 31. Können Sie bitte den bei Ihnen im Unternehmen üblichen Werbeplanungsprozess ausgehend von der Marketingstrategie- bis zur Umsetzung für eine Werbekampagne skizzieren. Welches sind die zentralen Arbeitsschritte in diesem Prozess? Welche Personen sind wann und in welcher Weise in diesen Prozess involviert? Welche Dokumente bilden die Grundlage für das gemeinsame Arbeiten? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ 32. Wenn Sie sich den Planungsprozess vieler Kampagnen in Ihrem Unternehmen vergegenwärtigen, was sind maßgebliche Hürden für die Realisierung erfolgreicher Werbekommunikation? Welches sind dementsprechend aus Ihrer Sicht die notwendigen Kompetenzen als zentrale Erfolgsfaktoren? Welche von diesen Kompetenzen sind strukturellorganisatorischen Natur und beziehen sich auf das Unternehmen, welche personellkultureller Natur mit Bezug zum Einzelnen an der Kampagne Beteiligten? ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ Herzlichen Dank für das Gespräch! 327 Interview-Leitfaden, Variante C „Externer Experte“ Sehr geehrte/-r Frau/Herr XY, herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben. Wie angekündigt möchte ich mit Ihnen nachfolgend über das Thema Werbestrategien anhand eines konkreten Kampagnenbeispiels sprechen. Das Transkript dieses Gesprächs wird Ihnen vor Veröffentlichung zur Freigabe vorgelegt, so dass Sie dann in jedem Fall noch die Möglichkeit haben, Aussagen zu korrigieren bzw. zu ergänzen. Das Interview hat drei Teile. Zum Einstieg würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen zu ihrem Unternehmen und ihrer Person stellen, um dann mit Ihnen im Hauptteil des Interviews über das konkrete Kampagnenbeispiel zu diskutieren. Zum Abschluss des Interviews würde ich dann gerne mit Ihnen über den Werbeplanungsprozess generell in Ihrem Unternehmen sprechen und Ihre Erfahrungen und Einschätzungen zu relevanten Erfolgsfaktoren in diesem Prozess. I. Zu Ihrem Unternehmen und Ihrer Person 1. Wie lautet der vollständige Titel Ihrer aktuellen Position? __________________________________________________________________ 2. Seit wann befinden Sie sich in dieser verantwortlichen Position? (Monat/Jahr) ____________________________________________________________________ 4. In welcher Weise sind Sie mit der Kampagne für das Produkt/Leistung XY vertraut? Was ist Bezug zur Kampagne? ____________________________________________________________________ II. Zur Werbestrategie für das Produkt/Leistung XY 5. Wenn Sie die Kampagne für das Produkt/ die Leistung XY in folgendes Grundmodell aufgabenorientiertes Werbestrategien einordnen müssten, welchem der vier Kerntypen entspricht Ihre Kampagne am ehesten? 328 Grundmodell aufgabenorientierter Werbestrategien Neukunden „Kunden-Akquisition“ Bestandskunden „Kundenbindung“ „Leistungspflege“ Expansionswerbung Loyalitätswerbung Neue Leistung/Produkt „Leistungsinnovation“ Einführungswerbung Cross-Selling-Werbung Bestehende Leistung/Produkt 6. Was spricht aus Ihrer Sicht für die entsprechende Zuordnung? Was spricht möglicherweise dagegen? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 7. Wie bewerten Sie den Gesamterfolg dieser Kampagne auf einer Skala von 0 bis 7 (0= gar nicht erfolgreich, 7 = sehr erfolgreich)? gar nicht erfolgreich sehr erfolgreich 8. Was sind die Gründe für diese Bewertung? _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ _________________________________________________________________________ 9. Wenn Sie sich den Planungsprozess zu verschiedenen Werbekampagnen vergegenwärtigen vergegenwärtigen, was sind aus Ihrer Sicht maßgebliche Hürden für die Realisierung erfolgreicher Werbekommunikation? Welches sind dementsprechend aus Ihrer Sicht die notwendigen Kompetenzen als zentrale Erfolgsfaktoren? Welche von diesen Kompetenzen sind strukturell-organisatorischen Natur und beziehen sich auf das Unternehmen, welche personell-kultureller Natur mit Bezug zum Einzelnen an der Kampagne Beteiligten? ________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Herzlichen Dank für das Gespräch! 329 Handlungsanleitung Werbestrategie-Definition Einführungswerbung für eine neue Leistung/Produkt ohne oder mit geringen Bezug zum bestehenden Sortiment oder der bestehenden Marke (Launch-Werbung) Produkt/Leistung: • Handelt es sich bei der beworbenen Leistung/dem Produkt um eine New-to-the-WorldInnovation oder ein Me-too-Produkt/Leistung? • Worin besteht die Leistung/Produkt konkret? Worin bestehen seine einzelnen Komponenten (Produkt-/Leistungskern, Verpackung, Preis, Distributionsform)? • Welches Bedürfnis auf Verbraucherseite wird durch das Produkt befriedigt? Welcher funktional-rationale und welcher emotionale Nutzen sind mit dem Gebrauch der Leistung/des Produktes verbunden? • Warum soll man die Leistung/das Produkt kaufen? Welches Leistungsversprechen ist mit dem Kauf verbunden? Zielgruppe: • Wie groß ist die Zielgruppe der anzusprechenden Neukunden? • Handelt es sich um eine homogene Zielgruppe oder eine heterogene mit mehreren einzelnen Zielgruppen? Welche Bedeutung haben in diesem Fall die einzelnen Zielgruppen? • Wie ist die sozioökonomische Struktur dieser Zielgruppe/-n (Alter, Geschlecht, Familienstand, Milieu, Bildung, Beruf, Einkommen, Kaufkraft)? Wie ist ihre soziogeografische Struktur (Wohn-, Arbeits-, Freizeitorte)? Welche soziopsychologische Struktur (Erfahrungen, Einstellungen, Meinungen, Selbstbilder, Wertebilder, Konsummentalität, MedienNutzungsverhalten) charakterisiert sie? Einführungswerbung für eine neue Leistung/Produkt mit hohem Bezug zum bestehenden Sortiment oder der bestehenden Marke (Line-Extension-Werbung) Produkt/Leistung: • Wie groß ist die Gemeinsamkeit bzw. inhaltliche Nähe der beworbenen Leistung/Produkt zum bestehenden Angebot des Unternehmens und worin besteht diese (z.B. gleiche Leistung-/Produktkategorie, gleiche Anwendungsweise, gleicher Verwenderkreis, gleiche Rohstoffe)? • In welcher Weise drückt sich diese Nähe kommunikativ aus? Soll die Leistung/das Produkt vollständig unter der Dach- oder Familien-/Sortimentsmarke des Produktes verkauft werden? Ist die Einführung als Sub-Brand geplant? 330 • Was sind die charakteristischen Merkmale der Dach- oder Familien-/Sortimentsmarke des bestehenden Angebots? • Welche identischen und welche differierenden Bedürfnisse befriedigt die DiversifikationsLeistung/Produkt gegenüber dem bestehenden Angebot? Zielgruppe: • Wie groß ist die Zielgruppe der anzusprechenden Neukunden? • Handelt es sich um eine homogene Zielgruppe oder eine heterogene mit mehreren einzelnen Zielgruppen? Welche Bedeutung haben in diesem Fall die einzelnen Zielgruppen? • In welcher Weise besteht aufgrund der Nähe zum bestehenden Angebot eine Leistungs/Produktrelevanz für die Bestandskunden? Sollen diese Kunden ebenfalls angesprochen werden? Inwiefern bedingt ihre Adressierung eine von den Neukunden abweichende Kommunikation? • Wie ist die sozioökonomische Struktur dieser Zielgruppe/-n (Alter, Geschlecht, Familienstand, Milieu, Bildung, Beruf, Einkommen, Kaufkraft)? Wie ist ihre soziogeografische Struktur (Wohn-, Arbeits-, Freizeitorte)? Welche soziopsychologische Struktur (Erfahrungen, Einstellungen, Meinungen, Selbstbilder, Wertebilder, Konsummentalität, MedienNutzungsverhalten) charakterisiert sie? Expansionswerbung für eine bereits eingeführte Leistung/Produkt in einem frühen Stadium des Lebens-Zyklus (Follow-Up-Werbung) Produkt/Leistung: • Welche funktionalen Eigenschaften der Leistung/des Produktes sind in der Einführungswerbung kommuniziert worden? Welche Benefits sind herausgestellt worden? In welcher Weise ist die Leistung/das Produkt in der Einführungswerbung markentechnisch positioniert worden? • Gelten die in der Einführungswerbung kommunizierten Kaufgründe bzw. funktionalen und emotionalen Mehrwerte weiterhin oder haben sie durch Veränderungen im Markt oder auf Wettbewerberseite an Bedeutung verloren oder sind gar obsolet geworden? Zielgruppe: • Wie hoch ist die bereits erreichte Reichweite in der in der Einführungswerbung anvisierten Zielgruppe? • Gelten für die adressierten, aber bislang nicht erreichten Mitglieder der Zielgruppe besondere sozioökonomische, soziografische oder soziopsychologische Struktur-Merkmale? Sind sie deshalb anders anzusprechen oder ist ihre erfolgreiche Akquise nur eine Frage der Zeit? 331 • Welche Botschaften der Einführungswerbung sind von der Zielgruppe in geplantem Maße antizipiert worden? Welche nicht? • Welchen Stellenwert haben die Bestandskunden? Zielt die Follow-up-Werbung auch auf ihre Loyalisierung? Wenn ja, steht dabei eine Stärkung der Bindung oder eine stärkere Durchdringung im Fokus? Wenn ja, welche Botschaften sind dabei maßgeblich? Sind diese Botschaften identisch zu denen der Neukunden-Ansprache? Expansionswerbung für eine bereits eingeführte Leistung/Produkt in einem fortgeschritten Stadium des Lebens-Zyklus (Rebrush-Werbung) Produkt/Leistung: • Welche funktionalen Eigenschaften der Leistung/des Produktes sind in der Einführungswerbung bzw. Follow-up-Werbung kommuniziert worden? Welche Benefits sind herausgestellt worden? In welcher Weise ist die Leistung/das Produkt in der Einführungswerbung markentechnisch positioniert worden? • Wodurch ist der fortgeschrittene Reifegrad bezogen auf die beworbene Leistung/Produkt und die Marke gekennzeichnet? Geht der geplante kommunikative Rebrush auch mit einer Veränderung der Leistung/des Produktes einher? Wenn ja, worin besteht diese Veränderung? Welche Implikationen haben solche Veränderungen an der beworbenen Leistung/Produkt auf die bislang kommunizierten funktionalen und emotionalen Mehrwerte? Zielgruppe: • Warum konnte die Reichweite bei den Neukunden nicht im geplanten Maße weiter ausgeweitet werden? Welche funktionalen oder kommunikativen Leistungsmerkmale haben sie bislang nicht oder nicht ausreichend überzeugt? Was wird (mittlerweile) als Schwäche der beworbenen Leistung/des Produktes gegenüber alternativen Angeboten von Zielgruppe empfunden und beschrieben? • Wie hoch ist der Loyalisierungsbedarf bei den Bestandskunden? Welche Botschaften sind für sie maßgeblich, um Käufer der Leistung/des Produktes zu bleiben? Sind die loyalisierenden Botschaften identisch zu denen der Neukunden-Ansprache? Expansionswerbung für eine bereits eingeführte Leistung/Produkt in einem deutlich fortgeschritten Stadium des Lebens-Zyklus (Relaunch-Werbung) Produkt/Leistung: • Welche funktionalen Eigenschaften der Leistung/des Produktes sind in der Einführungswerbung bzw. Follow-up-Werbung kommuniziert worden? Welche Benefits sind herausgestellt worden? In welcher Weise ist die Leistung/das Produkt bislang markentechnisch positioniert worden? 332 • Wodurch ist der deutlich fortgeschrittene Reifegrad bezogen auf die beworbene Leistung/Produkt und die Marke gekennzeichnet? Ist die Grundlage für den geplanten kommunikativen Relaunch auch eine signifikante Veränderung der Leistung/des Produktes? Wenn ja, worin besteht diese Veränderung? Welche Implikationen hat diese Veränderung an der beworbenen Leistung/Produkt auf die bislang kommunizierten funktionalen und emotionalen Mehrwerte? Zielgruppe: • Warum konnte die Reichweite bei den Neukunden nicht im geplanten Maße weiter ausgeweitet werden? Welche funktionalen oder kommunikativen Leistungsmerkmale haben sie bislang nicht oder nicht ausreichend überzeugt? Was wird (mittlerweile) als Schwäche der beworbenen Leistung/des Produktes gegenüber alternativen Angeboten von Zielgruppe empfunden und beschrieben? • Wie hoch ist der Loyalisierungsbedarf bei den Bestandskunden? Welche Botschaften sind für sie maßgeblich, um Käufer der Leistung/des Produktes zu bleiben? Sind die loyaliserenden Botschaften identisch zu denen der Neukunden-Ansprache? Loyalitätswerbung für eine bereits eingeführte Leistung/Produkt mit einem höheren Reifegrad Produkt/Leistung: • Welche funktionalen Eigenschaften der Leistung/des Produktes sind bislang (auf Basis einer Einführungs-, Follow-up-, Rebrush und/oder Relaunch-Werbung) kommuniziert worden? Welche Benefits sind herausgestellt worden? In welcher Weise ist die Leistung/das Produkt bislang markentechnisch positioniert worden? • Wodurch ist der fortgeschrittene Reifegrad bezogen auf die beworbene Leistung/Produkt und die Marke gekennzeichnet? Ist die angestrebte Loyalisierung verbunden mit einer Veränderung der Leistung/des Produktes? Wenn ja, worin besteht diese Veränderung und wie gravierend (Rebrush/Relaunch) ist sie? Welche Implikationen hat diese Veränderung an der beworbenen Leistung/Produkt auf die bislang kommunizierten funktionalen und emotionalen Mehrwerte? Zielgruppe: • Warum konnte die Reichweite bei den Neukunden nicht im geplanten Maße weiter ausgeweitet werden? Welche funktionalen oder kommunikativen Leistungsmerkmale haben sie bislang nicht oder nicht ausreichend überzeugt? Was wird (mittlerweile) als Schwäche der beworbenen Leistung/des Produktes gegenüber alternativen Angeboten von Zielgruppe empfunden und beschrieben? 333 • Wie hoch ist der Loyalisierungsbedarf bei den Bestandskunden? Welche Botschaften sind für sie maßgeblich, um Käufer der Leistung/des Produktes zu bleiben? Sind die loyaliserenden Botschaften identisch zu denen der Neukunden-Ansprache? 334 Kampagnenelemente aus den untersuchten Fallstudien Kampagnenelemente Audi Q7 335 336 Kampagnenelemente Balisto 337 338 Kampagnenelemente Bertolli 339 340 Kampagnenelemente BILDmobil 341 Kampagnenelemente Dove pro•age 342 Kampagnenelemente Drei Wetter Taft 343 Kampagnenelemente Eucerin 344 Kampagnenelemente Gillette Fusion 345 Kampagnenelemente ING-Diba 346 Kampagnenelemente McDonald’s 347 Kampagnenelemente Dr. Oetker Paula 348 Kampagnenelemente Sparkasse 349 350 Kampagnenelemente T-Com 351 352 Kampagnenelemente Rama Cremefine 353 Kampagnenelemente VW Touareg 354 Kampagnenelemente VW Golf 355 Curriculum Vitae Philipp Stradtmann Persönliche Daten Geburtsdatum Geburtsort Nationalität 6. Juni 1973 Bocholt (Nordrhein-Westfalen) deutsch Ausbildung und Qualifikation 1983 - 1992 Besuch der Montessori Grundschule Düsseldorf Abitur am Görres-Gymnasium Düsseldorf 1992 - 1994 Zivildienst in der Neurologischen Reha-Klinik Godeshöhe Bonn 1994 - 1998 Studium mit Abschluss als Diplom-Medienwissenschaftler an der Hochschule für Musik und Theater Hannover 2004 - 2005 Studium mit Abschluss als Diplom-Betriebswirt an der Business School St. Gallen mit Schwerpunkt Controlling & strategische Unternehmensführung 2005 -2009 Promotionsstudium mit Abschluss als Dr. oec. an der Universität St. Gallen (HSG) Berufserfahrung 1998 - 2000 Project Manager und Senior Consultant bei iXL Germany Hamburg 2000- 2003 Berater bei der Pixelpark AG (Bertelsmann Group) in Berlin und Hamburg, zuletzt als Managing Director für den Standort Hamburg 2003-2004 Director eBusiness bei Foote Cone Belding (Interpublic Group of Companies) in Hamburg, zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung FCBi 2004-2008 Leiter Unternehmensentwicklung der Martin-Braun-Gruppe (OetkerGruppe), Geschäftsführer Martin Braun Polen, Geschäftsführer Martin Braun Ungarn und Leiter Sales international in Hannover seit 2008 Geschäftsleitung Vertrieb und Marketing der Wolf ButterBack KG (Oetker-Gruppe) in Nürnberg