Stellungnahme des Präsidiums des DOSB zum „Weißbuch Sport“ Einführung Am 11. Juli 2007 hat die Europäische Kommission (KOM) das Weißbuch Sport vorgelegt. http://ec.europa.eu/sport/whitepaper/wp_on_sport_de.pdf Das Präsidium des DOSB ist sich dessen hoher Bedeutung bewusst und weist zudem darauf hin, dass im Art. 149 (bzw. 165) des noch zu ratifizierenden Lissabon-Vertrags erstmals eine Teilkompetenz der Europäschen Union für den Sport festgeschrieben wurde. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Europäische Union und Sport“ ist aus Sicht des DOSB daher doppelt angezeigt. Nach eigenen Angaben verfolgt die KOM mit dem Weißbuch folgende Ziele: - Anregung einer strategischen Diskussion zur Rolle des Sports in Europa - Erhöhung der Sichtbarkeit des Sports in der EU - Bereitstellung von Informationen zur Anwendung des EU-Rechts auf den Sport - Auflistung künftiger sportbezogener Aktivitäten auf EU-Ebene, zusammengefasst in 53 Maßnahmen des Aktionsplans „Pierre de Coubertin“. Auf europäischer Ebene haben bisher zwei Institutionen zum Weißbuch Stellung genommen: - Das Europäische Parlament am 8. Mai 2008 mit der Annahme des Berichts Mavrommatis - Der Ausschuss der Regionen am 7. Februar 2008 durch den Bericht Kuhn-Theis. Darüber hinaus haben sich mehrere informelle Sportministerräte mit der Thematik auseinandergesetzt. Die nachfolgende Stellungnahme gliedert sich in zwei Teile I. Inhaltliche Zusammenfassung des Weißbuchs Sport II. Position des DOSB zum Weißbuch Sport I. Inhaltliche Zusammenfassung des Weißbuchs Sport Das Weißbuch Sport ist eine Weiterentwicklung, der unter der britischen Ratspräsidentschaft im Jahr 2005 initiierten Studie „Independent Review on European Sports“, die im Herbst 2006 vorgestellt wurde. Diese von der UEFA gestützte Studie war sehr auf Probleme des Fußballs fixiert, was dem Weißbuch in seiner inhaltlichen Schwerpunktsetzung noch anzumerken ist. Das Weißbuch gliedert sich in drei Teile: 1. Die gesellschaftliche Rolle des Sports 2. Die wirtschaftliche Rolle des Sports 3. Die Organisation des Sports 1. Die gesellschaftliche Rolle des Sports • Verbesserung der Gesundheit durch körperliche Aktivität Nach Vorstellung der KOM sollen bis Ende 2008 neue Leitlinien für körperliche Aktivität zur Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas erarbeitet werden. Die EUMitgliedsstaaten werden aufgefordert, Bildungs- und Berufsbildungssysteme entsprechend neu auszurichten (Bsp. Erhöhung Stundenzahl im Schulsport). Die KOM hat zudem eine höhere Berücksichtigung von bewegungsfördernden Projekten in einigen EU-Förderprogrammen angekündigt. Genannt wurden insbesondere das 7. Forschungsrahmenprogramm und die Programme für Öffentliche Gesundheit, Lebenslanges Lernen, Jugend und Bürgerschaft. • Dopingbekämpfung Die Kommission will Partnerschaften zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, den von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) akkreditierten Labors und INTERPOL unterstützen, um Informationen über neue Dopingsubstanzen und verfahren schnell und sicher austauschen zu können. Die Kommission empfiehlt darüber hinaus, den Handel mit verbotenen Dopingsubstanzen in der gesamten EU genauso zu verfolgen wie den illegalen Drogenhandel. • Sport in der Bildungspolitik Es wird die Vergabe eines Europäischen Siegels an Schulen vorgeschlagen, die sich aktiv für die Unterstützung körperlicher Aktivitäten einsetzen. Eine Studie zur Ausbildungssituation junger Sportler wurde von der KOM in Auftrag gegeben. Die Veröffentlichung ist im ersten Halbjahr des Jahres 2008 geplant. • Sport und soziale Integration Das Potenzial des Sports zur Integration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen soll stärker nutzbar gemacht werden. Dazu sollen die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, sportbezogene Maßnahmen im Rahmen der Strukturfonds, die in Deutschland von den Ländern verwaltet werden, zu berücksichtigen. • Kampf gegen Rassismus und Gewalt im Sport Die KOM prüft neue Rechtsinstrumente und Etablierung EU-weiter Standards zur Vermeidung öffentlicher Ausschreitungen bei Sportveranstaltungen. Zusätzlich sollen ent- sprechende Aktivitäten in bestehenden EU-Programmen wie Jugend in Aktion, Bürger für Europa oder DAPHNE III aufgenommen werden. • Sport und nachhaltige Entwicklung Internationale und europäische Sportorganisationen sollen aufgefordert werden, bei Großveranstaltungen Umweltmanagementsysteme anzuwenden. 2. Die wirtschaftliche Dimension des Sports • Finanzielle Unterstützung des Sports Die KOM hat die Ausschreibung einer Studie zur Finanzierung des Breitensports in der EU für Ende 2008 angekündigt. Sie spricht sich weiterhin dafür aus, geringere MwSt.Sätze im Sportbereich gelten zu lassen. Die KOM will über die Einführung einer europäischen Statistikmethode den ökonomischen Anteil des Sports in der EU bewerten. Eine Studie soll zudem den konkreten Beitrag des Sports (bezogen auf BIP, Wachstum und Beschäftigung) an der LissabonAgenda sichtbarer machen. 3. Die Organisation des Sports • Autonomie und spezifischer Charakter des Sports Die KOM hat im Begleitdokument zum Weißbuch Sport einen umfassenden Überblick über die gegenwärtige Rechtslage zum Thema „Autonomie des Sports“ vorgelegt. Insbesondere werden die einschlägigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs von „Bosman“ bis „Walrave“ dargestellt. Als Quintessenz bleibt festzuhalten, dass die KOM die Autonomie der Sportorganisationen anerkennt, aber nur im Rahmen des bestehenden Acquis Communautaire. Damit erteilt die KOM der Forderung einer spezifischen Ausnahmeregelung für den Sport eine Absage. Aus Sicht der KOM stellt sich die vom EUGH praktizierte Fall zu Fall-Entscheidungspraxis als alternativlos dar. • Medien Die KOM präferiert grundsätzlich die Einzelvermarktung von Medienrechten. In Anerkennung der „Specificity“ des Sports akzeptiert die KOM aber auch dessen kollektive Vermarktung, sofern wirksame Solidaritätsmechanismen damit verbunden werden. • Spieleragenten Die KOM wird eine Folgenabschätzung über die Tätigkeit von Spieleragenten durchführen und möglicherweise eine Gesetzesinitiative auf dem Weg bringen. II. Position des DOSB zum Weißbuch Sport • Der DOSB begrüßt die Vorlage des Weißbuchs Sport durch die KOM. Positiv ist hervorzuheben, dass das Weißbuch die besondere gesellschaftliche Rolle des Sports im zutreffenden Maße beschreibt und würdigt. Insbesondere der von der KOM beschriebene Beitrag des Sports zur öffentlichen Gesundheit, sozialen Integration und Förderung der Jugend ist hervorzuheben und muss aus Sicht des DOSB verstärkt Eingang in die künftige Politikgestaltung und Förderpraxis nationaler und europäischer Institutionen finden. • Der DOSB betont die Autonomie des Sports und fordert die KOM auf, dessen spezifischen Charakter stärker Rechnung zu tragen. Der DOSB vermisst im Weißbuch ein klares Bekenntnis zur Autonomie der Sportorganisationen und zur Verbandsautonomie, so wie sie in der Erklärung des Europäischen Rates von Nizza im Dezember 2000 dargestellt und angenommen wurde. Die KOM begnügt sich mit einer passiven Rolle und nutzt aus Sicht des DOSB den durchaus vorhandenen politischen Gestaltungsspielraum zu wenig. In diesem Sinne überlässt es die KOM weitgehend dem EUGH, den Rechtsrahmen für den Sport zu definieren. Vor diesem Hintergrund muss leider konstatiert werden, dass das Weißbuch für die Sportorganisationen hinsichtlich der Rechtssicherheit keinen Fortschritt gebracht hat. Aus Sicht der Sportorganisationen ist der Ansatz der Einzelfallentscheidung des EUGH nicht zufriedenstellend. Durch das Urteil im Fall Meca-Medina (2006) wird sich die Rechtsunsicherheit für den Sport sogar noch verstärken. Daher plädiert der DOSB dafür, die Diskussion mit den Sportministern und der KOM über eine Ausweitung der reinen (nicht EU-rechtsrelevanten) Sportregeln neu aufzunehmen. Dafür bedarf es allerdings einer konkreten Auflistung, der vom Sport identifizierten Problembereiche, die dann einer Überprüfung unterzogen werden müssen. Gestützt durch entsprechende Urteile des EUGH (Bosman, Lehtonen, Deliége, ENIC) erkennt die KOM den spezifischen Charakter des Sports in bestimmten Fällen an. Genannt seien hier nur - Transferregelungen - Zusammensetzung von Nationalmannschaften - Multiple-Ownership-Regel bei Vereinswettbewerben - Beschränkung der Anzahl von Teilnehmern bei Wettkämpfen - „Rules of the Game“ (Zahl der Spieler, Spieldauer..) In Kürze wird sich die KOM in Fragen der „Home grown players rule“ und der „6+5“ Regelung der FIFA positionieren. Der DOSB weist darauf hin, dass diese Regelungen nicht nur den Fußball betreffen und bezogen auf die Herstellung von Wettbewerbsgleichheit im Sport und die Ausbildung von jungen Athleten große Bedeutung haben. Der DOSB sieht mit Sorge, dass die KOM die vom EUGH im Fall Meca-Medina (2006) erstmals angewandte Methodik zur Anwendung des Kartell- und Wettbewerbsrechts (Art. 81-82 EGV) künftig auch auf die schon erfolgte Rechtsprechung in den Bereichen Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV) und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) übertragen will. Die Methodik sieht jeweils eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, deren jeweiliger Ausgang ungewiss ist und Rechtsunsicherheit noch einmal erhöht. Der DOSB weist im übrigen darauf hin, dass sich EU-Recht zwar im Wesentlichen auf die wirtschaftlichen Aktivitäten des Sports beschränkt, aber auch im Amateurbereich allgemeine Bestimmungen der EU zur Antidiskriminierung, Unionsbürgerschaft oder der Gleichstellung beachtet werden müssen. • Der DOSB unterstreicht die besondere Bedeutung des Ehrenamts und weist auf die Gefahr hin, Sport als rein wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen, was der gesellschaftlichen Rolle des Sports nicht entspricht. Der professionelle Sport repräsentiert nur einen Bruchteil der gesamten Sportbewegung, was im Weißbuch Sport zu wenig reflektiert wird. • Der DOSB sieht die im Weißbuch erwähnte Einbindung der Sportorganisationen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit durch körperliche Aktivität als absolut notwendig an, da die Sportorganisationen aufgrund ihrer Organisation in Vereinen und Verbänden die wesentlichen Zielgruppen erreichen. Daher unterstützt der DOSB alle nationalen und europäischen Initiativen, die eine Erhöhung der Stundenzahl im Schulsport und eine Höherqualifizierung von Sportlehrern und Übungsleitern sowie eine qualitative Verbesserung der schulsportlichen Angebote und Rahmenbedingungen zum Ziel haben. In diesem Zusammenhang weist der DOSB ausdrücklich darauf hin, dass Bewegung, Spiel und Sport ein großes Potenzial haben, um Kinder und Jugendliche in ihrer körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Entwicklung positiv zu fördern. Der organisierte Kinder- und Jugendsport spielt hier mit seinen flächendeckenden und an Qualitätsstandards orientierten Programmen und Angeboten eine besondere Rolle. • Der Vorschlag der KOM, ein europäisches Siegel an Schulen zu vergeben, die sich in vorbildlicher Weise um die Förderung körperlicher Aktivitäten kümmern, wird vom DOSB ausdrücklich begrüßt. • Der DOSB weist darauf hin, dass der Sport ein wichtiges Mittel zur Förderung der Integration aller Bevölkerungsschichten ist. Das Miteinander von ausländischen und einheimischen Bürgern, von Menschen mit und ohne Behinderung, von Jung und Alt gelingt in keinem anderen Bereich gesellschaftlichen Zusammenlebens so reibungslos wie im Sport. Vor diesem Hintergrund begrüßt der DOSB die Ankündigung der KOM, sportspezifische Projekte zur Integration stärker in Förderprogrammen berücksichtigen zu wollen. Den gleichen Appell richtet der DOSB an Bund und Länder, die ihre nationalen und europäischen Fördermittel (Europäischer Sozialfonds) verstärkt in diesem Sinne nutzen sollten. • Der DOSB betont, dass nur ein kleiner Teil der Sportbewegung mit negativen Begleiterscheinungen wie Ausbeutung junger Sportler, Doping, Rassismus, Gewalt, Korruption und Geldwäsche konfrontiert ist. In der Berichterstattung nehmen diese Themen aber häufig einen überproportionalen Raum ein und schädigen das Bild des gesamten Sports. Der DOSB ermutigt die KOM im Rahmen ihrer Kompetenzen gegen diese häufig grenzüberschreitend auftretenden Fehlentwicklungen vorzugehen, um die Integrität des Sports zu sichern. • Der DOSB begrüßt, dass die KOM das „Mainstreaming“ von Sport als wichtigen Politikansatz identifiziert. Sport als horizontaler Politikansatz, der sich sowohl in der Förderpolitik als auch in den einzelnen Fachpolitiken der EU stärker niederschlägt, würde der wichtigen gesellschaftspolitischen Rolle des Sports entsprechen. Der DOSB fordert die Kommission auf, über die Umsetzung des „Mainstreamings“ regelmäßig Bericht zu erstatten. • Der DOSB betont, dass vorhandene staatliche Monopole im Glücksspiel- und Sportwettenbereich, die auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses wie der Vorbeugung der Spielsucht beruhen und diese Ziele konsequent verfolgen, nach der ständigen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs europarechtskonform sind. Der DOSB sieht es als notwendig an, dass Gelder aus dem Glücksspiel für den Sport verwendet werden, damit dieser seiner gesellschaftlichen Rolle Rechnung tragen kann. • Der DOSB begrüßt, dass die Europäische Kommission eine unabhängige Studie zur Finanzierung des Breitensports in den Mitgliedstaaten in Auftrag geben wird und sieht den dringenden Bedarf, die langfristige und nachhaltige Finanzierung des Breitensports zu sichern. • Der DOSB ermuntert die KOM gegen Korruption und Manipulationen im Bereich von Sportwetten vorzugehen, um die Integrität des Sports zu bewahren. Ansatzpunkt wäre eine engere Zusammenarbeit der Innen- und Justizminister und der Strafverfolgungsbehörden, um Strukturen der organisierten Kriminalität zu zerschlagen. • Der DOSB begrüßt, dass die KOM im Rahmen des von Ihr vorgeschlagenen Strukturierten Dialogs die Zusammenarbeit mit den Sportorganisationen ausbauen will. Die KOM muss aber noch deutlicher machen, wie die Umsetzung der 53 Maßnahmen des Aktionsplans Pierre de Coubertin vonstatten gehen soll und welche konkrete Rolle den Sportorganisationen dabei zukommt. Insbesondere die angekündigten „thematischen Diskussionen“ sind aus Sicht des DOSB von Interesse. Der DOSB ist zu einem verstärkten Dialog bereit und sieht darüber hinaus die Notwendigkeit, auch den Kontakt mit den Sportministern der EU zu intensivieren. Das unter slowenischer Ratspräsidentschaft erstmals durchgeführte Treffen der EU-Sportminister mit der KOM und Vertretern der Nationalen Olympischen Komitees sollte fester Bestandteil jeder Ratspräsidentschaft werden. • Nach der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags wird die KOM ein eigenes EUSportprogramm auflegen, das aber nicht vor 2012 einsetzbar sein wird. Daher begrüßt der DOSB die Entscheidung der Europäischen Kommission, eine neue Haushaltslinie für den Sport im Haushaltsentwurf 2009 vorzusehen. Die zu fördernden Inhalte sollten allerdings eng mit den Sportorganisationen abgestimmt werden. • Der DOSB unterstützt den Vorschlag der KOM, die Vernetzung zwischen Strafverfolgungsbehörden und den von der WADA akkreditierten Dopinglabore zu stärken.