RÜCKBLICK Wahlen in Ostmitteleuropa – gendergerecht oder nicht? 37 Das ukrainische Parlament ist männerdominiert – Foto: Reuters Wahlen in Ostmitteleuropa – gendergerecht oder nicht? Nicht nur wer wählen darf, hat Einfluss auf die parlamentarische Repräsentanz von Frauen, sondern vor allem auch, wie gewählt wird. International vergleichende Studien zeigen: Wer gegen die Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten vorgehen will, muss auch das Wahlsystem in den Blick nehmen. Dieser Notwendigkeit kam das Regionalprojekt „Gendergerechtigkeit in Ostmitteleuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Anfang Mai dieses Jahres mit einer internationalen Konferenz in Budapest nach. Unter dem Motto „Women’s Participation in Politics: Do Electoral Systems matter?“ wurde diskutiert, welchen Einfluss Wahlsysteme in Ostmitteleuropa auf kommunaler, nationaler und europäischer Ebene haben: auf die Kandidat_innenaufstellung von Parteien und auf den Anteil von Frauen als gewählte Entscheidungsträgerinnen. Weitgehender Konsens besteht darin, dass Verhältniswahlsysteme die Repräsentanz von Frauen und somit Geschlechtergerechtigkeit eher begünstigen, wogegen Mehrheitswahlsysteme das Gegenteilige bewirken. Dies zeigt sich beispielsweise auf der europäischen Ebene: Die Mitgliedsstaaten mit den höchsten Anteilen weiblicher Abgeordneter, wie etwa Schweden oder Finnland, haben ausnahmslos ein Verhältniswahlrecht; die Länder mit dem niedrigsten Frauenanteil, wie Italien, Frankreich oder Griechenland, haben entweder ein abgeschwächtes Verhältniswahlrecht oder ein Mehrheitswahlsystem. Umso mehr bot die kürzlich verabschiedete Ausweitung des Mehrheitswahlrechts unter der Regierung Viktor Orbáns in Ungarn Anlass zur Kritik. Vertreter_innen aus Ostmitteleuropa bemängelten, dass Ungarn mit einem Frauenanteil von nur 9 Prozent ohnehin schon auf dem letzten Platz der EU liege. Die Entscheidung, im gemischten System nun auch noch den Mehrheitswahlanteil zu stärken, könne dazu führen, dass bei den Parlamentswahlen 2014 noch weniger Frauen ins Parlament kämen als es ohnehin schon der Fall sei. Geschlechtergerechtigkeit durch Quoten Die Situation in Polen und Litauen ist ein wenig besser. Der Frauenanteil liegt dort bei circa 24 Prozent. Wie Ungarn hat auch Litauen ein gemischtes Wahlrecht: Etwa die Hälfte der Sitze im nationalen Parlament werden im Verhältniswahlrecht gewählt; auch in Polen gibt es ein gemischtes Wahlsystem. Litauen und Polen machen deutlich, dass neben dem Wahlsystem noch andere Faktoren die Höhe des Frauenanteils in politischen Vertretungen beeinflussen: Der höhere Anteil von Frauen im litauischen Parlament geht auch darauf zurück, dass die dort gewählte sozialdemokratische Partei eine freiwillige Frauenquote von 40 Prozent eingeführt hat. Sie ist allerdings die einzige Partei in Litauen, die sich für eine solche Quote entschieden hat. In Polen wurde bereits 2011 das Wahlrecht um eine Quote für die Kandidat_innenlisten aller Parteien erweitert: Mindestens 35 Prozent Frauenanteil sollen die Listen nun aufweisen. Auch wenn Polen und Litauen noch weit entfernt sind von einer tatsächlichen Parität, zeigen sie, wie wichtig das Instrument der Quote für Geschlechtergerechtigkeit ist. Darüber hinaus nahmen die Teilnehmenden der Konferenz tradierte gesellschaftliche Normen in den Blick. Zur Diskussion standen die RÜCKBLICK Wahlen in Ostmitteleuropa – gendergerecht oder nicht? Art und Weise, wie Entscheidungen in Parteien und über Kandidaturen getroffen werden, sowie der unterschiedliche Zugang zu finanziellen Ressourcen. Insgesamt stieß die Veranstaltung auf so großes Interesse, dass auch die ungarischen Medien darüber berichteten. Die Ausweitung des Mehrheitswahlsystems in Ungarn kann damit zwar nicht rückgängig gemacht werden, doch der Druck auf die Regierung steigt! Projektkoordinatorin Regionalprojekt „Geschlechtergerechtigkeit in Ostmitteleuropa” der Friedrich-Ebert-Stiftung, FES-Büro Ungarn: Eszter Kováts <[email protected]> Ansprechpartnerin für Gender im Referat Mittel- und Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung: Dr. Stefanie Elies <[email protected]> 38