WahLen In OstmItteLeuROpa - Friedrich-Ebert

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RÜCKBLICK
Wahlen in Ostmitteleuropa – gendergerecht oder nicht?
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Das ukrainische Parlament ist männerdominiert – Foto: Reuters
Wahlen in Ostmitteleuropa –
gendergerecht oder nicht?
Nicht nur wer wählen darf, hat Einfluss auf die parlamentarische Repräsentanz
von Frauen, sondern vor allem auch, wie gewählt wird. International vergleichende Studien zeigen: Wer gegen die Unterrepräsentanz von Frauen in
Parlamenten vorgehen will, muss auch das Wahlsystem in den Blick nehmen.
Dieser Notwendigkeit kam das Regionalprojekt „Gendergerechtigkeit in Ostmitteleuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Anfang Mai
dieses Jahres mit einer internationalen Konferenz in Budapest nach.
Unter dem Motto „Women’s Participation in Politics: Do Electoral
Systems matter?“ wurde diskutiert, welchen Einfluss Wahlsysteme
in Ostmitteleuropa auf kommunaler, nationaler und europäischer
Ebene haben: auf die Kandidat_innenaufstellung von Parteien und
auf den Anteil von Frauen als gewählte Entscheidungsträgerinnen.
Weitgehender Konsens besteht darin, dass Verhältniswahlsysteme
die Repräsentanz von Frauen und somit Geschlechtergerechtigkeit
eher begünstigen, wogegen Mehrheitswahlsysteme das Gegenteilige bewirken. Dies zeigt sich beispielsweise auf der europäischen
Ebene: Die Mitgliedsstaaten mit den höchsten Anteilen weiblicher
Abgeordneter, wie etwa Schweden oder Finnland, haben ausnahmslos ein Verhältniswahlrecht; die Länder mit dem niedrigsten
Frauenanteil, wie Italien, Frankreich oder Griechenland, haben
entweder ein abgeschwächtes Verhältniswahlrecht oder ein Mehrheitswahlsystem.
Umso mehr bot die kürzlich verabschiedete Ausweitung des Mehrheitswahlrechts unter der Regierung Viktor Orbáns in Ungarn Anlass zur Kritik. Vertreter_innen aus Ostmitteleuropa bemängelten,
dass Ungarn mit einem Frauenanteil von nur 9 Prozent ohnehin
schon auf dem letzten Platz der EU liege. Die Entscheidung, im
gemischten System nun auch noch den Mehrheitswahlanteil zu
stärken, könne dazu führen, dass bei den Parlamentswahlen 2014
noch weniger Frauen ins Parlament kämen als es ohnehin schon
der Fall sei.
Geschlechtergerechtigkeit durch Quoten
Die Situation in Polen und Litauen ist ein wenig besser. Der Frauenanteil liegt dort bei circa 24 Prozent. Wie Ungarn hat auch Litauen
ein gemischtes Wahlrecht: Etwa die Hälfte der Sitze im nationalen
Parlament werden im Verhältniswahlrecht gewählt; auch in Polen
gibt es ein gemischtes Wahlsystem. Litauen und Polen machen
deutlich, dass neben dem Wahlsystem noch andere Faktoren die
Höhe des Frauenanteils in politischen Vertretungen beeinflussen:
Der höhere Anteil von Frauen im litauischen Parlament geht auch
darauf zurück, dass die dort gewählte sozialdemokratische Partei
eine freiwillige Frauenquote von 40 Prozent eingeführt hat. Sie ist
allerdings die einzige Partei in Litauen, die sich für eine solche Quote
entschieden hat. In Polen wurde bereits 2011 das Wahlrecht um
eine Quote für die Kandidat_innenlisten aller Parteien erweitert:
Mindestens 35 Prozent Frauenanteil sollen die Listen nun aufweisen.
Auch wenn Polen und Litauen noch weit entfernt sind von einer
tatsächlichen Parität, zeigen sie, wie wichtig das Instrument der
Quote für Geschlechtergerechtigkeit ist.
Darüber hinaus nahmen die Teilnehmenden der Konferenz tradierte
gesellschaftliche Normen in den Blick. Zur Diskussion standen die
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Art und Weise, wie Entscheidungen in Parteien und über Kandidaturen getroffen werden, sowie der unterschiedliche Zugang zu
finanziellen Ressourcen. Insgesamt stieß die Veranstaltung auf so
großes Interesse, dass auch die ungarischen Medien darüber berichteten. Die Ausweitung des Mehrheitswahlsystems in Ungarn
kann damit zwar nicht rückgängig gemacht werden, doch der
Druck auf die Regierung steigt!
Projektkoordinatorin Regionalprojekt „Geschlechtergerechtigkeit
in Ostmitteleuropa” der Friedrich-Ebert-Stiftung, FES-Büro Ungarn:
Eszter Kováts <[email protected]>
Ansprechpartnerin für Gender im Referat Mittel- und Osteuropa
der Friedrich-Ebert-Stiftung:
Dr. Stefanie Elies <[email protected]>
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