Salisches Kaisertum und neues Europa Die Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V. Herausgegeben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter ERNST-DIETER HEHL König - Kaiser - Papst Gedankliche Kategorien eines Konflikts Als einziger Beitrag des Bandes »Salisches Kaisertum und neues Europa in der Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs Y.« nennt der folgende den »König« in seinem Titel'. Der Konflikt, um den es in der Kette meiner Titelstichwörter geht, ist der zwischen den salischen Herrschern und den Päpsten, vor allem seit Gregor VII. Das Wormser Konkordat zwischen Heinrich V.und Calixt n. beendet ihn. Als frühen Höhepunkt des Konfliktes zwischen dem römisch-deutschen Kaiser und den Päpsten, als Kaiser-Papst-Konflikt, hat ihn die Forschung immer wieder behandelt, als einen Teil der für die lateinische Christenheit charakteristischen Auseinandersetzung um die Abgrenzung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt verstanden, in einer den Quellen angelehnten Forschungsterminologie geht es um eine Auseinandersetzung und' Abgrenzung zwischen Regnum und Sacerdotium. Eine um Kaiser und Kaisertum kreisende Begrifflichkeit erschließt den Konflikt offensichtlich nur zum Teil beziehungsweise wird zur Chiffre für einen Konflikt zwischen den beiden höchsten Instanzen weltlicher und geistlicher Gewalt in der lateinischen Christenheit. Hier war nur der Papst unangefochten für diesen Raum als ganzen zuständig, und »Kaiser« kann als Inbegriff herrscherlicher Gewalt gelten, und zwar für einen definierten Raum, der nicht mit der lateinischen Christenheit als solcher gleichzusetzen ist. Der Kaiser ist in diesem Verständnis der Idealtypus eines Königs, und er ist aufgrund seines Herrschaftsraumes in einer spezifischen Art der römischen Kirche und deren Oberhaupt zugeordnet. Das Ende des Konfliktes zwischen Kaiser und Papst in der salischen Epoche, das Wormser Konkordat', definiert deshalb die Rechte Kaiser 1 2 An Abkürzungen/Siglen sind verwendet: JL • PHILlPPUS IAPPB,Regesta pontificum Romanorum. Editionem secundam et auctam auspiciis GULIELMIWATIENBACHcuraverunt SAMULLOEWENPELO/FEROINANO KALTENBRUNNER/PAUL EWALO,2 Bde., Leipzig 1885-1888. MIGNB PL - I.-P. MIGNB, Patrologiae cursus completus. Series Latina. MGH Constitutiones 1, ed. LUOWIG WEILAND, Hannover 1893, Nr. 107 (Urkunde Heinrichs V.) und 108 (Urkunde Calixts ll.), S. 159-161. Grundlegend PBTERCLASSBN, Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte, in:Investiturstreit 8 ERNST-DIETER HEHL Heinrichs V. nicht als kaiserliche Rechte, sondern als Rechte in seinen Königreichen. Heinrichs zentrales Herrschaftsgebiet und seine eigentliche Machtbasis wird ausdrücklich als ein solches benannt. Im regnum Teutonicum soll er die Bischöfe und Äbte investieren, bevor sie die Weihe erhalten. In den anderen partes imperii soll der Gewählte innerhalb von sechs Monaten nach seiner Wahl investiert werden. Den Begriff »Investitur/investieren« vermeidet jedoch die päpstliche Urkunde, die dem Herrscher diese Rechte zugesteht, sondern es ist vom Empfang der regalia durch den Bischof die Rede. Nicht eine vom Kaisertum, sondern eine vom Königtum abgeleitete BegrifflichkeitJ prägt so die päpstliche Urkunde des Konkordats; auch die kaiserliche kommt ohne den Rekurs auf das Königtum nicht aus. Heinrich, Dei gratia Romanorum imperator augustus, gesteht für alle Kirchen, die sich in seinem regnum bzw. imperium befinden, die kanonische Wahl und freie Weihe zu. Diese Beilegung eines rund fünfzig Jahre alten Konflikts spiegelt zunächst einmal einen simplen Sachverhalt wider. Entstanden war der Konflikt zwischen König und Papst, und als solcher musste er deshalb auch ein Ende finden', Zugespitzt hatte sich der Konflikt zwischen den salischen Herrschern und den römischen Päpsten, weil er sich bereits in seinen Anfängen mit einem Konflikt zwischen dem Herrscher und seinen Großen verknüpft hatte. Auch hier handelte es sich seit dem Sächsischen Aufstand der l070er Jahre um einen Konflikt, in den der und Reichsverfassung, hg. von JOSEF FLECI<ENSTEIN(Vorträge und Forschungen 17), Sigmaringen 1973, S. 411-460; zum Abschluss vg!. die Diskussion zwischen CLAUDIA ZEY, Der Romzugsplan Heinrichs V. 1122/23. Neue Überlegungen zum Abschluss des Wormser Konkordats, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 56, 2000, S. 447-504, und BEATEScHILLING, Ist das Wormser Konkordat überhaupt nicht geschlossen worden? Ein Beitrag zur hochmittelalterlichen Vertragstechnik, in: ebd. 58,2002, S. 123-191. 3 Vg!. lRENE OrT, Der Regalienbegriff im 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 35, 1948, S.234-304; JOHANNESFRIED, Der Regalienbegriff im 11. und 12. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 29,1973, S. 45{}-528; CLAUDlA MÄRTL, "Res ecclesiae«, "beneficia ecclesiastica« und Regalien im Investiturstreit, in: Chiesa e mondo feudale nei secoli x-xn. Atti della dodicesima Settimana internazionale di studio, Mendola, 24-28 agosto 1992 (Miscellanea del Centro di studi medioevali 14), Mailand 1995, S.451472, bes. S. 466ff. 4 Die Frage, ob der Konflikt durch ein päpstliches Investiturverbot ausgelöst worden ist, berührt nicht das hier interessierende Problem. Vg!. die Diskussion zwischen RUDOLF ScHIEFFER, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König (Schriften der MGH 28), Stuttgart 1981, und (als seine letzte Stellungnahme) JOHANNES LAUDAGB,Nochmals: Wie kam es zum Investiturstreit, in: Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert - Positionen der Forschung, hg. von JÖRG ]ARNUT!MATTHIASWIlMHOFF (MittelalterStudien 13), München 2006, S. 133-150, der aber davor warnt, »die anfängliche Bedeutung des Investiturverbots zu überschätzen«, das er für 1075 annimmt. König - Kaiser - Papst 9 König involviert war. Weder Heinrichs IV. Kaiserkrönung von 1084 vom Reformpapsttum naturgemäß ignoriert" - noch die seines Sohnes und Nachfolgers 1111 hatten diese Grundkonstellationen verschoben. Die Grundfrage meines Referats ist deshalb, ob auch das Kaisertum die Beschreibung des Konflikts und die Suche nach einer Lösungsmöglichkeit geprägt und verändert hat. Ich konzentriere mich dabei auf den Konflikt zwischen Herrscher und Papst. Dass seine Lösung auf die königliche, nicht auf die kaiserliche Herrschaft abhob, habe ich bereits angedeutet. Das führt zu der Fragestellung, ob für das Kaisertum getroffene Aussagen der Zeitgenossen auf das Königtum übertragen wurden. Dass die Salier selbst ihrem Kaisertum einen hohen Rang einräumten, zeigte sich bereits in ihren Anfängen. Konrad 11. ließ 1028 auf seiner Kaiserbulle seinen bereits zum König erhobenen Sohn Heinrich Ill. darstellen und als spes imperii bezeichnen", Dessen Herrschaft jedoch bewies, dass es auch in den Beziehungen zur römischen Kirche unverziehtbar war, aufgrund königlicher Stellung handeln zu können. Als König hat Heinrich Ill. auf der Synode von Sutri für die Entfernung der drei um die Papstwürde rivalisierenden Päpste gesorgt und für die Erhebung eines neuen, der ihn dann zum Kaiser krönte. Vergleichbar hatte Otto Ill. 996 unmittelbar vor seiner Kaiserkrönung die Einsetzung Papst Gregors V. betrieben'. Doch damals war der rechtmäßig am tie5 6 7 Vg!. ALPaNS BECKER,Urban II. und die deutsche Kirche, in: Investiturstreit und Reichsverfassung (wie Anm. 2), S. 241-275. Becker konstatiert S. 244, dass in den erhaltenen Schriftstücken Urbans die Worte imperator bzw. imperium nicht mehr begegnen bis auf eine Ausnahme, ein »Trost- und Mahnschreiben« an Abt Berengar von St. Laurentius in Lüttich. Dort ist Heinrich IV, als homo Christianae pacis eoersor et ecclesiarum sacrilegus venditor, Romani imperii destructor, haereticorum auctor et defensor charakterisiert (MIGNBPL 151, Sp. 396; Regest: JL 5538). Erhalten bleibt jedoch die Nennung des Kaisers in Urbans Urkunden in der traditionellen Sanctio. Vg!. etwa für Empfänger aus dem nordalpinen Reich die Urkunden für Rottenbuch von 1090 und 1092: Sane, si quis in crastinum archiepiscopus, episcopus, imperator aut rex, princeps ... huius nostri privilegii paginam sciens contra eam temere venire temptaoerit ... (JL 5428: J. VONPpLUGK-HARTIUNG, Acta pontificum Romanorum inedita 2, Stuttgart 1884, S. 147; JL 5459: MIGNBPL 151, Sp. 339 C, dort imperator aut princeps). Urban nimmt den Kaiser nur noch als potentiellen Störer der kirchlichen Ordnung wahr. KARL5cHMID,Zum Haus- und Herrschaftsverständnis der Salier, in: Die Salier und das Reich I: Salier, Adel und Reichsverfassung, hg. von STBFAN WEINFURTBR unter Mitarbeit von HELMUTIfKLUGER,Sigmaringen 1991, S.21-54, hier S.29. Vg!. auch TILMANSTRUVE, Kaisertum und Romgedanke in salischer Zeit, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 44, 1988, S. 424-454, hier S. 426f. Zu Sutri zusammenfassend HEINZ WOLTBR,Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderbom 1988, S.379ft. Zu Gregors V. Amtsantritt TETAE. MOEHS,Gregorius V (996-999). A Biographical Study (Päpste und Papsttum 2), Stuttgart 1972, S. 25f.; SEBASTIAN ScHOLZ,Politik - Selbstverständnis - Selbstdarstellung. Die Päpste in karolingischer und ottonischer Zeit (Historische Forschun- 10 ERNST-DIETER HEHL rende Papst unmittelbar zuvor gestorben. Heinrich Ill. hatte jedoch direkt in eine verworrene Situation des Papsttums eingegriffen, und bald wurde diskutiert, ob er dazu überhaupt berechtigt gewesen war. Den schärfstenAngriff erhob der Verfasser des sogenannten Traktats De ordinando poniifice. Nicht dass Heinrich noch kein Kaiser gewesen sei, ist für diesen das Unerhörte. Er bezeichnet nämlich Heinrich ausdrücklich als Kaiser und bestreitet dann grundsätzlich das Recht eines Kaisers, sich in eine Papstwahl einzumischen. Denn einen weltlichen Herrscher gehe die Vergabe der höchsten geistlichen Würde nichts an. Der Kaiser sei ein Laie - und Heinrich ein Laie von zweifelhaftem Ruf', Heinrich selbst hatte versucht, sich eine zusätzliche Legitimation zu verschaffen, indem er mit seinem Kaisertitel auch den Titel eines patricius Romanorum angenommen hatte. Als Petrus Damiani mit seiner Disceptatio synodalis im Cadalusschisma die Diskussion um die Ereignisse von Sutri aufgriff, hat er mit diesem Amt Heinrichs Vorgehen gerechtfertigt. Nicht als Kaiser habe Heinrich interveniert. Den Versuch, dem König in seiner Eigenschaft als rex Romanorum bei der Papstwahl die Rechte des Romanus imperator zuzuschreiben, den der Verteidiger des Königs in der Disceptatio unternommen hatte, ließ Petrus Damiani 8 gen 26), Stuttgart 2006, S. 332ff., dort S. 363 zur Grabinschrift, in der die Lenkung der Papstwahl durch Otto III. hervorgehoben wird. Dieses Motiv findet sich auch auf dem von Sergius errichteten Epitaph für Silvester n., dazu ebd., S. 393. Letzte Edition: Der Traktat De ordinando pontifice, ed. ERWINFRAUENKNECHT (MGH Studien und Texte 5), Hannover 1995; vgl. hier S. 98, Z. 311-313: Post has itaque saneforum prohibitiones, post in aposiolicae sedis ueneraiione tot institutas sanctiones imperator iste Deo odibilis non dubitavit deponere, quem ei non licebat eligere; elegit, quem non erat Jas deicere. Voraus geht eine scharfe Kritik am Kaisertum (und damit weltlicher Herrschaft) überhaupt, S.96, Z. 291-S. 97, Z. 1: Ubi enim inveniuntur imperatores locum Christi obtinere? Si verius liceat nobis dicere potius offitio diaboli funguntur in gladio et sanguine, ut, dum per penitentiam eruantur vitia spirituali resecaiione, ipsi insaniant vel in cede vel in membrorum carnali obtruncatione. Zur Rolle der Laien bei Absetzung und Wahl von summi sacerdotes ebd., S. 92, Z. 246ff. Absetzung als Gericht steht allein Gott zu. Bei der Wahl dürfen Laien mitwirken, sed post sacerdotale iuditium (Z. 255). Die Einreihung des Kaisers unter die Laien und »einfachen« Menschen geht aus der Passage ab S. 89, Z. 201, und den dort gesammelten Zitaten hervor. Zu den Äußerungen über Heinrich III. vgl. HANSHUDERTANTON,Der sogenannte Traktat »De ordinando pontifice«. Ein Rechtsgutachten in Zusammenhang mit der Synode von Sutri (1046) (Bonner Historische Forschungen 48), Bonn 1982, S.49ff. Zur Verknüpfung der weltlichen Gewalt mit Teufelswerk in den Auseinandersetzungen der Kirchenreform und des Investiturstreits vgl. WOLFGANG STÜRNER,Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987, S. 123ff. (zu De ordinando S. 13lf.); BERNHARD TÖPFER,Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 45), Stuttgart 1999, S. 123ff. (einsetzend mit De ordinando). König - Kaiser - Papst 11 ins Leere laufen", Anerkannt hat er aber das Argument, Heinrich habe von den Römern mit der Würde des patricius Romanorum den principatus bei der Wahl des Papstes erhalten", Hier handelt der Herrscher demnach als Erster der Römer, als Haupt des römischen Volkes, das nach kanonischer Tradition an der Wahl seines Bischofs zu beteiligen war. Das Problem der Entfernung der drei rivalisierenden Päpste aus ihrem Amt wird überspielt, das politisch Entscheidende jedoch gesagt: Der Kaiser als solcher hat keinen Anteil an der Papsterhebung. Impliziert ist weiterhin: Die Stellung als patricius, die ihm diesen Anteil gibt, verdankt er innerrömischen Strukturen, doch sollte das Patriziat vererblich sein". Heinrich IV. hat dann die Bindung der patricius-Würde an die Verleihung durch die Römer gelöst. 1076 berief er sich in seinem Abdankungsbefehl an Gregor VII. auf seine Einsetzung durch Gott, was die Römer durch Eidesleistung anerkannt hätten". Die Erhebung Wiberts von Ravenna zum (Gegen-)Papst erfolgte 1084 consentiente pariter et agente rege Henricho eodemque patricio Romanae ecclesiaev, Als rombezogene Würde stellte das Patriziat den Herrscher vor das Problem, welchen Anteil römische Instanzen an dessen Verleihung hatten. Herrschaft und von der Person des Herrschers wahrgenommene Rechte konnten unterschiedlich legitimiert sein und aus verschiedener Wurzel stammen. Sich auf die Verleihung durch Gott zu berufen, ist der Versuch, Divergierendes zu einer neuen gedanklichen Einheit zu integrieren. Nicht allein der polemisierende Verfasser des Traktats De 9 10 11 12 Petrus Damiani, Disceptatio synodalis, ed. LOTHAR VONHIlINIlMANN, in: MGH Libelli de lite 1, Hannover 1891, S. 78, Z. 33 - S. 79, Z. 39; diese Edition hat die Disceptatio, die in einen Brief Damianis an den Gegenpapst Honorius 11.(Cadalus von Parma) integriert ist, separiert; überlieferungsgerechte Edition: Die Briefe des Petrus Damiani, ed. KURTRIlINDIlL(MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 4), Tei12, München 1988, S.531-572, Brief 89; hier S.543, Z. 18 - S. 546, Z. 10. Zur Sache vgl. HANNA VOLLRATH, Kaisertum und Patriziat in den Anfängen des Investiturstreits, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85, 1974, S. 11-44, hier S. 28. Petrus Damiani, Brief 89 / Disceptatio synodalis, ed. RIlINDIlL(wie Anrn. 9), S. 547, Z. 18ff. - S. 548, Z. 11 - MGH Libelli de lite 1 S. 80, Z. 29 - S. 81, Z. 2. Vgl. VOLLRATH, Kaisertum und Patriziat (wie Anrn. 9), S. 30. Vgl. VOLLRATH, Kaisertum und Patriziat (wie Anm. 9), S. 38. Die Briefe Heinrichs IV., ed. URL ERDMANN(MGH Deutsches Mittelalter I), Leipzig 1937, ep. 11, S. 14, Z. 24ft.: ego quoque assentiens omne tibi papatue ius, quod habere visus es, abrenuntio aique a sede urbis, cuius mihi patriciatus deo tribuente et iurato Romanorum assensu debeiut, ut descendas edico. Vgl. VOLLRATH, Kaisertum und Patriziat (wie Anm. 9), S. 13f.; GUIDOMARTIN,Der salische Herrscher als Patricius Romanorum. Zur Einflussnahme Heinrichs Ill. und Heinrichs IV. auf die Besetzung der Cathedra Petri, in: Frührnittelalterliche Studien 28, 1994, S. 257-295, hier S. 287. 13 Liber de unitate ecclesiae conservanda, ed. W. ScHWIlNKENBIlCHIlR, in: MGH Libelli de lite 2, Hannover 1892, S. 173-284, hier S. 217, Z. 22f.; vgl. mit Hinweis auf die ähnliche Formulierung ebd. S. 238, Z. 8-10 MARTIN,Patridus (wie Anm. 12), S.292 mit Anrn. 187. 12 ERNST-DIETER HEHL ordinando pontifice, sondern auch der auf Ausgleich bedachte Petrus Damiani treffen das Kaisertum im Grundsätzlichen: Der Verfasser des Traktats, indem er dem Kaiser jedes Recht an der Beteiligung an der Papsterhebung abspricht, aber doch an einer »einheitlichen« Kaiserherrschaft festhält; Petrus Damiani hingegen, indem er die Rechte des Herrschers in Einzelbestandteile unterschiedlicher Herkunft und Legitimation auflöst. Zurückgewiesen hat Damiani auch Vorstellungen, es könne einen nahtlosen Übergang zwischen der Rechtsstellung des rex Romanorum als künftigem Kaiser und des gekrönten Kaisers geben. Doch die Bereitschaft, dem Herrscher eine Position bei der Papsterhebung weiterhin zuzugestehen, war bei den frühen Reformern vorhanden. Der sogenannte Königsparagraph des Papstwahldekrets von 1059 bezeugt das>, Gleichzeitig macht er sichtbar, dass der deutsche König als künftiger Kaiser in die Vorgänge der Papsterhebung integriert werden sollte, aber nicht aufgrund eigenständiger Rechtsstellung, sondern aufgrund einer Konzedierung durch die römische Kirche. Positionen, die Einfluss auf die römische Kirche erlaubten, ließen sich in den Augen der Reformer nicht durch Erbe erreichen. Bereits den König mit derartiger Konzedierung einbeziehen zu können, war wegen der politischen Gefährdung der Reformer in Rom geboten und praktisch notwendig, weil eine Papsterhebung in die oft jahrelange Zeitspanne fallen konnte, die zwischen dem Regierungsantritt des Königs und seiner Kaiserkrönung liegen konnte. Deutlich wird in der Diskussion um die Einwirkungsmöglichkeiten des deutschen Herrschers auf die Papsterhebung, dass die Parteigänger der Salier nach dem Tod Heinrichs III. zunehmend von einem Königtum ausgingen, das zur kaiserlichen Gewalt gleichsam anwuchs, mit anderen Worten: diese in nuce bereits enthielt. Auf diese Weise konnten die römischen Angelegenheiten in die Zuständigkeit des Königs integriert werden, die königliche Stellung im nordalpinen Reich blieb davon unberührt. Die Reformer betrachteten das salische Königtum hingegen als eines, dem wie jedem anderen Königtum die Regierungsgewalt im eigenen Reich zufiel, weitergehende Rechte bezüglich der römischen Kirche aber eigens zugestanden und verliehen werden mussten. Der zentrale Konflikt zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. und dessen Nachfolgern kreist um die Wahrnehmung königlicher Rechte, die zwischen den beiden Polen »normales« Königtum - »erweitertes« 14 Derzeit maßgebliche Edition: DETLEVJASPER,Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 12), Sigmaringen 1986, S. 98-119, hier S. 104, Z. 84ft. (echte Fassung). Ausgangspunkt der immer noch anhaltenden Forschungsdiskussion ist HANS-GEORG KRAUSE,Das Papstwahldekret von 1059 und seine Rolle im lnvestiturstreit (Studi Gregoriani 7), Rom 1960. König - Kaiser - Papst 13 Königtum, um sie so zu benennen, oszillieren. Die offiziöse Absage Heinrichs IV. an den Papst und die Aufforderung, Gregor solle vom päpstlichen Thron herabsteigen, beruht auf seiner Königsstellung, die durch das Patriziat erweitert ist", und bezeichnenderweise fehlt der Hinweis auf das Patriziat in dem propagandistischen Absagebrief, den Heinrich im Reich verbreiten ließ. Hier betont er, dass er seine königliche Vollgewalt unmittelbar von Gott erhalten habe und der Papst mit Regnum und Imperium nichts zu tun habe", Das Investiturproblem als solches, das dann seit dem letzten Jahrzehnt des elften Jahrhunderts mehr und mehr in den Vordergrund trat, entstand aus der Wahrnehmung eines königlichen Rechtes, wie es im Reich, aber auch in den westeuropäischen Monarchien geübt wurde. Mit einer Sonderstellung des deutschen Königs, die über seine Beziehungen zu Rom und dem Papsttum begründet war, hatte es nichts zu tun, sondern, wie es zu Beginn des Jahrhunderts Thietmar von Merseburg formuliert hatte, mit einer spezifischen, durch die Königssalbung vermittelten Sakralität des Herrschers 17. Gregors Reaktion auf die Ereignisse von Worms demonstriert: Von nun an war Heinrich in seinen Augen ein König wie jeder andere, aber ausgezeichnet durch besondere Bosheit. Die Exkommunikation und Absetzung des Herrschers, die er auf der Fastensynode des Jahres 1076 verkündete, betraf Heinrich als Herrn des regnum Teutonicorum et Italiae, aufgrund der Lösung der Treueide, solle ihm keiner mehr sicut regi dienen". Die von Heinrich in Anspruch genommene Sonderstellung in Bezug auf die Römische Kirche ignorierte der Papst völlig. Heinrich hatte die besondere Rolle seines Königtums verspielt, wie Gregor in 15 16 17 Briefe Heinrichs IV. (wie Anm. 12), epp. 10 und 11, S. 12-14; siehe oben Anm. 12 das Zitat aus ep. 11 (dieser Brief ist in ep. 10 aufgenommen worden). Ebd., ep. 12 (5. 15-17). Thietmar von Merseburg, Chronik L 26, ed. ROBERTHOLTZMANN (MGH Scriptores rerum Germanicarum, Nova Series 9), Berlin 1935, S. 34. Thietmar stellt mit Genugtuung fest, dass die Macht Herzog Amulfs von Bayern, die Bistümer seines Herrschaftsbereiches zu verleihen (sua distribuere manu), nach dem Tod des Herzogs nicht auf dessen Nachfolger übergegangen sei: Quin potius reges nostri et imperaiores, summi rectoris vice in hac peregrinacione prepositi, hoc soli ordinant meritoque pre caeteris pastoribus suis presunt, quia incongruum nimis est, ut hii, quos Christus sui memores huius terrae principes constituit, sub aliquo sint dominio absque eorum, qui exemplo Domini benediccionis et coronae gloria mortales cunctos precellunt. Vg!. auch Thietmars Kritik an den 18 Zuständen im Königreich Burgund, dessen König die Bischöfe in die Abhängigkeit von den Großen hat geraten lassen. Für diesen Herrscher gilt: nomen tantum et coronam habet (VII, 30; ebd., S. 434, Z. 21£.). Vg!. generell HAGENKELLER,Die Investitur. Ein Beitrag zum Problem der -Staatssymbolik- im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27,1993, S. 51-86. Das Register Gregors VII., ed. ERICHCASPAR(MGH Epistolae selectae 2), Berlin 1920-1923; hier Register Ill, 10 a, S. 270, Z. 15-23. 14 ERNST-DIETER HEHL einem Schreiben nach Deutschland erkennen lässt, das außerhalb seines Registers überliefert ist". Gregor lässt hier seine Erfahrungen mit dem Herrscher Revue passieren, dessen übles Verhalten er geduldig propter imperialem dignitatem et reverentiam patris et matris des Königs ertragen habe. In der Hoffnung auf Besserung habe er Heinrich ermahnt, »von seiner Bosheit zu lassen und eingedenk seines durchlauchten Geschlechtes und seiner Würde sein Leben so zu führen, wie es sich für einen König und - so Gott wolle - künftigen Kaiser zieme«. Es ist die letzte Stelle, an der Gregor den König als künftigen Kaiser anspricht, später heißt es in dem gleichen Brief, er, Gregor, habe bis zuletzt darauf gehofft, mit demjenigen, der »zum Fürsten (princeps) des Volkes gesetzt und mit der Führung des größten Reiches betraut, der Verteidiger des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Gerechtigkeit (catholicae pads et iustitiae defensor) sein sollte«, zu einem Ausgleich zu kommen=. Heinrichs Position ist als Herrscher des größten und mächtigsten Reiches beschrieben, vom Kaisertum und seinen Implikationen ist nicht mehr die Rede. Mit der Lösung der Treueide hatte Gregor VII. den König in seiner Handlungsfähigkeit entscheidend geschwächt, der Opposition gegen den Salier hatte er gleichzeitig neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die noch 1077 in der Wahl Rudolfs von Rheinfeiden gipfelten. Die Kanonistik des 12. Jahrhunderts hat die Lösung von Treueiden, die dem König geleistet worden waren, als dessen faktische Absetzung begriffen". Im ausgehenden 11. Jahrhundert sahen die Parteigänger der Salier darin die Voraussetzung für den Bürgerkrieg. Sie betonen somit ebenfalls die politischen Konsequenzen, aber auch die geistlichen. Denn Gregor habe dem Meineid Tür und Tor geöffnet, führe mit seiner Aufforderung, den Heinrich geleisteten Eid nicht zu beachten, in Sünde und gefährde das Seelenheil derer, die auf sein Wort vertrauten", 19 ]L 4999; The Epistolae vagantes of Pope Gregory VII, edited and translated by H. E. J. COWDREY, Oxford 1972, Nr. 14, S. 32-41; überliefert auch in: Brunos Buch vom Sachsenkrieg c. 72, ed. HANs-EBERHARD LO~~ANN(MGH Deutsches Mittelalter 2), Leipzig 1937, S. 62~; hiernach zitiert, zur Ubersetzung siehe die folgende Anm. 20 Bruno, Buch vom Sachsenkrieg, ed. LOHMANN(wie Anm. 19), c. 72, S.63, Z. 1~; S. 65, Z. 4--6. Übersetzung nach der lateinisch/deutschen Ausgabe: Brunos Buch vom Sachsenkrieg, neu übersetzt von FRANz-JoSEPScHMALE,in: Quellen zur Geschichte Heinrichs IV. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12), Darmstadt 1968, S. 191-405, hier S. 290/291, S.294/295. 21 Grundlegend OrnMARHAGENEDER, Das päpstliche Recht der Fürstenabsetzung: seine kanonistische Grundlegung, in: Archivum Historiae Pontificiae 1, 1963, S. 53-95. 22 TILMANSTRUVE,Das Problem der Eideslösung in den Streitschriften des lnvestiturstreites, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 75, 1989, S. 107-132, hier S. 109; zur Verschränkung mit dem Kriegsproblem CARLERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistes- = König - Kaiser - Papst 15 Die Diskussion, ob der Papst berechtigt sei, Treueide zu lösen, war heftig. Zwar hat Gregor in seinem Dictatus Papae das Recht des Papstes aufgeführt, Untergebene von ihren Treueiden zu lösen-', doch hat er sich in seinen Briefen in das Reich darauf berufen, bei der Erhebung Pippins zum König habe der Papst auch die Treueide der Franken gelöst". Diesen historischen Hinweis hat Gregor zunächst nur beiläufig gegeben. Auch die Verteidiger des salischen Königtums haben kaum darauf abgehoben, dass der Papst Eide gelöst hatte, die einem König geleistet worden waren. Sie bestritten vielmehr grundsätzlich, dass ein Eid überhaupt gelöst werden könne, denn er ist im Namen Gottes geschworen und damit unverfügbar". Der König geriet erst dadurch ins Blickfeld, dass diejenigen, die sich auf die Lösung der Treueide durch Gregor beriefen, als meineidig gegenüber dem König und als Rebellen galten. Hier griffen nicht nur römischrechtliche Vorstellungen vom Majestätsverbrechen, sondern auch die Verfügungen westgotischer Konzilien, die Rebellion gegen den König unter kirchliche Strafe stellten und dem Bruch des Treueids das sacrilegium folgen ließen, die Hand gegen den Gesalbten des Herrn zu erheben", Gelöst hatte Gregor auch die Eide, die Heinrich in Zukunft geleistet würden. Bei der zweiten Exkommunikation und Absetzung Heinrichs präzisiert der Papst 1080 diese Eide: Sie werden de regni dominatione geleistet, beziehen sich auf Heinrichs Königtum und Königsherrschaft21. Unmittelbar zuvor hatte er erneut verboten, Heinrich »als König« (sicut regz) zu gehorchen. In seinem zweiten Schreiben an Hermann von Metz, in dem er die erneute Absetzung Heinrichs und die erneute Lösung der Treueide rechtfertigte, berief sich Gregor nicht allein auf die Eideslösung bei Pippins Königserhebung, sondern auch darauf, dass bei der durch den Papst verfügten Absetzung eines Bischofs, dessen Krieger von den Treueiden gelöst würden, die sie diesem geleistet hätten: milites absolvit a vinculo iuramenti, quod factum est his episcopis, qui 23 24 25 geschichte 6), Stuttgart 1935, bes. S. 213ff. Vgl. zu diesen Zusammenhängen Wenrich von Trier, Epistola sub Theoderici episcopi nomine composita, ed. KUNOFRANCKB, in: MGH Libelli de lite 1, Hannover 1891, S. 280-299, hier c. 6 und c. 7, S. 293-296. Register Gregors VII. (wie Anm. 18), II, 55 a: XXVII. Quod afidelitate iniquorum subiectos potest absolvere (5. 208). VgI. die beiden Schreiben an Hermann von Metz: Register Gregors VII. (wie Anm. 18) rv 2 (1076 August 25), S. 294, Z. 13-16; VIII, 21 (1081 März 15), S. 554, Z.7f. WERNERAFFBLDT, Königserhebung Pippins und Unlösbarkeit des Eides im Liber de unitate ecc1esiae conservanda, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 25,1969, 5.313-346, hier S. 336ff.; STRUVE,Problem der Eideslösung (wie Anm. 22), s.noa 26 27 VgI. STRUVE, Problem der Eideslösung (wie Anm. 22), S. 117£. Register Gregors VII. (wie Anm. 18), VII 14 a, S. 486, Z. 19. 16 ERNST-DIETER HEHL apostolica auctoritate a pontificali gradu deponuntut": Dem König ist oder wird in Zukunft ein Eid geleistet, der die dominatio regni betrifft, den Bischöfen sind Eide geleistet worden, die bei einer Absetzung gelöst werden, also nur so lange gültig sind, wie die Bischöfe rechtmäßig die dominatio ihres Bistums besitzen und in ihrem bischöflichen Amt sind. Amt und Würde sind bei der Eidesleistung von der Person ihres Trägers getrennt, der Eid zielt auf etwas Transpersonales. Gregors Parteigänger hatten der heinrizianischen These von der Unauflösbarkeit eines Eides vor allem die Überlegung entgegengesetzt, man dürfe und könne sich nicht durch Eid zu etwas Bösem und Sündhaftem verpflichten. Das ist ein moralischer Einwand, Gregor selbst verkündete eine institutionelle Bewertung des Eides, die den, dem der Eid geleistet wird, in zwei Personen aufspaltet: in eine »Prlvatperson« und in den Träger eines Amtes. Direkt ausgesprochen hat derartige Auffassungen Bemold von St. Blasien in seinem Traktat De solutione iuramentorunr". Wieder geht es um die Frage, ob gegenüber Abgesetzten und Exkommunizierten das juramentum subiectionis zu bewahren sei, obwohl sie der Papst synodali iudicio davon gelöst habe. Der Papst kann die höchsten geistlichen Würdenträger absetzen und deshalb natürlich auch einen der principes mundi wie den König, die ihre Würde ohnehin eher menschlicher Erfindungskraft (humana adinventio) als göttlicher Einsetzung (divina institutio) verdanken". Eine derartige Absetzung mache jedoch keinen Sinn, wenn nicht gleichzeitig die Gehorsamspflicht der Untergebenen aufgelöst werde. So ist Gehorsam gewissermaßen automatisch an die 28 29 30 Register Gregors VII. (wie Anm. 18), VIII, 21, S. 554, Z. 8ff. 1075 hat Gregor VII. Klerus und Laien der Diözese Konstanz von der Erfüllung ihrer eidlichen Verpflichtung gegenüber Bischof Otto gelöst, bis dieser zum Gehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl zurückgekehrt sei (JL 4971; Epistolae vagantes, ed. COWDREY [wie Anm. 19], Nr. 10, S.22-26); vgl. PAOLOPRom, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents (Schriften des ItalienischDeutschen Historischen Instituts in Trient 11), Berlin 1997 (ital. 1992), S. 107 (das dort weiterhin genannte Beispiel von Gregors Brief nach Therouanne und an Graf Robert von Flandern [JL 5250; COWDREY Nr. 46, S. 110-113], betrifft nicht unser Problem, denn hier soll die dem König versprochene fidelitas nicht zur Unterstützung des von diesem eingesetzten Lambert als Bischof verpflichten). Libelli, ed. Friedrich THANER,in: MGH Libelli de lite 2, Hannover 1892, S.I-168, hier Libellus XIL S.146-149; vg!. STRUVE,Problem der Eideslösung (wie Anm. 22), S. 119ff. Das Problem der eidlichen Bindung an einen iuxta legum constitutiones abgesetzten Bischof, Herzog oder eine andere hochgestellte Persönlichkeit erörtert auch Gebehard von Salzburg in seinem Brief an Hermann von Metz (c. 27). Hier müssen die alten Eide »nicht freiwillig, sondern gezwungen« aufgegeben werden, die Lösung der Eide wird dann zu einem Akt der Seelsorge, zur indulgentia culpae, ed. KUNOFRANCKE, in: MGH Libelli de Lite 1, Hannover 1891, S.261-279, hier S. 275, Z.29-35. Libelli de lite 2, S. 147, Z. 44£. König - Kaiser - Papst 17 Amtsdauer dessen gebunden, dem er unter Eid versprochen wurde. Bernold formuliert jedoch eine Einsicht, die Eid und Empfänger des Eides unmittelbar miteinander verknüpft: »Wenn wir es sorgfältig betrachten, dann wird ein Eid der Unterwerfung den Vorgesetzten nur hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Vorgesetzte (pro respectu praelationis) geleistet. Auch wenn das bei dem Eid nicht speziell in Worten ausgedrückt wird, so muss es doch im Eid mitverstanden werden, d. h., dass dieser sich jenem getreulich unterwirft, solange jener diesem im Amt des Vorgesetzten übergeordnet ist«31. Die Schlussfolgerung ist klar. Sobald jemand aus der vorgesetzten Stellung entfernt wird, ist der Unterwerfungseid hinfällig, weil er nur ad officium praelationis geschworen wurde. Bei der Absetzung eines Vorgesetzten ist eine formale Eideslösung deshalb gar nicht notwendig. Sie geschehe nur »wegen der Zweifel geistig Schwacher, die glauben, in einer derartigen Angelegenheit sei nichts erfolgt, wenn es nicht ausdrücklich benannt worden sei«, An den zitierten Stellen nennt Bernold den König nicht eigens, umso deutlicher wird, dass er in ihm einen bloßen Amtsträger sieht. Erst die Dekretistik der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hat in der Eidesfrage ähnlich klare Positionen formuliert wie Bernold. Rufinus unterschied ausdrücklich zwischen Eiden, die intuitu personarum oder intuitu dignitatum geleistet worden waren", Die letzten, und zu ihnen gehörte der Eid an einen Bischof, erloschen, wenn der Bischof seines Amtes enthoben wurde. Diese Eide konnten demnach aufgelöst werden. Das galt auch für den Eid an einen König, wenn dieser sein Amt verlor. Diese Überlegungen des Dekretisten stehen in dem Kommentar zu Gregors zweitem Brief an Hermann von Metz, in dem Gregor die Lösung der dem letzten Merowinger geleisteten Treueide mit dem Hinweis auf die Lösung eines Eides an den Bischof ergänzt hatte". 31 32 33 Ebd., S. 149, Z. 13-19; das Folgende ebd., Z. 19-25. STRUVE, Problem der Eideslösung (wie Anm. 22), S. 120, hebt auf das Erlöschen der eidlichen Verpflichtung mit dem Erlöschen des Amtes ab. Dass der Eid dem Vorgesetzten als Amtsträger geleistet wurde, thematisiert er nicht. ERNsT-DIETER HEHL,Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 19), Stuttgart 1980, S. 214; DERS.,Krieg, Individualisierung und Staatlichkeit im ausgehenden 11. und im 12. Jahrhundert, in: Europa an der Schwelle zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von Wemer Goez, hg. von KLAus HERBERs,Stuttgart 2001, S. 117-133, hier S. 128. Rufinus, Summa decretorum, ed. HEINRICHSINGER,Paderbom 1902, hier S. 350 zu Decretum Gratiani Causa 15 quaestio 6 c. 3. Die Schlussfolgerung des Rufinus lautet: lsti enim regi Franeorum iuraverant Franci intuitu regie potestatis; postquam ergo rex legitime regnum perdidii, iuramenii vinculum absolutum fuit. 18 ERNST-DIETER HEHL Dass diese Eide gelöst wurden, scheint aber nur auf den ersten Blick so. Denn in Wirklichkeit bestand die eidliche Bindung an die dignitas weiter, trat mit der Neubesetzung des Bistums erneut in Kraft. Huguccio hat am Ende des 12. Jahrhunderts die Eide an den König in dieses Gedankenmodell ausdrücklich einbezogen. Ein dem König intuitu regni geleisteter Eid schuf eine unauflösliche Verpflichtung gegenüber dem Reich, nicht gegenüber der Person des Königs. Eine päpstliche Eideslösung erklärte demzufolge nur, der König könne sich nicht mehr darauf berufen, ihm sei ein Treueid geschworen worden, und dann Gehorsam einfordern. Die Verpflichtung quoad regnum war von der Eideslösung nicht betroffen; sobald ein neuer Herrscher im Amt sei, gelte wieder die pristina obligatio. Hatte Bernold erklärt, eine formale Eideslösung nach der Absetzung eines Vorgesetzten sei nur deshalb erforderlich, weil Menschen von einfacher Natur solche direkten Vorgaben benötigten, so findet sich parallel dazu am Ende des 12. Jahrhunderts die Vorstellung, der Eid an einen neuen Herrscher sei nur deshalb geboten, damit die Verpflichtungen ihm gegenüber offenkundig würden. Sie geschieht nach Huguccios Worten ad cautelam, damit »durch die Dauer der Zeit die Bedingung der Verpflichtung nicht verdunkelt werde«34. Juristisch notwendig war das nicht, denn der einmal geleistete Eid hatte quoad regnum dauernde Gültigkeit. In der Diskussion um die Gültigkeit und die Lösung eines Eides wird deshalb im ausgehenden elften Jahrhundert ein neues Verständnis von König, Königsherrschaft und Königtum formuliert. Manegold von Lautenbach hat dies auf eine prägnante Formel gebracht: Quod rex non sit nomen naturae, sed vocabulum officii», Allein die Verteilung der Begriffe nomen und vocabulum stand hier einer metaphysischen Aufladung des Königtums entgegen. Dem Kaiser und dem Kaisertum fiel in dieser Diskussion keine argumentative Rolle zu, auch zählte es zu den officia praelationis, auf die Bernold in seiner Diskussion der Eideslösung abgehoben hatte. Die Forschung sieht in der politischen Diskussion und in den Konflikten der ausgehenden Salierzeit zu Recht die Tendenz zur Entsakralisierung des Herrscheramtes". Dieser Prozess der Entsakralisierung und - wenn man so will- Säkularisierung baute jedoch auf einer gleichzeitigen Funktionalisierung der geistlichen und weltlichen Führungspositionen auf. Die eben vorgestellte Diskussion um die Lösung 34 35 36 HEHL,Kirche und Krieg (wie Anm. 32), S. 215f. Manegold von Lautenbach, Ad Gebehardum Liber, ed. KUNo FRANCKE,in: MGH Libelli de lite 1, Hannover 1891, S. 300-430, hier c. 30 (Überschrift), S. 365. Vg!. zusammenfassend FRANZ-REINER ERKENS,Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, S. 2ooff., dort S. 213f. eine Kette von differenzierenden Bemerkungen. Vgl. auch seinen unten Anm, 60 genannten Aufsatz. König - Kaiser - Papst 19 der Eide macht das deutlich. Bischof und König sind hier gleichgeordnet und werden als Träger eines Amtes begriffen. Das Argurnentationsmuster, in dem die Lösbarkeit des Eides verteidigt wurde, ist das gleiche. Mag der König in solcher Diskussion auch als der politische Verlierer erscheinen, so tritt doch neben die Dauerhaftigkeit der Bischofskirche die Transpersonalität und Dauerhaftigkeit des regnum, zu beiden Institutionen bestanden dauerhafte eidliche Bindungen. Argument für Dauerhaftigkeit wurde das Römische Recht. Von seinem Ursprung her war es mit dem Kaisertum verbunden. In den Konflikten zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. hat es die salische Seite zunehmend genutzt. Als »Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie« hat Tilman Struve diesen Vorgang zuletzt beschrieben". Die Defensio Heinrici des Petrus Crassus und die sogenannten »falschen Investiturprivilegien« sind die Quellen, in denen das am systematischsten geschieht". Sowohl die Dauerhaftigkeit und Unanfechtbarkeit der salischen Herrschaft als auch ihres Irrvestiturrechts wollen sie verteidigen. Entscheidend ist jedoch, dass in beiden Quellen die Aussagen des Römischen Rechtes zu Kaiser und Kaisertum auf den König und das Königtum übertragen werden. Bei der Verteidigungsschrift des Petrus Crassus war das gar nicht anders möglich, denn Heinrich hatte damals noch nicht die Kaiserkrone erhalten. Petrus gibt dafür eine theologische Begründung. Gott habe den Menschen zweierlei Gesetze gegeben: »Das eine von ihnen trug er durch die Apostel und ihre Nachfolger kirchlichen Männem auf, das andere aber teilte er durch die Kaiser und Könige den weltlichen Menschen zu«. Mit einer Aussage Augustins belegt Petrus seine Meinung: »Die menschlichen Rechte teilte Gott durch irdische Kaiser und Könige dem Menschengeschlecht ZU«39.Die kurz danach zitierte Praefatio der Institutiones Justinians, die »kaiserliche Majestät« (imperatoria majestas) müs37 38 39 TILMANSTRUVE, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999. Zu beiden vg!. KARLJORDAN,Der Kaisergedanke in Ravenna zur Zeit Heinrichs IV. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der staufischen Reichsidee, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 2, 1938, 5.85--128; VERS.,Ravennater Fälschungen aus den Anfängen des Investiturstreits, in: Archiv für Urkundenforschung 15, 1938, S. 426-448; STRUVE,Salier (wie Anm. 37), S. 44ff. (ebd., S. 67f. zur Verfasserschaft und Lokalisierung der Defensio Heinrici des Petrus Crassus). Petrus Crassus, Defensio Heinrici IV. regis, ed. L. VONHBINEMANN, in: MGH Libelli de lite I, Hannover 1891, S. 432-453, hier c. 4 S. 438, Z. 39-45. Übersetzung nach der lateinisch-deutschen Ausgabe: Quellen zum Investiturstreit, Teil 2: Schriften über den Streit zwischen Regnum und Sacerdotium, übersetzt von IRENBScHMALB-Orr (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12b), Darmstadt 1984, s. hier S. 188/189. 20 ERNST-DIETER HEHL se mit Waffen und Gesetzen geschmückt und gewappnet sein, bezieht er deshalb auf Kaiser und Könige, die mit den Gesetzen die Bosheit der Menschen in die Schranken weisen sollen. Das Verhalten Gregors VII., der Mailänder Pataria und der Sachsen gegenüber Heinrich misst Petrus an Sätzen des Römischen Rechtes und verurteilt es. Die Sachsen haben nicht allein die erbrechtliehen Grundsätze des Römischen Rechtes missachtet, die Heinrichs Königtum legitimierten, sondern sie sind auch gemäß der Lex lulia maiestatis als Majestätsverbrecher zu verurteilen, »die contra imperatorem vel rempublicam etwas ins Werk gesetzt habene". Die Strafe, die ihnen droht, beschreibt Petrus mit einem weiteren spätrömischen Kaisergesetz. Doch sie haben eine Hoffnung: die »Barmherzigkeit des Richters«, Ihr soll alles überlassen werden, »damij König Heinrich in seiner Güte und Frömmigkeit die Strenge des Gesetzes gnädig mildert und allen, die um Verzeihung bitten, barmherzig verzeihte". Die durch das spätantike römische Kaiserrecht gestützte Königsherrschaft Heinrichs soll sich in traditioneller Form äußern: in Verzeihung für die, die darum bitten. Die falschen Investiturprivilegien kennen die Lex regia als Grundlage der kaiserlichen Herrschaft, sowohl im Hadrianum als auch im Priuilegium maius wird sie erwähnt=. Sie bildet die rechtliche Grundlage dafür, dass der Kaiser den Papst bestimmen kann. Die von den Römern vorgenommene Übertragung der Herrschaftsrechte gilt als unwiderruflich. Aber mit Begriffsbildungen wie rex Romani imperii und rex Romanum gubernans imperium43lassen die Fälschungen wiederum erkennen, dass die Absicherung der salischen Königsherrschaft Voraussetzung für salisches Kaisertum ist. Reihenweise zitiert das Privilegium maius so auch die kirchlichen Kanones zum Schutz der Königsherrschaft. Dieser rex Romani imperii soll seinen Nachfolger frei bestimmen können, was mit Vorbildern der Königsnachfolge im Alten Testament belegt wird. Das Privilegium minus erkennt dieses Recht Otto dem Großen zu, dem »ersten deutschen König« und seinen Nachfolgern in diesem »Regnum ltaliaee": Das Imperium Romanum wird hier offenkundig als Konglomerat von Königreichen verstanden. In den Regelungen zur Investitur ist regelmäßig von König und Regnum die Rede". 40 41 42 43 44 45 c. 8, 5.452, Z. 40-43 (5. 234/235). c. 8, S. 453, Z. 13-16 (5. 236/237). CLAUDIA MÄRTL, Die falschen Investiturprivilegien (MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi 13), Hannover 1986: Hadrianum, S. 144, Z. 49ff.; Maius, S. 181, Z. 24ff. Vg!. ebd.: Minus, S. 152, Z. 40f.; Maius, S. 202, Z. 375; Maius, S. 188, Z. 112f. Zur Nachfolgebestimmung vg!. Maius S. 202, Z. 384ff.; Minus, S. 151, Z. 30f. Hadrianum, 5.145, Z. 59ff.; Maius, S. 202, Z. 379; im Minus erscheint der König als der Investierende (5. 153, Z. 45), doch wird auch erwähnt, dass der Kaiser das dem König zustehende Investiturrecht einem anderen verleihen kann (5. 151, Z. 30ff.). ~------------------------------------------------------------~~ König - Kaiser - Papst 21 Sowohl bei Petrus Crassus als auch in den falschen Investiturprivilegien vermischen sich Argumente, die aus kaiserbezogener Tradition stammen, mit denen aus königsbezogener. Aber sie laufen auf die Konstruktion einer königlichen Herrschaft hinaus oder auf eine allgemein als monarchische Herrschaft zu charakterisierende, in der die Legitimationselemente von Kaiser- und Königtum vermischt sind und die Unterschiede zwischen kaiserlicher und königlicher Herrschaft verschwimmen und verschwinden. Die römischrechtlichen Vorstellungen, die seit dem letzten Viertel des elften Jahrhunderts vermehrt begegnen, lassen sich nämlich nicht auf die Person des Kaisers eingrenzen und ausschließlich zur Etablierung von Kaisertum und kaiserlicher Herrschaft nutzen, sondern sie dienen der Stütze weltlicher Macht an sich, wie sie in der Regel vom König eingenommen wurde. Das römische Recht gilt zwar seiner Herkunft gemäß formal als kaiserliches, ist aber inhaltlich gleichzeitig auch ein königliches. Ivo von Chartres hat in einem Brief an Erzbischof Hugo von Lyon, in dem er zur Investiturproblematik in Frankreich Stellung nahm, diesen Übergang, oder besser diese Gleichheit zwischen kaiserlichem und königlichem Recht mit einem Augustinuszitat herausgestellt. Ivo ging es um die Rechte seines Königs bei der Einsetzung eines Bischofs. Dass die Könige mit der Investitur nichts Geistliches vergeben wollen (und können), ist für ihn selbstverständlich, die weltlichen Besitztümer können jedoch nur iure humano besessen werden. Nimmt man die iura imperatorum weg, kann es keinen weltlichen Besitztitel geben. Augustins Schlussfolgerung war: Per iura regum possidentur possessiones. Ivo zitiert hier nur den spätantiken Kirchenvater, der hier keinen Unterschied zwischen den iura imperatorum und iura regum machte", Am Ende der langen Auseinandersetzung zwischen den salischen Herrschern und der Reformkirche waren deshalb kaum die kaiserlichen, wohl aber die königlichen Rechte präzisiert, nicht das Kaisertum, sondern das Königtum hatte gedanklich an Kontur gewonnen. Weil Heinrich als König mit dem Papst in den entscheidenden Konflikt geraten war, hatten die Reformer vor allem das Königtum im Blick, und 46 Ivo, ep. 60: Yves de Chartres, Correspondance, editee et traduit JEANLECLERCQ (Les classiques de l'histoire de France au moyen age 22), Paris 1949, S. 238-254, hier S. 248; das Augustinuszitat stammt aus dessen Tractatus in Ionannis evangelium VI, 25. Ivo hat diese AugustinussteIJe in seine Kanonessammlungen aufgenommen, vg!. sein in MIGNE,PL 161 gedrucktes Decretum Ill, 194, Sp. 244 und Panormia 11,63, Sp. 1095f. Zu Ivos Brief grundlegend HARTMUT HOFFMANN, Ivo von Chartres und die Lösung des Investiturproblems, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 15, 1959, S. 393-440. Zur Bedeutung der AugustinussteIle im Dekret Gratians vg!. HEHL, Kirche und Krieg (wie Arun. 32), S. 97ff. 22 ERNST-DIETER HEHL Heinrichs Anhänger konnten die Auseinandersetzung nicht auf das Feld Kaisertum verlagern. Die salischen Herrscher mussten zu allererst ihre Position als Könige verteidigen. Deutlich sichtbar wird das in den Verhandlungen, die Heinrich V. mit Papst Paschalis 11.über die Lösung des Investiturproblems führte. Damit sollte seine Kaiserkrönung vorbereitet und ermöglicht werden. Im Vorfeld der Synode von Guastalla vom Oktober 1106 bestanden die Anhänger des neuen Königs darauf, dass der Papst das ius regni anerkenne", Die Gesandtschaft, die Heinrich V. im folgenden Jahr nach Chälons-sur-Marne zu Verhandlungen mit dem Papst schickte, bestand ebenso auf dem ius regni": Der Traktat De investitura episcoporum, in dem die Forschung ein »offiziöses, im Auftrag des (salischen) Hofes verfasstes« Memorandum sieht", das seit seiner Entstehung im Jahre 1109 in den Verhandlungen zwischen Heinrich und Paschalis benutzt wurde, knüpfte an die falschen Investiturprivilegien an, wurde aber nicht müde zu betonen, das Recht zur Investitur sei nicht an das Kaisertum gebunden, sondern stehe den Königen zu - nicht nur dem deutschen, sondern allen im lateinischen Europa. »Von den Bischöfen Spaniens, Schottlands, Englands und Ungarns liest man, wie sie von alters her bis in die Gegenwart durch die Hand der Könige rein und makellos in ihr Amt eingetreten sind, im Frieden mit den weltlichen Belangen«, heißt es in dem Traktat, dessen Verfasser die Schlussfolgerung zieht: »Daher müssen bei der Investitur die alten Rechte je nach dem Her47 Donizo, Vita Mathildis celeberrimae principis Italiae II, 17 v. 1091, ed. LUIGISIMEONI (Rerum Italicarurn Scriptores 5/2), Bologna 1931-1940, S. 92. Vg!. CARLOSERVATIUS, Paschalis Il, (1099-1119). Studien zu seiner Person und seiner Politik (Päpste und Papsttum 14), Stuttgart 1979, S. 202; STEFANWEINFURTER, Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität. Von Rom 1111 bis Venedig 1177, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. von ERNsT-DIETER HEHL/lNGRIDH. RINGEL/HUBERTUS SEIBERT (Mittelalter-Forschungen 6), Stuttgart 2002, S. 77-99, hier S. 82; GEORGGRESSER,Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt 1049-1123, Paderbom 2006, S. 369 und S. 376. Suger, Vie de Louis VI le Gros c. 10, editee et traduite HENRIWAQUET(Les classiques de l'histoire de France au moyen age 11), Paris 1929, S. 56. Vorn ius regni ist in der Grußformel Erzbischof Brunos von Trier, des königlichen Gesandten, die Rede. Suger bezeichnet Heinrich bereits als imperator und lässt Bruno dann vortragen, die traditionelle Weise der Bischofserhebung solle vorn Papst anerkannt werden, denn sie gehöre zum ius imperii. Suger sieht in Heinrich einen König mit einern spezifischen Titel, nämlich dem des imperaior, und das impertum ist die Bezeichnung für ein spezifisches Königreich, das dem französischen nichts voraus hat. JUTTAKRIMM-BEuMANN, Der Traktat »De investitura episcoporum« von 1109, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 33, 1977, S.37-83, hier S.38; S. 6fr83 Edition. Vg!. auch JUTTABEuMANN,Sigebert von Gembloux und der Traktat de investitura episcoporum (Vorträge und Forschungen. Sonderbd. 20), Sigmaringen 1976, S. 91ff. n. 48 49 König - Kaiser - Papst 23 kommen in den Königreichen des Erdkreises bewahrt werden-'", Die Stellung des Bischofs im Gefüge des jeweiligen Reiches, ob ihm der König Regalien anvertraut hat oder nicht, begründet das Investiturrecht des Herrschers. Es ist nicht mehr an eine sakrale Position des Herrschers gebunden, denn auch ungesalbte Könige und die fränkischen Hausmeier haben mit Recht Bischöfe investiert". Die Definition der Regalien als »weltliche« Gerechtsame, die der Traktat entwickelt, nimmt dem König gleichzeitig ein Stück seiner angestammten Sakralität, zumindest bedarf er ihrer nicht, um seine Rechte in der Kirche seines Reiches zu wahren's, Weil der Verfasser des Traktats dem deutschen Herrscher - sei er noch König oder bereits Kaiser - keine andere Rolle in der Investiturfrage zuschrieb als den übrigen Königen Europas, bestand er nicht auf einem prinzipiellen Unterschied zwischen Kaiser und König, gleich wo letztere herrschten. Das einzige, was den Kaiser über die Könige heraushob, waren seine Rechte bei der Erhebung eines Papstes. Doch diese Rechte verdankte er dem römischen Patriziat, den Papst Hadrian unter der Zustimmung der Römer und einer großen Synode Kar! dem Großen übertragen hatte53• Mit dieser Auffassung folgte der Traktat nämlich dem Hadrianum der »falschen Investiturprivilegien«, und damit einem Text, der salische Auffassungen spiegelt. Wenn ein Kaiser wie hier Rechte besitzt, die diejenigen der übrigen Könige überragen, dann fließen diese nicht aus seiner kaiserlichen Stellung, sondern aus päpstlicher Verleihung. 50 KRIMM-BEUMANN, Traktat (wie Anm. 49), S. 74, Z. 107-110 und S. 79, Z. 177£.:Ex hoc, prout sunt consuetudines in regnis per orbem terrarum. de episcopis investiendis servanda sunt antiqua iura. Übersetzung nach der lateinisch-deutschen Ausgabe: Quellen zum 51 Investiturstreit, Teil2: Schriften über den Streit zwischen Regnum und Sacerdotium, übersetzt von lRENEScHMALE-Orr(wie Anm. 39), S. 587 und S. 591 (hier ist per orbem terrarum nicht übersetzt). KRIMM-BEuMANN, Traktat (wie Anm. 49), S.74, Z. 121-123: Longe mim ante decretum Adriani papae eiusque successorum reges, qui non erant uncti, et maiores domus investituras episcoporum fecerunt. 52 Hier liegt auch ein Ansatzpunkt für die Aufkündigung der »reforrnreligiösen Heilsgemeinschaft« zwischen Herrscher, Bischöfen und weltlichen Großen, die Stefan Weinfurter als Kern der Vereinbarungen bei der Kaiserkrönung Heinrichs sieht, die einen Rückfall der Regalien an den Herrscher vorsah und sich nicht durchsetzen ließ. Vgl. STEFANWEINFURTER, Reforrnidee und Königtum im spätsalischen Reich. Überlegungen zu einer Neubewertung Kaiser Heinrichs in: Reforrnidee und Reforrnpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich (Quellen und Abhandlungen zur rnittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1-45, bes. 33ff.; DERS.,Papsttum, Reich (wie Anm. 47), S. 84ff. KRIMM-BEuMANN, Traktat (wie Anm. 49), S. 67, Z. 23ff.: Et Adrianus papa, collaudanii- v., 53 bus Romanis et plena synodo primaium, archiepiscoporum, episcoporum, abbatum, ducum et principum acelamanie. Karolo magno eiusque successoribus, futuris imperaioribus, sub anaihemate concessit patriciatum Romanum, el per se vel per nunlios suos confirmationem in electione vel in consecraiione Romani pontificis concessit. 24 ERNST-DIETER HEHL Indem das Wormser Konkordat 1122 die Investiturrechte des Kaisers auf dessen Regna bezogen und Heinrich V. das billigte, reihte sich der Kaiser unter die Könige Europas ein. Die in Würzburg versammelten Fürsten hatten diesen Schritt für das Reich im Jahr zuvor bereits getan. Bei der von ihnen geforderten Lösung des Investiturproblems verpflichteten sie sich, darauf zu achten, dass der honor regni gewahrt bleibe", Die differenzierende Betrachtung der Position und Rechte des Herrschers, der ich an einigen Punkten nachgegangen bin, hat die Forschung auf die Begriffe Rationalisierung und Entsakralisierung gebracht. Stefan Weinfurter hat von einer » Entzauberung der Welt« gesprochen und damit einen von Max Weber geprägten Begriff aufgenommen", Aber: nun ging der Zauber erst richtig los, die französischen und englischen Könige begannen ihre Laufbahn als Wunderheiler, sie wurden zu » rois thaumaturgesv", die Deutschen unterlagen erneut und verstärkt dem Zauber des Kaisertums. Die entzauberte Welt, die aus der Zeit der gregorianischen Reform hervorging, war jedoch keine säkularisierte Welt. Auch weiterhin stellten Religion und Kirche die Ideale des Handelns bereit: »Religiös wertvoll« ist, so urteilt Max Weber über die Folgen der Entzauberung der Welt, »das rational Ethische«, »das Handeln nach Gottes Gebot, und auch dies nur aus der gottgeheiligten Gesinnung herause". Handeln aus gottgeheiligter Gesinnung heraus, forderten die Reformer auch von den Laien. Am Ende des n. Jahrhunderts gewann die Teilnahme am Kreuzzug daraus ihre Legitimation". Hatte sich am ersten Kreuzzug keiner der europäischen Könige beteiligt, so sind die Herrscher der Königreiche des lateinischen Westens dem bedrängten Heiligen Land im 54 MGH Constitutiones 1 (wie Anm. 2), Nr. 106, S. 158, Z. 26-28: Hoc etiam, quod ecclesia adversus inperatorem et regnum de investituris causatur; principes sine dolo et sine simulatione elaborareinienduni, ut in hoc regnum honorem suum retineat. Vgl. JUTfASCHLICk, 55 56 König, Fürsten und Reich (1056-1159). Herrschaftsverständnis im Wandel (Mittelalter-Forschungen 7), Stuttgart 2001, S. 79ff. STEFAN WEINFURTER, Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 2006. Grundlegend MARCBLOCH,Die wundertätigen Könige. Mit einem Vorwort von Jacques Le Goff. Aus dem Französischen übersetzt von CLAUDIAMÄRTL,München 1998 (franz, 1924: Les rois thaumaturges. Etude sur le caractere surnaturel attribuä la puissance royale particulierement en France et en Angleterre, Neuaufl. 1983). MAx WEBER,Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, in: DERs., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 1. Aufl. 1920, mehrere photomechanisch gedruckte Auflagen, zuletzt 8. Aufl. Tübingen 1986, S. 513. Die »Entzauberung der Welt«, von der Weber zuvor spricht, besteht darin, dass »alles Magische teuflisch geworden« ist, danach folgt die zitierte Charakteristik des religiös Wertvollen. Weber versteht die Entzauberung der Welt vor allem als einen innerreligiösen Vorgang, auch deshalb ist sie nicht mit Säkularisierung gleichzusetzen. ERNST-DIETER HEHL,Was ist eigentlich ein Kreuzzug?, in: Historische Zeitschrift 259, 1994, S. 297-336. a 57 58 König - Kaiser - Papst 25 zweiten und dritten Kreuzzug zur Hilfe geeilt. Friedrich Barbarossas Prestige, das er sich am Ende seines Lebens unter den europäischen Königen erwarb, beruhte darauf, dass er sich mit seinem Aufbruch zum Dritten Kreuzzug an einem Unternehmen beteiligte, das den Königen als gemeinsame Aufgabe gestellt war", Dass der Herrscher sein Amt von Gott habe, blieb auch im 12. Jahrhundert eine weit verbreitete Überzeugung. Die »sakrallegitimierte Königsherrschaft« ist der »Entzauberung der Welt« nicht zum Opfer gefallen", aber der Herrscher musste sich daran messen lassen, ob er in seinem politischen Handeln der göttlichen Ordnung auch gerecht werde. Doch weniger die Person des Herrschers als solche war sakral, sondern die Sakralität des Herrschertums musste gleichsam immer wieder erneut »erworben« und »verdient« werden". Gute Königsherrschaft ließ sich rational beschreiben, doch derartige »Rationalität« allein genügte den Herrschern und ihren Zeitgenossen nicht. Rationale Differenzierung und Abstrahierung ließen sich nämlich nicht ohne weiteres in politisches Verhalten umsetzen. So hatte etwa Ivo von Chartres erklärt, es sei gleich, mit welchem Symbol ein König die Investitur vornehme, solange klar sei, er vergebe damit nichts Ceistliches'S und trotzdem stritt man im Reich noch zwei Jahrzehnte um das Investitursymbol, bis man sich auf das Zepter geeinigt hatte. Warum das so war, haben die Urheber dieser Rationalisierungsprozesse meiner Ansicht nach selbst gesagt. Die Abstraktion allein genügte 59 60 61 62 RUDOLFHIESTAND,»precipua tocius chrisiianismi columpna«. Barbarossa und der Kreuzzug, in: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers, hg. von ALFREDHAvERKAMP (Vorträge und Forschungen 40), Sigmaringen 1992, 5.51-108. Zum Ansehen, das der französische König aus seinem Eintreten für Papst und Kirche gewann, vg!. BERNDScHNEIDMÜllER,Regni aut ecclesiae turbator. Kaiser Heinrich V. in der zeitgenössischen französischen Geschichtsschreibung, in: Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern. Geistige Auseinandersetzungen und Politik, hg. von FRANzSTAAB,Speyer 1994, S. 19~220, hier bes. S. 215ff. Vg!. FRANz-REINER ERKENS,Der pia Dei ordinaiione rex und die Krise sakrallegitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Vom Umbruch zur Erneuerung (wie Anm. 4), 5.71-101; DERS.,Herrschersakralität (wie Anm. 36), S.222ff. Vg!. am Beispiel Rudolfs von Rheinfelden ERNsT-DIETER HEHL,Maria und das ottonisch-salische Königtum. Urkunden - Liturgie - Bilder, in: Historisches Jahrbuch 117, 1997, 5.271-310, hier S.306; DERS.,Krieg, Individualisierung (wie Anm.32), S. 115f. ERKENS,Herrschersakralität (wie Anm. 36), S. 223, verweist auf die zahlreichen Heiligsprechungen von Königen im 12. Jahrhundert; diese Heiligsprechungen sind Anerkennung erworbener und verdienter Sakralität, die dem amtierenden Herrscher als Ansporn und Vorbild dienen sollte. Vgl. auch die Formulierung von Erkens: »VorsteUung von einer eigenen Sakralität der Herrscher, von einem besonderen Verhältnis der Könige zur göttlichen Sphäre, das sich durch die Lebensführung der Könige auf das Allgemeinwohl auswirken konnte ... « (ebd., S. 222). Vg!. HOFFMANN, Ivo (wie Anm. 46), S. 407. 26 ERNST-DIETER HEHL nicht. Anschaulichkeit war ebenso gefordert. Deshalb wurden Eide gelöst, deren Erfüllung nicht mehr eingefordert werden konnte, weil sie inzwischen automatisch einem anderen galten. Deshalb wurden einem Bischof oder einem König weiterhin Lehnseide geleistet, obwohl sie nach Ansicht der Fachleute angesichts fortdauernder Lehnsbindung an Bischofskirche und Reich überflüssig waren. Mochte die Figur des Kaisers unter den europäischen Königen auch gleichsam aufgegangen sein, so schien den Deutschen doch noch generationenlang der Kaiser und das Kaisertum die anschaulichste Form königlicher Herrschaft zu sein. Und das galt wohl nicht allein für Menschen von eher schlichter Denkart, denen Bernold ein besonderes Bedürfnis nach Anschaulichkeit zugeschrieben hatte. An der gedanklichen Präzisierung des Kaisertums aber, die aufgrund des Wesens des Konfliktes, der seit Heinrich IV.und Gregor VII. das Verhältnis zwischen dem römisch-deutschen Herrscher und den Päpsten bestimmte, nicht oder nur unzureichend in der ausgehenden Salierzeit erfolgen konnte=, versuchten sich die römisch-deutschen Herrscher dann in der Zeit Friedrich Barbarossas. Die Einreihung des römisch-deutschen Königs in das »neue Europa der Könige« jedoch, die das spätsalische Kaisertum vollzogen hatte und die gedanklich in der-zeitgenössischen Reflexion über die Rechte der Könige in den Kirchen ihrer Reiche vorbereitet worden war, sie wurde vielleicht bereits in den Anfängen der Dynastie begonnen. Denn Konrad 11.,der seinen Sohn Heinrich als spes imperii feierte, ließ für den Thronfolger schließlich doch nicht mehr eine Braut im kaiserlichen Byzanz suchen=, sondern im benachbarten dänischen Königreich. Für die ottonischen Kaiser war noch Byzanz das Maß aller Dinge gewesen. Von dort kam Ottos 11.Gemahlin Theophanu und auch die künftige Frau Ottos Ill. wurde von dort erwartet. Die Salier hingegen wandten sich in Zukunft bei ihrer Brautschau an die benachbarten lateinischen Könige und Reiche, auch das bedeutet eine Eingliederung in das Europa der Könige. 63 64 Vgl. auch STRUVB,Kaisertum und Romgedanke (wie Anm. 6), S.436ff. Den Höhepunkt des salischen Kaisergedankens sieht Struve im Werk Benzos von Alba gegeben. Für die Zeit nach 1085 führt er nichts Vergleichbares an. Für das Königtum kann Struve eine vergleichbare Analyse jedoch bis in das frühe 12. Jahrhundert führen, vgl. TILMANSTRUVH, Die Stellung des Königtums in der politischen Theorie der Salierzeit, in: Die Salier und das Reich 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, hg. von STBFANWBINFURTBR unter Mitarbeit von HU81lRTUS SEI8IlRT,Sigmaringen 1991, S. 217-244. Zu den Brautwerbungen für Heinrich Ill., wofür man sich zunächst in Byzanz bemühte, vgl. FRANZ-RBINER ERKENS, Konrad Il.Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg 1998, S. 113ff., S. 175f.; HERWIGWOLFRAM, Konrad n. 990-1039. Kaiser dreier Reiche, München 2000, S. 160, S. 215ff.