Zusatzmaterial zur Umsetzung des veränderten Geschichtslehrplans mit HORIZONTE 11 (978-3-14-111032-6) Die Entstehung der NS-Diktatur Die rasante Etablierung der Macht Nur ein halbes Jahr benötigten die Nationalsozialisten, um die Grundlagen der Weimarer Demokratie zu beseitigen, und spätestens nach eineinhalb Jahren war die Diktatur vollends etabliert. Neben der Frage, warum die Weimarer Republik gescheitert ist, ist daher im Hinblick auf die Durchsetzung der nationalsozialistischen Herrschaft die Frage von besonderem Interesse, wie und wieso sie so schnell gelang. Stufen der Machtsicherung Ein Überblick über die Ereignisse gibt erste Aufschlüsse. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurden für den 5. 3. 1933 Reichstagswahlen angesetzt. Dies war eine Bedingung Hitlers gewesen, da er sich eine deutliche Mehrheit erhoffte. Während des Wahlkampfes war der Reichstagsbrand ein entscheidendes Ereignis. Am 27. 2. 1933 ging das Gebäude in Flammen auf und die Nationalsozialisten nutzten dies, um gleich am nächsten Tag durch die Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung, wichtige Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft zu setzen. Vor allem die Kommunisten waren davon betroffen. Aber auch andere Parteien hatten unter massiven Einschüchterungen und Behinderungen zu leiden. Insofern war die Wahl nicht mehr frei. Mit einem Stimmenanteil von 43,9% wurde die NSDAP zwar stärkste Partei, verfehlte aber das Ziel einer absoluten Mehrheit. Die Eröffnung des neu gewählten Reichstags fand am 21. 3. 1933 in der Potsdamer Garnisonskirche statt. Hitler und Hindenburg waren bei diesem festlichen Akt die Hauptpersonen. Damit wollte sich das neue Regime in die ruhmreiche preußische Tradition stellen und Befürchtungen im konservativen Bürgertum besänftigen. Kurz darauf, am 23. 3. 1933, verabschiedete der Reichstag das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte Ermächtigungsgesetz, das bereits am folgenden Tag in Kraft trat. Dieses bestimmte, dass Gesetze nicht mehr vom Parlament verabschiedet werden mussten, kam also einer Selbstentmachtung des Reichstags gleich. Da das Gesetz auf vier Jahre befristet war, da die umfassende Krise bereits seit Jahren andauerte, da die Nationalsozialisten andere Parteien mit Angeboten lockten bzw. mit Drohungen einschüchterten und da die weitere Entwicklung der nationalsozialistischen Herrschaft für die Zeitgenossen so nicht vorhersehbar war, stimmten fast alle Parteien zu. Die Kommunisten konnten, da sie verfolgt wurden, an der Sitzung schon nicht mehr teilnehmen. Die SPD stimmte mit Nein. Parallel dazu schalteten die Nationalsozialisten alle konkurrierenden Gewalten aus. Dieser Prozess wurde von ihnen als „Gleichschaltung“ bezeichnet. Der Begriff meint zum einen, dass die Länder ihre Befugnisse verloren. Dies geschah durch zwei Gesetze „zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ am 31. 3. und 7. 4. 1933 sowie durch das Gesetz „über den Neuaufbau des Reiches“ vom 30. 1. 1934. 1 Zum anderen sollte das politische Leben ausschließlich nationalsozialistisch geprägt sein. So wurden die Gewerkschaften am 2. 5. 1933 aufgelöst. Die Parteien lösten sich unter Druck selbst auf oder wurden verboten. Schließlich existierte nur noch die NSDAP, was im Gesetz „gegen die Neubildung von Parteien“ vom 14. 7. 1933 festgeschrieben wurde. Schließlich kam es zur umfassenden Uniformierung der Gesellschaft im Sinne des Nationalsozialismus. Es gab nur noch nationalsozialistische bzw. nationalsozialistisch kontrollierte Organisationen. Damit war nach nicht einmal einem halben Jahr die Diktatur etabliert. Bis Sommer 1934 erfolgte dann die vollständige Durchsetzung der Macht. Höhe- und Endpunkt dieses Prozesses war zum einen der sogenannte Röhm-Putsch. Ernst Röhm, ein enger Vertrauter Hitlers und der Führer der SA, versuchte seine Macht und den Einfluss der SA auf Kosten der Reichswehr, der regulären Armee, zu stärken. Am 30. 6. 1934 ließ Hitler wichtige SA-Führer, die sich zu einer Zusammenkunft im bayerischen Bad Wiessee aufgehalten hatten, umbringen. Diese Aktion, die auch dazu genutzt wurde, viele politische Gegner Hitlers zu ermorden, wurde nachträglich durch ein Gesetz legalisiert. Zum anderen konnte sich Hitler, nachdem Hindenburg am 2. 8. 1934 gestorben war, zum „Führer und Reichskanzler“ erklären und die Reichswehr auf seine Person vereidigen lassen. Gründe für den Erfolg Bei der Erklärung dieses Prozesses ist der unbedingte Machtwille der Nationalsozialisten zu nennen, der in ihrer Weltanschauung begründet lag. Sie wollten ihren Einfluss nicht nach und nach ausbauen, sondern möglichst schnell und gründlich eine Diktatur errichten und ihre Gegner unterdrücken bzw. vernichten. Dazu verfügten sie über wirkungsvolle Massenorganisationen: Die NSDAP stieß als erfolgreiche Massenpartei – zumal nach der Krisenerfahrung der vorangegangenen Jahre – durchaus auf Rückhalt in der Bevölkerung. Die SA war kampferprobt und gewaltbereit. Denn die Machtsicherung beruhte zu einem großen Teil auch auf der systematischen und brutalen Verfolgung der politischen Gegner sowie der Einschüchterung der Bevölkerung. Terror war an der Tagesordnung. Die Machtsicherung verlief jedoch nach außen hin in geordneten, legalen Bahnen. Alle wichtigen Maßnahmen wurden per Gesetz durchgeführt: Die „Reichstagsbrandverordnung“ war eine präsidiale Notverordnung, das „Ermächtigungsgesetz“ verabschiedete eine Parlamentsmehrheit, sogar die Ermordung der SA-Führer wurde durch ein Gesetz nachträglich legalisiert. Begleitet wurde dieser Prozess durch eine intensive Propaganda, die gleichermaßen lockte und drohte und die zusehends auf Adolf Hitler ausgerichtet war. Seine Person schien die Überwindung der Krise und den Aufstieg Deutschlands zu verbürgen. Insofern scheint das Zusammenspiel von einer dynamischen und gewaltbereiten Massenbewegung von unten und einer geordneten und gesetzeskonformen Umgestaltung des politischen Systems von oben für den schnellen Erfolg der Nationalsozialisten entscheidend gewesen zu sein. 2 M1 Die „Reichstagsbrandverordnung” „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat” (28. Februar 1933): 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Aufgrund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte Folgendes verordnet: §1 Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reichs werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig. §2 Werden in einem Lande die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen, so kann die Reichsregierung insoweit die Befugnisse der obersten Landesbehörde vorübergehend wahrnehmen. §3 Die Behörden der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) haben den aufgrund des § 2 erlassenen Anordnungen der Reichsregierung im Rahmen ihrer Zuständigkeit Folge zu leisten. §4 Wer den von den obersten Landesbehörden oder den ihnen nachgeordneten Behörden zur Durchführung dieser Verordnung erlassenen Anordnungen oder den von der Reichsregierung gemäß § 2 erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt oder wer zu solcher Zuwiderhandlung auffordert oder anreizt, wird, soweit nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit einer schwereren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis nicht unter einem Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu 15000 Reichsmark bestraft. Wer durch Zuwiderhandlung nach Abs. 1 eine gemeine Gefahr für Menschenleben herbeiführt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten und, wenn die Zuwiderhandlung den Tod eines Menschen verursacht, mit dem Tode, bei mildernden Umständen mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Daneben kann auf Vermögenseinziehung erkannt werden. Wer zu einer gemeingefährlichen Zuwiderhandlung (Abs. 2) auffordert oder anreizt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden Umständen mit 50 Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Reichsgesetzblatt Teil I, Nr. 17/28.2.1933 M2 Das „Ermächtigungsgesetz” a) „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich” (24. März 1933): Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, dass die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind: Artikel 1 Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze. Artikel 2 Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt. Artikel 3 Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung. Artikel 4 Verträge des Reichs mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erlässt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften. Artikel 5 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird. Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 25/24.3.1933 5 10 15 20 25 30 35 40