4 Schutzmaßnahmen beim Errichten von Niederspannungsanlagen Im Niederspannungsbereich (d. h. bei Nennspannungen bis zu einem Effektivwert von 1 kV AC bzw. 1,5 kV DC) ist der Schutz gegen direktes Berühren weit weniger aufwendig als bei Hochspannung. So genügt z. B. gemäß Bild 63 die Einhaltung des Handbereichsabstands als Schutz gegen das Berühren blanker, aktiver Leiter; eine zusätzliche Gefahrenzone (einen Mindestabstand) gemäß Bild 48 bzw. Bild 54 wie bei Hochspannung gibt es hier nicht. Selbstverständlich muß auch ein einfacherer Schutz wirksam bleiben, falls erforderlich mit Hilfe speziell angepaßter Zusatzmaßnahmen. Dagegen spielen die Schutzmaßnahmen bei indirektem Berühren für Niederspannungsanlagen und -geräte eine wesentlich größere Rolle als für (abgeschlossene) Hochspannungsanlagen (s. Abschnitt 3.2.3). Denn elektrische Betriebsmittel für Niederspannung werden in jedem Privathaushalt von Laien (nicht immer bestimmungsgemäß) benutzt. Eine Wartung findet dort so gut wie nie statt. Geräteschäden werden nur bei Funktionsstörung behoben, Sicherheitsmängel aber häufig übersehen. Und ohne Schutzmaßnahmen können Berührungsspannungen in der Größenordnung der Nennspannung auftreten (s. Bild 71), deren Abgriff ohne weiteres möglich ist, da häufig gut geerdete, leitfähige Teile in geringem Abstand von der Fehlerstelle liegen. 4.1 Begriffe Außer den für einen ungestörten Betrieb charakteristischen Strömen sind in Bild 58 die verschiedenen Arten von Isolationsfehlern aufgelistet und dargestellt, die als Körper- oder Erdschlüsse elektrischer Betriebsmittel zum indirekten Berühren aktiver Teile und damit zur Personengefährdung führen, während Leiter- und Kurzschlüsse in erster Linie Sachschäden verursachen. Der quantitativen Beschreibung des Gefährdungspotentials oder der zu erwartenden Schadenshöhe dienen die in Bild 59 definierten Fehler- und Bemessungskenngrößen. Dabei kann als „Fehlerspannung“ so wie hier die Erdungsspannung oder ganz allgemein jede durch einen Isolationsfehler erzeugte „irreguläre“ Spannung verstanden werden; die Berührungsspannung (s. Bild 55) ist immer ein vom Menschen überbrückbarer Teil davon. Definitionsgemäß werden nur Differenz- und Kurzschlußströme als Fehlerströme betrachtet, da sie durch Isolationsfehler verursacht werden. Die Schleifenimpedanz des Kurzschlußstromkreises ist eine Bemessungsgröße, die zur Festlegung des Auslösestroms für die Abschaltung dieses Fehlers benutzt wird. 135 Ströme bei ungestörtem Betrieb ● Betriebsstrom (eines Stromkreises) ist der Strom, den der Stromkreis in ungestörtem Betrieb führen soll; der Betriebsstrom (eines Stromkreises) wird üblicherweise mit I b bezeichnet. ● zulässige (Dauer-)Strombelastbarkeit (eines Leiters) ist der höchste Strom, der von einem Leiter unter festgelegten Bedingungen dauernd geführt werden kann, ohne daß seine dauernd zulässige Temperatur einen festgelegten Wert überschreitet; die zulässige (Dauer-)Strombelastbarkeit (eines Leiters) wird üblicherweise mit I z bezeichnet. ● Ableitstrom (in einer Anlage) ist der Strom, der in einem fehlerfreien Stromkreis zur Erde oder zu einem fremden leitfähigen Teil fließt. Anmerkung: Dieser Strom kann eine kapazitive Komponente haben, insbesondere bedingt durch die Verwendung von Kondensatoren. Fehlerarten ● Isolationsfehler ist ein fehlerhafter Zustand in der Isolierung. ● Körperschluß ist eine durch einen Fehler entstandene leitende Verbindung zwischen Körper und aktiven Teilen elektrischer Betriebsmittel. ● Körper (eines elektrischen Betriebsmittels) ist ein berührbares, leitfähiges Teil eines elektrischen Betriebsmittels, das normalerweise nicht unter Spannung steht, das jedoch im Fehlerfall unter Spannung stehen kann. Nationale Anmerkung: Das Wort „Körper“ wird auch entsprechend der allgemeinen Umgangssprache für den menschlichen Körper oder den Körper eines Tiers angewendet; z. B. auch in zusammengesetzten Wörtern wie „Körperstrom“. ● Leiterschluß ist eine durch einen Fehler entstandene leitende Verbindung zwischen betriebsmäßig gegeneinander unter Spannung stehenden Leitern (aktiven Teilen), wenn im Fehlerstromkreis ein Nutzwiderstand liegt, z. B. Glühlampen oder dergleichen. ● Kurzschluß ist eine durch einen Fehler entstandene leitende Verbindung zwischen betriebsmäßig gegeneinander unter Spannung stehenden Leitern (aktiven Teilen), wenn im Fehlerstromkreis kein Nutzwiderstand liegt. ● Erdschluß Definition s. Bild 55 Kurzschluß Leiterschluß Bild 58 Normalbetrieb und Fehlerzustände, aus DIN VDE 0100-200 Beiblatt 1:1998-06 136 L1 L2 L3 N ● Fehlerspannung (UF) ist die Spannung, die zwischen Körpern oder zwischen diesen und der Bezugserde im Fehlerfall auftritt. ● Fehlerstrom ist der Strom, der durch einen Isolationsfehler zum Fließen kommt. 3 × 400/230 V 50 Hz RA M nicht isolierender Fußboden RB 3 × 400/230 V 50 Hz L1 L2 L3 PEN UB UF Bezugserde UB UF Bezugserde RA L1 L2 L3 N isolierender Fußboden RB RA Summe der Erdungswiderstände, RB Betriebserdungswiderstand, UB Berührungsspannung (s. Bild 55) Differenzstrom ist die Summe der Momentanwerte von Strömen, die an einer Stelle der elektrischen Anlage durch alle aktiven Leiter eines Stromkreises fließen. Nationale Anmerkung: Bei Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen nach den Normen der Reihe DIN VDE 0664 wird der Differenzstrom mit „Fehlerstrom“ bezeichnet. Bei der Summe handelt es sich um die vektorielle Summe (Betrag und Phasenlage) der Ströme, die in anderen Sprachen „algebraische Summe“ genannt wird. ● (unbeeinflußter, vollkommener) Kurzschlußstrom ist der Überstrom, der durch einen Fehler vernachlässigbarer Impedanz zwischen aktiven Leitern verursacht wird, die im ungestörten Betrieb unterschiedliches Potential haben. ● Überstrom ist der Strom, der den Bemessungswert überschreitet. Der Bemessungswert für Leiter ist die zulässige Strombelastbarkeit (s. Bild 58). Nationale Anmerkung: „Überstrom“ ist der Oberbegriff für Überlaststrom und Kurzschlußstrom. ● Überlaststrom (eines Stromkreises) ist der Überstrom, der in einem fehlerfreien Stromkreis auftritt. ● Schleifenimpedanz (Impedanz einer Fehlerschleife) ist die Summe der Impedanzen (Scheinwiderstände) in einer Stromschleife, bestehend aus der Impedanz der Stromquelle, der Impedanz des Außenleiters von einem Pol der Stromquelle bis zur Meßstelle und der Impedanz der Rückleitung (z. B. Schutzleiter, Erder und Erde) von der Meßstelle bis zum anderen Pol der Stromquelle. ● Bild 59 Fehler- und Bemessungskenngrößen, nach VDE 0100:1973-05 und DIN VDE 0100-200 Beiblatt 1:1998-06 137