Kapitel 7 - Die Herrschaft der Molekularbiologie Die

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Befreiungsbiologie 2
Kapitel 7 - Die Herrschaft der Molekularbiologie
Die Einsicht hinter Morgans Unverbindlichkeit bezüglich der materiellen Natur der Gene
und Johannsens Insistieren auf einer konzeptuellen Trennung von Genotyp und Phänotyp,
zwischen denen kein einfaches Kausalverhältnis angenommen werden durfte, ging im
Verlauf der Geschichte verloren. Bereits zu Morgans Zeiten sprachen sich manche
Genetiker entschieden für ein partikulär-präformationistisches Konzept der Gene aus. R. A.
Brink interpretierte Morgans Befunde als Beleg für "diskrete, selbst-replizierende, stabile
Körper - die Gene - die als Erbmaterial auf den Chromosomen liegen", was für ihn
bedeutete, dass diese "offensichtlich die primären internen Mittel zur Kontrolle der
Entwicklung [sind]". (Brink, 1927, in EFK refiguring, p.7???). Morgans Mitarbeiter
Hermann J. Müller zeigte sich besonders beeindruckt von der Fähigkeit der Gene, sich
selbst zu replizieren und zu mutieren, ohne dabei ihre spezfischen Kausalkräfte zu
verlieren. Selbst-Replikation stellte den Vererbungsmechanismus der Gene dar, während
stabile Mutationen Evolution durch das Hervorbringen von Merkmalsvariation
ermöglichten. Diese beiden Eigenschaften machten das Gen in Müllers Augen so wichtig,
dass er in dem ambitioniert betitelten Artikel "The gene as the basis for life" behauptete:
"The great bulk […] of the protoplasma [is], after all, only a by-product of the action of the gene
material; its 'function’ (its survival-value) lies only in its fostering the genes, and the primary secrets
common to all life lie further back, in the gene material itself" (1926, p. 200-201, in EFK refig, p. 8???)
Verschiedenes an diesem Zitat fällt auf: die pauschale und unbegründete Behauptung, das
meiste Zellmaterial sei nur ein Nebenprodukt des Genoms; die Zuschreibung aktiver
Handlungskraft ("action") an das genetsiche Material, sowie die mystifizierende
Sprachmetapher der Gene als "Geheimnis" oder "Grundlage des Lebens". Es finden sich
hier schon einige Elemente der später im Rahmen des Humangenomprojekts (HGP)
populären religiösen Rhetorik, die das Genom als "Buch des Lebens" oder gar als den
"heiligen Gral" bezeichnete.
Müller hatte aber ausser Rhetorik durchaus handfeste Belege für seine Sicht der Gene.
Gegen Ende der 1920er gelang es ihm, Mutationen durch physisches Einwirken auf das
Genmaterial zu erzeugen. Er benutzte dazu Röntgenstrahlung und fand, dass die Anzahl
induzierter Mutationen linear mit der Strahlendosis zunahm. In manchen Fällen gingen
strahleninduzierte Veränderungen der Chromosomen mit veränderten
Genkopplungsmustern einher. Da Strahlung in Form von Photonen gequantelt war,
vermutete Müller, dass auch das Genom gequantelt sein müsse, wobei die Gene die
vermuteten "Elementarpartikel" waren.
Mitte der Dreissiger Jahre war ein weiterer von Morgans ehemaligen Studenten, Calvin
Bridges, in der Lage, Gene nicht mehr nur relativ zueinander auf einem Chromosom
anzuordnen, sondern ihre absoluten Positionen auf dem Chromosom zu bestimmen. Als
Positionsmarkierung diente die charakteristische schwarz-weisse Bänderung bestimmter,
sehr grosser Chromosomen, die man in der Speicheldrüse von Drosophila entdeckt hatte.
Das Resultat bezeichnete man als "physikalische" Genkarte, da die Gene physikalischen
Orten auf dem Chromosomen zugewiesen werden konnten, im Gegensatz zu den früheren
Genkarten Sturtevants, welche Gene nicht physisch verankerten, sondern nur im relativen
Bezug zueinander.
Das Versprechen einer zunehmenden physischen Konturierung des Gens rief in den
1930er-Jahren zahlreiche Physiker und Biochemiker auf den Plan. Während die klassische
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Befreiungsbiologie 2
Transmissionsgenetik weiterhin betrieben wurde, erweiterte sich deren methodisches
Arsenal in Richtung der biochemischen Analyse von Genprodukten und der Nutzung
biologisch immer einfacherer Systeme, in denen sich die "Wirkung" der Gene möglichst in
Reinform studieren liess, sprich: in denen kein nennenswerter Entwicklungsprozess den
Genotyp vom Phänotyp trennte. Neben bewährten Versuchsorganismen wie Drosophila,
Mäusen und Maispflanzen kamen einfache Pilze und "bakterienfressende" Viren (sog.
Phagen) zum Einsatz.
In den 1940er Jahren wurden grosse Schritte in Richtung einer molekularen
Charakterisierung der Struktur und Funktion von Genen getan. Der Biochemie waren
damals sowohl Proteine als auch DNA schon bekannt. Von Proteinen wusste man, dass sie
aus 20 verschiedenen Bausteinen (den Aminosäuren) bestehen und als Enzyme eine
lebenwichtige Rolle spielen, indem sie Stoffwechselreaktionen beschleunigen. DNA war
bereits im 19. Jahrhundert im Nukleus von Zellen gefunden und seine langkettige Form
sowie seine biochemischen Bestandeile - ein Zucker, Phosphatreste und vier Basen - waren
identifiziert worden. Hätte man damals auf eines der beiden Moleküle als mögliches
materielles Substrat der Gene tippen müssen, hätte man die Proteine gewählt. Aufgrund
der beinahe endlosen Kombinationsmöglichkeiten ihrer Bausteine konnten sie in zahllosen
Varianten auftreten und schienen daher geeignet, die phänotypische Komplexität eines
Organismus zu repräsentieren, während DNA dafür zu simpel und repetitiv erschien.
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Es war daher keine geringe Überraschung, als der Amerikanische Mikrobiologe Oswald T.
Avery 1944 einen ersten starken Hinweis darauf lieferte, dass DNA der Stoff der Gene war.
Avery und Mitarbeiter studierten in New York Pneumokokken, jene Bakterien also, die
beim Menschen Lungenentzündungen hervorrufen können, und fanden einen virulenten
(ansteckenden) sowie einen nicht-virulenten Stamm. Faszinierenderweise liessen sich nichtvirulente Bakterien durch Injektion von DNA virulenter Bakterien selbst in virulente
Bakterien verwandeln. Es schien, als enthalte DNA die Information, um einen Bakterientyp
in einen andern zu transformieren. Der endgültigen Beweis, dass Gene aus DNA bestehen,
kam aus der Phagen-Genetik. Phagen sind Viren, die Bakterien befallen und sie zur
Selbstvermehrung benutzen. Man hatte bereits gezeigt, dass sog. T-Phagen zwar an der
Oberfläche von Bakterienzellen andocken, aber nicht als Ganzes in sie eindringen, und
dennoch lösen sich die Zellen nach einer Weile auf und spucken Hunderte von neuen
Phagen aus. Offenbar war es bloss ein Teil des Phagen, der die Bakterienzelle enterte, und
da T-Phagen nur aus einer Hülle aus Proteinen und einem Kern aus DNA bestehen, kam
nur eines dieser beiden Moleküle als Übeltäter in Frage. Im Jahre 1952 kamen Hershey und
Chase auf die Idee, Phagen-Protein und -DNA auf verschiedene Weise radioaktiv zu
markieren, so dass man sie biochemisch unterscheiden konnte. Damit konnten sie
zweifelsfrei nachweisen, dass es nur die DNA der Phagen war, die in die Bakterienzelle
eindrang und sie in eine "Fabrik" zur Vermehrung ihrer selbst umfunktionierte. Was
Averys Experiment schon angedeutet hatte, bestätigte sich nun: DNA war der Stoff, aus
dem Gene gemacht sind.
An anderer Front arbeiteten die Amerikaner George Beadle und Edward Tatum an der
unmittelbaren Wirkung von Genen auf Zellvorgänge. Sie benutzten radioaktive Strahlung,
um Mutationen in dem Schimmelpilz Neurospora crassa zu induzieren, die zu einem
Produktionsausfall bestimmter normaler Stoffwechselprodukte führten. Als gezeigt
werden konnte, dass einzelne Mutationen für den Ausfall einzelner Substanzen
verantwortlich waren, formulierten Beadle und Tatum 1941 die berühmte "Ein Gen - Ein
DNA steht für “Desoxyribonucleic acid”, zu deutsch "Desoxyribonukleinsäure" (DNS). Ich
benutze in diesem Buch die allgemein gebräuchliche englische Abkürzung.
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Befreiungsbiologie 2
Enzym"- Hypothese, wonach jedes "normale" Gen für die Bildung eines bestimmten
Proteins zuständig ist.
Durch die Identifikation der Gene mit DNA und dem Wissen, dass ein Gen für ein Protein
verantwortlich ist, wurde eine neue Vermutung, die "Kollinearitäts-Hypothese" möglich.
Sie besagte, dass die Sequenz von DNA-Bausteinen derjenigen der Aminosäuren eines
Proteins entspreche (Proteine bestehen aus Ketten aneinandergereihter Aminosäuren, von
denen es 20 verschiedene gibt). Wäre dies der Fall, könnte die Aminosäurensequenz eines
Proteins vielleicht von der DNA-Sequenz eines Gens "abgelesen" werden, d.h. die DNA
wäre ein Code für die Struktur von Proteinen. Im Laufe weniger Jahre sollte die
Kollinearitäts-Hypothese bestätigt werden.
Struktur und Replikation der DNA
Im Jahre 1953 gelang es dem Briten Francis Crick und dem Amerikaner James Watson in
ihrem Labor in Cambridge, England, die molekulare Feinstruktur der DNA aufzuklären.
Sie publizierten ihre Resultate in der renommierten Fachzeitschrift Nature (???). Die DNA
erwies sich als "Doppelhelix", d.h. als zwei separate, sich spiralförmig umeinander
windende Molekülstränge, die sich durch Querverbindungen aneinander "festhalten".
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X | | \ / | | X | | \ / | | X | | \ /
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/_G C_\
(__T A__)
(__A T__)
\_C G_/
\_/
X
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Befreiungsbiologie 2
Die Stränge bestehen aus Zucker-Phosphatmolekülen, und die Querverbindungen werden
von Basenmolekülen gebildet, von denen es insgesamt vier verschiedene gibt: Cytosin (C),
Thymin (T), Adenin (A) und Guanin (G). Jede Querverbindung wird von jeweils einem
Paar von Basen gebildet, die sich über die Lücke zwischen den zwei Strängen hinweg quasi
die Hand reichen. Die Paarungen sind nicht beliebig: C paart sich nur mit G, und A nur mit
T. Dies ist einfach deshalb der Fall, weil diese Paare chemisch zueinander passen und die
anderen möglichen Paare nicht. Fährt man an einem der Stränge entlang und notiert sich
fortlaufend die Basen, auf die man trifft, erhält man die DNA-Sequenz oder Basensequenz,
die den "genetischen Code" ausmacht. Z.B. TAGTAGGTAC. Fährt man in derselben
Richtung am zweiten Strang entlang, erhält man eine dazu komplementäre Sequenz, in
diesem Falle ATCATCCATG. Aufgrund der Paarungsregeln lässt sich aus der Sequenz des
einen Stranges immer die Sequenz des anderen Stranges ableiten.
Diesen Umstand macht sich die Zelle zunutze, wenn aufgrund einer bevorstehenden
Zellteilung die Verdoppelung - auch genannt Replikation oder Duplikation - der DNA
vonnöten ist. Die beiden DNA-Stränge, sagen wir X und Y, werden zuerst irgendwo
gekappt und dann aufgedröselt, so dass sie wie lose Enden in der “Luft” hängen. Nun kann
die DNA-Synthesemaschinerie der Zelle an jedem der beiden Enden andocken und den
dazu komplementären Strang (X und Y ) synthetisieren, was eben genau durch die
Spezifität der Paarungsregeln möglich wird. Jedes Adenin, das sie findet, paart sie mit ein
Thymin, jedes Ctyosin mit einem Guanin usw. Der neu synthetisierte Komplementärstrang
(z.B. X ) eines Stranges (X) ist somit eine Kopie des ursprünglichen Komplementärstranges
(Y). Der DNA-Syntheseapparat arbeitet sich die beiden Stränge entlang, welche dazu
kontinuierlich auseinandergerissen und freigelegt werden müssen. Am Ende der Prozedur
sind beide Stränge repliziert, was nichts anderes heisst, als dass die gesamte Doppelhelix
eines Gens oder Chromosoms repliziert wurde. Die eine Doppelhelix besteht nun aus den
Strängen X und X , und die andere aus Y und Y , wobei X = Y und Y = X.
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Der genetische Code
Watson und Crick hatten diesen Mechanismus der DNA-Replikation, dessen genaue
Ausarbeitung Jahre dauerte, schon in ihrem Artikel vorgeahnt, merkten sie doch im letzten
Satz non-chalant an: "It has not escaped our notice that the specific pairing we have
postulated immediately suggests a possible copying mechanism for the genetic material."
In einem weiteren Artikel, ebenfalls aus dem Jahre 1953 und ebenfalls in Nature publiziert
(???), nahmen sie eine zweite grosse Entdeckung, die des "genetischen Codes", vorweg. Sie
postulierten "that the precise sequence of the bases is the code that carries the genetical
information" - dass also die genaue Reihenfolge der DNA-Basen den Code ausmache, der
die genetische Information trage. Auch diese Vermutung sollte sich später bestätigen. Für
ihre Leistungen erhielten Watson und Crick 1962 den Nobelpreis.
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Diese Schilderung enthält zwar die baren Fakten, ist jedoch zu verklärerisch in dem, was
sie auslässt. So war die Entdeckung der DNA-Struktur keinesfalls nur auf Watson und
Cricks Mist gewachsen. Tatsächlich hatte ihnen die röntgenmikroskopische Arbeit einer
anderen Forscherin in Cambridge, Rosalind Franklin, in die sie ohne deren Erlaubnis
Einsicht hatten, entscheidende Hinweise auf die Struktur der DNA geliefert
(http://www.exploratorium.edu/origins/coldspring/ideas/printit.html ???). In ihrer Publikation gaben sie
aber an, nichts von diesen Untersuchungen gewusst zu haben. Depew und Weber
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Befreiungsbiologie 2
Der "genetische Code" und die Mechanismen, durch welche eine DNA-Sequenz "gelesen" und in ein entsprechendes
Protein verwandelt wird, konnten bis etwa Mitte der 1960er-Jahre enträtselt werden. Mit dem genetischen Code ist das
Schema gemeint, nach dem die Basensequenz eines Gens in die Aminosäurensequenz eines Proteins "übersetzt" wird. Es
gibt wie gesagt vier verschiedene Basen (C, G, A, T) und 20 verschiedene Aminosäuren. Wie könnte ein Code aussehen,
der das eine dem anderen eindeutig zuordnet? Ein Code also, bei dem eine gegebene Basenfolge genau eine, und nur eine,
Aminosäurenfolge bestimmt? Als Lösung stellte sich heraus, dass jeweils eine Dreiergruppe (ein “Triplett”) von Basen
eine Code-Einheit (ein ”Codon”) bilden, die einer bestimmten Aminosäure entspricht. So entspricht etwa dem
Basentriplett "GCA" die Aminosäure Alanin, dem Triplett "AGA" die Aminsoäure Arginin und dem Triplett "TCC" die
Aminosäure Serin. Aus vier verschiedenen Basen, angeordnet in Dreiergruppen, kann man ingesamt 64 verschiedene
Codons bilden. Diese werden im genetischen Code auf die 20 verschiedenen Aminosäuren abgebildet. Allerdings gibt es
insgesamt vier Codons, die nicht für Aminosäuren codieren, sondern den Anfang und Schluss eines Gens markieren (sog.
Start- und Stopp-Codons). Somit bleiben 61 Codons, die 20 Aminosäuren zugeordnet werden müssen. Dieser Überschuss
an DNA-Codons bedeutet, dass in der Regel mehrere verschiedene Codons für ein und dieselbe Aminosäure codieren.
Der Code ist somit in der Richtung von Aminosäure zu DNA mehrdeutig, oder redundant. Mit andern Worten, aus dem
Wissen, welche Aminosäure synthetisiert wurde, lässt sich nicht eindeutig schliessen, welches Codon dafür codierte. Es
kommen stets mehrere in Frage. In der Richtung von DNA zu Aminosäure schien der Code jedoch eindeutig, indem jedes
Codon nur auf genau eine Aminosäure verwies. Im Kapitel ??? werde ich das Konzept des genetischen Codes stark
relativieren, aber an dieser Stelle benutze ich weiterhin das offizielle Vokabular der Genetik.
Genexpression: Transkription und Translation
Zur Zeit der Entschlüsselung des genetischen Codes wurden auch die Grundzüge der molekularen Mechanismen, die von
einem Gen zu einem bestimmten Protein führen, aufgeklärt. Dieser Prozess verläuft in zwei Schritten, genannt
Transkription und Translation. Die beiden Schritte zusammen werden als Gen-Expression bezeichnet. In der Transkription
wird die DNA eines Gens abgelesen und eine einsträngige Kopie davon gemacht. Diese sog. messenger RNA (mRNA) ist
beinahe identisch zur DNA, ausser dass die Base Thymin durch eine andere Base, Uracil, ersetzt wird. Diese Ersetzung
ändert nichts an den Eigenschaften des Codes, und warum sie überhaupt stattfindet, braucht uns hier nicht weiter zu
kümmern. Für unsere Zwecke genügt es, darauf zu achten, im genetischen Code den Buchstaben 'T' durch 'U' zu ersetzen
(Abbildung ???).
DNA-Sequenz:
---CTG-ACT-CCT-GAG-GAG-AAG-TCT---
mRNA-Sequenz:
---CUG-ACU-CCU-GAG-GAG-AAG-UCU---
Abbildung ???: Transkription von DNA zu mRNA.
Die RNA-Kopie heisst messenger RNA, weil sie - wie ein Bote - den genetischen Code aus
dem Zellkern hinaus ins Zytoplasma trägt, wo dieser "abgelesen" und in das entsprechende
Protein umgewandelt wird, was dem Prozess der Translation entspricht (Abbildung???).
Dabei wird der mRNA-Strang wie ein Band durch eine Lesemaschine gezogen, die
fortlaufend die Basen-Codons - z.B. - AUG - CGT - UAU - … - "abliest", und die dazu
gehörigen Aminosäuren aneinanderkettet - Methionin - Arginin - Thyrosin - … Das alles
geschieht in einem Tempo von ca. 4 Aminosäuren pro Minute. Die mRNA wandert durch
die Lesemaschine (die in Wahrheit ein komplexes Molekül namens "Ribosom" ist) und
gleichzeitig wächst an anderer Stelle die neu synthetisierte Aminosäurekette an. Wenn das
gesamte mRNA-Band "gelesen" und "übersetzt" ist, wird die fertige Aminosäurekette vom
Ribosom abgekoppelt und ins Zytoplasma entlassen, wo sie sich später zu einem
dreidimensionalen Protein auffaltet.
mRNA-Sequenz:
---CUG-ACU-CCU-GAG-GAG-AAG-UCU---
bezeichnen diese Vorgehensweise als "manipulative und chauvinistic". (p. 346, darwinism
evolving ???)
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Befreiungsbiologie 2
Aminosäuresequenz: ---Leu-Thr-Pro-Glu-Glu-Lys-Ser--Abbildung ???: Translation von mRNA zu Aminosäurenkette
Vielleicht fragen Sie sich, wie denn das Ribosom zu jedem mRNA-Codon die "richtige"
Aminosäure findet. Die Verbindung zwischen Codon und Aminosäure wird durch ein
weiteres Molekül namens Transfer-RNA (tRNA) hergestellt. In aller Einfachheit gesagt
bindet die tRNA an einem Ende an das aktuelle mRNA-Codon und am anderen Ende an
die passende Aminosäure, so dass letztere an die wachsende Aminosäurekette angehängt
werden kann. Natürlich ist das noch keine Erklärung, denn jetzt lautet die Frage, wie denn
die tRNA zu jedem Codon die passende Aminosäure findet. Die Antwort darauf lautet
letztlich: durch das räumlich selektive Zusammenpassen jeder Aminosäure mit genau
derjenigen tRNA, die an das (dieser Aminosäure) entsprechende Codon bindet. Die Bindung
einer bestimmten tRNA an ein bestimmtes Codon ist dabei ebenfalls eines Sache der
Spezifität des räumlichen Zusammenpassens zwischen dem Codon auf der mRNA und
einer dazu komplementären Region namens "Anti-Codon" auf der tRNA. Jedes tRNA Molekül hat also zwei Bindungsstellen: eine für Aminosäuren, und eine, genannt "AntiCodon", für das aktuell "gelesene" mRNA-Codon (Abbildung???). Insgesamt muss es
mindestens 20 verschiedene Typen von tRNA-Molekülen für die 20 verschiedenen
Aminosäuren geben. Die tatsächliche Anzahl liegt aber eher bei 50, was bedeutet, dass es
für manche Aminosäuren mehr als eine Art tRNA-Molekül gibt. Auch dieses System ist
also redundant.
A
C -- Aminosäure
C
A
G--C
C--G
C--G
C--G
G--C
G--C
G--C
G A
U
C U C C C
G
C G A
G
| | | | |
G
U
U U C G
G A G G G
C
G
| | |
C
U U
G
U A G C
U
A C A
G
A G A
C--G
C--G
G--C
C--G
A--U
C
A
U
A
C A U Anti-Codon
- - - - - -G
U A - - - - - - - - - - - - - - - - - mRNA
mRNA-Codon
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Befreiungsbiologie 2
Abbildung ???: Transfer-RNA (tRNA). AAC ist die Bindestelle für Aminosäuren, CAU ist das Anti-Codon,
GUA das entsprechende Codon auf dem mRNA-Strang.
Eine Explosion von Komplexität
Die obigen Beschreibungen von Gen-Replikation und Gen-Expression sind
Bilderbuchskizzen. Bereits damals, als diese Prozesse aufgeklärt wurden, präsentierten sie
sich als komplizierter als hier geschildert. Was jedoch in den kommenden Jahrzehnten
folgte, kam einer förmlichen Explosion weiterer Details, Modifikationen, Ausnahmen von
der Regel, Verästelungen und Verkomplizierungen gleich.
Die bisherigen Ausführungen zeichneten ein klares und einfaches Bild von Struktur und
Funktion der DNA, welches einem minimalen Basiswissen entspricht, mit dem
Generationen von Schülerinnen und Schüler versorgt wurden. Gemäss diesem Bild besteht
das Genom aus einer Reihe von Genen, die auf Chromosomen wie Perlen auf einer Schnur
aufgereiht sind. Die Gene bestehen aus DNA. Jedes Gen codiert für ein Protein. Der Code
liegt in der linearen Abfolge von DNA-Basen, von denen es vier verschiedene gibt. Er
besteht aus Einheiten von jeweils drei Basen ("Basen-Tripplets"), auch "Codons" genannt,
wobei jedes Codon genau eine von zwanzig möglichen Aminosäuren spezifiziert. Wenn ein
Gen exprimiert wird, wird zunächst eine Kopie der DNA in einem mRNA-Molekül
hergestellt. Das mRNA-Molekül enthält denselben Code wie die DNA. Diesen Vorgang
nennt man Tranksription. Der mRNA-Code wiederum wird von einem komplizierten
molekularen Apparat gescannt, der daraus die entsprechende Aminosäurekette, aus der
das Protein besteht, synthetisiert. Diesen Vorgang nennt man Translation. So weit, so gut.
An keiner Stelle ist dieses Schema ganz falsch. Aber es ist auch an keiner Stelle ganz richtig.
Ich beginne mit dem Aufbau des Genoms.
Die erste Überraschung besteht darin, dass keinesfalls jedes Gen ein strukturelles, also
protein-codierendes Gen ist. Nicht einmal 2% des Genoms besteht aus protein-codierenden
Genen! Der Rest besteht aus verschiedenen anderen DNA-Sequenzen, deren Natur noch
immer Gegenstand intensiver Forschungen ist. Von ganzen 90% des Genoms vermutete
man zeitweilig, dass es aus "DNA-Müll" (“Junk-DNA”) bestehe, aus Basensequenzen ohne
jede Funktion für den Organismus. Heute weiss man, dass etwa die Hälfte des Genoms aus
hoch-repetitiven Sequenzen besteht, wovon viele sog. "springende Gene" oder
"Transposons" sind. Es handelt sich dabei um mobile DNA-Elemente, die ihre Position
innerhalb des Genoms verändern können. Sie springen quasi von einem Ort zu einem
anderen. Es wird vermutet, dass diese DNA zu einem grossen Teil von anderen Spezies,
insbesondere durch Bakterien, in unser Genom gelangt ist. Es gibt Hinweise, dass manche
dieser Transposons, wie auch der Rest der Junk-DNA gen-regulatorische Funktionen haben
könnte, aber in welchem Ausmass ist noch weitgehend unbekannt. Jedenfalls wird klar,
dass das Genom kaum ein elegant design-tes evolutionäres Programm ist, in dem jedes
Element eine spezifische Funktion ausübt, sondern zum grossen Teil etwas
Zusammengeschustertes, das viele funktionslose und redundante Elemente enthält.
Ein bestechendes Beispiel für solche funktionslosen Elemente betrifft die Transkription. Die
Herstellung der mRNA verläuft nämlich über einen seltsam anmutenden Zwischenschritt,
den man "Verspleissen" (engl. “Splicing”) nennt. Zunächst wird eine RNA-Kopie einer
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Befreiungsbiologie 2
DNA-Sequenz erstellt, die "prä-RNA". Aus der prä-RNA werden dann einige Stücke
herausgeschnitten, und die losen Enden wieder miteinander "verschweisst". Diese
zusammengestückelte RNA ist die mRNA. Damit ist die prä-RNA die eigentliche Kopie der
ursprünglichen DNA-Sequenz, während die mRNA bereits ein "editiertes" Produkt ist, das
nicht mehr genau der Original-DNA-Sequenz entspricht (Abbildung???). Die
herausgeschnittenen Stücke heissen "Introns" und werden herausgeschnitten, weil sie nicht
protein-codierend sind und somit nichts zur Herstellung des Protein-Produkts beitragen.
Warum diese nutzlosen DNA-Stücke aber überhaupt zwischen die codierenden Bereiche
(die "Exons") eingestreut sind, ist noch weitgehend unklar.
DNA/prä-RNA:
…ATCCTTGGCAGGTAAGCACGAA . . . TTCTCTATTGGAGTAGGTACTACGAG…
|_________________________________|
Intron
mRNA: …ATC-CTT-GGC-AGG-TAC-TAC-GAG…
^
Abbildung ???: Verspleissen von Genen. Fettgedruckt sind Teile der Exons, normal gedruckt das nichtcodierende Intron, das bei der Bildung der mRNA herausgeschnitten wird. Die "Schweissnaht" ist mit ^
gekennzeichnet. Der genetische Code ist generell mit 'T' anstatt 'U' geschrieben.
Das wirklich Verrückte ist allerdings, das ein Gen oft nicht nur auf eine, sondern auf mehrere
verschiedene Weisen verspleisst werden kann. Das heisst, aus ein- und derselben DNASequenz entstehen dann verschiedene mRNA-Sequenzen und somit verschiedene Proteine.
Dies geschieht, grob gesagt, indem nach dem Herausschneiden der Introns nicht immer alle
verbleibenden Exons benutzt werden, um das endgültige mRNA-Produkt
zusammenzusetzen (Abbildung ???).
DNA/prä-RNA:
XXXXXXX---XXXXX---XXXXXXXX---XXXXX-----XXXXXXXXXXX
[ Exon 1 ]
mRNA
mRNA
mRNA
mRNA
[Exon 2]
1: [ Exon 1
2: [ Exon 1
3: [ Exon 1
4: [Exon 2][
[
Exon 3
]
[Exon 4]
[
][Exon 2][ Exon 3 ][Exon 4][
Exon 5
][Exon 2][ Exon 3 ][
Exon 5
]
][ Exon 3 ][Exon 4]
Exon 3 ][Exon 4][
Exon 5
]
Exon 5
]
]
Abbildung ???: Alternatives Verspleissen. Aus einer bestimmten DNA-Sequenz können mehrere
verschiedene mRNA-Sequenzen entstehen, die in verschiedene Protein umgesetzt werden. Introns sind durch
gestrichelte (---) Linien angedeutet.
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Befreiungsbiologie 2
Typischerweise werden die alternativen Proteine gewebeabhängig exprimiert. So könnte
zum Beispiel in Muskelzellen mRNA 1, in Hirnzellen mRNA 2, in Leberzellen mRNA 3
und in Bindegewebszellen mRNA 4 gebildet werden. Nachdem alternatives Verspleissen
zunächst als exotisches Phänomen angesehen wurde, schätzt man heute, dass beim
Menschen bis zu 95% der Gene alternativ verspleisst werden können (Pan, Q; Shai O, Lee LJ, Frey
BJ, Blencowe BJ (Dec 2008). "Deep surveying of alternative splicing complexity in the human transcriptome by highthroughput sequencing". Nature Genetics 40 (12): 1413–1415. doi:10.1038/ng.259. PMID 18978789???).
Es gibt zahlreiche weitere RNA-Modifikationen bei der Transkription. Regelmässig werden
nach dem Verspleissen der mRNA Basen hinzugefügt, entfernt oder ersetzt. Ebenfalls
werden an den beiden Enden der mRNA bestimmte Sequenzen angehängt. Der genetische
Code wird also teilweise umgeschrieben, bevor die Translation in ein Protein stattfindet.
Damit ist der Abweichungen von der Bilderbuchskizze der Gen-Expression aber noch nicht
genug. Nach der Translation finden eine ganze Reihe sog. postranslationeller
Modifikationen statt. Diese dienen dazu, dem Protein den "letzten Schliff" zu verleihen und
es für seine spezifische Aufgabe anzupassen. Häufig sind Proteine nach der Synthese
inaktiv und müssen durch gezielte Modifikationen aktiviert werden. Dazu gehören das
Abspalten eines Teils ihrer Aminosäurenkette oder die chemische Veränderung von
Aminosäuren, indem bestimmte Atomgruppen angehängt werden. Eine wichtige Gruppe
von Proteinen, die vor allem in der Zellmembran vorkommen, sind die Glykoproteine. Sie
sind Teil des chemischen Sensoriums und des Andockappartes an der Aussenhülle der
Zelle, wo sie Moleküle oder ganze Zellen an sich binden. Sie entstehen durch das
posttranslationelle Anhängen von Zuckerketten an ein Protein. Zu guter Letzt werden
etliche wichtige Zellfunktionen wie das Empfangen und Weiterleiten chemischer Signale
von grossen Protein-Komplexen ausgeführt, die aus verschiedenen Protein-Untereinheiten
bestehen. Das Zusamensetzen dieser Proteingiganten kann ebenfalls erst nach der
Translation der einzelnen Bestandteile erfolgen.
Genregulation
Ein ganz neues Kapitel wird mit der Regulation der Gen-Expression aufgeschlagen. Im
Jahre 1959 entdeckten François Jacob und Jacques Monod, dass im Darmbakterium E. coli
gewisse DNA-Sequenzen, die an bestimmte strukturelle Gene angrenzen, deren Expression
beeinflussen. Damit eröffnete sich die aufregende Möglichkeit, dass Gene nicht nur als
Vorlagen für die Bildung von Proteinen dienen, sondern sogar die Aktivität anderer Gene
regulieren konnten. Es lohnt sich deshalb, einen genaueren Blick auf die Entdeckung der
beiden Franzosen zu werfen.
E. coli ernährt sich von Glukose. Wenn diese rar ist, hat es die Fähigkeit, Glukose aus
Laktose (Milchzucker) herzustellen. Jacques und Monod fanden heraus, wie die Steuerung
der Glukosesynthese aus Laktose in E. coli funktioniert. Sie nannten dieses Steuersystem
das lac-Operon.
Ein Teil des lac-Operon besteht aus einer Reihe aufeinanderfolgender struktureller Gene
(lacZ, lacY, lacA). Diese Gene codieren für verschiedene Proteine, die es dem Bakterium
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Befreiungsbiologie 2
ermöglichen, Laktose aus dem Umgebungsmedium aufzunehmen und in Glukose
umzuwandeln. Daran angrenzend ist eine DNA-Region, die ich hier als "Kontrollregion"
bezeichnen werde. Sie bildet den zweiten Teil des lac-Operons und besteht aus zwei DNAStücken, einem "Promotor" und einem "Operator", die beide als Andockstellen für
bestimmte Moleküle dienen. Die Regulation der Glukosesynthese aus Laktose basiert
darauf, dass manche dieser Moleküle Aktivatoren, andere Inhibitoren, der Expression der
lac-Gene sind, je nach dem, welche Umstände vorherrschen.
Wenn keine Lactose vorhanden ist, bindet ein Repressor-Molekül an die Operon-Region
und behindert die Transkription der lac-Gene, indem es die Anlagerung der
Transkriptionsmaschinerie an den Promotor räumlich erschwert. Ist Laktose vorhanden,
bindet sie an den Repressor, was in diesem eine räumliche Strukturveränderung
herbeiführt, wodurch er nicht mehr an die DNA binden kann. Er löst sich vom Operon.
Herrscht ein Mangel an Glukose, bindet ein Protein namens CAP an eine Bindungsstelle in
der Promotor-Region und aktiviert die Transkription der lac-Gene, indem es das Andocken
der Transkriptionsmaschinerie an den Promotor fördert. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn
genug Laktose vorhanden ist, da ansonsten der Repressor nach wie vor die Transkription
unterdrückt. Wie ein Mangel an Glukose zur erhöhten Bindung von CAP an den Promotor
führt, ist noch nicht ganz geklärt.
Insgesamt stellt sich die Regulation der Glukoseproduktion aus Laktose als Prozess dar, bei
dem, abhängig von den herrschenden Bedingungen, gewisse Moleküle an
Kontrollabschnitte der DNA binden und dadurch entweder zu Aktivatoren oder
Inhibitoren der Expression angrenzender struktureller Gene werden, die für Proteine
codieren, welche die Umwandlung von Laktose zu Glukose ermöglichen.
Jacob und Monod kannten noch nicht all diese Details. Entscheidend aber war, dass sie die
Kontrollregionen der DNA ebenfalls als Gene bezeichneten und den nicht-genetischen
Komponenten des Operons überordneten. Damit war gesagt, dass sie die Kontrolle des
Genoms im Genom selbst ansiedelten und es zu einem selbst-regulierenden System
erhoben. Nicht nur was Gene taten - nämlich Proteine machen - sondern auch, wann, wo
und in welcher Menge sie es taten, wurde nun von Genen selbst bestimmt. Die beiden
Franzosen schlossen denn auch den Aufsatz von 1961, in dem sie das lac-Operon
beschrieben (???), mit der Bemerkung, Gene enthielten nicht nur Blaupausen für Proteine,
sondern ein ganzes Programm zu deren Synthese und die Kontrolle über dessen
Ausführung.
Jacob und Monods "Kontrollgene" schürten die Hoffnung, die Prinzipien der Genregulation
in primitiven Lebewesen wie Bakterien liessen sich auf höhere Organismen anwenden.
Deren Studium in den folgenden Jahrzehnten enthüllte dann aber eine ungeahnte
Komplexität. Schon angesprochen wurden die zahlreichen Prozesse der Modifikation von
Transkription und Translation. Auf Ebene des Genoms zeigte sich, dass es für viele
strukturellen Gene multiple Aktivierungs- und Inhibierungsregionen gibt, die auf
verschiedene Arten funktionieren und Namen wie Promoter, Enhancer oder Silencer tragen
(review: Serfling et al., 1985; Schöler et al., 1988 in Portin 2002???). Verblüffenderweise
müssen diese Regionen nicht wie beim lac-Operon an die strukturellen Gene angrenzen,
sondern können in beträchtlicher Entfernung davon liegen. Eine DNA-Region kann also
die Aktivität eines protein-codierenden Gens, das weit davon entfernt liegt, beeinflussen.
Eine weitere Überraschung war die Entdeckung, dass mehrere solcher Kontrollregionen
alternativ und auf veschiedene Weise die Transkription eines bestimmten Gens initiieren
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Befreiungsbiologie 2
können. Solche "alternativen Promotoren" können zum Beispiel die Transkription an
unterschiedlichen Stellen des Gens beginnen lassen, woraus unerschiedliche mRNAMoleküle und schliesslich unterschiedliche Proteine resultieren (Schibler & Sierra, 1987 in
Portin 2002???).
Von einfachen auf höhere Organismen generalisierbar war das Prinzip, dass Kontrollgene
bzw. DNA-Kontrollregionen Moleküle an sich binden müssen, um ihre Wirkung zu
entfalten (solche Moleküle nennt man allgemein "Transkriptionsfaktoren"). Schon beim lacOperon handelt es sich dabei typischerweise um Mechanismen der räumlichen Interaktion:
ein Molekül blockiert den Zugang eines anderen zur DNA, oder es führt zu einer
Strukturveränderung, die die Bindungseigenschaften des anderen Moleküls verändern.
Auch die DNA ist Teil solcher Mechanismen. Oft bilden DNA-Stücke Schleifen, so dass
weit entfernte Regionen miteinander in physischen Kontakt kommen. Auf diese Weise
kann ein Transkriptionsfaktor auf einem entfernten DNA-Abschnitt mit einer an ein
strukturelles Gen angrezenden Kontrollregion interagieren und die Transkriptionsrate
verändern.
Ein paar weitere, auf den ersten Blick exotische Phänomene sind überlappende Leseraster,
überlappende Gene, Polyprotein-Gene und verschachtelte Gene. Im Falle überlappender
Leseraster kann eine protein-codierende DNA-Sequenz auf bis zu 3 Arten abgelesen
werden, und jede dieser Arten führt zu einem eigenen Protein. Zum Beispiel könnte die
Basenfolge ATTGCGCTAGTG erstens als …ATT-GCG-CTA-GTG…, zweitens als …ATTG-CGC-TAG-TG…, und drittens als …AT-TGC-GCT-AGT-G… gelesen werden. Im Falle
überlappender Gene enthält die protein-codierenden Region des einen Gens eine
Kontrollregion (z.B. einen Promotor) für die protein-codierende Region eines weiteren,
angrezenden Gens. Bei verschachtelten Genen steckt sogar ein ganzes Gen innerhalb eines
anderen, nämlich in einem von dessen Introns. Diese Situation widerspricht der klassischen
Ansicht, wonach Gene linear auf Chromosomen aufgereiht sind. Polyprotein-Gene
schliesslich sind Gruppen von Genen, die zusammen für ein einzelnes Protein codieren. Dies
widerspricht der klassischen "Ein Gen- ein Protein" Hypothese.
In den 70er-Jahren setzte in der Molekularbiologie ein technologischer Boom ein, der neue
Dimensionen der genetischen Manipulation eröffnete. Auf diesem Fortschritt basiert der
Grossteil des genetischen Wissens, das nach der Blütezeit der molekularen Revolution
angehäuft wurde. Zunächst gelang es, mithilfe bestimmter Enzyme aus einem Stück RNA
den dazu komplementären DNA-Strang zu syntethisieren. Andere Enzyme ermöglichten
das Isolieren bestimmter DNA-Abschnitte, indem sie sie aus dem DNA-Strang
herausschnitten. Dieselben Enzyme konnten auch zum Aufschneiden eines DNA-Strangs
und dem Einsetzen eines einzelnen DNA-Fragments benutzt werden. Auf diese Weise
wurde das Zusammensetzen von DNA-Stücken beliebiger Herkunft zu einem einzigen
DNA-Molekül möglich. Man nannte das Resultat "rekombinante DNA" und die Technik zu
ihrer Herstellung "Klonierung" (nicht zu Verwechseln mit dem Klonen ganzer
Organismen). Um bei diesem Prozess genügend Ausbeute zu erzielen, musste man die
rekombinante DNA in einen lebenden Organismus einschleusen, wo sie durch dessen
DNA-Replikationsapparat vermehrt wurde, um schliesslich "geerntet" werden zu können.
Mit der Erfindung der polymerase chain reaction (PCR) - Technik in den frühen 80er-Jahren
konnte dieser Schritt umgangen werden. Die PCR ermöglichte die rapide Vermehrung
beliebiger DNA-Stücke auf rein künstlichem Wege (d.h. in vitro, "im Reagezglas").
Die erste kommerzielle Anwendung der Rekombinationstechnologie war die Herstellung
künstlichen Insulins zur Behandlung von Diabetes (Johnson, I. S. (1983). "Human insulin from recombinant
DNA technology". Science 219 (4585): 632–637. doi:10.1126/science.6337396???). Dabei wurde das menschliche
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Befreiungsbiologie 2
Insulin-Gen in das Bakterium E. coli eingefügt, welches dann, in Fermentationstanks
gezüchtet, zum Massenproduzent des Hormons wurde. Das Verfahren wurde vom
Pharmakonzern Eli Lilly in Zusammenarbeit mit einer der ersten Biochtech-Firmen
entwickelt, die vom Molekularbiologen Boyer gegründete "Genentech". Rekombinantes
Insulin ist heute die Hauptform dieses Hormons für den therapeutischen Gebrauch.
Mitte der 70-er Jahre wurde ein weiterer entscheidender Schritt in Richtung Kontrolle des
genetischen Materials getan. Verschiedene Labors entwickelten Methoden zur
Sequenzierung von Genen, d.h. zur Bestimmung der Reihenfolge ihrer DNA-Basen. Die
ersten Genome, die komplett sequenziert wurden, gehörten Bakteriophagen und Viren. Die
Arbeit war langwierig. Alles musste von Hand verrichtet werden. 1986 wurde der erste
halb-automatische DNA-Sequenzierer hergestellt, und schon im Jahr darauf kam das erste
vollautomatische Gerät auf den Markt. Damit war der Traum, auch das menschliche
Genoms vollständig und in nützlicher Frist zu sequenzieren, in Reichweite gerückt.
Das Humangenomprojekt
In den 80er-Jahren wurden bereits die ersten Fäden für das Humangenomprojekt (HGP)
gezogen, das in den 90er-Jahren durchgeführt und anfangs des neuen Jahrtausends offiziell
abgeschlossen wurde. Konsortien wurden gegründet und Konferenzen abgehalten,
zunächst, um die Machbarkeit des Projekts zu evaluieren, später dann, um dessen
Durchführung institutionell zu strukturieren. Auf internationaler Ebene organisierten sich
die beteiligten Länder in der Human Genome Organization (HUGO). In den USA schaffte
das Nationale Gesundheitsinstitut (NIH = “National Institut of Health”) das nationale
Zentrum für Genomforschung, dessen erster Direktor niemand Geringerer als der
Mitentdecker der DNA-Struktur James Watson war.
Doch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms blieb kein rein öffentliches
Unterfangen. 1998 verliess der geschäftstüchtige Craig Venter das HGP und trieb die
Genomsequenzierung in seiner Privatfirma "Celera Genomics" weiter. Von da an lieferten
sich Venter und das internationale HGP ein Wettrennen.
Am Ende stand ein arrangiertes Unentschieden. Am 26. Juni 2000 verkündeten USPräsident Bill Clinton und der britische Premierminister Tony Blair gemeinsam, dass ein
Grobentwurf des Genoms fertiggestellt sei. Venters Celera und das staatliche HGP
kündigten ebenfalls zeitgleich, im Februar 2001, die Publikation ihrer Rohentwürfe an.
Venter publizierte in Science, das HGP in Nature. Vollständigere Fassungen wurden 2003
und 2005 verfügbar, doch selbst heute noch bleiben einige Prozente des Humangenoms
unsequenziert.
Das HGP ist das bisher teuerste und aufwändigste Projekt der Wissenschaftsgeschichte. Es
verschlang drei Milliarden Dollar, also ca. 1 Dollar pro Basenpaar des menschlichen
Genoms. Ende der 80er Jahre begannen seine Proponenten, aggressiv öffentliche Gelder
einzuwerben. Sie bedienten sich dazu einer charakteristischen Rhetorik, die das Genom als
Schlüssel zum Leben darstellte, dessen Entschlüsselung revolutionäre Fortschritte im
Verständnis und der Behandlung von Krankheiten versprach (???). Das Genom wurde zu
etwas Sakralem hochstilisiert und seine Sequenzierung zu einem Vordringen in die tiefsten
Geheiminsse des Lebens, oder gar zur Suche nach dem heiligen Gral (???). Politik und
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Befreiungsbiologie 2
Medien, euphorisiert von dieser Vision, schenkten den Verheissungen der Genetik
Glauben. Gelder flossen.
Aber es war mehr als die Hoffnung, dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen,
die den enormen Reiz des Projekts ausmachten. Seit den Anfängen der Gentechnik war
klar, dass sie privaten Unternehmern immense Profitmöglichkeiten eröffnete. Der Weg
zum grossen Geld waren Patente, mit denen kommerzielle Firmen gentechnische
Anwendungen zu vermarktbaren geistigen Eigentum machen konnten. Im HGP winkte die
Möglichkeit, Gensequenzen patentieren zu lassen, die für die krankmachende Unter- oder
Überproduktion wichtiger Proteine verantwortlich waren. Als Patentinhaber könnte man
im Falle eines defekten Gens das fehlende Protein als Medikament vermarkten, wie es bei
der Herstellung künstlichen Insulins getan wird. Im Falle eines überaktiven Gens könnte
man ein Produkt entwickeln, welches das überschüssige Protein abbaut. Man konnte dazu
das gesamte Genom abgrasen, und drei Milliarden Basenpaare mussten jedem
unternehmerisch angehauchten Genetiker wie eine Fundgrube für potentielle Patente
erscheinen.
Zahlreiche am HGP beteiligten Wissenschaftler hatten ihr Geld in der Biotechnologie
stecken, sei es als Gründer, Direktoren oder auch nur Aktionäre von Biotech-Firmen. Der
berühmte Genetiker und Wissenschaftskritiker Richard C. Lewontin schrieb in den 90erJahren, dass er keinen prominenten Molekularbiologen kenne, der nicht irgendeinen
finanziellen Einsatz im Biotech-Geschäft hätte. Als Beispiel nannte er einen früheren
Harvard-Professor, dessen Gentechnik-Firma über 500 Gen-Patente beantragt hatte (ain’t
nec so p. 181???). Nobelpreisträger Watson musste im Rahmen einer Untersuchung zu
seinen Anteilen an verschiedenen Biotech-Unternehmen sogar von seinem Posten als
Direktor des nationalen Zentrums für Genomforschung der USA zurücktreten (ain’t nec so
p. 163/4???).
Die beispiellose Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft im HGP war einer seiner
problematischsten Aspekte. Das Potential für Interessenskonflikte war gross. Dass
Wissenschaft allgemein - und ein Projekt dieses Ausmasses im Speziellen - wesentlich
durch das persönliche Profitstreben von zu Unternehmern gewordenen Biologen gesteuert
werden könnte, wirft grundsätzliche Fragen über Ethik und Verantwortung in den
Wissenschaften auf. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem, wie sich die
Proponenten des Projekts gezielt einer Rhetorik des semantischen, deterministischen Gens
bedienten, um einen machtvollen ideologischen Kontext zu kreieren, der ihren Ambitionen
den Weg ebnete. Darauf werde ich im Kapitel zum Aufstieg der Informationsmetapher
zurückkommen.
Gentherapie
Schon in den 90er-Jahren wurde eines der erhofften Wunder aus der Zauberkiste der
Genetik intensiv verfolgt: die Heilung von Krankheiten durch Korrektur der
zugrundeliegenden defekten Gene. Das Prinzip der Gentherapie schien einfach: da Gene
die Spezifikation des Aufbaus und Funktionierens eines Organismus sind, müssen sie auch
seine Anfälligkeit für verschiedenste Krankheiten repräsentieren. Wird die jeweilige
genetische Grundlage einer Krankheit entdeckt, braucht man nur die fehlerhaften Gene
durch funktionierende zu ersetzen. Die Schwierigkeit dabei war, die "gesunde DNA" so in
den lebenden Organismus einzuschleusen, dass sie in dessen Genom integriert wurde und
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Befreiungsbiologie 2
das fehlerhafte Gen ersetzte. Eine technische Herausforderung, und ohne Zweifel eine
anspruchsvolle, aber eine, der sich die vom in Aussicht stehenden Erfolg beflügelten
Forschergruppen voller Elan stellten.
1990 fand am NIH der erste klinische Gentherapie-Versuch bei Krebspatienten statt.
Durchgeführt wurde er von W. French Anderson, der behauptete, Gene könnten sicher in
Zellen eingeschleust werden und sich über die regulatorischen Hürden, die der
Gentherapie entgegen gestellt wurden, beklagte. Zwei Jahre später wurde am
medizinischen Institut der University of Pennsylvania das Institut für Humangentherapie
gegründet. Der Leiter des medizinischen Instituts, William Kelley, verkündete:
„There is increasing evidence that many of the most important breakthroughs in medicine will occur
in the area of gene therapy, revolutionizing medicine as we know it today.“ (Zitat aus Moments of
Truth???)
Der Rest der Welt schien dem zuzustimmen, wurden doch ab 1990 weltweit über 400
Gentherapieversuche durchgeführt.
Die Gentherapie funktionierte aber nicht. Im Gegenteil, sie war ein niederschmetternder
Misserfolg. Nichts stellte sich als einfach heraus. Die eingeschleuste DNA wurde vom
Körper verschluckt und verschwand vom Radar. Die Versuchspersonen reagierten nicht
mit der erhofften Verbesserung ihrer Symptome, und so war klar, dass mit der zugeführten
DNA alles Mögliche geschehen sein konnte, nur nicht der erfolgreiche Einbau ins
Wirtsgenom. Bereits 1998 sagte ein desillusionierter W. French Anderson an einem
Konferenzvortrag:
„Organisms have spent thousands of years learning how to protect themselves from having
exogenous DNA get into their genomes. So we were all a little naive to think that if we made a viral
vector and put it into the human body it would work.“(Zitat aus Moments of Truth???)
Was ein Jahr später geschah, sollte dem von Anderson konstatierten Misserfolg der
Gentherapie eine tragische Dimension verleihen. Am Institut für Humangentherapie
begann James Wilson, ein Kollege Kelleys an der University of Pennsylvania, mit
Therapieversuchen bei einer erblichen Stoffwechselkrankheit namens OrnithinTranscarbamylase-Mangel (OTC). Er benutzte ein modifiziertes Schnupfenvirus, um die
"gesunden" Gene in die Körper der Patienten zu schleusen. Eine seiner Versuchspersonen
war der 18-jährige Jessie Gelsinger, der seine Krankheit bislang mit Medikamenten und
einer passender Diät in Schach gehalten hatte. Gelsinger reagierte auf die Injektion des
Virus mit einem kompletten systemischen Organversagen und nachfolgendem Hirntod.
Dieser Fall zeigte in drastischer Weise, dass man von einem Verständnis der genetischen
Vorgänge im menschlichen Körper noch weit entfernt war; und wie gefährlich es war, mit
einem unverstandenen biologischen System herumzuspielen.
Im Nachhall der Ereignisse stoppte die amerikanische Drogenaufsichtsbehörde FDA
sämtliche klinischen Versuche an der University of Pennsylvania. Das Institut für
Humangentherapie wurde zum Tierversuchslabor umfunktioniert und das NIH revidierte
die Sicherheitsrichtlinien für Gentherapieversuche. Die Familie Gelsingers prozessierte
gegen die Universität und gegen Wilson, der später von seinem Amt als direktor des
Instituts zurücktrat. Im Zuge weiterer Untersuchungen wurde bekannt, dass auch andere
Gentherapie-Forscher Nebenwirkungen und medizinische Komplikationen ihrer Versuche
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Befreiungsbiologie 2
unterschlagen hatten. Es wurde vermutet, dass es mindestens sechs weitere Todesfällge
gegeben hatte. (Zitat aus Moments of Truth???)
Bei den Forschern machte sich Ernüchterung breit, während bei den Patienten die
Bereitschaft, an weiteren Versuchen teilzunehmen, drastisch sank. Um die
Jahrtausendwende verschwand die Gentherapie von der Bildfläche, jedenfalls von
derjenigen der medialen Öffentlichkeit. Im Stillen wird Gentherapieforschung auf kleiner
Flamme und mit heruntergeschraubten Erwartungen weiter betrieben. Zweifellos könnte sie
in manchen Fällen funktionieren, und es ist zu hoffen, dass sie es eines Tages wird.
Heute, fünfzehn Jahre später, haben wir statt der Gentherapie die "personalisierte Medizin"
als neueste Inkarnation der Hoffnungen einer genzentrierten Biomedizin. Die
personalisierte Medizin hat inhaltlich keinen besonderen Bezug zur Gentherapie, aber die
Hoffnungen und Versprechungen, die sie macht, sind aus einem Guss mit denjenigen, die
im Umfeld des HGP gemacht wurden (z.B.
http://www.uzh.ch/news/articles/2014/neue-generation-von-biomedizinern.html???). Es
wird mit der Aussicht auf umwälzende Fortschritte in der Behandlung von Krankheiten
geworben, die uns in ein oder zwei Jahrzehnten bevorstehen sollen. Die Idee der
personalisierten Medizin ist eine gute: jedem Patienten eine massgeschneiderte Behandlung
zukommen zu lassen, die auf dessen individuelle Konstitution und Situation abgestimmt
ist. Es sollen sämtliche verfügbaren gesundheits- und krankheitsrelevanten Daten in einem
individuellen Profil gesammelt und in die Ausarbeitung einer spezifischen Behanldung
einbezogen werden. Manche der Daten sind herkömmliche und betreffen zum Beispiel die
Krankheitsgeschichte und die familiäre Belastung. Daneben sieht die Vision der
personalisierten Medizin aber auch vor, neue Hochleistungsapparate zur Überwachung
und Datensammlung in Echtzeit einzusetzen, die auf Abweichungen vom Normalzustand
sofort reagieren können. Da individualisierte Behandlung unter Berücksichtigung aller
verfügbarer Informationen im Prinzip etwas ist, was Ärzte und Therapeutinnen schon
immer getan haben, könnte man die personalisierte Medizin lediglich als alten Wein in
neuen Schläuchen abtun. Doch selbst wenn dem so wäre, so ist doch die Grundidee nach
wie vor eine exzellente, und ihr neues Leben einzuhauchen ein begrüssenswertes
Unterfangen. Zudem sind die Hochleistungs-Patientenüberwachsungssysteme ein bisher
nicht da gewesener und potentiell interessanter Aspekt dieser Idee.
Was hier jedoch von grösserem Interesse ist, ist die Tatsache, dass sich für manche ihrer
Proponenten die personalisierte Medizin als hauptsächlich genzentriertes
Behandlungsprinzip darstellt. Das heisst, die Hauptquelle behandlungsrelevanten Wissens
soll in einem individuellen genetischen Profil des Patienten bestehen. Dieser Ansatz
entstand aus der sog. Pharmakogenetik, die mit dem Versuch, Medikamentendosen auf
individuelle genetische Parameter des Patienten abzustimmen, einige Erfolge erzielte. Ein
Beispiel ist das Medikament Herzeptin gegen Brustkrebs, dessen Wirksamkeit auf eine
Gruppe von Patientinnen beschränkt ist, deren Tumoren zuviel von einem Protein namens
HER2 produzieren, da das Gen für HER2 überaktiv ist. Ende der 90er-Jahre kam Herzeptin
auf den Markt, zusammen mit einem Test für das Vorliegen einer HER2-Überproduktion,
und wird seither erfolgreich angewendet. Hier wurde also Information über die Aktivität
eines Gens als Basis für die Behandlung einer Krankheit eingesetzt. Das Beispiel ist simpel,
aber vielen erschien es als ein Möglichkeitsbeweis für eine Zukunft der genbasierten
personalisierten Medizin. Gegenwärtig kämpft die personalisierte Medizin um ein klares
Profil, eine solide konzeptuelle Basis und eine realistische Einschätzung ihrer künftigen
Möglichkeiten (Gamma 2013???). Wie die Gentherapie und das HGP ist auch sie zu einem
Hype geworden, den manche Beteiligten, teilweise zur Beibringung von
Forschungsgeldern, durch spektakuläre Prognosen selber nähren, während andere sich mit
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dessen schädlichen Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit ihrer Wissenschaft
herumschlagen müssen.
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