4. Vorlesung. Algebraische Theorien.

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4. Vorlesung. Algebraische Theorien.
Wir nennen hier eine Theorie eine algebraische Theorie, wenn sie mit Zeichen rechnet.
1. Theorie der Körper.
Wir wollen auch mit anderen Zahlen rechnen als nur die oben angegebenen. Dazu müssen
wir festlegen was ”Rechnen” oder besser ”formales Rechnen” heißen soll. (Wir haben schon
oben gesehen, dass das Rechnen mit negativen Zahlen schon in einem gewissen Sinne formal
wird auch wenn wir uns heute schon so daran gewöhnt haben, dass es uns ganz natürlich
vorkommt).
Die Regeln für ein formale Rechnen werden in den folgenden Axiomen festgelegt:
Sei (k, ◦, •) ein Tripel, wobei k eine Menge und wobei
◦ : k × k → k und • : k × k → k
Verknüpfungen sind (man nennt a ◦ b := ◦(a, b) = Addition und a • b := •(a, b) =
Multiplikation) für die die folgenden Regeln gelten:
Rechenregeln für formales Rechnen: Wir sagen ◦ und • erfüllen die Regeln des
formalen Rechnens, wenn, für alle a, b, c ∈ k,
(A1) (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c) (Assoziativität)
(B1) (a • b) • c = a • (b • c) (Assoziativität)
(A2) es existiert 0 ∈ k mit 0 ◦ a = a = a ◦ 0 (neutrales Element)
(B2) es existiert 1 ∈ k mit 1 • a = ba • 1 (neutrales Element)
(A3) für alle a ∈ k existiert a′ ∈ k mit a′ ◦ a = 0 = a′ ◦ a (Inverses)
(B3) für alle a ∈ k mit a 6= 0 existiert a∗ ∈ k mit a∗ • a = 1 = 1 • a (Inverses)
Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5)
2
. Lineare Algebra (L2/L5)
(A4) a ◦ b = b ◦ a (Kommutativität)
(B4) a • b = b • a (Kommutativität)
(C5) a • (b ◦ c) = (a • b) ◦ (a • c) (Distributivität)
Definition. Sei (k, ◦, •) ein Tripel mit
(1) k ist Menge
(2) ◦ : k × k → k ist Abbildung.
(3) • : k × k → k ist Abbildung
Dann heißt (k, ◦, •) ein Körper, wenn die Verknüpfungen ◦ and • alle Regeln des
formalen Rechnens erfüllen.
Beispiele. (N, +, ·), (Z, +, ·) sind keine Körper. (Q, +, ·), (R, +, ·), (C, +, ·) sind Körper.
Bemerkung. Wenn man Rechenregeln weglässt erhält man andere algebraische Theorien.
Z.B.
(1) (k, ◦, •) wie oben, aber ohne multiplikatives Inverses = kommutativer Ring
(2) (k, ◦) wie oben = abelsche Gruppe
Satz. Sei k ein Körper. Dann gilt:
(1) jede lineare Gleichung a ◦ x = b hat genau eine Lösung.
(2) jede lineare Gleichung a • x = b mit a 6= 0 hat genau eine Lösung.
Beweis.
Sei a, b ∈ k gegeben.
⇒ es gibt a′ mit a ◦ a′ = 0
Setze
x := a′ ◦ b
Dann gilt
a ◦ x = a ◦ (a′ ◦ b) = (a ◦ a′ ) ◦ b = 0 ◦ b = b
Dies beweist Teil (1). Teil (2) folgt ebenso. ♦
Bemerkung. Wir haben die Symbole ”◦” und ”•” für die Verknüpfungen benutzt, um
zu betonen, dass diese Verknüpfungen nichts mit der gewöhnlichen Addition und Multiplikation von Zahlen zu tun haben müssen. Nach diesem Hinweis werden wir aber von nun
an wieder die vertrauteren Zeichen ”+” und ”·” verwenden.
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§4 Algebraische Theorien
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2. Neue Körper.
Durch formales Rechnen kann man aus dem Körper Q der rationalen Zahlen, neue und
etwas bessere Körper machen.
Der Trick besteht darin, neue Symbole einzubeziehen
und mit diesen formal zu√rechnen.
√
Man führe ein neues Symbol ein, nämlich
2 und bilde formal die Menge Q[ 2] aller
Ausdrücke
√
a+b 2
Weiter definiere man Verknüpfungen
√
√
√
(a1 + b1 2) + (a2 + b2 2 := (a1 + a2 ) + (b1 + b2 ) 2
√
√
√
√
√
(a1 + b1 2) · (a2 + b2 2 :=a1 (a2 + b2 2) + b1 2(a2 + b2 2)
√
√
=a1 a2 + a1 b2 2 + a2 b1 2 + 2b1 b2
√
=(a1 a2 + 2b1 b2 ) + (a1 b2 + as b1 ) 2
Insbesondere gilt:
√ √
2· 2=2
Bemerkung. Die Verknüpfungen, ”+” und ”·”, sind im Grunde schon durch die beiden
folgenden Verknüpfungstafeln gegeben:
√
√
+
0
2
2
·
1
√0 √0
2
2
√
√2
2 2
√1 √1
2
2
√
2
2
√
Satz. Q[ 2] ist ein Körper.
Beweis. Alle Axiome für Körper sind leicht nachzuweisen. Für die Existenz der multiplikativen Inversen muss man aber folgenden Trick anwenden:
√
√
√
1
a−b 2
a−b 2
a−b 2
1
√ =
√ ·
√ =
√
√ = 2
♦
a − 2b2
a+b 2
a+b 2 a−b 2
(a + b 2) · (a − b 2)
⇒ Die ”Zahl”
√
a
b
2
−
a2 − 2b2
a2 − 2b2
√
ist die multiplikative Inverse der ”Zahl” a + b 2. ♦
(∗)
√
Beispiel. Die multiplikative Inverse von 2 + 3 2 ist nach obiger Formel (*)gegeben
durch:
√
2
3
3√
2
−
+
2
=
−
2.
22 − 2 · 32
22 − 2 · 32
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. Lineare Algebra (L2/L5)
Probe.
√
√
2
2
2
3√
3√
3√
(2 + 3 2) · − +
2 =2· − +
2 +3 2· − +
2 =1
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√
Bemerkung. Man kann im Körper Q 2 die Gleichung
x2 = 2
lösen. Die Lösung ist das Zeichen
√
2, denn
√
√
2 ∈ Q[ 2]
und
2 = x2 = x • x =
√
2•
√
2
3. Komplexe Zahlen.
√
√
2
Man sagt Q[ 2] ist der Körper der aus dem Körper Q durch Adjunktion von
ensteht. Durch Adjunktion von ”Wurzeln” zu Körpern kann man viele neue Körper konstruieren.
√
Besonders wichtig ist der√Körper R[ −1] den man aus dem Körper R der reellen Zahlen
durch Adjunktion von −1 erhält.
Traditionell schreibt man
i=
√
−1
Mit diesem neuen Namen lauten die Rechentafeln:
+
0
0
i
0
i
i 2·i
i
·
1
1
i
1 i
i −1
i
Den entstehenden Körper R[i] nennt man den Körper der komplexen Zahlen. Er
wird auch mit C bezeichnet. (Eine komplexe Zahl ist z.B. die ”Zahl”: 3 + 5i).
4. Theorie der Polynome.
√
Man
√ kann
√ den Prozess der Adjunktion auch iterieren und etwa aus Q[ 2] den Körper
Q[ 2][ 3] bilden. Man kann formal sogar unendlich viele Adjunktionen vornehmen. Dann
muss das Resultat aber nicht mehr ein Körper sein. Ein wichtiges Bespiel ist der Ring
Q[x]
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§4 Algebraische Theorien
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aller Polynome. Er entsteht aus Q formal durch Adjunktion von unendlich vielen neuen
Symbolen. Diese neuen Symbole sind xn , n ∈ N. So gesehen ist genaugenommen die
Bezeichnung Q[x] für den Polynomring reichlich ungenau. Genauer müsste man schreiben
Q[x, x2 , x3 , . . .]
weil man alle Symbole x, x2 , x3 , . . . adjungieren muss. Aber es gibt natürlich gute Gründe
es bei der alten Schreibweise zu belassen und so werden auch wir weiter Q[x] schreiben.
Wir haben dann
Q[x] = Q ∪ Q × Q ∪ Q × Q × Q ∪ . . .
wobei Qn formal durch 1, x, . . . , xn erzeugt wird. Dies sind dann also die formalen
Ausdrücke
a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn
Das sind nicht die Polynome von oben, sondern Polynome gesehen als formale Ausdrücke.
Man kann also mit Polynomen selbst rechnen mit wohldefinierten Verknüpfungen
p(x) + q(x) und p(x) · q(x)
Die Rechentafel für Q[x] ist unendlich groß, da es unendlich viele Ausdrücke der From
xn , n ∈ N gibt. Aber die Rechentafel ist durch eine einzige Formel gegeben und damit
doch wieder schnell zu überschauen.
Rechentafel für die Multiplikation in k[x]:
xm · xn = xn+m
Beispiel. Seien p(x) = x2 + 2x − 1 und q(x) = x3 − 5x2 − 3x + 7 Polynome. Dann
bilden wir die Summe und das Produkt nach folgender Vorschrift:
(x2 + 2x − 1) + (x3 − 5x2 − 3x + 7) := x3 − 4x2 − x + 6
(x2 +2x − 1) · (x3 − 5x2 − 3x + 7)
:= x2 · (x3 − 5x2 − 3x + 7) + 2x · (x3 − 5x2 − 3x + 7)) − (x3 − 5x2 − 3x + 7)
= x5 − 5x4 − 3x3 + 7x2 + 2x4 − 10x2 + 14x
und nach sortieren von Termen
p(x) · q(x) = x5 − 3x4 − 3x3 − 3x2 + 14
Insbesondere muss das Distributivitätsgesetz für Polynome gelten.
Bemerkung. Die Divison von Polynomen ist ein Problem. Z.B. ist
1
x
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kein Polynom mehr. Die Polynom Multiplikation hat also i.a. kein Inverses. Insofern
verhälten sich Q[x] nicht wie Q sondern eher wie der Ring Z, der ja auch i.a. keine
multiplikative Inverse hat.
Auch wenn es für Polynome i.a. kein Inverses gibt so lohnt es sich doch die Division von
Polynomen etwas näher anzusehen.
Zwei Dinge sind für später wichtig:
(1) Es gibt eine Polynom Divisiom mit Rest und somit einen größten gemeinsamen Teiler
ggT(p(x), q(x)) von Polynomen.
(2) Lösungen von Polynomen hängen mit Produkt Zerlegungen zusammen.
Polynom Division.
Definition. Sei p(x) = a0 + a1 x + . . . + an xn ∈ k[x] ein Polynom. Dann heißt:
grad p(x) := n = höchster Exponent von p(x)
der Grad von p(x). Mit Polynom Divison wird der Grad eines Polynomes vermindert.
Beispiel. Sei
(x3 − 3x2 + 2x − 3) : (x − 2) = x2 − x
x3 − 2x2
−−−−−−−−
− x2 + 2x − 3
− x2 + 2x
−−−−−−−−
−3
Also ist x3 − 3x2 + 2x − 3 = (x2 − x) · (x − 2) − 3. Insbesondere ist das Polynom x − 2
kein Teiler des Polynoms x3 − 3x2 + 2x − 3, denn der Rest ist gleich -3, und demnach
ungleich 0.
Bemerkung. Man sagt q(x) teilt p(x) wenn die obige Divison den Rest = 0 ergibt.
Definition. Seien p(x), q(x) ∈ k[x]. Eine Polynom
d(x) = ggT(p(x), q(x))
heißt größter gemeinsamer Teiler (Bezeichnung: ggT) von p(x) und q(x) wenn
(1) d(x) das Polynom p(x) und das Polynom q(x) teilt.
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(2) d(x) wird von jedem Polynom geteilt, welches p(x) und q(x) teilt.
Satz. Seien p(x), q(x) ∈ k[x] Polynome. Dann gilt:
(1) ggT(p(x), q(x)) existiert und ist eindeutig.
(2) es gibt Polynome a(x), b(x) ∈ k[x] mit
ggT(p(x), q(x)) = a(x) · p(x) + b(x) · q(x)
Beweis. Man benutze den Grad und argumentiere ansonsten genauso wie im entsprechenden Satz für ganze Zahlen. ♦
Beispiel. Man kann zeigen, dass es größte gemeinsame Teiler von Polynomen immer
gibt. Mit Hilfe der Wechselwegnahme kann man sie immer finden. Als Beispiel finde man
ggT(x3 − 2x2 − 5x + 6, x2 + x − 2). Wir haben:
(x3 − 2x2 − 5x + 6) − (x2 + x − 2) · x = (x3 − 2x2 − 5x + 6) − (x3 + x2 − 2x) = −3x2 − 3x + 6
Also ist
ggT(x3 − 2x2 − 5x + 6, x2 + x − 2) = ggT(−3x2 − 3x + 6, x2 + x − 2)
= ggT(−3(x2 + x − 2), x2 + x − 2)
= x2 + x − 2
Damit ist der größte gemeinsame Teiler bestimmt. Beachte, dass wir hier nicht nur mit
Zahlen sondern auch mit Polynomen (nämlich mit x) multipliziert haben.
Satz. Sei k ein Körper oder ein Ring. Dann ist k[x] wieder ein Ring, aber im
allgemeinen kein Körper.
Beweis. Man rechnet leicht nach, dass alle Rechenregeln gelten mit Ausnahme der multiplikativen Inverse. Z.B. ist ja schon
1
x
kein Polynom mehr. Also hat p(x) kein Inverses. ♦
Der nächste Satz stellt den Zusammenhang her zwischen angewandtem und formalen Rechnen mit Polynomen.
Satz. Sei a ∈ Q und sei p(x) ∈ Q[x] ein Polynom. Dann gilt:
p(a) = 0 ⇔ p(x) = q(x) · (x − a).
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Beweis. Eine Richtung ist trivial.
Für die andere Richtung sei p(a) = 0.
Polynom q(x) ∈ Q[x] mit
Nach dem Divisions Algorithmus gibt es ein
p(x) = q(x) · (x − a) + r(x) und gradr(x) < 1
Wegen grad(x) < 1 ist r(x) = r eine Konstante. Wegen p(x) = 0 ist r = 0. ♦
Literatur.
T. W. Hungerford, Algebra, Springer Verlag (1974)
W. K. Nicholson, Abstract Algebra, PWS-Kent Publishing (1993)
Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5)
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