§4 Die rationalen Zahlen Der Ring der ganzen Zahlen hat den Mangel, daß nicht jede Gleichung a = bX, b 6= 0 innerhalb Z lösbar ist. (Z.B. ist 1 = 2 · X unlösbar in Z). Zu seiner Beseitigung erweitert man den Zahlbereich zum Körper der rationalen Zahlen (Brüche). A. Die rationalen Zahlen. Definition. Die Menge der rationalen Zahlen besteht (1) aus den ganzen Zahlen, und (2) aus den Paaren (a, b) mit a, b ∈ Z, b ≥ 2, ggT (a, b) = 1 ˙ Q = Z∪{(a, b) | a, b ∈ Z, b ≥ 2, ggT (a, b) = 1} 4.1 Einführung der Bruchschreibweise. Seien a, b ∈ Z, b 6= 0: a) a 1 := a ∈ Z b) Ist ggT (a, b) = 1 und b ≥ 2, so setzen wir a b := (a, b). c) Nach Kap. I, 2.8 gibt es durch (a, b) eindeutig bestimmte Zahlen d = ±ggT (a, b), ã und b̃ mit a = dã, b = db̃, b̃ ≥ 1, ggT (ã, b̃) = 1, d 6= 0. ( ! ã falls b̃ = 1 a ã . Damit ist Setze b := b̃ = (ã, b̃) falls b̃ ≥ 2 a Q = { | a, b ∈ Z, b 6= 0}. b Für a, b ∈ Z mit b 6= 0, nennt man den Ausdruck ab einen Bruch, a seinen Zähler und b seinen Nenner. Nach obiger Definition schreibt sich jedes r ∈ Q in eindeutiger Weise als r = ãb̃ mit b̃ ≥ 1 und ggT (ã, b̃) = 1. Dieser Ausdruck heißt gekürzte Bruchdarstellung von r ∈ Q. Sind also ãb̃ und dc̃˜ gekürzte Brüche, so gilt (∗) ã c̃ = ⇐⇒ ã = c̃ und b̃ = d˜ b̃ d˜ 1 4.2 Gleichheit von Brüchen. Seien a, b ∈ Z, b 6= 0. b b a) 0 b = 1 und =0 b) Für alle t ∈ Z\{0} gilt die Kürzungsregel at a = bt b c) Sind c, d ∈ Z, d 6= 0, so gilt a c = ⇐⇒ ad = bc b d Beweis. a) und b) sind Spezialfälle von c). Zu c) Seien ãb̃ = ab und dc̃˜ = dc die zugehörigen reduzierten Bruchdarstellungen. Dann gilt ˜ ggT (ã, b̃) = ggT (c̃, d) ˜ = 1, a = tã, b = tb̃, c = t0 c̃, d = t0 d, b̃ > 0, d˜ > 0 und tt0 6= 0. (∗) a = c =⇒ ã = c̃ =⇒ ã = c̃, b̃ = d˜ =⇒ ad = tt0 ãd˜ = tt0 b̃c̃ = bc. b d b̃ d˜ ad = bc =⇒ tt0 ãd˜ = tt0 b̃c̃ =⇒ tt0 (ãd˜ − b̃c̃) = 0, tt0 6= 0 =⇒ ãd˜ − b̃c̃ nach 2.6, d.h. ãd˜ = b̃c̃. ˜ c̃) = 1, d˜ > 0, b̃ > 0. Es folgt ã = c̃ und b̃ = d, ˜ Ferner gilt ggT (ã, b̃) = ggT (d, da man in Z eine eindeutige Primfaktorzerlegung hat. Also ist a ã c̃ c = = = ˜ d b b̃ d B. Addition und Multiplikation von Brüchen. Seien ab , dc ∈ Q. Wir definieren a b + a b · c d c d := ad+bc bd (Addition) und := ac bd (Multiplikation) 4.3 Bemerkung. Addition und Multiplikation von rationalen Zahlen sind unabhängig von der Darstellung definiert, d.h. Aus (i) a b ac bd = = a0 b0 und a 0 c0 ; b0 d0 c d = (ii) c0 d0 folgt ad+bc bd = a0 d0 +b0 c0 b0 d0 2 Beweis. Nach 4.2 c) gilt (iii) ab0 = a0 b und cd0 = c0 d, und somit ac 4.2b) acb0 d0 = bdb0 d0 bd = ab0 cd0 bdb0 d0 a0 bc0 d 4.2b) a0 c0 = b0 d0 bdb0 d0 = 0 0 0 bb0 0 0 0 dbb0 ad+bc 4.2b) (ad+bc)b0 d0 = = ab ddbdb+cd = a bddbdb+c 0 d0 0 d0 bd bdb0 d0 4.4 Regel. Sei ab ∈ Q. Dann gilt = bd(a0 d0 +c0 b0 ) 4.2b) a0 d0 +c0 b0 = bd(b0 d0 ) b0 d0 a) + und · setzen die Addition und Multiplikation von Z auf Q fort. b) a b · b a c) a b löst die Gleichung bX = a. d) a b ·1= e) a b + = 1, falls a, b ∈ Z\{0}. Insbesondere ist a· a1 = 1 für alle a ∈ N\{0}. c b a b = a b und a+c ; b + 0 = ab . insbesondere ist a b + −a b = 0 b =0 Beweis. a) a 1 a 1 + 1b = a·1+b·1 = a+b =a+b 1·1 1 ab · 1b = 1·1 = ab = ab 1 b) a b · b a = ab ba = 1 1 c) b · a b = b 1 a b = d) e) · = 1 nach 4.2 ab 1·b = a 1 = a nach 4.2 a b a b · 1 = ab · 11 = a·1 = ab b·1 + 0 = ab + 01 = a·1+0·b = b·1 a b + c b = ab+cb bb = (a+c)b bb = a b a+c b nach 4.2 4.5 Satz. (Q, +, ·) ist ein Körper. Beweis. Nach 4.4 sind nur noch das Distributiv-, Assoziativ- und Kommutativgesetz zu zeigen. Zeige exemplarisch: +de +ade a c ( + fe ) = ab · cfdf = acfbdf und b d b(acf +dae) acbf +bdae a e a c · + b · f = bdbf = b(dbf ) b d = acf +ade , bdf also gilt das Distributivgesetz. 3 C. Anordnung der rationalen Zahlen. Definition. Eine rationale Zahl heißt positiv, wenn sie eine Darstellung r = ab hat mit ab > 0. 4.6 Bemerkung. Ist r positiv und r = dc , so ist auch cd > 0. Beweis. Sei r = ab mit ab > 0. Es folgt ad = bc, also (ab)(cd) = b2 c2 = (bc)2 > 0; wegen ab > 0 folgt auch cd > 0. Setze P = { ab | a b ∈ Q positiv } = Menge der positiven rationalen Zahlen. 4.7 Satz. P ist abgeschlossen bzgl. der Addition und Multiplikation und es ˙ ˙ gilt: Q = P ∪{0} ∪(−P ). Beweis. N>0 ist abgeschlossen bezüglich + und ·. Also ist nach Definition der Positivität rationaler Zahlen auch P abgeschlossen bezüglich + und ·: Seien r = ab , s = dc aus P =⇒ rs = ac , r + s = ad+bc =⇒ acbd = (ab)(cd) > 0 bd bd und (ad + bc)bd = (ab)d2 + (cd)b2 > 0. Sei ab 6∈ P ∪ {0} =⇒ ab < 0 =⇒ −(a)b = −ab > 0 =⇒ − −a ∈ −P. b Sei r = − ab ∈ −P, d.h. ab > 0 und r = ist daher r 6∈ P ∪ {0}. −a b −a b ∈ P =⇒ a b = mit (−a)b = −ab < 0. Nach 4.6 Definition. r ≤ s := s − r ∈ P0 := P ∪ {0}. P0 ist nach 4.7 abgeschlossen bzgl. + und ·. 4.8 Satz. ≤“ ist eine lineare Ordnung auf Q, welche die Ordnung auf Z ” fortsetzt. Sie ist monoton, d.h. r≤s r≤s =⇒ und r+t≤s+t t ≥ 0 =⇒ rt ≤ st Beweis. a ≤ b in Z ⇐⇒ b − a ∈ N ⇐⇒ Def. b 1 − a 1 = b−a 1 a Def. 1 ∈ P0 ⇐⇒ ≤ b 1 in Q. Damit setze ≤“ die Ordnung auf Z fort. ” Zeige beispielsweise noch die Transitivität von ≤“ : ”4.7 r ≤ s und s ≤ t ⇐⇒ s − r ∈ P0 und t − s ∈ P0 =⇒ t − r = (s − r) + (t − s) ∈ P0 =⇒ t ≤ r 4 und die Monotomie bzgl. + “ : r ≤ s =⇒ s − r ∈ P0 =⇒ ” (s + t) − (r + t) = s − r ∈ P0 =⇒ r + t ≤ s + t 4.7 und bzgl. · “ : r ≤ s, t ≥ 0, =⇒ s − r, t ∈ P0 =⇒ ” st − rt = (s − r)t ∈ P0 =⇒ rt ≤ st. 4.9 Das Prinzip des Archimedes. Für alle r, s ∈ P gibt es eine natürliche Zahl n mit n · r > s. Beweis. Schreibe r = hp , s = hq mit dem gleichen Nenner h > 0 und p, q > 0. (Dies erreicht man durch Erweitern.) Es gilt dann nach 4.8: nr > s ⇐⇒ (nr)h > sh ⇐⇒ np > q, denn rh = p, sh = q. Es genügt also, zu zeigen: Zu gegebenen natürlichen Zahlen p 6= 0 und q 6= 0 gibt es eine natürliche Zahl n mit np > q. Beweis: Wegen p ≥ 1 ist (q + 1)p ≥ (q + 1) · 1 = q + 1 > q. 4.10 Satz. Die Elemente von Q liegen dicht gedrängt“: ” Für r, s ∈ Q mit r < s liegt immer noch ein t ∈ Q dazwischen, d.h. r < t < s. Beweis. Setze t := 21 (r + s) : s − t = s − 12 r − 12 s = = 21 s − 12 r = 12 · (s − r) > 0, da s > r. Also ist s > t t − r = 12 (r + s) − r = 12 s − 12 r = 12 (s − r) > 0, da s > r und somit s − r > 0. Also ist auch t > r. Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, daß trotz der Aussage 4.10 die Menge der rationalen Zahlen in gewissem Sinne lückenhaft“ sind. Um die” se Lücken zu stopfen, haben die Mathematiker die reellen Zahlen erfunden. Wir werden im nächsten Paragraphen den Weg nachzeichnen, den der große Mathematiker Richard Dedekind gegangen ist, um die reellen Zahlen zu begründen. 5