Informationen zur politischen Bildung 320 – IzpB

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Informationen
320
zur politischen Bildung / izpb
4/2013
Politisches System der USA
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Politisches System der USA
Inhalt
Die USA – eine europäische Idee mit welthistorischer Bedeutung .....................................................4
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber:
checks and balances .........................................................................8
Horizontale Gewaltenteilung .............................................................. 8
Vertikale Gewaltenteilung: Föderalismus ...................................... 27
Temporale Kontrolle: Macht auf Zeit durch Wahlen ................. 30
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik:
Themennetzwerker ......................................................................44
Schwache Parteien ..................................................................................44
Starke Interessengruppen ...................................................................46
Think Tanks als Ideen- und Personalagenturen ......................... 47
Medien als vierte Gewalt? ................................................................... 50
Aktuelle Probleme: Politikblockade ................................ 54
Der Schuldenberg .................................................................................... 54
Blockierte Wirtschaftspolitik .............................................................. 56
Freie Hand für freien Handel? ............................................................ 57
Volle Kraft zurück: Energie- und Umweltpolitik ........................ 58
Abwälzen außenpolitischer Lasten ................................................ 60
Literaturhinweise und Internetadressen .................. 64
Schlagwörterverzeichnis ......................................................... 66
Der Autor ............................................................................................... 67
Impressum ........................................................................................... 67
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
3
Editorial
„E
in Land im Würgegriff“, „Unvereinigte Staaten“,
„Eines langen Tages Reise in die Unregierbarkeit“ – so lauteten Schlagzeilen der deutschen Presse im Oktober 2013. Anlass für diese Zuschreibungen
waren die haushaltspolitischen Auseinandersetzungen zwischen der Republikanischen Mehrheit
im Kongress und dem Demokratischen Präsidenten
Obama. Es drohte – wieder einmal – die Zahlungsunfähigkeit der USA, 16 Tage lang waren Bundesbehörden geschlossen und wurden
Regierungsangestellte in Zwangsurlaub geschickt. Erst Ende Dezember konnten sich
Demokraten und Republikaner mühsam auf einen Minimalkompromiss einigen.
Aufmerksame Beobachter sprechen von einer Tendenz zur Polarisierung der USGesellschaft, die sich in den vergangenen Jahren verschärft hat – und das sowohl
auf politischem, sozialem, wirtschaftlichem wie auf kulturellem Gebiet. Es ist zwar
nicht das erste Mal, dass eine Schließung von Bundesbehörden erfolgt ist oder dass
um die Schuldengrenze gestritten wird, aber die Bereitschaft, tragfähige Kompromisse herbeizuführen, scheint in den vergangenen Jahren zunehmend verloren gegangen zu sein.
Was spricht für die Richtigkeit dieser Beobachtungen, und welche Entwicklungen
liegen der konstatierten Polarisierung zugrunde? Wie ist das politische System der
USA angelegt, das aufgrund seiner Prinzipien und seiner elastischen Konstruktion
zum Vorbild für viele Demokratien weltweit wurde, und wie kann es unter den aktuellen Voraussetzungen seine Funktionsfähigkeit bewahren?
Der Autor dieses Heftes, der Politikwissenschaftler Josef Braml, erklärt die Grundprinzipien, nach denen das politische System der USA aufgebaut ist, stellt seine
wichtigsten zentralen Akteure vor, beschreibt ihr Zusammenwirken auf den verschiedenen Politikfeldern und erläutert die Spielregeln und den Rahmen, in dem
die politischen Auseinandersetzungen stattfinden. Dabei geht er auch auf die historischen Hintergründe und die Ideengeschichte ein, weil ohne sie die politischen
Strukturen der USA, ihre aktuellen Probleme und die künftige Entwicklung nicht zu
verstehen sind.
Jutta Klaeren
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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Politisches System der USA
Josef Braml
Die USA – eine europäische Idee mit welthistorischer Bedeutung
akg / De Agostini Pict. Lib.
Die Verfassung von 1787 ist bis heute Grundlage politischen
Handelns in den USA. Sie genießt nicht nur bei der eigenen
Bevölkerung Anerkennung, auch international haben
ihre Prinzipien und ihr freiheitliches Gesellschaftsmodell
Vorbildcharakter. Seit 2001 ist es schwieriger geworden,
diesen hohen Anspruch zu erfüllen.
Am 17. September 1787 unterzeichnen die Abgesandten der Einzelstaaten
in Philadelphia unter Vorsitz des späteren Präsidenten George Washington die Verfassungsurkunde für ihr neues Staatswesen. (Bildausschnitt)
D
ie Architekten der US-amerikanischen Verfassung, die
sogenannten Gründerväter, darunter Benjamin Franklin,
Alexander Hamilton, Thomas Jefferson und George Washington, genießen bis heute in den USA für ihr Werk große Wertschätzung. Dass die älteste bis heute gültige republikanische
Staatsverfassung auch im 21. Jahrhundert mehr oder weniger
unverändert besteht, liegt an ihrer elastischen Konstruktion.
Die miteinander verbundenen Prinzipien der Volkssouveränität, der individuellen Menschenrechte und der Repräsentation
gewährleisten immer noch die Statik des Verfassungsgerüsts
von 1787.
Die antike Vorstellung vom Volk als Quelle von Regierungsmacht wurde mit dem neuzeitlichen Konzept individueller
Menschenrechte verschränkt: In einer liberalen Demokratie
stößt der Mehrheitswille des Volkes dort an Grenzen, wo er
die Rechte von Minderheiten beschneidet – eine „Tyrannei der
Mehrheit“ soll verhindert werden. Das Misstrauen gegenüber
der breiten Masse wird in einem weiteren Konstruktionselement deutlich, der repräsentativen Demokratie: Insbesondere
auf der Ebene des Bundesstaates sollte nicht das Volk selbst im
Sinne einer direkten Demokratie entscheiden, sondern seine
Repräsentanten. Dahinter steht die Erwartung, dass vom Volk
gewählte Vertreterinnen und Vertreter in ihrem Handeln weniger durch Leidenschaften und Affekte geleitet sind, sondern
eher rationale und weitsichtige Entscheidungen treffen als
eine direkte Volksregierung.
Die „Erfindung“ der amerikanischen Nation, so der USamerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson in
seinem 1988 auf Deutsch erschienenen gleichnamigen Buch,
gründet denn auch wesentlich auf der Emanzipation vom
„Alten Kontinent“ Europa mit seinen Staatskirchen und Herrschern von Gottes Gnaden. Gleichzeitig waren die Siedler in
der „Neuen Welt“ von Beginn an von dem Bewusstsein erfüllt,
eine von Gott auserwählte Nation zu sein: „God’s own country“. Diese Abkehr vom Staatskirchentum, verbunden mit dem
Bewusstsein des Auserwähltseins, kommt auch im ersten Verfassungszusatz zum Ausdruck: Die Einrichtung einer staatstragenden Amtskirche wird untersagt und Religions- und
Meinungsfreiheit gewährleistet. Diese verfassungsrechtlich
gewährte Freiheit schafft bis heute Raum für Pluralismus und
ein ständiges Ringen um die legitime Position von Religion im
Spannungsfeld zwischen privater und öffentlich-politischer
Sphäre. So steht etwa das Schulgebet bis heute im Zentrum
politischer Auseinandersetzungen, insbesondere seit das
Oberste Gericht, der Supreme Court, 1985 im Fall Wallace v.
(v. = versus, lat. für gegen) Jaffree entschied, dass in staatlichen
Schulen sogar eine Minute der Stille zum freiwilligen Beten
oder Meditieren gegen die „establishment clause“ verstoße, die
vor der Etablierung einer Staatsreligion schützen soll.
Geprägt von den Erfahrungen absolutistischer Herrschaft,
insbesondere von den Praktiken der damaligen Kolonialmacht Großbritannien, und inspiriert durch aufklärerische
Ideen der Philosophen John Locke und Montesquieu, wollten
die Exilanten fernab ihrer Heimat eine „Neue Welt“ schaffen.
In ihr sollte Herrschaft nicht wie auf dem „Alten Kontinent“
von oben, von Gottes Gnaden, legitimiert sein, sondern jegliche Macht von unten, vom Volke, auf Zeit verliehen werden.
Der Einzelne – wobei damals indes nur an den wohlhabenden
Mann mit weißer Hautfarbe gedacht war – galt als Quelle
der Volkssouveränität. Darüber hinaus sollte im Sinne einer
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Die USA – eine europäische Idee mit welthistorischer Bedeutung
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Pledge of Allegiance:
William Thomas Cain / Getty Images
I pledge allegiance to the flag of the United
States of America and to the republic for
which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all.
Treueschwur:
Ich schwöre Treue auf die Fahne der
Vereinigten Staaten von Amerika und
die Republik, für die sie steht, eine Nation
unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und
Gerechtigkeit für jeden.
http://usa.usembassy.de/regierung-treueschwur.htm
Ausdruck der Verehrung gegenüber der Republik und der Fahne, die sie symbolisiert, ist der Fahneneid,
den hier 2004 eine Schulklasse in Pennsylvania leistet. Die Formulierung „under God“ verweist auf das
nationale Selbstverständnis, ist in einem Land mit Religionsfreiheit aber auch immer wieder umstritten.
liberalen Verfassung durch Prinzipien der Gewaltenkontrolle
Missbrauch verhindert werden, um individuelle Grundrechte
vor staatlicher Willkür zu schützen.
Die wichtigsten, im Weiteren als individuelle oder persönliche Freiheitsrechte bezeichneten civil liberties werden
durch die ersten zehn Verfassungszusätze (amendments)
garantiert. Diese auch unter dem Begriff der Bill of Rights
zusammengefassten Grundsätze wurden am 15. Dezember
1791 als Ganzes in die US-Verfassung aufgenommen. Nach
dem Bürgerkrieg (1861-1865) kamen weitere Verfassungszusätze dazu, wobei der 14. besonders bedeutsam für den
Schutz der individuellen Freiheitsrechte jeder Person – ungeachtet der Staatsbürgerschaft – ist. Allerdings hat die verfassungsrechtliche Auslegung des Supreme Court gezeigt,
dass einige der individuellen Freiheitsrechte ausschließlich
US-Amerikanerinnen und -Amerikanern vorbehalten sind.
Die Verfassungsväter haben der Gewaltenkontrolle besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn das Grundprinzip der
konkurrierenden, sich gegenseitig kontrollierenden Staatsgewalten (checks and balances) hat eine grundlegende Bedeutung für die Sicherung individueller Freiheitsrechte. Neben
der horizontalen Gewaltenteilung in die gesetzgebende (Legislative), die ausführende (Exekutive) und die richterliche
Gewalt (Judikative) wurde in der amerikanischen Verfassung
auch eine vertikale Gewaltenkontrolle angelegt: Die Befugnisse zwischen den Einzelstaaten und dem Bundesstaat wurden
aufgeteilt. Mit horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung
sollte verhindert werden, dass die Rechte und Freiheiten des
Einzelnen und jene der Einzelstaaten über Gebühr eingeschränkt werden.
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Gleichwohl wurden die Rechte der Einzelstaaten, die states‘
rights, mit Billigung des Supreme Court auch dazu missbraucht,
um bis ins 20. Jahrhundert in den Südstaaten der USA die Rassendiskriminierung aufrechtzuerhalten. Erst in den 1950erund 1960er-Jahren gelang es der Bürgerrechtsbewegung, dem
civil rights movement, die Rassentrennung und -diskriminierung mehr oder weniger zu überwinden. So erklärte der Supreme Court 1954 im Fall Brown v. Board of Education die Rassentrennung an staatlich finanzierten Schulen für unzulässig.
Der Voting Rights Act von 1965 ermöglichte schließlich auch
der afroamerikanischen Bevölkerung verbesserte Rechte zur
politischen Teilhabe. Rassendiskriminierung ist jedoch bis
heute ein politisch brisantes Thema geblieben.
Ungeachtet solcher Unzulänglichkeiten sollte schon nach
dem Ansinnen der frühen Siedler der Neuen Welt das „amerikanische Experiment“ die Welt verbessern. Das Leitbild
US-amerikanischer Außenpolitik bewegte sich im Laufe ihrer Geschichte kontinuierlich zwischen Absonderung von
der Welt und missionarischem Drang zur Weltverbesserung.
Der selbstverstandene Ausnahmecharakter der USA, der
sogenannte Exzeptionalismus, manifestierte sich dementsprechend in unterschiedlicher Weise: zum einen, indem die
„beinahe auserwählte“ Nation („almost chosen“, so Abraham
Lincoln), die „city upon a hill“ (so der puritanische Pionier
John Winthrop 1630 in Anspielung auf das biblische Jerusalem, das einen engen Bund mit Gott hatte) selbstgenügsam
der Welt als leuchtendes Vorbild diente, oder zum anderen,
indem sie die Welt aktiv verändern wollte, sei es mit diplomatischen oder militärischen Mitteln, sei es durch Vorgehen
im Alleingang oder mit Unterstützung anderer Staaten.
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Politisches System der USA
„All men are created equal“ – ein Verfassungsgebot
und seine Auslegung
an US-amerikanischen Schulen aufgehoben werden.
Am 2. Juli 1964 unterzeichnete Präsident Lyndon B. Johnson in Anwesenheit des Bürgerrechtlers Martin Luther
King den Civil Rights Act, mit dem die
Diskriminierung der afroamerikanischen
Bevölkerung bei Wahlen und in öffentlichen Einrichtungen wie Restaurants,
Hotels oder Bussen abgeschafft werden
sollte. Bereits sein Vorgänger John F.
Kennedy hatte auf die immer heftiger
werdenden öffentlichen Proteste
der Afroamerikaner reagiert. In seiner
Ansprache vom 11. Juni 1963 hatte
er seine Landsleute und die Gesetzgeber
aufgefordert, der Diskriminierung ein
Ende zu bereiten. Es war dann aber die
Regierungsmannschaft seines Nachfolgers Johnson, der es gelang, das heftig
umstrittene Gesetz durch den Kongress
zu manövrieren. Gleich in seiner ersten
Ansprache an die versammelten Abgeordneten und Senatoren am 27. November
1963 äußerte Präsident Johnson, dass
kein noch so eloquenter Nachruf den wenige Tage zuvor, am 22. November 1963,
ermordeten Präsidenten gleichermaßen
ehren könne wie die schnellstmögliche
Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes, für das Kennedy so lange gekämpft
habe. Mit dem Civil Rights Act konnte
zwar die Zweiklassengesellschaft in öffentlichen Räumen mehr oder weniger
beseitigt werden, aber nicht die Diskrimi-
nierung der Afroamerikaner bei den
Wahlen.
Mit dem von Präsident Johnson am
6. August 1965 unterzeichneten
Voting Rights Act sollte einmal mehr
sichergestellt werden, dass der afroamerikanischen Minderheit gleiche Voraussetzungen gegeben werden, um
sich an den Wahlen zu beteiligen. Dazu
wurden diskriminierende Praktiken
wie Analphabetismus-Tests als Voraussetzung zur Wählerregistrierung
verboten und die verantwortlichen Einzelstaaten unter Aufsicht des Bundesjustizministeriums gestellt.
Am 25. Juni 2013 urteilte das Oberste
Gericht im Fall Shelby County v. Holder
mit einer denkbar knappen Mehrheit
von fünf gegen vier Stimmen, dass im
„Lichte gegenwärtiger Bedingungen“,
insbesondere aufgrund der verbesserten
politischen Beteiligung von Minderheiten, eine elementare Bestimmung
(Sektion 4) des Voting Rights Act
überholt und damit verfassungswidrig
sei. Bisher unterstanden die bei Wahlen
mit Diskriminierungspraktiken historisch vorbelasteten Südstaaten der
Bundesaufsicht. Die Gesetzgeber sind
nun aufgefordert, neue, an die heutige
Zeit angepasste Kriterien zu finden,
die weiterhin eine bundesstaatliche Aufsicht der von den Einzelstaaten
organisierten Wahlen rechtfertigen
würden.
AP Photo
Am 17. Mai 1954 entschied das Oberste
Gericht im Fall Brown v. Board of Education, dass nach Hautfarbe getrennte
Schulen „von Natur aus ungleich“
sind und dem Gleichheitsgrundsatz des
14. Zusatzartikels der Verfassung widersprechen. Mit diesem wegweisenden
Urteil revidierten die Obersten Richter
auch die bislang vorherrschende
Rechtsauslegung gemäß der „separate
but equal“-Doktrin. Sie war 1896 im
Fall Plessy v. Ferguson etabliert worden,
um Rassentrennung zu rechtfertigen,
solange es „getrennte, aber gleichwertige“ Einrichtungen für afroamerikanische und weiße Schüler gab. Landesweit,
vor allem in den Südstaaten, waren
jedoch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die nach Hautfarbe getrennten
Schulen alles andere als gleichwertig
eingerichtet. Die ursprüngliche Klägerin,
Esther Brown, kritisierte die schlimmen
Zustände, mit denen afroamerikanische Kinder in ihrer Heimatstadt South
Park im Bundesstaat Kansas alltäglich
zu kämpfen hatten. Ihre auf die Städte
Wichita und Topeka ausgeweitete
Klage wurde unterstützt von der bereits
1909 gegründeten National Association
for the Advancement of Colored People
(NAACP). Mit der erfolgreichen Sammelklage, der sich weitere Familien anschlossen (unter anderem Oliver Brown,
nach dem der Fall benannt wurde),
konnte schließlich die Rassentrennung
Der Civil Rights Act von 1964 ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung. Nach der Unterzeichnung wendet sich Präsident Johnson (sitzend) dem
hinter ihm stehenden Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King zu.
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Burkhard Mohr / Baaske Cartoons
Die USA – eine europäische Idee mit welthistorischer Bedeutung
Nach den für die USA traumatischen islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon bei Washington haben die
Bemühungen von US-Präsident George W. Bush (2001-2009),
mehr Sicherheit auf Kosten der Freiheit zu erlangen und die
Ohne Religion geht es nicht
Frau Professor Bungert, Präsident Obama
wird in diesem Jahr [2013] zweimal
vereidigt. Was hat es damit auf sich?
Es wäre in den USA undenkbar, dass
der offizielle Festakt zur Inauguration an
einem Sonntag stattfindet. Damit nun
das Land nicht ohne vereidigten Präsidenten ist, wenn der verfassungsmäßig
festgesetzte Termin des Amtswechsels am
20. Januar auf einen Sonntag fällt, gibt
es seit dem 20. Jahrhundert an diesem
Tag eine Vereidigung im Weißen Haus im
kleinen Kreis, am Montag wiederholt
der Präsident seinen Schwur in aller Öffentlichkeit. Im 19. Jahrhundert hatte man
den Amtseid auf Samstag vorverlegt –
mit der seltsamen Folge, dass es einen Tag
lang zwei vereidigte Präsidenten gab.
So viel Umstand mit Rücksicht auf den
christlichen Ruhetag?
Offiziell sind Religion und Staat in den
USA strikt getrennt. Aber die puritanische
Tradition ist bis heute lebendig. Der
Sonntag gehört dem Gottesdienst. Festivitäten sind verpönt, ebenso wie Alkoholgenuss. […] Das sind natürlich Anachronismen, deren Logik auch nicht
durchgehalten ist. Der Superbowl, eines
der größten Sportereignisse in den
USA, darf zum Beispiel sehr wohl sonntags stattfinden.
Welt mit militärischen Mitteln zu demokratisieren, jedoch zu
einem merklichen Qualitätsverlust der eigenen, US-amerikanischen Demokratie geführt. Barack Obamas Wahl zum 44.
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gab Anlass
zur Hoffnung auf einen Kurswechsel. „Change we can believe
in“ hatte sein Wahlkampfmotto gelautet, und in seiner Amtsantrittsrede verurteilte er die Politik seines Vorgängers: „Wir
verweigern uns gegen die irreführende Wahlmöglichkeit
zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen.“ Er bekundete dagegen die Absicht, unter seiner Führung der von
den Gründervätern verfassten Charta zur Gewährleistung
von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten wieder neuen
Glanz zu verleihen. „Diese Ideale erleuchten immer noch die
Welt, und wir geben sie nicht preis, nur weil es zweckdienlich
erscheint“, so Obama in seiner Ansprache. (www.whitehouse.
gov/blog/inaugural-address/)
Ob es Präsident Obama gelingen wird, die inneren Kollateralschäden des „Globalen Krieges gegen den Terror“ (Global
War on Terror) und den internationalen Ansehensverlust der
einstigen liberalen Vorbilddemokratie zu reparieren, bleibt
abzuwarten. Dies wäre nicht ohne Belang, denn der Qualitätszustand der freiheitlich verfassten offenen US-Gesellschaft beeinflusst aufgrund ihres Vorbildcharakters die weltweite Wahrnehmung demokratischer Rechtsstaatlichkeit
und internationaler Rechts- und Ordnungsvorstellungen.
Sind die USA also doch eine Art Gottesstaat?
Mit dem Begriff wäre ich vorsichtig, aber
klar, es gibt eine Vermischung von Religion und Politik, was in der Wissenschaft
oft „Zivilreligion“ genannt wird. Sie wird
nirgends deutlicher als in der Inaugurationsfeier mit Gebeten zu Beginn und
einem Schluss-Segen – Ritualen, die nicht
zu einer säkularen staatlichen Zeremonie
zu passen scheinen. Offiziell wird dann
gern gesagt, es werde nicht der Gott einer
bestimmten Religion adressiert. [...]
Welchen Sinn hat die religiöse Aufladung der ganzen Feier?
Sie drückt das Selbstverständnis der USAmerikaner als „Gottes auserwähltes
Volk“ aus. Auch das ist puritanisches Erbe
und Teil der Zivilreligion. Europäern ist
dieser Erwählungsgedanke oft fremd. Für
US-Amerikaner hingegen verbindet sich
damit die Selbstverpflichtung, sich der
göttlichen Erwählung und des Erbes der
Vorväter würdig zu erweisen. Jede Generation von Amerikanern wird daraufhin
neu geprüft. […]
Ohne Bibel geht es nicht?
Fast alle Präsidenten haben auf die Bibel
geschworen. George Washingtons Vereidigung hätte zwar beinahe ohne Bibel
stattgefunden. Doch im letzten Augenblick wurde ein Exemplar herbeigeschafft,
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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ausgerechnet aus einem Freimaurertempel. Seitdem hat nur John Quincy Adams,
Präsident von 1825 bis 1829, stattdessen
auf ein Gesetzesbuch geschworen. Nach
Kennedys Ermordung 1963 wurde sein
Vize Lyndon B. Johnson an Bord der Air
Force One vereidigt. Dort fand sich
zwar keine Bibel, wohl aber ein katholisches
Messbuch. Das musste als Ersatz herhalten. Also: Bibel muss sein. Neuerdings eben
sogar zwei [Am Montag, 21. Januar 2013,
dem Tag der öffentlichen Vereidigung Präsident Obamas, wurde auch offiziell der
Gedenktag für den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King begangen. Deshalb leistete der Präsident an diesem Tag
seinen Amtseid nicht nur auf die Bibel
des ehemaligen Präsidenten Abraham
Lincoln, sondern auch auf eine Bibel Martin
Luther Kings. – Anm. d. Red.]. Bei seiner
„kleinen Vereidigung“ am Sonntag
wird Obama noch eine dritte benutzen,
eine Bibel aus Familienbesitz.
Wie funktioniert denn der Schwur auf
zwei Bibeln gleichzeitig?
Indem man sie übereinanderlegt. Jedes
Exemplar ist an einer bestimmten Textstelle geöffnet. […]
Heike Bungert, geb. 1967, ist Professorin für Neuere und Neueste
Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
„Religiös getränkt“. Joachim Frank im Gespräch mit der Historikerin Heike Bungert über das Zeremoniell zur Vereidigung
Barack Obamas, in: Frankfurter Rundschau vom 16. Januar
2013
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Politisches System der USA
Josef Braml
picture alliance / dpa / Shawn Thew
Konkurrenz und Kontrolle
der Machthaber: checks
and balances
Legislative, Exekutive und die Bundesstaaten haben jeweils
eigene Interessen und Befugnisse. Sie kontrollieren sich gegenseitig und werden von der Wählerschaft, von Interessengruppen und ggf. vom Supreme Court kontrolliert. Eine wachsende
gesellschaftliche Polarisierung erschwert Kompromisse.
Strikte Trennung: Nur für besondere Anlässe, etwa für seine Rede zur
Lage der Nation – hier 2012 –, darf der Präsident den Kongress betreten.
U
m Machtmissbrauch zu verhindern, haben die Architekten
der US-amerikanischen Verfassung mehrere Kontrolldimensionen verankert: Erstens verleiht der Souverän, das
heißt der wahlberechtigte Bürger, die Macht an seine Repräsentanten nur auf Zeit (temporale Machtkontrolle), damit diese ihm Rechenschaft schuldig bleiben. Zweitens verlangt die
föderale Struktur, die Machtbefugnisse der den Bürgern näher
stehenden Einzelstaaten mit jenen des Gesamtstaates in Einklang zu bringen (vertikale Machtkontrolle). Dies musste nicht
zuletzt auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges und in bis
heute andauernden höchstrichterlichen Auseinandersetzungen ausgefochten werden. Drittens gibt es sowohl auf einzelstaatlicher Ebene als auch auf der Ebene des Gesamtstaates
eine Teilung der Gewalten in Legislative, Exekutive und Judikative (horizontale Machtkontrolle).
Strukturmerkmale parlamentarischer und
präsidentieller Regierungssysteme
Merkmal
parlamentarisch (z. B. BRD)
präsidentiell (z. B. USA)
Legitimation
nur Parlament direkt gewählt
Präsident und Parlament mit
jeweils eigener Legitimation
Organisation der Gewaltenkontrolle
Gewaltenverschränkung
Trennung von Regierung und
Parlament
politische Abberufbarkeit der
Regierung
ja
nein (nur verfassungsrechtlich, impeachment)
Parlamentsauflösungsrecht
der Exekutive
ja
nein
Regierungsamt und Parlamentsmandat
vereinbar
unvereinbar
Partei- und Fraktionsdisziplin
stark
schwach
Walter Bagehot, The English Constitution, Ithaca (1867) 1966; Ernst Fraenkel, Das amerikanische
Regierungssystem, Köln/Opladen 1960; Winfried Steffani, Parlamentarische und präsidentielle
Demokratie: Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, S. 39-104
Horizontale Gewaltenteilung
Der zentrale Unterschied zwischen dem US-amerikanischen
(präsidentiellen) checks and balances-System und parlamentarischen Regierungssystemen wie dem der Bundesrepublik
Deutschland liegt in der unterschiedlichen Beziehung zwischen
der Legislative und der Exekutive begründet. Anders als der USPräsident, der durch einen landesweiten Wahlakt persönlich gewählt wird und damit eigene Legitimation beanspruchen kann,
wird die deutsche Kanzlerin mittelbar von der Mehrheit im Parlament gewählt. Auch in der politischen Auseinandersetzung
muss die Spitze der deutschen Exekutive darauf vertrauen können, dass ihre politischen Initiativen von ihrer Fraktion bzw. Koalition im Bundestag mitgetragen werden. Die Stabilität sowohl
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Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
der Regierung/der Exekutive als auch jene der Parlamentsmehrheit hängt von einer engen und vertrauensvollen Kommunikationsbeziehung zwischen beiden ab. Diese „Gewaltenverschränkung“ charakterisiert parlamentarische Regierungssysteme.
Legislative und Exekutive sind im politischen System der USA
nicht nur durch verschiedene Wahlakte stärker voneinander
„getrennt“. Das System der checks and balances ist darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, dass die politischen Gewalten
miteinander konkurrieren und sich gegenseitig kontrollieren.
Der US-amerikanische Kongress übernimmt somit nicht automatisch die politische Agenda der Exekutive/des Präsidenten,
selbst wenn im Fall des unified government das Weiße Haus
(Sitz des Präsidenten) und Capitol Hill (Sitz des Kongresses) von
der gleichen Partei „regiert“ werden. Noch weniger ist dies der
Fall, wenn bei einem divided government Präsident und Kongress von unterschiedlichen Parteien „kontrolliert“ werden,
was mit dem Wahlergebnis 2012 erneut eintrat.
Während im US-System die Legislative als Ganzes mit der
Exekutive um Machtbefugnisse konkurriert, ist „Opposition“
im parlamentarischen System auf die Minderheit im Parlament beschränkt, die nicht die Regierung trägt. Insbesondere
für die Regierungspartei/-koalition sind Partei- bzw. Fraktionsdisziplin grundlegend erforderlich, um die Funktionsfähigkeit der eigenen Regierung, ja des parlamentarischen Regierungssystems insgesamt zu gewährleisten. Da Exekutive
und Parlamentsmehrheit in einer politischen Schicksalsgemeinschaft verbunden sind, haben einzelne Abgeordnete ein
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Eigeninteresse, bei wichtigen Abstimmungen nicht von der
Parteilinie abzuweichen und sich der Fraktionsdisziplin zu
fügen. Wahlverfahren, Parteienfinanzierung, Kandidatenrekrutierung und die hohe Arbeitsteilung im Parlament geben
weitere Anreize für parteidiszipliniertes Verhalten.
Dagegen ist in den USA die politische Zukunft einzelner
Abgeordneter und Senatoren weitgehend unabhängig von
der des Präsidenten; ihre (Wieder-)Wahlchancen hängen vorrangig vom Rückhalt im eigenen Wahlkreis bzw. Einzelstaat
ab. Aufgrund des Wahlsystems und der Politikfinanzierung
sind sie als „politische Einzelunternehmer“ (political entrepreneurs) in den USA primär selbst für ihre Wiederwahl verantwortlich und haften gegebenenfalls auch persönlich für ihr
Abstimmungsverhalten im Kongress, weil sie sich gegenüber
Interessengruppen und Wählerschaft nicht hinter einer Parteidisziplin verstecken können. Den US-Parteien fehlen in der
legislativen Auseinandersetzung Ressourcen und Sanktionsmechanismen, um den Gesetzgebungsprozess im Sinne einer
Parteidisziplin zu gestalten (siehe S. 44 f.).
Power of the purse: die Legislative
Die Legislative und ihre Befugnisse sind in der US-Verfassung –
noch vor dem Präsidenten und dessen Aufgaben – an erster Stelle angeführt. Artikel I, Absatz 1 bestimmt: „Die gesetzgebende
Gewalt ruht im Kongress der Vereinigten Staaten, der aus einem
Politisches System der USA
Doug Armand / Getty Images
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Stephen Crowley / The New York Times / laif
Die US-Legislative, der Kongress, residiert mit beiden Kammern im Kapitol. Senat und Repräsentantenhaus sind aber räumlich getrennt, und es
besteht zudem ein machthemmendes Konkurrenzverhältnis.
wikimedia.org
Am 13. Januar 2013 leisten die Mitglieder des neu formierten 113. Kongresses den Treueeid im Plenarsaal des Repräsentantenhauses.
Vollversammlung des Senats, des kleinen, aber einflussreichen „Oberhauses“
Senat und einem Abgeordnetenhaus besteht.“ Im Sinne der Verfassungsväter, dargelegt von James Madison in den Federalist
Papers, Nr. 63, galt die Senatskammer seinerzeit schon als „gemäßigte und angesehene Körperschaft von Bürgern“ (temperate
and respectable body of citizens), die nötig war, um die „regelwidrigen Leidenschaften“ (irregular passions) der Abgeordneten der
zweiten Kammer zu zügeln.
Ihre unterschiedlichen konstitutionellen Eigenschaften begünstigen die Konkurrenz zwischen den beiden Kammern und
bedingen damit eine weitere Form der Gewaltenkontrolle. Ein
langjähriger Insider bringt die Rivalität zwischen House of Representatives und Senate auf den Punkt: Für Christopher Matthews,
den ehemaligen Stabschef des legendären Sprechers des Abgeordnetenhauses, Tip O’Neill, existiert eine Art unsichtbare Trennwand zwischen beiden Kammern. Senatoren könnten Jahre auf
dem Kapitol-Hügel zubringen, ohne je die andere Seite des Kapitols betreten zu haben – wenn es nicht die Reden des Präsidenten
zur Lage der Nation (State of the Union) gäbe, zu der sich Senatoren
und Abgeordnete im Plenum des größeren Abgeordnetenhauses
versammeln. Es gäbe keinen anderen wirklich wichtigen Grund,
um in Ungnade zu fallen, als als Senator hinüber zum Abgeordnetenhaus zu gehen. Andererseits würde es ein Abgeordneter aus
Angst vor einer Demütigung nie wagen, die ehrwürdigen Hallen
des Senats zu betreten (zitiert in: Ross Baker, House and Senate,
New York / London 1995, S. 14 f.).
Der Statusunterschied zwischen beiden ist enorm: Ein Senator
vertritt einen ganzen Bundesstaat, sein Bekanntheitsgrad ist dementsprechend viel größer. Seine längere Amtszeit von sechs Jahren
und Exklusivrechte in der Gesetzgebung (zum Beispiel die Blockademöglichkeit des filibuster (siehe S. 13), mithilfe derer er den ganzen Gesetzgebungsprozess aufhalten kann, verleihen ihm mehr
Machtpotenzial. Dagegen repräsentiert ein Abgeordneter nur eine
sehr viel kleinere Teileinheit eines Bundesstaates; er muss sich alle
zwei Jahre zur Wahl stellen und ist über seinen Wahlkreis hinaus
nur wenigen bekannt, es sei denn, er hat eine Führungsposition
inne. Mehr noch als im Abgeordnetenhaus in der Hierarchie aufzusteigen, träumen die meisten Abgeordneten insgeheim davon,
irgendwann auch einmal Senator zu werden. Hingegen gab es in
der Parlamentsgeschichte der USA noch keinen Senator, der nach
seinem Ausscheiden aus dem „Oberhaus“ (Senat) für das „Unterhaus“ (Repräsentanten-/Abgeordnetenhaus) kandidierte.
Doch die Verfassung zwingt beide zur Zusammenarbeit. Damit
eine Gesetzesvorlage (bill) dem Präsidenten zur Unterzeichnung
vorgelegt werden kann, muss sie in beiden Kammern in identischer Form verabschiedet werden. Der dafür notwendige intensive
Austausch findet häufig über den Mitarbeiterstab (congressional
staff) der Senatoren und Abgeordneten statt; in vielen Fällen auch
erst später, in einem ad hoc für eine bestimmte Gesetzesvorlage
einberufenen Gremium: Im Vermittlungsausschuss (conference
committee) verhandeln dann die von den Parteiführungen beider
Kammern bestimmten Vertreterinnen und Vertreter in kleinerer
Runde, um einen Kompromiss zu finden.
Der Kongress ist das zentrale Verfassungsorgan bei der Gesetzgebung – auch wenn die beiden anderen politischen Gewalten
mitwirken: der Supreme Court durch die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und der Präsident durch sein
Vetorecht. Der Präsident hat zwar selbst kein Initiativrecht und
kann nur mittelbar über gleichgesinnte Abgeordnete und Senatoren Gesetzesvorlagen auf den Weg bringen. Er hat jedoch
das „letzte“ Wort: Damit eine Vorlage (bill) zum Gesetz (law)
wird, ist diese von ihm zu unterzeichnen. Er kann auch auf den
laufenden Gesetzgebungsprozess Einfluss nehmen, indem er
sein suspensives (aufschiebendes) Veto ausspricht oder damit
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
Die permanenten Hauptausschüsse im Kongress, 113. Legislaturperiode 2013-2014
Ausschüsse und ihre Vorsitzenden
(chairmen) spielen eine wichtige Rolle
in der Gesetzgebung der USA. Ausschüsse (committees) und deren Unterausschüsse (subcommittees) entlasten die Plenararbeit: Die meisten
Gesetzesinitiativen bleiben bereits
in einem der zahlreichen committees
oder subcommittees hängen. Nur
wenige Vorlagen schaffen es – meist
nachdem sie durch Änderungsanträge
(amendments) maßgeblich verändert
wurden – ins Plenum der jeweiligen
Kammer, das heißt auf den House Floor
oder den Senate Floor zur Abstimmung.
Senate
House of Representatives
Agriculture, Nutrition, and Forestry
(http://www.agriculture.senate.gov/)
Appropriations
(http://www.appropriations.senate.gov/)
Armed Services
(http://www.armed-services.senate.gov/)
Banking, Housing, and Urban Affairs
(http://www.banking.senate.gov/public/)
Budget
(http://www.budget.senate.gov/)
Commerce, Science, and Transportation
(http://commerce.senate.gov/public/)
Energy and Natural Resources
(http://www.energy.senate.gov/public/)
Environment and Public Works
(http://epw.senate.gov/public/)
Finance
(http://www.finance.senate.gov/)
Foreign Relations
(http://www.foreign.senate.gov/)
Health, Education, Labor, and Pensions
(http://www.help.senate.gov/)
Homeland Security and Governmental
Affairs
(http://www.hsgac.senate.gov/)
Judiciary
(http://www.judiciary.senate.gov/)
Rules and Administration
(http://www.rules.senate.gov/public/)
Small Business and Entrepreneurship
(http://www.sbc.senate.gov/public/)
Veterans’ Affairs
(http://www.veterans.senate.gov/)
Agriculture
(http://agriculture.house.gov/)
Appropriations
(http://appropriations.house.gov/)
Armed Services
(http://armedservices.house.gov/)
Budget
(http://budget.house.gov/)
Education and the Workforce
(http://edworkforce.house.gov/)
Energy and Commerce
(http://energycommerce.house.gov/)
Ethics
(http://ethics.house.gov/)
Financial Services
(http://financialservices.house.gov/)
Foreign Affairs
(http://foreignaffairs.house.gov/)
Homeland Security
(http://homeland.house.gov/)
House Administration
(http://cha.house.gov/)
Judiciary
(http://judiciary.house.gov/)
Natural Resources
(http://naturalresources.house.gov/)
Oversight and Government Reform
(http://oversight.house.gov/)
Rules
(http://www.rules.house.gov/)
Science, Space, and Technology
(http://science.house.gov/)
Small Business
(http://smallbusiness.house.gov/)
Transportation and Infrastructure
(http://transportation.house.gov/)
Veterans’ Affairs
(http://veterans.house.gov/)
Ways and Means
(http://waysandmeans.house.gov/)
picture-alliance /abaca / Olivier Douliery
United States Congress, Website: http://beta.congress.gov/
committees
Parlamentsausschüsse sind ein gefürchtetes Kontrollinstrument. Im September 2013 versuchen Außenminister
John Kerry (Mi.), Verteidigungsminister Chuck Hagel (re.) und General Martin Dempsey den Senatsausschuss
für auswärtige Beziehungen vergeblich für einen US-Militäreinsatz im Bürgerkriegsland Syrien zu gewinnen.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
11
12
Politisches System der USA
* OMB = Office of Management and Budget
** Gesetzesentwürfe werden entweder in beiden Kammern gleichzeitig eingebracht oder nach
Verabschiedung im Plenum der einen Kammer in die andere verwiesen.
Christoph M. Haas, Winfried Steffani und Wolfgang Welz, Der Gesetzgebungsprozess, in: Wolfgang Jäger, Christoph M. Haas und Wolfgang Welz (Hg.), Regierungssystem der USA, 3. Aufl.,
München/Wien: Oldenbourg-Verlag 2007, S. 185-204, hier S. 188
Kongressmitarbeiter und
externe Expertise
Die Arbeit der Abgeordneten und Senatoren wäre ohne das Zutun ihrer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (congressional staff) nicht denkbar. Für einen
Abgeordneten arbeiten im Schnitt 15 bis
20 Mitarbeiter; manche Senatoren haben
gar einen Stab von über 100 Fachkräften.
Insbesondere die staffer im Senat verfügen über enorme informelle Machtbefugnisse. Sie wurden von dem Politikwissenschaftler Michael J. Malbin 1980
deshalb auch schon als „Volksvertreter
ohne Mandat“ (unelected representatives)
bezeichnet. Abgeordnete und Senatoren
beschäftigen Personal in ihrem Wahlkreis
und in Washington. Doch selbst in ihren
Parlamentsbüros sind neben der legislativen Arbeit viele Helferinnen und Helfer
in der Wahlkreisarbeit (case work) tätig.
Case Worker: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihrem Senator oder
Abgeordneten, dass er sich auch um ihre
persönlichen Anliegen kümmert. Die
für die case work eingeteilten Mitarbeiter
helfen etwa bei Problemen mit Rentenbescheiden, Krankenversicherungen, Studienplätzen oder Steuerangelegenheiten.
© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 854 525
Legislative Staff: Die legislativen Mitarbeiter bereiten ihren Abgeordneten
oder Senator inhaltlich auf Ausschussoder Plenumssitzungen vor, schreiben
Reden und Pressemitteilungen, verfassen
Vorlagen und Änderungsanträge im
Gesetzgebungsprozess, bereiten Statements
und Fragen für öffentliche Anhörungen
vor. Um die Interessenlage vor wichtigen
Abstimmungen einschätzen zu können,
treffen sie sich mit Regierungsvertretern, Unternehmern, Lobbyisten und Repräsentanten zivilgesellschaftlicher
Organisationen.
Professional Staff: Die Vorsitzenden der
Ausschüsse und Unterausschüsse, die von
der Regierungspartei bestimmt werden,
sowie deren Stellvertreter (ranking members) von der Minderheitspartei verfügen
darüber hinaus über erfahrene, meist
ältere Fachleute, die sogenannten professional staffer, die die inhaltliche Arbeit
in den Ausschüssen koordinieren sowie externe Sachverständige, Interessengruppen
und Regierungsvertreter zu den öffentlichen Anhörungen (hearings) einladen.
Wissenschaftliche Dienste: Um sich gegen die umfangreiche Expertise des
Weißen Hauses und der Regierungsbü-
rokratie zu rüsten, können Senatoren,
Abgeordnete und deren Mitarbeiterstab
auf sehr professionelle wissenschaftliche Hilfsdienste wie den Congressional
Research Service (CRS), das Government
Accountability Office (GAO), eine Art
Rechnungshof des Kongresses, oder in
Haushaltsfragen auf das Congressional
Budget Office (CBO) zugreifen.
Externe Ideen- und Personalagenturen:
Schließlich leisten auch Expertinnen
und Experten politikorientierter Forschungsinstitute, sogenannter Think
Tanks, und Professoren an Universitäten
Politikberatung. Insbesondere die vom
amerikanischen Politikwissenschaftler
Kent Weaver so genannten advokatischen
Think Tanks (advocacy tanks), die Partei
für bestimmte Partikularinteressen oder
ein politisches Lager ergreifen, kultivieren
seit den 1980er-Jahren intensive Personalkontakte mit Kongressmitgliedern,
pflegen gar eine Personaldatenbank
und leisten tatkräftige Unterstützung bei
der Rekrutierung. Viele Think Tanker
haben praktische Erfahrung im Kongress
gesammelt; umgekehrt arbeiten auf
dem Capitol Hill zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zuvor in
einem Think Tank beschäftigt waren.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
droht. Denn sein Einspruch kann nur von jeweils einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Kongresses überstimmt
werden – was sehr selten möglich ist.
Hingegen hat auch die Legislative Möglichkeiten, die ausführende Gewalt zu kontrollieren, sprich oversight auszuüben: Bei
schweren Verfehlungen, sogenannten high crimes and misdemeanors, kann der Senat (nach Aufnahme eines Verfahrens durch
das Abgeordnetenhaus) sogar den Präsidenten seines Amtes entheben (impeachment). Völkerrechtlich bindende Vertragsunterzeichnungen des Präsidenten gelten erst, wenn sie vom Senat
ratifiziert worden sind. Der Senat muss ferner präsidentiellen
Personalernennungen für höhere Ämter wie Richter, Botschafter,
Minister und weitere Spitzenbeamte zustimmen. Zwar kann der
Präsident den Rat und die Zustimmung (advice and consent) des
Senats umgehen, indem er Kandidaten außerhalb der Sitzungsperiode, das heißt über ein recess appointment, ernennt. Doch deren Amtszeiten enden dann mit der jeweiligen Legislaturperiode,
und sie bekommen bei ihrer Amtsausübung den Unmut der Senatoren zu spüren. Denn das wirksamste politische Kontrollmittel ist die Macht der Geldbörse (power of the purse), das heißt, der
Kongress muss bzw. darf die Haushaltsmittel insbesondere auch
jene für Exekutivorgane bewilligen.
Die unterschiedlichen Wahlzyklen des Präsidenten und des
Kongresses ermöglichen eine weitere Facette der Machtkontrolle, nämlich eine „geteilte Regierung“. Mit den Wahlen 2012
wurde einmal mehr eine Regierungskonstellation des divided
government etabliert, das heißt, dass die Partei, die den Amtsinhaber im Weißen Haus stellt, nicht über Mehrheiten im Kongress verfügt.
Während der Präsident im Falle eines unified government im
Sprecher des Abgeordnetenhauses (speaker of the house) einen
Verbündeten hat, der ihm hilft, Mehrheiten für seine politischen
Initiativen zu organisieren, ist dieser im Falle des divided government sein schärfster Widersacher. Zwar verfügt der Sprecher des
Abgeordnetenhauses wegen der fehlenden Partei- und Fraktionsdisziplin nicht über die enormen Sanktionsmittel, die ein Fraktionschef in einem parlamentarischen Regierungssystem wie in
Deutschland hat. Der US-Präsident kann sich mit entsprechenden
Hilfen für die Wahlkreise oder Einzelstaaten der umworbenen Abgeordneten und Senatoren sogar Kongressmitglieder der anderen
Partei „kaufen“. Doch hat auch der speaker Mittel zur Verfügung,
um die Mehrheit seiner Parteifreunde auf Linie zu halten: Er kann
die für Interessengruppen und deren Zuwendungen besonders attraktiven Vorsitzenden von Ausschüssen und Unterausschüssen
13
bestimmen, über einen Verfahrensausschuss, das rules committee,
regeln, ob und in welchen Ausschüssen bzw. Unterausschüssen
ein Gesetz behandelt wird, und festlegen, inwieweit Änderungsanträge (amendments) zulässig sind und welche Prozeduren zu
erfolgen haben. Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses
gibt dem Sprecher also wirksame Machtinstrumente an die Hand.
Erheblich schwieriger ist es, den Senat zu führen. In dieser
Kammer kann ein einziger Senator mit Dauerreden, einem sogenannten filibuster, den Geschäftsbetrieb aufhalten – solange ihm
nicht eine qualifizierte Dreifünftelmehrheit von 60 Senatoren den
Mund verbietet. „To invoke cloture“ lautet das Manöver, um ein filibuster abzuwenden.
Seitdem die Demokraten im November 2013 mit ihrer einfachen
Mehrheit kurzerhand die Geschäftsordnung des Senats veränderten – sich für die von den Republikanern so genannte „nukleare
Option“ entschieden –, können Blockademanöver bei Personalbenennungen nunmehr mit einer einfachen Mehrheit aufgehoben
werden. Ausgenommen bleiben jedoch Nominierungen für das
Oberste Gericht sowie das normale Gesetzgebungsverfahren. Hier
sind weiterhin 60 Stimmen nötig, um eine Blockade aufzuheben.
Filibuster light
[…] In einem historischen Schritt hat der demokratisch beherrschte
Senat im US-Kongress ein seit 1806 praktiziertes Instrument teilweise aus
dem Verkehr gezogen, mit dem die zahlenmäßig kleinere Fraktion Entscheidungen der tonangebenden Partei nach eigenem Gusto blockieren
kann – den sogenannten Filibuster, eine potenziell endlose Ermüdungsrede. […] Bisher konnte jedes Mitglied im Senat ohne zeitliche Begrenzung reden und Personalentscheidungen so auf Eis legen. Das amerikanische Parlamentssystem wollte so Minderheitenschutz gewährleisten.
Um die Debatte abzukürzen und eine Abstimmung zu erzwingen, war
bisher das Ja von 60 der insgesamt 100 Senatoren nötig.
Weil die Demokraten nur über 55 Sitze verfügen, konnten die Republikaner im Prinzip jede Personalie blockieren. Sie machen davon
seit Amtsantritt von Obama überproportional Gebrauch. Vor Kurzem sprach der konservative Senator Ted Cruz aus Texas, Wortführer
der Fundamental-Opposition, 21 Stunden am Stück gegen Obamas
umstrittene Gesundheitsreform. Dabei trug er unter anderem aus
Kinderbüchern vor. Den Filibuster-Rekord hält mit 24 Stunden und 18
Minuten nach wie vor Strom Thurmond. Der als Demokrat gestartete
Senator, der später die Seiten wechselte, wollte so 1957 das Ende der
Rassentrennung verhindern.
Unter Zuhilfenahme der sogenannten „nuklearen Option“ brachte der
demokratische Mehrheitsführer in Washington, Harry Reid, das seit
über 200 Jahren praktizierte Modell jetzt [November 2013] zu Fall. Die
entscheidende Abstimmung verlief mit 52:48 Stimmen. […]
AP Photo / Carolyn Kaster
Dirk Hautkapp, „Ende der Ermüdungsrede mit Filibuster light?“,
in: General-Anzeiger Bonn vom 23. November 2013
Der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner (li.), ist als Vertreter der Republikanischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus politischer Gegner des Demokratischen Präsidenten Obama.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Deshalb gilt es im Senat, Anreize zu geben, um möglichst alle
100 Senatorinnen und Senatoren zufriedenzustellen. Mit Druck
würde man hingegen wenig bewirken. Nach der „Macht“ des
Mehrheitsführers im Senat gefragt, erwiderte der ehemalige
Demokratische Senator und majority leader George J. Mitchell:
„Man hat die Macht, 99 Hintern zu küssen.“ (zitiert nach Ross
Baker, House and Senate, New York / London 1995, S. 91).
Noch weniger Macht kann der Präsident auf die Senatoren
ausüben, von denen nicht wenige eine Kandidatur für das Präsidentenamt erwägen. Der amtierende Präsident Barack Obama war selbst Senator, bevor er erfolgreich für die Präsident-
14
Politisches System der USA
schaft kandidierte. Der Kongress hat im politischen System
der Vereinigten Staaten, anders als die Legislative in parlamentarischen Regierungssystemen, allgemein eine sehr starke, institutionell fundierte Machtstellung gegenüber der Exekutive – insbesondere auch durch seine Aufsicht (oversight)
und Organisationsgewalt gegenüber der Administration, dem
Verwaltungsapparat des Präsidenten.
Zwischen Legislative und Exekutive: die Verwaltung
Im Kontrast zur überschaubaren und hierarchisch organisierten deutschen Ministerialbürokratie erscheint die USBehördenstruktur als unübersichtlicher Wildwuchs von Organisationseinheiten. Während die deutsche Kanzlerin an
der Spitze des Kabinetts steht, ihr damit auch die Ministerien und deren Bürokratie untergeordnet sind, hat der USPräsident viel größere Schwierigkeiten, seine Exekutive zu
leiten. Enorme Anstrengungen, um die eigene Linie in einem
Interessengeflecht rivalisierender Ministerien und Regierungsstellen durchzusetzen, gehören zum mühsamen Tagesgeschäft des sogenannten Chefs der Bundesverwaltung. Die
einzelnen Behörden wurden oftmals ad hoc, aus politischen
Anlässen oder wegen Krisen gegründet und nicht etwa in
das bestehende Organigramm eingegliedert, sondern hinzugefügt. Die daraus entstandene fragmentierte Struktur ist
gewollt, denn sie bietet Außenstehenden vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme.
Die US-Verwaltung ist geprägt durch intensives Kompetenzgerangel zwischen Exekutive und Legislative, wenn es
darum geht, wichtige Positionen zu besetzen, die Behörden
finanziell auszustatten sowie deren Aufgaben vorzugeben
bzw. zu kontrollieren. Zwar liegt die exekutive Gewalt beim
Präsidenten. Laut Verfassung (Artikel III, Absatz 1) muss er
dafür sorgen, dass die Gesetze „gewissenhaft“ vollzogen werden. Er kann dazu unter anderem auch die Führungsspitzen
der Ministerien (departments) und Bundesbehörden (federal
agencies) nominieren. Doch müssen diese von der Legislative,
namentlich vom Senat, gebilligt werden. Dem Kongress obliegt auch die Organisationsgewalt, sprich die Befugnis, die
Bundesbehörden zu errichten und zu finanzieren. Die power of the purse führt seit jeher zu (informellen) Absprachen
zwischen den Geldgebern im Kongress und den Empfängern
in der Verwaltung. Insbesondere die für die Finanzierung
verantwortlich zeichnenden Abgeordneten und Senatoren
zuständiger Kongressausschüsse bewachen mit Argusaugen ihre Pfründen, die auch ihre Wiederwahl sichern helfen.
Denn ihr politisches Schicksal hängt letztlich davon ab, wie
sehr sie die Partikularinteressen in ihren Wahlkreisen bzw.
Einzelstaaten bedienen können, und insbesondere jene von
ihnen nahestehenden Interessengruppen, die ihre immer
teurer werdenden Wahlkämpfe finanzieren.
Meistens sind denn auch Vorhaben misslungen, den Verwaltungsapparat wieder zu verkleinern. So scheiterte Anfang der 1970er-Jahre Präsident Richard Nixon (1969-1974)
mit seinem Versuch, durch einen radikalen Umbau „anti-präsidiale Nischen“ in der Exekutive zu eliminieren. Mit seinem
Dezentralisierungsprogramm des „New Federalism“ wollte
eine Dekade später Präsident Ronald Reagan (1981-1989) das
„big government“ in Washington verkleinern – ohne nachhaltigen Erfolg. Der amtierende Präsident Barack Obama ist
ebenso bemüht, den Regierungsapparat schlanker und effizienter zu machen. Bereits im Januar 2012 hat der Präsident
den Kongress um die Kompetenz ersucht, die handelspolitischen Aufgaben von sechs Regierungseinheiten, darunter
das Handelsministerium und das Büro des Handelsbeauftragten, in einer neuen Behörde zusammenzufassen. Wer die
symbiotischen Dreiecksbeziehungen, das „eiserne Dreieck“
(iron triangle) zwischen den betroffenen Einheiten der Exekutive, der Wirtschafts- und Handelslobby und den federführenden Ausschüssen im Kongress kennt, muss aber skeptisch
sein, ob dem Präsidenten die ehrgeizige Neuorganisation der
Handelsbehörden gelingen wird.
Mittlerweile haben sich zu den Vertretern von Partikularinteressen, Kongressausschüssen und der Exekutive auch
noch Experten von Think Tanks, Universitäten und Journalisten gesellt. Ihre etwas lockeren themenspezifischen Verbindungen wurden 1978 vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Hugh Heclo „issue networks“ genannt: Mittels
dieser „Themennetzwerke“ versuchen sie mit vereinten
Kräften bestimmte Interessen und politische Ideen durchzusetzen, weshalb sie vom US-Politikwissenschaftler Paul
Sabatier 1993 als „Tendenzkoalitionen“ (advocacy coalitions)
bezeichnet wurden.
Jeder Präsident ist deshalb gut beraten, einen eigenen, nur
ihm gegenüber loyalen Beraterstab um sich zu scharen, um
in diesem Interessengeflecht seine politische Linie durchzusetzen – nicht zuletzt auch gegenüber der Verwaltung
„seiner“ Exekutive. Denn die Auseinandersetzungen in den
Reihen der Exekutive sind nicht minder heftig. Auf der einen
Seite versuchen die „Männer und Frauen des Präsidenten“,
das presidential government, die Politikinitiativen des Weißen Hauses voranzutreiben. Auf der anderen Seite bremst
Simon Koschut
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
AP Photo / The White House, Pete Souza
Konsultationen gehören zum Regierungsalltag. Präsident Obama in einer
Kabinettssitzung (September 2013), ...
15
sie das permanent government immer wieder aus. Die relativ autonomen Ministerien und Behörden versuchen unabhängig vom jeweiligen Präsidenten und von der jeweiligen
parteipolitischen Konstellation ihre eigenen institutionellen Besitzstände zu wahren. Dabei berücksichtigen sie die
Absichten der ihnen nahestehenden Kongressausschüsse
und die Anliegen der von ihnen repräsentierten Interessengruppen. Hinzu kommen noch jene unabhängigen Behörden
(independent agencies), deren Leiter bzw. Leiterinnen der Präsident zwar nominieren kann, wofür er aber wiederum die
Zustimmung des Senats benötigt. Die independent regulatory agencies, die häufig auch als independent regulatory commissions bezeichnet werden, sind überdies ausschließlich
dem Kongress verantwortlich. Die meisten von ihnen werden massiv von Interessengruppen beeinflusst. Die von Regulierungen Betroffenen regulieren sich mehr oder weniger
selbst. Regulation by the regulated lautet das Prinzip, das dem
Präsidenten kaum Einwirkungsmöglichkeiten lässt.
Die persönlichen Mitarbeiter des Präsidenten – die er ohne
Zustimmung des Senats frei auswählen kann – sind seine
engsten Vertrauten in den Machtkämpfen, die mit dem Begriff bureaucratic politics verharmlosend umschrieben werden. Die Getreuen und einflussreichsten Berater des Präsidenten sind im White House Office zu finden. Sie genießen auch
ein „exekutives Privileg“ (executive privilege), das heißt, sie
sind der Legislative nicht Rechenschaft schuldig und dürfen
vor Kongressausschüssen nicht verhört werden. Die anderen,
dem Präsidenten ebenso nahestehenden Leiterinnen und Leiter der Einheiten (federal agencies) des Executive Office of the
President müssen jedoch vom Senat abgesegnet werden und
auch nach ihrer Bestätigung der Legislative laufend Rede und
Antwort stehen.
The President’s Team:
11 federal agencies des Executive Office of the President
(Stand: Juli 2013):
White House Office (Persönlicher Stab des Präsidenten)
... in einer Besprechung mit seinen Beratern (Oktober 2009) ...
Office of the Vice President (Beraterstab des Vizepräsidenten)
Executive Residence (Wohnung/Personal des Präsidenten und seiner
Familie)
Council of Economic Advisers (Wirtschaftspolitik)
Council on Environmental Quality (Umweltschutzmaßnahmen)
National Security Council (Außen- und Sicherheitspolitik)
Office of Administration (Verwaltungsfragen)
Office of Management and Budget (Haushaltsaufstellung und Kontrolle)
Office of National Drug Control Policy (Drogenkontrollpolitik)
AP Photo / Pablo Martinez / Monsivais
Office of Science and Technology Policy (Wissenschafts- und Technologiepolitik)
Office of the United States Trade Representative (Handelspolitik)
www.whitehouse.gov/administration/eop
… und in einer Haushaltsdiskussion mit führenden Mitgliedern der Demokratischen Partei (Oktober 2013)
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Ebenso wie bei diesen Personalentscheidungen muss der Präsident auch bei der Besetzung der Ministerämter die Machtkalküle der „anderen politischen Gewalt“, sprich die Interessen des Kongresses, berücksichtigen.
16
Politisches System der USA
15 Ministerien
(executive departments; Stand: Juli 2013)
Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland spielt im politischen System der USA das Kabinett keine wichtige Rolle. Die Minister heißen
in den USA bezeichnenderweise „Sekretäre“ (Secretaries) des Präsidenten, etwa der Außenminister Secretary of State. So gilt auch bei diesem
prominenten Amt als grundlegendes Prinzip: Der Präsident ist der
„Koch“, der Außenminister der „Kellner“. Die engsten persönlichen Berater des Präsidenten sind einflussreicher als seine Minister, die er oftmals
auch aus wahltaktischen und politischen Erwägungen ernennen muss.
In der Regel vertreten Minister auch die Interessen ihrer Häuser
(departments), die wiederum von einflussreichen Senatoren oder Abgeordneten finanziell abhängig sind.
Department of Agriculture (Landwirtschaftsministerium):
www.usda.gov
Department of Commerce (Handelsministerium):
www.commerce.gov
Department of Defense (Verteidigungsministerium):
www.defense.gov
Department of Education (Bildungsministerium): www.ed.gov
Department of Energy (Energieministerium): www.energy.gov
Department of Health and Human Services (Gesundheitsministerium):
www.hhs.gov
Department of Homeland Security (Heimatschutzministerium):
www.dhs.gov
Department of Housing and Urban Development (Bauministerium):
www.hud.gov
Department of Justice (Justizministerium): www.usdoj.gov
Department of Labor (Arbeitsministerium): www.dol.gov
Department of State (Außenministerium): www.state.gov
Department of the Interior (Innenministerium): www.doi.gov
Department of the Treasury (Finanzministerium):
www.treasury.gov
Department of Transportation (Verkehrsministerium):
www.dot.gov
Department of Veterans Affairs (Kriegsveteranenministerium):
www.va.gov
www.whitehouse.gov/administration/cabinet/
Die große Fülle politischer Berufungen in die Ministerien und
Behörden geht nicht nur auf Kosten des öffentlichen Dienstes
(civil service); sie ist zeitraubend und erschwert nach Wahlen
den Übergang von einer Regierungsmannschaft zur nächsten.
Mit jedem neuen Präsidenten wechseln in den USA etwa 7000
Fachleute ihre Position: entweder von außen nach innen oder, im
Falle der ausscheidenden Administration, von innen nach außen.
In diesem Drehtürsystem der revolving doors, des ständigen inand-out, spielen neben Interessengruppen auch Think Tanks, das
heißt politikorientierte Forschungsinstitute, eine wichtige Rolle
als „Ideenagenturen“, so der Politologe Winand Gellner 1995.
Dementsprechend politisch ist das Selbstverständnis im Verwaltungsapparat. Während die meisten auf Lebenszeit dienenden deutschen Beamten sich für ihr Fortkommen nicht politisch
engagieren müssen und sich auf ihre Aufgabenbereiche und
nächste „Verwendung“ konzentrieren können, arbeitet die USamerikanische Bürokratie im Zentrum der Auseinandersetzung
um den politischen Machterhalt. Das Gros der oft nur für eine
Amtszeit beschäftigten Verwaltungseliten beteiligt sich mehr
oder weniger sichtbar an der politischen Meinungsbildung und
Entscheidungsfindung. Diese policy maker sind indes keine inkompetenten Parteigänger, sondern ausgewiesene Experten mit
politischer Orientierung. Ihre Fachkenntnisse haben sie zumeist
über mehrere Jahre in verschiedenen Arbeitsbereichen erworben,
sei es in der Exekutive, der Legislative, einem Think Tank, einer
Universität oder einem Privatunternehmen. Sie wechseln häufig
ihre Arbeitgeber, bleiben aber ihrem Themenschwerpunkt (issue)
treu. Damit sind sie auch in ihrem issue network gut vernetzt, was
wiederum ihren nächsten Arbeitsplatz sichern hilft.
Diese „Wanderarbeiter“ haben mittlerweile die auf Lebenszeit
Beschäftigten des civil service verdrängt. Zwar genießen auch einige US-amerikanische Staatsbedienstete noch Privilegien wie
eine mehr oder weniger sichere Anstellung. Schlechte Bezahlung
und mangelnde Aufstiegschancen haben aber zur Demoralisierung und permanenten Krise des civil service geführt. Nicht zuletzt spiegelt das geringe Ansehen des Staatsdienstes auch die
historisch begründete, institutionell begünstigte und politisch
verstärkte Skepsis großer Teile der US-Bevölkerung gegenüber
dem Staat wider.
Obschon der Begriff „government“ über Jahrzehnte in den
Köpfen der meisten US-Amerikaner negative Vorstellungen hervorgerufen hatte, wurde die Regierung von ihren Bürgern zwischenzeitlich merklich positiver wahrgenommen. Eine seit den
1960er-Jahren nicht mehr registrierte Vertrauensmarke von
knapp 60 Prozent brach mit dem bis dahin vorherrschenden Muster einer „Vertrauenslücke“ (confidence gap), so das Ergebnis einer
Gallup-Umfrage, die von den AEI Studies in Public Opinion 2003
zitiert wurde. Ein genauer Blick der Politikwissenschaftler Calvin
Mackenzie und Judith Labiner von der renommierten Brookings
Institution zeigte jedoch, dass dieses überschwängliche Vertrauen
in die eigene Regierung in erster Linie als unmittelbare emotionale Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu
interpretieren ist: Ausgehend von 29 Prozent im Juli 2001 schlug
das Vertrauensbarometer kurz nach den Terrorangriffen auf eine
Höhe von 57 Prozent aus und pendelte sich im Mai 2002 wieder
auf 40 Prozent ein. Gemessen an den Umfrageergebnissen vor den
Terrorangriffen wurde der Regierung in Washington jedoch immer noch ein deutlich höheres Vertrauen entgegengebracht. Das
Gefühl von Verwundbarkeit und nationaler Bedrohung bewirkte
ein gesteigertes Bedürfnis nach Schutz, dessen Gewährleistung
die meisten US-Amerikaner ihrer Regierung, vor allem ihrem
Präsidenten als Oberstem Befehlshaber zutrauten. Neben ihm
konnte nur seine unmittelbare Umgebung von Amtsträgern der
Exekutive auch nach einem zeitlichen Abstand zu den Anschlägen
diesen immensen Vertrauensbonus noch auf sich konzentrieren,
während die übrigen Volksvertreterinnen und -vertreter sowie
Staatsangestellten in der Gunst der Bevölkerung nach einem kurzen Ausschlag wieder auf ihr vormaliges Niveau absanken.
Macht und Ohnmacht der Exekutive
Geprägt durch die historische Erfahrung mit den Monarchien
der „Alten Welt“ wollten die Verfassungsväter die Machtbefugnisse des Präsidenten beschneiden. Doch die Bedrohung durch
das Königreich Großbritannien und die Persönlichkeit des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington (1789-1797)
sorgten dafür, dass das Amt mit mehr Handlungsspielraum, also
zusätzlichen Machtbefugnissen gegenüber dem Kongress und
gegenüber den Einzelstaaten, ausgestattet wurde. Washington,
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 854 545
Gerald Ford
1974-1977
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Bill Clinton
1993-2001
George W. Bush
2001-2009
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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John F. Kennedy
1961-1963
Barack Obama
seit 2009
Lyndon B. Johnson
1963-1969
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Jimmy Carter
1977-1981
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picture-alliance /dpa
Richard Nixon
1969-1974
Dwight D. Eisenhower
1953-1961
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Harry S. Truman
1945-1953
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Franklin D. Roosevelt
1933-1945
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picture-alliance / Everett Collection
picture-alliance / dpa
picture-alliance / Everett Collection
US-Präsidenten der vergangenen 80 Jahre
Ronald Reagan
1981-1989
George Bush
1989-1993
17
18
Politisches System der USA
ehemaliger Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee der 13 nordamerikanischen Kolonien im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) gegen die britische Kolonialmacht, beanspruchte als Präsident und Hüter der neu gewonnenen „independence“
vom Mutterland ebenso im Inneren größere Gestaltungsmacht.
Auch im Laufe der weiteren Geschichte wurden als Reaktion
auf nationale Krisen, etwa auf die Weltwirtschaftskrise in den
1930er-Jahren, den Zweiten Weltkrieg und die Anschläge vom
11. September 2001, die Bundeskompetenzen, vor allem jene des
Präsidenten, erheblich erweitert. Als Staatsoberhaupt, Regierungschef, Chef der Bundesverwaltung, höchster Diplomat, militärischer Oberbefehlshaber und Parteiführer kann der Präsident
heute umfangreiche, in der Verfassung garantierte Aufgaben
und Funktionen beanspruchen.
Dennoch ist im politischen System der checks and balances
seine Macht beschränkt. Je nach Politikbereich verfügt der Präsident über unterschiedliche Machtbefugnisse: Während in der
Sicherheitspolitik selbst das Oberste Gericht die mangelnde Gewaltenkontrolle seitens der Legislative beklagt, sind dem Präsidenten in allen anderen Politikfeldern, etwa in der Wirtschafts-,
Handels-, Umwelt- und Energiepolitik, durch den Kongress oftmals die Hände gebunden.
Der US-Präsident, der selbst keine Gesetzesvorlagen einbringen kann und bei Initiativen gleichgesinnte Abgeordnete und
Senatoren benötigt, ist im Gesetzgebungsprozess laufend gefordert (und gelegentlich überfordert), im Kongress für die Zustimmung zu seiner Politik zu werben, das heißt je nach Politikinitiative unterschiedliche und zumeist parteiübergreifende Adhoc-Koalitionen zu schmieden.
Das ist für den seit Januar 2009 amtierenden Präsidenten sehr
mühsam geworden. Präsident Obama konnte nur in den ersten
zwei Jahren seiner ersten Amtszeit auf die Mehrheit seiner Parteifreunde im Kongress (sprich im Abgeordnetenhaus und Senat) zählen und diese Zeit für umfangreiche Maßnahmen wie
die Gesundheitsreform oder die Reform der Finanzmärkte nutzen. Seit Februar 2010, als die Demokraten mit der Nachwahl des
durch den Tod von Edward Kennedy freigewordenen Sitzes ihre
Dreifünftelmehrheit (60 Stimmen) im Senat verloren, und insbesondere seit die Republikaner bei den Zwischenwahlen vom November 2010 die Mehrheit im Abgeordnetenhaus zurückerlangten, ist es für ihn noch viel schwieriger geworden, Kompromisse
mit der Legislative zu finden.
Daran änderte auch seine Wiederwahl 2012 nichts. Mit der Bestätigung der Mehrheit der Republikaner im Abgeordnetenhaus
kann bis zu den nächsten Zwischenwahlen im November 2014
mindestens eine Kammer der Legislative, entweder der Senat
oder insbesondere das von den Republikanern kontrollierte Abgeordnetenhaus, die Initiativen des Demokratischen Amtsinhabers im Oval Office blockieren. Das ist umso problematischer, als
der Amtsinhaber ja gewählt und wiedergewählt wurde, um den
enormen wirtschaftlichen und sozialen Problemen des Landes
abzuhelfen.
Für Kompromisse bleibt ohnehin wenig Zeit, weil schon 2014
wieder Kongresswahlen anstehen und der Präsident spätestens
dann als „lahme Ente“ (lame duck) gilt. Denn er kann nach seiner zweiten Amtszeit nicht mehr wiedergewählt werden und
verfügt deshalb in der legislativen Auseinandersetzung über
weniger „politisches Kapital“ (political capital): Beim politischen
Kuhhandel – im Englischen als „Pferdehandel“ (horse trading) bezeichnet – sichert sich der Präsident die Unterstützung des einen
oder anderen Gesetzgebers, indem er im Gegenzug versichert,
künftig die eine oder andere wählerwirksame finanzielle Unterstützung in den Wahlkreis bzw. Einzelstaat des umworbenen Ab-
geordneten oder Senatoren fließen zu lassen. Diese Versprechungen verlieren jedoch gegen Ende der Präsidentschaft an Zugkraft.
Der Präsident muss nunmehr politische Führung (leadership)
demonstrieren. Wenn er nicht mehr mit Angeboten locken kann,
dann muss er umso mehr öffentlichen Druck ausüben. Präsident
Theodore Roosevelt (1901-1909) prägte den Begriff der „bully pulpit“, das Bild der „hervorragenden“ (bully) Redeplattform einer
Kanzel (pulpit), welche die Präsidentschaft seiner Ansicht nach
bot, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Seine exponierte Stellung als einziger landesweit gewählter Politiker kann
der Präsident dazu nutzen, um über die Massenmedien auch die
Wählerbasis der Kongressmitglieder für seine Agenda zu mobilisieren, damit die (qualifizierte) Mehrheit der Abgeordneten und
Senatoren seiner Politik folgen. Das ist dennoch nicht einfach, da
diese eine institutionelle Identität als Mitglieder des Kongresses haben, sich der „anderen Staatsgewalt“ (the other branch of
government) zugehörig fühlen und mit der Exekutive um Macht
konkurrieren.
Die Sorge der Legislative um die institutionelle Machtbalance
tritt jedoch in den Hintergrund, wenn Gefahr in Verzug ist. In
Krisen- und Kriegszeiten steht der Präsident als Oberster Befehlshaber im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihm kommt die Rolle des Schutzpatrons zu. Der patriotische Sammlungseffekt des
rally around the flag bedeutet einen immensen Machtgewinn
und Vertrauensvorsprung für den Präsidenten und die Exekutive. Nicht zuletzt symbolisiert das Präsidentenamt die nationale
Einheit, gilt das Weiße Haus als Ort der Orientierung, an dem
in Krisenzeiten die Standarte hochgehalten wird. Präsidenten
konnten immer wieder nationale Krisen dazu nutzen, die Struktur des Regierungsapparats und der Verwaltung grundlegend zu
verändern, indem sie exekutive Kompetenzbereiche auf nationaler Ebene gebündelt und oftmals auch erweitert haben.
So mündete die „Große Depression“ der 1930er-Jahre in den
Sozialstaat, der von Präsident Franklin D. Roosevelt (1933-1945)
geprägt wurde. Im Zuge der militärischen und sicherheitsdienstlichen Aufrüstung im Zweiten Weltkrieg erhielt die Bundesregierung umfangreiche Sicherheitsaufgaben. Im Kalten Krieg gegen
die Sowjetunion etablierte sich eine Interessenverbindung zwischen Militär, Rüstungsindustrie und politischen Eliten. In seiner
Abschiedsrede warnte Präsident Dwight D. Eisenhower (19531961), der einst selbst Generalstabschef der Armee war, im Januar
1961 vor diesem „militärisch-industriellen Komplex“.
Der Kalte Krieg und seine Nebenkriegsschauplätze, etwa in Vietnam, gingen auch im Inneren einher mit einer „imperialen Präsidentschaft“, so der Buchtitel des US-Historikers und Beraters
zweier US-Präsidenten, Arthur Schlesinger Jr., 1973: Das Regierungshandeln der Kriegspräsidenten Lyndon B. Johnson (19631969) und Richard Nixon (1969-1974) war wenig transparent und
im Falle Nixons höchst kriminell. Ihm drohte ein Amtsenthebungsverfahren (impeachment) wegen „schwerster Verbrechen
und Amtsvergehen“ (high crimes and misdemeanors). Denn seine
Machenschaften hatten das System der checks and balances aus
dem Gleichgewicht gebracht. Um in der Watergate-Affäre einer
formalen Amtsenthebung zu entgehen, trat Nixon schließlich
am 9. August 1974 zurück. Danach schlug das Pendel wieder in
die andere Richtung: In Reaktion auf die Grenzüberschreitungen
der Exekutive beanspruchte der Kongress wieder mehr Machtbefugnisse.
Die Verunsicherung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der von der Regierung George W. Bush so genannte Globale Krieg gegen den Terror eröffneten einmal mehr
Möglichkeiten, die Gestaltungsmacht des Präsidenten und der
unter seiner Führung handelnden Exekutive auszuweiten. Schon
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
unmittelbar nach Amtsantritt hatten Präsident George W. Bush,
Vizepräsident Richard (Dick) Cheney und ihre Gefolgsleute keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie die Position
der Exekutive auf Kosten der Machtbefugnisse der Legislative
zu stärken beabsichtigten. Diese offensive Strategie des Weißen
Hauses, den vor allem in der Amtszeit des Vorgängers Bill Clinton
(1993-2001) erstarkten Kongress wieder in eine untergeordnete
Rolle zu drängen, erhielt mit den Terroranschlägen von New York
und Washington ihre Legitimation – und zwar durch die in der
US-amerikanischen Bevölkerung gemeinhin gehegte Überzeugung, dass dies angesichts der nationalen Bedrohung rechtens,
ja notwendig sei. Im Globalen Krieg gegen den Terror konnte der
Präsident nunmehr die dominante Rolle des Oberbefehlshabers
der Streitkräfte spielen. Aber auch in der nationalen Diskussion
gelang es George W. Bush, seine Diskurshoheit zu etablieren und
sich als Schutzpatron zu geben, der die traumatisierte Nation vor
weiteren Angriffen bewahrt.
Unter dem Primat der Sicherheit konnte Präsident Bush auch
innerhalb der Exekutive Organisationsstrukturen aufbrechen und
Kompetenzen neu verteilen. Zahlreichen Ministerien wurden Ressourcen und Aufgabenbereiche entzogen und dem 2002 neu geschaffenen Heimatschutzministerium, dem Department of Homeland Security (DHS), zugewiesen. Eine Vielzahl von Einheiten aus
anderen Ministerien wurde in dieses neue Heimatschutzministerium integriert, zwei Dutzend Bundesbehörden mit etwa 180 000
Bediensteten und einem jährlichen Budget von 40 Milliarden
Dollar darin zusammengefasst. In Fragen der inneren Sicherheit
ist das Department of Homeland Security auf horizontaler Regierungsebene federführend bei der Zusammenarbeit mit anderen
Ministerien. Es ist zudem bei der vertikalen Koordination die zen-
© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 854 529
Die Watergate-Affäre
Am frühen Morgen des 17. Juni 1972 verhaftete die Polizei fünf Männer, die offenkundig versucht hatten, in die Büros
der nationalen Parteizentrale der Demokraten im Washingtoner Watergate
Hotel einzubrechen. Was der Pressesprecher des republikanischen Präsidenten Nixon auf Anfrage als „drittklassigen
Einbruch“ bezeichnete, führte zwei
Jahre später – und erstmals in der amerikanischen Geschichte – zum Rücktritt
eines amerikanischen Präsidenten.
Dass die politischen Hintergründe des
Watergate-Einbruchs ans Tageslicht kamen, ist in erster Linie zwei Journalisten
der Washington Post, Bob Woodward
und Carl Bernstein, zu verdanken. Sie
enthüllten – mit Hilfe eines Informanten namens „Deep Throat“, der sich erst
2005 zu erkennen gab (es handelte
sich um den Stellvertretenden Direktor
des FBI, W. Mark Felt) – nach und nach,
dass der Präsident selbst von dem Einbruch wusste und dessen Vertuschung
befohlen hatte.
Angesichts der Kritik seiner politischen
Gegner hatte Nixon, der von Natur
19
aus ein unsicherer und misstrauischer
Mensch war, einen geheimniskrämerischen Führungsstil entwickelt und einen
autoritären Apparat aufgebaut, der
die Macht des vermeintlich von der Presse und den Demokraten „belagerten“
Weißen Hauses konsequent ausbaute. Die
Paranoia des Präsidenten reichte so
weit, dass er eine geheime Spezialeinheit
aufbaute, die sogenannten „Klempner“, die
Feindlisten erstellten, subversive Gerüchte
in die Welt setzten und politische Gegner –
wie die Demokraten im Watergate Hotel –
ausspionierten und abhörten.
Als die illegalen Aktivitäten im Prozess
gegen die Watergate-Einbrecher an
die Öffentlichkeit drangen, profilierte sich
der Präsident zunächst als Saubermann,
während er einen seiner Vasallen
nach dem anderen „opferte“. Die Situation spitzte sich zu, als Nixons ehrgeiziger Mitarbeiter John Dean, der anfangs
loyal hinter dem Präsidenten gestanden
hatte, öffentlich erklärte, Nixon habe
die Vertuschung selbst initiiert. Anfangs
dementierte der Präsident die Behauptung Deans. Zum wahren Unglückstag
für den Präsidenten wurde dann freilich
jener Freitag, der 13. Juli 1973, an dem
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
öffentlich bekannt wurde, dass es Tonbandaufzeichnungen aller Gespräche
gab, die im Weißen Haus geführt wurden.
Zwar konnte Nixon die von einem
Sonderermittler geforderte Freigabe der
Tonbänder über ein Jahr lang hinauszögern. Seine Glaubwürdigkeit hatte der
Präsident jedoch bereits verloren, als
er im sogenannten Samstagabend-Massaker vom Oktober 1973 den Justizminister und dessen Stellvertreter entließ,
weil diese sich geweigert hatten, den
für Nixon so unbequemen Sonderermittler seines Amtes zu entheben. Selbst
als im Sommer 1974 mit der Herausgabe
der Tonbänder der endgültige Beweis
für seine Verwicklung in die WatergateAffäre vorlag, zog Nixon die politischen
Konsequenzen nur zögerlich. Um einer
formalen Amtsenthebung zu entgehen, trat der Präsident am 9. August 1974
schließlich zurück. Damit hatte das
Watergate-Spektakel, das für viele Amerikaner zur Unterhaltungsserie mit
Shakespeare’scher Dramatik geworden
war, ein Ende gefunden.
Christof Mauch, Die 101 wichtigsten Fragen – Amerikanische
Geschichte, München: C.H.Beck Verlag 2008, S. 116 f.
20
Politisches System der USA
trale Ansprechstelle für Behörden auf einzelstaatlicher und lokaler
Ebene. Seine Schaffung ist Teil des umfangreichsten Umbaus, dem
die Regierungsorganisation der Vereinigten Staaten seit dem Ende
des Zweiten Weltkrieges unterzogen worden ist.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 führten den
USA auch vor Augen, dass ihre Geheimdienste versagt hatten.
Dieser nationale Schock erleichterte es dem Kriegspräsidenten
Bush, die Struktur der Nachrichtendienste zu verändern, um
den Informationsfluss innerhalb der sogenannten intelligence
community zu bündeln. Vor den Anschlägen waren die diversen Einheiten für ihre Geheimniskrämerei bekannt: Sie taten
sich schwer damit, Informationen auszutauschen, auch weil sie
miteinander um die knappen finanziellen Ressourcen konkurrierten. Doch auch die Geldknappheit veränderte sich mit einem
Schlag: Nach den Terroranschlägen wurden die Mittelzuweisungen für die neu aufgestellten Teileinheiten massiv aufgestockt.
Den über die Medien verbreiteten Informationen des ehemaligen technischen Mitarbeiters der US-amerikanischen Geheimdienste Edward Snowden ist es zu verdanken, dass auch die
Öffentlichkeit einen Einblick in die neue Struktur, die Aufgabenund Finanzzuweisungen der einzelnen Einheiten bekam. Von
den 52,6 Milliarden Dollar, die im Haushaltsjahr 2013 für die intelligence community veranschlagt wurden, erhalten die Central
Intelligence Agency (CIA), die National Security Agency (NSA) und
das National Reconnaissance Office (NRO) mit mehr als zwei Dritteln des Gesamtbudgets den Löwenanteil. Von den über 107 000
Mitarbeitern des insgesamt 16 Bundesbehörden (agencies) umfassenden Gesamtapparats sind etwa 20 Prozent in militärischen Funktionen tätig (etwa zwei Drittel davon bei der NSA), der
Großteil ist jedoch mit „zivilen“ Aufgaben betraut.
Der Patriot Act – Lizenz zum
Kampf gegen das Böse
Das Gesetzespaket „Patriot Act“ zur
Bekämpfung des globalen Terrorismus,
das kaum sechs Wochen nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 vom
Kongress mit großer, überparteilicher
Mehrheit angenommen wurde, hat die
Tore zum Aufbau eines Überwachungsstaates weit aufgestoßen. Bis heute
ist der „Patriot Act“ die gesetzliche Grundlage für die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen der 16 staatlichen
Geheim- und Abwehrdienste sowie der
vielen privaten Sicherheitsunternehmen,
die im Auftrag der Dienste Informationen sammeln und auswerten. Der „Patriot Act“, verabschiedet am 25. Oktober
2001, ist gleichsam das zivile Pendant zur
gemeinsamen Resolution beider Kammern des Kongresses vom 14. September
2001, mit welcher das Parlament den
Präsidenten zur Anwendung von militärischer Gewalt ermächtigte: Beide
Bestimmungen sind faktisch unbefristet
und greifen äußerst weit.
Am meisten Ausrüstung und Personal
haben seit 2001 der Auslandsgeheim-
Washington Post, Website: http://www.washingtonpost.com/wp-srv/special/national/
black-budget/?wpisrc=nl_pmpol
dienst „Central Intelligence Agency“ (CIA)
und der militärische Geheimdienst
„National Security Agency“ (NSA) erhalten. So verfügt die CIA – wie das Pentagon – über eine umfangreiche und stetig
wachsende Flotte von Kampfdrohnen;
auch die Zahl der Analytiker im Hauptquartier in Langley nahe Washington,
der Auslandsstationen und der Agenten
wurde deutlich erhöht. Aufgabe der
NSA im Konzert der Dienste ist die Überwachung des globalen Telefon- und
Datenverkehrs. Der Sitz der NSA, die dem
Pentagon untersteht, befindet sich im
Heeres-Stützpunkt Fort Meade in Maryland nahe Washington. Derzeit wird
in Bluffdale in Utah für geschätzte zwei
Milliarden Dollar das neue Datenzentrum der NSA errichtet; es soll bis September [2013] fertiggestellt und dann das
größte Computerzentrum der Welt sein.
Nach umfangreichen Recherchen
der Tageszeitung „Washington Post“ sind
mehr als 850 000 Personen für die staatlichen Dienste und für die vom Staat
beauftragten Sicherheitsunternehmen
tätig. Die Zahl der Angestellten der NSA
wird auf 55 000 geschätzt. Die meisten
von ihnen sind Programmierer, Techni-
ker oder Computerfachleute, deren Gehälter mit den gängigen Vergütungen
im Silicon Valley Schritt halten müssen.
Maßgebliche technologische Neuerungen bei der Erfassung und Bearbeitung
von riesigen Datenmengen werden bei
der NSA sofort angewendet.
[…] Zu den größten Privatunternehmen
[„Contractors“], die nicht nur in der
Datenbearbeitung, sondern auch in der
aktiven Informationsbeschaffung für
die staatlichen Dienste und verschiedene Ministerien tätig sind, gehört Booz
Allen Hamilton. Das Unternehmen mit
Sitz in Virginia nahe Washington hat
weltweit mehr als 25 000 Angestellte;
Edward Snowden war in den letzten
drei Monaten bis zu seiner Flucht nach
Hongkong Ende Mai einer von ihnen. […]
Den allergrößten Teil seines Jahresumsatzes von zuletzt 5,76 Milliarden Dollar erwirtschaftet das Unternehmen Booz
Allen Hamilton, das zu den zehn größten
in der Landesverteidigung und in der nationalen Sicherheit tätigen Privatfirmen
gehört, durch Regierungsaufträge. […]
rüb (Matthias Rüb), „Amerikas Geheimdienste und ihre Helfer:
Eine Truppe von mehr als 850 000 Mann“, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 11. Juni 2013
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
Die Nachrichtendienste wurden von der Regierung George W.
Bush nicht nur finanziell aufgerüstet, sondern auch ermutigt,
ihre Arbeit mit mehr Nachdruck zu verrichten. Nach Medienberichten haben in der Amtszeit George W. Bushs Mitarbeiter
der CIA im Globalen Krieg gegen den Terror unter anderem die
Foltermethode des simulierten Ertränkens, das sogenannte waterboarding, praktiziert oder mutmaßliche Terroristen festgenommen bzw. entführt und in befreundete autoritäre Staaten
geflogen, wo noch weit robustere Verhörmethoden angewendet werden. Damit verstießen die USA unter anderem gegen
die Folterkonvention der Vereinten Nationen.
Im Rahmen des Globalen Krieges gegen den Terror wurde
Recht neu interpretiert – im nationalen wie internationalen
Rahmen. Mit dem Angriffskrieg gegen den Irak und den auch
von der nachfolgenden Obama-Regierung als Folter eingestuften Praktiken bei Verhören wurde Völkerrecht gebrochen. Um
den inneren politischen Frieden zu wahren, scheute Präsident
Obama jedoch davor zurück, die federführenden Mitarbeiter
der Bush-Administration juristisch zur Verantwortung zu zie-
Drohnen – die neuen Waffen
Herr Mazzetti, […] Sie nennen die USKriegsführung einen Schattenkrieg, in
dem mit unbemannten Drohnen
gezielt Jagd auf Terrorverdächtige gemacht wird. Wie kam es dazu?
In den USA hat sich nach den katastrophalen Anschlägen vom 11. September
2001 nach und nach ein neues militärisches Denken durchgesetzt. Die gezielte
Tötung von Terrorverdächtigen wurde
wieder als möglich erachtet. Bis kurz vor
den Anschlägen war das unvorstellbar. [...]
Im Jahr 2001 hieß der US-Präsident
George W. Bush. Warum hat sein Nachfolger Barack Obama, der vielen als
das komplette Gegenmodell zu Bush
schien, den Drohnenkrieg fortgesetzt?
[…] Obama hat nie versprochen, den
Drohnenkrieg zu beenden. Es ist nach
seinem Amtsantritt sogar das Gegenteil geschehen: Der Präsident hat den
Drohnenkrieg erheblich ausgeweitet. […]
Hat es Sie überrascht, dass der Präsident
[...] einmal sinngemäß gesagt hat:
„Was immer die CIA haben will, das
bekommt sie.“? [...]
Das hat mich nicht überrascht. Der Satz
zeigt nur, dass Obama diese Art der
geheimen Kriegsführung als sehr effektiv
wahrnimmt. [...] Er hat [...] nie gesagt,
dass er als Präsident überhaupt keinen
Krieg führen wird.
Ist der Schattenkrieg ein sauberer Krieg?
Nein. Krieg ist Krieg. Was den Einsatz
von Drohnen in Obamas Augen offenbar
hen. In Obamas bisheriger Amtszeit sind auch viele von der
Vorgängerregierung eingeleitete Strategieänderungen weitergeführt, ja forciert worden. Die Obama-Regierung hat letztlich
den Globalen Krieg gegen den Terror rhetorisch geschickter
vermittelt und mit weniger militärischem Aufwand und geringeren politischen wie ökonomischen Kosten, dafür aber mit
größerem geheimdienstlichem Einsatz weitergeführt.
In diesem Zusammenhang wirkt es stimmig, dass der von Präsident Obama Anfang Januar 2009 als Direktor der CIA nominierte
Leon Panetta von Juli 2011 bis Februar 2013 das Amt des Verteidigungsministers innehatte. Sein Nachfolger bei der CIA wurde General David Petraeus, den bereits Präsident Bush zum Befehlshaber
des den amerikanischen Streitkräften im Irak und Afghanistan
übergeordneten regionalen Kommandobereichs (US Central Command) berufen hatte. Als Chef der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) war er für die von der NATO geführte
Sicherheits- und Aufbaumission in Afghanistan verantwortlich.
Bereits George W. Bush hatte im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan den Einsatz von Drohnen befohlen. Das
so attraktiv macht, ist die Tatsache, dass
es sich dabei nicht um einen teuren Besatzungskrieg wie in Afghanistan oder
im Irak handelt. Kein einziger US-Soldat
läuft Gefahr, sein Leben zu verlieren.
Drohnen kann man – im Gegensatz zu
Bodentruppen – tatsächlich begrenzt
und sehr gezielt einsetzen.
Das klingt so, als wären Drohnen die
erste Waffe, die nicht außer Kontrolle
geraten kann.
Das ist falsch. Ein Krieg ist in letzter
Konsequenz nicht kontrollierbar, ob
man ihn nun konventionell führt oder
per Fernsteuerung.
Die USA führen seit mehr als zehn Jahren diesen Drohnenkrieg. Inzwischen
sind die Grenzen zwischen den Geheimdiensten und dem Militär praktisch verschwunden. [...] Warum hat es so
lange gedauert, bis darüber eine öffentliche Debatte begonnen hat?
Niemand in der US-Politik hat prinzipiell
etwas gegen diese Art der Kriegsführung. Über alle Parteigrenzen hinweg
wird der Einsatz von Drohnen als richtig
angesehen. Die Kongressabgeordneten
haben sich erst in diesem Jahr [2013]
etwas kritisch geäußert, weil sie mehr
eingebunden sein wollten. [...]
[W]arum wird über die Rechtmäßigkeit
solcher Drohneneinsätze nicht mehr
gestritten?
Das ist ganz einfach: Die Rechtsanwälte
von zwei aufeinander folgenden Regierungen, einer republikanischen und
einer demokratischen, haben immer
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
21
wieder deutlich gemacht: Wir dürfen
das machen. Das ist alles in den Kompetenzen enthalten, die der Kongress der
Regierung nach den Anschlägen vom
11. September 2001 gegeben hat. [...]
Niemand in den USA spricht von den
zivilen Opfern des Drohnenkriegs.
Seit die Drohnen-Operateure nicht einmal mehr die Identität ihrer Zielpersonen kennen müssen, muss doch auch
logischerweise die Zahl der Opfer unter
den Zivilisten gestiegen sein.
Ich glaube, das hat damit zu tun, dass
Drohnen die ultimativen Waffen in einem
geheimen Krieg sind. Es herrscht ein
Informationsvakuum. Alles wird geheim
gehalten, und die Einsätze geschehen
in unzugänglichen Gegenden der Welt,
in denen nicht so ohne Weiteres Journalisten ihrer Arbeit nachgehen können.
Ist der Drohnenkrieg der Krieg der Zukunft?
Es gibt Leute, die sagen: So etwas wie
Afghanistan oder Irak machen wir nie
wieder. Mit Vorhersagen dieser Art
wäre ich vorsichtig. Ich glaube eher, dass
der Krieg per Fernsteuerung die Art der
Kriegsführung verändern wird – so
wie es Panzer getan haben oder Flugzeuge.
Auf Bodentruppen wurde trotzdem
nicht verzichtet.
Mark Mazzetti, 39, arbeitet im Washingtoner Büro der „New
York Times“. Der Journalist ist Träger des Pulitzer-Preises.
„Neues militärisches Denken“. Interview von Damir Fras
mit Mark Mazzetti, in: Frankfurter Rundschau vom
21./22. September 2013
22
Politisches System der USA
sind unbemannte Luftfahrzeuge (unmanned aerial vehicles,
UAV) zur Aufklärung und Überwachung. Mit Raketen bestückt
können diese – dann als unmanned combat air vehicles (UCAV)
bezeichneten – Luftfahrzeuge bei Bedarf auch in Kampfeinsätzen Verwendung finden. Nach der Amtsübernahme Obamas
wurden diese Einsätze, die sowohl von der CIA als auch vom
Pentagon gesteuert werden können – insbesondere auch über
dem Staatsgebiet Pakistans –, forciert. Darüber hinaus wurden
die Überwachungs- und Kampfeinsätze im weltweiten Kampf
gegen den Terrorismus auf andere Gebiete ausgeweitet, etwa
auf den Jemen und Somalia. Es vergeht kein Monat, in dem
nicht mindestens ein Anführer der Taliban oder Al-Qaidas auf
diese Weise getötet wird.
Doch Washington riskiert damit, die Bevölkerungen dieser Länder gegen sich aufzubringen, Terrorgruppen die Rekrutierung zu
erleichtern und diplomatische Verstimmungen zu verursachen.
Am Ende könnte es mit diesem Vorgehen gerade jene Alliierten
verprellen, mit denen es die Last der globalen Verantwortung teilen möchte, so die eindringliche Warnung eines langjährigen Si-
Der Preis der Kriege
Viele Veteranen der jüngsten Feldzüge
Amerikas leiden [...] unter PTBS, posttraumatischen Belastungsstörungen, die
ihnen ihr Leben in der Heimat zur Hölle
machen. Einschlägigen Studien zufolge
haben bis zu 20 Prozent aller Kriegsheimkehrer PTBS-Symptome – was eine
eher vorsichtige Schätzung sein dürfte.
Man könnte auch einfach sagen: Alle diese meist jungen Menschen stehen unter
dem Schock dessen, was sie erlebt oder gar
selbst angerichtet haben. Niemand von
ihnen wird diesen Krieg je wieder los. Fast
eine Volkskrankheit dürfte es werden, angesichts der weit mehr als zwei Millionen
Soldaten, welche die USA inzwischen in
den Irak und nach Afghanistan geschickt
haben: eine neue Generation der Gezeichneten in Amerika, die Generation 9/11.
Die Zahl der Selbstmorde in ihren Reihen
ist alarmierend hoch: Nicht weniger als
achtzehn Kriegsheimkehrer nehmen sich
Tag für Tag in den USA das Leben, so die
offiziellen Statistiken. Das sind innerhalb
eines Jahres mehr als alle bisherigen
US-Kriegstoten in Afghanistan und Irak
zusammen. Einer von fünf Selbstmördern in Amerika ist ein Veteran. Dabei ist
die nach oben geschnellte Suizidrate
tatsächlich nur einer von vielen bedrückenden Indikatoren, die dokumentieren,
wie sehr die Kriege an den Vereinigten
Staaten zehren – menschlich, sozial,
finanziell. Sie zerreißen das Gewebe der
Gesellschaft.
Die Kosten sind exorbitant und drohen
die Ressourcen selbst dieses so reichen
Landes zu erschöpfen. [...] Seit mehr als
cherheitsberaters des amerikanischen Außenministeriums: John
B. Bellinger III stellte in einem Meinungsbeitrag in der Washington
Post vom 3. Oktober 2011 die rhetorische Frage: „Will Drone Strikes
Become Obama’s Guantánamo?“ Umso mehr wurde die Zusammenarbeit mit den Alliierten belastet, als durch die Enthüllungen
Snowdens bekannt wurde, dass die amerikanischen Nachrichtendienste im großen Umfang auch Verbündete der Europäischen
Union abhören.
Der Globale Krieg gegen den Terror verursachte vor allem innenpolitische „Kollateralschäden“. Aus Sicht der Bush-Regierung
hatte die Präventionsfunktion Vorrang vor der Rechtsfindungsund Rechtsstaatsfunktion. Diese Umgewichtung blieb nicht ohne
Wirkung auf das Verhältnis zwischen persönlichen Freiheitsrechten und Sicherheit: Die Prävention künftiger Terroranschläge ging
oft auf Kosten individueller Freiheit. Mehr noch: Die sogenannte
Ashcroft-Doktrin der Prävention (benannt nach dem federführenden Justizminister John Ashcroft) drohte die grundlegende Sicherung persönlicher Freiheitsrechte durch das System sich gegenseitig kontrollierender Gewalten auszuhebeln.
einem Jahrzehnt, seit dem 11. September
2001, befinden sich die USA in permanentem Kriegszustand. [...] Die Kriege sind
nicht präsent, und doch bedrücken sie die
Nation ungemein. […] Mehr als 6300 tote
Soldaten hat Amerika in den vergangenen
zehn Jahren zu beklagen, fast 4500 von
ihnen im Irak. [...]
Die Bürde ist ungleich verteilt. Gemessen
an der Bevölkerungszahl, wird ein übergroßer Teil der Kondolenzbriefe aus dem
Weißen Haus an Adressen in ländlichen
Regionen Amerikas gegangen sein. Das hat
das Online-Magazin The Daily Yonder
ermittelt, das sich als Sprachrohr des ländlichen Amerikas jenseits der großen Ballungszentren im Osten und Westen der USA
sieht. Die Redaktion hatte im Jahr 2007 die
Toten der Kriege in Afghanistan und Irak
gezählt und festgestellt, dass, bezogen auf
die Zahl der Männer im wehrfähigen Alter,
doppelt so viele Gefallene aus ländlichen
Gemeinden oder Kleinstädten stammten
wie aus den Metropolen. […] Das war 2007,
aber das Verhältnis dürfte sich seither nicht
wesentlich verschoben haben. […] Auch
bei den Versehrten der Kriege ist dieses Ungleichgewicht zu beobachten. Mehr als
47 000 Soldaten wurden in dem Jahrzehnt
seit 9/11 verwundet. Dank eines ausgeklügelten Rettungssystems können inzwischen
viele Schwerstverletzte gerettet werden,
die früher auf dem Schlachtfeld verblutet
wären. Doch beinahe die Hälfte der Verwundeten wird für den Rest ihres Lebens
medizinische Betreuung benötigen. [...]
In jedem Fall ist die VA, die Veteranenverwaltung, heillos überfordert mit der
Betreuung Zehntausender körperlich und
Hunderttausender seelisch Versehrter.
Gründe für dieses Versagen gibt es viele:
Gleichgültigkeit, bürokratische Desorganisation oder schlicht die Tatsache, dass
zu Beginn von Amerikas „Global War on
Terror“ niemand ahnte, wie viele Schwerstverwundete von den Fronten der Welt
nach Hause zurückkehren würden. [...]
Diese menschlichen „Kosten“, so bitter
sie auch sind, machen tatsächlich jedoch
nur einen Teil der Bürde aus, die Amerika
seit dem 11. September zu schultern
hat. Auch finanziell sind die Kriege für das
Land ein Desaster. Der Congressional
Research Service, der unabhängige wissenschaftliche Dienst des US-Parlaments,
bezifferte die direkten Ausgaben für das
Militär im ersten Jahrzehnt nach 9/11
auf nicht weniger als 1,3 Billionen Dollar.
800 Milliarden davon wurden in den
Irakkrieg gesteckt, gut 440 Milliarden in
Operationen in Afghanistan, der Rest in
den Ausbau von Stützpunkten rund um
den Globus und in Hilfsprogramme in Afghanistan und Irak. Das war im Frühjahr
2011. [...]
Die wahren Kosten des militärischen Engagements seit dem 11. September dürften
indes noch weitaus höher liegen. Der
linke Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz taxiert sie auf
mittlerweile über drei Billionen Dollar. Und
laut Forschern von der Brown University,
einer der US-Elitehochschulen, werden die
Kriegskosten sich am Ende auf 3,7 Billionen Dollar belaufen – Zinszahlungen noch
nicht miteinbezogen. [...]
Mit freundlicher Genehmigung des Berlin Verlages in der Piper
Verlag GmbH. Reymer Klüver / Christian Wernicke, Amerikas
letzte Chance, © 2012 Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH,
S. 159 ff.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
Die Bush/Ashcroft-Doktrin …
Justizminister John Ashcroft brachte das Rechtsverständnis der Bush-Regierung im Dezember 2001 vor dem Justizausschuss des Senats deutlich zum
Ausdruck: „Herr Vorsitzender, Mitglieder des Ausschusses, wir befinden uns
im Krieg gegen einen Feind, der individuelle Rechte ebenso missbraucht
wie Passagierflugzeuge: als Waffen zum Töten von Amerikanern. Wir
haben darauf reagiert, indem wir den Auftrag des Justizministeriums neu
definiert haben. Unsere Nation und ihre Bürger gegen terroristische Angriffe zu verteidigen, ist nunmehr unsere erste und vorrangige Aufgabe.“
… und ihre Probleme
An den einzelnen Bereichen, in denen die Problematik der Einschränkung
persönlicher Freiheitsrechte vor allem auch internationale Aufmerksamkeit erregte, lässt sich erkennen, dass die Verantwortlichen zwischen zwei
Klassen von Rechtsträgern unterschieden: zwischen amerikanischen Bürgern und „Nicht-Amerikanern“. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen
„due process“– bzw. „equal protection“-Bestimmungen, in denen vom
Schutz der individuellen Freiheitsrechte „jeder Person“ (any person) die
Rede ist, genossen die sich in den USA aufhaltenden Ausländerinnen und
Ausländer nach Auffassung der Bush-Administration grundsätzlich nicht
den gleichen Rechtsschutz wie die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger
der Vereinigten Staaten. Wenn sie als mutmaßliche Terroristen eingestuft
wurden, hatten sie zudem auch noch diesen „minderen Anspruch“
verwirkt. Sie wurden gar als Outlaws (Gesetzlose) behandelt, wenn sie sich
nicht auf dem souveränen Staatsgebiet der Vereinigten Staaten befanden –
wie die gefangenen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer auf dem US-Marinestützpunkt in Guantánamo Bay, Kuba. Unter den jahrelang Inhaftierten
befanden sich auch viele, die irrtümlich festgenommen wurden. Die
Entscheidung, wer welche Rechte „verdiente“, wurde a priori von der Exekutive getroffen. Die Bush-Administration versuchte dabei auch, sich
der Kontrolle juristischer und parlamentarischer Instanzen zu entziehen.
Lauschen erlaubt
[…] Seit den Anschlägen vom 11. September
2001 meint die Mehrheit der Amerikaner,
dass bei Terrorgefahr die Privatsphäre zurückstehen müsse. 56 Prozent geben
laut einer Langzeitstudie des renommierten Pew Research Center der Sicherheit
den Vorrang und finden es „akzeptabel“,
dass Telefon- und Internetdaten gespeichert werden. [...]
Das heißt nicht, dass die Überwachung in
den USA keine Regeln und Grenzen hätte.
Bevor die National Security Agency (NSA)
massenhaft Daten sammeln darf und die
Geheimdienste abhören dürfen, müssen sie
nicht nur den Justizminister um Erlaubnis
bitten, sondern auch ein Geheimgericht,
den Foreign Intelligence Surveillance Court
(FISA-Gericht). Jedenfalls, wenn im Laufe der
Überwachung Amerikaner betroffen sein
könnten. Die bloße Kontrolle der Nachrichtendienste durch einen parlamentarischen
Ausschuss, wie in Deutschland, reicht nicht.
Das letzte Wort hat die dritte Gewalt –
auch wenn das FISA-Gericht ein seltsames
Tribunal ist, weil es nicht öffentlich operiert
und die möglichen Opfer nicht anhört.
Befürworter dieses Vorgehens sehen die außerordentlichen
Machtbefugnisse der Exekutive durch die alles überragende
Schutzrolle des Obersten Befehlshabers legitimiert. Aus dieser Sicht erscheint es vertretbar, dass in Kriegszeiten das zivile
Recht, das stärker den Anspruch auf individuelle Freiheitsrechte betont, zum Kriegsrecht mutiert, in dem der kollektive
Sicherheitsaspekt alle anderen überragt. In den verschiedenen
Problembereichen lässt sich entsprechend ein gemeinsamer
Nenner ausmachen: Es geht weniger um die strafrechtliche
Verantwortung einzelner Täter und deren Verfolgung wegen
begangener Taten, sondern vielmehr um die allgemeine Verhinderung künftiger Attentate. Denn wie Justizminister Ashcroft in seiner Ansprache bei der U.S. Attorneys Conference
in New York am 1. Oktober 2002 erklärte, war die „Kultur der
Hemmung“ (culture of inhibition) vor dem 11. September „so
stark auf die Strafverfolgung begangener Straftaten fokussiert, dass sie die Prävention künftiger Terroranschläge einschränkte.“ (Auszüge in Siobhan Gorman, There Are No Second
Chances, in: National Journal vom 21.12.2002)
Nicht wenige Beobachter sahen in dieser Praxis aus verfassungsrechtlicher Warte hingegen ein gefährliches Wagnis, bei
dem die im politischen System der USA fest verankerten Prinzipien der checks and balances ausgehebelt zu werden drohten. Kenntnisse der amerikanischen Geschichte begründen
diese Befürchtungen: In einer eingehenden Analyse mit dem
Titel „All the Laws but One: Civil Liberties in Wartime“ warnte William Rehnquist, bis zu seinem Tode Anfang September
2005 Chief Justice (Oberster Richter) des Supreme Court, bereits
1998 vor der Gefahr, dass der Oberste Befehlshaber in Kriegszeiten durch zusätzliche Machtbefugnisse dazu verleitet wird,
den konstitutionellen Rahmen zu überdehnen.
Im Keller eines klotzigen Justizgebäudes,
auf halber Wegstrecke zwischen Weißem Haus und Kapitol, entscheiden elf
Bundesrichter in einem fensterlosen,
abhörsicheren Raum über die Anträge der
Nachrichtendienste. Kein Wort dringt
aus den Sitzungen, die Urteile bleiben
unter Verschluss. [...]
Die Richter genehmigen nicht nur das
Ausspähen im konkreten Einzelfall.
Seit den Anschlägen vom 11. September
sind sie überdies eine Art verfassungsrechtliches Gutachtergremium und prüfen, ob auch die im Rahmen des Antiterrorkampfs beantragten unspezifischen
flächendeckenden Überwachungsmaßnahmen rechtmäßig sind. Dazu zählt die
massenhafte Speicherung von Verbindungs- und Inhaltsdaten mithilfe von
Google, Yahoo oder Facebook sowie
der Telefonfirma Verizon.
1978 wurde das FISA-Gericht ins Leben
gerufen. Es war die Antwort auf den Watergate-Skandal und das hemmungslose
Aushorchen angeblicher Staatsfeinde.
Unter dem Vorwand des Spionageverdachts
und der Gefährdung der nationalen
Sicherheit hatten Amerikas Präsidenten
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
23
reihenweise Vietnamkriegsgegner, Bürgerrechtler und politische Konkurrenten
ausleuchten lassen. Der Kongress stoppte
diese Willkür. Seither liegt der Schutz der
Privatsphäre maßgeblich in den Händen
dieser elf Richter. Ihre Rechtsphilosophie
kennt man nicht, sie lässt sich allerdings
erahnen: Zehntausende von Überwachungsanträgen wurden in 35 Jahren genehmigt und nur fünf oder sechs abgelehnt. Auch die massenhafte Speicherung
von Vorratsdaten ließen die Richter jedes
Mal anstandslos passieren. […]
Allerdings ist dies […] weder Pflichtvergessenheit noch Zufall. „Verfassungen“,
sagt Jeffrey Rosen, Datenschutzexperte,
Juraprofessor an der George-WashingtonUniversität und einer der besten Kenner
der transatlantischen rechtspolitischen
Mentalitätsdifferenzen, „sind immer
auch ein Spiegel der nationalen Geschichte, der Kultur und Psychologie.“ Wenn
Amerikaner an die Terrorgefahr denken,
erinnern sich Deutsche an die Überwachungsapparate der Gestapo und der Stasi.
[...]
Martin Klingst, „Lauschen? Wir sind so frei“, in: DIE ZEIT Nr. 30
vom 18. Juli 2013
24
Politisches System der USA
Zwar hat Bushs Nachfolger, der seit dem 20. Januar 2009 amtierende Präsident Barack Obama, sich gleich in seiner Ansprache zur Amtseinführung von der Politik seines Vorgängers
distanziert. Doch sind seinen Worten bislang wenige Taten gefolgt. Mittlerweile ist über die Medien ans Tageslicht gekommen, dass viele Sicherheits- und Geheimdienstpraktiken der
Bush-Administration von der Obama-Regierung im Dunkeln
weitergeführt bzw. in vielen Bereichen sogar noch forciert
wurden.
Sitz des Supreme Court, der höchsten richterlichen Instanz, in Washington, D.C. …
picture alliance / landov
Auch die Frage, ob die Rechtsprechung der Exekutive ihre Grenzen aufzeigen könnte, beurteilte der Oberste Richter skeptisch:
„Wenn die (höchstrichterliche) Entscheidung getroffen wird,
nachdem die Kriegshandlungen beendet sind, ist es wahrscheinlicher, dass die persönlichen Freiheitsrechte favorisiert
werden, als wenn sie getroffen wird, während der Krieg noch
andauert“, so William Rehnquist 1998 im oben erwähnten Buch.
Obschon zivilgesellschaftliche Interessengruppen vereinzelt einige Teilerfolge vor Gericht erzielen und einschlägige Urteile erwirken konnten, wurden diese in der Regel nach Gegenhalten
der Exekutive von höheren Instanzen wieder zurückgewiesen
oder für nicht rechtskräftig erklärt.
Letztendlich sind solche Fälle dann von der höchsten richterlichen Instanz, dem Supreme Court, zu entscheiden. Die Urteile
der neun Richterinnen und Richter beeinflussen unter anderem auch die Kräfteverhältnisse der politischen Gewalten im
US-System der checks and balances. So wurden die Versuche
der Regierung George W. Bushs, die eigenen Machtbefugnisse
auf Kosten der Legislative und Judikative auszuweiten, vom
Supreme Court verurteilt – unter anderem mit der Rechtsprechung vom Juni 2008 (Boumediene et al v. Bush et al). Die Richter entschieden, dass die „Habeas Corpus“-Bestimmung auch
für Guantánamo Geltung habe, woraufhin fünf der sechs klagenden Guantánamo-Häftlinge im November 2008 entlassen
wurden. Dieses Urteil erging allerdings mit einer knappen
Mehrheit von fünf gegen vier Stimmen. Dabei haben die beiden von Präsident Bush ernannten Richter Samuel A. Alito und
Chief Justice John G. Roberts, Jr. in ihrer Minderheitsmeinung
den Machtanspruch und die Vorgehensweise des Präsidenten
im Globalen Krieg gegen den Terror gebilligt.
Mit jeder Neubesetzung von Richterämtern am Supreme
Court stehen mit einer möglichen Veränderung der Mehrheitsverhältnisse auch grundlegende, für die Qualität der
amerikanischen Demokratie ausschlaggebende Entscheidungen auf dem Spiel. So konnten die Obersten Richter auch eine
der größten Verfassungskrisen der jüngsten US-amerikanischen Geschichte entschärfen, indem sie im Fall Bush v. Gore
am 12. Dezember 2000 den Ausgang der heftig umstrittenen
Präsidentschaftswahl zugunsten des Republikaners George W.
Bush entschieden.
Trotz dieser fundamentalen Kontroversen genießt der Supreme Court in der US-Bevölkerung höchste Autorität. Seine
Zustimmungsraten übertreffen bei Weitem die Werte der anderen politischen Gewalten, namentlich des Kongresses und
des Präsidenten.
Doch sind auch die Rechtsprechungen des Obersten Gerichts nicht in Stein gemeißelt. Im Laufe der Entwicklung
der USA von einer Agrar- über eine Industrie- hin zu einer
Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft mussten die
Richter immer wieder neue Realitäten mit den (interpre-
picture alliance / landov / Dennis Brack
Sicherungsinstanz Judikative
... und seine neun derzeitigen Mitglieder: (v. li. n. re.) Clarence Thomas, Sonia Sotomayor, Antonin Scalia, Stephen Breyer, Chief Justice John Roberts,
Samuel Alito, Anthony Kennedy, Elena Kagan und Ruth Bader Ginsburg
Das Gerichtssystem der USA
In der Justiz der USA herrscht ebenso das Prinzip der Gewaltenteilung – zwischen der
Bundesgerichtsbarkeit und der Jurisdiktion der Einzelstaaten, die parallel existieren.
Daneben gibt es auch noch die außerhalb der Judikative urteilenden Militärgerichte
(Military Courts).
Die Bundesgerichtsbarkeit besteht aus
drei Instanzen: Auf der untersten Ebene
richten 94 District (Trial) Courts, darüber
stehen 13 Berufungsgerichte (Appellate
Courts), deren Urteile wiederum vom
Obersten Gericht (Supreme Court) revidiert werden können.
Der Supreme Court besteht aus neun
Richterinnen und Richtern, die auf
Lebenszeit berufen werden. Sie werden
vom Präsidenten ernannt und müssen
von der Legislative, namentlich vom
Senat, gebilligt werden.
Die Gerichte der Einzelstaaten sind
hauptsächlich für Zivil- und Strafsachen
zuständig.
Jeder Einzelstaat hat sein eigenes, mehrstufig aufgebautes Gerichtssystem und
seine eigenen Strafzumessungen. So gilt
in einigen Staaten noch die Todesstrafe, während sie in anderen bereits abgeschafft wurde. Auch die Berufung
der Richter ist unterschiedlich: Je nach
Bundesstaat werden Richter entweder
direkt vom Volk gewählt oder politisch,
das heißt von der jeweiligen Exekutive
und Legislative ernannt.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
tierbaren) Verfassungsgrundsätzen in Einklang bringen.
Doch die Interpretationsfähigkeit des Verfassungstextes ist
bis heute umstritten. Während die einen den Text der Verfassung nur gemäß der „ursprünglichen Absicht“ (original
intent) ihrer Väter auslegen wollen, sehen die anderen im
Verfassungstext ein „lebendes Dokument“ (living document).
Dementsprechend fordern erstere juristische Zurückhaltung
(judicial restraint) und verurteilen den Standpunkt der anderen Gruppe, die weite rechtliche Auslegung, als Aktionismus
(judicial activism).
Die amerikanischen Rechtsquellen
Häufig werden nur das geschriebene Recht
und das Richterrecht als Quellen des
amerikanischen Rechts unterschieden. […]
Das sog. „constitutional law“ umfasst
[…] nach amerikanischem Verständnis
nicht nur die in der Verfassung niedergelegten Normen, sondern auch deren
jeweilige Interpretation durch den Supreme Court.
Unterhalb des „constitutional law“ ist
das sog. „statutory law“ anzusiedeln, das
die durch die gesetzgebenden Körperschaften beschlossenen Normen inkl. ihrer
Auslegung durch die Gerichte umfasst.
Nominierungen für den
Supreme Court
Für Nominierungen an den Supreme Court
kann der Justizausschuss im Senat die
schriftliche Stellungnahme der beiden Senatoren aus dem Staat einholen, aus dem
auch der Kandidat stammt. Wegen der
blauen Briefbögen, auf denen die Gutachten geschrieben werden, ist dieses Verfahren auch unter der Bezeichnung blue
slip bekannt. Faktisch liegt damit das
Schicksal eines Kandidaten in der Hand
zweier Senatoren, die eine Anhörung von
vornherein verhindern können. In diesem
Netzwerk von politischen Abhängigkeiten
offenbart sich das Potenzial für politisch
motivierte Ernennungen. Kein Präsident
kann es sich leisten, politisches Personal
ohne eine Abstimmung mit Kongressabgeordneten zu bestimmen, das gilt umso
mehr, wenn der Abgeordnete oder Senator
eine für den Präsidenten wichtige Rolle im
Kongress einnimmt. Die Personalauswahl für die Bundesgerichte trägt deshalb
durchaus Züge einer Patronagepolitik.
Die typische Strategie für die Personalauswahl, insbesondere für ein Amt am Supreme Court, zielt nicht darauf ab, einzelne
Entscheidungen zu beeinflussen, sondern
25
Bei einigen Urteilen geht es im wahrsten Sinne um Leben und
Tod. Mit der Entscheidung des Obersten Gerichts zur Abtreibung (Roe v. Wade, 1973) wurden viele Gläubige politisiert. Die
Liberalisierung des Abtreibungsrechts bedeutete die Geburtsstunde der politischen Bewegung der Christlich Rechten, konservativer evangelikaler und katholischer Interessengruppen
und ihrer Wählerschaft, die sich seither im Sinne einer „moralischen Mehrheit“ verstärkt für die Republikaner engagieren.
Sogenannte moralische Themen (moral issues) wie Abtreibung
spalten nicht nur die Bevölkerung in Befürworter und Gegner,
Nochmals eine Stufe niedriger steht das
sog. „administrative law“, das weder dem
„constitutional“ noch dem „statutory
law“ entgegenlaufen darf und das als Ausfüllung der Lücken des „statutory law“
durch administrative Organe umschrieben
werden kann.
Letztlich ist das aus England importierte
„common law“ zu nennen. Das „common
law“ ist durch Gerichte gesetztes Recht, das
in Streitfällen bei einem Fehlen gesetzlicher
Normen entwickelt wird und das die spätere Rechtsprechung bei gleichgelagerten Fällen präjudiziert. Da das „common law“ in
seinem Rang hinter das geschriebene Recht
zurücktritt, ist es leicht einsichtig, dass die-
ses Recht durch die vermehrten Aktivitäten
der Legislativorgane im modernen Staate
allmählich seine frühere Bedeutung verliert.
Hierüber darf allerdings nicht vergessen
werden, dass entscheidende Grundsätze des
amerikanischen Rechts auf das englische
„common law“ zurückgehen, […] z. B. die berühmte „due process of law“-Klausel, die
die wichtigsten Verfahrensgrundsätze festschreibt und die – abgesichert im V. und
XIV. Amendment der US-Verfassung – u. a.
Eingriffe in Leben, Freiheit und Eigentum
„without due process of law“ verbietet.
den Grundstein für eine langfristig angelegte Doktrin zu legen. Die Auswahl von
Richtern wird häufig als die am stärksten
politisierte Dimension innerhalb der Judikative wahrgenommen. […] Über 90 % der
Nominierungen stammen in der Tat aus
dem Umfeld der Partei des Präsidenten.
Zum Verdruss der Präsidenten […][ist d]ie
Geschichte des Supreme Court […] [jedoch]
reich an Beispielen, die eine Kluft zwischen
den Erwartungen der Präsidenten und
den Urteilen der Richter belegen. Präsident
Eisenhower nominierte beispielsweise den
Richter Earl Warren zum Chief Justice, der
in der Folge mit seiner unerwartet liberalen
Rechtsprechung maßgeblich an der
amerikanischen Sozialpolitik der 1950/60erJahre beteiligt war, sehr zum Missfallen
Eisenhowers. Ähnlich frustriert [waren zu
Beginn der 2000er-Jahre] die Republikaner,
deren Präsident George H.W. Bush in
den 80er-Jahren Richter Souter im Glauben
nominiert hatte, dass er ein zuverlässiger
Konservativer sei. Judge Souter [vertrat]
seit seiner Ernennung indes mit hoher Zuverlässigkeit Demokratische Positionen.
Laut Verfassung muss der Senat jedem
Kandidaten zustimmen, bevor dessen
Berufung rechtskräftig wird. Dafür befasst
sich zunächst der Justizausschuss mit
Anhörungen der Kandidaten. […] Nach den
Anhörungen im Ausschuss findet eine
Abstimmung im Plenum statt. Eine einfache
Mehrheit reicht aus, um einen Kandidaten
zu bestätigen.
Eine seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fest verankerte Praxis im Ernennungsprozess ist die Empfehlung der American Bar
Association […]. Sie gibt Empfehlungen als
„very qualified“, „qualified“ und „not qualified“ heraus. In der Regel ist es für einen
Kandidaten mit der Bewertung „not qualified“ aussichtslos, für ein hohes Richteramt
ernannt zu werden. Die Qualifikation eines
Richters wird vor allem dann zum entscheidenden Kriterium, wenn der Kandidat
politisch vergleichsweise gemäßigt ist. In
diesem Fall wird es für die opponierende
Partei sehr schwierig, gegen einen moderaten, hoch qualifizierten Richter anzugehen,
weil sie sich damit selbst dem Vorwurf parteipolitischer Stellungnahme aussetzt. Der
Präsident kann natürlich auch, im Gegenzug für die Unterstützung eines wichtigen
Gesetzesvorhabens, einen Kandidaten der
anderen Partei vorschlagen, wenn er glaubt,
er oder sie teile im Allgemeinen seine politischen Ansichten.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Emil Hübner / Ursula Münch, Das politische System der USA.
Eine Einführung, 7., überarbeitete und aktualisierte Auflage,
© Verlag C. H. Beck, München 2013, S. 158
Winand Gellner / Martin Kleiber, Das Regierungssystem der
USA, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2007, S. 120 ff.
26
Politisches System der USA
sondern beschäftigen seit Jahrzehnten die Politik und die diversen Instanzen im US-amerikanischen Justizsystem.
Auch in der Jurisprudenz herrscht das Prinzip der vertikalen
Gewaltenteilung – zwischen der Gerichtsbarkeit des Bundes
und der Einzelstaaten, die parallel existieren. Ohnehin konkur-
[…] Vorige Woche veröffentlichte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten
binnen zwei Tagen vier Urteile, die enorme
Folgen für Millionen Amerikaner haben
werden. […]
Zwei der […] Urteile waren besonders
spektakulär. Im Fall Shelby County v. Holder
verwarf das Verfassungsgericht mit
fünf zu vier Stimmen einen der wichtigsten
Paragrafen des Voting Rights Act, ein
hart erkämpftes Gesetz von 1965, das den
Schwarzen im amerikanischen Süden
das volle Wahlrecht garantiert. Die Folge ist,
dass die US-Regierung künftig nicht mehr
darüber wachen darf, dass Minderheiten
bei Wahlen in einzelnen Bundesstaaten
nicht diskriminiert werden.
Im Fall United States v. Windsor erklärte
das Gericht, ebenfalls mit fünf zu vier
Stimmen, den Defense of Marriage Act für
nichtig. Dieses Gesetz von 1996 definierte
„Ehe“ für verwaltungsrechtliche Zwecke
als Gemeinschaft von Mann und Frau. Es
verwehrte damit gleichgeschlechtlichen
Paaren Steuerprivilegien, die heterosexuellen Ehepaaren zustehen. Nach dem Urteil
müssen alle US-Bundesbehörden nun
homosexuelle Paare, die rechtmäßig verheiratet sind – derzeit ist das in etwa einem
Dutzend Bundesstaaten möglich –, künftig wie heterosexuelle Paare behandeln.
Auf den ersten Blick passen die beiden Urteile nicht zusammen. An einem Tag
kastrierte der Supreme Court eines der
wichtigsten Bürgerrechtsgesetze der Vereinigten Staaten – ein historischer Sieg
für Amerikas Konservative. Doch nur 24
Stunden später jubelte das linksliberale
Amerika über die Gleichstellung von homound heterosexuellen Ehepaaren. Dasselbe
Gericht, das per Federstrich die Rechte der
schwarzen Minderheit massiv beschnitten
hatte, erweiterte im Gegenzug die Rechte
der homosexuellen Minderheit erheblich.
So jedenfalls erschien es.
Auf den zweiten Blick ist das Hin und Her
weniger erstaunlich. Der Unterschied zwischen den Urteilen besteht im Votum eines
einzelnen Mannes: des Richters Anthony
Kennedy. Er schlug sich im Wahlrechtsfall
auf die Seite der vier konservativen Richter
am Supreme Court (John Roberts, Clarence
Thomas, Antonin Scalia sowie Samuel
Alito). Im Fall der Homo-Ehe stimmte der
77-Jährige dann mit den vier liberalen Richtern (Ruth Bader Ginsburg, Stephen Breyer,
Sonia Sotomayor und Elena Kagan). […]
Es war insofern nicht „das Gericht“, das
die Urteile fällte. Sondern es standen
sich bei beiden Urteilen wieder einmal die
beiden altbekannten Vierergruppen gegenüber: Die vier liberalen Richter wollten den
Minderheiten helfen. Sie stimmten für den
Erhalt des Voting Rights Act und gegen das
Ehegesetz.
Die vier Konservativen […] dagegen […]
stimmten gegen das Wahlgesetz und für
die traditionelle Ehe. Es war Kennedy, der
als Mehrheitsbeschaffer hin- und herpendelte.
[…] Amerikas Oberstes Gericht tut gern
so, als stünde es, allein der Verfassung
verpflichtet, hoch über dem politischen Alltagsgezänk. Aber das ist ein Trugbild.
Die neun Richter sind Juristen. Doch sie machen mit ihren Urteilen pure Politik. [Chief
Justice John] Roberts’ Urteilsbegründung
im Wahlrechtsfall war in dieser Hinsicht
eindeutig: Sein Argument gegen den
Voting Rights Act – immerhin ein Gesetz,
das der Kongress erst 2006 für weitere
25 Jahre bestätigt hatte – war, dass es keinen
staatlich organisierten Rassismus im Süden
mehr gebe. „Die Dinge haben sich dramatisch verändert“, so sein Kernsatz – eine politische Feststellung, wohl kaum eine
juristische Analyse. Im Fall der Homo-Ehe
zogen sich Roberts und seine konserva-
tiven Kollegen, die tags zuvor dem Parlament noch so beherzt ins Steuer gegriffen
hatten, dann wieder auf ihr Lieblingsargument zurück: Das Gericht solle nicht Gesetzgeber spielen und dem Kongress nicht
dreinpfuschen. […]
Wie politisch das Gericht inzwischen ist,
zeigen einige Zahlen: Während es im Jahr
2005 nur elf Fünf-zu-vier-Entscheidungen
gab, waren es in der abgelaufenen Sitzungszeit 24. Das waren knapp 30 Prozent
aller Urteile. Bei 70 Prozent dieser Urteile
standen sich jeweils die beiden ideologisch
geprägten Vierergruppen gegenüber. Und
in 63 Prozent dieser Fälle gewann die konservative Seite. Daran ändert auch nichts,
dass es just Roberts war, der voriges Jahr
mit seinem Votum die bei den Republikanern so verhasste Gesundheitsreform
von Präsident Barack Obama rettete: Der
Wutschrei der Rechten damals war ein
Wutschrei über einen Abtrünnigen, auf den
man sich bis dahin verlassen konnte.
Der Rechtsdrall des Gerichts wäre verkraftbar, wenn es sich nicht zunehmend –
und zunehmend parteiisch – genau in
die politischen Fragen einmischen würde,
die das Land so tief spalten. Die Klage
gegen den Voting Rights Act zum Beispiel
hätte der Supreme Court nicht annehmen
müssen. Chief Justice Roberts tat es trotzdem. Und zwar, wie die Gerichtskorrespondentin der New York Times fast ungläubig
feststellte, aus dem „blanken Willen,
festgefügtes Recht zu verändern“. […]
Hubert Wetzel, „Die zerfallenden Staaten von Amerika“, in:
Süddeutsche Zeitung vom 6. Juli 2013
Roll Call / Getty Images / Douglas Graham
Gespalten wie die Gesellschaft –
der Supreme Court
rieren die Staaten mit dem Bund um Kompetenzen – das sind
historisch angelegte, permanente Auseinandersetzungen, die
im Laufe der US-amerikanischen Verfassungsgeschichte auch
den Supreme Court immer wieder zu Grundsatzentscheidungen genötigt haben.
Die 9. Stimme zählt: Im Juni 2013 erfreut eine Entscheidung des Supreme Court Demonstranten für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen. Kurz zuvor hatte er mit ebenso knappem
Mehrheitsvotum den Voting Rights Act, ein wichtiges Antidiskriminierungsgesetz, beschnitten.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
27
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
Daten zu den Einzelstaaten der USA
Bundesstaat
Wie ein roter Faden durchziehen die Konflikte zwischen den
Einzelstaaten und der Bundesregierung die oftmals blutige Geschichte der USA. Als sich 1776 die dreizehn britischen
Kolonien für unabhängig von ihrem Mutterland erklärten,
schlossen sie sich zunächst 1781 mit den Articles of Confederation zu einem Bund souveräner Staaten zusammen. Die
massiven innen- und außenpolitischen Probleme infolge des
Unabhängigkeitskrieges (1775-1783) nötigten sie jedoch, eine
handlungsfähigere Einheit zu bilden. Sie gaben sich 1787 eine
neue bundesstaatliche Verfassung. Dabei gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen den Wegbereitern einer starken
Zentralregierung, den sogenannten Federalists, und den auf Eigenständigkeit der Einzelstaaten pochenden Anti-Federalists.
Während die einen den Bundesstaat befürworteten, wollten
die anderen nur einen losen Staatenbund, eine Konföderation,
die die Souveränität und Befugnisse bei den Einzelstaaten belassen hätte.
Die Föderalisten behielten in der Verfassungsdebatte die
Oberhand, und die Federalist Papers, die von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay unter dem Pseudonym
„Publius“ verfassten Artikel, wurden aufgrund ihrer großen
publizistischen Wirkung identitätsstiftend für die junge Nation. Es galt aber auch vorzubeugen, dass die neu geschaffene
Regierung nicht in eine Tyrannei abglitt. Neben der horizontalen Aufteilung in gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalten sollte auch eine vertikale Gewaltenkontrolle
ausgeübt werden, indem die Befugnisse zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten aufgeteilt wurden. Gemäß dem Konzept des dual federalism verfügten Bund und
Einzelstaaten jeweils über eigene, voneinander abgegrenzte
Aufgabenbereiche.
Die Verfassung regelt, so der Kompromiss von 1787, dass die
Bundesregierung nur die in Artikel I aufgeführten Vorrechte,
die enumerated powers, ausüben darf, um die Rechte der Einzelstaaten zu wahren. Der 1791 hinzugefügte zehnte Verfassungszusatz spezifiziert denn auch, dass alle Kompetenzen,
die nicht explizit dem Zentralstaat zugesprochen bzw. den
Pro-Kopf-Einkommen in
US-Dollar*** (2010)
14.12.1819
135 293
4780
(23)
33 945
03.01.1959
1 593 444
710
(47)
44 174
(8)
Arizona
14.02.1912
295 276
6392
(16)
34 999
(40)
(42)
(46)
Arkansas
15.06.1836
137 742
2916
(32)
33 150
California
09.09.1850
411 470
37 254
(1)
43 104
(12)
Colorado
01.08.1876
269 618
5029
(22)
42 802
(14)
Connecticut*
09.01.1788
14 358
3574
(29)
56 001
(1)
07.12.1787
6208
898
(45)
39 962
(20)
–
177
602
(–)
71 044
(–)
Delaware*
District of
Columbia****
Florida
03.03.1845
155 214
18 801
(4)
39 272
(24)
Georgia*
02.01.1788
152 750
9688
(9)
35 490
(37)
Hawaii
21.08.1959
16 729
1360
(40)
41 021
(17)
Idaho
03.07.1890
216 456
1568
(39)
32 257
(49)
Illinois
03.12.1818
150 007
12 831
(5)
43 159
(11)
Indiana
11.12.1816
94 328
6484
(15)
34 943
(41)
(28)
Iowa
28.12.1846
145 754
3046
(30)
38 281
Kansas
29.01.1861
213 110
2853
(33)
39 737
(21)
Kentucky
01.06.1792
104 665
4339
(26)
33 348
(44)
Louisiana
30.04.1812
134 275
4533
(25)
38 446
(26)
Maine
15.03.1820
87 388
1328
(41)
37 300
(29)
Maryland*
28.04.1788
31 849
5774
(19)
49 025
(4)
Massachusetts*
06.02.1788
23 934
6548
(14)
51 552
(2)
(36)
Michigan
26.01.1837
250 465
9884
(8)
35 597
Minnesota
11.05.1858
225 182
5304
(21)
42 843
(13)
Mississippi
10.12.1817
125 060
2967
(31)
31 186
(50)
Missouri
10.08.1821
180 546
5989
(18)
36 979
(32)
Montana
08.11.1889
380 849
989
(44)
35 317
(38)
Nebraska
01.03.1867
200 358
1826
(38)
39 557
(22)
Nevada
31.10.1864
286 367
2701
(35)
36 997
(31)
New
Hampshire*
21.06.1788
24 044
1316
(42)
44 084
(9)
New Jersey*
18.12.1787
21 277
8792
(11)
50 781
(3)
New Mexico
06.01.1912
314 939
2059
(36)
33 837
(43)
New York*
26.07.1788
139 833
19 378
(3)
48 821
(5)
21.11.1789
136 421
9535
(10)
35 638
(35)
North Dakota
02.11.1889
183 123
673
(48)
40 596
(18)
Ohio
01.03.1803
116 103
11 537
(7)
36 395
(34)
Oklahoma
16.11.1907
181 048
3751
(28)
36 421
(33)
Oregon
14.02.1859
251 571
3831
(27)
37 095
(30)
12.12.1787
119 291
12 702
(6)
41 152
(16)
North Carolina*
Pennsylvania*
Rhode Island*
29.05.1790
3189
1053
(43)
42 579
(15)
South Carolina*
23.05.1788
80 779
4625
(24)
33 163
(45)
South Dakota
02.11.1889
199 744
814
(46)
38 865
(25)
Tennessee
01.06.1796
109 158
6346
(17)
35 307
(39)
Texas
29.12.1845
692 248
25 146
(2)
39 493
(23)
Utah
04.01.1896
219 902
2764
(34)
32 595
(48)
(19)
Vermont
04.03.1791
24 903
626
(49)
40 283
Virginia*
25.06.1788
109 625
8001
(12)
44 762
(7)
Washington
11.11.1889
182 949
6725
(13)
43 564
(10)
West Virginia
19.06.1863
62 759
1853
(37)
32 641
(47)
Wisconsin
29.05.1848
169 643
5687
(20)
38 432
(27)
Wyoming
10.07.1890
253 349
564
(50)
47 851
(6)
9 629 091
310 955
USA
insgesamt**
Reinhard Eisele / project photos
Einwohner (in 1000)
(2010)***
Alaska
Alabama
Vertikale Gewaltenteilung: Föderalismus
Aufnahme in Größe in
die Union*
km²
40 584
*
Bei den dreizehn Gründerstaaten ist das jeweilige Datum der Ratifizierung der Verfassung
angegeben.
** Die Differenzen zwischen Einzelsummen und Gesamtsumme ergeben sich aus den nicht
aufgeführten Außengebieten (z. B. Puerto Rico).
*** Die Ziffern in den Klammern geben die Reihenfolge der Bundesstaaten an.
**** (Bundesdistrikt mit der Hauptstadt Washington, der als neutrales Territorium zu keinem
Bundesstaat gehört und dem Kongress der USA unmittelbar untersteht – Anm. d. Red.)
Symbol für die föderale Staatsordnung ist das „Star-Spangled Banner“,
die Flagge der USA. 13 Streifen stehen für die 13 Gründerstaaten, 50
Sterne für die heutigen 50 Bundesstaaten.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Quellen: Angaben für die Eintrittsdaten: Udo Sautter, Die Vereinigten Staaten. Daten, Fakten, Dokumente, Tübingen 2000, S. 619 (Florida und West Virginia wurden geringfügig korrigiert); für die
Einwohnerzahlen 2010: US Census Bureau: Census 2010 resident people of states and D.C.; für
Einkommen 2010: Statistical abstract of the United States of America. Hg. vom US-Department of
Commerce, Washington 2012, S. 269
Emil Hübner / Ursula Münch, Das politische System der USA. Eine Einführung, 7., überarbeitete
und aktualisierte Auflage, © Verlag C. H. Beck, München 2013, S. 20 f. (Quellennachweis auf S. 176
unter 4)
28
Politisches System der USA
Kompetenzverteilung im föderalen System der USA
Bundeskompetenzen
Konkurrierende
Kompetenzen
Kompetenzen der
Einzelstaaten
¬ Währungsangelegenheiten
¬ Steuererhebung
¬ Organisation von
Wahlen
¬ Regulierung des Handels
mit anderen Nationen
und zwischen den
Einzelstaaten (interstate
commerce)
¬ Erhebung von Importzöllen
¬ Pflege der auswärtigen
Beziehungen und Abschluss von Verträgen
¬ Verabschiedung von
„notwendigen und
geeigneten“ Gesetzen
¬ Erklärung und Führung
von Kriegen
¬ Regulierung des Postwesens
¬ Enteignung zum
öffentlichen Nutzen
gegen entsprechende
Entschädigung
¬ Recht zur Kreditaufnahme
¬ Gründung von Banken
und Unternehmen
¬ Verabschiedung und
Durchsetzung von
Gesetzen
¬ Finanzierung der allgemeinen Wohlfahrt
¬ Einrichtung von Gerichtshöfen
¬ Regulierung des Handels
innerhalb des Einzelstaates (intrastate
commerce)
¬ Schutz der öffentlichen
Wohlfahrt, Sicherheit
und Sitten
¬ Etablierung einer republikanischen Regierungsform auf einzelstaatlicher und lokaler
Ebene
¬ alle Kompetenzen, die
nicht explizit dem Bund
zugewiesen bzw. den
Einzelstaaten vorenthalten sind
Quelle: Lee Epstein / Thomas G. Walker, Constitutional Law for a Changing America. A Short
Course, 3. Aufl., Washington D.C. 2005, S. 176; zitiert nach Wolfgang Welz, „Die bundeseinheitliche
Struktur“, in: Wolfgang Jäger u. a. (Hg.), Regierungssystem der USA, 3. Aufl., München / Wien:
Oldenbourg-Verlag 2007, S. 69-98, hier S. 73
Einzelstaaten entzogen werden, bei den Einzelstaaten liegen.
Weniger eindeutig sind jedoch jene Befugnisse, die aus den
enumerated powers abgeleitet werden können: namentlich
die impliziten, implied powers. Das sind insbesondere Kompetenzen, die Washington entsprechend der necessary and
proper clause in Form von „notwendigen und angemessenen“
Gesetzen für sich beansprucht, um seine verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten zu erfüllen. Auch die general welfare
clause, gemäß der die Zentralregierung für das Gemeinwohl
zu sorgen hat, ist vielfältig interpretierbar.
Bei Streitigkeiten zwischen Bundesstaat und Einzelstaaten
entscheidet der Supreme Court. Historische Grundsatzentscheidungen der Obersten Richter haben die Ausgestaltung
des Föderalismus maßgeblich bestimmt. Insbesondere nutzte
der Oberste Richter und überzeugte Federalist John Marshall
seine Amtszeit (1801-1835) dazu, die Generalklauseln (necessary and proper clause, general welfare clause, commerce clause)
zugunsten erweiterter Bundesvollmachten auszulegen. In
ihrer Urteilsfindung waren die Richter jedoch meistens von
sozioökonomischen Entwicklungen und politischen Entscheidungen beeinflusst oder haben diese sogar nachvollzogen
bzw. legitimiert (so Michael Bothe 1982, S. 144).
Als Reaktion auf nationale Krisen, etwa auf die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren, wurden die Bundeskompetenzen erweitert. So bereitete die „Große Depression“ den Weg
für den Sozialstaat. Um dem Marktversagen zu begegnen,
regulierte die Bundesregierung unter der Führung von Präsident Franklin D. Roosevelt in einem „New Deal“ neue Bereiche
(etwa die Finanzmärkte), kümmerte sich auch um die Fürsorge für arme, kranke und alte Menschen und übernahm Kompetenzen, die vorher den Einzelstaaten oblagen, zum Beispiel
Straßenbau, Ausbau der Energie- und Kommunikationsnetze
und andere Infrastrukturleistungen.
Der Bund unterstützt seitdem die zunehmend überforderten Einzelstaaten in ihren Aufgaben mit üppigen Geldzuweisungen (federal grants-in-aid). In den knapp vier Jahrzehnten
Office of Management and Budget, Budget of the United States Government, Fiscal Year 2013,
Historical Tables, Washington 2013, S. 251-252, http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/
omb/budget/fy2013/assets/hist.pdf
von 1930 bis 1968 stiegen die Bundeszuweisungen von 120
Millionen auf 19 Milliarden Dollar, wie Stephen J. Wayne u. a.
in „Conflict and Consensus in American Politics“, Belmont 2007,
S. 75 f. nachweisen. Im Zuge dieser Zusammenarbeit, des sogenannten cooperative federalism, wurde der von den Gründervätern angelegte Dualismus (dual federalism) überlagert.
Spätestens in den 1980er-Jahren fühlten sich jedoch viele
Einzelstaaten durch die „goldenen Zügel“ Washingtons gegängelt. Denn mit Hilfe des sogenannten Regulierungsföderalismus konnte der Bund in die Einzelstaaten „hineinregieren“,
etwa indem er die Sozial- und Infrastrukturhilfen nicht nur
mit Regulierungsauflagen verband, sondern die Mittel auch
nach parteipolitischen und wahltaktischen Erwägungen vergab. Da außer Vermont alle Einzelstaaten zu ausgeglichenen
Haushalten verpflichtet sind, das heißt keine Schulden machen dürfen, sind sie umso mehr vom Bund abhängig.
Mit seinem Dezentralisierungsprogramm des „New Federalism“ wollte Präsident Ronald Reagan dem „big government“,
das mit dem „New Deal“ Roosevelts geschaffen und von den
Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson ausgebaut
worden war, zu Leibe rücken. Die sogenannte devolution, das
heißt die Übertragung administrativer Verantwortung an die
Einzelstaaten, hat indes nicht viel bewirkt – im Gegenteil: Die
Bundeszuweisungen sind im Laufe der folgenden Jahrzehnte
weiter gestiegen, und sie sind restriktiver geworden: Ende der
1970er-Jahre machten die für spezifische Zwecke gebundenen
categorial grants drei Viertel und die allgemeinen, mit weitem
Verwendungsspielraum versehenen block grants ein Viertel
aus. In den 1990er-Jahren ist deren Anteil nach Berechnungen
von Wolfang Welz (2007) gar auf ein Zehntel geschmolzen. Der
Bund hat offensichtlich die „goldenen Zügel“ weiter gestrafft.
Denn zweckgebundene Zuwendungen helfen auch den Regierungsvertretern in Washington bei ihrer Wiederwahl: Die
Wohltaten für die Einzelstaaten bzw. Wahlkreise können damit
von den Wählern besser den federführenden Senatoren und
Abgeordneten zugerechnet werden.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
29
Schulden und Lasten – Herausforderungen für die Bundesstaaten
[…] Zu den Schulden, die Amerika zu
überrollen drohen, gehören die Lasten
der social security. Die staatliche Rentenpflichtversicherung für Angestellte
bildet die Grundabsicherung für
viele Amerikaner – für neun von zehn
Rentnern ist es die Haupteinnahmequelle. Derzeit erhalten 58 Millionen
eine social security-Rente. Diese Zahl
wird sich deutlich erhöhen, weil sich die
geburtenstarken Jahrgänge aufs Altenteil zurückziehen.
Doch die Beiträge der Versicherten
reichen bereits heute nicht mehr zur
Finanzierung aus. Seit Kurzem hat die
Rentenversicherung damit begonnen,
die Rentenauszahlungen aus ihrem
Treuhandfonds zu bezuschussen, der
als Sicherheit hinterlegt worden war.
Wenn es keine Reform gibt, wird nach
den Prognosen der social security-Behörde der Fonds bis 2033 ausgeschöpft
sein und eine Deckungslücke von
633 Milliarden Dollar klaffen. Bis 2045
wird diese Lücke auf über eine Billion
Dollar angestiegen sein.
Doch social security gilt in der amerikanischen Politik als third rail – das
ist die Strom führende Schiene der
Washingtoner U-Bahn: Wer sie anfasst,
ist sofort tot. Denn social security ist
eines der beliebtesten staatlichen Programme – selbst die junge Generation plädiert bei Umfragen für eine Beibehaltung des Systems. Obwohl die
unumgängliche Reform der Altersvorsorgesysteme sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern
immer wieder beschworen wird, liegen
bisher keine konkreten Vorschläge auf
dem Tisch. […]
Das Problem einfach wegzudrücken
können sich die Bundesstaaten nicht
mehr leisten. Je nach Hochrechnungen
liegen die Pensionszusagen von Bundesstaaten und Kommunen bei drei
Billionen Dollar, manche Experten halten eher vier Billionen für realistisch.
[…] Es gibt über 3000 Fonds in den USA,
aus denen Pensionen und Gesundheitsvorsorge für öffentlich Bedienstete –
vom Polizisten bis zum Universitätsprofessor – bezahlt werden.
Doch was die Altersversorgung der
27 Millionen Amerikaner im öffentlichen Dienst sichern sollte, hat sich als
Zeitbombe herausgestellt, die die
öffentlichen Kassen sprengt. Denn
wenn die Fonds schlecht wirtschaften,
muss der Steuerzahler die Lücken
schließen. Bei den Pensionsfonds der
Bundesstaaten klafft laut der jüngsten
Untersuchung des Washingtoner
Forschungsinstituts Pew Center on the
States zwischen Leistungszusagen
und dem Fondsvermögen eine Lücke
von knapp 1,4 Billionen Dollar. Städte
und Gemeinden haben zusätzlich eine
Deckungslücke von 217 Milliarden
Dollar. Noch alarmierender: Bei 34 der
50 Staatsfonds ist die Deckung unter
80 Prozent gerutscht, ein Wert, der als
kritisch für die langfristige Finanzierbarkeit gilt. […]
Wie sind die Fonds in diese Schieflage
geraten? Es war die Finanzkrise und
die anschließende Rezession. Doch die
Katastrophe hat sich lange angebahnt.
Attraktive öffentliche Altersbezüge
halfen öffentlichen Verwaltungen, im
Wettbewerb mit privaten Arbeitgebern
mitzuhalten, die mit höheren Gehältern und besseren Aufstiegschancen
lockten. Bald erkannten auch Kommunalpolitiker, dass sich Pensionsversprechen im Wahlkampf einsetzen
ließen. Vor allem Demokraten, die den
öffentlichen Gewerkschaften nahestehen, erwiesen sich als großzügig. […]
„Das System ist voller Interessenkonflikte“, sagt Kritiker Joe Nation. „Der
Steuerzahler kommt dabei regelmäßig
unter die Räder.“ Es half, dass die Erhöhungen scheinbar kostenlos zu haben
waren. Die zusätzlichen Ausgaben würden einfach durch höhere Anlagegewinne finanziert werden, erklärten die
Pensionsverwalter. Die Pensionsfonds
verabschiedeten sich von der konservativen Anlagestrategie ihrer Anfangszeiten, als sie fast ausschließlich auf
US-Staatsanleihen setzten. Tatsächlich
sind die Fonds heute mit die einflussreichsten Investoren der Wall Street, sie
kaufen Aktien, Immobilien und
stecken Milliarden in Hedgefonds und
Private-Equity-Gesellschaften.
Doch die Renditekalkulationen stellten
sich als übertrieben optimistisch
heraus. Immer wieder erlitten die Fonds
schwere Verluste. Die verheerende
Finanzkrise von 2008 riss Deckungslücken von historischen Ausmaßen auf,
die nun die Tragfähigkeit der Fonds
selbst infrage stellen. Um die Verluste
einigermaßen wettzumachen, müssen
die öffentlichen Kassen weit mehr als
zuvor in die Pensionsfonds abführen –
während die Kommunen und Bundesstaaten selbst noch immer unter den
Folgen der Wirtschaftskrise leiden. […]
„Je höher die Beiträge, desto weniger
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
bleibt für Schulen, Hospitäler, Straßen,
Bibliotheken“, sagt Steven Malanga
vom konservativen New Yorker Thinktank Manhattan Institute.
Seit sich die Folgen des Pensionsfiaskos bei den Wählern so direkt bemerkbar machen, reagieren auch die
Politiker. Es ist mächtig Bewegung in
die Reformen gekommen. Fast alle
Fonds haben begonnen, Leistungen zu
reduzieren. Einige […] haben ihr System
grundlegend geändert und zahlen
künftig Altersvorsorgezuschüsse, statt
eine feste Pension zuzusichern. Noch
ist unsicher, ob der große Pensionsschock so verhindert werden kann. […]
Heike Buchter, „Amerika auf der Klippe“, in: DIE ZEIT Nr. 10
vom 28. Februar 2013
Amerikanische Altlasten
Regierung, Bundesstaaten, Städte und
Firmen in den USA ächzen unter hohen
Verpflichtungen:
¬ 633 Milliarden Dollar werden der
staatlichen Pflichtversicherung Social
Security bis 2033 fehlen.
327 Milliarden Dollar groß ist die Lücke
bei den 100 US-Unternehmen mit
Betriebspensionskassen.
1,4 Billionen Dollar beträgt die Unterdeckung bei den Pensionsfonds der
Bundesstaaten.
217 Milliarden Dollar fehlen den
61 US-Metropolen, um ihre Pensionen
zu finanzieren.
630 Milliarden Dollar weitere Rückstellungen sind für die Pensionen von
Bundesbeamten erforderlich.
Quellen: CBO-Rechnungshof, FERS, Pew Center on the States,
Milliman
30
Politisches System der USA
Wettbewerbsverzerrungen bei Kongresswahlen
Temporale Kontrolle: Macht auf Zeit
durch Wahlen
Alle Macht geht vom Volke aus. Indem Macht nur für eine bestimmte Zeit gewährt wird, soll sie vom Volkssouverän unmittelbar kontrolliert werden können. So wird der US-Präsident
für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt; seit dem 22. Verfassungszusatz von 1951 ist die maximale Amtszeit auf zwei
Perioden – also acht Jahre – begrenzt. Die Amtszeit der 435
Repräsentanten des Abgeordnetenhauses beträgt zwei Jahre,
jene der 100 Senatoren sechs Jahre. Alle zwei Jahre steht ein
Drittel der Senatssitze zur Wiederwahl an. Während bei den
Kongresswahlen in den jeweiligen Wahlkreisen und Einzelstaaten wenig Wettbewerb zwischen den Parteien herrscht
und die Amtsinhaber hohe Wiederwahlchancen haben, ist die
Nation bei Präsidentschaftswahlen mittlerweile in zwei etwa
gleich große Lager gespalten.
Aktives Wahlrecht: Das Mindestalter
für das aktive Wahlrecht wurde mit
dem 1971 erlassenen 26. Verfassungszusatz von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Wahlberechtigt sind alle Männer und, seit dem
19. Verfassungszusatz von 1920, auch
Frauen. Wahlberechtigte müssen sich in
Wahlregister ihres Bundesstaates
bzw. Wahlkreises eintragen lassen. Dabei
muss man sich als potenzieller Wähler/
potenzielle Wählerin der Demokraten,
Republikaner oder als Unabhängiger identifizieren. Die Registrierung und Angabe der Parteipräferenz ist nötig, um
sich an den Vorwahlen beteiligen zu
können, in denen die Kandidaten der
Parteien gekürt werden. Bei geschlossenen Vorwahlen (closed primaries) dürfen nur Wählerinnen und Wähler
teilnehmen, die sich als Anhängerinnen
bzw. Anhänger der jeweiligen Partei
registriert haben. Bei offenen Vorwahlen
(open primaries) hingegen darf jeder
registrierte Wähler teilnehmen. Da die
Organisation der Wahlen – auch von denen der nationalen Ebene – im Kompetenzbereich der Einzelstaaten liegt (siehe
S. 27 f.), gibt es kein einheitliches, bundesweites Wahlverfahren. In der heutigen
Praxis gelten vielfältige Einzelbestimmungen, etwa bei der Registrierung und
technischen Durchführung von Wahlen.
Die mancherorts für US-amerikanische
Verhältnisse hohen Auflagen (etwa
die Pflicht, einen gültigen Ausweis oder
Urkunden vorzulegen) hemmen die
Wahlbeteiligung, insbesondere jene sozial
schwacher Schichten. Mit dem Urteil
des Supreme Court im Juni 2013 im Fall
Shelby County v. Holder (siehe S. 6 u. 26)
ist diese Problematik erneut zum
Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen geworden, nicht zuletzt zwischen dem Bund und den Einzelstaaten.
Passives Wahlrecht: Die Auflagen für
das Recht, gewählt zu werden, sind
je nach Amt verschieden: Das Mindestalter, um Präsident zu werden, beträgt
35 Jahre, Senatoren müssen 30, Abgeordnete mindestens 25 Jahre alt sein.
Um sich für das höchste Amt im Staate,
die Präsidentschaft, zu bewerben,
muss der Kandidat oder die Kandidatin
die US-amerikanische Staatsangehörigkeit von Geburt an besitzen und
in den zurückliegenden 14 Jahren in
den USA gelebt haben.
AP Photo / The Herald-Palladium, Don Campbell
Aktives und passives
Wahlrecht
Kritische Beobachter fordern seit längerem ein sogenanntes
term limit, sprich eine maximale Amtsdauer von Mitgliedern
des Kongresses, um mehr Wettbewerb bei den Wahlen zu ermöglichen. Denn nur Sitze, die frei werden (open seats) – wenn
ein Abgeordneter oder Senator etwa aus Altersgründen nicht
mehr zur Wiederwahl antritt –, sind wirklich umstritten. Die
Amtsinhaber (incumbents) genießen einen Amtsbonus aufgrund ihres Bekanntheitsgrades, ihrer Erfahrung sowie ihrer
Wohltaten in ihren Wahlkreisen bzw. Einzelstaaten während
ihrer bisherigen Mandatstätigkeit. Zudem gehen die üppigen
Wahlkampfzuwendungen von Interessengruppen ungeachtet
der Parteizugehörigkeit fast ausschließlich an die incumbents,
Herausforderer haben somit nur Außenseiterchancen. Die Wiederwahlquote von Amtsinhabern im Abgeordnetenhaus liegt
seit vier Jahrzehnten über 90 Prozent (mit einer Ausnahme,
2010: 85 Prozent); sie lag in vielen Wahlzyklen sogar bei 98 Prozent. Auch im Senat ist seit Anfang der 1980er-Jahre die Tendenz
steigend; 2012 konnten nach Angaben des Center for Responsive
Politics (2013) 91 Prozent der Amtsinhaber ihre Herausforderer
abwehren (www.opensecrets.org/bigpicture/reelect.php).
Der Wettbewerb bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus
wird zudem durch das Zuschneiden der Wahlkreise einge-
In einem College im US-Bundesstaat Michigan helfen Freiwillige im September 2012 beim Eintrag in
das Wahlregister. Die Registrierung (zum Teil zuzüglich der Angabe von Parteipräferenzen) berechtigt zur Teilnahme an den Vorwahlen, deren Organisation in die Kompetenz der Einzelstaaten fällt.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
schränkt. Nach jeder alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung sind die Parlamente und/oder Regierungen der Einzelstaaten angehalten, die Wahlkreisgrenzen für die Wahl
ihrer Repräsentanten in Washington den demografischen
Entwicklungen anzupassen. Dabei versuchen diese seit jeher,
Vorteile für die eigene Partei herauszuschlagen. Seitdem der
Gouverneur von Massachusetts, Elbridge Gerry, Anfang des
19. Jahrhunderts einen Wahlkreis derart zuschnitt, dass er –
wie ein zeitgenössischer Zeitungskarikaturist ironisch bemerkte – wie ein Salamander aussah, wird diese Manipulation
als „gerrymandering“ bezeichnet (eine Kombination aus „Gerry“ und dem Wortende von „Salamander“). Mittlerweile ist
die Technik des Zuschneidens derart verfeinert worden, dass
in vielen Wahlkreisen der eigentliche Wettbewerb nicht mehr
zwischen den Parteien, sondern innerhalb des jeweiligen Lagers ausgetragen wird.
Zudem grenzen sich die Lebensräume der beiden politischen Lager immer stärker voneinander ab. Viele US-Amerikaner wählen ihren Wohnort nach sozialen, ethnischen, religiö-
Getrennte Welten
[...] In Chelsea, wo der Hilfspolizist Robert
Burnett lebt, wählt fast jeder die Republikaner. [...] Im Süden der Bronx, wo
Michael Gonzalez lebt, wählen fast
alle die Demokraten. [...]
Die Nation sortiert sich. Amerikaner
sind beweglich, und wann immer sie umziehen, streben sie wenn möglich dorthin, wo Menschen denken und fühlen wie
sie. Republikaner, so haben Sozialforscher
ermittelt, wünschen große Vorgärten,
Steakhäuser, Golfplätze und einen evangelikalen Pastor. Demokraten bevorzugen
städtische Biotope, Supermärkte mit
Ökokost, Yoga-Kurse und sozial engagierte Kirchengemeinden – oder auch gar
keine Kirchengemeinden.
Das Land hat die Rassentrennung überwunden, stattdessen grassiert nun die
politische Segregation von Roten (Republikanern) und Blauen (Demokraten). Die
Gesellschaft verklumpt zu Haufen von
Gleichgesinnten. 1976 lebte nur ein gutes
Viertel aller Amerikaner in sogenannten
Landslide Countys, also in Landkreisen, in
denen stets dieselbe Partei mit mindestens
20 Prozentpunkten Vorsprung gewinnt.
Inzwischen wohnt fast die Hälfte aller Amerikaner in solchen Gegenden. Wer anders
denkt, lebt woanders.
Es ist dies der Nährboden, auf dem die
Großparteien gedeihen; sie ähneln
mehr und mehr reinrassigen Stämmen.
Wer von der politischen Lehre abweicht,
wer zum Kompromiss mit dem Gegner
mahnt, gilt als unzuverlässig. Wer zum
anderen Lager gehört, der lebt in Feindesland, im anderen Amerika.
Hilfspolizist Robert Burnett stammt aus
Birmingham, Alabama, der verkommenen Stahlstadt mit der landesweit siebthöchsten Mordrate. „Als wir dann die
Häuser hier draußen in Chelsea gesehen
haben, haben wir uns in die Gegend
verliebt“, erinnert er sich, „hier können die
Kinder unbeschwert auf der Straße spielen. Wie früher.“
Vor 15 Jahren war Chelsea noch ein Weiler mit 900 Einwohnern. An die alte
Zeit erinnert heute eine weiß getünchte
Holzbaracke, deren windschiefe Front
„Gottes Segen für Amerika“ erbittet. Einst
war dies der einzige Laden weit und breit.
Inzwischen hat sich die Anzahl der Einwohner verzwanzigfacht. Die Menschen
finden hier: ein preiswertes Haus, einen
gepflegten Rasen, kaum Kriminalität, den
Walmart am Highway 280. Eine kleinbürgerliche Idylle, erschaffen am Reißbrett.
„Dies ist das rote Amerika“, sagt Burnett. Republikanisches Gebiet. Konservativ
zu fühlen ist hier draußen so selbstverständlich wie Fan der „Crimson Tide“ zu
sein, des Football-Teams der Universität
von Alabama. Die Weißen hier haben die
Stahlstadt Birmingham hinter sich gelassen, auch die Schwarzen, die dort leben
mit ihren Problemen und die, natürlich in
ihrem eigenen Wahlkreis, stramm demokratisch wählen. „White Flight“, heißt das.
Die weiße Flucht.
In der Bronx ist es Mitte des vergangenen Jahrhunderts geschehen. Die Weißen
zogen weg, es blieben fast nur Schwarze
und Latinos. Die Familie von Michael
Gonzalez stammt aus Puerto Rico, er ist im
Sozialbauviertel Hunts Point aufgewachsen, im Süden der Bronx. „Die schlimmste
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
31
Elkanah Tisdale, publiziert am 26. März 1812
in der Boston Gazette (Quelle: wikimedia)
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
aller schlimmen Gegenden Amerikas“,
sagt er. Vor allem in den 1980er-Jahren.
Nutten, Drogen, Gewalt. Wer hier groß
wird, „lernt die Straße“, wie er sagt.
Als er 15 war, ging Gonzalez in einen
Blumenladen und bat um eine Putzstelle. Er blieb sechs Jahre, und am Ende
verstand er das Geschäft besser als die
Inhaber. Dann führte er einen Laden im
Süden Manhattans, und als er auch dort
nichts mehr lernen konnte, machte er sich
selbstständig. Er belieferte die Premierenfeiern des Bezahlsenders HBO. „Sex and
the City“, „The Sopranos“. [...]
Es ist eine kleine Erfolgsgeschichte aus
der South Bronx, in der noch immer
40 Prozent der Menschen in Armut leben,
wo fast jeder Zweite es nicht auf die High
School geschafft hat, wo fast jeder Zweite
Angst hat davor, die Miete nicht mehr
bezahlen zu können und auf der Straße
zu landen.
[...] [S]eit der Wirtschaftskrise leben die
Gebeutelten nicht mehr nur in den
blauen Wahlkreisen, sondern auch in den
roten. [...]
„Wer in der Bronx aufwächst“, sagt
Gonzalez, „der lernt schon in der Schule,
dass die Demokraten für die Armen
kämpfen und die Republikaner für die
Reichen.“ Es ist ein Naturgesetz, es wird
weitergegeben von einer Generation an
die nächste, und Gonzalez wird es auch
an seinen Sohn weitergeben. Demokrat
oder Republikaner, das ist mehr als
Parteizugehörigkeit, es ist Identität und
Lebensgefühl. […]
Nicolas Richter / Christian Wernicke „Du bist hier in meinem
Land“, in: Süddeutsche Zeitung vom 5. November 2012
Politisches System der USA
sen und politischen Kriterien, sie lassen sich dort nieder, wo
sie Gleichgesinnte vermuten. Damit werden die Wahlkreise
homogener. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Demokratischen oder Republikanischen „Inseln“ haben so noch weniger Möglichkeiten, sich im Alltag mit der Meinung anders
Denkender auseinanderzusetzen, zumal viele auch aufgrund
ihrer Berufswahl und ihres Medienkonsums in verschiedenen
Welten leben.
Diese beiden Entwicklungen, das politische gerrymandering
und die gesellschaftliche Abgrenzung, haben dazu beigetragen, dass sich in den Vorwahlen immer mehr Kandidaten mit
extremen Positionen durchgesetzt haben, weil sie nunmehr
alles daran setzen mussten, den harten Kern der homogeneren
eigenen Wählerschaft, die sogenannte Basis (base), anzusprechen und sich weniger um heterogenere und gemäßigtere
Wählerschaften der Mitte bemühen müssen. Die so gewählten Repräsentanten sind bei ihrer Tätigkeit im Parlament
dann auch gut beraten, extreme Positionen zu vertreten. Sie
haben keine Anreize, in der Gesetzgebung die nötigen Kompromisse mit dem anderen Lager einzugehen, weil sie damit
Gefahr laufen, bei der nächsten Vorwahl von einem parteiinternen Herausforderer angegriffen zu werden, der vorgibt, die
Interessen des Wahlkreises kompromissloser zu vertreten. Die
sogenannte Polarisierung, das Auseinanderdriften der Positionen in der politischen Auseinandersetzung im Abgeordnetenhaus, hat demnach auch strukturelle, im Wahlsystem und in
der Gesellschaft angelegte Gründe.
Präsidentschaftswahlen: die 50-50-Nation
Hingegen ist bei den Präsidentschaftswahlen der Wettbewerb
zwischen den beiden Parteilagern sehr viel härter. Die USA scheinen sich zu einer „50-50-Nation“ entwickelt zu haben. Seit den
Wahlen von 1984, bei denen der Republikaner Ronald Reagan
seinen Demokratischen Herausforderer Walter Mondale deklassierte, gab es keinen Sieger mehr, der viel mehr als 53 Prozent
der Stimmen auf sich vereinen konnte. Einige haben sogar mit
weniger als der Hälfte der abgegebenen Stimmen (popular vote)
gewonnen, so zwei Mal Bill Clinton (1992 und 1996) sowie George
W. Bush (2000). Wenn man bedenkt, dass die Wahlbeteiligung in
Gerhard Mester / Baaske Cartoons
32
Kongress: Konfrontation statt Kooperation
Viele Europäer glauben an den Niedergang der Vereinigten Staaten – sie
denken dabei an verrottete Infrastruktur, sozialen Zerfall und den am Ende
unvermeidlichen Kollaps einer überanstrengten Militärmacht. Das ist eine
irreführende Fantasie. Amerika kann
immer noch viele Ressourcen für seine
Zukunft mobilisieren – eine Spitzenforschung ohnegleichen, seine Attraktivität
für Einwanderer aus aller Welt, eine
dynamische Wirtschaft mit den führenden Konzernen der digitalen Ökonomie. Als Land sind die USA ziemlich stark.
Aber auch als Staat? Die wirklichen
amerikanischen Schwächen sind die zerrüttete politische Kultur und das funktionsschwache politische System, bis hin
zur Gefahr der Regierungsunfähigkeit.
Das Washingtoner Drama dieser Tage
[im Januar 2013] um die „Fiskalklippe“
hat die Risiken gezeigt. […]
Die Unversöhnlichkeit, die das Regieren in den USA inzwischen so schwer
macht, ein Klima, in dem der Kompromiss
als Verrat und die Halsstarrigkeit als
prinzipienfeste Tugend gilt – von außen
wirkt das wie der Gipfel der Irrationalität. Die Feindseligkeit folgt aber ihrer
eigenen zerstörerischen Logik.
Diese Logik hat eine ideologische Seite:
die immer stärkere Polarisierung der
amerikanischen Politik. Vor allem die Republikaner sind nicht mehr die breit
aufgestellte Mitte-rechts-Partei, die sie
lange waren. Die Republikaner von
heute sind eine überzeugungsstarke, hochdisziplinierte Kampftruppe, die mit echter Inbrunst an ihren Doktrinen (von der
Schrumpfung des Wohlfahrtsstaats
bis zum Verbot der Schwulenehe) festhält.
Bei den Demokraten ist die Ideologisierung weniger schrill, die parteiliche Sturheit aber ebenfalls beträchtlich; Zweifel
am Segen des öffentlichen Dienstes oder
an großzügigen Konjunkturprogrammen sind unter Linksliberalen weithin
unerwünscht.
Ihre eigentliche Brisanz bekommt die
Polarisierung jedoch erst dadurch, dass
sie sich auch machtpolitisch auszahlt.
Mehr und mehr Abgeordnete stammen
aus gleichsam einfarbigen Wahlkreisen, überwältigend republikanisch oder
vorherrschend demokratisch; sie haben
weniger den hoffnungslos unterlegenen
Gegenkandidaten der anderen Partei
zu fürchten als mögliche Herausforderer
im eigenen Lager. Sie müssen nicht
durch Kompromissfähigkeit um die po-
litische Mitte werben, sondern durch
Linientreue die Rechtgläubigen bei
der Stange halten – eine Prämie auf Dogmatismus und Extremismus. […]
Gehässige Polarisierung ist immer unschön. In den Vereinigten Staaten
aber ist sie gefährlich. Denn stärker als
die meisten politischen Systeme ist
das amerikanische auf Kooperation und
Überparteilichkeit ausgerichtet. Hier
lässt sich nicht „durchregieren“: Der direkt gewählte Präsident und die ebenso direkt gewählten Abgeordneten bilden
fast automatisch unabhängige, selbstständige Machtzentren; eine clubartig
verfasste Parlamentskammer wie der
Senat kann überhaupt nur funktionieren, wenn ihre Mitglieder miteinander
auskommen und geschäftsfähig sind.
Dass der Kongress im Angesicht der „Fiskalklippe“ immerhin einen Minimalkompromiss zustande gebracht hat, zeigt
hoffentlich, dass die Vorräte an Staatsbürgersinn noch nicht ganz aufgebraucht
sind. Aber die USA werden mehr, viel
mehr davon brauchen. Und das selbst
krisenbedrohte Europa muss zuschauen
und die Daumen drücken.
Jan Ross, „Unter Feinden“, in: DIE ZEIT Nr. 2 vom 3. Januar 2013
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
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den USA seit den 1970er-Jahren meistens unter 60 Prozent lag,
häufig sogar nur etwa 50 Prozent betrug, kann sich jeder neu gewählte Präsident jeweils nur auf ein begrenztes Wählermandat
von etwa einem Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung berufen. Es war also doch etwas befremdlich, als nach der knappen
Wiederwahl Obamas, die aufgrund von Feinheiten des Wahlsystems deutlicher ausfiel als erwartet, in den Medien ein „erdrutschartiger Sieg“ (landslide victory) gefeiert wurde.
Auf den Amtsinhaber Barack Obama fielen bei seiner Wiederwahl 2012 gut 51 Prozent der abgegebenen Stimmen, sein
Herausforderer Mitt Romney erhielt etwas mehr als 47 Prozent. Die popular vote ist jedoch nicht wahlentscheidend.
Denn sonst hätte bei der Wahl 2000 Al Gore gewonnen, als er
insgesamt etwa 544 000 Stimmen mehr für sich verbuchen
konnte als George W. Bush. Ausschlaggebend ist die Mehrheit
im Wahlmänner- und Wahlfrauenkollegium (electoral college).
Mit zwei Ausnahmen – Maine und Nebraska, die ihre Stimmen entsprechend den Mehrheiten in kleineren Einheiten
(Wahlkreisen) auf beide Kandidaten verteilen – erhält der Gewinner eines Einzelstaates alle Wahlmännerstimmen, die dieser zu vergeben hat: „The winner takes it all“ lautet das Prinzip.
Gewählt ist schließlich derjenige, der mindestens 270 Stimmen, also mehr als die Hälfte der zu vergebenden 538 Wahlmännerstimmen, erzielt.
Bevölkerungsreiche Staaten zählen mehr als spärlich besiedelte: So entsendet Kalifornien 55, Montana dagegen nur drei
Wahlmänner ins Kollegium. Letzten Endes ist jedoch weniger
die Größe der Einzelstaaten als vielmehr ein anderes Kriterium von Bedeutung: Da aufgrund des bisherigen Wählerverhaltens viele Staaten ohnehin als vergeben anzusehen sind
(zum Beispiel gehen die Wahlmännerstimmen Kaliforniens
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
33
* U.S. Electoral College, http://www.archives.gov/federal-register/electoral-college/historical.html
und New Yorks regelmäßig an die Demokraten, die Stimmen
von Texas an die Republikaner), sind nur einige hart umkämpfte Einzelstaaten (battleground states) wirklich wahlentscheidend. Das sind vor allem solche, die in der Vergangenheit
zwischen den beiden Parteien hin- und hergependelt sind und
deshalb auch als swing states bezeichnet werden.
Während die meisten Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika von den Wahlkampagnen mehr oder
weniger unbehelligt bleiben, konzentriert sich die Aufmerksamkeit und geballte Finanzkraft der Präsidentschaftskandidaten und der sie unterstützenden sogenannten externen
Organisationen auf ein Dutzend hart umkämpfter Staaten:
Florida (mit 29 Wahlmännerstimmen), Pennsylvania (20), Ohio
(18), Michigan (16), North Carolina (15), Virginia (13), Wisconsin
(10), Iowa (6), Colorado (9) Nevada (6), New Mexico (5) und New
Hampshire (4). Um aussagekräftige Prognosen zu gewinnen,
sollte man sich daher weniger – wie in Deutschland üblich –
auf nationale Umfragen stützen, sondern auf jene Einzelstaaten konzentrieren, die letzten Endes ausschlaggebend sind.
Geteilte Regierung
Was viele auch nicht auf dem (Fernseh-)Schirm haben, die nur
alle vier Jahre das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Präsidentschaftskandidaten verfolgen: Mindestens genauso wichtig
wie der Wettkampf um das Weiße Haus sind die Kongresswahlen. 435 Sitze im Abgeordnetenhaus und ein Drittel des
100-köpfigen Senats stehen alle zwei Jahre zur Wiederwahl.
Mit den Zwischenwahlen, das heißt den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und Senat, die nicht mit den Präsidentschafts-
Politisches System der USA
wahlen zusammenfallen und somit zwei Jahre nach Beginn
der Amtszeit des Präsidenten stattfinden, können die Wählerinnen und Wähler den Spielraum der Exekutive einmal mehr
in ihrem Sinne beeinflussen: indem sie dem Präsidenten zu
Mehrheiten seiner Partei in beiden Kammern des Kongresses,
also zu einem unified government, verhelfen, oder aber ihn
durch ein divided government hemmen. Bei dieser Konstellation wird mindestens eine Kammer des Kongresses von der
anderen Partei kontrolliert.
Ob die Wählerinnen und Wähler bei ihrer Entscheidung
wirklich die Gewaltenkontrolle im Sinn haben, ist jedoch fraglich. Vielmehr dürften sie ihre Abgeordneten und Senatoren
nach ihren Fähigkeiten und Leistungen beurteilen, um so die
wirtschaftliche und soziale Lage in ihrem Wahlkreis bzw. Einzelstaat zu verbessern – nach Kriterien also, die die Wählerschaft unmittelbar persönlich betreffen.
Die Wahlen 2008, 2010, 2012:
It’s the Economy, Stupid!
Barack Obama wurde 2008 nicht zum Präsidenten gewählt,
weil er als der stärkere Oberbefehlshaber galt, sondern weil
man ihm eher als seinem Herausforderer (und Irakkiegsbefürworter) Senator John McCain zutraute, das Land aus der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er-Jahren zu
führen. Mit der kritischen Wirtschaftslage rückten die Kriegsschauplätze im Globalen Krieg gegen den Terror, insbesondere
im Irak und in Afghanistan, in der Wahrnehmung der meisten
US-Amerikaner in weite Ferne. Anders als noch bei der vom
Sicherheitsthema dominierten Wiederwahl George W. Bushs
trieben im Wahlkampf 2008 nunmehr die Sorgen um die hohen
Energiepreise und die prekäre wirtschaftliche Situation die USWählerinnen und -Wähler um. Weitaus häufiger als außenpolitische Themen wie Irak oder Terrorismus wurden in Meinungsumfragen innenpolitische Belange wie Wirtschaft, Ausbildung,
Arbeitsplätze, Gesundheitsfürsorge, Energie und soziale Sicherung als ausschlaggebend für das Abstimmungsverhalten im
November 2008 genannt, wie eine Umfrage des Pew Research
Center, zitiert in: CQ Weekly vom 9. Juni 2008 (S. 1512), ergab. Differenzierte Analysen im Vorfeld der Wahlen zeigten, dass jene
Wähler, denen Wirtschaftsthemen am wichtigsten waren, den
designierten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Senator Barack Obama, klar dem Bewerber der Republikaner, Senator John McCain, vorzogen (Friedl und Gilbert 2008).
Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage und der
akuten oder drohenden Arbeitslosigkeit fühlten sich Angehörige der amerikanischen Mittelschicht besonders verunsichert. Wie 1992 Bill Clinton konnte 2008 Barack Obama die
prekäre soziale und wirtschaftliche Lage bei den Präsidentschaftswahlen in einen politischen Vorteil ummünzen. Obama sensibilisierte die mittleren und unteren Einkommensschichten für wirtschaftspolitische Themen und mobilisierte
nicht zuletzt auch Minderheiten, sprich afroamerikanische
und hispanische Wähler, für seine wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele. Aus gutem Grund: Laut den offiziellen Statistiken des U.S. Department of Commerce (zitiert in: U.S. Census
Bureau 2011, S. 14 f.) lebt ein Drittel der Afroamerikaner und
Latinos unterhalb der Armutsgrenze. Sie sind von „Nahrungsmittelunsicherheit“ betroffen, wie es im sozialstatistischen
Sprachgebrauch beschönigend heißt. Mit anderen Worten:
Sie leiden Hunger, ja sie können sogar ihre Kinder nicht mehr
richtig ernähren. Vonseiten der afroamerikanischen Bevölkerung hat Obama laut der Zeitschrift The Economist vom
6. November 2008 denn auch 95 Prozent der Stimmen erhalten. Ebenso konnte er bei der mittlerweile größten Minderheit, den Latinos, den Wähleranteil der Demokraten merklich
erhöhen. Obama gewann über zwei Drittel der Stimmen hispanischer Wähler, die in vielen battleground states wie Florida, New Mexico und Colorado den Ausschlag gaben.
Das Erfolgsrezept war einfach: „Erst kommt das Fressen,
dann kommt die Moral!“, könnte man es mit Bertolt Brechts
Worten auf den Punkt bringen. Die Demokraten verstanden,
dass in prekären Zeiten moralische Themen zweitrangig sind
und es zunächst um das nackte wirtschaftliche Überleben,
um Arbeitsplätze oder soziale Leistungen geht. Dabei gelang
es Obamas Wahlkämpfern, den auf sexualmoralische Themen
wie Abtreibung und Homoehe fixierten Christlich Rechten
und Republikanern eine alternative Deutung von „moral issues“ entgegenzuhalten: Neue Graswurzelorganisationen der
religiösen Linken haben im Sinne der katholischen Soziallehre
auch Armutsbekämpfung, Bildung, Krankenversicherung und
Alterssicherung als moralische Themen definiert.
Seit seiner Amtsübernahme im Januar 2009 steht Präsident Obama nunmehr in der Pflicht, zu handeln und seine
Thomas Plaßmann / Baaske Cartoons
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Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
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wirtschafts- und sozialpolitischen Versprechen einzulösen.
Teilweise bereits mit Erfolg: Anders als sein Demokratischer
Vorgänger Bill Clinton (1993-2001) und die damals in diesem
Politikfeld federführende First Lady Hillary Clinton, die an einer umfassenden Gesundheitsreform scheiterten, gelang es
Präsident Obama, dem Kongress eine Jahrhundertreform abzuringen. Unter anderem konnte er durchsetzen, dass den 45
Millionen bis dato nicht bzw. den 16 Millionen unterversicherten (Klein 2007) US-Amerikanern eine Krankengrundversicherung gewährt wird. Seit den Kongresswahlen 2010 ist jedoch
seine Handlungsfähigkeit enorm eingeschränkt.
Auch bei den Zwischenwahlen im November 2010 – bei denen nicht der Präsident, sondern der Kongress, sprich alle 435
Repräsentanten des Abgeordnetenhauses und ein „Drittel“
(37) der Senatoren zur Wahl standen – gab die prekäre wirtschaftliche Lage den Ausschlag. Sechs von zehn Wählern (62
Prozent) erklärten in den Umfragen unmittelbar nach dem
Wahlgang laut den exit polls des Nachrichtensenders CNN
vom 3. November 2010, dass wirtschaftliche Probleme ihre
Hauptmotivation waren, gefolgt von der umstrittenen Gesundheitsreform (18 Prozent) und der illegalen Einwanderung
(8 Prozent). Außenpolitik blieb außen vor: Nur acht Prozent
der US-Bevölkerung hat der Krieg in Afghanistan umgetrieben. Da eine schnelle Besserung der US-Wirtschaft in den vergangenen Jahren ausgeblieben war, verloren die Demokraten
das Abgeordnetenhaus an die Republikaner und sechs Sitze
im Senat. Damit hatten sie zwar noch die einfache Mehrheit
in dieser zweiten Kammer des Kongresses verteidigt, aber die
qualifizierte Mehrheit (von 60 Stimmen) verfehlt, die nötig ist,
um Blockademanöver (filibuster) abzuwenden.
Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 waren wirtschaftliche
und soziale Themen einmal mehr wahlentscheidend. Selbst in
der für außenpolitische Themen angesetzten dritten Fernsehdebatte kamen Amtsinhaber Obama und sein Herausforderer Mitt
Romney sehr schnell auf die inneren, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen der Weltmacht zu sprechen. Beide wollten sich
dafür einsetzen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Doch
während Obama in Aussicht stellte, mehr Geld für Bildung und
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Sozialausgaben in die Hand zu nehmen und dafür den Verteidigungsetat zu kürzen, versprach Romney, die Gesundheitsreform
Obamas rückgängig zu machen, Sozialleistungen zu kürzen und
die enormen Militärausgaben beizubehalten.
Als Amtsinhaber, dem in den zurückliegenden vier Jahren
keine Verbesserung der nach wie vor prekären wirtschaftlichen Entwicklung gelungen war, war Präsident Obama
bestrebt zu verhindern, dass sein Gegner aus der Wahl ein
Referendum über die wirtschaftliche Situation machte. Denn
kein Präsident seit Franklin D. Roosevelt war (bisher) wiedergewählt worden, wenn er eine derartig schlechte wirtschaftliche Lage zu verantworten hatte. Deshalb schärfte Obama
sein Profil als ehemaliger Sozialarbeiter, der sich auch als
Politiker um jene kümmert, die durch die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise sozial umso mehr beeinträchtigt
wurden. Mit einer heftigen Negativkampagne, die mit großem Risiko und hohen Kosten verbunden war, wurde der
Herausforderer Romney sehr früh attackiert, als er, vom
Vorwahlkampf noch geschwächt und finanziell fast ausgebrannt, versuchte, zu Beginn des Hauptwahlkampfes gegen
Obama inhaltlich wieder in die politische Mitte zu rücken.
Romney wurde als eiskalter Wirtschaftsmanager stigmatisiert, der, abgehoben von den Sorgen und Bedürfnissen der
einfachen Wählerinnen und Wähler, nur das große Geld im
Sinn habe. Die Obama-Strategen widerstanden dabei der
Versuchung, Romney – so wie zuvor seine parteiinternen
Widersacher im Vorwahlkampf – als Wendehals (flip flopper), der häufig seine politischen Überzeugungen wechselt,
zu brandmarken. Schließlich hatte Romney als Gouverneur
des liberalen Einzelstaates Massachusetts durchaus sozialverträglich regiert und hätte das auch als Präsident weiterführen können. Das Stigma des abgehobenen Finanzhais
blieb an Romney haften, zumal dieser den Demokraten auch
noch den Gefallen tat, in einer heimlich vom Obama-Team
mitgeschnittenen Rede für Finanziers seines Wahlkampfes
„47 Prozent“ der Wählerinnen und Wähler als Sozialschmarotzer abzuschreiben, um die er sich als Kandidat ohnehin
nicht zu bemühen brauche.
36
Politisches System der USA
Wahlentscheidende Faktoren bei den
Präsidentschaftswahlen 2012
Anteil (in %)
der Wähler
ObamaWähler
Anteil der Gesamtstimmen
RomneyWähler
Die Ergebnisse der Wahlen, insbesondere ihre differenzierte
Analyse, sprachen für den Erfolg der Obama-Strategie. Wähler
mit niedrigerem Einkommen, die das bestehende Wirtschaftssystem als ungerecht empfanden, stimmten mehrheitlich für
Obama. Er verdankte seine Wiederwahl insbesondere den
sozial benachteiligten Hispanics (die auch als Latinos bezeichnet werden) und den afroamerikanischen Wählerinnen und
Wählern. Die Minderheiten machen mittlerweile knapp ein
Viertel der Wählerschaft aus und bildeten einmal mehr einen
geschlossenen Wählerblock für Obama.
Ob Obama die prekäre soziale Lage in seiner zweiten Amtszeit verbessern kann, bleibt jedoch fraglich. Bereits vor der
Wahl im November 2012 war abzusehen, dass auch der nächste Präsident wieder mindestens von einer Kammer des Kongresses blockiert werden würde: entweder Romney durch
den Senat oder Obama weiterhin von der Republikanischen
Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Die Ergebnisse der Kongresswahlen bestätigten die Prognosen mehr oder weniger unveränderter Mehrheitsverhältnisse und zementierten damit den
bestehenden Politikstau (gridlock).
Künftig werden die Grabenkämpfe zwischen Präsident und
Kongress wohl noch heftiger, weil sich beide, der Demokrat
Obama und die Republikaner im Kongress, durch ihr neues Wählermandat in ihrer bisherigen politischen Konfrontationshaltung bestätigt fühlen. Nicht einmal beim Thema
Einwanderungsreform konnte bislang eine Einigung erzielt
werden, obwohl es unter den Konservativen bereits einige
Vordenker wie den Kolumnisten David Brooks gibt, der die Blockadehaltung der Republikaner bei der Einwanderungsreform
im Hinblick auf künftige Wahlen als „politischen Selbstmord“
bezeichnet.
50
48
47
53
45
55
52
44
Ethnische Zugehörigkeit
Weiße
Afroamerikaner
Hispanics
Asiaten
72
13
10
3
39
93
71
73
59
6
27
26
Alter
18-29 Jahre alt
30-44
45-64
65 und älter
19
27
38
16
60
52
47
44
37
45
51
56
Parteiidentifikation
Republikaner
Demokrat
Unabhängige
32
38
29
6
92
45
93
7
50
Familieneinkommen (2011)
Weniger als 50 000 Dollar
50 000 bis 99 999
100 000 und mehr
41
31
28
60
46
44
38
52
54
Finanzielle Lage der Familie im Vergleich
zu vor vier Jahren
Besser
Schlechter
Gleich
25
33
41
84
18
58
15
80
40
Wichtigstes Thema/Problemfeld
Außenpolitik
Haushaltsdefizit
Wirtschaft
Gesundheitsversorgung
5
15
59
18
56
32
47
75
33
66
51
24
Größtes, einen persönlich betreffendes
Wirtschaftsproblem
Immobilienmarkt
Arbeitslosigkeit
Steuern
Steigende Preise
8
38
14
37
63
54
32
49
32
44
66
49
Beurteilung der wirtschaftlichen Lage
Exzellent oder gut
Nicht so gut oder schlecht
23
77
90
38
9
60
Ausblick: Die Weißen in der Minderheit
Erwartung der wirtschaftlichen Entwicklung
Wird besser
Wird schlechter
Bleibt gleich
39
30
29
88
9
40
9
90
57
Hat mehr Wirtschaftskompetenz
Barack Obama
Mitt Romney
48
49
98
4
1
94
Wirtschaftssystem
Begünstigt die Wohlhabenden
Ist gerecht
55
39
71
22
26
77
Steuererhöhungen, um Haushaltsdefizit
zu reduzieren
Ja
Nein
33
63
73
37
24
61
Bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2016 werden
die nächsten Demokratischen und Republikanischen Spitzenkandidaten ihre persönliche Partei-Plattform festlegen.
Schon lange Zeit vor dem eigentlichen Wahlkampf gilt es für
die Aspiranten, Spenden zu sammeln und ein Netzwerk von
Unterstützern zu knüpfen. Dabei wären auch die Wahlkämpfer der Republikaner gut beraten, bereits im Vorwahlkampf
endlich die Latinos als wichtige Wählergruppe zu berücksichtigen.
Der vorläufig letzte Republikanische Präsident, George W.
Bush, erzielte ein überdurchschnittlich gutes Wahlergebnis
bei der hispanischen Bevölkerung, weil er diese in religiöser
Hinsicht und in ihrer Muttersprache anzusprechen wusste.
Die (vorläufig) letzten beiden Verlierer, John McCain und Mitt
Romney, waren in ihrer vorherigen politischen Karriere als
Senator bzw. Gouverneur zwar durchaus liberal eingestellt,
insbesondere in der Einwanderungsfrage. Um sich jedoch im
Vorwahlkampf gegen ihre teilweise chauvinistisch argumentierenden Herausforderer durchsetzen zu können, mussten sie
ihrerseits extremere Positionen einnehmen und schmälerten
damit im Hauptwahlkampf ihre Siegeschancen.
Die hispanischen Wähler werden demografisch bedingt immer wichtiger, zumal sie auch in hoher Konzentration in den
für Wahlsiege ausschlaggebenden Einzelstaaten leben. Bereits
bei der Wahl 2012 haben Romneys enorme 20 Prozentpunkte
Vorsprung vor Obama bei weißen Wählern nicht genügt, um
die Hausmacht des amtierenden Präsidenten bei den Wählerinnen und Wählern aus den ethnischen Minderheiten, der
Geschlecht
Männer
Frauen
Weniger als 100 = keine oder andere Angabe.
Exit Polls des National Election Pool 2012
Sitzverteilung im US-Kongress,
113. Legislaturperiode, seit 3.1.2013; Stand: Dezember 2013
Abgeordnetenhaus
Senat
Republikaner
232
45
Demokraten
201
53
–
2
(beide stimmen
regelmäßig mit den
Demokraten ab)
Unabhängige
Vakante Sitze*
Gesamt
2
–
435
100
* Vorzeitig ausgeschiedene Abgeordnete werden noch durch Nachwahlen besetzt.
United States Congress
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AP Photo / The Mountain Press, Curt Habraken
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
AP Photo / Julie Fletcher
Wahllokal in Sevierville, Tennessee, 2012. Der Anteil der älteren weißen
Wähler, die traditionell eher den Republikanern ihre Stimme geben, sinkt, …
… während die hispanische Minderheit, die bisher eher die Demokratischen Präsidentschaftsbewerber unterstützt hat, weiter wächst. Wahlplakat im Lechonera El Barrio Restaurant in Orlando, Florida, 2012
hispanischen und afroamerikanischen Bevölkerung, auszugleichen.
Ein Blick auf die demografische Entwicklung in den USA
könnte die Wahlstrategen der Republikaner wachrütteln.
Demnach werden die weißen Wähler, die 1960 noch 85 Prozent der Bevölkerung ausmachten, voraussichtlich schon 2050
in der Minderheit sein. Die bislang als „ethnische Minderheiten“ (ethnic minorities) bezeichneten Afroamerikaner, Asiaten
und Latinos werden die Mehrheit bilden, den größten Teil davon, etwa ein Drittel, werden die Latinos stellen, so Paul Taylor
und D’Vera Cohn vom Pew Research Center 2012.
Während die afroamerikanischen Wählerinnen und Wähler auf absehbare Zeit in der Wählerkoalition der Demokraten
bleiben dürften, haben die Republikaner künftig durchaus
Chancen, den Demokraten ihre Dominanz bei der hispanischen Wählerschaft streitig zu machen. Bislang standen sie
aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen den Demokraten
näher, doch mithilfe religiöser Faktoren könnten die Republikaner künftig an Boden gewinnen.
Latinos sind die am schnellsten wachsende Minderheit in den
USA und haben bereits die Afroamerikaner als größte ethnische Minderheit in den Vereinigten Staaten abgelöst. Laut Angaben des Pew Hispanic Center vom 14. November 2012 machen
die 53 Millionen Menschen lateinamerikanischer Herkunft derzeit rund 17 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, Tendenz steiInformationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
37
gend. Viele von ihnen dürfen, unter anderem aus Altersgründen, noch nicht wählen. Zudem beteiligen sich aus den Reihen
der wahlberechtigten Latinos prozentual weniger Menschen an
den Wahlen als aufseiten der afroamerikanischen und der weißen Bevölkerung. Doch der „schlafende Riese“ ist erwacht; der
Anteil der Hispanics an der Wählerschaft dürfte sich laut den
Berechnungen der Forscher des Pew Hispanic Center schon im
Jahr 2030 von zehn (2012) auf 20 Prozent verdoppeln. (An Awakened Gigant: The Hispanic Electorate is Likely to Double by 2030)
Aufgrund ihrer zunehmenden Beteiligung am politischen
Geschehen können sie auch heute schon beachtlichen politischen Einfluss ausüben. Zwar ist ihr Anteil an der Gesamtwählerschaft verhältnismäßig klein, doch das US-Wahlsystem
ermöglicht ihnen eine politische Hebelwirkung: In einigen
hart umkämpften Bundesstaaten, die den Ausschlag für Sieg
oder Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen geben können, ist der Anteil hispanischer Wähler relativ groß: in New
Mexiko waren es 2012 37 Prozent, in Arizona und Nevada jeweils 18, in Florida 17 und in Colorado 14 Prozent. Und sie haben
jeweils mit überwältigender Mehrheit für Obama gestimmt.
(http://www.pewhispanic.org/2012/11/07/latino-voters-in-the2012-election/)
Zwar ist der Großteil der Latino-Wählerschaft schon längere Zeit den Demokraten zugeneigt, doch während der letzten
Dekade hat sich die traditionelle Verbundenheit etwas gelöst.
2000 gelang es dem Republikaner George W. Bush, 35 Prozent
der hispanischen Wählerinnen und Wähler zu gewinnen; bei
seiner Wiederwahl 2004 konnte er den Anteil sogar auf die Rekordmarke von 40 Prozent steigern. Doch bereits bei den Zwischenwahlen (nur Kongresswahlen) 2006 verringerte sich das
Ergebnis wieder auf 28 Prozent, weil die Republikaner einen
Drahtseilakt zu meistern hatten.
Einerseits versuchten sie, hispanische Wähler mit einer liberalen Einwanderungspolitik anzusprechen und Wirtschaftsliberalen entgegenzukommen, die an billigen Arbeitskräften
(vor allem in der Gastronomie, Baubranche und Landwirtschaft) interessiert sind. Aber andererseits riskierten sie damit, sicherheitsorientierte und teilweise auch chauvinistische
Gruppen der konservativen Parteibasis zu verprellen.
Der von Bush mit Nachdruck unterstützte Reformvorschlag
sah vor, zum einen die Grenzen besser zu sichern und zum anderen den Arbeitsmigranten ohne gültige Aufenthaltserlaubnis Legalisierungsoptionen anzubieten. Doch Bush scheiterte
mit seiner parteiübergreifenden Initiative – nicht nur an gewerkschaftsnahen Abgeordneten der Demokraten, sondern
auch am harten konservativen Kern seiner eigenen Partei. Widerstand gegen die sogenannte Amnestie wurde nicht zuletzt
von konservativen Graswurzelorganisationen mobilisiert.
Für die republikanischen Bewerber um Bushs Nachfolge war
es demnach schwierig, das Vertrauen der Latino-Wählerschaft
zurückzugewinnen. Zwar hatte sich John McCain – mit Blick
auf das Wählerpotenzial der Latinos – in seiner Funktion als
Senator für ein liberales Einwanderungsrecht stark gemacht.
Doch nach heftigem Widerstand seiner Parteibasis versicherte
McCain reumütig, dass er der Einwanderungsreform nur dann
zustimmen werde, wenn die Grenzen gesichert seien. Ebenso
musste sich Mitt Romney vier Jahre später im Vorwahlkampf
auf einen harten Kurs in der Einwanderungspolitik festlegen,
der ihn dann im Hauptwahlkampf bei hispanischen Wählern
merklich Punkte kostete. Von dieser Situation konnte der Demokrat Barack Obama bei beiden Wahlen profitieren.
Langfristig machen sich die Wahlstrategen der Republikaner aber durchaus berechtigte Hoffnungen, mehr hispani-
Politisches System der USA
Melanie Stetson Freeman / The Christian Science Monitor / Getty Images
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Bei Wahlen gilt die Faustregel: Je häufiger die Gläubigen einen Gottesdienst besuchen, desto eher
wählen sie Republikanische Kandidaten. Studierende eines auf Theologie spezialisierten Colleges in
Haverhill, Massachusetts, 2012 beim Gebet
sche Wählerinnen und Wähler gewinnen zu können, zumal
diese sehr religiös sind. Zwar haben bislang soziale und wirtschaftliche Gründe den Ausschlag für deren Hinwendung zu
den Demokraten gegeben. Aber eine günstigere allgemeine
Wirtschaftslage und ein verbesserter sozioökonomischer
Status von Latinos könnte künftig die Grundlage dafür bilden, dass hispanische Wähler – wie die meisten US-Amerikaner – ihre Wahlentscheidung aufgrund ihrer religiösen
Einstellung treffen.
Mittlerweile gilt die Faustregel: Je häufiger US-Amerikaner
den Gottesdienst besuchen, desto eher wählen sie einen Kandidaten der Republikaner. Evangelikale Latinos sind dafür aufgeschlossener als katholische. Während erstere es als gottgegeben hinnehmen, dass jeder selbst „schuld“ an seiner Armut
ist, halten es die zweiten eher mit der katholischen Soziallehre,
wonach mit sozialer Hilfestellung die Menschen zum Besseren bekehrt werden sollen. Während sich in der politischen
Debatte katholische Bischöfe schon seit längerem für die Einwanderer aus Lateinamerika stark gemacht haben, werden
die sozialen Belange von Einwanderungsfamilien nunmehr
auch von evangelikaler Seite professionell vertreten, etwa
durch die National Hispanic Christian Leadership Conference,
einem organisatorischen Ableger der einflussreichen National
Association of Evangelicals. Der evangelikale Einfluss nimmt
zu, weil auch immer mehr katholische Latinos sogenannte
Erweckungserlebnisse haben und ins Lager der „wiedergeborenen“ Glaubensgemeinde konvertieren. Bereits 2007 bezeichneten sich vier von zehn Latino-Christen als „born again“ oder
„evangelikal“ (Pew 2007, S. 8).
Die Demokraten haben ihr strukturelles Defizit bei der religiösen Wählerschaft erkannt und versuchen ihrerseits,
„moralische Werte“ im Wahlkampf stärker zur Geltung zu
bringen, indem sie, über sexualmoralische Themen hinausgehend, „moral values“ breiter interpretieren und neben Umweltschutz auch Armutsbekämpfung als moralisches Thema
deuten. So wollen sie in der Umweltpolitik „Gottes Schöpfung
bewahren“, und der ehemalige „Sozialhelfer“ (community organizer) Barack Obama hat auch die von George W. Bush initiierte „faith based initiative“ befürwortet, in deren Rahmen
Kirchen mit staatlichen Mitteln soziale Dienstleistungen erbringen. Innen- und machtpolitisch bleibt demnach höchst relevant, wer letztendlich die Deutungshoheit über „moralische
Werte“ gewinnt.
Wahlkämpfe: Finanzierung und Mobilisierung
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Im sogenannten permanenten Wahlkampf müssen 435 Abgeordnete und ein Drittel der
100 Senatoren einmal mehr schier unvorstellbare Geldsummen einwerben, um ihre Wiederwahl im November 2014 zu
sichern. Ebenso sind die Bewerber um die Präsidentschaft
immer wieder angehalten, neue Rekorde bei der Einwerbung von Spenden zu brechen. Damit sind Politiker in den
USA sehr offen für die „Kommunikation“ der Interessengruppen geworden, zumal die Obersten Richter finanzielle
Zuwendungen im Wahlkampf wiederholt als Ausdruck der
Meinungsfreiheit (freedom of speech) interpretiert haben,
die nicht gesetzlich reglementiert werden dürfe.
Als der Supreme Court 1976 im Fall Buckley v. Valeo die gesetzliche Regelung der Politikfinanzierung (die Wahlkampfspenden und die Ausgaben der Kandidaten begrenzt hätte)
wegen Einschränkung der persönlichen Meinungsfreiheit
für verfassungswidrig erklärte, wurde die rechtliche und institutionelle Position von Partikularinteressen entscheidend
aufgewertet. Die spezifische US-amerikanische Interpretation der freedom of speech bedeutet zum einen, dass Meinungen und Interessen bestimmter Gruppen mehr Gehör finden als die anderer. Es wird zum anderen auch zunehmend
schwierig, in dem immer größer werdenden Chor von political action committees (PACs), Super PACs, Wirtschaftsvertretern, Interessengruppen und betuchten Privatleuten die
Stimme der politischen Parteien herauszuhören.
Seitdem der Supreme Court am 21. Januar 2010 im Fall Citizens United v. Federal Election Commission einmal mehr den
ersten Verfassungszusatz der Meinungsfreiheit hochhielt,
sind alle Dämme gebrochen. Der infolge des Skandals um
die Bilanzfälschungen und politischen Verbindungen des
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
Ausgaben im Präsidentschaftswahlkampf 2012
Ausgaben
(in US-Dollar)
Blue Team
Demokraten
Red Team
Republikaner
Kandidaten
(Obama / Romney)
683 546 548
433 281 516
Nationale Parteiorganisationen
292 264 802
386 180 565
131 269 587
418 610 490
1 107 080 937
1 238 072 571
Externe
Gruppierungen
Gesamtausgaben
www.opensecrets.org/pres12/
Wahlen als big business
Paul Wilson [...] ist ein Campaign
Consultant, einer jener Berater und Helfer
im Hintergrund, die Politikern zum
Wahlerfolg verhelfen. […]
Wahlen in den USA sind Big Business.
[...] Der Kampf um die Präsidentschaft
erhält dabei die meiste Aufmerksamkeit, aber er stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Alle zwei Jahre wird über
die Zusammensetzung des Repräsentantenhauses und des Senats abgestimmt,
Hunderte von Volksvertretern werden
dann gewählt [...]. Zudem wählt jeder
Bundesstaat sein Repräsentantenhaus
sowie Senatoren, dazu einen Gouverneur. Viele Ämter und Positionen, die in
Deutschland von Beamten besetzt werden, sind in Amerika Wahlämter – vom
Sheriff über den Richter und Staatsanwalt bis hin zum Vorsitzenden des
Schulbezirksvorstands. Mehr als eine
Million Abstimmungen finden über eine
Legislaturperiode von vier Jahren in
den USA im Schnitt statt.
Lokale Kandidaten setzen nach wie
vor auf bewährte Mittel: Sie organisieren
Bürgertreffen, knabbern gegrillte Maiskolben auf der Kirmes der County
Fair und schütteln Hände in Seniorenheimen. Ihre Kampagnen leben vom Einsatz von Freiwilligen, die meisten Mittel kommen von Familie und Freunden.
Doch wer höhere Ambitionen hat –
egal, ob für ein Amt im Bundesstaat
oder in Washington –, der kommt um
Profis wie Wilson nicht mehr herum. [...]
texanischen Energiehandelsunternehmens Enron im März
2002 verabschiedete Bipartisan Campaign Reform Act wurde
in seinen wesentlichen Bestimmungen wieder aufgeweicht.
Die gesetzliche Regulierung, die sogenannte unabhängige
Ausgaben (independent expenditures) sowie Themen- und
Anzeigenkampagnen (electioneering communication) von
Unternehmen, Gewerkschaften und auch gemeinnützigen
Organisationen einschränkte, wurde für verfassungswidrig
erklärt. Das Center for Responsive Politics schätzt die Ausgaben der „non-party outside groups“ im Wahlkampf 2012 auf
über eine Milliarde Dollar. Freilich dürfen diese sogenannten externen Organisationen ihre Aktivitäten nicht mit
den Kandidaten koordinieren, wenn sie etwa in Schlammschlachten deren Gegner mit Negativ-Anzeigenkampagnen
(negative ads) überziehen. Doch wer will das kontrollieren,
bei der Vielzahl interessierter Akteure, die electioneering
communication betreiben?
Selbst die nachprüfbaren Zuwendungen – sowohl für
die Präsidentschaftswahlkämpfe als auch für die Kongresswahlen – haben mittlerweile astronomische Höhen
erreicht. Barack Obama hat im Präsidentschaftswahl-
Schon ein Bewerber für den US-Senat
muss mit Ausgaben von mindestens
acht Millionen Dollar rechnen, um Aussichten auf Erfolg zu haben. Dafür
heuert er eine ganze Reihe von Experten
an. Ein Manager, der die Organisation
führt, gehört genauso dazu wie ein
Medienstratege, ein Marktforscher und
ein Fachmann für Briefwurfsendungen.
Spezialisten kümmern sich ums Redenschreiben, um den Internetauftritt
und die Konkurrenzbeobachtung –
etwa wenn es gilt, belastende Informationen über den Gegner zu finden. Der
Kandidat braucht Fernsehproduzenten,
Redakteure, Buchhalter und Anwälte.
Ein solches Team ist nicht billig: Die
Mehrheit der Politikberater verdient
mehr als 100 000 Dollar im Jahr, so
die Studie eines Instituts der American
University in Washington. Wer in
der Top-Liga spielt, kann bis zu 500 000
Dollar und mehr verlangen. [...]
Mit den Super Pacs [das sind Spendenpools, die unabhängig von Partei oder
Kandidaten eine Kampagne organisieren – Anm. d. Red.] ist eine neue Ära
der amerikanischen Demokratie angebrochen. Entstanden sind sie infolge
des Urteils im Fall Citizens United, einer
der umstrittensten Entscheidungen
des US Supreme Court, des obersten USGerichts. Die Richter hoben Anfang
2010 ein Verbot auf, das Unternehmen
und Gewerkschaften bis dahin direkte
politische Spenden untersagt hatte.
Zuvor konnten lediglich einzelne Mitarbeiter und Mitglieder spenden. Ein
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
39
weiteres Gerichtsurteil hob Beschränkungen der Spendensummen auf,
solange sie nicht direkt in die Kasse der
Partei oder des Kandidaten fließen.
[...] Die neuen Super Pacs dürfen, im Ge
gensatz zu den Kandidaten selbst, Geld
in unbegrenzter Höhe einsammeln –
etwa von Superreichen und Großkonzernen. Einzige Bedingung: Die SuperPac-Strategen dürfen sich nicht direkt
mit dem Kandidaten abstimmen. [...]
Prinzipiell können Super Pacs für
oder gegen alles Stimmung machen, ob
für Umweltschutz oder gegen Schusswaffen. [...] „Die Super Pacs sind fast
ausschließlich negativ, sie richten
sich in der Regel gegen den Rivalen“,
gesteht Wilson. Das habe zum Teil auch
praktische Gründe. Weil sein Team keinen direkten Zugang zum Kandidaten
hat, gibt es wenig positives Material.
„Wir dürfen kein Video mit unserem
Kandidaten drehen – das wäre Absprache.“ [...]
Vor allem verfügen viele Super Pacs
über enorme Summen. [...] Viele
Kritiker fürchteten nach der Gerichtsentscheidung, dass vor allem große
Unternehmen die Super Pacs sponsern
würden. Doch bisher waren es vor
allem private Spender [...], die ihre Privatschatullen öffneten. [...]
Heike Buchter, „Die Dreckschleuder AG“, in: DIE ZEIT Nr. 27 vom
28. Juni 2012
40
Politisches System der USA
Die Veränderungen der Kommunikationsbeziehungen gingen einher mit dem Wandel der USA von einer Agrar- über
eine Industrie- hin zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Neue Verkehrs- und Kommunikationswege erhöhten nicht nur die physische, sondern auch die soziale
Mobilität der Menschen und damit auch die Dynamik in der
politischen Parteienlandschaft.
Eine der Hauptursachen für die Verluste der Demokratischen Partei ist die Auflösung von Roosevelts „New Deal“Koalition. Sie hatte bis in die 1960er-Jahre Bestand und
umfasste neben Katholiken, Juden, afroamerikanischen
und (liberalen) Mainline-Protestanten auch (konservative)
Evangelikale, insbesondere in den Südstaaten. Ausschlaggebend war vor allem die Umorientierung evangelikalprotestantischer, teilweise auch katholischer Wählerinnen
und Wähler von der Demokratischen zur Republikanischen
Partei. Diese Umorientierung bei zentralen Wählergruppen,
das sogenannte dealignment, war in den Südstaaten sehr
ausgeprägt.
Die Umorientierung hatte mehrere Beweggründe: Zum
einen setzte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Binnenmigration ein. Teile der afroamerikanischen Landbevölkerung
des Südens suchten Arbeit im industrialisierten Nordosten
des Landes. Umgekehrt kamen viele Weiße im Zuge der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung in den Süden.
Aus Protest gegen den Civil Rights Act von 1964 wechselten
zahlreiche „Dixiecrats“, konservative Südstaaten-Demokraten,
die sich für Rassentrennung stark machten, ins Lager der Republikaner. Das Abtreibungsurteil des Obersten Gerichts im
Fall Roe v. Wade (1973), die Infragestellung der Steuerbegünstigung christlicher Schulen (1978) sowie das politische Engagement der Feministinnen und der Schwulenbewegung brachte
all jene Christlich Rechten auf den Plan, die die traditionellen
Werte (family/moral values) gefährdet sahen.
Die Republikanische Partei konnte in den letzten Jahrzehnten starke Zugewinne im „Bible Belt“ (Region im Süden der
USA, in der der evangelikale Protestantismus am stärksten
verbreitet ist) verzeichnen. Die Hochburgen der Evangelikalen befinden sich heute in ländlichen Gegenden des Südens
und Teilen des Mittleren Westens. „Wenn die Republikanische Partei konservative religiöse Wähler benötigt, so gilt
auch umgekehrt: Evangelikale, Sozial-/Moralkonservative
T.J. Kirkpatrick / Bloomberg via Getty Images
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kampf 2012 erneut alle Rekorde gebrochen. Der Amtsinhaber, der ebenso wie sein Herausforderer Mitt Romney im
Hauptwahlkampf auf staatliche Gelder (matching funds)
verzichtete, musste sich nicht an Obergrenzen halten, die
ihm sonst gesetzt gewesen wären. (Obergrenzen für Kandidaten sind in den USA nur dann mit dem Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar, wenn sie aufgrund von Anreizen
wie staatlichen matching funds freiwillig akzeptiert, sprich
erkauft werden.) Obama konnte somit im Vor- und Hauptwahlkampf insgesamt mit etwa 700 Millionen Dollar
wuchern. Rechnet man noch die Ausgaben von externen
Gruppierungen hinzu, dann wurden in dieser Wahlperiode
allein für den Präsidentschaftswahlkampf über zwei Milliarden Dollar ausgegeben.
Kandidaten, die bei den vergangenen Kongresswahlen
2012 einen Sitz im Senat gewannen, setzten durchschnittlich 9,5 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden ein. Die
Wahlkämpfe für weniger prestigeträchtige und einflussreiche Sitze im Abgeordnetenhaus erforderten entsprechend
niedrigeren Einsatz: Siegreiche Kandidaten investierten im
Schnitt „nur“ 1,2 Millionen Dollar. Geld alleine bietet zwar
keine Sicherheit dafür, einen Sitz im Kongress zu gewinnen, doch es erhöht die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs. Aus
94 Prozent der Rennen im Abgeordnetenhaus gingen diejenigen als Sieger hervor, die das meiste Geld ausgeben konnten. Im Senat liegt die Erfolgsquote der „top spender“ bei 80
Prozent, so das Center for Responsive Politics 2012.
Es gibt noch andere Machtwährungen. Wer über ein politisches Netzwerk von Basisorganisationen verfügt, kann über
eine Vielzahl Gleichgesinnter, die von Haus zu Haus gehen,
potenzielle Wählerinnen und Wähler direkt ansprechen und
ist nicht auf die diffuse und teure Massenkommunikation
der Fernsehsender angewiesen.
Bereits in den 1970er-Jahren kommunizierten die Pioniere der Christlich Rechten mit Gleichgesinnten unmittelbar
über sogenannte Direct-Mail-Kanäle. Zielgruppenspezifische Kommunikationsformen mit geringen Streuverlusten
wie Briefappelle, die mittlerweile durch E-Mail-Kommunikation und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter ersetzt wurden, sind besonders gut geeignet, kostengünstig
den harten Kern der Stammwählerschaft zu mobilisieren
und Wahlkampfgeld zu akquirieren.
Direkte Wähleransprache: Beim Canvassing gehen freiwillige Helfer, hier
in Steubenville, Ohio, in einem vom Kampagnenteam festgelegten Gebiet
von Haus zu Haus, um für ihren Kandidaten zu werben, …
… oder sie rufen bei potenziellen Wählerinnen und Wählern an, um sie für
die anstehende Wahl zu mobilisieren. Gezielt geschieht dies besonders in
Gebieten, in denen der Anteil der Wechselwähler groß ist.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
Nur registrierte Wählerinnen und Wähler können in den USA ihre Stimme abgeben, wie hier bei der
Präsidentenwahl am 6. November 2012 in einem Wahllokal in Ventura County, Kalifornien.
#usa – Einfluss sozialer Netzwerke
[...] Zweifellos ermöglichen es soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook, dass
sich mehr Menschen leichter und unmittelbarer an Politik beteiligen denn je. Führt
das aber auch dazu, dass die wichtigen
Themen erkannt, Lügen der Politik entdeckt, andere Meinungen eher nachvollzogen werden? Ist der Twitter-Facebook-Google-Wähler also aufgeklärter als
jener, der sich bloß von Wahlwerbespots
berieseln lässt?
Twitter wirbt damit, dass es den Bürger
mit ganz neuer Macht ausstattet, aber
diese Verheißung ist umstritten. Politiker
wissen aus dem Internet inzwischen
deutlich mehr über ihre Wähler als umgekehrt. Der Internetnutzer, der kaum noch
Geheimnisse hat, könnte damit stärker
beeinflussbar sein als früher, von Kampagnen, die ihre Botschaften genau auf
ihn zuschneiden und noch stärker in jenen
Vorurteilen bestätigen, die er eh schon
immer hatte. [...]
[F]ür viele Menschen in Amerika wäre
ein Politikereignis (oder überhaupt ein
Ereignis) ohne Twitter so hinnehmbar wie
ein Fußballspiel ohne Ton. Ist man an
der Ostküste zu Hause, kann man die Kommentare des Cousins in Kalifornien
mitlesen. „Es ist wie früher, als man solche
Ereignisse auf der Couch mit Familie und
Freunden verfolgte, nur dass die Couch
nun eben global ist“, sagt Adam Sharp, 34,
„Head of government, news and social
innovation“ bei Twitter und als solcher verantwortlich für die Politik.
Ob man tatsächlich auf einer globalen
Couch sitzt, hängt jedoch davon ab, wem
man auf Twitter folgt. Die Neutralen finden unter dem Stichwort #debates einen
Überblick, oder sie folgen jenen Freunden
oder Journalisten oder Experten, denen
sie immer folgen, oder sie suchen sich ein
spezielles Sachthema wie #Libya.
Die Parteiischen hingegen können all
jene ausblenden, die nicht ihrer Meinung
sind. Ein Tea-Party-Republikaner kann
statt der globalen die patriotische Couch
wählen, indem er bei Twitter nur jenen
folgt, die er von seinem rechten Haussender Fox News kennt.
[…] Twitter-Mann Adam Sharp und
seine Kollegen von Facebook und Google
zählen die Vorteile ihrer Produkte auf:
Erstens hätten die Leute das Gefühl, am
politischen Prozess teilzunehmen. Zweitens sei Politik messbar [...]
Drittens sei Politik viel schneller. „Der
24-Stunden-Nachrichtenzyklus ist durch
einen 140-Zeichen-Zyklus ersetzt worden“, sagt Sharp. Das klingt so größenwahnsinnig, wie Sharp es vermutlich
meint, und ist insoweit wahr, als sich Politik enorm beschleunigt. Oft müssen
die Kampagnen binnen Minuten auf
einen Vorwurf reagieren. […] Mit großen
Rechnern und raffinierter Software
suchen die Strategen [der Kandidaten] in
den Wählerlisten nach Wechselwählern
oder jenen, die sich öfters mal enthalten, und legen Profile dieser Zielpersonen
an. Sie kaufen bei Datenhändlern ein,
schlachten Facebook-Profile oder TwitterMeldungen aus, verfolgen Internetspuren über Einkaufsverhalten und andere
Vorlieben.
Alles kann etwas bedeuten: Ob ein
Wähler eine Zeitschrift abonniert hat, ob
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
er raucht oder Ski fährt, ob er Haustiere
hat oder einen Pool. […]
Wähler sollen sich eingebunden, mitgenommen fühlen. Adam Sharp sagt, das
sei die moderne Version der altmodischen
Kampagne, als der Kandidat noch von
Tür zu Tür ging und Hände schüttelte.
Für die neuen Formen gezielter Internetwerbung geben die Kampagnen inzwischen sechsmal mehr Geld aus als
vor vier Jahren. Zwar zahlen sie immer
noch den Großteil ihres Werbebudgets
von insgesamt drei Milliarden Dollar ans
Fernsehen, aber die Streuverluste dort
sind enorm. Ein Drittel der Wähler hat es
aufgegeben, in Echtzeit fernzusehen, die
Zuschauer zeichnen die Sendungen lieber
auf und überspielen dann die Werbepausen. Sie sind für Politiker nur noch
online zu erreichen.
In Zukunft werden sich die Kampagnen also immer stärker auf jene wenigen
konzentrieren, die sie brauchen. Das
ist zwar nicht im Sinne der Demokratie,
aber es geht ja nicht um Ideale, Privatsphäre oder Transparenz, sondern um den
Sieg.
Nicolas Richter, „#usa – Die Welt in 140 Zeichen“, in:
Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 2012
42
Politisches System der USA
for Tax Reform und Stratege der libertären Bewegung. Norquist hat die große Mehrheit der Republikaner im Abgeordnetenhaus und im Senat dazu gebracht, einen öffentlichen Eid
(pledge) zu leisten, dass sie keiner Steuererhöhung zustimmen
werden. Von den derzeit 232 Republikanern im Abgeordnetenhaus haben 219 diesen „pledge“ unterschrieben; im Senat gibt
es auch nur noch einige „Abtrünnige“ vom „wahren libertären
Glauben“: Von den 45 Republikanischen Senatoren haben sich
immerhin sechs dem Ansinnen Norquists verwehrt und ihren
politischen Bewegungsspielraum bewahrt, der nötig ist, um
Kompromisse in der Gesetzgebung zu finden.
Anders als in der Sexualmoral stimmen die Vorstellungen
der rechten Christen bei wirtschaftspolitischen Themen
durchaus mit dem Denken libertärer Republikaner überein.
Sie sind sich einig in der Zielsetzung, den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft zu reduzieren. Doch während wirtschaftslibertär überzeugte Republikaner an die unsichtbare
Hand des Marktes glauben, sind für überzeugte Evangelikale persönliche Verfehlungen und unmoralisches Handeln
die Ursache für wirtschaftliches Versagen: „Schwarze sind
meist selbst verantwortlich für ihre Lage“, meinen zum Beispiel rund zwei Drittel der engagierten Evangelikalen laut
den Umfragedaten des Pew Research Center, die von den
US-Politikwissenschaftlern Andrew Kohut u. a. (2000, S. 131)
zitiert wurden. Staatliche Sozialleistungen und Wohlfahrt
haben in diesem Denken keinen Platz.
„Defunding the government“, lautet ihr Slogan, und das bedeutet, dem Staat keine Mittel zur Verfügung zu stellen, es
sei denn, die Finanzierung betrifft militärische oder sicherheitspolitische Belange. „Weniger Sozialstaat“ und „weniger
Steuern“ sind Glaubenssätze konservativen Wirtschaftsdenkens in den Vereinigten Staaten. Wirtschaftssubjekte gelten
als Individuen in freier Verantwortung. Staatliche Interventionen durch Wirtschafts- oder gar Sozialpolitik sind demzufolge überflüssig, ja kontraproduktiv.
Dieses staatskritische Gedankengut wurde gemäß dem
Slogan „Ideen haben Konsequenzen“ über Think Tanks in
praktische Politik übersetzt. Das Wirken von Politunternehmern wie Norquist und auch von Milliardären wie den
Brüdern Charles und David Koch, die neben libertären Think
AP Photo / The News & Observer, Corey Lowenstein
und vor allem die Christlich Rechte benötigen die Republikaner. Religiöse Konservative sind am einflussreichsten, wenn
sie Teil einer größeren konservativen Koalition sind, und die
Republikanische Partei ist dafür die zugänglichste Institution.“ (Green 1994, S. 64). Dieses pragmatische Verständnis
bildet die Grundlage für die Machtsymbiose zwischen der
Republikanischen Partei und dem Organisationsgeflecht der
Christlich Rechten.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis eines langwierigen
Lernprozesses sowohl der Republikanischen Parteistrategen
als auch der Christlich Rechten, der sie von den Anfängen
fundamentalistischen Sektierertums in ein Stadium des politischen Pragmatismus führte. Politische Unternehmer, die
religiöse Autorität sowie Hochachtung unter evangelikalen
Christen genießen, gaben der abstrakten Idee der „Christian Right“ Gestalt und inneren Zusammenhalt, indem sie
ein Organisationsgeflecht an der politischen Basis schufen.
Unter ihnen sind Persönlichkeiten wie der Fernsehprediger
Pat Robertson, James Dobson, der Think Tanks wie Focus on
the Family oder den Family Research Council gründete, sowie
der politische Netzwerker Gary Bauer – um einige der prominentesten zu nennen, die gleichwohl der allgemeinen Bevölkerung wenig bekannt sind.
„Betrachtet man die Gesamtheit der Organisationen auf
der Neuen Rechten, so übernehmen diese Aufgaben, die in
westeuropäischen parlamentarischen Regierungssystemen
überwiegend oder ausschließlich von Parteien wahrgenommen werden“, brachte es der Parteienforscher und Kenner
US-amerikanischer Politik Peter Lösche 1982 (S. 41) auf den
Punkt. „In ihnen sind häufig junge, hochintelligente, eiskalte
Politmanager tätig, die nicht nur wissen, wie man organisiert, mobilisiert, manipuliert und Wahlkämpfe führt, sondern dabei auch die neuen Technologien einsetzen.“
Mittlerweile hat sich zur Christlich Rechten auch das sogenannte Tea Party Movement gesellt. Die Übergänge beider
Gruppierungen sind fließend. Während Christlich Rechte sich
vor allem gegen Abtreibung und Homoehe einsetzen, sind die
Tea Party-Aktivisten bestrebt, den Staat so klein wie möglich
zu machen, damit man ihn „wie ein Baby im Bade ertränken“
könne, so Grover Norquist, Chef der Vereinigung Americans
Einflussreicher Aktivist: Grover Norquist (re.), Präsident der Interessenvertretung Americans for Tax
Reform, hat viele Republikanische Abgeordnete und Senatoren per öffentlichen Eid verpflichtet, gegen jedwede Steuererhöhung zu stimmen.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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Konkurrenz und Kontrolle der Machthaber: checks and balances
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Anhänger der Tea Party, einer Gruppierung innerhalb der Republikanischen Partei, wollen den Staat so klein wie möglich halten und lehnen
staatliche Hilfen und Steuern ab. Kundgebung in Washington 2013
Justin Sullivan / Getty Images
Der Konflikt im Kongress um eine Lösung des Haushaltsproblems durch
höhere Steuern führte 2013 zur Haushaltssperre. Staatliche Angestellte
wurden ohne Lohn freigestellt. Protest in Doral, Florida
Neben den Zuwendungen einflussreicher Lobbyisten gewinnen in den USWahlkämpfen Kleinspenden an Bedeutung. In Townsend, Montana, sammelt der Senatskandidat Jon Tester 2006 Geld ein.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
43
Tanks wie Cato auch die Tea Party finanziell unterstützen,
verdeutlicht, dass sich der politische Prozess nicht, wie es die
politikromantische Bezeichnung „Graswurzelbewegung“
suggeriert, von der Basis her wildwüchsig formiert hat, sondern „von oben“ gesteuert wird. Das mittlerweile bestehende Netzwerk vieler Kleinspender an der Basis musste mit
Startkapital finanzkräftiger Unternehmen, das im Englischen bezeichnenderweise „seed money“ (Saatgeld) genannt
wird, kultiviert und zur Blüte gebracht werden.
Gleichwohl begrüßen Experten wie Anthony Corrado (zitiert in: Feldmann 2004) diese Entwicklung als Demokratisierung der Wahlkampffinanzierung: Die Macht der Kleinspender habe zugenommen. So machten erstmals auch viele
Anhänger der Demokratischen Partei ihrem Unmut über die
Politik des Republikaners George W. Bush Luft, indem sie via
Internet den Demokraten Geld spendeten. Durch den Einsatz solch moderner Kommunikationsmittel gelang es dem
Herausforderer John Kerry im Präsidentschaftswahlkampf
2004, den traditionellen Vorsprung der Republikaner beim
Eintreiben von Wahlkampfspenden wettzumachen. Dabei
waren Einzelspenden über das Internet Kerrys am üppigsten sprudelnde Finanzierungsquelle, wie in der Washington
Post am 17. Juni und 21. Juli 2004 nachzulesen war.
Doch die Republikaner unter der Führung von Karl Rove,
dem „Architekten“ des Wahlsiegs von George W. Bush, waren noch effektiver, ihre vor allem religiös-rechte Basis an
Kleinspendern zu erweitern und mit Hilfe des Internets zu
mobilisieren. Als großer Vorteil erweist sich dabei, dass bei
der persönlichen Ansprache der religiösen Kernklientel über
die neuen Medien die moderate Wählerschaft nicht verprellt
oder weitere politische Gegner aktiviert werden, was bei diffus gestreuten Fernsehkampagnen häufig der Fall ist. Ralph
Reed, ein führender Kopf der Christlich Rechten und ehedem
im Team von Bushs Wahlkampfberatern, erklärte die Neuausrichtung der Wahlkampfstrategie vom „Luft- hin zum
Bodenkrieg“, sprich der Abwendung von der Fernsehwerbung über die „air waves“ hin zur Mobilisierung der politischen Graswurzeln (grassroots): „Das ist meines Wissens das
erste Mal, dass ein amtierender Präsident derartige Anstrengungen unternimmt, eine regelrechte Basiskampagne zu
organisieren, die sich auf Wahlbezirke und Wohngegenden
konzentriert, anstelle bisheriger Strategien, die ausschließlich auf Fernsehbilder und die Medien setzten“, zitierten ihn
Richard Stevenson und Adam Nagourney in der New York
Times am 29. September 2003.
Die Wahlkämpfer von Barack Obama perfektionierten diese Strategie. In den Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und
2012 gelang es ihnen, jeweils sowohl im Vor- als auch später
im Hauptwahlkampf gegen John McCain bzw. Mitt Romney
ein Drittel ihrer Wahlkampfgelder in kleineren Beträgen
von bis zu 200 Dollar einzuwerben, so Michael J. Malbin und
das Center for Responsive Politics 2012. Das Organisationsgeflecht Gleichgesinnter auf der Ebene der Basisorganisationen ist also in mehrfacher Hinsicht nützlich und vorteilhaft:
zum einen bei der Wahlkampffinanzierung, zum anderen
bei der direkten permanenten Wählermobilisierung.
Doch häufig werden Politiker die vielen gleichgesinnten
Geister, die sie vor der Wahl gerufen haben, danach nicht
mehr los. Diese Organisationen können nämlich ebenso wie
andere wirtschaftliche Interessengruppen massiven Druck
auf die Politik ausüben, nicht zuletzt indem sie damit drohen, ihre Unterstützung bei den nächsten Wahlen wieder zu
entziehen.
44
Politisches System der USA
Josef Braml
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik:
Themennetzwerker
AP Photo / Jim Cole
Schwachen Parteien stehen in den USA starke Interessengruppen gegenüber. Deren Vertreter können durch einen regen
Personalaustausch ihre Ideen bisweilen in die Praxis umsetzen.
Die Medien kontrollieren das politische Geschehen, sind aber
selbst zunehmend einem politischen Lagerdenken verhaftet.
US-Parteien sind auf einzelstaatlicher Ebene einflussreicher als auf nationaler.
Pressekonferenz von Maggie Hassan, Gouverneurin von New Hampshire 2013
P
olitik wird in den USA nicht – wie in parlamentarischen
Regierungssystemen üblich – von den Parteien formuliert und gesteuert, sondern über „Themennetzwerke“ und
„Tendenzkoalitionen“ ausgehandelt, in denen gleichgesinnte
Politikberater, Wahlkampfmanager, Lobbyisten, Politiker, Verwaltungseliten und Journalisten gemeinsam versuchen, ihre
Ideen und Interessen durchzusetzen.
Anders als Parteien in parlamentarischen Regierungssystemen, die in elementaren Bereichen umfassend funktionieren,
sind US-Parteien aufgrund ihrer von den Verfassungsvätern
institutionell angelegten Schwäche und ihrer weiteren Beschneidung im Laufe der Geschichte nicht in der Lage, gesellschaftliche Interessengegensätze auszutarieren und Politik zu
gestalten. Die Parteien in den USA haben wenige Mittel, Abgeordnete und Senatoren zu sanktionieren und disziplinierend
einzugreifen, um politische Inhalte durchzusetzen. Im Gegensatz zu deutschen haben US-Parteien keine Gestaltungsmacht
im Gesetzgebungsprozess.
Parteien spielen in den USA – mit Ausnahme ihrer Funktion bei den Wahlen – eine untergeordnete Rolle. Doch selbst
bei ihrer Wahlfunktion sind sie eingeschränkt: In Deutschland
wird der Wahlkampf fast ausschließlich über Parteien finanziert, und die Kandidatinnen und Kandidaten müssen für höhere Ämter nach wie vor die „Ochsentour“ durchlaufen, indem
sie im Wahlkampf oder in diversen Vorstufen auf Gemeindeebene, im Landtag oder Bundestag der Partei dienen, um einen
begehrten Platz auf der Parteiliste oder ein Ministeramt zu er-
AP Photo / Tamir Kalifa
Schwache Parteien
Bei besonders umkämpften Themen ergibt sich eine enge Wechselbeziehung zwischen Interessengruppen und Politikern, die ihre Anschichten
vertreten sollen. Kampf um eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in
Texas im Juli 2013
halten. In den USA dagegen sind Quereinsteiger ohne „Stallgeruch“ Gang und Gäbe.
Durch das progressive movement während der Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert wurden die Parteien noch weiter geschwächt, indem ihnen durch die Einführung der Vorwahlen (primaries) die Allmacht bei der Kandidatenaufstellung
entzogen wurde. Hatten früher die „Parteibosse“ in rauchgeschwängerten Hinterzimmern die Entscheidungen getroffen, so werden die Parteien bei der Kandidatenauswahl
und der Wahlkampffinanzierung mittlerweile von InteInformationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik: Themennetzwerker
Warum sind die nationalen Parteien so schwach?
Einer […] Stärkung [nationaler Parteiorganisationen] stehen […] erhebliche Probleme entgegen:
Zunächst die […] Dezentralisierung der
amerikanischen Parteien selbst. Die
einzelstaatlichen, regionalen und lokalen
Parteiorganisationen sind nur bedingt
bereit, auf bisherige Kompetenzen zugunsten einer Stärkung der nationalen Parteiorganisationen zu verzichten.
Watergate und Vietnam haben in den
1970er-Jahren zu einem deutlichen Vertrauensverlust der amerikanischen Parteien
geführt. Die Anzahl der Bürger, die sich
zu keiner Partei bekennen wollten, stieg
damals beträchtlich; eine Tendenz, die
sich seither verstetigt hat. Man orientiert
sich bei der Wahlentscheidung an bestimmten Sachthemen oder an den zur
Wahl stehenden Kandidaten. […]
Weiterhin ist die Institution der Vorwahlen zu nennen, die die Parteien
Tea Party – Sinnbild für die
Polarisierung
Die amerikanischen Parteien stellen für
gewöhnlich alles andere als geschlossene
Einheiten dar: Es gibt konservative Politiker
bei den Demokraten und liberale […] Politiker bei den Republikanern. Und dennoch
bestehen deutliche Kontraste, wenn
man die Mehrheitsmeinungen der beiden
Parteien einander gegenüberstellt. In der
Wirtschaftspolitik haben die Demokraten
die „New Deal“-Linie des in der Wirtschaft
relativ stark engagierten Staates bis heute
nicht gänzlich aufgegeben, die Republikaner hingegen plädieren hier für eine deutlich größere Zurückhaltung des Staates.
Auch in der Sozial- und Bildungspolitik lassen sich Divergenzen nachweisen: Die
Demokraten treten eher für die Benachteiligten ein, während die Republikaner
stärker geneigt sind, diese ihrem Schicksal
zu überlassen. Exemplarisch hierfür ist die
[…] Debatte um die Gesundheitsreform der
Regierung Obama, die dem Präsidenten
von republikanischer Seite aus den Vorwurf
einbrachte, Staatssozialismus zu betreiben.
Dieses Beispiel deutet zugleich an, dass
die programmatische Kluft, aber auch
die Schärfe der politischen Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Das hängt in gehörigem Maße mit dem zwischenzeitlichen
Erstarken der „Tea Party“ zusammen, einer
45
zumindest teilweise einer ihrer zentralen
Aufgaben – der Kandidatenaufstellung
nämlich – berauben und sie Parteianhängern – und damit de facto ihren Wählern –
überantworten.
Auch wirkt der zunehmende Einfluss
der Medien im amerikanischen Wahlkampf – anders als vorerst in Europa – eher
zugunsten der einzelnen Kandidaten als
zugunsten der Parteiorganisationen.
Paradoxerweise muss das amerikanische
Zweiparteisystem in diesem Zusammenhang selbst erwähnt werden. Das relative
Mehrheitswahlsystem hat entscheidend
dazu beigetragen, dass die Vereinigten
Staaten von ihren Anfängen bis heute im
Wesentlichen mit nur zwei Parteien –
wenn auch mit wechselnden Benennungen
und Zielsetzungen – ausgekommen sind.
In dieser religiös und ethnisch heterogenen
Gesellschaft hätte sich jedoch auch
unter dem bestehenden Wahlsystem das
Zweiparteiensystem auflösen müssen,
wenn sich nicht – durch eine erzwungene
innerparteiliche Toleranz – ein „inner-
parteiliches Mehrparteiensystem“ hätte
herausbilden können. Dieses gerät jedoch
[…] heute immer mehr in Gefahr.
Letztlich entscheidend für die Schwäche
der nationalen amerikanischen Parteien ist jedoch […] das präsidentielle Regierungssystem. Der Präsident der USA
bedarf – im Gegensatz zu einem Regierungschef in einem parlamentarischen
Regierungssystem – nicht der dauerhaften Unterstützung seiner Partei im
Kongress: Sie hat ihn nicht gewählt,
sie kann ihn nicht entlassen. Geschlossene
Parteifronten könnten im Gegenteil
zu einer Gefahr für das präsidentielle Regierungssystem werden, wenn der
Präsident einerseits und die Mehrheit
eines oder beider Häuser des Kongresses
andererseits von verschiedenen Parteien gestellt würden. Starre Parteifronten
und mangelnde Kompromissbereitschaft
führen dann – wie momentan zu beobachten – […] zu einem Stillstand und zur
Unregierbarkeit des Systems.
außerordentlich wertkonservativen Gruppierung – wohlgemerkt keine Partei –,
die den Republikanern nahesteht. In der
Folge kann man von einer deutlichen
Polarisierung des parteipolitischen Wettbewerbs bzw. einer „conflict extension“ sprechen, überspitzt formuliert vielleicht sogar
von den „Divided States of America“.
[…] Für die jüngste ideologische Polarisierung gibt es indes kein singuläres, allumfassendes Erklärungsmuster. Vielmehr treffen hier eine ganze Reihe politischer und
gesellschaftlicher Faktoren aufeinander. So
scheint sich innerhalb der amerikanischen
Gesellschaft der Dissens über die als richtig
empfundenen politischen und „social
values“ zu verstärken. Die Frage nach der
richtigen Arbeitsmarkt-, Steuer- und
Sozialpolitik wird völlig konträr beantwortet. Ethische und wertorientierte Debatten
wie die um die rechtliche Anerkennung der
gleichgeschlechtlichen Ehe oder die Zulässigkeit von Abtreibung werden als Glaubenskriege geführt – meist ohne Aussicht
auf einen Kompromiss. Hinzu kommt vor
allem auf Seiten derjenigen, die dem
republikanischen Lager nahestehen, eine
Angst vor dem Verlust von Privilegien:
Die „old white men“ fürchten um ihren wirtschaftlichen Wohlstand und um die
moralische Deutungshoheit. Diese Ängste
wiederum bilden einen wichtigen Nährboden für den Aufstieg der Tea Party, dem
Sinnbild für die derzeitige Ära der „polarized politics“ in den USA.
Die Tea Party – der Name ist sowohl eine
Reminiszenz an die Boston Tea Party,
die den Widerstand gegen die britischen
Kolonialherren im Jahre 1773 bezeichnete,
als auch die Abkürzung für den zentralen
Leitspruch „taxed enough already“ –
entstand Anfang 2009 als Reaktion auf
die Wirtschaftspolitik der Regierung
Obama. Die Bewegung sieht sich selbst als
„grassroot movement“ – was sie allerdings
nur zum Teil ist, da sie nicht nur auf der
Aktivität engagierter Bürger vor Ort fußt,
sondern auch einflussreiche Medien wie
„Fox News“ und finanzkräftige Interessengruppen hinter sich weiß. Ideologisch steht
sie den Republikanern nahe, ist aber in
vielerlei Hinsicht noch deutlich konservativer und staatsskeptischer. Zwei Beispiele:
82 % der Tea-Party-Anhänger halten
Einwanderung für ein „sehr ernstes Problem“ – gegenüber 72 % der Republikaner
und 60 % der Gesamtbevölkerung. 66 %
sind der Ansicht, die globale Erwärmung
werde „keine Auswirkungen“ haben – bei
den Republikanern sind es 51 %, in der gesamten Bevölkerung 29 %. Die Anhängerschaft der Tea Party speist sich vor allem
aus den eben erwähnten „old white men“,
die sich selbst als „workers“ einstufen und
sich durch die steigende Zahl „bunter“ Bevölkerungsgruppen […] ökonomisch und
kulturell bedroht sehen. […]
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Beide Texte: Emil Hübner / Ursula Münch, Das politische System der USA. Eine Einführung, 7., überarb. u. aktual. Auflage,
© Verlag C. H. Beck, München 2013, S. 80 f. (oben) u. S. 70 ff.
46
Politisches System der USA
ressengruppen und deren Wahlkampfkomitees überboten.
Dazu haben auch die Entscheidungen des Obersten Gerichts
(grundlegend 1976 im Fall Buckley v. Valeo und zuletzt, am
21. Januar 2010, im Fall Citizens United v. Federal Election
Commission) beigetragen; die Interpretationen der Obersten
Richter haben dem Einfluss von Interessengruppen, Think
Tanks und Politikunternehmern (policy entrepreneurs) Tür
und Tor geöffnet (siehe auch S. 38 f.).
Starke Interessengruppen
Anders als in den korporatistischen Strukturen Westeuropas
sind Interessengruppen in den USA dezentral strukturiert, ja
„anarchisch aufgesplittert“, so der Politikwissenschaftler Peter Lösche 2008 (S. 274). Dementsprechend viele gibt es; ihre
Zahl wurde vom Verbandsforscher Martin Sebaldt in seinem
2001 erschienenen Buch „Transformation der Verbändedemokratie“ (S. 14, 20) auf über 200 000 geschätzt. Mittlerweile
beteiligen sie sich auch verstärkt an der außenpolitischen
Debatte.
Seit den 1960er- und 1970er-Jahren hat der Einfluss von
Interessengruppen und Wirtschaftsvertretern auf das politische System deutlich zugenommen. „Wirtschaftsunternehmen haben eine Vielzahl von Lobbyisten und Anwälten
beschäftigt, Büros in Washington eröffnet, political action
committees (PACs) gegründet und finanziert, die Mitarbeiterstäbe ihrer government relations-Büros vergrößert, ausgefeilte Strategien entworfen, um die öffentliche Meinung
zu beeinflussen, und gelernt, wie man Graswurzelbewegun-
gen organisiert“, erläutert der amerikanische Interessengruppenforscher David Vogel (1996, S. 5 f.; 1989) ihr umfassendes Wirken.
Viele Interessengruppen und Verbände haben PACs etabliert, um direkt in die Wahlkämpfe einzugreifen. Diese
Wahlkampfkomitees werden nicht nur von Unternehmen
oder Wirtschaftsverbänden genutzt, sondern auch von religiösen oder ethnischen Interessengruppen in Stellung gebracht, um mit Anzeigenkampagnen (issue ads) die Wählerinnen und Wähler über die Kandidaten zu „informieren“.
Betrachtet man das Wirken der PACs in ihrer Gesamtheit,
„so übernehmen sie Aufgaben, die in westeuropäischen parlamentarischen Regierungssystemen von Parteien wahrgenommen werden: Sie sammeln und verteilen Wahlkampfspenden, sie bilden Wahlkampfmanager und Wahlhelfer
aus; sie stellen den Kandidaten Dienstleistungen aller Art
zur Verfügung (von Meinungsumfragen bis zur Produktion
von Fernseh-Werbespots)“, so Peter Lösche 2008 (S. 296).
Außenpolitisch orientierte Interessengruppen in den USA (Beispiele)
Organisation
Kategorie in USA
Interessenträger bzw. -orientierung
American Bankers Association (ABA) http://www.aba.com/
Business
Banken
American Civil Liberties Union (ACLU) http://www.aclu.org/
Human Rights
Menschen- und Bürgerrechte
American Farm Bureau Federation (AFBF) http://www.fb.org/
Agribusiness
Landwirtschaft
American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations
(AFL-CIO) http://www.aflcio.org/
Unions
Gewerkschaften
American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) http://www.aipac.org/
Ethnic
Pro Israel
Boeing Co. http://www.boeing.com/
Defense Industry
Rüstungsunternehmen
Business Roundtable http://businessroundtable.org/
Business
Unternehmen
Christian Coalition http://www.cc.org/
Ethnic/Religious
Christlich Rechte, pro Israel
Common Cause http://www.commoncause.org/
Public Interest
Gemeinwohl
Exxon Mobil http://www.exxonmobil.com/
Energy
Energieunternehmen
Human Rights Campaign http://www.hrc.org/
Human Rights
Menschenrechte
Independent Petroleum Association of America (IPAA) http://www.ipaa.org/ Oil & Gas
Energiewirtschaft
League of Conservation Voters (LCV) http://www.lcv.org/
Environment
Umweltschutz
Lockheed Martin http://www.lockheedmartin.com/
Defense Industry
Rüstungsunternehmen
National Association of Manufacturers (NAM) http://www.nam.org/
Business
Unternehmen
National Federation of Independent Business (NFIB) http://www.nfib.com/
Business
Unternehmen
Sierra Club http://www.sierraclub.org/
Environment
Umweltschutz
U.S. Chamber of Commerce http://www.uschamber.com/
Business
Unternehmen
U.S. Commission on International Religious Freedom (USCIRF)
http://www.uscirf.gov/
Ethnic/Religious
Internationale Religionsfreiheit
und Menschenrechte
Cuban American National Foundation (CANF) http://www.canf.org/
Ethnic/Single Issue
Exil-Kubaner
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik: Themennetzwerker
47
© Federal Election Commission (FEC), Pressemitteilungen
Bis zur Jahrtausendwende stiegen sowohl die Anzahl als auch die
Zuwendungen von PACs enorm an. Die Zuwendungen an Kandidaten für Wahlkämpfe auf nationaler Ebene verzeichneten
einen Anstieg (inflationsbereinigt) von zwölf (1974) auf knapp
70 Millionen Dollar (1998) – das entspricht einer Erhöhung der
„Kaufkraft“ amerikanischer PACs um knapp 500 Prozent (Braml
2004, S. 129 ff.), die innerhalb dieses Vierteljahrhunderts in das
politische System der USA eingeflossen ist. Wie die obige Abbildung verdeutlicht, wurden insbesondere wirtschafts- und industrienahe Organisationen in Stellung gebracht.
Das politische System der USA bietet diesen Politunternehmern ein optimales Betätigungsfeld: Ihr Spielraum ist in den
USA weniger durch die potenzielle Machtrolle politischer
Parteien – der traditionellen Türsteher (gatekeepers) – eingeschränkt, und sie haben leichteren Zugang zu einer größeren
Zahl mitentscheidender Akteure. Neben der persönlichen Ansprache von Entscheidungsträgern in der Exekutive/Administration, Judikative und im Parlament in Washington bearbeiten Interessenvertreter insbesondere die 435 Abgeordneten
und 100 Senatoren über ihre Wahlkreise bzw. Einzelstaaten. Sie
zielen mit ihrem Graswurzel-Lobbying direkt auf die Basis, die
Wähleranbindung.
Ein besonders wirksames Mittel für Interessengruppen, um
Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess und die Wiederwahl zu
nehmen, sind „Wählerprüfsteine“ (scorecards oder voter guides).
Interessengruppen der Christlich Rechten machen zum Beispiel
kritische Abstimmungen publik, damit Abgeordnete und Senatoren wissen, dass ihre Bevölkerung im Wahlkreis genau erfahren wird, wie sie abgestimmt haben (Braml 2005, S. 79 ff.).
Dieser externe Einfluss einer Vielzahl unterschiedlicher und
oft widerstreitender Interessen ist als erheblich einzuschätzen, vor allem bei den Kongresswahlen. Da US-amerikanische
Abgeordnete und Senatoren keiner Parteidisziplin unterworfen sind, können sie sich auch nicht hinter ihr verstecken. Einzelne Politiker laufen ständig Gefahr, im Rahmen einflussreicher Kampagnen an den Pranger gestellt und gegebenenfalls
bei der Kandidatur um eine Wiederwahl persönlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie wägen deshalb bei jeder
einzelnen Abstimmung gründlich ab, wie diese sich bei den
nächsten Wahlen für sie persönlich auswirken könnte.
Think Tanks als Ideen- und Personalagenturen
Das checks and balances-System der Vereinigten Staaten
eröffnet auch anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Think Tanks vielfältige Einwirkungsmöglichkeiten,
insbesondere aufgrund seiner Durchlässigkeit: Sie bedingt
eine hohe Rotation und erleichtert Karrierewechsel. In
diesem System der revolving doors, des fortwährenden inand-out, werden Personen und mit ihnen auch Ideen und
Interessen ständig ausgetauscht. In keinem anderen Land
als den USA wird ein derart breiter und offener (außen)
politischer Diskurs gepflegt, an dem sich unzählige Interessengruppen und Think Tanks maßgeblich beteiligen und
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
in dem sie ihre verschiedenen Kommunikationsrollen ausüben können.
Während in einem parlamentarischen Regierungssystem
wie der Bundesrepublik Deutschland die politischen Parteien bei der Rekrutierung des Spitzenpersonals von zentraler
Bedeutung sind und ohnehin ein großer Berufsbeamtenapparat von politischen Veränderungen unberührt bleibt,
übernehmen in den USA Think Tanks die Rolle des Personaltransfers und damit auch der Ideengebung. Anders als in
Deutschland, wo nur eine Handvoll Fachleute je die Seiten
gewechselt haben, kommentieren US-amerikanische Exper-
48
Politisches System der USA
Think-Tank-Typen und -Familien
Familien
Politisch/ideologisch
identifizierbar (id)
Politisch/ideologisch
nicht identifizierbar (nicht-id)
Typen
advokatisch
parteiisch
akademisch
auf Vertragsbasis forschend
Prototypen
Heritage
Foundation
Nicht in USA
(parteinahe
Stiftungen in
Deutschland)
Brookings
Institution
RAND
Corporation
Zur Typologie von Think Tanks siehe Winand Gellner, Ideenagenturen für Politik und Öffentlichkeit. Think Tanks in den USA und in Deutschland, Opladen 1995 und Kent R. Weaver, The
Changing World of Think Tanks, in: Political Science and Politics 22 / 1989, S. 563-579
Prominente außenpolitisch orientierte Think Tanks
in den USA
Organisation
Typ
Politische
Orientierung
American Enterprise Institute for Public
Policy Research (AEI)
http://www.aei.org/
advokatisch
(neo-)konservativ
Brookings Institution http://brook.edu/
akademisch
zentristisch
(middle of the
road)
Carnegie Endowment for International
Peace
http://carnegieendowment.org/
akademisch
zentristisch
Cato Institute http://www.cato.org/
advokatisch
libertär
Center for American Progress
http://www.americanprogress.org/
advokatisch
progressiv
(Neue Demokraten)
Center for Strategic and International
Studies (CSIS) http://www.csis.org/
akademisch
zentristisch
Council on Foreign Relations (CFR)
http://www.cfr.org/
akademisch
zentristisch
Democratic Leadership Council (DLC) / Progressive Policy Institute (PPI)
http://www.dlc.org/
advokatisch
progressiv
(Neue Demokraten
Economic Policy Institute (EPI)
http://epi.org/
advokatisch
sozial-liberal/
gewerkschaftsnah
Economic Strategy Institute (ESI)
(http://www.econstrat.org/)
akademisch
zentristisch
Heritage Foundation
http://www.heritage.org/
advokatisch
konservativ
Hoover Institution http://www.hoover.org/
akademisch
konservativ
Hudson Institute http://www.hudson.org/
advokatisch
konservativ
New America Foundation (NAF)
http://www.newamerica.net/
akademisch
zentristisch
Peterson Institute for International
Economics (PIIE) http://www.piie.com/
akademisch
zentristisch
RAND Corporation http://www.rand.org/
auf Vertragsbasis forschend
zentristisch
Resources for the Future http://www.rff.org/
advokatisch
liberal/umweltorientiert
Stimson Center http://www.stimson.org/
akademisch
zentristisch
Woodrow Wilson International Center for
Scholars
http://www.wilsoncenter.org/
akademisch
zentristisch
World Resources Institute (WRI)
http://www.wri.org/
advokatisch
liberal/umweltorientiert
ten nicht nur am Seitenrand, sondern erhalten hin und wieder die Chance, sich selbst im Zentrum der Macht am politischen Spiel zu beteiligen. Indem sie eine politische Aufgabe
übernehmen, können sie, selbstredend, auch ihre vorher im
Think Tank erdachten Ideen in die Tat umzusetzen versuchen.
Dieser ständige Austausch von Personal und Ideen hat Vorund Nachteile. So sind US-Sozialwissenschaftler, die häufig
auch direkt von Elite-Universitäten rekrutiert werden, eher
als ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern geübt, praxisorientiert ein komplexes Problem zu analysieren
und Lösungsansätze vorzuschlagen. Davon profitieren gleichermaßen Politik und Wissenschaft, insbesondere Universitäten, die die nächste Generation pragmatischer Fachleute
ausbilden.
Doch auf dem „Marktplatz der Ideen“ werden mittlerweile
nicht nur Ideen gehandelt, die auf empirisch überprüfbaren
Aussagen fußen, sondern auch solche, die ideologischer bzw.
religiöser Natur und daher nicht falsifizierbar sind. In der
Beratungslandschaft wuchern, dank üppiger finanzieller Zuwendungen der Privatwirtschaft, mittlerweile ideologische
Think Tanks, die im „Krieg der Ideen“ ihre Interessen vertreten. Die Heritage Foundation, sicherlich das prominenteste
Beispiel, beabsichtigte in den 1990er-Jahren gar, als Avantgarde der „Konservativen Revolution“ in die Weltgeschichte
einzugehen. Auch wenn die konservative Bewegung merklich an Boden und Einfluss gewonnen hat, bleibt doch festzuhalten, dass die zunehmende Politisierung nicht allein
von der politischen Rechten ausgeht.
Advokatische Think Tanks wie die Heritage Foundation
perfektionieren ähnlich wie Interessengruppen unter anderem auch Lobbying- und Graswurzelstrategien. Think Tanks –
die in der US-amerikanischen Steuergesetzgebung als sogenannte 501(c)(3)-Organisationen firmieren – dürfen zwar kein
Lobbying betreiben (das einen „substanziellen Anteil“ ihrer
Aktivitäten ausmacht), um nicht ihren steuerlich vorteilhaften Status zu verlieren. Doch mittlerweile gibt es zahlreiche
„zivilgesellschaftliche Vereinigungen oder Organisationen,
die nicht nach Gewinn, sondern ausschließlich nach Förderung sozialer Wohlfahrt streben.“ Das sind Organisationen,
die unter Paragraph 501(c)(4) der US-amerikanischen Steuergesetzgebung subsummiert werden – und deren Lobbying
keine steuerlichen Konsequenzen nach sich zieht.
Die Vertreter zentristisch orientierter, das heißt politisch/
ideologisch nicht identifizierbarer akademischer Think
Tanks sehen sich zunehmend mit ideologischen Think Tanks
konfrontiert, die im „Krieg der Ideen“ ihre Interessen vertreten. Das bedeutet indes nicht, dass diese Institute auch
entsprechend an Einfluss gewonnen haben. Vielmehr vermuten Kenner der Szene, dass das Wuchern advokatischer
Think Tanks einen Vertrauensverlust bei politischen Entscheidungsträgern und Geldgebern nach sich ziehen könnte: „Ich bin erstaunt, wie sich die Wertschätzung von Think
Tanks entwickelt und frage mich, ob sie den Wert des Papiergeldes der Weimarer Republik annimmt – und so aufgrund
der Proliferation (Wucherung – Anm. d. Red.) und der offenen Parteilichkeit einiger Institute an Wert verliert,“ urteilte etwa die Meinungsforscherin Karlyn Bowman (zitiert in:
Andrew Rich / Kent R. Weaver, Advocats and Analysts, 1998, S.
250) vom konservativen American Enterprise Institute.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
49
AP Photo / The Tampa Bay Times, Eve Edelheit
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik: Themennetzwerker
Ideologisch geprägte Interessenvertretungen spielen eine einflussreiche Rolle in der US-Politik. Prominentestes Beispiel für einen konservativen Think Tank ist die Heritage Foundation, an deren Spitze
der ehemalige Republikanische Senator Jim DeMint steht.
Heritage Foundation – eine Stiftung mit Einfluss
Kleine Sünden wider die reine Lehre bestraft das konservative Amerika heute
schnell. Richard Burr, republikanischer
Senator aus North Carolina, hatte es gewagt, an der Strategie einiger seiner Parteifreunde zu zweifeln. Der Versuch, die
Gesundheitsreform von Präsident Barack
Obama im letzten Augenblick auf dem
Umweg über das Haushaltsrecht zu zerstören und dabei notfalls auch die Schließung
der Regierung in Kauf zu nehmen, sei
„die dümmste Idee, von der er je gehört
habe“, sagte Blurr einem Journalisten. Die
Antwort auf die offenherzige Bemerkung
kam umgehend: ein Shitstorm. Internetforen diskutierten die Frage: „Ist Richard
Burr noch konservativ?“ In seinem Heimatstaat North Carolina liefen überall Fernsehspots mit einer klaren Aussage: Dumm
sei nicht die Konfliktstrategie der konservativen Republikaner, sondern im Gegenteil die Kompromissbereitschaft der
Moderaten: „Es ist höchste Zeit, dass
Richard Burr auf uns hört und nicht auf
seine Freunde in Washington.“
Finanziert wurden die Werbespots von
einer Organisation namens Senate Conservatives Fund. Deren Ziel ist es, wahre Konservative unter den Republikanern zu
stützen und Abweichler zu bestrafen.
Gegründet hat den Fonds James Warren
DeMint, den in Washington alle „Jim“
DeMint nennen. Er […] gehört zu einer zunehmend einflussreichen Gruppe von
Politikern, die die Republikanische Partei
„reinigen“ wollen – in ihrem Sinne:
keine Kompromisse mit linken Demokra-
ten mehr, weniger Staat, Marktwirtschaft
ohne Einschränkungen, kompromisslos
gegenüber illegalen Einwanderern, „nein“
zur Schwulenehe und zu Abtreibungen,
selbst nach Vergewaltigung und Inzest. Die
Reinheit der Partei ist ihnen dabei wichtiger als Wahlsiege. […]
Im Januar [2013] zog sich DeMint aus dem
Senat zurück, um Präsident der Heritage
Foundation zu werden. […] Ihr offizielles Ziel
ist es, „konservative Politikentwürfe zu
liefern, die auf den Prinzipien von freiem
Unternehmertum, Begrenzung des Staates,
individueller Freiheit, traditionellen amerikanischen Werten und einer starken nationalen Verteidigung beruhen“. Gegründet
wurde Heritage 1973 von konservativen
Republikanern, denen ihr damaliger Präsident Richard Nixon zu weit links war. Der
Mitgründer und langjährige Präsident der
Stiftung, Ed Feulner, schreibt im Rückblick:
„Als wir 1973 anfingen, kontrollierten die
Linken den Kongress und alle sozio-kulturellen Institutionen. Im Weißen Haus
hatten wir einen Präsidenten, der durch
Skandale geschwächt war und Preis- und
Lohnkontrollen verordnete, den Sozialstaat
ausbaute und nach Beijing fuhr, um Mao
zu treffen. Wir hatten kaum Verbündete in
Machtpositionen, wenn es überhaupt
welche gab.“ Verbündete hatte die junge
Stiftung allerdings in der amerikanischen
Wirtschaft. Zu den ersten Spendern für
die Stiftung gehörten reiche Unternehmer
wie der Bierkönig Joseph Coors.
[...] Vor drei Jahren [...] gründete Heritage eine Organisation namens „Heritage
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Action for America“. Heritage Action greift
als Lobby-Gruppe direkt in den Prozess
der Gesetzgebung ein, was Heritage als gemeinnützige Stiftung nicht darf. Schon
das zeigt, dass der Ehrgeiz von Heritage
heute weit über das hinausgeht, was die
Gründer 1973 sich vorstellen konnten. Und
der Wechsel vom langjährigen Präsidenten Ed Feulner, einem Ökonomen, zum
Politiker Jim DeMint ist Programm.
DeMint und Michael Needham, der Chef
von Heritage Action, haben jedenfalls nie
einen Zweifel daran gelassen, dass sie die
Spielregeln ändern und auch Republikaner
bekämpfen würden, die ihnen nicht konservativ genug sind. Es ist ein Tabubruch,
dessen Bedeutung man kaum überschätzen kann. Es ist ungefähr so, als würde die
Friedrich-Ebert-Stiftung WahlkampfSpots gegen Andrea Nahles schalten. […]
Jim DeMint dürfte das wenig stören.
Er hat seine eigenen Methoden, um das
Establishment der Partei zu ärgern. Zum
Beispiel mit der Institution der „Wächter“
(„Sentinels“). Wächter sind Politiker und
Aktivisten, die ihre konservative Gesinnung
bewiesen haben, etwa dadurch, dass sie
nach den Kriterien von Heritage korrekt
stimmten. Unter den republikanischen
Abgeordneten und Senatoren erreichten
nur 29 den Status. [...]
Nikolaus Piper, „Ohne Rücksicht auf Verluste“, in: Süddeutsche
Zeitung vom 9. Oktober 2013
50
Politisches System der USA
Andrew Rich / R. Kent Weaver, Advocats and Analysts: Think Tanks and the Politicization of Expertise, in: Allan J. Cigler / Burdett A.
Loomis (Hg.), Interest Group Politics, Washington D.C. 1998, S. 235-254
Experten stimmen darin überein, dass es sehr schwierig ist,
den wirklichen Einfluss von Interessengruppen und Think
Tanks zu ermessen. Die meisten Politikwissenschaftler halten es für „zwecklos“, nach direkten Auswirkungen von
Think-Tank-Aktivitäten zu fragen: „Solche Fragen könne nur
stellen, wer die Komplexität des politischen Prozesses nicht
in Rechnung stelle. In einzelnen Fallstudien seien Nachweise
durchaus möglich, systematisch überzeugende Erklärungen
(aber) wohl eine Illusion“, so der mittlerweile verstorbene
Nestor der US-amerikanischen Politikwissenschaft Nelson
Polsby im Gespräch mit Winand Gellner (1995, S. 22).
Gleichwohl ist es offensichtlich, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Eigenschaften und Arbeitsweisen
von Think Tanks grundlegend verändert haben, was sich in
einer Politisierung der Beratung US-amerikanischer Politik
widerspiegelt: „In den ersten Jahrzehnten bis zur Mitte des
20. Jahrhunderts wurden Think Tanks allgemein als objektive und sehr glaubwürdige Produzenten von Expertisen für
politische Akteure angesehen. In der heutigen, viel dichter
besiedelten Think-Tank-Landschaft werden sie zunehmend
zu streitsüchtigen Advokaten in balkanisierten Debatten
über politische Richtungsentscheidungen, oder werden zumindest so wahrgenommen.“ (Rich/Weaver 1998, S. 250).
Das ist genau das Ziel advokatischer Institute: Ihre klare
politische Positionierung beschert ihnen bessere Sichtbarkeit in den Medien. Damit haben sie auch bessere Karten
beim Fundraising. Denn die Geldgeber nehmen an, dass
Think Tanks nicht nur direkt, sondern vor allem auch über
die Medien indirekt Einfluss auf politische Entscheidungen
nehmen können.
Medien als vierte Gewalt?
Nicht erst seit Orson Welles‘ 1938 ausgestrahlter Radiosendung „Invasion from Mars“, nach der viele Hörer voller Angst
auf die Straßen liefen, weil sie das, was ihnen vermittelt
wurde, für real hielten, existiert der Mythos von den übermächtigen Medien. Er wurde bereits zuvor mit der Erforschung der Wirkung von Werbung und Propaganda verfestigt. Die Annahme omnipotenter Medien beherrschte auch
lange Zeit die Medienwirkungsforschung.
Mittlerweile wird der Medieneinfluss differenzierter gesehen: Zum einen bemühen sich die Medien selbst – oder werden
von anderen als Medium bemüht –, um auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Zum anderen können sie aber auch
mitentscheiden, worüber entschieden wird: indem sie ein Thema problematisieren oder ein zu lösendes Problem auf die politische Tagesordnung bringen. Neben dieser Agenda-SettingFunktion, wie sie 1972 die US-Forscher Maxwell E. McCombs
und Donald L. Shaw beschrieben, können die Medien auch noch
den Rahmen des Vorstellbaren abstecken: sprich mit Begriffen
oder Metaphern das Problem und dessen Lösung begreifbar
machen und dabei Einfluss nehmen oder manipulieren.
In seiner analytischen Betrachtung der menschlichen Kommunikation unterschied der Journalist Walter Lippmann
bereits 1922 zwischen der „Außenwelt“ und den „Bildern in
unseren Köpfen“. Die Realität ist laut Lippmann zu groß, zu
komplex und zu vergänglich, als dass sie von uns direkt wahrgenommen werden könnte. Da wir jedoch in ihr handeln müssen, behelfen wir uns damit, sie durch ein einfacheres Modell
zu rekonstruieren, damit sie uns vertraut und umgänglicher
wird. Diese Modelle, sprich (Sprach-)Bilder, liefern uns die Medien und die Medienmacher.
Politik liegt für die meisten Menschen außerhalb ihres Erfahrungshorizonts, sodass sie von anderen erforscht und beInformationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
51
Yoon S. Byun / The Boston Globe via Getty Images
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik: Themennetzwerker
US-Politiker müssen den Bürgerinnen und Bürgern stets Rede und Antwort stehen. Ed Markey, 2013 Bewerber der Demokraten für einen Senatssitz in
Massachusetts, beantwortet nach dem ersten Fernsehduell mit seinem Republikanischen Gegenkandidaten, Gabriel E. Gomez, Fragen der Presse.
richtet werden muss. Auch die meisten US-Amerikanerinnen
und US-Amerikaner sind auf die Medien angewiesen, weil die
wenigsten von ihnen sich ein eigenes Bild von dem machen
können, was in ihrer Hauptstadt oftmals auch hinter den Kulissen politisch geschieht. Gleichwohl sind sie alle zwei bzw.
vier Jahre aufgerufen, ihren politischen Willen in der Wahlkabine kundzutun. Zudem werden sie laufend von Demoskopen
gebeten, zu allen möglichen Themen und Problemen ihre Meinung abzugeben. Die Medien, die Meinungsumfragen zum
Teil auch selbst in Auftrag geben, konfrontieren Politiker dann
gerne mit dieser „öffentlichen Meinung“.
US-Politiker sind damit verpflichtet, ganz im Sinne der Gründerväter, stets ihren Bürgern Rede und Antwort zu stehen. In
der heutigen Mediendemokratie sind sie aber ebenso gezwungen, sich an den täglich von Demoskopen ermittelten und oft
widersprüchlichen Befindlichkeiten ihrer Wählerschaft zu orientieren. Die öffentliche Meinung und die veröffentlichte Meinung, sprich die Meinungsmacher in den Medien, gewinnen
dadurch immer mehr Einfluss auf die Politik.
Auch im (permanenten) Wahlkampf spielen Medien eine
wichtige Rolle. Politiker versuchen ständig, durch Pressemitteilungen und indem sie „Ereignisse“ inszenieren, in die
Nachrichten zu kommen. Das kostet wenig und erhöht den
Bekanntheitsgrad. Umso schwieriger und teurer wird es für
die Kandidaten, im Wahlkampf sichtbar zu bleiben. Die Werbespots in Radio und Fernsehen verschlingen das meiste der
für den Normalbürger unvorstellbaren Summen an Wahlkampfgeldern, die die Kandidierenden – auch auf Kosten ihrer
Regierungsarbeit – ständig einwerben müssen.
Die Medien, die von diesem Geldsegen profitieren, sind verständlicherweise die verlässlichsten Anwälte der Redefreiheit
(freedom of speech) und politisieren gegen jegliche Beschränkung von Wahlkampfspenden. Nach wiederholten Auslegungen des Obersten Gerichts der USA würde mit der Begrenzung
von Wahlkampfspenden der erste Verfassungszusatz, das
Grundrecht auf Redefreiheit, beschnitten.
Indem Interessengruppen und deren political action committees den Kandidaten direkt Geld geben oder als sogenannInformationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
te unabhängige externe Organisationen die Qualitäten des
einen preisen oder die Unfähigkeit des anderen anprangern,
üben sie, selbstredend, ihr verfassungsmäßiges Recht auf Redefreiheit aus. „Money talks“, das trifft oft im wahrsten Sinne
des Wortes zu. Geld kann dafür sorgen, dass in der politischen
Auseinandersetzung einigen Interessen mehr Gehör verschafft wird als anderen. So werden mit Wahlkampfgeldern
teure Werbespots finanziert und über eine Vielzahl privater
Fernsehsender verbreitet.
Seit den 1960er-Jahren hat das Fernsehen die Zeitungen
in puncto Glaubwürdigkeit abgelöst. Laut Angaben der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch (Emil Hübner / Ursula
Münch, Das politische System der USA, 2013, S. 107) bezogen
2010 knapp 60 Prozent der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner ihre Informationen aus dem Fernsehen; nur noch ein
Drittel informiert sich über die Tageszeitungen, genauso viele
nutzen Radio und Internet. Angesichts des Kommunikationsverhaltens von Jugendlichen, die auch ihre politisch relevanten Informationen immer häufiger im Internet und dabei vor
allem über soziale Netzwerke beziehen, laufen die etablierten
Medien, insbesondere das Fernsehen und die Tageszeitungen,
Gefahr, künftig nur noch die Altersgruppe der Rentnerinnen
und Rentner zu bedienen.
Da die in hart umkämpften Einzelstaaten lebenden Zuschauer in Wahlkampfzeiten mit politischer Werbung überhäuft und abgestumpft werden, ist auch die persönliche Ansprache der Wähler wieder „modern“ geworden: zum einen
durch freiwillige Wahlkampfhelfer, die von Haus zu Haus gehen (canvassing), zum anderen durch direct mail, ehedem über
Datenbanken generierte und per Post versendete „persönliche
Massenbriefe“, die nunmehr in Form von E-Mail-Kampagnen
und über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook an den
Mann oder die Frau gebracht werden. Mit den neuen zielgruppenspezifisch einsetzbaren Medien und Kampagnen über das
Internet können sich Politiker immer mehr von den klassischen Massenmedien unabhängig machen, und ihre Wahlkampfhelfer, Finanziers und potenziellen Wähler direkt und
permanent ansprechen.
52
Politisches System der USA
Kommerzialisierung und Konzentration haben ihren Preis:
weniger Auswahl und noch weniger Qualität: Nach Einschätzung von Emil Hübner und Ursula Münch (2013, S. 102) ist in
den USA Qualitätsjournalismus zur Ausnahme geworden; der
Großteil des Landes gleiche einer „Informationswüste“, in der
es keine Vielfalt, sondern „nur die Vervielfältigung weitgehend gleicher, häufig sehr seichter Inhalte“ gebe.
Die Medienlandschaft in den USA hat sich in den letzten
Jahren merklich politisiert. Weit entfernt vom Ideal unabhängiger Berichterstattung verhalten sich viele US-Journalisten
wie Matadore im politischen Zweikampf. Viele sind Teil von
Koalitionen, die bestimmte Themen oder politische Tendenzen befördern (issue networks; advocacy coalitions). Die Grenzen zwischen Journalismus und politischem Aktionismus sind
häufig nicht mehr erkennbar. Die offensichtlichsten Beispiele
sind die TV-Sender Fox und MSNBC (ein Gemeinschaftsunternehmen von NBC Universal und Microsoft).
Die Einseitigkeit der Medienangebote führt dazu, dass auch
die Rezipienten in jeweils eigenen Welten leben. Die Zuschauer werden mit anderslautenden Meinungen nicht mehr behelligt. Die Republikaner informieren sich über Fox News; MSNBC
dient den Demokraten als Informationsquelle. Beide Lager
können sich mittlerweile auch im Alltag nicht mehr über die
gleiche Realität unterhalten, weil die Wahrnehmungsunterschiede zu groß geworden sind.
Ebenso wenig werden Kompromisse in der politischen Praxis
belohnt, im Gegenteil: So wurde der Republikaner John Boehner, als er zur Behebung des Schuldenproblems im Sommer 2011
eine Einigung mit dem Demokratischen Präsidenten Obama
ausgehandelt hatte, von Fox News, dem Sprachrohr der staatskritischen, von Milliardären wie den Brüdern Charles und David
Koch finanzierten Tea Party-Bewegung, umgehend publizistisch
in die Mangel genommen. Der Kompromiss ist bekanntlich gescheitert. Der Sprecher des Abgeordnetenhauses gilt seitdem
als schwer angeschlagen. Boehner hat nunmehr große Schwierigkeiten, die eigenen Reihen zusammenzuhalten, um mit Präsident Obama politische Lösungen für drängende Probleme zu
finden. Damit tragen auch die Medien zur Polarisierung bei, die
mittlerweile das politische System der USA lähmt.
Tom Pennington / Getty Images
Melanie Stetson Freeman / The Christian Science Monitor / Getty Images
Zwar wird von Vertretern etablierter Medien gerne eingewendet, dass mit der Beliebigkeit der Angebote im Internet die
Qualität verloren gehe. Doch die Qualitätsberichterstattung
wurde aufgrund der Kommerzialisierung und Konzentration
der Medienwelt ohnehin schon längst ausgedünnt.
Der US-amerikanische Medienmarkt wird (laut Hübner/
Münch 2013, S. 101) von fünf Medienimperien (Time Warner,
Disney, Murdoch’s News Corporation, General Electric/NBC und
CBS Corp.) mit 90 Prozent der Marktanteile beherrscht. Die Lockerung gesetzlicher Regulierungen, etwa 1996 mit dem Telecommunications Act, habe es den Megakonzernen erleichtert,
auch ihre vertikalen Integrationsstrategien durchzusetzen,
das heißt Produktion und Verteilung von Medieninhalten unter ein Firmendach zu bekommen.
Der politisch interessierte Fernsehzuschauer hat die Wahl
zwischen wenigen kommerziellen Stationen: der ABC (American Broadcasting Company), dem CBS (Columbia Broadcasting System) und der NBC (National Broadcasting Company),
dem vom Medienmogul Ted Turner geschaffenen Nachrichtensender CNN (Cable News Network) sowie dem vom australischen Geschäftsmann Rupert Murdoch finanzierten
Fox TV. Staatlich geförderte Qualitätssender wie PBS (Public
Broadcasting System), C-SPAN (Cable-Satellite Public Affairs
Network) oder NPR (National Public Radio) sind vom Aussterben bedroht, da sie laufend Schwierigkeiten mit ihrer Finanzierung haben.
Auch der Zeitungsmarkt konzentriert sich auf immer weniger Anbieter. Vier von fünf Tageszeitungen in den USA
befinden sich in der Hand von Konzernen; dem größten, der
Thompson-Gruppe, gehören mittlerweile über 100 Tageszeitungen. Die Kommerzialisierung hat zur Konzentration und
Ausdünnung der Medienvielfalt geführt. Es gibt in den USA
heute nur noch wenige Städte, in denen die Bewohner mehr
als eine Tageszeitung zu lesen bekommen. Auch die überregionalen, landesweit verbreiteten Blätter wie das Wall Street
Journal, USA Today, die New York Times, die Los Angeles Times
und die Washington Post kann man an einer Hand abzählen.
Hinzu kommen die Wochenmagazine Time, Newsweek und US
News and World Report.
Noch informieren sich die meisten US-Amerikaner über das Fernsehen.
Junge Leute nutzen aber zunehmend digitale Medien, um mehr über Politik zu erfahren. „Zuschauer“ in Fred’s Texas Café in Fort Worth 2013
Insbesondere die Printmedien leiden unter der veränderten Mediennutzung.
In den vergangenen Jahren hat sich die Anzahl der Tageszeitungen drastisch
reduziert. Zeitungskiosk auf Manhattans Upper West Side 2012
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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Michael Loccisano / Getty Images
Chip East / Bloomberg via Getty Images
Mittler zwischen Zivilgesellschaft und Politik: Themennetzwerker
In den USA sind auch die Medien zunehmend polarisiert. Wer möchte, informiert sich in der jeweils eigenen Welt. Demokraten schauen TV mit MSNBC, …
… während Anhänger der Republikaner ihre Informationen lieber beim konservativen Fernsehsender FOX beziehen.
Eine Ära neigt sich dem Ende zu
neue Eigentümer passiert.“ Diese Sätze lassen die Progressiven träumen: Wer, wenn
nicht einer der größten Digitalstrategen
der Gegenwart könnte neue Herangehensweisen jenseits aller Verleger-Denkweisen
finden und ein Produkt entwickeln, das die
Wünsche des Kunden in den Mittelpunkt
stellt?
Wer, wenn nicht der Herrscher über
schmalste Gewinnmargen könnte dem
Journalismus beibringen, wieder Geld
zu verdienen? Wer, wenn nicht der Erfinder
einer digitalen Amazon-Verkaufsmaschine in Tablet-Form (Kindle Fire) könnte
verstehen, wie ein Medienkonzern das
Flachcomputer-Zeitalter angehen muss?
Und welches Medienunternehmen hätte
nicht Interesse an der Infrastruktur, die
Amazon bietet – von den Nutzervorlieben
bis zu den Lesegeräten?
Doch auch die Skeptiker finden in Bezos
die Projektionsfläche für die Angst vor einem Medienwandel, der in die falsche Richtung geht: Was ist mit dem Interessenkonflikt, den die Washington Post künftig
in der Berichterstattung über Amazon, den
Einzelhandel oder die Techbranche eingeht? Wer verhindert, dass die Zeitung zum
Washingtoner Lobbyorgan für die Vorstellungen des Eigentümers wird? Genügt
die Zusage, dass Bezos sich aus dem aktuellen Geschäft heraushält? […]
Dass Geschäftsmänner in den USA zu
Verlegern werden, ist kein Novum, sondern hatte im 20. Jahrhundert Tradition:
John Whitney verdiente sein Geld mit
Schwefelminen und Filmrollen, bevor er
[…] Jeff Bezos kauft die Washington Post.
Der Mann, der aus dem Online-Buchversand Amazon mit viel Geduld und noch
mehr Geschick die auf absehbare Zeit
wichtigste Verkaufsplattform der Welt
gemacht hat. […]
Das Geschäft ist ein gewaltiger Einschnitt
für die traditionelle amerikanische Medienbranche. „Der Eisberg hat gerade die
Titanic gerettet“, titelte das Portal Salon.
com. Für 250 Millionen Dollar übernimmt
mit Bezos erstmals ein Internet-Unternehmer eine bedeutende Printmarke. Der
Preis sei „für die moderne Zeit großzügig“,
merkt New-Yorker-Chef David Remnick
an und ergänzt nüchtern: Vor zehn Jahren
hätten die Eigentümer allerdings ein
Vielfaches erhalten. […]
Amazon, so betonen die Beteiligten, ist
an dem Deal nicht beteiligt. Damit sinkt
die Gefahr, dass ungeduldige Aktionäre
Bezos dazu drängen, das Traditionsunternehmen möglichst schnell auf Profitabilität zu trimmen und möglicherweise bald
wieder abzustoßen. Und genau das ist
es, was die Hoffnung in Belegschaft und
Branche nährt. […]
„Die Werte der Post müssen sich nicht verändern“, kündigte [Bezos] bereits in
einem Brief an die Belegschaft an. Soweit
die Aspekte, die jene erfreuen dürften,
denen Berechenbarkeit wichtig ist. Doch
schreibt Bezos auch: „Es wird in den nächsten Jahren Änderungen bei der Post geben.
Das ist essentiell und wäre mit oder ohne
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
die New York Herald Tribune kaufte. Ohne
den Finanzinvestor Raoul Fleischmann
hätte es den New Yorker nie gegeben.
William Randolph Hearst profitierte beim
Aufbau seines Medienimperiums von
den Bergbau-Millionen seines Vaters. Ist
nun also die Zeit gekommen, in der Medienunternehmen wieder das Hobby von
Milliardären werden? Immerhin ist es bereits der zweite Deal dieser Art in wenigen
Tagen: Erst am Wochenende [2./3. August
2013] kaufte der Milliardär John Henry
den Boston Globe.
Bereits seit 2007 fördern die kalifornischen Immobilien-Milliardäre Herbert und
Marion Sandler investigativen Journalismus mit der nichtkommerziellen Plattform ProPublica. Und selbst Facebook-Mitgründer Chris Hughes leistet sich im Alter
von 29 Jahren mit dem Traditionsmagazin New Republic ein teures Hobby.
Mit dem Verkauf der Washington Post
scheint zumindest die Ära der Familienverleger in den USA zu Ende zu gehen:
Vor den Grahams verabschiedeten sich
bereits renommierte Eigentümer wie
die Chandlers (Los Angeles Times) oder die
Bancrofts (Wall Street Journal) aus dem
Geschäft. Einziges Überbleibsel dieser Ära
ist die Sulzberger-Familie, der die New
York Times gehört. Wenn man so möchte,
ist das Duell der beiden bekanntesten
Tageszeitungen künftig auch das des Verleger-Establishments gegen die SiliconValley-Generation.
Johannes Kuhn, „Jeff Bezos kauft der Branche Hoffnung“, in:
sueddeutsche.de vom 6. August 2013
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Politisches System der USA
Josef Braml
Aktuelle Probleme:
Politikblockade
D
ie politische Ohnmacht Barack Obamas wird von vielen Beobachtern an seiner Person und Biographie
festgemacht. Erinnert der amtierende Präsident doch ein
wenig an Jimmy Carter, der vor seiner Amtsübernahme
noch weniger politische Erfahrung hatte als Obama. Anders als etwa Lyndon B. Johnson, der in der Auseinandersetzung mit dem Kongress seine langjährige Erfahrung
und persönlichen Kontakte als Abgeordneter, Senator und
Vizepräsident in die Waagschale werfen konnte, sind beide
mehr oder weniger als politische Novizen ins höchste Amt
der USA gelangt. Diese vor allem von Historikern auf den
Personenkult Mächtiger fixierte Sichtweise blendet jedoch
aus, dass US-Präsidenten nicht alleine im politischen Vakuum regieren und einen gestandenen Beraterstab um sich
scharen. Ausschlaggebend für den Politikstau (gridlock) in
Washington sind in erster Linie die enormen sozialen und
wirtschaftlichen Strukturprobleme, die auch Obamas „große Vorgänger“ ihm hinterlassen haben, sowie die grundlegenden Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen, die das Regieren beinahe unmöglich gemacht haben.
In der derzeitigen Machtkonstellation sind Präsident und
Kongress kaum in der Lage, wenigstens die akuten Probleme zu lösen – sei es die tickende Schuldenbombe zu entschärfen, die Wirtschaft wieder zu beleben, den Freihandel
zu fördern, nachhaltig die Umwelt- und Energieprobleme
zu lindern oder in der Außenpolitik eine liberale Weltordnung aufrechtzuerhalten. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche
Schwäche vertieft die ideologischen Gräben zwischen Demokraten und Republikanern. Das verstärkt die Dysfunktionalität und untergräbt die Legitimation des Regierungssystems und die Handlungsfähigkeit der Regierung.
Demokraten und Republikaner konnten sich seit den Zwischenwahlen 2010 bei den wichtigen Fragen nicht mehr
auf Kompromisse verständigen. Viele Republikaner stehen
der Tea Party-Bewegung nahe und benötigen deren Unterstützung, um wiedergewählt zu werden. Die Anhänger der
Tea Party betreiben jedoch Fundamentalopposition, sodass
unter anderem auch bei der Anhebung der Schuldenober-
Klaus Stuttmann
Innen- und außenpolitische Herausforderungen setzen die
Supermacht USA unter Handlungsdruck. Der Erfolg ihres
Handelns wird davon abhängen, ob die politische Blockade
überwunden werden kann.
grenze im Sommer 2011 der Kongress und das Weiße Haus,
namentlich Verhandlungsführer John Boehner und Barack
Obama, sich nicht auf einen Kompromiss einigen konnten.
Die Unfähigkeit der Politik hat schließlich die amerikanischen Ratingagenturen genötigt, die Kreditwürdigkeit der
USA herabzustufen.
Wie sehr das Grundvertrauen der US-Bevölkerung in ihre
Regierung inzwischen erschüttert ist, offenbarte eine repräsentative Umfrage der Washington Post vom 9. August 2011,
wonach acht von zehn Befragten unzufrieden waren mit der
Art und Weise, wie das politische System funktioniert bzw.
nicht mehr funktioniert. Sieben von zehn Befragten stimmten der Begründung der Ratingagentur Standard & Poor’s
zu, dass ihr Regierungssystem „weniger stabil, ineffektiver
und weniger berechenbar“ geworden sei. Genauso viele potenzielle Wählerinnen und Wähler haben wenig oder keine
Hoffnung, dass die Regierung in Washington die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen kann. (www.washingtonpost.com/wp-srv/politics/polls/postpoll_080911.html)
Diese Herkulesaufgabe wird umso schwieriger, als zudem
der Handlungsspielraum des Präsidenten durch die Blockademacht des Kongresses – insbesondere durch dessen Haushaltsbewilligungsrecht, die power of the purse – massiv eingeschränkt ist. Insgesamt wird die Bewältigung der Finanz-,
Wirtschafts- und Infrastrukturprobleme viel Geld kosten,
das den USA aufgrund der desolaten Haushaltslage fehlt.
Der Schuldenberg
Barack Obama hat ein schweres Erbe übernommen: eine
ausgesprochen schlechte Wirtschaftslage und leere Haushaltskassen. George W. Bushs Butter-und-Kanonen-Politik,
also Steuersenkungen trotz immenser Kriegsausgaben,
hatte den Staatshaushalt stark belastet. Hinzu kamen dann
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Aktuelle Probleme: Politikblockade
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
© Congressional Budget Office (CBO) 2012, eigene Darstellung
Schuldenstand 30.9.2013
© picture-alliance / dpa-infografik, Globus 17 973; Quelle: Office of Management and Budget, White House
Gerhard Mester / Baaske Cartoons
auch unter Obamas Führung milliardenschwere Rettungsund Förderprogramme, um die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er-Jahren zu beheben.
Bereits das Haushaltsjahr 2008 markierte mit 459 Milliarden Dollar ein Rekorddefizit. 2009 war der Fehlbetrag mehr
als dreimal so hoch: 1413 Milliarden Dollar. In den beiden Folgejahren wurde der Staatshaushalt erneut um jeweils etwa
1300 Milliarden Dollar überzogen. Auch im Haushaltsjahr
2012, das am 30. September 2012 endete, bezifferte sich das
Haushaltsdefizit auf über 1100 Milliarden Dollar.
Da sich Jahr für Jahr weitere hohe Milliarden-Defizite anhäuften, musste die Gesamtschuldenobergrenze, die vom
Kongress bereits im Februar 2010 auf 14 Billionen Dollar erhöht worden war, im Jahr 2011 erneut angehoben werden.
Doch spätestens im Sommer 2011, im Zuge der Auseinandersetzungen um die Anhebung der Schuldenobergrenze, wurde deutlich, dass das politische System blockiert ist. Dass
eine solche in der Vergangenheit routinemäßig abgewickelte Aktion dieses Mal zum heftigen politischen Streit wurde,
verdeutlicht den Ernst der Lage. Selbst die Drohungen der
Ratingagenturen, die Kreditwürdigkeit der USA herabzustufen, brachten die politischen Kontrahenten nicht zur Raison.
So machte im August 2011 Standard and Poor`s seine Ankündigung wahr und stufte die Kreditwürdigkeit der USA von
AAA auf AA+ herab.
Nach monatelangem ergebnislosem Tauziehen, das die Finanzmärkte in beständiger Unruhe hielt, konnte Präsident
Obama Anfang August 2011 zwar dann doch noch den Budget
Control Act unterzeichnen. Wie der Name des Gesetzes suggeriert, sind mit der Anhebung der Schuldenobergrenze um zunächst 900 Milliarden Dollar auch Ausgabenkürzungen verbunden: In den nächsten zehn Jahren sollen insgesamt 2400
Milliarden Dollar eingespart werden. Doch die zur Ermittlung
der ersten Sparziele im Umfang von zunächst 1500 Milliarden
Dollar eingesetzte überparteiliche Gruppe von Abgeordneten
und Senatoren konnte sich bis zum vereinbarten Stichtag,
dem 23. November 2011, nicht auf konkrete Vorschläge einigen. Deshalb ist seit März 2013 ein automatischer Mechanismus in Kraft getreten, der über alle Haushaltstitel verteilt, im
sozialen wie im militärischen Bereich, Kürzungen nach dem
Rasenmäherprinzip (sequestiation) durchführt.
Die drastischen Ausgabenkürzungen und die Unsicherheit, wie lange diese Kürzungen dauern, drohen, den Konsumenten Kaufkraft und Kauflaune zu nehmen und die Konjunktur zu bremsen. Hinzu kam, dass staatliche Angestellte
von ihren Arbeitgebern in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt werden mussten, weil sich die Kontrahenten gegen
Ende des Haushaltsjahres (zum 30. September) nicht einmal
auf einen Übergangshaushalt einigen konnten. Die meisten
Regierungsgeschäfte wurden für 16 Tage stillgelegt, was
das Land laut Berechnungen überparteilicher Forschungsinstitute auf das Gesamtjahr gerechnet rund 24 Milliarden
Dollar Wirtschaftsleistung und über 120 000 Arbeitsplätze
gekostet haben dürfte. (White House / Office of Management
and Budget (OMB), Impacts and Costs of the October 2013 Federal Government Shutdown, Washington, D.C., November 2013,
S. 2 ff.; http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/omb/reports/impacts-and-costs-of-october-2013-federal-govern ment-shutdown-report.pdf)
Nachdem im Herbst 2013 der Sturz in den sogenannten finanziellen Abgrund (fiscal cliff) in letzter Minute abgewendet
werden konnte, ist Anfang 2014 der nächste Showdown zwischen Präsident und Kongress vorprogrammiert. Einmal mehr
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Politisches System der USA
muss die Gesamtschuldenobergrenze angehoben werden. Auf
lange Sicht führt jedoch kein Weg daran vorbei, die drückende
Staatsschuldenlast abzubauen.
Um eine Einigung mit Präsident Obama zu finden, der beflügelt durch seine Wiederwahl nunmehr noch weniger als
bisher bereit ist, seinen Parteigenossen im Kongress Ausgabenkürzungen zuzumuten, müsste John Boehner, der angeschlagene Parteichef der Republikaner im Abgeordnetenhaus,
den Seinen mehr Einnahmen, also Steuererhöhungen abringen. Doch insbesondere die libertären, der Tea Party nahestehenden Republikaner wollen das Schuldenproblem lösen, indem nur die Ausgaben gekürzt werden.
Die von den Granden der Tea Party-Bewegung patronierten und finanzierten Republikaner würden insbesondere
mit höheren Steuersätzen einen „politischen Selbstmord“
begehen, zumal viele von ihnen auch öffentlich einen Eid
gegen Steuererhöhungen geschworen haben. US-Abgeordnete sind entsprechend der Funktionslogik des politischen
(Wahl-)Systems und der Politikfinanzierung politische Einzelunternehmer, keine Parteisoldaten. Bedroht durch mögliche – von anti-staatlichen political action committees und
Partikularinteressen finanzierte – Gegenkandidaten bei den
Vorwahlen für die im November 2014 anstehenden Kongresswahlen, werden viele dieser Abgeordneten zunächst
an ihr eigenes Überleben denken und weniger an die öffentliche Wahrnehmung ihrer Partei, die laut Umfragen mehrheitlich für ein Scheitern der Haushaltspolitik verantwortlich gemacht wird.
Spätestens seit den Zwischenwahlen 2010 ist die Schuldenlast politisch brisant geworden. Damals wurden auch republikanische Mandatsträger, die für Bushs 700-MilliardenRettungsplan gestimmt hatten, bereits von den libertären
Anhängern und Herausforderern der Tea Party-Bewegung
an den Pranger gestellt. In größerem Ausmaß wurden jedoch am Wahltag jene fiskalkonservativen Demokraten, die
sogenannten Blue Dogs abgestraft, die in Wahlkreisen mit
eher fiskalkonservativer Wählerklientel zur Wiederwahl
anzutreten hatten. Selbst langjährige Abgeordnete wie
der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ike Skelton,
und der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, John Spratt,
mussten das jähe Ende ihrer 34- bzw. 28-jährigen Amtszeiten hinnehmen.
Blockierte Wirtschaftspolitik
Obama hat auch in seiner zweiten Amtszeit sehr wenig fiskal- und wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum, um
die lahmende Wirtschaft wiederzubeleben. Sollte der Präsident versuchen, die Wirtschaft mit kreditfinanzierten Ausgaben anzukurbeln, wird er am Kongress scheitern, denn
dort verhindern die libertären, staatskritischen Repräsentanten der republikanischen Tea Party-Bewegung die Kreditaufnahme, unterstützt von den fiskalkonservativen Demokraten.
Auch sein Amtsvorgänger, Präsident George W. Bush, hatte
bereits ähnliche Schwierigkeiten gehabt. Bushs Gesetzesinitiative für ein 700-Milliarden-Dollar-Stabilisierungsprogramm
Reparaturbedürftig:
die Infrastruktur
Die Infrastruktur in den USA ist in einem
Maße vernachlässigt und reparaturbedürftig, dass sie auch schon bei geringeren Einwirkungen als einem Hurrikan
zusammenbricht. Schlaglochpisten, gekappte Stromleitungen, einsturzgefährdete Brücken oder löchrige Wasserleitungen, es besteht Reparaturbedarf. Doch
für den öffentlichen Sektor wird immer
weniger Geld zur Verfügung gestellt.
Stromnetze: Die oberirdisch verlegten
Kabel sind extrem anfällig. Jeder herabfallende Ast kann eine Leitung zerreißen
und so mitunter ein ganzes Viertel von
der Elektrizitätsversorgung abschneiden.
Weil dies bei fast jedem stärkeren Sturm
(Troubled Asset Relief Program, TARP) scheiterte beim ersten
Versuch an der Blockadehaltung „seiner“ republikanischen
Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Erst als die Märkte panisch
reagierten – der Dow-Jones-Index fiel nach der Abstimmungsniederlage vom 29. September 2008, laut einer Meldung der
Zeitung The Economist vom gleichen Tag, innerhalb eines
Handelstages um die Rekordmarke von über 700 Punkten –,
gelang es Präsident Bush im zweiten Anlauf, die erforderlichen Stimmen seiner Parteifreunde zu gewinnen.
Nach dieser Stimmabgabe, die für viele staatskritische Republikaner politisch riskant war, konnte sein Nachfolger Obama
bei der nächsten Intervention – mit seinem 787 Milliarden Dol-
passiert, raten Elektrizitätswerke den
Bürgern zum Kauf von Generatoren.
Trinkwasser: Viele veraltete Wasserwerke warten auf eine Sanierung. Die
meisten Rohrleitungen sind mehr als
60 Jahre alt, viele mehr als 100. Jeden Tag
versickern durch Lecks knapp 30 Millionen Liter Trinkwasser im Erdreich.
Schule: Eine landesweite Übersicht
über den Bauzustand öffentlicher Schulen
in den USA fehlt. Ende der 1990erJahre sei bereits bei einem Drittel der
Gebäude eine umfangreiche Sanierung
erforderlich gewesen, sagt der Ingenieursverband ASCE. 2005 nutzten 37 Prozent aller Schulen improvisierte Klassenräume aus Fertigbauteilen.
Flughäfen sind oft überaltert und überlastet, Verspätungen an der Tages-
ordnung. Das aus den 1950er-Jahren
stammende Flugleitsystem sollte nach
Expertenansicht durch effizientere
Modelle ersetzt werden.
Brücken: Mehr als ein Viertel der rund
600 000 Brücken entsprechen nicht
mehr optimalen Sicherheitsstandards,
über 160 000 sind einsturzgefährdet.
2007 starben 13 Menschen beim Einsturz
einer Autobahnbrücke.
Staudämme: Das Durchschnittsalter
der mehr als 85 000 Dämme liegt
bei 51 Jahren. Viele weisen gravierende
Sicherheitsmängel auf.
„Marode und überaltert“, im Artikel: Damir Fras, „Anerkennung für den Staat“, in: Frankfürter Rundschau vom
1. November 2012
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Gerhard Mester / Baaske Cartoons
Aktuelle Probleme: Politikblockade
lar schweren American Recovery and Reinvestment Act (ARRA) –
dann nicht mehr mit parteiübergreifender Unterstützung rechnen und musste sich auf seine Parteifreunde im Kongress verlassen. Viele von ihnen, insbesondere fiskalkonservative Blue
Dog-Demokraten, folgten ihm widerwillig oder widersetzten
sich mit Verweis auf das aus dem Ruder laufende Haushaltsdefizit.
Es ist bezeichnend, dass Präsident Obama seinen letzten großen Deal noch in der alten Legislaturperiode einfädelte – bevor
die durch die Zwischenwahlen etablierten neuen Machtverhältnisse im Januar 2011 greifen konnten. Gegen Jahresende
2010 erwirkte er noch einen 800 Milliarden teuren Kompromiss
mit der Legislative, indem er die Steuererleichterungen seines
Vorgängers um zwei weitere Jahre fortschrieb und diese mit
einer Verlängerung der maximalen Bezugsdauer der Arbeitslosenhilfe für weitere 13 Monate verband.
Die neu in den Kongress gewählten republikanischen Mandatsträger (über 60 Abgeordnete und sechs Senatoren), von
denen viele über die Tea Party-Bewegung in den Kongress
gelangt waren, ebenso wie die seit den Wahlen verstärkt verunsicherten (fiskalkonservativen) Demokraten, haben es Präsident Obama seitdem verwehrt, weitere nennenswerte Wirtschaftsförderprogramme auf den Weg zu bringen. Auch seine
Wiederwahl 2012 konnte diese Pattsituation nicht aufheben,
weil mit der Mehrheit der Republikaner im Abgeordnetenhaus deren Blockademacht erhalten blieb.
Freie Hand für freien Handel?
Die Exekutive wird demnach weiterhin in der Exportförderung
ihr Heil für mehr Wirtschaftswachstum suchen müssen. Bereits
im März 2010 hat Präsident Obama per Exekutiverlass (executive
order), das heißt ohne Mitwirken des Kongresses, die National
Export Initiative (NEI) initiiert. Demnach sollen innerhalb der
nächsten fünf Jahre die US-amerikanischen Exporte verdoppelt
werden.
Auf die Unterstützung des Kongresses wird die Regierung nicht
zählen können. Denn mit den Kongresswahlen vom November
2010 wurde auf der einen Seite des politischen Spektrums die freihandelsorientierte Fraktion der Blue Dog-Demokraten dezimiert.
Ebenso wird auf der politischen Gegenseite der bei Handelsfragen wortführende Republikaner Kevin Brady große Schwierigkeiten haben, viele der eher protektionistisch gesinnten AbgeordneInformationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
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ten, die über die libertäre Tea Party-Bewegung in den Kongress
gelangt sind, auf Freihandelslinie zu bringen.
Die Handelspolitik ist ein Beispiel par excellence für die Stärke des Kongresses – und damit auch für die vielfältigen Einwirkungsmöglichkeiten von Interessengruppen und Think Tanks –
im politischen Entscheidungsprozess, denn internationale Handelsabkommen müssen vom Kongress ratifiziert werden.
Bereits während der Amtszeit George W. Bushs, im Juli 2007,
endete die vom Kongress befristet gewährte Trade Promotion
Authority (TPA), wonach die Legislative die vom US-Präsidenten
vorgelegten internationalen Handelsabkommen nur noch als
Ganzes, das heißt ohne Änderungsanträge, annehmen oder ablehnen kann. Damit wird auch die Verhandlungsmacht des Präsidenten auf internationaler Ebene berührt: seine Kompetenz,
Vereinbarungen ohne Wenn und Aber auch im eigenen Land
politisch durchsetzen zu können. Die TPA, die damals noch unter
der Bezeichnung „fast track“ firmierte, blieb schon dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton vom demokratisch kontrollierten
Kongress versagt.
Obama wird – auch aufgrund der Erfahrungen Bill Clintons und
um seine Erfolgsaussichten zu erhöhen – in der künftigen Auseinandersetzung mit dem Kongress sicherlich mit Augenmaß handeln. Die Legislative hat zwar im Oktober 2011 noch jene drei bilateralen Freihandelsabkommen (mit Südkorea, Kolumbien und
Panama) gebilligt, die bereits Bush im „Schnellverfahren“ durchboxen wollte. Sogar das Freihandelsabkommen mit Südkorea,
das nach Aussagen des damaligen US-Handelsbeauftragten Ron
Kirk das bedeutendste Abkommen der USA seit 15 Jahren darstellt
und nach Einschätzung der U.S. International Trade Commission
(2007) die US-amerikanischen Exporte um jährlich elf Milliarden
Dollar steigern werde, konnte trotz massiver Intervention des
Weißen Hauses – Obama hatte den G20-Gipfel in Südkorea im
November 2010 als Stichtag genommen – erst nach dem Gipfel in
Nachverhandlungen abgeschlossen werden.
Die innenpolitischen Schwierigkeiten des Präsidenten, die TPA
zu erwirken, beeinträchtigen auch die Verhandlungsmacht des
Präsidenten im Rahmen der Doha-Runde der Mitgliedstaaten der
Welthandelsorganisation. Ohne diese Handelsautorität ist auch
nicht an umfangreiche Freihandelsinitiativen wie die Transpazifische Partnerschaft (TPP) zu denken – ganz zu schweigen von
der in Washington weniger populären deutschen Initiative des
Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Zwar werden die
aktuellen Verhandlungen auch von europäischer Seite belastet,
indem etwa die französische Regierung entsprechend ihrer Praxis der „exception culturelle“ Kulturgüter vom Verhandlungstisch
nehmen will und die US-amerikanische Seite darin bestärkt, ihrerseits Ausnahmen durchzusetzen. Doch problematischer sind
die innenpolitischen Beschränkungen, die den Handlungsspielraum des US-Präsidenten schwächen.
Denn viele der auf dem Capitol Hill tonangebenden Demokraten, nicht zuletzt auch einige (stellvertretende) Vorsitzende federführender Ausschüsse, sind protektionistisch eingestellt. Um ihre
Wiederwahl nicht zu gefährden, nehmen sie insbesondere Rücksicht auf die spezifischen Interessen der Wähler bzw. Wahlkampffinanziers in ihren Wahlkreisen und Bundesstaaten.
Die Stimmen der Freihandelskritiker finden durch die Organisation verschiedener Interessengruppen politisches Gehör.
An vorderster Front kämpfen die Gewerkschaften: Sie wollen sicherstellen, dass die Lebensgrundlage US-amerikanischer Arbeitnehmer nicht durch die Niedriglohnkonkurrenz anderer Länder
bedroht wird. Indem sie sich gegen die „Ausbeutung“ in anderen
Ländern und für internationale Arbeitnehmerrechte als „Men-
58
Politisches System der USA
Zeit-Grafik: „Lass uns tauschen“, in: DIE ZEIT vom 13. Juni 2013
schenrechte“ einsetzen, ziehen sie an einem Strang mit der Menschenrechtslobby.
Ebenso kritisieren Umweltverbände Schädigungen der Umwelt in anderen Ländern und fordern internationale Standards in
Handelsvereinbarungen. Die Agrarlobby ist zwar der natürliche
politische Gegner der Ökobewegung, wenn es um wirtschaftliche Interessen auf Kosten des Umweltschutzes geht. Anders als
die exportorientierte Agrarindustrie sieht der importbedrohte
Teil der US-amerikanischen Landwirte jedoch im Freihandel eine
Herausforderung anderer Natur: die Konkurrenz der Entwicklungsländer, die vor allem über die Doha-Runde zum Beispiel mit
Baumwolle, Zucker oder Textilien auf den Weltmarkt drängen.
Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, so verfolgt diese
häufig auch als „sonderbare Bettgenossen“ (strange bedfellows)
bezeichnete Tendenzkoalition verschiedenster Interessengruppen, advokatischer Think Tanks sowie Abgeordneter und Senatoren ein gemeinsames Ziel: die Vereitelung der Freihandelspolitik.
Volle Kraft zurück: Energie- und Umweltpolitik
In der Energie- und Umweltpolitik hat Präsident Obama einmal
mehr große Probleme, seine Versprechungen in die Tat umzusetzen. Bis auf Weiteres ist nicht daran zu denken, dass die multilateralen Post-Kyoto-Verhandlungen von den Vereinigten Staaten
mitgetragen oder gar gefördert werden könnten. Auch in diesem
Politikfeld machen viele Akteure im politischen System der USA
ihren Einfluss geltend und bremsen die nötige Kurskorrektur.
Gleichwohl sehen Experten zahlreicher Think Tanks und Politiker beider Parteien in der Entwicklung erneuerbarer Energien einen für die USA gangbaren Weg, sich aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus problematischen Weltregionen zu befreien.
Angesichts der Verwundbarkeit der US-amerikanischen Wirtschaft
und des Transportsektors sei es dringend erforderlich, energiesparende Technologien sowie Biokraftstoffe und andere Alternativen
für die auf fossile Brennstoffe angewiesenen Wirtschaftszweige
zu entwickeln. Auch Präsident Obama sah in der Umstellung auf
erneuerbare Energien einen Ausweg aus der übermäßigen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und prophezeite eine Reindustrialisierung dank umweltsparender Technologien.
Dass die Debatte in den USA nunmehr wieder rückwärtsgewandt ist und auf die von Präsident Obama ehedem so genannten „Energieträger der Vergangenheit“ abzielt, wurde bewirkt
durch das Zusammenspiel einer Koalition von Ölindustrie, Private Equity-Firmen, die Milliarden in die die Shale-Gas-Förderung
gepumpt haben, und gleichgesinnten Journalisten. Wer den
überschwänglichen Meldungen der Medien Glauben schenkt,
wähnt Amerika vor einem „goldenen Zeitalter“: Dank neuer
Bohrtechniken zur Gewinnung von Gas und Öl aus Schiefergestein, dem sogenannten fracking, seien die USA auf dem Weg zur
„Energieunabhängigkeit“, sie betrieben einen „finanziellen und
politischen Kraftakt", um zur „Ölmacht“ zu werden. Ehedem vom
Aussterben bedrohte Prärieregionen erlebten nunmehr einen
wahren „Ölrausch“ und „Wirtschaftsboom“.
Nüchtern betrachtet ergibt die Analyse der Fakten ein anderes Bild: Wirtschaft und Transportsektor in den USA sind massiv
vom Erdöl abhängig, das auf absehbare Zeit zu einem Gutteil aus
instabilen Weltregionen wie dem Mittleren Osten und Afrika importiert werden muss. Eine umfassende Analyse der Sicherheits-,
Wirtschafts- und Umweltaspekte der gegenwärtigen Energieaußenpolitik der USA würde ein anderes „nationales Interesse“
nahelegen, nämlich die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
zu verringern.
Doch entscheidend für das Ergebnis der politischen Auseinandersetzung sind auch in diesem Politikfeld Partikularinteressen.
Mehr noch als nationale Ziele sind lokale, regionale, institutionelle und persönliche Ambitionen ausschlaggebend für die politischen Streitigkeiten; sie verlangsamen den in Gang gesetzten
energiepolitischen Kurswechsel der USA.
Indem Interessenvertreter ihre Partikularinteressen und Ideologien einbringen, ergibt der politische Entscheidungsprozess
häufig ein suboptimales „Gemeinwohl“. Aber das ist der Preis einer pluralistischen Demokratie, in der das sogenannte nationale
Interesse das jeweilige Ergebnis eines ständigen Aushandlungsprozesses ist – in dem manche Interessen und Ideen stärker als
andere vertreten oder vertretbar sind.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Aktuelle Probleme: Politikblockade
Seit 2007 erlebt das Land [die USA] einen
Gasboom. Eine eigentlich alte, aber erneuerte Fördermethode – das sogenannte
Fracking – erlaubt es seither, zuvor unerreichbares Gas aus dem Untergrund
herauszuholen. Die Mengen scheinen
so gewaltig, dass Vertreter von Industrie
und Politik, Wissenschaft und Wall Street
das neue Gas als den Stoff bezeichnen,
der die USA von Grund auf verändert.
Hunderttausende Arbeitsplätze sollen
geschaffen werden, billiges Erdgas soll
Amerikas Industrie revitalisieren und
die USA aus ihrer Finanz- und Wirtschaftskrise führen. Nordamerika sei „der
neue Mittlere Osten“, jubelt die Großbank
Citigroup in einer Analyse. […]
Vordergründig sprechen die Fakten
eine klare Sprache. Seit 2006 ist die Gasproduktion in den USA um 24 Prozent
gestiegen. Ein knappes Viertel der Förderung entfällt inzwischen auf das, was
durch Fracking ans Tageslicht kommt,
das sogenannte Schiefergas. In einem
weiten Bogen vom tiefen Süden bis zum
Nordosten Amerikas wurden Tausende
Bohrungen in das Erdreich getrieben.
Aus rund einer halben Million Quellen
wird Gas an die Oberfläche gebracht,
in über 30 Bundesstaaten wird heute gefrackt – vor allem Gas, aber auch Öl.
[…] Geld fließt auf die Konten von
Grundeigentümern, die Bohrrechte verkaufen, es beschert Städten und Staaten
steigende Einnahmen und lässt Zulieferer an lukrativen Geschäften mit
Dieselgeneratoren, Bohrgestänge oder
Fracking-Chemikalien verdienen.
Entsprechend euphorisch reagiert auch
die Politik. Anfang 2012 schwärmte der
sonst so kühle US-Präsident Barack Obama davon, dass Amerika „Gas für fast
hundert Jahre“ habe. 600 000 Arbeitsplätze könnten durch die neue Bonanza
geschaffen werden. Zugleich drückte
der neue Überfluss den Gaspreis auf ein
Zehnjahrestief. Der flüchtige Stoff kostet
in den USA inzwischen rund dreieinhalb Mal weniger als in Europa und ist
fünfmal billiger als in Asien. Deshalb
wird in den Stromfabriken des Landes die
besonders klimaschädliche Kohle zunehmend durch Gas ersetzt. Düngemittelfirmen, Chemieproduzenten oder
Aluminiumschmelzen planen wegen der
niedrigen Energiepreise angeblich schon
jetzt, hundert neue Anlagen im Wert
von etwa 80 Milliarden Dollar zu errichten. Selbst Amerikas Helden der Landstraße sollen umdenken: Bis 2019 dürften
rund eine Million Lastwagen verkauft
werden, die mit kostengünstigem Gas
fahren, schätzt das Forschungsinstitut
Pike Research.
Skeptiker haben es angesichts all dieser
Zahlen schwer. Am lautstärksten äußern
sich die Umweltschützer. Sie warnen
vor einer Verseuchung der Grundwässer
durch Chemikalien, Metalle und radioaktive Stoffe, vor hohem Wasser- und
Landverbrauch und sogar vor Erdbeben. Beim Fracking wird nämlich unter
hohem Druck ein Gemisch aus Wasser,
Sand und bis zu 700 teilweise giftigen
Stoffen durch das Bohrloch in den Untergrund gejagt, um dort den in winzigen Gesteinsporen eingeschlossenen
Rohstoff freizusprengen. Bislang haben
Umweltbedenken die Entwicklung allerdings nicht aufhalten können. […]
Aber möglicherweise sind es weniger
die Umweltschützer, die Amerikas Gasboom gefährden, als vielmehr Geologie
und Ökonomie. Kaum bemerkt von der
Öffentlichkeit, korrigierte die amerikanische Energieagentur EIA schon im Januar 2012 ihre Zahlen über den Gasschatz
radikal nach unten. […] Der Grund: Mit
den zahllosen neuen Bohrungen gab es
genauere Daten über die mehrere Bundesstaaten querende Marcellus-Formation. Deren förderbare Gasvorkommen
sollen nun fast 70 Prozent kleiner sein
als zuvor angenommen. Der staatliche
U.S. Geological Survey prognostizierte
gar, dass aus dem Marcellus-Feld im Extremfall nur etwa ein Zehntel des
Gases herauszuholen sei, das ursprünglich einmal als förderbar galt. […]
Die Skepsis mancher Geologen rührt
auch daher, dass sich Schiefergasquellen
womöglich schneller als erhofft erschöpfen. Sowohl die Prognosen über das
tatsächliche Potenzial einzelner Vorkommen wie auch Angaben über deren
Lebensdauer seien womöglich stark übertrieben, fand der Erdölgeologe und
Energiefachmann Arthur Berman bei
der Auswertung der Produktionsdaten
einiger Tausend Quellen heraus. Weil
deshalb aber ständig alte durch neue
Förderstellen ersetzt werden müssen
und jede Bohrung bis zu elf Millionen
Dollar kostet, stellt sich die Frage nach
der Ökonomie: ob sich mit Schiefergas
überhaupt Geld verdienen lässt. […]
Ist Amerikas Gasboom am Ende also
eine riesige Blase, die ungeachtet der
Umweltfragen aus geologischen wie aus
wirtschaftlichen Gründen zu platzen
droht? Mit einem eindeutigen Ja kann
das gegenwärtig niemand beantworten –
aber ebenso wenig mit einem klaren
Nein. [...]
Anders sieht es beim Schieferöl aus.
Da weiß man: Die Fördermengen in den
USA werden schon vom Jahr 2020 an
wieder sinken. Deshalb werden auch die
Energiestrategen der USA ihr Interesse
an den bisher dominanten Ölregionen
der Welt nicht verlieren. [...]
Christian Tenbrock / Fritz Vorholz, „Amerika im Gasrausch“, in:
DIE ZEIT Nr. 7 vom 7. Februar 2013
Mitarbeit: Heike Buchter, Johannes Voswinkel
AP Photo / Detroit News, Dale Young
Schiefergas – ein Glücksfall?
59
Fracking, die Gewinnung von Erdgas aus Schiefergestein durch Einleitung von Wasser und einem
chemischen Gemisch, wird in den USA an vielen Stellen betrieben. Es hält die Energiepreise niedrig,
blockiert dadurch aber die Entwicklung erneuerbarer Energien.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
60
Politisches System der USA
Abwälzen außenpolitischer Lasten
In der außenpolitischen Debatte wird gerne das „nationale
Interesse“ bemüht. Die Protagonisten im politischen Diskurs
versuchen, ihre Vorstellungen durchzusetzen, sprich die Worthülse „nationales Interesse“ mit ihren spezifischen Inhalten zu
füllen, um ihre partikularen Interessen zu wahren. Im pluralistischen politischen System der USA gibt es seit jeher heftige
Auseinandersetzungen zwischen Individuen, Organisationen
und Institutionen, die je nach Politikfeld in unterschiedlichen
Machtkonstellationen ausgefochten und entschieden werden.
Den Ton angebenden außenpolitischen Mainstream einigt
nach wie vor ein liberal-hegemoniales Weltbild, wonach die
USA die Welt nach ihren Wertvorstellungen und Interessen
ordnen. Gleichwohl argumentieren an den beiden Rändern
des politischen Spektrums einerseits libertäre Republikaner
und andererseits gewerkschaftsnahe Demokraten – aus unterschiedlichen Gründen – gegen das internationale Engagement der USA: Die einen, die libertär gesinnten Republikaner,
sind besorgt um die „innere kapitalistische Ordnung“ und das
wachsende Haushaltsdefizit und stellen sich gegen kostspieliges militärisches Engagement und zunehmend auch gegen
Freihandel. Die anderen, die traditionellen, den Gewerkschaften nahen Demokraten (Old Liberals), verteidigen die „so-
zialen Interessen Amerikas“ und positionieren sich gegen
Freihandel und kostspielige Interventionen. Sie befürchten
insbesondere, dass Mittel für internationale bzw. militärische
Zwecke verbraucht werden und somit für innere soziale Belange fehlen.
Der innen- und fiskalpolitische Druck in den USA wird eine
kontroverse transatlantische Lastenteilungsdebatte forcieren.
Die sich zuspitzende Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise
verschaffte dem Demokraten Obama einen großen Vorteil bei
den Präsidentschaftswahlen 2008 – aber auch ein umso größeres Problem als Präsident: Einem demokratischen Präsidenten
fällt es in der Auseinandersetzung – selbst mit einem ebenso
demokratisch kontrollierten Kongress – um einiges schwerer,
die eigene Wählerbasis und seine Landsleute vom nachhaltigen außenpolitischen Engagement der USA zu überzeugen.
Denn Barack Obamas Wahlerfolge 2008 und 2012 sind in erster Linie der erfolgreichen Mobilisierung der hispanischen
und afroamerikanischen Minderheiten gutzuschreiben. Diese
sind weniger daran interessiert, dass Amerika nation building
betreibt, sprich weltweit Demokratien errichtet, sondern wollen vielmehr die knappen Ressourcen dafür einsetzen, die sozioökonomische Lage im eigenen Land zu verbessern.
Ideelle Grundorientierungen US-amerikanischer Außenpolitik
Idealtypische
Grundhaltungen
internationalistisch orientiert
nach innen gerichtet
Spielarten
konservativ
liberal
konservativ
liberal
Hauptmotivation /
zentrales
Interesse
Machtpolitisch garantierter zwischenstaatlicher Frieden;
angesichts der Gefahr
der Überdehnung
eigener (politischer)
Ressourcen jedoch
Engagement mit
Augenmaß (nur bei
Bedrohung des „vitalen“ Sicherheitsinteresses, wenn Gefahr in
Verzug ist)
Schaffen einer Weltordnung demokratischer Staaten; Förderung von Freihandel;
auch Intervention
aus „humanitärem“
bzw. „moralischem“
Interesse, wenn „Wertinteressen“ oder „moralische Werte“ wie
Menschenrechte oder
„Religionsfreiheit“
auf dem Spiel stehen
Verteidigung „grundlegender amerikanischer Interessen“,
Handlungsfreiheit
und strategische
Unabhängigkeit;
Sorge um die innere
kapitalistische
Ordnung und das
Haushaltsdefizit;
zwar für Freihandel,
aber gegen kostspieliges militärisches
Engagement
Verteidigung
„sozialer Interessen
Amerikas“, Befürchtung, dass Mittel
für int. / militärische
Zwecke verbraucht
werden und für innere soziale Belange
fehlen; gegen kostspielige Interventionen und Freihandel
Idealtypische
Vertreter
Pragmatische Realisten
Idealisten, darunter
1. Progressive / „New
Liberals“ (multilaterales Engagement)
2. Neo-Konservative
und Christlich Rechte
(unilaterales Vorgehen)
Libertäre
Traditionelle Liberale / „Old Liberals“
Protagonisten
im politischen
Diskurs
Brent Scowcroft,
Henry Kissinger,
Verteidigungsminister Chuck Hagel
zu 1.: Vizepräsident
Joseph Biden
zu 2.: Richard Perle
bzw. Mike Huckabee
Republican Study
Committee (RSC)
im Kongress & Tea
Party-Bewegung
Gewerkschaftsflügel
der Demokraten
Cato Institute
Institute for Policy
Studies
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Aktuelle Probleme: Politikblockade
Sollten die europäischen Regierungen nicht bereit oder fähig
sein, die ihnen zugedachten Lasten zu schultern, hätten sie
weniger stichhaltige Argumente gegen eine Globalisierung
der NATO, sprich die partnerschaftliche Anbindung pazifischer Staaten an die Allianz. Aber auch ohne das Instrument
der NATO werden die USA versuchen, neue Mittel und Wege
zu finden, um neben den transatlantischen Verbündeten auch
Demokratien in Asien stärker in die Pflicht zu nehmen.
Der auf Hawaii geborene US-Präsident Barack Obama stellte
sich im November 2009 in Tokio als „erster pazifischer Präsident“ der USA vor. Ebenso machte die damalige Außenministerin Hillary Clinton mit ihrem Ausspruch „Amerika ist zurück!“ bereits im Juli 2009 in Bangkok deutlich, dass die USA
die Zukunft der asiatischen Region mitgestalten wollen. Mit
der Hinwendung nach Asien tragen die USA nicht nur ihrer
neuen sicherheitspolitischen Bedrohungswahrnehmung und
wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber China Rechnung,
sondern wollen auch ihre „Lasten weltweiter Verantwortung“
neu verteilen.
Die Vereinigten Staaten wollen Institutionen in Asien, etwa
das Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsforum (Asia-Pacific Economic Cooperation, APEC) oder den Verband Südostasiatischer
Staaten (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN) für
die eigenen Ordnungsvorstellungen in der Region nutzbar
machen. Um die USA als pazifische Macht zu stärken, nahm
US-Präsident Obama während seines Asienbesuches im November 2009 am APEC-Gipfeltreffen teil, wo er auch Gelegenheit hatte, sich mit den zehn Staats- und Regierungschefs
der ASEAN-Staaten zu beraten. Neben der künftigen, von Washington dominierten APEC-Agenda wurde dabei auch die
Intensivierung der Beziehungen zwischen den USA und der
ASEAN diskutiert.
Für die USA ist die ASEAN-Integration höchst interessant: Bis
2015 sollen eine gemeinsame Freihandelszone und eine Sicherheits-, Wirtschafts- und soziokulturelle Gemeinschaft etabliert
werden. Seit Obamas Amtsantritt erhöhten die USA ihre diplomatischen Anstrengungen, um schließlich am 22. Juli 2009
mit Hillary Clintons Unterzeichnung dem Vertrag für Freundschaft und Zusammenarbeit (Treaty of Amity and Cooperation,
TAC), einem der Hauptdokumente der ASEAN, beizutreten. Damit wurde auch der Grundstein für den Beitritt der USA zum
Ostasiengipfel (East Asia Summit, EAS) gelegt: Im November 2011
Oliver Schopf
Washington hat bisher auf die kostspielige Strategie massiver Militärpräsenz gesetzt, um seine Energieressourcen und
Handelswege zu sichern. Diese Strategie lässt sich wegen der
schlechten sozioökonomischen Verfassung der USA und wegen des schwindenden innenpolitischen Rückhalts nicht länger aufrechterhalten. Der Einsatz unbemannter Flugkörper
(Drohnen) zur Überwachung, Unterstützung und Bekämpfung feindlicher Ziele, aber auch zur Spionage und Aufklärung
hat enorm zugenommen. Die Verlagerung der Kampf- und
Aufklärungsarbeit auf Drohnen führt dazu, dass die klassische
Luftwaffe an Bedeutung verliert und in diesem Bereich wie
auch im Bereich konventioneller Truppen Investitionen massiv zurückgefahren werden. Dabei werden auch die ehedem
in Deutschland stationierten Soldatinnen und Soldaten nach
ihrem Afghanistan-Einsatz heimgeholt.
Nach der in den USA parteiübergreifend gefeierten Tötung
Osama bin Ladens und trotz der allgemeinen Einschätzung,
dass damit die Terrorgefahr keineswegs beseitigt worden sei,
erklärte laut einem Bericht der Washington Post vom 3. Mai
2011 die Hälfte der US-Bevölkerung, Amerika solle seine Truppen „so schnell wie möglich“ aus Afghanistan zurückziehen.
Nach Auffassung des scheidenden US-Verteidigungsministers
Robert Gates (zitiert in: Broder 2011) seien die US-Bürger, und
nicht zuletzt auch die für die Finanzierung von Auslandseinsätzen ausschlaggebenden Abgeordneten und Senatoren
im Kongress, müde, amerikanische Steuergelder zu verwenden, um über die NATO die Sicherheit trittbrettfahrender
europäischer Länder zu gewährleisten. Experten der Heritage Foundation haben die Europäer seit Längerem schon als
„Wohlfahrtspenner“ (welfare bums) kritisiert, die ihr Geld für
Sozialleistungen ausgeben, aber wenig für ihre Sicherheit investieren und die Sicherung den USA überlassen.
Den europäischen Alliierten werden weiterhin Gelegenheiten geboten, ihr „effektives multilaterales“ Engagement unter
Beweis zu stellen, sei es mit einem verlängerten Mandat zur
Polizeiausbildung in Afghanistan, mit einem stärkeren finanziellen Engagement beim Wiederaufbau im Irak, Afghanistan und Libyen oder bei Wirtschaftshilfen für Pakistan. Die
US-Regierung unter Obama wird ihre diplomatische Arbeit
intensivieren, um aus George W. Bushs viel gescholtener „coalition of the willing“ eine Koalition der Zahlungswilligen zu
schmieden.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
61
Politisches System der USA
AP Photo / Susan Walsh
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Außenpolitisch richten die USA ihren Blick stärker nach Asien. Ausdruck dessen ist auch die Teilnahme von Präsident Barack Obama beim Gipfel der
ASEAN-Staaten. „Familienfoto“ der Staats- und Regierungschefs 2011 in Nusa Dua auf Bali
nahm Barack Obama als erster US-amerikanischer Präsident am
Gipfel teil. Das Engagement der USA in der Region wird von den
ASEAN-Staaten begrüßt, weil Amerikas Interessen auch ihre
Handlungsspielräume, nicht zuletzt gegenüber China, erweitern.
Um die pazifischen Länder wirtschafts- und handelspolitisch
stärker an sich zu binden, versuchen die USA im Rahmen der
Trans-Pacific Partnership (TPP) die Liberalisierung und Marktintegration in der transpazifischen Region voranzutreiben.
Fraglich bleibt indes, ob der US-Präsident das dafür nötige
innenpolitische Kapital aufbringen kann, um dem protektionistisch eingestellten Kongress dieses umfangreiche Freihandelsabkommen abzuringen. Ein weiteres Problem besteht
darin, dass auch die umworbenen Handelspartner Interessenkonflikte plagen, vor allem wenn diese Initiative gegen China
gerichtet sein sollte. Denn Japan und andere Länder der Region
genießen zwar einerseits den militärischen Schutz der USA,
vor allem auch gegenüber China, doch teilen sie andererseits
mit dem Reich der Mitte wichtige Handels- und Währungsinteressen. Peking und Tokio wollen ihre Währungsreserven peu
à peu aus der „Dollar-Falle“ ziehen. Um den Dollar zu umgehen,
hat China unter anderem schon zwei Vereinbarungen zur gegenseitigen Anerkennung von Währungen mit Japan und Südkorea geschlossen. Neben zahlreichen asiatischen Ländern hat
China auch mit Brasilien, Indien und Russland vereinbart, den
Handel untereinander in nationalen Währungen abzuwickeln.
China arbeitet daran, eine multipolare Ordnung mit mehreren
Leitwährungen zu etablieren.
Früher oder später werden die Währungsmärkte die Kräfteverhältnisse im internationalen Handel abbilden – nämlich eine
multipolare Ordnung mit drei Kraftzentren: Der Dollar wird auf
absehbare Zeit seine Leitfunktion mit dem Euro und dem chinesischen Renminbi teilen müssen. Damit werden die USA aber
künftig nicht mehr wie bisher den Gutteil der Währungsreserven anderer Länder zum Nulltarif erhalten und über ihre Verhältnisse, das heißt kreditfinanziert, wirtschaften können.
Die USA versuchen derweil, sich aus der Schuldenfalle zu
befreien, indem sie durch ihre Notenbank jene Staatsanleihen
aufkaufen lassen, die über den Markt von ausländischen Investoren nicht mehr bedient werden. Dieses Vorgehen wird beschönigend als „quantitative Lockerung“ bezeichnet. In Wahrheit
druckt man neues Geld. Die internationale Leitwährung Dollar
gerät dadurch unter Druck, wird also abgewertet. Das hat zwei
Nebeneffekte, die aus US-amerikanischer Sicht durchaus willkommen sind: Die Vereinigten Staaten können sich einerseits
eines Großteils ihrer Schulden entledigen, andererseits verbilligen sich ihre Exportwaren und sind damit wieder mehr gefragt.
Selbst wenn die Strategie, den Dollar zu schwächen, kurzfristig
erfolgreich sein sollte, bleiben die langfristig grundlegenden
Strukturprobleme der US-Wirtschaft bestehen: marode Infrastruktur, unzureichendes Bildungssystem, Vernachlässigung
des Produktionssektors.
Die Unausgewogenheit der Außenhandelsbilanz ist neben
der hohen Staatsverschuldung ein weiteres strukturelles Problem der US-Wirtschaft (twin deficit). Das in den letzten Jahren
angestiegene Handelsdefizit stellte die USA zunächst vor keine
größeren Schwierigkeiten, solange die Lieferanten ihre Erlöse in
den USA reinvestierten. Sollten Investoren jedoch Zweifel an der
Produktivität, Wirtschaftskraft und Geldwertstabilität der USA
hegen und ihre Erlöse für Waren und Dienstleistungen in anderen Ländern und Währungen sichern, etwa in Europa oder in
Asien, würden der Dollar und die US-Wirtschaft noch massiver
unter Druck geraten.
Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme verstärken die
von den Gründervätern angelegte Konkurrenz der politischen
Gewalten so sehr, dass sie sich immer häufiger blockieren und
die politische Handlungsfähigkeit im Innern wie nach außen
lähmen. Zwar erheben die Vereinigten Staaten nach wie vor den
Anspruch, eine liberale Weltordnung amerikanischer Prägung
aufrechtzuerhalten, doch die wirtschaftliche Schwäche und die
Einschränkungen der politischen Führung hindern sie zunehmend daran, ihre globale Ordnungsfunktion wahrzunehmen,
indem sie sogenannte öffentliche Güter wie Sicherheit, freien
Handel und eine stabile Leitwährung bereitstellen. Das ist die
Voraussetzung dafür, dass andere Länder die Vormachtstellung
der USA, des sogenannten liberalen Hegemons, akzeptieren und
seiner Führung folgen. Doch Washington wird in Zukunft voraussichtlich mehr Gewicht darauf legen, seine vitalen Eigeninteressen rücksichtsloser durchzusetzen und versuchen, Lasten
abzuwälzen: sei es über die gezielte Schwächung der US-amerikanischen Leitwährung, über Protektionismus in der Handelspolitik oder über Lastenteilung in der Sicherheitspolitik. Dies
wird Konkurrenten wie Verbündete in Asien und Europa vor
neue Herausforderungen stellen.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Aktuelle Probleme: Politikblockade
„Unser Schicksal liegt in unseren eigenen Händen“
[Robert] Kagan, leben wir noch in einer
amerikanischen Welt?
Ja. Das liberale internationale System und
vor allem dessen Institutionen, die nach
dem Zweiten Weltkrieg von den Vereinigten Staaten geschaffen wurden, sind
immer noch da. Bislang hat noch keine
Macht oder Gruppe von Mächten die
Vereinigten Staaten überflügelt. Natürlich hat Amerika in den letzten Jahren
etwas von seinem Glanz verloren. Aber die
Vereinigten Staaten haben auch früher
schon Turbulenzen erlebt, und, wichtiger
noch, dank des Systems, für das sie sich
seit dem Krieg einsetzen, geht es der Welt
besser als jemals zuvor. Die Demokratie
hat sich in alle Winkel der Erde ausgebreitet. 1939 gab es nur zehn demokratische
Staaten. Von 1945 bis 2012 ist die Weltwirtschaft jährlich im Durchschnitt um vier
Prozent gewachsen, und zum ersten Mal
beschränkt sich das Wachstum nicht nur
auf eine kleine Gruppe hochentwickelter
Länder. Und schließlich hat es seit 1945 keine direkte Auseinandersetzung zwischen
den Großmächten gegeben.
Sie beschreiben hier eine unipolare Welt.
Aber leben wir nicht inzwischen, wie viele
in Europa dies gern sehen möchten, in
einer multipolaren Welt?
Das glaube ich nicht. […] In Wirklichkeit
leben wir in einer unipolar-multipolaren
Welt. Die Vereinigten Staaten dominieren die internationale Arena, und den
zweiten Rang nehmen mehrere bedeutendere Mächte ein. Aber die Mächte, die
das internationale System bilden, sind
einander nicht ebenbürtig. […] Und das
ist gar nicht schlecht. Eine multipolare
Welt ist weder stabil noch friedlich und
wäre letztlich eine Gefahr für den Frieden
zwischen den Großmächten. Solch eine
Konstellation spielt in der Regel den
Autokratien in die Hände, da es keinen
Polizisten gibt, der sie davon abhält,
ihren Einflussbereich auszudehnen. Das
entspricht nicht der gegenwärtigen Lage.
Die Vereinigten Staaten sind immer noch
in einer Hegemonialposition. Sie produzieren, wie schon zu Beginn der 1970erJahre, ein Viertel des weltweiten Reichtums. Ihre Militärmacht ist immer noch
erdrückend. Der Bedeutungszuwachs
Indiens, Brasiliens, der Türkei oder Südafrikas stellt keine Bedrohung für Amerika
dar. Ich würde sogar sagen, er stärkt
die Vereinigten Staaten, wie sie nach dem
Krieg vom Aufstieg Westdeutschlands
und Japans profitiert haben.
Unterschätzen Sie da nicht den Aufstieg
Chinas?
Die Vereinigten Staaten besitzen eine
außergewöhnliche geographische Lage. Sie
sind von allen anderen Großmächten weit
entfernt. Für China gilt das nicht. China ist
zwar eine wirtschaftliche Supermacht, aber
das Land ist eingekreist von Japan, Indien
und Russland – sämtlich Großmächte, die
sich einer geostrategischen Hegemonie
Chinas widersetzen. Wenn die Welt wieder
bipolar werden sollte, müsste China ganz
Asien beherrschen. Die Vereinigten Staaten
haben jedoch ihre Beziehungen zu Indien,
Japan, Südkorea, den Asean-Ländern und
auch Australien auf deren Wunsch hin
intensiviert. Den Chinesen mangelt es einfach an Verbündeten, um den Vereinigten
Staaten ihre Stellung im Pazifischen
und Indischen Ozean streitig zu machen.
Sie haben von „Turbulenzen“ gesprochen.
Amerika erlebt also keinen wirklichen
Niedergang?
Seit mehr als vier Jahren leidet Amerika, das
ist unbestreitbar. Aber Supermächte erleben
ihren Niedergang nicht in so kurzer Zeit.
[…] Es ist nicht das erste Mal, dass Amerika
sich in einer ernsthaften Krise befindet.
In den 1930er-Jahren, in den 1970er-Jahren
… Immer wieder wird unsere Dekadenz
überschätzt. Man stellt sich vor, die Russen
oder die Japaner oder die Chinesen würden
Amerika bald verschlingen. Dennoch halte
ich das für eine sinnvolle Mahnung. So
sind wir gezwungen, uns immer wieder neu
zu erfinden. Und auch diesmal, davon
bin ich überzeugt, wird Amerika sich auf die
neue internationale Lage einstellen.
Ich habe den Eindruck, die Krise ist diesmal
ernster als die früheren. Abgesehen
von den aktuellen wirtschaftlichen Problemen, scheint Amerika noch nie so gespalten, das politische System so blockiert
und die Ungleichheit so gewaltig gewesen
zu sein. Werden diese Probleme nicht
die internationale Macht der Vereinigten
Staaten beeinträchtigen?
Da bin ich weniger pessimistisch als Sie, weil
ich nicht glaube, dass die amerikanische
Nation ernstlich geschwächt wäre. Ist sie
politisch gespalten? Ja, aber die Amerikaner teilen dieselbe Ideologie und dieselben
Grundsätze, die der Unabhängigkeitserklärung, des Individualismus oder der
Chancengleichheit. Nur herrscht heute keine Einigkeit über die Interpretation dieser
großen Ideen. Aber – und das ist schon seit
dem Unabhängigkeitskrieg so – die Verfassungsordnung wird nicht in Frage gestellt. Auch im Blick auf die Blockierung
der Institutionen haben Sie recht. Aber in
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
63
der amerikanischen Geschichte standen
die Parteien immer in heftigem Widerstreit zueinander. In der Wiederaufbauphase Ende des 19. Jahrhunderts waren
Demokraten und Republikaner tief gespalten. Die Medien waren stets ein Abbild
dieser Gegensätze. Der Fernsehsender
Fox knüpft an diese Tradition an. Tatsächlich bildete die Zeit des Kalten Krieges, in
der die Parteien enger miteinander kooperierten, eine Ausnahme, das vergisst man
allzu oft. Was die Ungleichheit betrifft, so
ist sie nicht erst in den letzten zehn
Jahren entstanden. Sie hat sich seit mindestens drei Jahrzehnten entwickelt und hat
im Übrigen keinen Einfluss auf die Außenpolitik. Dagegen gibt es eine psychologische Gefahr, die Amerika bedroht: Wenn
die Amerikaner glauben, der Niedergang
ihres Landes sei unabwendbar, könnten sie
gerade dadurch den Sturz des Landes herbeiführen. Aber noch liegt unser Schicksal
in unseren eigenen Händen.
Sie sind also nicht beunruhigt?
Ich bin relativ optimistisch, solange sich keine größeren strukturellen Veränderungen
der internationalen Ordnung am Horizont
abzeichnen. Wie jede politische Ordnung
wird auch die amerikanische zusammenbrechen, aber nicht in den nächsten Jahrzehnten. […]
Gibt es in der Außenpolitik eine ObamaDoktrin?
Ich glaube, es ist falsch, die Diplomatie der
amerikanischen Präsidenten allzu sehr
zu personalisieren. Die Außenpolitik hängt
zunächst einmal von den Umständen ab.
Die der Vereinigten Staaten folgt seit dem
Ersten Weltkrieg gewissen Zyklen. Auf
interventionistische Phasen folgen stärker
isolationistische: amerikanische Intervention im Ersten Weltkrieg, dann Rückzug in
den 1920er- und 1930er-Jahren; der Zweite Weltkrieg und der Korea-Krieg, dann Beruhigung unter Eisenhower; der VietnamKonflikt, Rückzug unter Carter, große
Aktivitäten unter Reagan, Zurückhaltung
unter Clinton … Nach den Interventionen
in Afghanistan und im Irak unter Bush war
es ganz folgerichtig, dass Obamas Außenpolitik weniger intensiv ausfiel. […]
Interview von Olivier Guez mit dem neo-konservativen Historiker und Republikanischen Politberater Robert Kagan
Olivier Guez (Übersetzung Michael Bischoff), „Wir herrschen
auch morgen noch“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
6. November 2012
64
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Oberstes Gericht der USA (US Supreme Court):
www.supremecourt.gov/
US-Botschaft in Deutschland:
german.germany.usembassy.gov/
US-Repräsentantenhaus:
www.house.gov/
US-Senat:
http://www.senate.gov/
Weißes Haus:
www.whitehouse.gov/
66
Politisches System der USA
Schlagwörterverzeichnis
Ad-hoc-Koalition................................................................ S. 18
Administration =
Exekutive, Verwaltungsapparat ........................ S. 14 ff., 47
advocacy coalition =
Tendenzkoalition ........................................S. 14, 44 ff., 52, 58
advocacy tank = advokatischer Think Tank .... S. 48, 58
agencies, federal agencies =
Bundesbehörden ........................................................... S. 14 ff.
agenda setting ................................................................... S. 50
amendment = Verfassungszusatz. S. 5
= Änderungsantrag (in der Gesetzgebung) ............. S. 11
Asien, APEC, ASEAN, TAC, EAS, TP .......................... S. 61 ff.
Außenpolitik ................................................................. S. 60 ff.
base = Wählerbasis, Kernwähler................................. S. 32
battleground states. S. 33 f.
Bible Belt. S. 40
big government ........................................................... S. 14, 28
bill = Gesetzesvorlage.S. 10
Bill of Rights = erste zehn Verfassungszusätze ....... S. 5
Blue Dogs = fiskalkonservative Demokraten ...... S. 56 f.
bully pulpit ...........................................................................S. 18
Bundesstaaten / Einzelstaaten . S. 27, 29
burden sharing = Lastenteilung(-sdebatte) ...... S. 60 ff.
bureaucratic politics = Machtkämpfe innerhalb der
Exekutive ............................................................................... S. 15
Bush-/Ashcroft-Doktrin.............................................. S. 22 f.
campaign consultant =
Wahlkampfberater/-experte ........................................ S. 39
canvassing ..................................................................... S. 40, 51
Capitol Hill = Sitz des Kongresses ............................. S. 9 f.
case work = Bearbeitung von Bürgeranliegen ....... S. 12
categorial / block grants ................................................. S. 28
chairman = Ausschussvorsitzender ........................... S. 11
checks and balances .................................................. S. 5, 8 ff.
Chief Justice =
Oberster Richter (des Supreme Court) ..................S. 24 ff.
Christian Right =
Christlich Rechte; vgl. Evangelicals .... S. 31, 38 ff., 47, 60
civil liberties =
persönliche Freiheitsrechte......................... S. 5 f., 23 f., 46
Civil Rights Act. S. 6, 40
Civil Rights Movement =
Bürgerrechtsbewegung ..................................................... S. 5
civil service =
Staatsdienst, Öffentlicher Dienst .......................... S. 16, 47
Commander in Chief =
Oberbefehlshaber (Präsident) ............................ S. 17 ff., 34
committee / subcommittee =
Ausschuss / Unterausschuss .......................................... S. 11
conference committee =
Vermittlungsausschuss....................................................S. 10
Congress, U.S. Congress =
Kongress (Parlament/Legislative)............................. S. 9 ff.
Constitution = Verfassung .......................................... S. 4 ff.
dealignment ....................................................................... S. 40
Defense of Marriage Act ................................................ S. 26
departments, executive departments =
Ministerien ...........................................................................S. 16
devolution ............................................................................ S. 28
direct mail. S. 40, 51
divided / unified government............................ S. 9, 13, 34
Dixiecrats ............................................................................. S. 40
Dollar-Falle ......................................................................S. 62 ff.
Drohnen ...........................................................................S. 21, 61
dual / cooperative federalism ................................... S. 27 f.
due process ...................................................................... S. 23 ff.
electoral college =
Wahlmänner/-frauen-Gremium . S. 32 f.
Energiepolitik. S. 58 f.
enumerated / implied powers .................................. S. 27 f.
Ethnische Gruppierungen ....................................... S. 36 ff.
Evangelicals = Evangelikale ..............................S. 31, 38 ff.
equal protection ................................................................ S. 23
Executive Office of the President (EOP) ................S. 15 ff.
executive order = Exekutiverlass ................................. S. 57
executive privilege ............................................................ S. 15
Exekutive .......................................................................... S. 16 ff.
Exzeptionalismus ................................................................ S. 5
federal grants-in-aid =
Bundeszuweisungen an Einzelstaaten .................... S. 28
Federalists / Anti-Federalists, Federalist Papers .S. 27
Fernsehen.S. 51 ff.
filibuster = Blockademanöver....................................... S. 13
fiscal cliff = Fiskalklippe ........................................ S. 32, 55 f.
floor, House floor, Senate floor =
Plenum (der jew. Kammer) .......................................... S. 11 f.
Föderalismus .................................................................. S. 27 ff.
Folter ....................................................................................... S. 21
Foreign Intelligence Surveillance Court =
FISA-Gericht. S. 23
founding fathers = Gründerväter ............................. S. 4 f.
fracking / shale gas = Schiefergasförderung. S. 58 f.
freedom of speech = Meinungsfreiheit ......... S. 4, 38, 51
Freihandelsabkommen . S. 57 ff., 60
Generalklauseln (necessary and proper / general
welfare / commerce clause) ........................................... S. 28
Gerichtssystem .................................................................. S. 24
gerrymandering. S. 31 f.
Gesetzgebungsprozess (Grafik) .................................... S. 12
Gesundheitsreform / „Obamacare“........ S. 18, 26, 35, 49
Gewaltenkontrolle/-teilung .............................. S. 5 f., 8 ff.
Gewerkschaften ......................................S. 29, 39, 46, 57, 60
Global War on Terror =
Globaler Krieg gegen den Terror ..........................S. 7, 18 ff.
God’s own country / Sendungs-,
Nationalbewusstsein. S. 4 f., 7
grassroots movement = pol. Graswurzel-/
Basis-Bewegung...................................S. 34, 37, 40, 43, 45 ff.
gridlock = Politikstau/-blockade /
Regierungsunfähigkeit ..................... S. 10, 32, 36, 45, 54 ff.
Guantánamo, US-Marinestützpunkt in Kuba .... S. 23 f.
Handelspolitik .................................................................S. 57 f.
Haushalt ............................................................................ S. 54 f.
Hegemonie, hegemoniales Weltbild /
Weltordnung. S. 60 ff.
high crimes and misdemeanors = schwerste Verbrechen und Amtsvergehen ..............................................S. 18 f.
horse trading = pol. Pferde-/Kuh-Handel ................. S. 18
immigration / Einwanderungspolitik .......... S. 35 ff., 45
impeachment = Amtsenthebungsverfahren .........S. 19
imperial presidency =
imperiale Präsidentschaft .............................................. S. 18
inauguration = Amtseinführung .................................. S. 7
incumbent = Amtsinhaber ........................................... S. 30
independent (regulatory) agencies/commissions .... S. 15
Infrastruktur. S. 56
intelligence community = Nachrichten-/Sicherheits-/Geheimdienste ................................................ S. 20 ff.
interest groups = Interessengruppen .................. S. 46 ff.
internationales Engagement /
Auslandseinsätze ........................................................ S. 60 ff.
iron triangle = eisernes Dreieck. S. 14
Isolationismus .........................................................S. 60 f., 63
issue advertisements (ads) =
Themenanzeigenkampagnen. S. 39, 46
issue network = Themennetzwerk ...... S. 14, 16, 44 ff., 52
Judikative .........................................................................S. 24 ff.
Kabinett ............................................................................ S. 14 ff.
lame duck = lahme Ente. S. 18
Latinos = Hispanics ..................................S. 31, 34, 36 ff., 60
law, public law (P.L.) = Gesetz .................................. S. 10 ff.
leadership, political leadership =
politische Führung............................................................. S. 18
Legislative .......................................................................... S. 9 ff.
Legitimation ................................................................... S. 8, 54
liberale Demokratie. S. 4 f.
Libertarians =
Libertäre, libertäre Bewegung ......................... S. 42 ff., 60
Lobbying .................................................................... S. 47 ff., 58
majority leader = Mehrheitsführer (im Senat) ...... S. 13
matching funds = staatliche Wahlkampfgelder .... S. 40
Medien, Medieneinfluss.S. 50 ff.
Medienunternehmen ......................................................S. 52
Menschenrechte. S. 4 f.
midterm elections =
Zwischenwahlen ............................. S. 18, 33, 35, 37, 54, 56 f.
militärisch-industrieller Komplex. S. 18
minorities, ethnic minorities =
ethnische Minderheiten. S. 6, 26, 34, 36 ff., 60
moral majority = moralische Mehrheit,
moral / social issues ......................................S. 25 f., 34 ff., 45
multipolare Währungsordnung ............................S. 62 ff.
national interest = nationales Interesse ........ S. 58, 60 f.
nation building..................................................................S. 60
negative advertisements (ads) =
Negativ-Wahlkampagne .......................................... S. 35, 39
neo-conservatives = Neo-Konservative ...................S. 60
Netzwerker, Themennetzwerker .................... S. 42, 44 ff.
New Deal ................................................................. S. 28, 40, 45
New Federalism. S. 14, 28
New Liberals, Progressives =
progressive Demokraten ................................................S. 60
non-party outside groups =
unabhängige externe Organisationen ............... S. 39, 51
öffentliche Güter. S. 62
öffentliche Meinung / veröffentlichte Meinung .. S. 51
Old Liberals = gewerkschaftsnahe Demokraten ....S. 60
open seat .............................................................................. S. 30
Opposition .......................................................................... S. 8 f.
outlaws = Gesetzlose ....................................................... S. 23
Oval Office = Büro des Präsidenten.............................S. 18
Parteien, (mangelnde) Partei-/
Fraktionsdisziplin .S. 9, 44 f.
Parlamentarisches Regierungssystem................... S. 8 f.
Patriot Act ............................................................................ S. 20
permanent government .............................................. S. 15 f.
Personalernennungen. S. 14 ff.
Pledge of Allegiance = Treueschwur ........................... S. 5
Pluralismus............................................................... S. 4, 58, 60
Polarisierung ..................................................... S. 8, 32, 45, 52
political action committees (PACs) /
Super Pacs .................................................. S. 38 f., 46 f., 51, 56
political / policy entrepreneur =
politischer Einzelunternehmer. S. 9, 46 f.
popular vote = Wählerstimmen .............................. S. 32 f.
posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) . S. 22
power of the purse =
Haushaltsbewilligungsrecht ............................... S. 13 f., 54
Präsidentielles Regierungssystem. S. 8 ff.
presidential government ............................................S. 14 f.
primaries = Vorwahlen. S. 30, 44 f.
progressive movement. S. 44
Protektionismus. S. 57 f., 60, 62
quantitative easing (QE) = quantitative Lockerung =
Gelddrucken ....................................................................S. 62 ff.
rally around the flag =
patriotischer Sammlungseffekt ................................... S. 18
ranking member =
stellvertretender Ausschussvorsitzender. S. 11 f.
recess appointment =
Ernennung außerhalb der Sitzungsperiode. S. 13
Rechtssystem, Rechtsquellen ..................................S. 24 ff.
Religion, Religionsfreiheit, Zivilreligion ........ S. 4, 7, 38
Repräsentantenhaus / Abgeordnetenhaus. S. 10 ff.
Repräsentation, repräsentative Demokratie ....... S. 4 f.
revolving doors / in-and-out =
Drehtürsystem (Personalrekrutierung) .......... S. 16, 47 f.
rules committee = Verfahrensausschuss ................. S. 13
Schulden, Kreditwürdigkeit.S. 52, 54 ff.
scorecards, voter guides = Wählerprüfsteine ....... S. 47
Senate = Senat ................................................................ S. 10 ff.
sequestration = Haushaltskürzung nach dem
Rasenmäherprinzip ........................................................... S. 55
shale gas = Schiefergas ................................................ S. 58 f.
Sicherheitspolitik, NATO .......................................... S. 60 ff.
Social Security .................................................................... S. 29
Soziale Netzwerke ................................................... S. 40 f., 51
speaker of the house = Sprecher des Repräsentantenhauses ........................................................................S. 13, 52
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
67
staff, congressional staff =
Kongressmitarbeiter/ -innen .................................. S. 10, 12
State of the Union = Rede des Präsidenten zur Lage
der Nation.S. 10
Supreme Court = Oberstes Gericht ............S. 4 f., 6, 24 ff.
swing states .......................................................................... S. 33
Tea Party, Tea Party Movement ..... S. 42 ff., 45, 52, 54, 56 f.
term limit ............................................................................. S. 30
Terroranschläge vom 11. September 2001 (9/11) . S. 7, 18 ff.
Think Tanks = politikorientierte Forschungsinstitute .................................................... S. 12, 14, 16, 42, 47 ff.
Trade Promotion Authority (TPA);
früher: fast track .................................................................S. 57
twin deficit = Staatsschulden plus Außenhandelsdefizit...................................................................................... S. 62
Umweltpolitik ................................................................. S. 58 f.
unified / divided government............................ S. 9, 13, 34
US-Präsident / Aufgaben und Funktionen (Grafik). S. 17
Verfassungssystem (Grafik) ........................................... S. 9
Verwaltung, Behörden................................................ S. 14 ff.
Veto, suspensives = aufschiebendes ................... S. 9 f., 12 f.
Volkssouveränität............................................................ S. 4 f.
Voting Rights Act ....................................................... S. 5 f., 26
Wahlen/Wahlrecht ..................................................... S. 30 ff.
Wahlkampf/Wählermobilisierung ................ S. 34 ff., 51
Wahlspenden/Wahlkampffinanzierung .... S. 38 ff., 43
waterboarding = Foltermethode des simulierten
Ertränkens ............................................................................. S. 21
Watergate-Affäre .................................................. S. 19, 23, 45
White House = Sitz des Präsidenten........................ S. 9 ff.
Wirtschafts-/Finanzkrise ..... S. 18, 28 f., 31, 34 f., 55, 59 f.
Wirtschaftspolitik ............................................................ S. 56
wissenschaftliche Dienste des Kongresses ............ S. 12
Zeitungsmarkt ................................................................ S. 52 f.
Der Autor
Dr. Josef Braml ist seit Oktober 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er leitet außerdem die Redaktion „Jahrbuch Internationale Politik“. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter
der Stiftung Wissenschaft und Politik (2002-2006), Projektleiter des Aspen
Institute Berlin (2001), Visiting Scholar am German-American Center (2000),
Consultant der Weltbank (1999), Guest Scholar der Brookings Institution
(1998-1999), Congressional Fellow der American Political Science Association
(APSA) und legislativer Berater im US-Abgeordnetenhaus (1997-1998). Ausbildungsstationen: Berufsausbildung zum Bankkaufmann; Wehrdienst Pionierbataillon 240; Abitur über den Zweiten Bildungsweg; Auslandssemester
an der Université de Nice – Sophia Antipolis; Sprachen, Wirtschafts- und
Kulturraumstudien (Diplom) an der Universität Passau (1997); Promotion
im Hauptfach Politikwissenschaft und in den Nebenfächern Soziologie und
Französische Kulturwissenschaft an der Universität Passau (2001).
Seine Fachgebiete:
Amerikanische Weltordnungsvorstellungen und transatlantische Beziehungen; Sicherheits-, Energie- und Handelspolitik der USA; Wirtschaftliche und
innenpolitische Rahmenbedingungen amerikanischer Außenpolitik; Vergleichende Governance-Analyse, u. a. deutsches und US-Regierungssystem;
Religion und Politik in den USA
Kontakt: [email protected]; https://dgap.org/de/think-tank/experten/203
Impressum
Herausgeberin:
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Adenauerallee 86, 53113 Bonn,
Fax-Nr.: 02 28/99 515-309, Internetadresse: www.bpb.de/izpb,
E-Mail: [email protected]
Redaktion:
Christine Hesse (verantwortlich/bpb), Jutta Klaeren, Magdalena Langholz
(Volontärin)
Gutachten und redaktionelle Mitarbeit:
Ines Jurkeit, Alicante, Spanien; Dr. Simon Koschut, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Auslandswissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg; Prof. Dr. Peter Lösche, Kassel (bis 2007 Lehrtätigkeit am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen); Martin
Neibig, Darmstadt; Jenny Rademann, Eisenhüttenstadt; Verena Waeger, Köln
Titelbild:
KonzeptQuartier® GmbH, Fürth; unter Verwendung von fotolia (NIcholas
B, Andrea Izzotti, SergiyN); Stephen Crowley / The New York Times / laif
Umschlag-Rückseite:
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Gesamtgestaltung:
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Straße 261, 90763 Fürth
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Vertrieb:
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Erscheinungsweise:
vierteljährlich.
ISSN 0046-9408. Auflage dieser Ausgabe: 500 000
Informationen zur politischen Bildung Nr. 320/2013
Redaktionsschluss dieser Ausgabe:
Dezember 2013
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politische Bildung/bpb erhalten Sie unter der o. g. bpb-Adresse.
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15.00 Uhr zur Verfügung.
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