92 - Wieża spadochronowa w katowicach wczoraj i dzisiaj

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92 Geschichte und Geschichten
Zum Gedenken an Sonia Horn
Dietrich Nummert
Jahre der Zuversicht und
der Trauer
Zum Gedenken an Sonia Horn
Am 15. November, dem Volkstrauertag, geht der
eine oder andere vielleicht zum Alten Berliner
Garnisonfriedhof, wo Militärs bestattet sind und
Dichter und Opfer unruhiger Zeiten ruhen. Der
Besucher kommt zu vier Grabreihen. Hier liegen
mehr als tausend Opfer – sieben Tote teilen sich
einen Quadratmeter. Massen im Massengrab
brauchen wenig Platz. Und waren doch
Menschen mit Namen, mit Schicksalen. Viele
Frauen unter ihnen und Kinder. Deutsche.
Ausländer.
Als der April des Jahres 1945 sich neigte, war
Deutschland klein geworden. In Berlin tobten
Kämpfe. Straße um Straße, Haus um Haus zogen
sich Wehrmacht, SS und Volkssturm zurück oder
ergaben sich. Der eiserne Ring um die Innenstadt
schloß sich. Den in Kellern und Bunkern
hockenden Menschen stockte der Atem. Und
sobald der Kanonendonner für einen Moment
verstummte, huschten blasse Gestalten aus dem
Dunkel, getrieben von der Sorge um einen lieben
Menschen oder auf der verzweifelten Suche nach
einem Ort zum Überleben. Manche
fanden dabei den
Tod – eine Kugel
kam geflogen,
oder eine Mauer
stürzte ein.
Der Tod
ereilte hier auch
eine junge Frau:
Sonia Horn.
Geboren am 30.
November 1923
in Myslowice,
dem Ort, der von
rauchenden,
ächzenden,
pulsierenden
Industriestädten
bedrängt wird.
Nah lag das
schöne Krakau,
alte Residenz,
Königstadt,
Heimat von
Kunst und
Wissenschaft.
Nah lag
Czestochowa, die
katholische
Kultstätte mit der
Schwarzen
Madonna. Von
Kindheit an
wirkten auf Sonia
nüchterner
Realismus,
polnischer
Patriotismus,
tiefer
Gottesglaube.
An den Vater
Viktor, einen
sogenannten
Volksdeutschen,
der kaum ein
Wort polnisch
sprach, blieben
dem Mädchen
wenig
Erinnerungen;
aber es wuchs mit
der deutschen
Sprache auf. Sie
war vier Jahre alt,
als die Eltern sich
scheiden ließen.
Da die Mutter in
langen
Arbeitstagen den
Lebensunterhalt
verdienen mußte,
übernahm die
Erziehung der
Kleinen die nur
polnisch redende
Großmutter. Die
neue Sprache
lernte Sonia
spielend, und sie
bewahrte mit
Hilfe der Mutter
zugleich ihren
Grundstock
deutscher Worte.
Als die
Schulzeit begann,
zeigte das
Mädchen bereits
eine Eigenschaft
ganz deutlich:
Selbständigkeit.
Sie wird ihr noch
dienlich sein.
Vorerst aber,
neben dem
schulischen
Lernen, übte sie,
sich graziös zu
bewegen – sie
genoß den
Unterricht bei
einem bekannten
Tanzpädagogen.
Der Tanz
93 Geschichte und Geschichten
Zum Gedenken an Sonia Horn
verdrängte anderes. Die
Mutter, irritiert und in
Sorge um die Zukunft der
Tochter, nahm sie aus dem
Kursus, gab sie 1935 in
eine klösterliche Schule in
Teschen. Dort erhielt Sonia
zwar ebenfalls
Tanzunterricht, aber in
weitaus geringerem Maße;
religiöse Erziehung stand
im Vordergrund.
Zwei Jahre später, Sonia
war 14, kehrte sie zurück in
den Heimatort. Erfolgreich
legte sie das Vorexamen für
die Handelsschule ab.
Fortan beherrschten andere
Ansprüche ihre Tage. Im
Nu stand 1939 der
Abschlußball vor der Tür.
Dieses Fest bekam
Bedeutung. Es schloß eine
Lebensetappe ab. Zum
anderen lernte die
Sechzehnjährige Franczisek
Roj kennen, Lehrer und
Offizier der polnischen
Armee. Das Jahr war noch
nicht zu Ende, da heirateten
sie. 1939 aber brachte
bekanntlich auch die
deutsche Besatzung. Am 1.
September waren Truppen
Hitlerdeutschlands in Polen
eingefallen.
In Myslowice gründeten
junge Leute die Gruppe
»Braciom na
Sonia mit 10 Jahren
Zum Gedenken an Sonia Horn
otuche«. Die Leitung der »Bruderschaft
der Zuversicht« bildeten Florek
Adamski, ihr Chef und
Verbindungsmann zur Armija Krajowa,
der Lehrer Willy Mett, dessen Verlobte
Cilly Wieczorek, Franczisek Roj und
Sonia Horn. Mit List, vorsichtig und
entschlossen gestalteten sie ihr Tun. Sie
halfen Familien, deren Angehörige
ermordet worden waren, kümmerten
sich um Geld und Kleidung, entwarfen
und druckten Flugblätter, verteilten sie,
schrieben Parolen. Jahr um Jahr – 1940,
1941, 1942. Zeit der Anspannung, Last
der Lebensgefahr. Und es waren Jahre
der Zuversicht, daß ihr Tun gerecht und
der Heimat dienlich ist.
Wer den Kopf hebt, fällt auf. Die
Gestapo, immer auf der Suche, fand
eine Spur. Im Februar 1943 geriet Sonia
in ihre Fänge. Während der Verhöre in
Kattowitz schwieg sie beharrlich. Und
da die Schwarzuniformierten ihr nichts
nachweisen konnten, mußten sie sie
entlassen, ließen sie aber beobachten.
Sonia bemerkte das. Daraufhin flohen
sie: Franczisek, ein weiteres Mitglied
der Bruderschaft und sie fanden in
Krakau Unterkunft bei der Familie
Malinowski.
Aber jetzt waren die Häscher wach.
Und da Krakau nicht die Heimatstadt
war, in der man jeden Hof und jeden
Durchschlupf kennt, hatte die Gestapo
leichteres Spiel.
Die Eheleute, auf dem Weg zum
Pfingstgottesdienst, wurden am 13. Juni
1943 verhaftet. Die Nacht verbrachten
Montelupe- Gefängnisses.
Anderntags wurden sie
getrennt, nach Myslowice
transportiert, im
»Rosengarten«, dem
provisorischen KZ,
eingekerkert.
Mutter Horn kümmerte
sich. Sie durchschaute die
neuen Machthaber,
bestach die richtigen
Leute, welche die
Haftbedingungen für ihre
Tochter lockern konnten.
Franczisek deportierte
man im Oktober nach
Auschwitz. Das Angebot,
er käme frei, sobald er die
»Volksliste«
unterschriebe, schlug er
aus, getreu dem Eid auf
die polnische Fahne. Am
23. Oktober 1943 stand
Franczisek Roj vor der
Todeswand im KZ
Auschwitz, das
Hinrichtungskommando
erschoß ihn.
Am 16. November
begann Sonias langer
Leidensweg. Über Krakau,
Warschau, Marienburg,
Danzig, Stettin und
Stralsund führte er sie vier
Wochen später hinter
Stacheldraht: FrauenKonzentrationslager
Ravensbrück,
Fürstenberg/Mecklenburg.
sie mit vielen anderen Gefangenen in
einer Zelle des
95 Geschichte und Geschichten
Sie erhielt die
Häftlings- Nummer
25551. – Ravensbrück,
schön gelegener,
schrecklicher Ort, Adresse
der Zwanzigjährigen – für
lange?
Die Mutter, kaum hatte
sie die Nachricht vom
Aufenthaltsort der Tochter
erhalten, knüpfte
Verbindungen, holte
Auskünfte ein, beschaffte
Bescheinigungen. Im
Februar 1944 reiste sie
nach Berlin, weiter nach
Fürstenberg, fand eine
Sekretärin, die ein kurzes
Treffen mit Sonia
vermitteln konnte. Es
wurde ihre letzte
Begegnung.
Zum Gedenken an Sonia Horn
Verlobungsfoto
mit Franczisek
Sonia, überlegt und geduldig,
nutzte den Briefverkehr.
Verordnet war: »Die Zeilen
müssen mit Tinte, übersichtlich
und gut lesbar geschrieben sein.
Briefe dürfen ... je 15 Zeilen und
Karten 10 Zeilen nicht
überschreiten ...
Entlassungsgesuche ... an die
Lagerleitung sind zwecklos.« Im
Juli 1944 schrieb sie: »Bin gesund
... Mutti, mach Dir bitte keine
Sorgen um mich, Du weist das ich
schon als Kind sehr selbständig
war, und auch jetzt in der
schweren für mich Zeit werde ich
nicht unter gehen ... Denke so viel
an die Tage, wo Du mich liebste
Mutti als Kind ... (unleserlich) auf
meine
Lippen aufgedrückt, da muß ich
weinen ...«
Aber mit jedem Tag wuchs
ihre Zuversicht. Überall mußten
deutsche Armeen weichen. Im
Lager jagten Gerüchte einander,
Frontberichte sickerten durch, die
Unsicherheit der
Wachmannschaften nahm zu.
Und im Februar 1945 entließ der
Kommandant zahlreiche
Häftlinge, unter ihnen Sonia, mit
der Auflage, im Lagerumfeld zu
verbleiben, die ihnen dort
zugewiesene Arbeit zu tun, der
Meldepflicht zu genügen.
...
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