Aufs Spiel gesetzte Körper

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Thomas Alkemeyer/Bernhard Boschert/
Gunter Gebauer/Robert Schmidt
Aufs Spiel gesetzte Körper
Eine Einführung in die Thematik
Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird dem Körper in unserer Kultur
große Aufmerksamkeit zuteil. Diese umtriebige Sorge um den Körper
hat allem Anschein nach mit tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen zu tun: Der Wandel der Erwerbstätigenstrukturen in Richtung
auf Dienstleistungen in einer zunehmend wissensbasierten Ökonomie
geht mit einer geradezu epochalen Verlagerung von der Hand- auf die
Kopfarbeit einher – eine Verlagerung, die durch die Entwicklung der
Mikroelektronik immer weiter vorangetrieben wird. Die technischen
Innovationen in diesem Bereich führten in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer umfassenden »Informatisierung der Arbeitswelt« (Dostal
1995) und damit zu einer Erosion der körperlichen Prägekraft der
Arbeitstätigkeiten.
Während für den bis in die 1970er Jahre vorherrschenden »fordistischen« Gesellschaftstypus noch die Unterwerfung, Disziplinierung und
Prägung der Körper in Arbeit, Erziehung und Sozialisation entscheidend
war, und während sich im Rahmen dieses Gesellschaftstypus nicht nur in
der Produktion, sondern auch im Bereich traditioneller Dienstleistungen,
z.B. im Bankgewerbe oder in der Wissenschaft, klar konturierte Berufshabitus mit ihren je spezifischen Routinen des Körperverhaltens, der Haltung, Mimik und Gestik herausgebildet hatten, ist unsere heutige Kultur
durch einen Rückbau all jener traditionellen Institutionen, Agenturen,
Apparate und Vorrichtungen der Körperformierung gekennzeichnet, die
ehemals die Einspannung des Körpers in die »Disziplinargesellschaft«
sicherstellten. Insbesondere in den neuen traditionslosen, überdurchschnittlich stark wachsenden Tätigkeitsbereichen des Kommunikations-,
Informations-, Gesundheits- und Bildungssektors, an Schreibtisch,
Counter, Tresen und Computer, verschwinden »gewachsene«, körperlich
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erkennbare berufliche Habitus.1 Mittlerweile ist die Informatisierung bis
in die industriellen Kernbereiche der Erwerbsarbeit eingedrungen und
hat auch dort zu einem Wandel der Tätigkeitsformen geführt – mit einschneidenden Auswirkungen auf die Bedeutung von Beruflichkeit: Der
berufliche Habitus, der bei einer langfristigen Integration in einen materiellen Arbeitsprozess wie bei einem physischen Trainingsprozess herausgebildet wird, verliert an Kontur. Unter den hochtechnologischen
Produktionsbedingungen der Gegenwart werden Körperhaltungen und
–rhythmen, Bewegungen und Gesten nicht mehr auf dieselbe Weise von
außen geformt wie zuvor. Die Körper erscheinen in der neuen Arbeitswelt weitaus »unbeschäftigter« als in der traditionellen (vgl. Gebauer
2001).
Im Gegenzug zu dieser schwindenden Bedeutung der traditionellen
Instanzen der Habitusprägung wird die Formierung der Körper offenbar mehr und mehr von jenen Bereichen der Nichtarbeit übernommen,
die in klassischen soziologischen Theorien vornehmlich in die Restkategorie »Freizeit« eingeordnet werden. Hier sind die Angebote zur Bildung
und Formung des Körpers – und damit des Selbst – in den letzten Jahren
explosionsartig angewachsen. Ein expandierender Markt für Hygieneund Schönheitsartikel, die vielfältigen Expertenkulturen für körperbezogene Fragen der Therapie, Ernährung, Wellness und Mode, neu entstehende Sportarten und Körper-Spiele, Bilder, Modellierungen und Präsentationsformen aus Werbung, Warenästhetik, Lifestyle-Zeitschriften,
Fernsehen und Popkultur, all dies stellt ein breit gefächertes Angebot an
Körperimages, Körperformen und populären Mythologien bereit, aus
dem die Akteure auf der sozialen Basis ihres Geschmacks auswählen
und sich in Eigenregie eine erkennbare körperliche Form – einen körperlichen Habitus – zulegen.
Indem die Akteure in der »Freizeit« ihre Körper formen, bilden und
gestalten, verleihen sie – mit Foucault zu reden – ihrem Leben einen
Stil. Postkonventionelle, außerhalb der traditionellen Institutionen und
Organisationsformen betriebene sportliche Praxen haben sich nicht nur
auf immer weitere, bislang sportferne Bevölkerungsgruppen ausgedehnt,
sondern sind auch neue Verbindungen mit anderen kulturellen Gattun1
8
Vester u.a. (2001) betrachten in ihren Forschungen zum sozialstrukturellen Wandel und
zur Herausbildung neuer, traditionsloser sozialer Milieus auch die Transformation der Erwerbsarbeit. Sie identifizieren in diesem Zusammenhang überdurchschnittliche Wachstumsraten bei all jenen Beschäftigungen, die im weiteren Sinne mit Kommunikation, Information, Gesundheit und Bildung zu tun haben (ebd., S. 278ff) und bezeichnen diese
neuen Tätigkeitsbereiche in Anlehnung an Bourdieus Analysen zur Sozialstruktur der französischen Gesellschaft als »neue Berufe« (ebd., S. 248).
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gen und stilistischen Ensembles aus Kleidungscodes, musikalischen
Vorlieben, Drogengebrauch, populären Helden, sprachlichen Idiomen,
Bewegungsstilen und Körpermodellierungen eingegangen. Längst haben
Sport und Popkultur ihre klaren Konturen verloren und sich zu hybriden kulturellen Räumen vermischt. Die Akteure so genannter Trendsportarten wie Streetball, Skateboarding, Inlineskating oder Mountainbiking sind zugleich paradigmatische Praktiker des Prinzips Pop, das
sich – nach den bekannten Analysen der in England entstandenen
– aus der bewussten Suche nach Objekten entwickelt, durch
die selbstbewusst neue Haltungen – ein Gesamtgestus der Lebensführung – vorgetragen werden können.
Die Ausprägungen körperlicher Formen, Haltungen und Stile durch
den sozialen Gebrauch von Körpermodellen, Zeichen und Gesten aus
Sport und Popkultur gestatten es den Akteuren zum einen, sich in performativen Akten den modernen Mythos der Selbstbestimmung zu beglaubigen. Zum anderen versprechen sie den Anschluss an Gemeinschaften von Gleichgesinnten, deren Mitglieder durch ähnliche Vorlieben,
Attribute und Zeichen (virtuell) miteinander verbunden sind. Diese passageren Gemeinschaften bilden sich als mehr oder minder exklusive
»Code-Communities«, als »Wahlverwandtschaften« (Bourdieu 1993,
S. 373ff) des Geschmacks. Eben deshalb sind sie hinsichtlich der habituellen, stilistischen und wohl auch sozialen Merkmale ihrer Akteure zumeist recht homogen. Über die Zugehörigkeit zu ihnen entscheiden
nicht formale Kriterien, sondern persönliche Attribute, Zeichen und
Körpermerkmale. Von Sport-, Mode- und Kulturindustrie als »style
packages« verbreitete Komplexe aus Zeichen, Gesten und ästhetischen
Signaturen wirken als Kollektivsymbole mit Signalcharakter, um die sich
distinktive Spezialkulturen als »Gemeinden der Gefühle« zusammenfinden (vgl. auch Soeffner 2000, S. 198ff). Gerade das Fehlen formaler
Kriterien für die Aufnahme, »diese Lockerheit, dieses ›natürliche SichFinden‹ und Informelle« macht aus ihnen »exklusive Gemeinden« (Krais
2001), in denen die »Treue zum je angesagten Stilbild« als Inklusionskriterium im Grenzfall »sogar rigoroser gehandhabt« wird als beispielsweise
die klassische Vereinsmitgliedschaft (Richter 2001).
Kurzum, unter den Lebensbedingungen heutiger Gesellschaften erscheinen Biografie, persönliche Entwicklung, Zugehörigkeit und soziale
Identität zunehmend als reflexive, von den Akteuren selbst zu entwerfende Projekte. Zwar ist das Körperliche eine fundamentale Dimension
dieser Entwicklung, in den Sozialwissenschaften, die den Menschen
nach wie vor zumeist auf ein theoretisches Abstraktum reduzieren, wird
diese Dimension jedoch oft vernachlässigt. Die angedeutete Freisetzung
Cul-
tural Studies
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des Körpers aus traditionellen Disziplinar- und Prägeapparaturen hat
durchaus ambivalente Folgen: Der Körper verliert seine institutionellen
Kontroll- und Haltevorrichtungen, im Gegenzug wird er jedoch in einem
historisch neuen Ausmaß zum Material wie zum Gegenstand von Selbstgestaltungen. An die Stelle einer von außen auf die Körper einwirkenden, gesellschaftlichen Formungs- und Bildungsarbeit treten der Tendenz nach Selbstbildungsaktivitäten, die ohne ein breites Spektrum an
Körperformangeboten nicht denkbar sind. Es ist, als gerate der Körper
in einen neuen sozialen Aggregatzustand: Die einst feste und träge Materie, die die Dauerhaftigkeit der in sie eingeschriebenen sozialen Strukturen garantierte, scheint sich in eine leichter modellierbare Masse zu
verwandeln.
Die neuartigen »körperthematischen« Praxisformen der Selbstgestaltung und Gemeinschaftsbildung in den Räumen des Sports und der populären Kultur lassen sich nicht nur als Reaktionen »postfordistischer«
Gesellschaften auf den Abbau körperformierender Institutionen in den
sogenannten Ernstbereichen des Lebens deuten. 2 Darüber hinaus zeigen
das Auftreten neuer körperlicher Praxen in der »Freizeit«, ein Wandel
der körperorientierten Spiele, die Veränderung von Spielvorlieben, auch
einen sozialen Wandel in der Tiefe an. Dies ist die grundlegende Hypothese unserer Untersuchung mit dem Titel »Die Aufführung der Gesellschaft in Spielen«, ein Teilprojekt des Berliner Sonderforschungsbereichs 447 »Kulturen des Performativen«. Besonders deutlich wird der
Zusammenhang zwischen der Veränderung der Spiele und einem allgemeinen gesellschaftlichen Strukturwandel an jenen boomenden Spielpraxen, in denen der eigene Körper riskiert wird. Die so genannten Risikosportarten, die seit einiger Zeit mit triumphierendem Getöse an das Licht
der Öffentlichkeit drängen, sind in dieser Hinsicht nur die Spitze des
Eisbergs. Während es im traditionellen Sport um Sieg, Einmaligkeit,
Höchstleistung, Erstbesteigung geht, um die Eroberung eines Titels,
einer Bergspitze, eines Rekords, setzen die neuen riskanten Sportarten
den Körper aufs Spiel. Sie werfen ihn keineswegs fort, sondern setzen
ihn aus und erobern ihn – nach vollbrachter Leistung – als ein beherrschtes und im Wert gesteigertes Gut zurück. Die Risikopraktiken
charakterisiert mithin in zugespitzter Weise, was auch andere aktuelle
Körperpraxen auszeichnet: die Stilgebung des eigenen Lebens, nur wird
der Stil hier an den Grenzen der menschlichen Möglichkeiten gewon2
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Genauer zu diskutieren wäre der Zusammenhang unserer Thesen mit Bettes (1989) Diagnose einer paradoxen Gleichzeitigkeit von Körperverdrängung und Körperaufwertung in
modernen Gesellschaften.
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nen. Risikosportler wetten gewissermaßen mit sich selber, dass sie fähig
sind, an die Grenze dessen zu gehen, was für sie selber oder Menschen
überhaupt möglich ist: dass sie diese Situation auszuhalten, zu bewältigen und aus ihr wieder – gestärkt und erhöht – zurückzukehren vermögen. Wenn sie ihre Wette mit sich selber gewinnen, haben sie sich und
ihren Zuschauern gezeigt, dass sie für ihr Leben einen Stil errungen
haben, der von höherer Qualität ist, als alle bis dahin angenommen
haben: Sie haben Macht über die Natur, die Natur ihres Körpers, gewonnen, sie haben ihr Leben gesteigert und wertvoller gemacht.
Aber auch viele andere Körperpraktiken, die in jüngerer Zeit populär
geworden sind, sind von einer Haltung des Sich-Riskierens gekennzeichnet. Die Suche nach dem Risiko prägt viele Arten und Weisen, mit dem
eigenen Körper umzugehen, ihn als Erzeuger und Empfänger von
Spannung und Erregung zu benutzen, ihn zur Schau zu stellen, den
Blicken einer Öffentlichkeit auszusetzen, ihm einen bühnenartigen Aufführungscharakter zu geben. In dieser Sichtweise ist das Korrelat von
Risiko nicht das Abenteuer, nicht der Aufbruch nach fernen und finsteren Orten der Gefahr, sondern die Suche danach, seinem Leben einen
Stil höherer Qualität zu verleihen. Man findet diese Suche in einer
Arbeit, die die Grenzen des Gewöhnlichen verrückt, also nicht in der
Wildnis, sondern am Rande des Alltagslebens. Wenn man ein solches
Risiko eingeht, rüttelt man an den Gittern des Gewöhnlichen. Man
durchdringt sie nicht, man bringt sie nicht zum Einsturz, aber man stellt
sie anders auf.
Das Risiko entsteht, wenn man erworbene Sicherheiten fallen lässt
und Routinen irritiert, wenn man auf eine Bühne tritt und sich ohne die
üblichen Geländer exponiert. Eine solche Haltestange, auf die man hier
verzichtet, ist die Normalität, das Produkt von Erziehung, Einübung,
Dressur, an dessen Herstellung viele Institutionen und Personengruppen mitwirken. Dass man sich nicht mehr von den ausgeprägten und
erwarteten Normalitätsanforderungen führen lässt, sondern sich andere
Normen gibt, die zu jenen im Widerspruch stehen, macht beispielsweise
den Reiz von Subkulturen und »Szenen« aus, von Jugendkultur, Tangotanzen, Extremsport, von Boxen in einer befriedeten modernen Gesellschaft. Das Sich-Ausprobieren und -Riskieren ist die Voraussetzung für
eine (Re-)Konstruktion neuer, sich vom »Normalen« absetzender körperlicher Haltungen; die Selbstgestaltung beginnt mit dem Abschütteln des
Mitgebrachten.
Von seiner Normalität kann man sich allerdings nie restlos lösen,
man bleibt ihr verhaftet, oder anders ausgedrückt, sie bleibt an einem
hängen: Sie durchdringt den Körper auch dann, wenn dieser aufs Spiel
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gesetzt wird und sich auf einer Bühne bewegt. Zu jeder körperlichen
Aufführung gehört unablösbar das Geschlecht, das der aufführende
Körper hat. Merkmal des performativen Körpergebrauchs – in Spielen
von Kindern wie in der Mode – ist es auch, dass Geschlechtscharaktere
erprobt und riskiert werden können.
In den körperlichen Kulturen des Performativen geht es nicht um
Wahrheit, aber darum sind sie noch nicht falsch. Austin (1972) hat
bereits gezeigt, dass ein anderes Kategorienpaar als wahr/falsch für das
Urteil über performative Ausdrücke verwendet werden muss: glücken/
misslingen. Genau in der Spannung zwischen beiden Begriffen liegt das
Risiko: Die Arbeit an der Grenze gelingt oder man stürzt ab. In eine
solche Situation gehängt, die man aushalten, bewältigen, aus der man
sich retten muss, liegt eine Chance von Erkenntnis. Die Möglichkeit des
Misslingens lässt die unmittelbare Gegenwart auf eine Weise erfahren
und einsehen, wie man sie nirgendwo anders erfassen kann. Als ein Modus »körperlicher Erkenntnis« (Bourdieu) kann das Spiel mit einverleibten Schemata des Handelns, Wahrnehmens und Fühlens, das Austesten
mitgebrachter, in die Körper eingelassener sozialer, kultureller und geschlechtsspezifischer (Bedeutungs-)Grenzen, auch eine Reaktion auf
neue gesellschaftliche Anforderungen sein.
Der vorliegende Band durchmisst den neuen hybriden kulturellen
Raum der Angebote und Praxen zur Formung des Körpers in vier
Dimensionen: Den Anfang bilden Beiträge, die auf die für die Innovationen im Bereich der Spiele zentralen Motive des Abenteuers und des
Risikos Bezug nehmen:
thematisiert den zeitgenössischen Extremsport vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse. Er weist mit Luhmann auf den Zusammenhang moderner Inklusionsdynamiken mit den Veränderungen im Verhältnis von
Subjekt, Körper und Gesellschaft hin.
untersucht am Beispiel von
-Zeitschriften aus dem Freizeit- und Sportbereich
sprachliche Konstruktionsformen von Heldenfiguren. Er zeigt, dass in
diesen Konstruktionen Selbstkontrolle und Selbstdisziplin besonders
hoch geschätzte Eigenschaften sind.
schließlich analysiert
den modernen Erlebnissport und die Suche nach immer neuen Erlebniskicks als Formen des Rausches, die suchtähnliche Züge annehmen können. Er spricht von einer Lustsucht in Gestalt einer Sportsucht, die
asketisch kodiert und damit sozial positiv sanktioniert sei.
Das Riskieren des Körpers kennzeichnet auch all jene kulturellen Praxen, in denen Personen sich selber modellieren und modifizieren, umarbeiten. Damit ist ein Zusammenhang von Körperformung und Selbsttechnologien angesprochen, der im Mittelpunkt der Beiträge des zweiten
Karl-Heinrich Bette
Martin Stern
special interest
Volker Caysa
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Kapitels steht. Thomas Alkemeyer und Robert Schmidt machen mit Bezug
auf Bourdieu und Foucault auf mikrologische Akte der Verflüssigung habitueller Prägungen in den neuen Spielen zwischen Sport und Popkultur
aufmerksam und setzen diese Praxen in Beziehung zu neuen gesellschaftlichen Anforderungen im Zeichen neo-liberaler »Flexibilisierung«. Rainer
Winter rückt unter Bezugnahme auf die Cultural Studies die kreative Rezeption und Aneignung kultureller Objekte und medialer Texte ins Zentrum der Betrachtung und setzt sich auf der Grundlage einer kritischen
Analyse popkultureller Körperpraktiken mit den Arbeiten von Foucault,
Bourdieu und de Certeau auseinander. Diedrich Diederichsen betrachtet die
diversifizierten lifestyles spätkapitalistischer Subjekte und lotet angesichts
kontrollgesellschaftlicher Selbstformungszwänge Möglichkeiten eines
gegenwärtigen Nonkonformismus aus. Paula-Irene Villa schließlich dekonstruiert den Alltagsmythos des Argentinischen Tangos und betrachtet diese kulturelle Praxis als ein »Spiel«, in dem sich Körper-Wissen und
Leib auf spezifische Art und Weise wechselseitig konstituieren.
Wie verhalten sich die körperlichen Selbstgestaltungen zur Kategorie
Geschlecht, die ihre Evidenz und Fraglosigkeit ja gerade auf Körperliches gründen muss? Dieser Frage widmen sich in unterschiedlicher
Akzentuierung die Beiträge des dritten Kapitels. Beate Krais expliziert am
Rollenbegriff von Parsons und Mead die Körpervergessenheit traditioneller soziologischer Handlungstheorien und zeigt in Auseinandersetzung mit der Geschlechterforschung, dass der Körper immer schon als
ein Geschlechts-Körper existiert. Michael Meuser beschäftigt sich mit der
seit dem 20. Jahrhundert wachsenden Aufmerksamkeit für den männlichen Körper und begreift diese als Indikator dafür, dass die traditionelle
Position des Mannes in der Geschlechterordnung brüchig geworden ist.
Helga Kelle beschreibt mit den Instrumenten der Ethnografie Praktiken
der Geschlechterunterscheidung unter Schulkindern. Sie zeigt, dass insbesondere in den spontanen Territorienspielen der Kinder weniger Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu Tage treten als vielmehr
Symmetrie und reversible Handhabungen der Spielrollen. Gertrud Lehnert
schließlich untersucht an historischen Beispielen und Entwicklungen die
Mode als eine Form des Spiels und stellt die performativen, inszenatorischen und theatralen Dimensionen heraus, in denen Körper und Geschlecht kulturell konstruiert werden.
Körperliche Handlungen und Aufführungen, die in Sport und populärer Kultur von entscheidender Bedeutung sind, bergen Potenziale spezifisch körperlicher, nicht kognitivistisch verkürzter Formen von Erkenntnis.
Dies wird in unterschiedlicher Weise in den Beiträgen des vierten Kapitels deutlich. Gunter Gebauer macht auf die grundlegende körperliche KonALKEMEYER, Aufs Spiel gesetzte Körper. ISBN 978-3-89669-764-6
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stituiertheit des Wissens und der Wissensformen aufmerksam. Er zeigt
mit Wittgenstein, Bergson, Nietzsche und Heidegger, dass es ein Wissen
des Körpers gibt, das sich dem bewussten Wollen entzieht und als Gewissheit in den Körper eingeschrieben ist.
skizziert in Auseinandersetzung mit Bourdieu, unter welchen Bedingungen das habituell
bestimmte Handeln auch als selbst-reflexives Handeln angesehen werden
kann, ohne dass ein »sich immer schon bewegendes Subjekt« vorausgesetzt werden muss.
legt dar, dass Boxen nicht nur
körperlich die Wahrheit über den Zustand und das Können der Kontrahenten kommuniziert, sondern darüber hinaus auch spezifische körperliche Erkenntnischancen über die Gesellschaft bereithält, in der es praktiziert wird.
beschäftigt sich zum Abschluss des Kapitels
mit den körperthematischen, sozial-strukturellen und erkenntnistheoretischen Aspekten der performativen Wende in den Kulturwissenschaften.
Elk Franke
Wolf-Dietrich Junghanns
Bernhard Boschert
***
Der vorliegende Band ist aus der Tagung »Aufs Spiel gesetzte Körper«
hervorgegangen. Die Tagung wurde von Thomas Alkemeyer, Bernhard
Boschert und Robert Schmidt entworfen, geplant und vom 4. bis zum 6.
Oktober 2001 in Berlin durchgeführt. Unverzichtbare Hilfe erhielt das
Organisationsteam von unseren tatkräftigen studentischen Mitarbeiterinnen, Sylvja Kauric, Sandra Polchow, Vanessa Schwabe und Eva Vleugels
sowie von Frau Brigitte Akkoyunlu, die das Sekretariat mit unerschütterlicher Freundlichkeit leitete. Mit wertvollen Hilfen wurde das Vorhaben
von Gertrud Lehnert, der Geschäftsführerin unseres Sonderforschungsbereichs, und im Sfb-Sekretariat von Frau Sabine Lange unterstützt.
Ihnen allen, wie auch dem Sonderforschungsbereich »Kulturen des Performativen« und der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft
(dvs), die die Tagung durch ihre großzügige finanzielle Unterstützung
ermöglichten, sagen wir als Herausgeber unseren herzlichen Dank.
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Literatur
Austin, J.L., 1972: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words), bearbeitet von E. v. Savigny. Stuttgart.
Bette, K.-H., 1989: Körperspuren. Zur Semantik und Paradoxie moderner Körperlichkeit. Berlin, New York.
Bourdieu, P., 1993: Die feinen Unterschiede. Frankfurt/M. (6. Aufl.)
Dostal, W., 1995: Die Informatisierung der Arbeitswelt. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Sonderdruck). Nürnberg.
Gebauer, G., 2001: Der Held und sein Handy. Sport als Habitus und Erzählung. In:
Merkur 621, S. 1-14.
Krais, B., 2001: Die französische Perspektive auf Social Capital und Implikationen
für die gesellschaftspolitische Praxis. Beitrag zum internationalen Workshop der
Enquête-Kommission »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« des 14.
Deutschen Bundestages im Plenarbereich Reichstagsgebäude am 25. Juni 2001.
Richter, N., 2001: Spiel und Agon vor dem Hintergrund der Anthropologie Helmuth
Plessners. Unveröffentlichtes Manuskript.
Soeffner, H.-G., 2000: Gesellschaft ohne Baldachin. Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen. Weilerswist.
Vester, M. u.a., 2001: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen
Integration und Ausgrenzung. Frankfurt/M.
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