Massanzug fürs Auge

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«NZZ am Sonntag» vom 16.06.2013, Seite 55:
Massanzug fürs Auge
Wer eine starke Sehschwäche hat und Kontaktlinsen schlecht verträgt, kann
jetzt Sklerallinsen nutzen. Von Bianka Hubert
«N-D-O-K». Entspannt liest die Patientin die Buchstaben auf der Tafel und geniesst die 90
Prozent Sehleistung. So gut hat sie noch nie gesehen. Eine irreguläre Hornhautverkrümmung
bescherte ihr bereits als Kleinkind eine Brille, die ihr Augenleiden aber nur auf eine
Sehleistung von 60 Prozent korrigieren konnte. Herkömmliche Kontaktlinsen vertrug sie
nicht. Nun hilft ihr eine moderne Sklerallinse.
«Die Sklerallinse hat einen schlechten Ruf, der von den früheren Modellen aus Plexiglas
herrührt», sagt Theo Seiler, Augenarzt am IROC Institut in Zürich. Seiler ist Spezialist für
Keratokonus - eine Erkrankung, bei der Sklerallinsen am häufigsten und erfolgreichsten
eingesetzt werden. Bei Patienten mit Keratokonus stülpt sich das Auge immer weiter nach
vorne aus, bis die Hornhaut so dünn ist, dass sie durchzubrechen droht. Die Krankheit kann
zwar operativ gestoppt oder zumindest verlangsamt werden, die Sehleistung bleibt aber häufig
schlecht.
Solchen Patienten empfiehlt Seiler moderne Sklerallinsen. Aber auch Patienten mit
deformierten und vernarbten Hornhäuten nach Operationen oder chronisch trockenen Augen,
wie sie beim Sjögren-Syndrom auftreten, können diese Linsen helfen.
Sklerallinsen sind harte Kontaktlinsen. Während andere Linsen mit ihrer gesamten Oberfläche
auf dem Auge schwimmen, liegen Sklerallinsen nur am Rand auf der Sklera, der Lederhaut,
auf dem Auge. Im Gegensatz zur Hornhaut, der durchsichtigen Haut über dem farbigen Teil
des Auges aus Iris und Pupille, ist die Lederhaut schmerzunempfindlich. Abgeklemmte
Nerven und Blutgefässe in der darüberliegenden Bindehaut können den Tragekomfort
trotzdem mindern. Spezialisierte Augenoptiker und Linsenhersteller arbeiten deshalb eng
zusammen, um den Linsenrand individuell an die Form des Augapfels und den Gefässverlauf
in der Bindehaut anzupassen.
Von Rand zu Rand überbrückt die Sklerallinse die empfindliche Hornhaut mit einer
individuell geformten Kuppel. Der so entstehende Hohlraum zwischen Auge und Kontaktlinse
wird mit Kochsalzlösung aufgefüllt. «Dieses Flüssigkeitsreservoir ermöglicht es, auch sehr
komplizierte Hornhautformen optisch auszugleichen», erklärt Alex Ziörjen,
Kontaktlinsenspezialist bei Kochoptik in Zürich. Bei Augenkrankheiten, die medikamentös
behandelt werden müssen, kann die Flüssigkeit zudem Medikamente aufnehmen.
In der Schweiz stellen zwei Firmen Sklerallinsen her. Pionier ist die Falco AG im Thurgau.
Seit 2012 bietet die Appenzeller Kontaktlinsen AG individuelle und flexible Anpassungen.
Doch Sklerallinsen sind keine Wundermittel. «Einige Patienten sehen auch mit dieser Linse
nicht besser als mit herkömmlichen Sehhilfen», sagt Ziörjen. Bei anderen verschlechtere sich
die Sehleistung wieder. Ausserdem sind Sklerallinsen nichts für Eilige. «Es dauert mehrere
Wochen oder gar Monate», sagt Ziörjen, «aber wenn die richtige Linse gefunden ist,
profitieren die Patienten von einer enormen Steigerung ihrer Lebensqualität.»
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