Blick in die Zeit NR. 184 · MITTWOCH, 8. AUGUST 2012 HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG 3 Ein System unter Verdacht Die Organspende-Skandale bringen die ärztliche Selbstverwaltung in Erklärungsnot / Wie werden Herz, Leber, Lunge und Nieren verteilt? Von PatricK t iede und g a bi S tief Berlin. Der Bericht an den Bundestag trägt die Drucksachen-Nummer 16/13740. Auf 800 Seiten hat das IGES-Institut im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums Bilanz gezogen. Transplantationsmediziner, Krankenkassen und Ministeriumsmitarbeiter wurden nach ihren Erfahrungen befragt – kurzum alle, die im deutschen Organspendewesen tätig sind. Der Bericht wurde 2009 geschrieben, zwölf Jahre nachdem der Bundestag das erste Transplantationsgesetz verabschiedet hatte. Wer gehofft hatte, etwas über die Ergebnisse der Kontrolleure zu erfahren, sah sich damals getäuscht. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Prüfung, ob Niere, Leber, Lunge oder Herz nach geltenden Regeln verteilt werden, vertraulich bleiben müsse. Schließlich sei die Akzeptanz der Organspendebereitschaft stark von der Berichterstattung in den Medien abhängig. Nachrichten über Unregelmäßigkeiten würden viele verschrecken. Drei Jahre später gibt es zwei Lehren. Die Berichte über mutmaßliche Manipulationen von Krankendaten an den UniKliniken Göttingen und Regensburg werden die Spendenbereitschaft dämpfen – so wie es die Gutachter voraussahen. Allerdings kann man in diesen Tagen auch lernen, dass es ein Irrglaube ist, man könnte Tricksereien und Missbrauch hinter verschlossenen Türen aufklären. Die Folge ist verheerend: Wenn Vertrauen erst einmal erschüttert ist, gerät schnell das gesamte System unter Verdacht. Wie werden Organe zugeteilt? Wer bekommt nach welchen Regeln die Spenderleber? Das Transplantationsgesetz nennt als Kriterien „Erfolgsaussicht“ und „Dringlichkeit“. Gremien der Bundesärztekammer (BÄK) definieren, was konkret da- Neue Regeln Die Transplantationsmedizin steckt in einem Dilemma: Der medizinische Fortschritt macht schwierige Organverpflanzungen möglich, doch Lebern, Herzen oder Nieren sind ein knappes Gut. Auf den Wartelisten für ein Spenderorgan stehen zurzeit etwa 12 000 Patienten. Rund 1000 von ihnen sterben jährlich, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten. Um mehr Menschen zum Spenden zu bewegen, hat die Regierung neue Regeln beschlossen. Künftig werden alle Krankenversicherten von 16 Jahren an regelmäßig von ihrer Krankenkasse über Organ- und Gewebespenden informiert und um eine Entscheidung gebeten, die sie im zugesandten Organspendeausweis dokumentieren sollen. Einen Zwang, sich zu äußern, besteht nicht. Einen Organspendeausweis bekommt man auch bei Krankenkassen, Ärzten und Apotheken. Man kann ihn aus dem Netz herunterladen oder bestellen, zum Beispiel bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Ein umfangreiches Portal mit ausführlichen Entscheidungshilfen bietet die AOK. Dort können auch Experten befragt werden. runter zu verstehen ist. Die Ständige Kommission Organtransplantation bestimmt im Rahmen der ärztlichen Selbstverwaltung die Vorgaben für Wartelisten und Verteilung der Organe. Zwei Kontrollgremien, ebenfalls der BÄK zugeordnet, sind dafür zuständig, dass sich alle Kliniken und die 40 Transplantationszentren an die Regeln halten. Laut IGES-Gutachten sind die Prüfer weitgehend auf freiwillige Auskünfte der Zentren angewiesen. Die Warteliste wird von der niederländischen Stiftung Eurotransplant geführt. Weniger bekannt war bislang, dass es eine zweite Liste gibt. 1999 entwickelte die Vermittlungsstelle in Leiden ein europäisches Seniorenprogramm (ESP) unter dem Namen „Old-for-Old“ (Alte für Alte), um – wie es heißt – der demografischen Entwicklung gerecht zu werden. Auf der ESP-Liste werden alle Patienten registriert, die älter als 65 Jahre sind. Hintergrund ist die Erfahrung, dass es häufig medizinisch problematisch ist, jüngeren Patienten das Organ eines älteren Spenders zu transplantieren. Zu den Besonderheiten von „Old-for-Old“ gehört die bevorzugte Weitergabe in der Region – ohne lange Transportwege. Das Spenderorgan soll in erster Linie im Spenderzentrum seinen Empfänger finden. Zusätzlich wurde vor wenigen Jahren ein beschleunigtes Verfahren eingeführt. Sobald bei Eurotransplant ein Spenderorgan gemeldet wird, startet die Stiftung eine Abfrage bei den Kliniken, deren Patienten laut Warteliste an der Reihe sind. Lehnen die ersten drei Zentren ab, weil das Organ zu klein, zu alt oder aufgrund von Vorschädigungen zu riskant ist, wird ein sogenanntes Zentrumsangebot gemacht. Ein Transplantationszentrum bekommt dann ein gezieltes Angebot. Und diese Fälle nehmen zu. Das Bundesgesundheitsministerium hat jetzt auf Anfrage der Grünen eine Statistik ausgewiesen, nach der 2011 mehr als jede dritte Leber und jedes vierte Herz auf diesem Weg vergeben wurde. 2002 betrug der Anteil der Schnellverfahren bei Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse noch weniger als zehn Prozent. Das Ministerium begründet den Anstieg mit dem demografischen Wandel. Immer mehr Organe älterer Patienten mit Vorerkrankungen seien schwer vermittelbar – und kämen für Empfänger der Warteliste nicht infrage. Eugen Brysch, Vorsitzender der deutschen Patientenschutzorganisation Hospiz Stiftung, hält das Argument für nicht belastbar. Er verweist auf eine Statistik der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), nach der sich die Zahl der über 65-jährigen Organspender in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren lediglich von 20 auf rund 30 Prozent erhöht hat. Brysch hält den signifikanten Anstieg der Schnellverfahren für „äußerst bedenklich“ und wirft dem Gesundheitsministerium vor, seit dem Bericht 2009 nichts dagegen getan zu haben. Er verlangt Aufklärung über die Anzahl der Privatzahler und der ausländischen Organempfänger. Bereits 2009 fiel auf, dass auf der Warteliste von Eurotransplant viele Selbstzahler registriert sind. Notwendig sei zudem die „grundsätzliche Überführung des privaten in ein staatliches Organspendesystem“. Die Verteilung von Lebenschancen müsse in staatlicher Hand liegen, sagt Brysch. Damit wäre zugleich die „Ursünde der Politik“ behoben, wie es der Medizinrechtler Thomas Gutmann formuliert. Schon 1997 habe sich der Bundestag bei der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes „weggeduckt“ und die Verantwortung an die Ärzteschaft und Gesundheitsverwaltung delegiert. Gutmann, Professor der Kolleg-Forschergruppe „Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“, sieht auch den Patienten als Leidtragenden: „Er verkommt zum bloßen Objekt, für den sich unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten niemand interessiert.“ Wer bekommt die Spenderniere? Ein Chirurg verpackt ein entnommenes Organ in eine Transportbox. rtr Nac hg e fr agt „Ich habe das für ausgeschlossen gehalten“ An den Uni-Kliniken in Göttingen und Regensburg wurden anscheinend Krankendaten manipuliert. Sind Sie überrascht? Ja. Ich habe das bislang für ausgeschlossen gehalten. Bei der Transplantation von Herz und Lunge gilt das Acht-AugenPrinzip; drei Auditoren sind beteiligt. Dass sich zwei Kollegen aus zwei Abteilungen, wie in Göttingen, einig sind und manipulieren, war für mich unvorstellbar. Es ist ein Ausnahmefall. Halten Sie das Organspendewesen für ausreichend transparent? Die Vergaberichtlinien und Wartelisten sind maximal transparent. Bislang dachte man, es gibt eine Warteliste für Patienten. Nun erfährt man, dass es eine zweite Liste für Ältere gibt und eine für dringliche Fälle. Richtig? Wenn sich der Zustand eines Patienten so verschlechtert, dass er auf die Intensivstation verlegt wird, dann bekommt er den Status „High Urgent“ und rückt auf der regulären Liste nach oben. So ist es in Göttingen passiert? Genau so. Sie haben wohl die Nierenfunktion schlechter gemacht und damit einen höheren Score bekommen. Eine weitere Variante neben der regulären Warteliste ist das sogenannte beschleunigte Verfahren bei der Verteilung von Spenderorganen. Wie hat man sich das vorzustellen? Wir haben vor Jahren festgestellt, dass wir Tausende Organe verlieren, die man transplantieren könnte. Die systematische Abfrage der Warteliste dauert Stunden. als Zentrumsangebot zwei schwer verletzte Lungen. Da wir zwei Patienten hatten, denen es extrem schlecht ging, haben wir transplantiert. Beiden Patienten geht es gut. Warum? Spricht das nicht gegen die Weil wir logistisch nicht in der zentrale Vergabe über eine Lage waren, die Organe Stiftung in den Niederlanschnell genug zuzuordnen. den? Wenn Sie einen möglichen Ich halte Eurotransplant Spender von Niere, Lunge, nach wie vor für die beste Leber und Herz haben, fragt Prof. Axel Institution. Eine EinrichEurotransplant ein Zentrum Haverich, Transtung außerhalb Deutschnach dem anderen ab, ob das Organ infrage kommt. Für jeplantationschirurg lands garantiert ein objektives Verfahren. Der Zeitverdes einzelne Organ. Nach vier, an der MHH lust wäre bei einer deutschen fünf Stunden entscheidet die Vermittlungsstelle nicht geKlinik, in der ein Spender im Sterben liegt, die Niere zu entfernen. ringer. Eine Klinik kann sich nicht in Herz, Lunge und Leber sind damit verlo- fünf Minuten entscheiden. ren. Die Richtlinie für dieses beschleunigte Verfahren existiert aber nur in DeutschNun gibt es ein verkürztes Verfahren? Wenn drei Zentren abgelehnt haben, land ... macht Eurotransplant eine Zentrumsan- Nur hier. In den Richtlinien der Bundesfrage bei denen, die das betreffende Or- ärztekammer geht es ja um die Umsetzung, die jedes der sieben Eurotransgan am häufigsten transplantieren. plant-Mitgliedsländer selbst regelt. Wie oft passiert das bei Ihnen? 40 Prozent der Lungen, die wir im ver- Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Organe gangenen Jahr verpflanzt haben, waren schlechter gemacht werden, um sie selbst Zentrumsangebote. Die Erfahrung spielt transplantieren zu können? eine Rolle. Wir haben vor Jahren an- Nein. Wir haben im letzten Jahr nur zwölf gefangen, bei der Lunge Lappen zu ent- Organspender an der MHH gehabt. Aber fernen. Das haben sich andere Kliniken wir haben 50 Lungen als Zentrumsangenicht getraut. Es gab vergangene Woche bot bekommen, das heißt von einer ande- ren Klinik. Alle Herzen, die wir verpflanzt haben, sind normal über Eurotransplant vermittelt worden. Was halten Sie von einer staatlichen Aufsicht? Nichts. Stellen Sie sich vor, ein Oberregierungsrat müsste entscheiden, ob wir das Organ bekommen dürfen oder nicht. Wie effektiv sind Prüf- und Kontrollgremien, in denen über Jahre dieselben Mediziner sitzen? Eine Optimierung des Systems ist sinnvoll. Wenn ein häufigerer Wechsel in den Gremien nutzt, sollte man es tun. Aber das System muss nicht geändert werden. Was halten Sie von der Einladung des Bundesgesundheitsministers zu einem Krisentreffen in Berlin? Das ist genau der richtige Schritt. Die Analyse des Status quo ist wichtig. Dann kann man auch über Veränderungen nachdenken. Zum Beispiel über verstärkte Kontrollen durch die ärztliche Selbstverwaltung. Aber die Politik ist nicht der richtige Ansprechpartner. Sind Ihre Patienten verunsichert? Um vier Uhr mache ich Visite auf der Transplantationsstation. Die Patienten mit Kunstherzen kämpfen um ihr Leben. Und nun droht die Spendenbereitschaft zu sinken. Das macht den Patienten Angst. Uns Ärzten auch. Interview: Gabi Stief Die Rechnung, bitte! Nach Gabriels Vorstoß streiten die Parteien wieder über eine gemeinsame Haushalts- und Schuldenpolitik in Europa. Warum ist das notwendig? Und: Wie soll das funktionieren? Von K a i K ollen berg ■ Eine gemeinsame Schuldenhaftung für Europa – was soll das überhaupt sein? Seit Sigmar Gabriels Vorstoß ist die gemeinschaftliche Haftung innerhalb der EU wieder ein Reizthema. Die Grundidee dabei: Jeder Euro-Staat soll dabei für die Schulden der anderen Länder einstehen. Selbst die Unionsparteien, deren Vertreter den SPD-Chef nun öffentlich kritisieren, sind nicht generell gegen eine gemeinsame Haftung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat aber stets betont, dass eine Schuldenunion nur möglich wäre, wenn es eine größere politische Integration der EU-Mitgliedsstaaten – sprich: eine gemeinsame Haushaltspolitik – gäbe. ■ Worüber streiten Regierung und Opposition? Im Kern sind es zwei Probleme. Die Regierung Merkel scheut davor zurück, die Schuldenunion allzu offensiv zu propagieren. Sie möchte Länder wie Griechenland nicht aus der Verpflichtung entlassen, die nötigen wirtschaftlichen Reformen umzusetzen, die der Internationale Währungsfonds und die anderen EuroStaaten verordnet haben. Würde jeder für jeden haften, hätten die eh schon gebeutelten Griechen kein Interesse mehr an einem harten Sparkurs. Zudem scheut die Kanzlerin eine Debatte darüber, ob der deutsche Steuerzahler für die Schulden anderer stärker haften sollte – auch wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble schon laut über Volksabstimmungen zu diesem Thema nachdenkt. Die Kanzlerin fürchtet den Unmut der Bevölkerung. Umfragen zeigen, dass die Wähler nicht Zahlmeister Europas sein wollen. ■ Warum sollten ausgerechnet gemeinsame Schulden die Euro-Krise lösen? Gemeinsame Schulden mindern den Druck auf die Schulden-Staaten wie Griechenland und Spanien. Momentan müssen sie horrende Zinsen für ihre Kredite zahlen. Denn ihre Gläubiger preisen das Risiko ein, dass diese Länder die Schulden eventuell nie zurückzahlen können. Wenn im Ernstfall nun Deutschland, die Niederlande oder Finnland für die Krisenstaaten einstehen, sinken die Zinsen für die Griechen. Für die Deutschen, die Niederländer oder die Finnen steigen sie dagegen. Einfach gesagt: Eine gemeinsame Haftung gleicht den Zinssatz für alle EU-Staaten an. Die schwächeren Länder profitieren vom guten Ruf der Nordländer. Das Ansehen Deutschlands oder Luxemburgs nimmt dagegen im Umkehrschluss in den Augen der Investoren ab. Die Topbewertung bei den Ratingagenturen steht auf dem Spiel. ■ Gibt es eine gemeinsame Schuldenhaftung nicht schon? Eigentlich nicht. Denn der Vertrag von Maastricht, der die Währungsunion besiegelte, beinhaltet noch die sogenannte „No-bailout“-Klausel. Diese sieht vor, dass jedes Land allein für seine Schulden einstehen muss. Dennoch hat die Europäische Union diesen lange Zeit unum- stößlichen Grundsatz aufgeweicht: Griechenland, Irland, Portugal und Spanien wurden mit Geld aus dem Rettungsschirm EFSF versorgt. Dessen Kapital wird von den anderen Euro-Staaten gestellt. Auch die Europäische Zentralbank hat im großen Stil Staatsanleihen der bedrohten Länder aufgekauft, um die Zinslast zu drücken. Allerdings betonen die Regierungschefs der Währungsunion stets, dass es sich bei den bereitgestellten Milliarden lediglich um Kredite handelt, die verzinst zurückgezahlt werden sollen. Bei einem Bankrott des Empfängerstaats allerdings wäre das Geld wohl dennoch verloren. ■ Die deutsche Regierung besteht auf der Fiskalunion als Voraussetzung für gemeinsame Schulden. Wie könnte diese Union aussehen? Die Fiskalunion zielt im Grundsatz auf eine gemeinsame Steuer- und Haushaltspolitik: Der Europäischen Union wird gestattet, die Steuerpolitik in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu regeln. Bisher ist dies Baustelle Euro: Der Vorstoß zur gemeinsamen Schuldenhaftung heizt die Debatte über den richtigen Weg aus der Krise neu an. dpa nicht der Fall. Die EU-Kommission wirkt allenfalls indirekt auf die Finanzpolitik der Länder ein. So darf die EU etwa die indirekten Steuern der Mitgliedsstaaten harmonisieren, um Handelshemmnisse abzubauen. Dieses Recht hat sie schon genutzt: 1991 wurde die Mindesthöhe der Mehrwertsteuer auf 15 Prozent festgelegt. Bei einer Fiskalunion würde ein EU-Gremium auch die Sätze der direkten Steuern wie die Einkommenssteuer festsetzen – oder zumindest einen Korridor vorgeben, in dem sich der Steuersatz bewegen muss. Die Mitgliedsstaaten müssten diese Vorgaben dann in nationales Recht umsetzen. Auch besäße die EU bei einer Fiskalunion die Hoheit, eigene Steuern zu erheben oder einzuführen. Momentan ist das das Privileg der nationalen Parlamente. ■ Gibt es so etwas mit dem beschlossenen Fiskalpakt nicht schon? Der 2011 beschlossene Fiskalpakt bleibt weit hinter diesen Vorstellungen zurück. 25 der 27 EU-Staaten verpflichten sich darin, Schulden abzubauen und in Zukunft weniger Schulden aufzunehmen. Die Vereinbarung entspricht der deutschen Schuldenbremse, die seit 2011 greift. Der Fiskalpakt ist allerdings kein EU-Recht, da Großbritannien und die Tschechische Republik den Regelungen nicht zugestimmt haben. Er ist daher nur ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Unterzeichnern. Der EU erwachsen durch seinen Text keine neuen Kompetenzen, wie es bei einer Fiskalunion der Fall wäre. Allerdings sehen Kritiker in den Vereinbarungen einen ersten Schritt auf dem Weg hin zu einer gemeinschaftlichen Finanzpolitik. Sie bemängeln, dass der Pakt die Haushaltshoheit der Länder und des Bundes beschneidet. Das Verfassungsgericht wird am 12. September über diese Frage entscheiden. ■ Wäre eine europäische Haushaltspolitik demokratisch legitimiert? Dies ist die schwierigste Frage, die es bei einer gemeinsamen Finanzpolitik zu klären gilt. Denn das Budgetrecht ist schon aufgrund seiner historischen Bedeutung das Königsrecht der nationalen Parlamente. Deswegen wäre es notwendig, die EU-Verträge zu großen Teilen zu ändern, wenn die Europäische Union Finanzpolitik betreiben soll. Vor allem das EU-Parlament müsste aufgewertet werden. Dann müsste allerdings die Frage geklärt werden, ob die Sitzverteilung nicht neu definiert werden müsste. Denn gemessen an seiner Bevölkerungszahl ist etwa Deutschland unterrepräsentiert. ■ Was sagt das deutsche Grundgesetz zur Fiskalunion? Das Grundgesetz in seiner jetzigen Form lässt diesen Kompetenztransfer nicht zu. Das haben die Verfassungsrichter zuletzt in ihrem Urteil über den Lissabon-Vertrag betont. Demnach gehört die Parlamentshoheit über die Einnahmen und Ausgaben des Staates zur geschützten Identität des Grundgesetzes. Soll dieses Charakteristikum geändert werden, bedarf es laut Karlsruhe eines Volksentscheides.