Michael Stecher Musiklehre Rhythmik Gehörbildung Band 1 Eine Musikkunde für die Anfangsstufe Einblicke in die Konzeption Lernpsychologische Anmerkungen Konzepte Michael Stecher Musiklehre - Rhythmik - Gehörbildung Band 1 Eine Musikkunde für die Anfangsstufe Lehrerhandbuch Informationen zum Autor: www.michaelstecher.de Copyright © 2014, Lern Material Musik, Konzepte im Vertrieb der Hal Leonard MGB GmbH Rotlaubstraße 6, 79427 Eschbach Layout und Gestaltung: Michael Stecher Lektorat: Burkhard Osteneck Dieses Lehrerhandbuch ist in allen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Noten, Texte und Grafiken, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung oder die Verwendung in Kursunterlagen und elektronischen Systemen. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Lehrerhandbuch Einleitung 1 Trotz der beschriebenen Gefahren können auch Über die unterschiedlichen Lernebenen pädagogische Lehrwerke der zweiten Lernebene das angestrebte Ziel eines wirksamen Musikver- Die Lernfelder Musikkunde, Rhythmik und Ge- stehens unterstützen. Dafür müssen sie aber di- hörbildung stellen wichtige Erfahrungsräume im daktisch, methodisch und lernpsychologisch gut musikbezogenen Bildungsprozess dar. Sie wer- gemacht sein. Bei der Erfüllung dieses Anspruchs den aber nicht automatisch zu wertvollen Unterstützern eines wirksamen Musikverstehens. Oft stellt das äußerst heterogene Vorwissen der bleibt gerade bei diesen Lernfeldern das sinnstif- Schüler die größte Herausforderung dar. tende Lernen auf der Strecke. Eingeleitet wird dieser unpädagogische Prozess dadurch, dass die Dies gilt besonders für die Lernfelder Rhythmik Übungs- und Lernmaterialien zur Musikkunde, und Gehörbildung. Kein Schüler gleicht in seinen Rhythmik und Gehörbildung meist als isolierte musikbezogenen Vorläuferfähigkeiten dem an- Lernfelder in Erscheinung treten. deren. Dazu gesellen sich extreme Unterschiede in spezifischen Lernfähigkeiten, unterschiedliche Es entstehen nachgebildete Lerneinheiten, Lernstile und Lernbereitschaften sowie differente die nicht direkt auf der ersten Lernebene des Lerngeschwindigkeiten. musizierpraktischen Tuns erfahren werden. Einleitung 2 Die Musizierpraxis dient zwar als Vorbild. Den- Wo liegen die Schwerpunkte ? noch werden die Lerninhalte inhaltlich normiert und einer festgelegten Struktur unterworfen. Am Es sind diese Schülerindividualitäten, die Autoren deutlichsten tritt dieser Prozess beim patternori- dazu auffordern, die Unterrichtswerke äußerst dif- entierten Lernen in Erscheinung: Melodische oder ferenziert zu gestalten und eine Gewichtung der rhythmische Motive werden zu Stellvertretern der inhaltlichen Schwerpunktsetzung vorzunehmen. realen musikalischen Praxis. Das vorliegende Unterrichtswerk verschiebt Diesem Trend kann sich auch die hier vorgelegte daher den Schwerpunkt auf die Lernfelder Musikkunde nicht entziehen - auch sie bleibt ein Rhythmik und Gehörbildung. Unterrichtswerk der zweiten Lernebene. Diese Materialsammung kann ihre Bedeutung aber vor Gerade in diesen Bereichen verläuft der Bildungs- allem dann erhöhen, weg in anderen Lehrwerken viel zu schnell. Sie bieten nicht ansatzweise den Übungsraum, der wenn sie in der Instrumentalausbildung für wirksame Verstehensprozesse aufgrund der unterrichtsbegleitend zum Einsatz kommt. Unterschiedlichkeit in den Vorläuferfähigkeiten angeboten werden sollte. Auch Unterrichtswerke Crashkurse sind für die angebotenen Lernfelder neueren Erscheinungsdatums scheitern an die- nur selten dienlich. Für den Bereich der Schulmu- sem Punkt, selbst dann, wenn ihr Lernkonzept an sik gilt die Umkehrung dieser Überlegungen: Auch Musikhochschulen entwickelt wurde. Mehrheitlich hier können die Inhalte dieser Musikkunde nur zeichnen sich derartige Unterrichtsmaterialien dann einen sinnstiftenden Bildungsprozess unter- vor allem dadurch aus, dass sie erstens zu früh stützen, wenn sie in musizierpraktische Erfah- auf den oberen Stockwerken des Verstehens sind, rungsräume integriert werden. Diese einleitenden da sie in den fundamentalen Anfängerbereichen Aussagen können durchaus als ein lernpsycholo- die Hörerziehung nur rudimentär abhandeln, und gischer Imperativ formuliert werden. zweitens totes Wissen zu massiv aufbauschen. Lehrerhandbuch Vielfältig ausdifferenzierte Übungswege Vom sinnvollen Umgang mit diesem Lehrwerk Im Gegensatz zu anderen Konzepten baut dieses Das vorliegende Unterrichtswerk ist kein „Lese- Lehrwerk auf eine fundamental andere Methodik: buch“. Man fängt daher nicht im ersten Kapitel an, Damit sich gerade die Hörwahrnehmungen solide um nach einer gewissen Zeit am Ende aufzuhören. ausbilden können, stehen für die Rhythmik und Diese Musikkunde ist ein Arbeitsbuch, das von Gehörbildung vielfältige und ausdifferenzierte Zu- seinem Aufbau her eine Sammlung von Arbeits- gangswege zur Entwicklung des musikalischen blättern darstellt. Im Kern wurzelt der Grundge- Vokabulars zur Verfügung. Dieser Reichtum und danke dieses Lernkonzeptes in der Pädagogik des diese Ausweitung des Übungsmaterials stellt für französischen Reformpädagogen Célestin Freinet. Lehrwerke der zweiten Ebene ein wichtiges Quali- In seinem Ansatz wird auf das traditionelle Schul- tätsmerkmal dar. Daher sind buch verzichtet. Das didaktische Bestreben gilt der Aufarbeitung sämtlicher Lerninhalte in sogenann- l über 40 Lernvarianten l und 330 Übungen tes selbstinitiierendes Lernmaterial. In diesem Sinne ist das Konzept dieses Buches entwickelt. Die einzelnen Seiten mit ihren spezifischen Inhal- für auditive Lernprozesse in dieses Lernkonzept ten sprechen für sich. integriert. So kann mit diesem neukonzipierten Lehrwerk dem zweiten lernpsychologischen Impe- Sie bedürfen in der Regel keiner Erläuterung, rativ entsprochen werden. Er besagt, oder gar langatmigen Anleitung, durch eine Lehrperson. dass für wirksames Verstehen ein ausgedehnter Übungsraum zur Verfügung stehen muss. Traditionell gestaltete Musikkunden quillen von erklärendem Fließtext über. Dies hat zwangsläufig Meist misslingen Bildungsprozesse deswegen, weil zur Folge, dass der Übungsanteil stark minimiert der Bereich des Übens nicht den Stellenwert er- in Erscheinung tritt. In diesem Lernkonzept sind hält, der ihm zugewiesen werden muss. Wir mes- nur 20 Seiten des 240-seitigen Buches als erklären- sen dem Üben eine viel zu geringe Bedeutung de Inhaltsseiten gestaltet. Alle anderen Seiten sind zu. Erst das regelmäßige und ausgeweitete Üben themenzentrierte Übungsblätter. Es ist diese Ge- automatisiert das musikalische Vokabular. Diese wichtung, die den Gebrauch des Arbeitsbuches in Automatisation ist die Folge von Übungen in Teil- der täglichen Unterrichtspraxis mitbestimmt. schritten. So wird deutlich, warum das hier vorliegende Lernkonzept auf eine große Erweiterung der Lernvarianten und Einzelübungen setzt. Die Unterrichtszeiten in der vokalen und instrumentalen Unterrichtspraxis wurden in den letzten Jahrzehnten enorm beschnitten. Es ist hier nicht Denn die automatisierten Vorläuferfähigkeiten der Ort, dieses bildungspolitische Skandalon im stellen den Schlüssel zu den musikalischen Detail zu kritisieren. Wir können an dieser Stelle Verstehensprozessen dar. nur banal festhalten, dass im Bereich der Vokalund Instrumentalausbildung in der Regel lediglich Die Lernpsychologie macht deutlich, dass diese eine wöchentliche Unterrichtszeit von 30 Minuten Automatisationsprozesse wichtiger sind als Intel- (und an einigen Musikschulen sogar noch weni- ligenz. Fehlende Vorläuferfähigkeiten können ger) zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund nicht durch eine überdurchschnittliche Intelli- klingen alle Lehrerkommentare verständlich, dass genz kompensiert werden, während der umge- man bei dieser pädagogischen Dünnbrettbohrerei kehrte Fall durchaus möglich ist. nicht auch noch wertvolle Unterrichtszeit für mu- Lehrerhandbuch siktheoretische Aspekte bereitstellen kann. Das Werden nur alle zwei Monate zwei oder drei solle doch gefälligst die Schulmusik leisten. Oder schriftliche Hausaufgaben gestellt, so verpufft die Verbände mögen kursorientierte Lernangebote deren Wirkung. Das Bearbeiten kleinerer Übungs- organisieren, damit im Instrumentalunterricht das aufgaben zur Musikkunde, Rhythmik oder zur ohnehin knappe Zeitfenster auch wirklich für die Gehörbildung sollten zu einer festen Gewohnheit instrumentaltechnische Ausbildung zur Verfügung werden. Betrachtet man nach einem Schulhalbjahr stehe. Leider greift diese Auffassung zu kurz. Wer die Summe der kleinen Übungseinheiten, dann die bereits ausgebreiteten Überlegungen zu einem wird einerseits deutlich, dass sich ein ordentliches gelingenden Erfahrungsraum für Musikkunde, Übungs- und Lernpensum aufgebaut hat. Anderer- Rhythmik und Gehörbildung prinzipiell verstan- seits wird die Progression der Lernfortschritte den hat, der weiß, dokumentiert. dass eine Verzahnung dieser Lerninhalte Überlegungen zum Gruppenunterricht nur parallel zur vokalen und instrumentalen Das Grundkonzept dieses Übungsbuches kann Ausbildung gelingen kann. sinnvoll in die Gestaltung von GruppenunterDenn es ist der musikpraktische Bereich, der die richt eingebunden werden. Gelingender Gruppen- individuell unterricht hat die Balance zwischen der Mobilisie- unterschiedlichen Schülervorausset- zungen am besten im Blick hat. Das heißt, rung der Gruppe als Einheit und die individuelle Förderung der einzelnen Gruppenmitglieder im die Schülerindividualität bestimmt Blickpunkt. Baut man auf Phasen der inneren Dif- die Auswahl der Lerninhalte. ferenzierung, sollen also Momente der konkreten Einzelförderung zwischen der Lehrperson und Da die einzelnen Themen selbsterklärend und für einem Schüler inszeniert werden, so benötigen die entsprechende Altersgruppe auch verständ- die anderen Schüler konkrete Übungs- und Hand- lich formuliert sind, lassen sich weit mehr als 90 lungsanweisungen. Prozent der Inhalte als Hausaufgaben formulieren. Diese schriftlichen Übungsaufgaben können Die Arbeitsblätter dieses Lehrwerkes sind ideale minimalistisch ausfallen: Das Bearbeiten von zwei Aufgabenstellungen für Partner- oder Stillarbeit. oder drei Höraufgaben verlangt den Schülern eine durchschnittliche Beschäftigungszeit von drei bis Im Zeitalter von digitalen Abspielgeräten ist es fünf Minuten ab. Und das Eingehen auf die Haus- ein Leichtes, individuelle Lernphasen im Bereich aufgaben nimmt in der Unterrichtsstunde nur ein der Rhythmik oder Gehörbildung innerhalb einer kleines Zeitfenster in Anspruch. Dieser Teil der Gruppenstunde einzubauen. Stunde kann durchaus ritualisiert seinen Platz finden, beispielsweise während des Auspackens der Instrumente oder kurz vor dem Formulieren der neuen Aufgaben. Das Stellen häuslichen Übungsaufgaben sollte kontinuierlich verlaufen, denn die Wirksamkeit dieser überschaubaren Zusatzaufgaben ist an eine Regelmäßigkeit der Aufgabenstellung gebunden. Lehrerhandbuch Zum Lernfeld Musikkunde sikkunden für den Anfangsbereich keine Lerninhalte aufnehmen, die ohne einen konkreten Bezug Unterricht ist zum Scheitern verurteilt, wenn das zum musizierpraktischen Erfahrungsraum blei- begriffliche Wissen nicht an eine konkrete Erfah- ben. Das Lernfeld Musikkunde muss sich einem rung gekoppelt werden kann. Aus diesem Grund veränderten Wissensbegriff stellen: wurden die typischen Wissensaspekte einer Musikkunde durchforstet und für dieses Buch auf das Wissen spielt bei Verstehensprozessen Wesentliche reduziert. eine Schlüsselrolle Die typischen Platzhalter für träges Wissen Gerade die Musikthorie kämpft gegen einen weit (Musikgeschichte, Instrumentenkunde, verbreiteten Irrtum. In den letzten Jahren wurde Formenlehre usw.) finden in diesem Lehrwerk die Bedeutung des Wissens herabgestuft und ge- keinen Eingang. radezu verpönt: Man müsse nichts wissen, man müsse lediglich wissen, wo es steht. Die neueren Dagegen sind viele neuzeitlich gestaltete Musikleh- Erkenntnisse der Lernpsychologie warnen vor der- ren mit totem Wissen vollgestopft. Derartige Bü- artigen Kurzschlüssen. In den oberen Absätzen cher stellen ein pädagogisches Armutszeugnis dar, wurde die Bedeutung der konkreten Erfahrung vor allem dann, wenn sie aus dem Elfenbeinturm für das Wissen herausgearbeitet, sofern es zu einer konventionellen Hochschuldidaktik heraus wirksamen Verstehen führen soll. Reden wir aber entwickelt wurden. Bei theorielastigen Konzepten über umfassendes Lernen, so müssen wir eine wird nicht verstanden, wie sich der Unterschied weitere Einseitigkeit erkennen: zwischen Vermitteln und Erfahrbarmachen offenbart. Man wird das Gefühl nicht los, dass in Erfahrungen, die nie begrifflich reflektiert werden, etlichen Musiklehren versucht wird, ihr Lernkon- sind ebenso wertlos wie das Begriffswissen zept über hoch angesetzte und aufgeblähte theo- ohne Erfahrung. retische Inhalte zu legitimieren. Hier wird eine fast schon wahnhafte Stoffhuberei betrieben. Wenn Insofern kommt der Musiktheorie eine wichtige von 200 Seiten nur 24 Seiten der Hörschulung Aufgabe zu. Es geht dabei um das Vernetzen der gewidmet werden, wenn also knapp 180 Seiten praktischen Erfahrungen mit theoretischem Re- der Musiktheorie zufallen, kann nicht mehr von flektieren. Wir sollten diesen Wissensaspekten kindgerechtem Lernen gesprochen werden. Es den ihnen gebührenden Lernraum zuweisen, sollte uns nicht darum gehen, dass unsere Schüler denn ein Überbordwerfen der Theorie hat für ei- noch mehr zu lernen haben. nen ganzheitlichen Bildungsprozess schwerwiegende Folgen. Hier wird aber keiner künstlichen Der Fokus unserer Bemühungen muss auf Aufblähung des Lernfeldes Musiktheorie das Wort ein anderes Lernen gerückt werden, geredet. Es geht auch hier um ein anderes Lernen: es sollte generell anders gelernt werden, damit Lernen wirklich bildet. In der Anfangsstufe sollte die Musiktheorie zu einem grundsätzlichen Bewusstsein für Zwei Aspekte sind von Wichtigkeit: Erstens ist fest- Intervall- und Tonsysteme verhelfen. zuhalten, dass neues Wissen nur dann aufgenommen wird, wenn es an bereits bestehendes Wissen Die Auswahl der theoretischen Inhalte ist in die- anknüpfen kann. Es wird nicht wirksam gelernt, ser Musikkunde nach diesen Aspekten erfolgt. wenn die Schüler die Lerninhalte nicht in ihr Vor- Aber noch einmal zur Chronologie der beiden wissen integrieren können. Zweitens dürfen Mu- Aneignungsformen „konkrete Erfahrung“ und Lehrerhandbuch „begriffliches Wissen“: Am Anfang von Lernpro- konzepte der Instrumentalpädagogik setzen seit zessen sollte möglichst die konkrete musizierprak- Generationen einseitig auf einen Technisierungs- tische Erfahrung des Lerngegenstandes liegen. Im prozess, der sich in einer Vermittlung vom Zei- weiteren Verlauf können wirksame Lern- und Bil- chen zum Klang offenbart. Es ist aber äußerst dungsprozesse aber nicht auf eine Vernetzung mit bedenklich, wenn beim Musizieren die Augen den dem Begriffs- und Theoriewissen verzichten. Fingern sagen, welchen Griff sie ausführen müssen, und die Finger dann dem Ohr mitteilen, wie Zur Lernpsychologie : Das Audiationslernen es klingt. Es sollte vielmehr so sein, dass die Augen beim Lesen des Notentextes dem Ohr sagen, Dieses Lernkonzept fördert die musikimmanen- was klingen soll, und dann - gerade umgekehrt als ten Verstehensprozesse. Sie werden in der Mu- zuvor - das Ohr die Fingerbewegungen steuert. In sikpsychologie mit dem Terminus „Audiation“ anderen Worten: Klang vor Zeichen. In diesem beschrieben. Von Audiationslernen kann dann ge- Unterrichtswerk setzen etliche Übungen genau auf sprochen werden, wenn die musikalischen Wahr- diesen Prozess. nehmungen in einen Verstehensprozess geführt werden. Audiieren meint das Verstehen von und Diese Überlegungen führen uns mitten in die Denken in Musik. methodischen Prozesse hinein. Dabei treffen wir auf bemerkenswerte Erkenntnisse, denn das An- Wer Musik versteht, der kann das Gehörte in leiten dieser Bildungsprozesse bedarf keiner ge- einen musikalischen Zusammenhang einordnen. sonderten und über die Vermittlung daherkom- Im Kern geht es dabei um den Bildungsprozess menden Musikpädagogik. Die Lernpsychologie hat des „Instrumentes im Kopf“. herausgearbeitet, dass Musik nur musikalisch und nicht über Begriffe und Regeln gelernt wer- Allgemein gesprochen ist Verstehen das Erken- den kann. Das bloße Vermitteln taugt nicht, es nen von etwas als etwas. Die Lernpsychologie bildet nicht wirklich. Das Audiationslernen muss bemerkt zu diesem Zusammenhang, dass etwas ganzheitlich ansetzen, indem zunächst bestimmte nur als etwas erkannt werden kann, wenn be- Muster durch Bewegen, Singen und Spielen kör- reits mentale Repräsentationen erworben wurden. perlich erworben werden, bevor begriffliche Be- Übersetzen wir diese Erkenntnisse in die Sprache nennung, symbolische Übertragung (Notation) der Musikpädagogik: und theoretische Erklärung sinnvoll hinzutreten. Unsere Kinder brauchen musikbezogene Werden diese elementaren musikbezogenen Erfahrungsräume, damit diese ihre Spuren Erfahrungsräume nur unzureichend angeboten, in den Gehirnen hinterlassen. können sich die für die späteren Audiationsprozesse unabdingbaren Vorläuferfähigkeiten Diese angelegten Netzwerke oder mentalen Re- nicht auf natürliche Weise ausbilden. präsentationen können in musikalischen Verstehensprozessen münden, müssen dies aber Diese Zusammenhänge werden verständlicher, nicht. Ob am Ende musikalischer Lernprozesse wenn man sie auf den Spracherwerb überträgt: Un- wirkliches Musikverstehen steht, hängt von den sere Kinder lernen die Muttersprache nicht durch angewandten Methoden ab. Und eines muss hier das Vermitteln von grammatikalischen Regeln. Sie deutlich festgehalten werden: Die konventionelle bilden die logisch-syntaktischen Zusammenhänge Musikpädagogik erweist sich als wenig wir- der Sprache automatisch aus ihrem sprachlichen kungsvoll, wenn es um die Hinführung zu Au- Erfahrungsraum heraus. Die Regeln der Mutter- diationsprozessen geht. Denn die Ausbildungs- sprache werden in einem selbstorganisierten Pro- Lehrerhandbuch zess extrahiert, ohne dass dabei ein tiefgehendes teressierte Leser im Buch „Die Musikkunde neu Bewusstsein von Grammatik nötig ist. Mit anderen denken“ in den Kapiteln 2.4 und 2.5. Worten: Kinder lernen Sprechen, ohne dass sie explizit wissen, welche grammatikalischen Regeln Das unterscheidende Lernen sie beim Sprechen anwenden. Ferner geht es beim Spracherwerb dem einzelnen Kindergehirn nie Die Lehr- und Lernforschung hat mit der Diffe- um Einzelwörter, sondern immer nur um Gene- renzwahrnehmung und der Perturbation zwei ralisierungen. Auf diesen Verallgemeinerungspro- elementare Lernprinzipien herausgearbeitet, die zess sind unsere menschlichen Gehirne geeicht. sich auch für das Musiklernen nutzen lassen. Ähnliches gilt für das Verstehen von und Denken in Musik. Konfrontieren wir unsere Kinder zu Dinge lassen sich nur „begreifen“, wenn wir früh mit Regeln oder ausufernden Erklärungen, sie von ihrem Gegenteil oder von anderen so wird natürliches oder ursprüngliches Lernen Dingen „abgrenzen“ können. oftmals blockiert. Dieser Umstand wird im Lernfeld Rhythmik besonders deutlich. Betrachten wir Erst diese Differenzen definieren für uns die Ge- hierzu den instrumentalen Anfangsunterricht. Für genstände. Fallen die Unterschiede der einzelnen viele Schüler beginnt der Instrumentalunterricht Lerngegenstände groß genug aus, so entstehen im mit dem Erlernen der Notenwerte. Emsig wird Lernprozess „Störungen“. Diese Irritationen (Per- ihnen dabei erklärt, wie die unterschiedlichen turbationen) sind unabdingbare Lernauslöser. Notenwerte zu zählen sind. Wenn der musikbe- Sie wirken auch als Lernverstärker. Unser Lernen zogene Erfahrungsraum der Kinder aber bislang entwickelt sich nicht durch bloße Informationsver- stimmig war, dann wirkt das regelhafte Zählen mittlung oder mechanistische Belehrung, sondern der unterschiedlichen Notenwerte bei den ersten durch Gleichgewichtsstörungen. Diese Störungen musizierpraktischen Handlungen eher kontra- sind wichtige Formen in der Umdeutung des Ge- produktiv. Die Notenwerte unserer Musikkultur wohnten. Die Differenzwahrnehmung und die Per- stehen in logischen Längenbeziehungen zueinan- turbation können bewusst im Lernprozess initiiert der. Und Kindergehirne ziehen aus einem ganz- werden. Sie sind für die Felder Rhythmik und Ge- heitlichen Erfahrungsraum genau diese logischen hörbildung in das vorliegende Unterrichtskonzept Längenbeziehungen heraus, ohne dass sie dies konsequent eingearbeitet. über ein exaktes Zählen auch benennen könnten. Für den Bereich der Gehörbildung baut das unterEin flüssiges Spielen wird sich genau dann scheidende Lernen auf die Gegenüberstellung von selbst einstellen, wenn wir unsere von Dur und Moll. Das heißt: Sämtliche Hörse- Methoden im Anfangsunterricht an dieses quenzen sind immer in beiden Modi eingespielt. natürliche Lernen anknüpfen. Dies gilt sowohl für die Anfangsübungen (Beispiel: Welches Motiv erklingt?) als auch für den fortge- Verkopfte Lernprozesse können freien musika- schrittenen Teil innerhalb der Gehörbildung (Bei- lischen Ausdruck hemmen. Das Benennen und spiel: Melodien ergänzen). Das unterscheidende Vermitteln von Zählregeln für die jeweiligen No- Lernen findet sich auch im Kontext des Intervalle- tenwerte können einen Lernprozess durchaus ab- hörens wieder. schließen. Aber eröffnen sollten sie diesen nicht. Gegen die Bewusstmachung der Regelwerke Für die Rhythmik betrifft das unterscheidende spricht nichts, wenn sie an die letzte Stelle des Lernen die Unterteilung der metrischen Haupt- methodischen Prozesses treten. Eine ausführliche impulse. Die rhythmische Grammatik unserer Erörterung dieser Zusammenhänge findet der in- Musikkultur lässt sich auf zwei unterschiedliche Lehrerhandbuch Säulen stellen: Entweder wird ein Hauptimpuls Das Hören von Intervallen durch zweigeteilte oder durch dreigeteilte Nebenimpulse strukturiert, die Fachtermini lauten Das Lernfeld Gehörbildung ist in wesentlichen binäre oder ternäre Unterteilung. Das Schaubild Teilbereichen mit dem Hören von Intervallen ver- verdeutlicht diese Zusammenhänge. Eine ausführ- knüpft. Es gibt keine Ausbildungskonzepte, die auf liche Darstellung zu diesem lernpsychologischen die Intervallbestimmung über das Hören verzich- Thema findet sich im Buch „Die Musikkunde neu ten. In der Methodik sind aber gravierende Unter- denken“ im Absatz 2.5.7 ff. schiede auszumachen, wie diese Bildungsprozesse verlaufen. In diesem Absatz wird zu zeigen sein, dass das Intervallehören an einen musikimmanenten Verstehensprozess gekoppelt werden sollte. Dabei geht es um die Ausbildung von zwei unterschiedlichen Wahrnehmungsaspekten: Zum einen weisen Intervalle beim Zusammenklingen im- Die metrischen Haupt - und Nebenimpulse Zweiermetrum oder binäre Metrik Dreiermetrum oder ternäre Metrik Metrischer Hauptimpuls Metrischer Hauptimpuls Nebenimpulse Nebenimpulse Rhythmen in gleichartiger Audiation, aber unterschiedlicher Notation Metrischer Hauptimpuls Nebenimpulse © Michael Stecher Metrischer Hauptimpuls Nebenimpulse Lehrerhandbuch mer ein besonderes Klangcharakteristikum auf. die Finger das Mitzählen. Solche Methoden för- Hier treffen wir auf drei Gruppen: konsonante, dern Rechenprozesse, anstatt Hörprozesse zu dissonante und reine Intervalle. Zum anderen initiieren. repräsentieren Intervalle in ihrem Fortschreiten bestimmte melodische Qualitäten. Wirksame Sowohl bei der Lied- als auch bei der Zählmethode Unterrichtskonzepte müssen diese beiden lernpsy- fällt ein typisches Schülerverhalten auf: Sie verlan- chologischen Aspekte berücksichtigen. gen, dass die vorgespielten Intervalle im Auseinanderklang präsentiert werden. Spielen Lehrkräfte In der Anfangsstufe sollten die entscheidenden die Intervalle dennoch immer zuerst im Zusam- Vorläuferfähigkeiten so weit automatisiert menklang vor, um erst danach den Einzelklang werden, dass in fortgeführten Lernprozessen anzubieten, so schalten viele Schüler ihre Hörauf- die musikimmanenten Verstehensprozesse merksamkeit ab, bis sie das Intervall im Ausein- automatisch ausgelöst werden. anderklang wahrnehmen. Einige Schüler äußern auch deutlich, dass sie durch den Zusammenklang Dieser Anspruch wird längst nicht von allen Lern- eher irritiert werden und dadurch ihre Konzentra- methoden erfüllt. Unterziehen wir daher die bei- tion für das Abzählen gestört wird. Diese Umstän- den gängigsten Lernprinzipien einer kritischen de sind lernpsychologisch untragbar, wir sollten Betrachtung. Sie haben eine defizitäre Gemein- ihnen keinen zusätzlichen Nährboden bieten. samkeit aufzuweisen: Der zentrale musikimmanente Verstehensprozess rückt nicht ins Zen- Diese beiden Standardverfahren werden in der trum der Hörerfahrungen. Teilweise weisen sie Praxis der Gehörbildung mit zwei Zusatzmetho- auditive Defizite auf, die so weit führen können, den verfeinert. Beide Ausdifferenzierungen kön- dass die angestrebten Verstehensprozesse sogar nen prinzipiell sinnvoll sein. blockiert werden. Sind sie aber in die Standardmethoden Eine sehr weit verbreitete methodische Gewohn- eingebunden, so verfehlen sie ihre heit ist das Verknüpfen der Intervalle mit be- bildende Wirkung. kannten Liedanfängen oder anderen geläufigen melodischen Motiven. Bei diesem Lernprozess ste- Nahezu alle Übungskonzepte setzen auf über- hen ausgewählte melodische Repräsentanten im schaubare Lernportionen: Intervalle werden in methodischen Vordergrund, um bestimmte Ton- kleine Lerngruppen gebündelt. Begründet wird schritte und Tonsprünge mit einem Intervallna- dieses Vorgehen mit einer Vereinfachung des men in Verbindung zu bringen. Konfrontieren wir Hörprozesses. Meist werden Prime und Oktave, Kinder vorrangig mit diesem Lernweg, so werden Sekunde und Terz, Quarte und Quinte oder Sex- bei bestimmten Intervallen ständig (unter Um- te und Septime in Einzelgruppen trainiert. Wie ständen zeitlebens) die gleichen Liedassoziationen soeben erwähnt, können Eingrenzungen lernpsy- ausgelöst. Dadurch unterliegt das Intervallehö- chologisch von Vorteil sein. Auch das vorliegende ren einem enorm eingeschränkten und rudimen- Konzept baut beim Intervallehören auf überschau- tären Audiationsprozess. Das Wahrnehmen einer bare Lernstufen. Viele Vereinfachungstendenzen Klangcharaktersitik wird hierbei gänzlich aus- gehen aber noch einen Schritt weiter: Sie bringen geschaltet. Die zweite Standardmethode ist das eine zusätzliche methodische Verengung ins Spiel. Abzählen der Tonschritte: Vom unteren Intervall- Gerade den Anfängern bietet man nur die leiter- ton werden tonleitermäßig die Intervalle aufgefüllt, eigenen Intervalle als Hörerfahrung an. Lernpsy- bis der obere Zielton erreicht ist. Bei diesem meist chologisch ist diese Methodik nicht tragbar, denn ausschließlich duralen Auffüllprozess überwachen über weite Zeitstrecken sind so nur die großen und Lehrerhandbuch reinen Intervalle Gegenstand der Höranalyse. Die in allen acht Lernstufen für die Feinbestimmung kleinen Intervalle werden aus Vereinfachungsgrün- von Intervallen ein Art von unbewusstem Lernen. den bewusst erst in späteren Lernprozessen zum Gegenstand des Hörens gemacht. So funktioniert Wie und warum soll ein derartiges Lernkonzept aber verstehendes Lernen grundsätzlich nicht. letztendlich funktionieren? Woher kann man die Gewissheit nehmen, dass aus einem anfänglich Greifen wir zum besseren Verständnis dieses me- unbewussten Lernprozess in späteren Lernschrit- thodischen Skandalons auf den Spracherwerb zu- ten (ab Band 2 als fortgesetztes Unterrichtswerk) rück. Niemand lernt durch Einschränkungen seine ein fundierter Verstehensprozess in der Feinbe- Muttersprache. Unsere Kleinkinder werden von stimmung von Intervallen quasi automatisch ab- Anfang an mit der Komplexität der Mutterspra- laufen kann? Dazu müssen wir uns mit lernpsy- che konfrontiert. Je elaborierter Eltern mit ihren chologischen Besonderheiten auseinandersetzen. Kindern aus einer Selbstverständlichkeit heraus sprechen, desto wirksamer bildet sich das Sprach- Lernpsychologische Besonderheiten verständnis aus. Beginnen wir diese Überlegungen mit der grundEingeschränkte Erfahrungsräume führen sätzlichen Frage: Was ist „Verstehen“? Die Antwort meist auch zu eingeschränktem Verstehen. wurde weiter oben schon formuliert; sie scheint erst einmal banal: Hierin liegt übrigens auch eine Begründung, warum der Fremdsprachenunterricht nach traditi- Verstehen ist das Erkennen onellen Methoden oft nur zu begrenzten Sprach- von etwas als etwas. kompetenzen führt. Wir sollten die gleichen Fehler in der Musikpädagogik nicht wiederholen. Diese Definition bekommt ihre lernpsychologische Bedeutung erst in dem folgenden Nachsatz: Wir Das Konzept der hier vorgelegten Gehörbildung können etwas nur dann als etwas erkennen, wenn geht beim Intervallehören einen anderen Weg. In bereits eine mentale Repräsentation von diesem einem logisch aufeinander aufbauenden Stufen- Etwas in unseren Hirnstrukturen vorhanden ist. konzept werden innerhalb von acht Lernstufen die Höranforderungen immer komplexer. Dabei ist Verstehensprozesse sind immer an bereits entscheidend, dass alle Intervallmöglichkeiten angelegte mentale Repräsentationen gebunden. ab der ersten Lernstufe als Erfahrungsraum etabliert werden. Mit anderen Worten: Alltagspädagogisch sprechen wir bei diesem Prozess davon, dass Lernen nur dann einen Gewinn Sämtliche Intervallqualitäten, die unsere Musik- bringt, wenn der neu angelegte Lernprozess bei kultur aufweist (groß, klein und rein), sind von den Schülern anknüpfen kann. Wenn aufgrund Anfang an Gegenstand des Hörprozesses. fehlender Vorläuferfähigkeiten die angebotenen Das Charakteristikum „groß oder klein“ ist aber Lerninhalte nicht mit bereits bestehenden men- nicht Gegenstand der Höranalyse. talen Repräsentationen vernetzt werden können, dann sind genuine Verstehensprozesse meist aus- Als Hörerfahrung sind auf allen Lernstufen konse- geschlossen. quent große und kleine Intervalle in den Lernprozess integriert. Allerdings wird von den Schülern nicht Übertragen wir diese Hintergründe auf das Hö- verlangt, große und kleine Intervalle bewusst zu ren von Intervallen: Intervalle können erst dann unterscheiden. Dieses Lernkonzept verfolgt daher als Intervalle verstehend erkannt werden, wenn Lehrerhandbuch bereits Intervalle als mentale Repräsentationen Wer auf derartig eingeschränkte Konzepte im ausgebildet sind. Die spätere Unterscheidung von Lernfeld Gehörbildung setzt, der muss auch die großen und kleinen Intervallen setzt daher voraus, Verantwortung dafür übernehmen, wenn auf spä- dass in vorgeschalteten Lernprozessen auch das teren Lernebenen die Gehörbildung als „Angst- Hören großer und kleiner Intervalle angeboten fach“ abgestempelt wird. werden. Klammern wir aufgrund von methodischdidaktischen Überlegungen die kleinen Intervalle Es gibt keine Kinder, die nicht lernen wollen. in der Anfangsstufe aus dem Hörprozess aus, so Es gibt aber viele Kinder, die nicht mehr können sich diese Formen nicht als mentale Re- scheitern wollen. präsentationen manifestieren. Und genau dies gilt es zu verstehen: Ein Scheitern Eine Verengung des Erfahrungsraumes auf in den fortgeschrittenen Bereichen der Gehörbil- der Anfangsstufe ist daher mitverantwortlich dung (beispielsweise in der Feinbestimmung von für ungenügende Hörleistungen Intervallen) hat ihre Ursachen in falsch angelegten im Bereich des fortgeschrittenen Hörens. Erfahrungsräumen in der Anfangsstufe. Anfäng- Teilschritte zur Automatisierung der Vorläuferfähigkeiten beim Intervalle hören Lernstufe Lernstufe Lernstufe Lernstufe Lernstufe Lernstufe Die Klangcharakteristik und die Namen der Intervalle Die Wahrnehmung der Klangcharakteristik Lernstufe Die räumliche Distanz Quarte, Quinte oder Oktave Quarte oder Quinte Terz oder Sexte Sekunde oder Septime Quinte, Sexte oder Septime Sekunde, Terz oder Quarte Sexte oder Septime Sekunde oder Terz konsonant, dissonant oder rein konsonant oder rein dissonant oder rein konsonant oder dissonant Die Hörerfahrungen beinhalten alle Intervalle (große und kleine Intervalle) mit Ausnahme des Tritonus. Das Hörcharakteristikum groß oder klein ist aber nicht Gegenstand der Höranalyse. © Michael Stecher Lernstufe Lehrerhandbuch lich wollen alle Kinder ihr Gehör trainieren. Sie der Muttersprache bewusst. Aber bereits im Vor- bringen eine hohe Grundmotivation zum aktiven schulalter haben sie den Großteil der sprachlichen Hören mit. Regeln in ihrem Gehirn verankert, ohne dass sie dies explizit wissen. Es handelt sich also um einen Dieses Engagement wird erst dann gestört, absolut unbewusst ablaufenden Verstehenspro- wenn die Kinder sich innerhalb der Gehörbildung zess, gekoppelt an die Komplexität der sprach- als nicht selbstwirksam erleben. lichen Lernerfahrungen. Schüler handeln nicht, wenn sie erwarten, dass Methodische Hinweise zum Intervalle hören sie nichts bewirken können, denn als wirklicher Lernauslöser brauchen Kinder (und übrigens auch Das Schaubild zur Automatisierung der Vorläu- Erwachsene) ein Erleben ihrer Selbstwirksamkeit. ferfähigkeiten beim Intervallehören stellt das hier Die meisten Kinder stranden nicht im Anfangsbe- vertretene Lernkonzept übersichtlich dar. In acht reich. Ihre Aufmerksamkeitskapazitäten werden feingliedrigen Lernstufen sind drei generelle Lern- erst in den mittleren Anforderungsebenen blo- ebenen eingebunden: ckiert. Sie erfahren dann eine Form von Hilflosigkeit, die aber als eine sogenannte erlernte Hilflo- l Die Wahrnehmung der Klangcharakteristik: sigkeit zu definieren wäre. Erlernt insofern, Lernstufen 1 bis 4 als ihre anfänglichen Erfahrungsräume l Die Klangcharakteristik und die Intervallnamen: der Komplexität der realen Musikkultur Lernstufen 5 und 6 l Die räumliche Distanz: Lernstufen 7 und 8 nicht entsprachen. Damit ist vorprogrammiert, dass spätere Verstehensprozesse ins Stocken geraten. Denn noch einmal: Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas. Ein wichtiges Grundprinzip in den Lernfeldern Und das ist ausschließlich möglich auf der Basis von Rhythmik und Gehörbildung ist die Vielfalt der bereits erworbenen mentalen Repräsentationen. Zugangswege um die Lernprozesse zum aktiven Gehen wir zum besseren Verständnis erneut auf Hören zu fördern. Der Auslöser für eine derartige die Ebene des Spracherwerbs. Kinder werden in Mannigfaltigkeit an Übungsmöglichkeiten ist die einem kommunikativen Erfahrungsraum sozia- Unterschiedlichkeit in den Lernvoraussetzungen lisiert, der ihnen komplexe Sätze und Satzgebil- der Schüler. In der Regel können sich Schüler auf de auch tatsächlich zumutet. Dabei finden, noch derjenigen Stufe dem aktiven Hören widmen, bevor sie mit dem Sprechen ihrer Muttersprache der ihren Vorläuferfähigkeiten am besten ent- beginnen, bereits die ersten Verstehensprozesse spricht. Dies bedeutet, dass einige Schüler auf die statt. Das ganzheitliche Sprachangebot von Seiten Anfängerübungen getrost verzichten und sofort der Erwachsenen stellt also keineswegs eine Über- im Bereich der mittleren Anforderungen ihren forderung der Kleinkinder dar. Im Gegenteil: Die Übungsprozess starten können. Kindergehirne sind evolutionär so angelegt, dass sie aus der komplexen Sprachumwelt in einem Beim Thema Intervallehören ist dieser Grundsatz selbstorganisierten Vorgang trotz der Schwierig- aber nur bedingt zu empfehlen. Ein Einstieg auf keit des Anforderungskataloges ihre eigenen Ver- der Lernebene 5 ist nur dann sinnvoll, wenn si- stehensprozesse ausbilden. Diese Verstehens- chergestellt ist, dass die bisherigen Lernerfah- prozesse der unteren Ebenen verlaufen absolut rungen den ersten vier Lernstufen voll und ganz unbewusst. Kein Kind macht sich die Grammatik entsprechen. Diese Einschränkung ist dem Lern- Lehrerhandbuch prinzip geschuldet, denn dieses Konzept bahnt überwiegende Mehrheit der Schüler muss in der ein Verstehen an, welches auf dem Hören von Anfangsstufe die Unterscheidung zwischen gro- Intervallen basiert. Hier soll den traditionellen ßen und kleinen Intervallen auch nicht in einen Abzählmethoden möglichst kein Nährboden be- bewussten Lernprozess geführt werden. Wenn reitet werden. Daher ist ein Automatisieren der Schüler nicht von sich aus feststellen, dass eine ersten vier Lernebenen wichtig. große und kleine Terz - oder eine große und kleine Sexte - wohl beide konsonant klingen, aber doch Für alle weiterführenden Hörprozesse einen leichten Unterschied aufweisen, dann sollte ist die Ausprägung der generellen diese feingliedrige Unterscheidung auch nicht zu Wahrnehmung der Klangcharakteristik einem Lerninhalt stilisiert werden. Gleiches gilt die alles entscheidende Grundvoraussetzung. für die großen und kleinen dissonanten Intervalle. Stoßen Schüler aber selbständig auf diese feinen Wenn auf den ersten vier Lernstufen mit Interesse Intervallnuancen, so kann ein bewusster Lernpro- geübt wird, ist ein damit verbundener vermeint- zess zur Feinbestimmung durchaus thematisiert licher Zeitverlust als Gewinn zu verbuchen. Kom- werden. Aus diesem Grund sind im Lösungsheft men nämlich auf der Lernstufe 5 und 6 erstmalig die Intervalle auch in der Feinbestimmung aufge- die Intervallnamen ins Spiel, so sollte sich diese führt. begriffliche Verbindung mit der Klangcharakteristik der jeweiligen Intervalle verknüpfen. Mit an- Wie weit man diesen Wahrnehmungsprozess deren Worten: vertieft, ist vom Bewusstseinsgrad des aktiven Hörens des jeweiligen Schülers abhängig. Das Wahrnehmen des Intervallklanges wird zum Auslöser der möglichen Intervallnamen. Für viele Schüler, die erstmalig auf die Ebene der Feinbestimmung vorstoßen, reicht eine kur- Beim Hören beispielsweise eines konsonanten In- ze inhaltliche Erläuterung aus; die weiteren Hör- tervalls sollten Assoziationen zu zwei möglichen übungen bleiben bei den unbewussten Wahrneh- Intervallnamen automatisiert sein: Terz oder Sex- mungsaspekten. Lernpsychologisch wurde weiter te. Das heißt: Die Intervallnamen Sekunde oder oben bereits erörtert, dass sich dabei mentale Septime (aber auch Quarte und Quinte) scheiden Repräsentationen ausbilden, die erst in späteren aus. Wer mit der begrifflichen Lernstufe 5 und 6 Lernprozessen (vgl. Band 2 als Fortsetzung dieses zu früh startet, läuft Gefahr, letztlich doch den Ab- Unterrichtswerkes) auf die bewusste Verstehens- zählmethoden die Tür zu öffnen. Es sollte daher ebene gehoben werden. Wird für einige Schüler betont werden, dass die ersten vier Lernstufen für die Feinbestimmung aber dennoch zum bestim- das gesamte Lernkonzept zum „hörenden Verste- menden Hörprinzip, so kann dieser weiterfüh- hen“ die Schlüsselkompetenzen bilden. rende Bildungsweg auch begangen werden, denn das Übungsmaterial lässt diesen Lernprozess Zur Feinbestimmung von Intervallen: zu. Es sei aber nochmals betont, dass die Verste- bewusstes oder unbewusstes Lernen ? hensebenen zur Feinbestimmung der Intervalle nur dann konsequent in den Unterricht einfließen In den zurückliegenden Abschnitten wurde bereits sollten, wenn die Hör- und Lernmotivationen aus verdeutlicht, warum auf allen acht Lernstufen alle den Schülern selbst entspringen. Eine Forcierung Intervalltypen (große und kleine Intervalle) in die durch die Lehrkraft ist pädagogisch wenig sinnvoll. Hörerfahrung einfließen und warum dieses Lernkonzept nicht auf der Vereinfachungsstrategie der leitereigenen großen Intervalle aufbaut. Für die Lehrerhandbuch Grundlegende Methoden für die Gehörbildung gespielte Töne nicht in der annähernd exakten Tonhöhe nachsingen, so haben sie von diesen Tö- In der täglichen Unterrichtspraxis sieht man sich nen keine mentalen Repräsentationen zur Verfü- immer wieder mit Kindern konfrontiert, die beim gung. Nun wird deutlich, dass wir elementare Hör- aktiven und bewussten Hören ihre Schwierig- probleme in der Regel nur individuell angehen keiten haben. Es sind vor allem fehlende musika- können. Denn Schüler mit den soeben beschrie- lische Erfahrungsräume in der Kindheit, die im benen Audiationsdefiziten müssen auf einer sehr Lernfeld Gehörbildung als Hörprobleme offen zu elemantaren Ebene mit dem Anlegen ihrer subjek- Tage treten können. Daher kommt gerade in die- tiv höchst unterschiedlichen mentalen Repräsen- sem Lernfeld der Anfangsstufe die größte Bedeu- tationen beginnen. Mit anderen Worten: tung zu. Wenn wir bei Defiziten in der Hörwahrnehmung mit den falschen Methoden zur falschen Auf der ersten Lernebene sollten Schüler lernen Zeit reagieren, dann sind Lücken im musikalischen ihre eigenen gesungenen Töne auf gleicher Verstehensprozess nur schwer aufzufüllen. Daher Tonhöhe zu wiederholen. sollten wir uns an dieser Stelle bewusst machen, auf welche Methoden der Instrumentalunterricht, Weder sollte ein Instrument als absoluter Tonhö- die Schulmusik oder das Klassenmusizieren auf henvorgeber dienen, noch darf die Lehrkraft Aus- keinen Fall verzichten können, wenn das Hören gangstöne vorsingen. Vielmehr soll der Schüler das von Intervallen in einem wirksamen Verstehens- Ausgangsmaterial für seine Singübungen selbst prozess münden soll. Vor allem in der Anfangsstu- bestimmen, und zwar aus den Tönen, die auch tat- fe geht es bei Audiationsprozessen vorrangig um sächlich in seinem Repräsentationsvorrat vorhan- die Ausbildung des Instrumentes im Kopf. den sind. Als methodische Überschrift könnten wir für die elementarste Lernebene formulieren: Die grundlegenden Unterrichtsmethoden können daher nie auf die Ausbildung der Stimme als l Seinen eigenen Ton finden und absichern. musikalisches Ausdrucksinstrument verzichten. Bevor hier keine Automatisationsprozesse stattgeOft erweist es sich, dass gerade in der gegenwär- funden haben, sind fortschreitende Lernebenen tigen Musikkultur eine Renaissance des Singens kaum sinnvoll. Auf der nachfolgenden Ebene lau- und Rhythmisierens angestrebt werden sollte. Li- tet die methodische Überschrift: sten wir daher die Methoden auf, die als grundlegende Erfahrungsräume einer bewusst insze- l Töne in passender Stimmlage vorspielen nierten Gehörbildung, wie dies beispielsweise das und nachsingen. Intervallehören darstellt, vorausgehen müssen. Hier liegt die Betonung auf der StimmlagenanpasWir begegnen immer wieder Schülern, die nicht sung. Bei nur rudimentär ausgeprägten Vorläufer- in der Lage sind die Töne sauber nachzusingen, fähigkeiten sind selbst Oktavierungen stimmlich die sie auf ihren Instrumenten spielen. Ziehen nicht umsetzbar. Auf der dritten Ebene folgt dann wir zum besseren Verständnis der methodischen die Umkehrung: Reaktionsmöglichkeiten auf derartige Defiziten noch einmal die Definition des Verstehens heran: l Töne singen und auf dem Instrument suchen. Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas; dies aber ist ausschließlich möglich auf der Basis Erst auf der nächsten Stufe geht es dann um das bereits erworbener mentaler Repräsentationen. gedankliche Übertragen sehr hoher oder tiefer Können Schüler ihre Instrumententöne oder vor- Töne in die eigene Stimmlage. Lehrerhandbuch Mit diesen Überlegungen wurden Beispiele aufge- Auch didaktisch fundierte Lernkonzepte der führt, wie Hördefizite schrittweise abgebaut und zweiten Ebene können einen mangelhaften in ein erweitertes aktives Hören überführt werden Instrumentalunterricht nicht wirklich verbessern. können. Die Betonung lag dabei auf der höchst individuellen Anpassung an den Schüler. Einige Einen guten Unterricht im Sinne einer integralen Lehrwerke zur Gehörbildung mit Kindern verla- Musizierpädagogik (siehe Andreas Dörne: Umfas- gern diese Prozesse auf eine Lern-CD. Dagegen send Musizieren, Breitkopf & Härtel, 2010) können soll hier betont werden, dass gerade diese indi- sie aber enorm bereichern. viduellen Lernprozesse nicht an die technischen Medien wie CD oder Computer delegiert werden Zusammenfassung des Lernkonzeptes können. Wirksame Verstehensprozesse sind an zum Intervallehören ein Lernen von Mensch zu Mensch gebunden. Dies legt die Hauptverantwortung für gelingende Halten wir noch einmal den zentralen Übungsan- Audiationsprozesse in den tatsächlichen instru- satz für das Intervallehören fest: mentalen Unterricht, in die bereits beschriebene erste Lernebene. l Verstehensprozesse der ersten Ebene: Die Qualität des Instrumentalunterrichts Der Einstieg in die Verstehensprozesse sollte über wird zum Garanten für das Ausbilden das Automatisieren der unterschiedlichen Klang- von wirklichem Musikverstehen. charakteristiken erfolgen (Stufe 1 bis 4). Unterrichtswerke der zweiten Lernebene können l Verstehensprozesse der zweiten Ebene: unterstützend wirken, wenn sie didaktisch gut gemacht sind. Aber zum gänzlichen Eliminieren ele- Die begrifflichen Assoziationen zu den jeweiligen mentarer Hördefizite sind sie nicht geeignet. Grei- Intervallnamen (Stufe 5 und 6) ist erst dann anzu- fen sie für die oben beschriebenen Singmethoden gehen, wenn der Umgang mit konsonanten, disso- auf vorgefertigte Lern-CDs zurück, so berücksich- nanten und reinen Intervallen verinnerlicht wurde. tigen sie die neueren Erkenntnisse der Lernpsy- Diese Zuordnung erfolgt in diesem Lernkonzept chologie nicht. über das unterscheidende Lernen: Es ist skandalös, wie viele angeblich morderne Un- Sekunde versus Terz (Stufe 5) terrichtskonzepte für die Rhythmik und Gehörbil- Sexte versus Septime (Stufe 5) dung an dieser Stelle scheitern. Erstens packen sie Sekunde versus Terz versus Quarte (Stufe 6) Übungen auf eine CD, die aufgrund ihres inhalt- Quinte versus Sexte versus Septime (Stufe 6) lichen Anspruchs für ein CD-Lernen ungeeignet sind. Zweitens sind sie methodisch so schlecht auf- l Verstehensprozesse der dritten Ebene: gearbeitet, dass ein selbstgesteuertes Schülerlernen nur äußerst mühsam gelingt. So werden wert- Auch dieser Lernbereich beruht auf dem Prinzip volle selbstinitiierende Lernmotivationen bereits des unterscheidenden Lernens. Das aktive Hören im Keim erstickt. Es wirft kein besonders gutes trainiert die räumliche Distanz innerhalb glei- Licht auf Musikhochschulen, wenn sie für derart cher Klangkategorien: unpädagogische Lernkonzepte nicht nur Pate stehen, sondern solche Arbeitsmaterialien auch noch Sekunde versus Septime (Stufe 7) selbst entwickeln und herausgeben. Machen wir Terz verus Sexte (Stufe 7) uns aber nichts vor: Quarte versus Quinte (Stufe 8) Lehrerhandbuch Zu jeder Lernebene steht ein äußerst umfang- zwei Modelle zu dieser musikalischen Bildung in reicher Übungsraum zur Verfügung. Für das In- Kurzform erläutert werden. tervallehören sind 96 Übungen eingespielt. So kann einerseits auf Schüler mit langsamen Lern- l Ein hierarchisches Modell geschwindigkeiten eingegangen werden, anderer- zur Ausbildung des musikalischen Vokabulars die Bedeutung des Automatisierens. Erst wenn l Ein holistisches Modell auf einer Lernebene das nötige Maß an Konzentra- zum ganzheitlichen Musizieren seits verweist die Fülle des Übungsmaterials auf tion durch Üben gesenkt werden konnte, sollte zur nächsten Ebene übergegangen werden. Bei hierarchischer Betrachtung der musikalischen Verstehensprozesse, steht eine chronologische Dimensionen der Audiationsbildung Abfolge dieses Bildungsweges im Zentrum. Das Schaubild zeigt, welche Fertigkeiten als Vorläu- Es wurde bereits mehrfach angesprochen, dass ferfähigkeiten auszubilden sind, damit die Ebe- musikalische Bildung auf die Verbindung zum Ver- nen des symbolischen Verbindens tatsächlich zu stehen von und Denken in Musik angewiesen ist. einem musikimmanenten Verstehen führen. Mit anderen Worten: Neben den instrumentaltechnischen Fertigkeiten sind auch die sogenannten Die Notenschrift kann bei den Schülern Audiationsaspekte zu fördern. Das Lernkonzept nur dann einen Audiationsprozess auslösen, dieses Unterrichtswerkes unterstützt diesen Bil- wenn die Lernebenen 1 und 2 dungsprozess. Damit die reichhaltigen Übungsan- bereits in hohem Maße automatisiert sind. gebote und unterschiedlichen Zugangspfade in diesem Sinne eingeordnet werden können, sollen Wir haben uns mit diesem wichtigen Aspekt bereits mehrfach beschäftigt. Machen wir uns die zentralen Sachverhalte noch einmal bewusst: Notentext erhält erst dann eine Bedeutung, wenn er „musikalische Klangvorstellungen“ in auditiven Die Entwicklung des musikalischen Vokabulars Hirnzentren aktivieren kann. Solange Noten nur als bloße Symbole für eine spieltechnische Fingerbewegung stehen, lässt sich von einem Ausbildungsprozess sprechen. Für eine tiefergehende schreiben lesen Bildung zum Musikverstehen sind wir auf MethoDie Vernetzung des Begriffswissens Die Ebenen des symbolischen Verbindens den angewiesen, die verstärkt das Denken vom Klang zum Zeichen fördern und die unterrichtstechnische Monokultur sprechen, bewegen, singen, rhythmisieren zuhören vom Zeichen zum Klang minimieren. Unzählige Hörübungen in den Lernfeldern Rhythmik und Gehörbildung verzichten daher in dem hier vorgelegten Lernkonzept auf die traditio- Automatisation nelle Musiknotation. Hier werden Höraufmerksamkeiten automatisiert, die als unverzichtbare © Michael Stecher Vorläuferfähigkeiten auditiv-mentale Repräsentationen aufbauen. Erst in einem nächsten Schritt Lehrerhandbuch setzt dieses Unterrichtswerk auf die Verbindung gründung, warum die Lernfelder Rhythmik und des Klangs mit der Symbolschrift. Auch hier Gehörbildung zwei Drittel dieses Arbeitsbuches steht ein breiter Übungsraum zur Verfügung. Das ausfüllen: Die vielseitigen Übungsvarianten sind Hierarchiemodell zeigt aber eine weitere Beson- diesem prozesshaften und individuell anzupas- derheit: Erst der Schreibprozess schließt auf der senden Aufbau von Vorläuferfähigkeiten verpflich- vierten Ebene die Entwicklung des musikalischen tet, damit auf der Lernebene des Schreibens Er- Vokabulars ab. Die Vernetzung des Begriffswis- folgserlebnisse möglich werden. sens führt erst dann zu gelingenden Bildungsprozessen, wenn das Schreiben von Musik angeregt und gefördert wird. Mit einfachen Worten: Im hierarchischen Modell stehen die Melodie- und Rhythmusdiktate an der Spitze. Sie schließen die Entwicklung des musikalischen Vokabulars ab. Melodie- und Rhythmusdiktate sind Die aktuelle Lehr- und Lernforschung verweist unverzichtbar auf dem Weg hin zum darauf, dass wir bei hierarchisch aufgebauten Verstehen von und Denken in Musik. Bildungswegen meist ein unflexibles und nur beschränkt wandelbares Musikverstehen erzeugen. Es stellt sich aber die Frage, wie man die Vorläu- Wir sollten daher einer streng hierarchischen ferfähigkeiten Schritt für Schritt aufbaut, damit Auffassung des musikalischen Bildungsprozesses die Musikdiktate bei den Schülern keinen Frust kritisch gegenüberstehen. Wenden wir uns daher auslösen. In diesem Punkt liegt erneut eine Be- einem holistischen Verständnis zu. Es verweist auf die ganzheitlichen Zusammenhänge beim Audiieren von Musik. Bei diesem umfassenden Ansatz bildet Die Einheit des Musizierens die Einheit des Musizierens den Ausgangspunkt der didaktischen Überlegungen. Ein umfassendes Verstehen von und Denken in Musik Umfassend Musizieren und Unterrichten D kti ie a ven U m g a n g s w eis e n m it M Aus diesen Erkenntnissen folgt für das Schreiben von Melodie- und Rhythmusdiktaten, dass diese u si k Lerninhalte viel früher in den Bildungsprozess zu integrieren sind, als dies bei einer hierarchischen Auffassung der Fall ist. Die Schreibprozesse sind nicht als Endpunkt des Audiationsprozesses Interpretieren Das Lesen und Vorlesen fremder musikalischer Gedanken aufzufassen. Beim umfassenden Musizieren und Unterrichten sind sie von Anfang an Bestandteil des Handelns. Das schriftliche Fixieren von Mu- Eigene musikalische Gedanken entwickeln, reflektieren und fixieren Komponieren Das freie Reden in eigenen musikalischen Gedanken Improvisieren sik erhält so einen gleichberechtigten Stellenwert neben den anderen aktiven Umgangsweisen mit Musik. Das Schaubild zur Einheit des Musizierens zeigt die drei aktiven Handlungsdimensionen: © Michael Stecher l Interpretieren l Improvisieren l Komponieren Lehrerhandbuch Beim Interpretieren wird das Lesen, Vorlesen und Schlussgedanken auswendige Vortragen fremder musikalischer Ge- Musikalische Verbildung verhindern danken ins Zentrum gerückt. Für einen Großteil der traditionellen Instrumentalpädagogik stehen Automatisiertes Wissen und Können muss immer die interpretatorischen Aspekte dominant im Mit- wieder in sinnstiftendes Lernen eingebettet wer- telpunkt des unterrichtspraktischen Handelns. In den. Diese Automatisierung braucht erstens ihre der Kategorie der Lernfelder gesprochen, geht es Zeit, viel Zeit sogar, und sie muss zweitens in spe- bei diesem Unterricht in erster Linie um die Werk- zifischen Zeitfenstern erfolgen. erarbeitung. Das Lernen von Spielstücken ist der Dreh- und Angelpunkt des Instrumental- und Je früher bestimmte Teilschritte automatisiert Vokalunterrichts. Wenn wir uns an dieser Stelle werden, umso eher kann man sich auf Gedanken über einen umfassenden Unterricht die Sinnstiftung konzentrieren. machen, gilt es zu erkennen, dass eine übertriebene Einseitigkeit im Umgang mit den aktiven Um- Es ist bereits in der Vor- und Grundschulzeit mög- gangsweisen des Musizierens keinen Anspruch auf lich, ein automatisiertes Können im Musikver- Ganzheitlichkeit erheben darf. stehen anzubahnen. Hier sind die Kindergehirne noch „offenohrig“. Daher stellt diese Frühzeit für Stellen die Parameter Improvisieren und die Musikpädagogik eine entwicklungspsycholo- Komponieren nur ein Randgeschehen dar gische Chance dar. Es geht in dieser Zeitspanne oder sind sie gar gänzlich vergessen, so erschwert um nicht weniger als um die Ausbildung eines mu- dies erheblich die Bildung zu einem umfassenden sikalischen Geschmacks. Kindergehirne benötigen Verstehen von und Denken in Musik. anspruchsvolle Wendungen statt trivialer, simpler oder banaler musikalischer Billigware. Das Gerade das schriftliche Fixieren von musikalischen Thema muss lauten: Die Musikalische Verbildung Gedanken kann viel früher in den Bildungsprozess verhindern. eingebunden werden, als dies landläufig anzutreffen ist. Dieses Unterrichtswerk bietet in den Lern- Über das Singen, Sprechen, Rhythmisieren feldern Rhythmik und Gehörbildung eine gute Hil- und Bewegen werden auf der ersten Lernebene festellung für die Inszenierung von Lernprozessen des musizierpraktischen Tuns unbewusst zum Schreiben von Musik. Vor allen Dingen wird Vorläuferfähigkeiten automatisiert. deutlich, welche Vorläuferübungen sich bereits dem schriftlichen Fixieren von Musik widmen, be- Mit der Qualität dieses praktischen Tuns wird ein vor dann in späteren Lernprozessen Melodie- oder Bildungsprozess in Gang gesetzt, den wir Erwach- Rhythmusdiktate anstehen. Wir erkennen erneut sene zu verantworten haben. Das Verstehen von die Dringlichkeit einer Einbettung musikkund- und Denken in Musik entwickelt sich aus den licher Themen in den praktischen Instrumentalun- soziokulturellen Anregungen heraus. terricht. Es sind nicht die isolierten Theoriestunden, die zu einem umfassenden Musizieren und Eine massive Zeitkritik Unterrichten führen, sondern die Integration der einzelnen Lernfelder in das Gesamtkonzept einer musikpraktischen Bildung. Mit unseren musikbezogenen Erfahrungsräumen können wir zu allem bilden: zum Seichten, Trivialen, Lauten und Schrillen. Aber auch zum anspruchsvollen Hören, das eine erstaunliche Stimmigkeit in sich trägt und gerade die unbefangenen Kindergehirne zum Staunen anregt. Wir haben es Lehrerhandbuch in der Hand, ob dieser musikalische Bildungspro- zu einem neuen Sinn im absurden Theater der zess gelingt oder im Brackwasser der sinnlosen Be- Gegenwart führen. Denn eines muss uns beim liebigkeit versandet. Anders ausgedrückt: Was wir Querdenken bewusst werden: Unser Bewusstsein sind, denken und fühlen, ist von den Kontexten und unser tatsächliches Alltagshandeln sind zwei geprägt und abhängig, in denen wir dereinst stan- vollkommen verschiedene Dinge. Mit anderen den oder heute stehen. Worten: Unser Fühlen, Denken und Handeln folgt Wir tun nicht, was wir wissen. unseren Erfahrungen beziehungsweise Aus dieser Diskrepanz erwächst ein den zumeist bereits früh eingespurten erweiterter pädagogischer Auftrag. Deutungs- und Emotionsmustern. Doch genau diese Gedanken sind für kulturpoWir sollten daher unsere kulturellen Erfahrungs- litisch Verantwortliche schon seit geraumer Zeit räume stets kritisch prüfen, bevor wir sie als nicht mehr handlungsleitend. Unvernünftiges Po- bildendes Element in pädagogischen Prozessen litikerhandeln spiegelt sich oft auch in Zahlen wi- in Szene setzen. Bei der Analyse musikpädago- der: Wollte Deutschland seine Bildungsaufgaben gischer Unterrichtsliteratur für Kinder und Ju- auf den Mittelwert aller OECD-Länder anheben, so gendliche trifft man nicht selten auf Lernangebote, wären pro Jahr weitere 22 Milliarden Euro nötig. die äußerst primitiv gestrickt daherkommen. Um das Niveau von Norwegen oder Schweden zu erreichen, müssten zusätzliche 63 Milliarden Euro Die Stärkung der kulturellen Praxis investiert werden (Quelle: Memorandum 2013 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik). Bil- Denken wir die soeben aufgeworfenen Gedanken dungsausgaben sind auch Kulturleistungen und kritisch weiter, so wird deutlich, dass die gesell- diese haben immer auch mit dem Kunstbegriff schaftlichen Veränderungen, auf die unsere durch zu tun. Und ein Kennzeichen für Kunst ist ihre Wachstums- und Beschleunigungsparadigmen ge- sinnliche Reichhaltigkeit. So verlagern sich unsere peinigte Welt zur Umkehr angewiesen wäre, Aufmerksamkeiten auf ganz bestimmte sinnliche Qualitäten. Es ist letztlich der Qualitätsbegriff, der nur aus einer anderen Form einer unsere Musikkultur als kulturelle Leistung defi- tatsächlich gelebten kulturellen Praxis niert. Und es ist auch der Qualitätsbegriff, der wirksam werden können. den Bildungsprozess des Musikverstehens vorantreibt. Dieser zutiefst pädagogischen Aufgabe Die Musikpädagogik kann einen nicht unerheb- stellt sich das vorliegende Unterrichtswerk. lichen Beitrag zu diesem Bildungsprozess leisten. Auf dem Weg zu einer anderen Welt werden die Michael Stecher menschlichen Kulturleistungen und daher auch im Februar 2014 die Kulturberufe eine zentrale Rolle spielen müssen. So hat gerade die Musikpädagogik eine gewichtige Stimme bei der neuen Sinnsuche. Veränderungen beginnen beim Erkennen, dass der Ausstieg aus dem neoliberal-kapitalistisch manipulierten Gedankengut des Mainstreams den ersten Schritt darstellt. Gerade in den pädagogischen Bereichen kann uns dieses Querdenken Lehrerhandbuch Literaturhinweise Für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den ganzheitlichen Bildungsprozessen zur Musik empfehlen sich diese Bücher: Andreas Doerne: Umfassend Musizieren Breitkopf & Härtel Ulrich Mahlert: Wege zum Musizieren Schott Peter Röbke: Vom Handwerk zur Kunst Schott Michael Stecher: Die Musikkunde neu denken Hal Leonard MGB