Deutsches Ärzteblatt 1980: A-2936

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Aufsätze Notizen
GESCHICHTE DER MEDIZIN
PREISE
Ernst Jung Preis für Medizin 1980
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—DieErnst-JugStifungürWisenschaft und Forschung verlieh in
Hamburg diesen mit 300 000 DM dotierten Preis an Prof. Dr. Eberhard
Dodt vom Max-Planck-Institut für
physiologische und klinische Forschung, W. G. Kerckhoff-lnstitut,
Bad Nauheim, an Prof. Dr. Bruno
Speck, Hämatologe in Basel, und an
den Chirurgen Sir Alan Parks, London, zu gleichen Teilen.
Prof. Dodt erhielt den Preis in Würdigung seiner richtungsweisenden Arbeiten über die Physiologie und Pathologie des Lichtsinns sowie seiner
erfolgreichen Bemühungen um eine umfassende Weitergabe seiner
Kenntnisse, welche die Voraussetzung dafür bieten, daß Elektrophysiologie in der Augenheilkunde heute ein entscheidendes Hilfsmittel bei
der Erkennung von Erkrankungen
des Auges und der visuellen Sehbahn geworden ist.
Angst des Irdischen
Zum Thema „Angst" in der Philosophie
Klemens Dieckhöfer
Fortsetzung von Heft 48/1980, Seite 2882 ff.
Kierkegaard: vielfältige
„Sprachformen" der Angst
In der Medizin hatte die Angst als
krankhaftes Allgemeingefühl noch
keine Bedeutung bei den Ärzten erlangt. Zur vollen Aufblühung gelangte die Anschauung über dieses Phänomen ja erst durch die Theorien
der modernen Psychoanalyse und
die Erkenntnisse über die vielfältigen „Sprachformen" der Angst. Als
ein entscheidender Wegbereiter dieser späteren Erkenntnisse ist Kierkegaard (1813-1855) zu nennen.
zung der Erbsünde, ferner eine
„rückwärts gewendete Erklärung
der Erbsünde in Richtung auf deren
Ursprung" (18). Die Angst wird dem
„träumenden Geist" zugerechnet
und gehöre — so Kierkegaard — in die
Psychologie hinein.
Die Angst, das Urphänomen Kierkegaards, tritt damit als erste Selbstentlarvung unseres Zeitalters in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
plastisch vor uns in Erscheinung.
Kierkegaards Werk „Der Begriff
Angst" (17) wurde im Juni 1844 publiziert, als sein Autor 31 Jahre alt
war. Die Antizipierung des Phänomens Angst als eines Daseinsgefühls des 19. und 20. Jahrhunderts
blieb den Zeitgenossen Kierkegaards dennoch unbekannt.
Kierkegaard, auf den sich Jaspers
(19) u. a. in ihrer Unterscheidung der
Begriffe Furcht und Angst berufen,
trennte erstmals die Termini in dem
bekannten Sinne. Mit einem Unterton von Empörung stellt er fest — wie
recht hatte er vom medizinhistorischen Standpunkt her: „Den Begriff
Angst sieht man fast niemals in der
Psychologie behandelt . . . " „Angst
(ist) die Wirklichkeit der Freiheit als
Möglichkeit für die Möglichkeit"
(20). Angst hält Kierkegaard für eine
„sympathetische Antipathie" und eine „antipathetische Sympathie". Die
„süße Beängstigung" bei dem „Suchen nach dem Abenteuerlichen,
dem Ungeheuren, dem Rätselhaften" (21) finde sich vorzüglich bei
Kindern, die träumen können und
unschuldig sind.
Von besonderem klinischen Interesse sind die von Prof. Dodt erarbeiteten neu rc ophthalmologischen,
nichtinvasiven Untersuchungsmethoden. WK
Hatte schon Kierkegaard in mehreren seiner vorausgegangenen Werke ein biblisches Thema behandelt,
so handelte seine Arbeit „Begriff
Angst" von der Geschichte des Sündenfalls bei Adam und Eva. Sehen
wir davon ab, daß der Autor sich mit
dem Niederschreiben dieses Werkes
von persönlichen Erlebnissen loszulösen suchte, wie sie ihm in der Begegnung mit der jungen Regine 01sen erwachsen waren, so bedeutete
Angst für Kierkegaard Vorausset-
Wie wird nun der Mensch schuldig?
fragt sich Kierkegaard. Denn „der,
der durch die Angst schuldig wird,
ist ja unschuldig". Die Angst tritt als
Macht von außen an den Menschen
heran, „eine Macht, die er nicht liebte, sondern vor der er sich ängstigte;
— und doch ist er ja schuldig, denn er
versank in der Angst, die er doch
liebte, indem er sie fürchtete". Kierkegaard bezeichnet diesen „qualitativen Sprung" als „psychologische Erklärung".
2936
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
1923 in Bielefeld geboren, kam er
1956 als Assistent an das KerckhoffInstitut in Bad Nauheim, wurde
außerplanmäßiger Professor und
schließlich Honorarprofessor an der
Universität Gießen und 1962 wissenschaftliches Mitglied der MaxPlanck-Gesellschaft. 1968 übernahm Prof. Dodt als Direktor die Leitung der 2. Physiologischen Abteilung am Kerckhoff-lnstitut und gründete im Jahr darauf die ophthalmologische Station dieses Instituts an
der Augenklinik der Universität
Frankfurt, und zwar als eine Möglichkeit, die Verbindung zwischen
klinischer und theoretischer Forschung im Bereich der experimentellen Ophthalmologie herzustellen.
Bei systematischen Untersuchungen am visuellen System gelang es
ihm nachzuweisen, daß das Corpus
pineale ein Sinnes- und Drüsenorgan ist, welches über einfallendes
Licht körpereigene Regulationen zu
steuern vermag.
Heft 49 vom 4. Dezember 1980
Aufsätze • Notizen
„Angst" in der Philosophie
„Die Angst erlöst
durch den Glauben"
Unschuld ist für Kierkegaard die Unwissenheit, „das aber kann die Unschuld natürlich nicht verstehen",
„. . . die Angst hat gleichsam ihre
erste Beute" (22). Das Verbot (das
die Lust erweckt) hat Adam nach
Kierkegaards Auffassung geängstigt, weil das Verbot die Möglichkeit der Freiheit in ihm erweckte.
Und Schlag auf Schlag bemächtigt
sich nun die Angst des ersten Menschen: die Verdammung, das Sterben ist gewiß, denn das war ja die
Strafe. Wenn auch Adam unverständig vor dieser Androhung des Sterbens stehen mußte, das Entsetzen,
die Angst blieb bestehen. Mit dem
Sündenfall, den die Psychologie
nicht erklären könne, sei der qualitative Sprung erfolgt: Das Sexuelle
sei in die Welt hineingekommen.
Und weiter folgert Kierkegaard: „.
ohne Sünde keine Sexualität und
ohne Sexualität keine Geschichte".
Hier wird besonders auf die Möglichkeit, zu können, hingewiesen.
Angst wird als gesteigerte Erbsünde
angesehen.
Im Kontinuierlichsein der Sünde
wird die Möglichkeit der Ängstigung
erblickt. Das Dämonische wird als
„Angst vor dem Guten" (24) gesehen und als „das Verschlossene und
das unfreiwillig Offenbare" (25), als
„das Inhaltslose, das Langweilige"
(26) bezeichnet. Aber bei der Angst
vor dem Bösen wähle das Individuum, so Kierkegaard, seine Zuflucht
bei der Erlösung. In seinem letzten
Kapitel V (27) drückt er es klar aus:
Die Angst erlöst durch den Glauben.
Ähnlich sieht es auch der Dichterphilosoph Miguel des Unamuno
(1864-1936) (28). Für ihn ist glauben
schöpfen, wie es das spanische
Wortspiel sagt: „Creer es crear". Für
Unamuno steht auch Don Quijote im
Bewußtsein seiner Persönlichkeit:
„Ich weiß, wer ich bin." Hier geht es
also um die „esencia", das Wesen
des Menschen. Ein Morgen, eine Zukunft existiert nicht. Für Kierkegaard
wie für Unamuno ist die Zukunft im
Leben des Einzelnen die Angst. Die
Zeit ist das Tragische. Der Mensch
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Heft 49 vom 4. Dezember 1980
steht in der Spannung zwischen Zeit
und Ewigkeit. Existent ist aber nur,
was ewig ist, versichert uns Unamuno. Im Kräftefeld der Drohung der
Nicht-Existenz aber bemächtigt sich
des Menschen die Angst, woraus er
nur seine Rettung in sehnsüchtigem
Verlangen nach Unsterblichkeit finden kann (29).
Angst und Freiheit, die bei Kierkegaard zum beherrschenden Thema
seiner Philosophie wurden, sind von
einem dialektischen Wirken innerhalb der Existenz des Menschen geprägt. Geist (Geist ist für Kierkegaard identisch mit Entscheidungsmöglichkeit) und Körper, die im Zustand der Unschuld ursprünglich
ungetrennt sind, erfahren durch die
Ahnung von der Freiheit und der sie
bedingenden Möglichkeiten kraft eigener Entscheidung ihre Trennung
quasi dadurch, daß der Mensch entdeckt, daß er Herr seines eigenen
Geschickes geworden ist. So steigt
die Angst ihm auf. Das Mittel, der
Angst durch die Freiheit Herr zu werden, sieht Kierkegaard nur im christlichen Glauben.
Heideggers Definition
der Angst und der Furcht
Dieser Ausweg durch den christlichen Glauben existiert für den Existenzphilosophen Heidegger nicht.
Heidegger (30) erblickt in dem Phänomen der Angst (der Furcht
schreibt er eine Zeitlichkeit zu) eine
Grundbefindlichkeit des Menschen,
die ihn vor das Nichts stellt.
In anthropologischer Sicht hat v.
Gebsattel (31) die Angst ja einmal
den „Gradmesser für den Sog des
Nichts" genannt. Der Mensch erlebt
Heidegger zufolge „sein eigenstes
Geworfensein", das In-der-WeltSein läßt in seiner Unheimlichkeit
die Angst sich entfalten. Heidegger
legt Wert auf die Definition, daß das
Wovor der Angst schon da sei, eben
das Dasein selbst (32).
Das nackte Dasein der Geworfenheit
ist also hier das Kriterium für die
Angst, die der Einzelne erfährt. Die
Angst als eigentliches Seinkönnen
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
sei auch wiederholbar, für die
Furcht hingegen sei das Vergessen
konstituierend. Die Angst wird als
gegenwärtig angesehen, die sich
„nicht an ein Besorgbares verlieren"
könne wie die Furcht. Während die
Furcht vom Innerweltlichen her den
Menschen überfalle, erhebe sich die
Angst „aus dem In-der-Welt-Sein als
geworfenem Sein zum Tode". Für
den Entschlossenen gibt es nach
Heidegger zwar keine Furcht, aber
der Entschlossene versteht die Möglichkeit der Angst als Stimmung.
Angst befreie von „nichtigen" Möglichkeiten und lasse freiwerden für
eigentliche.
Im Hinblick auf die Zeitigung der
Angst sagt Heidegger, daß diese aus
der Zukunft der Entschlossenheit
entspringe, die Furcht aber aus der
verlorenen Gegenwart.
Interessant erscheint ein Hinweis
Heideggers in bezug auf eine
Gleichgültigkeit der Stimmungslage. Dieses Dahinleben, das alles sein
läßt, wie es ist, gründe in einem vergessenen Sichüberlassen an die Geworfenheit. Hier herrscht also die
Macht des Vergessens in der Alltagsstimmung des Menschen vor.
Fassen wir Heideggers Anschauung
von der Angst zusammen, so können wir festhalten, daß für ihn die
Angst die Überlassenheit dem Dasein gegenüber als solcher ist. Das
„Wovor" der Angst wird mit dem Inder-Welt-Sein selbst identifiziert.
„Das Sein zum Tode ist wesenhaft
Angst" (33), darin kulminiert die Anschauung Heideggers; mithin in
dem Ausgehaltensein ins Nichts begreift der Mensch seine Ungesichertheit, womit er zugleich sein eigentliches Wesen und Dasein erfährt. Die Angst hat für den Menschen kein „Hier" und kein „Dort",
aus dem der Charakter des Bedrohlichen erkennbar wäre. Das Bedrohende ist eben nirgends (das nicht
nichts bedeutet), das ist das Spezifikum des „Wovor" der Angst, ohne
daß die Richtung der bedrohenden
Angst sichtbar würde. Das In-derWelt-Sein selbst ist die Erklärung
dafür, wovor die Angst sich ängstigt.
Den Menschen überkommt nun die-
Aufsätze • Notizen
„Angst” in der Philosophie
se Angst, er kann sie nicht absichtlich herbeiführen (34). Die Todesangst deutet Heidegger so: nur wer
die Angst auf sich zu nehmen gewillt
sei, mache sich frei für den Gedanken an den Tod, denn das eigentliche Dasein ist als ein Vorlaufen in
den Tod, das Sein zum Tode, definiert; der Mensch habe die sich
ängstigende Freiheit zum Tode (35).
Sartre: Angst als Weg zur Freiheit
Der Philosoph Sartre (1905-1980)
lehnt sich weitgehend an Kierkegaard und Heidegger an. Gleichwohl
kommt es hier zu neuen Akzentuierungen. Freiheit bedeutet für ihn,
wie er in seinem Werk „Das Sein und
das Nichts" (36) darlegt, das Infragestellen des Seins durch einen nichtenden Schritt nach rückwärts. Dabei ist Freiheit für Sartre identisch
mit Bewußtsein, das nur der Mensch
besitze. In der Angst nun wird für
den Menschen diese Freiheit offenbar, eine Freiheit, die zu Entscheidungen führt, wofür der Mensch die
Verantwortung zu tragen hat, ohne
daß ihm hierfür ein Rückhalt geboten wird.
Scheler: Angst als tiefe
Gehemmtheit des Lebensgefühls
Max Scheler (1874-1928), der das
phänomenologische Zentralproblem der Intentionalität weiter förderte, wandte sich der Wertewelt besonders zu. Mit dem Blick auf die
Werte, ein Reich ideeller Gegenstände eigener Seinsweise, darin geleitet
zu werden, zu leben und zu handeln,
erschien für ihn Aufgabe des
menschlichen Daseins (37).
In seinem Werk „Vom Umsturz der
Werte" (38) nennt er die Furcht und
die Angst sogenannte Verdrängungsmächte: da diese seelischen
Mächte durch fortgesetzten Druck
einer Autorität- objektlos werden,
könne der Mensch auch nicht mehr
angeben, wovor er sich ängstige.
Angst ist für Scheler tiefe Gehemmtheit des Lebensgefühls. Auch die
sogenannten Erscheinungswerte,
also Geste, Kleid, Art zu reden, seien
Alfred Kubin: Angst, aus: E. W. Bredt: Alfred Kubin, Schmidt. München, 1922, Seite 31
in der Lage, Rache- und Haßimpulse, aber auch Angst einzuflößen, die
dann verdrängt werde, so daß oftmals das Objekt des Hasses, der
Angst oder der Achtung später nicht
mehr auszumachen sei. Als Beispiel
führt Scheler den Hauptmann von
Köpenick an, dessen vage Erscheinung allein (er sah wohl sicher nicht
korrekt wie ein echter Hauptmann
aus) dem Bürgermeister usw. Achtung und Angst einflößte (39).
Den Tod bezeichnet Scheler als Bestätigung einer intuitiven Gewißheit
(40), die ein Element alles Erlebens
sei. Die Art der dabei geäußerten Affekte sei sekundär und hänge vom
Einzelmenschen ab. Entscheidend
ist also die jedem Menschen eigene
Todesgewißheit. Angst ist für den
„modernen westeuropäischen Menschen", den Massentypus, wie ihn
Scheler nennt, der Auslöser für die
„Rechenhaftigkeit der Lebensführung". Die Aufzehrung der antiken
Weltliebe und des antiken Weltvertrauens wird nach Scheler durch die
Lebensangst und die Sorge bedingt,
die Welt technisch „in Griff zu bekommen". Der „zivilisatorische
Geist" ist in ihr vorherrschend, der
nur dem Genius fremd sei, der, wie
Schiller sagt, die „Angst des Irdischen" nicht besitzt (41).
Die Welt wird kühl berechnend „angepackt". Arbeiten, Schaffen und
Erwerben begründen für den modernen Menschen eine neue Todesidee.>
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 4. Dezember 1980
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Aufsätze • Notizen
„Angst" in der Philosophie
Der Mensch, der sich tausendfach
gegen den Tod versichert, der im
Arbeits- und Erwerbstrieb erstickt,
narkotisiert sich gegen den Tod:
Seine Idee wird „weggefürchtet",
„der unsichtbar gewordene Anwesende" wird „bis zur ,Nichtexistenz'
,zerfürchtet` " (42).
Jaspers:
„Sprung aus der Angst
in die Ruhe"
Für Karl Jaspers (1883-1973)
schließlich ist das Phänomen der
Angst unter verschiedenen Aspekten von Bedeutung (43).
ZUR GESCHICHTE DER MEDIZIN
FRAGMENTE
Jenners großer Erfolg
Der englische Landarzt Edward
Jenner veröffentlichte seine Entdeckung und sein Verfahren der
Kuhpocken-Schutzimpfung gegen die Menschenblattern 1798.
Die Veröffentlichung machte
nicht nur in England sofort Sensation, sie stieß zugleich auch auf
dem Kontinent auf höchste Aufmerksamkeit.
Eine wesentliche Ursache für diese rasche Verbreitung war zweifellos die schon seit der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts anhaltende lebhafte öffentliche Diskussion zu der aus dem Orient
eingeführten Schutzimpfung mit
menschlicher Blatternmaterie. In
dieser breitangelegten Diskussion hatte sich bereits seit Jahrzehnten der größte Teil der Zeitungs- und Journalpublizisten für
die Impfung eingesetzt. In vielen
Staaten hatte aber auch die Obrigkeit die Schutzimpfungen bereits systematisch gefördert und
darüber eine kontinuierliche Medizinalstatistik geführt.
Gleichwohl wollten die Mahner
nicht verstummen, die immer
wieder auf Impfzwischenfälle, auf
die an heutigen Anforderungen
an Sicherheit prophylaktischer
Maßnahmen gemessene hohe
Sterblichkeitsrate unter den
Impflingen hinwiesen.
Die Entdeckung Jenners fiel also
auf einen höchst fruchtbaren wissenschaftlich und publizistisch
bestens vorbereiteten Boden. Sie
löste eine ganze Flut wissenschaftlicher und populärer referierender Aufklärungsschriften
auch in Deutschland aus. Sie veranlaßte spontane Zeitschriftengründungen, die sich nur diesem
Thema widmeten und Übersichtsartikel, statistisch-gesundheitspolizeiliche Nachrichten,
ethische Disputationen sowie
breite Kasuistik brachten und damit die verhältnismäßig rasche
Einführung der Impfpflicht in
einigen deutschen Staaten förderte und veranlaßte.
Zunächst stellt er fest, daß, je gesünder der Mensch sei, eher naive
Angstlosigkeit vorherrsche. Es
handle sich aber nur um ein Vergessen, nicht Verschwinden der Angst
(44). Zwei Formen erscheinen ihm
wesentlich: die Daseinsangst und
die existentielle Angst (45). Während
die Daseinsangst ihm Angst vor dem
Tode als Schaudern vor dem Nichtsein bedeutet, untersucht Jaspers
die existentielle Angst eingehender.
Nur der Einzelne kann sie für sich
erfahren, der Tod als Vorgang seiner
selbst ist unerfahrbar für das Individuum. Der eigene Tod hat „Grenzsituation". Lösung von der Todesangst würde alle andere Angst auflösen (46). Ohne Angst wiegt sich der
Mensch aber in nur scheinbarer Sicherheit, Angst ist also als notwendig anzusehen. Der Glaube an eine
Transzendenz befreit den Menschen
aus der Angst und gewährt Ruhe. Da
aber diese Transzendenz sich einer
objektiven Erfahrung verschließt,
kann die Angst für den Menschen
nicht sistieren (47).
So gipfelt die Jasperssche Existenzphilosophie der Angst in diesen
Worten:
für
bputfen.2tnpf
gr
btrau$aegtben
er. *efftrt
Zricbticp enger,
amettvs unr Zettra etuct,
eiefen
„Der Sprung aus der Angst in die
Ruhe ist der ungeheuerste, den der
Mensch tun kann. Daß es ihm gelingt, muß seinen Grund über die
Existenz des Selbstseins hinaus haben; sein Glaube knüpft ihn unbestimmbar an das Sein der Transzendenz" (48).
In den nächsten Heften des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES folgen Mitteilungen über die Angstaspekte in
der Kunst. Wir können die Linie
auch dort weiterverfolgen, die sich
uns seit dem 19. Jahrhundert schon
in der Philosophie zeigte.
(Die in Klammern gesetzten Ziffern beziehen
sich auf das Literaturverzeichnis, das den Sonderdrucken beigelegt wird.)
1,c9 tsve9 %tiel, rid)
• Wird fortgesetzt
Titelseite des von Hessert und Pilger
seit 1801 in Gießen herausgegebenen
„Archiv für die Kuhpockenimpfung"
2940 Heft 49 vom 4. Dezember 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Klemens Dieckhöfer
Medizinhistorisches Institut
Sigmund-Freud-Straße 25
5300 Bonn 1
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