System Sin – wrath, 2015, 140 x 70 cm Brain Box Ideology II, 2016, 4 x 8,35 x 5 m (installation view) Brigitte Waldach – Sin, Ideology, Utopia Eine Installation mit Zeichnungen, Folien-Cuts, Gummibändern und einer Sound-Collage, frei nach Helmut Lachenmann und Hans Christian Andersen Die Berliner Künstlerin Brigitte Waldach hat schon mehrfach in Dänemark ausgestellt, beispielsweise Zeichnungen und Installationen in ihrer Galerie Bo Bjerggaard, eine skulpturale Installation im Kunstverein GL Strand sowie eine Lithographie-Serie bei der Edition Copenhagen. Dort hat sie 2014 eine zehnteilige Sequenz zu den 10 Geboten erarbeitet, in der sie die ursprünglichen christlichen Gebotstexte mit textlichen Ergänzungen ins Zeitgenössische transformierte. Diese Idee der Transformation ist auch Thema in der siebenteiligen Zeichnungsserie der „Sieben Todsünden“, die nun in Odense erstmals in Skandinavien präsentiert wird. In einer gespiegelten Gegenüberstellung wird die altmeisterlich gezeichnete, historische Figur einer Allegorie, die der jeweiligen Todsünde zugeordnet ist, durch eine zeitgenössische Figur und einem zeitgenössischen Wort ergänzt. So wird aus der Todsünde „Zorn“ beispielsweise „Wut“, visuell begleitet von der nicht nur in Deutschland bekannten, 1977 gestorbenen RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Ihre biografische Geschichte als kontroverse historische Person ist auch zum Thema eines Zeichnungszyklus von Gerhard Richter, eines Spielfilmes von Margarete von Trotta sowie eines modernen Musikstückes des deutschen Komponisten Helmut Lachenmann geworden, der in seiner „Oper“ auch Texte von Gudrun Ensslin mit dem Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ verschränkt. Brigitte Waldach erarbeitet vor Ort, in Museen, Kunstvereinen und Galerien, häufig einen konkreten Raum- und Ortsbezug. So entstehen auch installative Werke. In ihrer ersten Ausstellung in Odense („Sin, Ideology, Utopia“) schlägt sie eine Brücke von Hans Christian Andersen über Helmut Lachenmann zu Gudrun Ensslin. Neben der siebenteiligen Zeichnungssequenz „System Sünde“ thematisiert sie im zweiten Raum des Museums Brandt in einer multimedialen Wandverspannung die Figur Ensslins mit einigen Begriffen ihres politischen, später völlig fehlgeleiteten Kampfes. Waldach wählt als Oberbegriffe bzw. als Motto: Idee – Ideologie; dies wird ergänzt durch zahlreiche historische und persönliche Stichworte, Aktionen und Reaktionen aus dem Leben Ensslins. Die Worte stehen an der Wand, jeweils am Ansatz eines roten Fadens, der aus der Wand zu dringen scheint und zu einem anderen Begriff hinübergespannt ist. In der mal feinen, mal groben Verspannung entsteht ein hierarchisches System, zusammengesetzt aus Fakten und Fiktionen, Ereignissen und Erfahrungen. Die stärkste Verbindung, ein roter Strick, zeigt den Anfang eine Idee, die in einer Verknotung endet, die kaum mehr zu lösen ist. Dann liest der Besucher sukzessiv von einem Wort zum anderen und erschließt sich exemplarisch die Biographie einer Person in einer politisch ideologisierten Zeit, die in den 1970er-Jahren große Teile der deutschen aber auch europäischen Gesellschaft prägten sollte. Biographisches und Historisches sind in Waldachs Installation „Brain Box (Ideology)“ eng miteinander verbunden. Eine Klangcollage, die die Künstlerin frei nach Helmut Lachenmanns Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ erstellt hat, ergänzt die Raumverspannung. Die Radikalisierung und spätere Gewaltbereitschaft des RAF-Terrorismus ist selbstverständlich abzulehnen, doch die Auflehnung der damaligen Protagonisten und Protagonistinnen gegen die Unterwanderung deutscher Staatsmacht durch ehemalige Nationalsozialisten, gegen die sogenannten Notstandsgesetze oder den Wahnsinn des Vietnam-Krieges war und ist auch für viele Nachgeborene durchaus nachvollziehbar. Und Andersens Märchen von 1845 hat heute, in der europäischen, ja geradezu globalen Flüchtlingskrise eine Aktualität, die das Stück gleich doppelt traurig macht. Niemand hat sich um das Mädchen in der kalten Winternacht gekümmert, die draußen frierend Streichhölzer verkaufen wollte – und sich nicht mehr nach Hause traute, da sie ein Streichholz nach dem anderen abbrannte, um sich zu wärmen. Andersen verband damals mit diesem Einzelschicksal auch eine bittere Anklage gegen die fehlende Empathie und den Konsum der vorbeieilenden Wohlhabenden, die das Kind schlicht übersehen haben. Beide Geschichten enden tragisch, beide „Mädchen“ scheitern an der Kälte einer bürgerlichen Gesellschaft. In Waldachs „Brain Box (Ideology)“ befinden sich zwei rote fünfzackige Sterne auf dem Boden des Ausstellungsraumes: Der eine innerhalb der Verspannung, also gewissermaßen in der Biographie Ensslins, wird zum RAF Symbol, während der andere, ganz allein im Raum, ohne weitere Begriffe an der Wand, für das namenlose Mädchen steht, dem kein längeres Leben, keine Erfahrungen und Erlebnisse und kein Widerstand vergönnt war. Wenn ein Stern von Himmel fällt, steigt eine Seele zu Gott empor, heißt es im Märchen. Allein die roten Bänder, die an dieser Stelle vom Stern ausgehen und sich zur Raumdecke ziehen, symbolisieren den am Märchenende so traurig-schön formulierten Fieberwahn des Mädchens - bevor sie stirbt – gemeinsam mit der Großmutter in die Höhe, zu Gott, zu fliegen Brigitte Waldach untersucht in ihrer Installation die Frage, wann und wie sich eine Idee zur Ideologie, zu einem Gedankensystem entwickelt und wie sich die dahinterstehende Radikalisierung vollzieht auch als Reaktion auf die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft. Eine vergleichbar radikale Form der Musik untermalt und ergänzt die raumbezogene Arbeit inklusive des konkreten Odense-Ortsbezugs durch Hans Christian Andersens „Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Die Künstlerin führt uns zu ihrer komplexen, zweiteiligen Arbeit im ersten Stock des Museumsgebäudes mit einzelnen Textzeilen aus Andersens Märchen, die sie auf den Vorderseiten der Treppenstufen platziert. Beim Hochsteigen erschließt sich der Besucher langsam, Schritt für Schritt den Kontext der dort folgenden Ausstellung. BRANDTS, 22.1.2016–1.5.2016, Opening 21.1.2016, Brandts 13, Jernbanegade 13, 5000 Odense C