— GESPRÄCHE — © slava296 | bigstock.com BUDDHISMUS und lesbisch-feministische Identität sind kein Widerspruch Im Frühjahr 2000 fand in Köln der viel beachtete Kongress „Frauen und Buddhismus“ statt. Initiiert hatten ihn die beiden buddhistischen Lehrerinnen Sylvia Wetzel und Sylvia Kolk. Einige der lesbischen Teilnehmerinnen organisierten dort, da das Thema „Lesben und Buddhismus“ im Programm nicht vorgesehen war, spontan eine Zusammenkunft. Aus dieser ist dann das „Netzwerk Lesben und Buddhismus“ entstanden.* Ursula Richard hat sich mit einigen Fragen an das Netzwerk gewandt. 36 BUDDHISMUSaktuell 3 | 15 — GESPRÄCHE — BA: Welche Bedeutung hat das Netzwerk für eure spiri- tuelle Entwicklung? Nicole: Ich habe bereits früh erlebt, dass ich „nicht passe“, dass meine Erfahrungen nicht mit der mich umgebenden „Hetero-Normativität“ übereinstimmten. Diese Erfahrung haben viele lesbische Frauen in ähnlicher Weise gemacht und das hat uns stark geprägt – und manches Mal auch verletzt. Unsere Umgangsweisen mit diesen Erfahrungen sind unterschiedlich und damit auch, wie wir uns im Buddhismus bewegen. Im Netzwerk können wir uns in dieser Unterschiedlichkeit zeigen und respektieren. Vor diesem Hintergrund würdigen wir die verschiedenen Traditionen des Buddhismus und die unterschiedlichen Lebenswege der Referentinnen, die wir einladen. Karin: Ich erlebe im Netzwerk sehr stark, dass jede Frau aus ihren eigenen Erfahrungen kommt und dasselbe Recht wie ich hat, etwas so oder so zu sehen. Über diese Erfahrungen tauschen wir uns aus und erleben und praktizieren Wertschätzung für uns und die anderen. Die Prozesse der Treffen werden eher von der Gruppe getragen, nicht so sehr von einer oder wenigen Personen. Diese Übung des Miteinanders, die Übung, Spiritualität bewusst in konkrete Beziehungen einzubringen, ist für mich persönlich eine sehr bedeutsame, heilsame und grundlegend spirituelle Erfahrung. Manchen Frauen ist es erst auf dieser Basis möglich gewesen, sich auf die Praxis und eine Lehrerin oder einen Lehrer in einer anderen Umgebung einzulassen. BA: Meiner Erfahrung nach gibt es ja einige lesbische buddhistische Lehrerinnen und auch viele Lesben in buddhistischen Gruppen, aber es ist, so scheint es mir, kaum ein Thema. Drückt sich darin aus, wie selbstverständlich diese Lebensweise mittlerweile geworden ist, oder ist sie nach wie vor mit einem gewissen Tabu belegt? Petra: Die meisten Menschen im Dharma sind offen, und es gibt, soweit ich sehe, kaum direkte Diskriminierung. Das heißt aber nicht, dass es eine Reflexion über Geschlechterrollen oder gar die eigene sexuelle Orientierung gibt, und die patriarchalen oder zumindest hetero-normativen Strukturen setzen sich vielerorts durch. Dieser Mangel an Reflexion wird leider auch da sehr deutlich, wo sich heterosexuelle Frauen mit dem Thema Frauen und Buddhismus beschäftigen, das dann aber in einer Art und Weise tun, als wären lesbische Frauen nicht existent. Maria: Buddhistische Gruppen, die lesbische Frauen leiten, werden oft gerne auch von Lesben besucht. Die lesbischen Frauen wissen voneinander, ohne das Lesbischsein selbst zum Thema zu machen. An solchen Orten können Lesben auf eine unspektakuläre Weise – füreinander – sichtbar sein. Das ist wohltuend im Gegensatz zu gemischten Gruppen, wo lesbisches Verhalten und lesbische Sichtweisen oft irritieren. Räume, die – wenn auch unausgesprochen – durch Lesben gestaltet sind und von Lesben besucht werden, geben mir ein Gefühl von Normalität, das ich ansonsten in der Öffentlichkeit nicht empfinde. Wenn auch bei solchen Veranstaltungen das Lesbischsein an sich nicht thematisiert wird, dient das meiner Erfahrung nach dem Schutz. Das Thema weckt so widersprüchliche Reaktionen, dass eine Lesbe, die sich, in welcher Runde auch immer, outet, nicht selbstverständlich mit Wohlwollen und Zustimmung rechnen kann.. Petra: Noch zu den Lehrerinnen – die wollen in der Regel für alle da sein. Für die lesbischen Schülerinnen scheint es nicht so wichtig, dass sich die Lehrerin als Lesbe zeigt; sie wissen „es“ entweder durch Mundpropaganda, oder sie kommen einfach, weil es ja nicht so viele Lehrerinnen gibt und die Atmosphäre passt. Andererseits könnte ein „offenes“ Auftreten der Lehrerin als Lesbe für Heteras und Männer ein Hindernis sein. So wiederholt sich das übliche gesellschaftliche 3 | 15 BUDDHISMUSaktuell 37 — GESPRÄCHE — Petra: Auch mir geht im tibetischen Buddhismus die Karin Wolff, Maria Rebel, Nicole Büser, v.l.n.r. Schema: Wer der Hetero-Norm entspricht, macht sich ohne Nachdenken in dieser Rolle sichtbar, während Lesben sich das noch immer sehr gut überlegen und sich oftmals dafür entscheiden, diesen Teil ihres Lebens für sich zu behalten, um nicht durch das Etikett „Lesbe“ von den anderen Aspekten ihrer Persönlichkeit abzulenken. Präsentation von weiblich und männlich als sich ergänzendes Paar mit Konnotationen wie Leerheit und Erscheinung sowie Darstellungen heterosexueller Vereinigung gegen den Strich. Also muss ich mich sehr gründlich mit der Bedeutung und den Hintergründen davon auseinandersetzen, prüfen, worum es eigentlich geht, was sich in diesen Bildern und Darstellungen symbolisch ausdrückt. Vielleicht habe ich deshalb aber auch mehr Affinität zum Dzogchen als zum Tantra. Positiv finde ich die Tatsache, dass es buddhistische Nonnen gibt. Das zeigt, dass es auch Wichtiges und Wertvolles außerhalb des Musters Heirat-Familie-Kinder gibt, was ja für heterosexuelle Menschen sehr oft im Mittelpunkt ihres Lebens steht. In der Vergangenheit war in asiatisch-buddhistischen wie in europäisch-christlichen Gesellschaften ein Leben in einer klösterlichen oder ähnlichen Gemeinschaft die wichtigste, manchmal die einzige alternative Lebensform für Frauen, die nicht heiraten wollten! BA: Welche buddhistischen Lehren empfindet ihr als BA: Inwieweit prägt sexuelle Identität den Blick auf hilfreich im Umgang mit Fragen der Identität, aber auch im Hinblick auf diskriminierende Erfahrungen? den Buddhismus? Nicole: Mitgefühl mit mir (!) und anderen, Achtsamkeit Karin: Ich möchte gern meinen „spirituellen Eros“ einbringen. Beim Blick auf den Buddhismus – wie auf jede andere Hochreligion – finde ich dafür zunächst keine Resonanz. Yab-Yum-Darstellungen passen für mich als Lesbe nicht, und viele überlieferte Texte sind frauenfeindlich. Ich suche dagegen weibliche Gottheiten und spirituelle Vorbilder sowie Formen von Spiritualität, die meine körperliche Ebene wertschätzend einbeziehen. Ich möchte für mich selbst klären, welche spirituellen Regeln für mich unterstützend sind, sodass ich sie anerkennen und mich daran orientieren kann. Nicole: Meine sexuelle Identität als Lesbe – und nicht nur Frau! – ist für mich ein Grund, alle buddhistischen Traditionen kritisch zu hinterfragen. Wie in der feministischen Theologie, in der ich früher sehr aktiv war, frage ich mich: Ist dieser Text heilsam für mich? Oder greift dieser Text meine Würde als Frau und Lesbe an? Deswegen ist mein Weg mein eigener. Ich kann nicht alles aus der Tradition akzeptieren und praktizieren. 38 BUDDHISMUSaktuell 3 | 15 im Alltag, Ethik möchte ich als wichtige Aspekte nennen. Übungen wie Edles Reden und Schweigen. MettaMeditation, Achtsamkeit in der Wahrnehmung von Anhaftung und Ablehnung sind für mich wichtige Begleiter, auch für meine Praxis im Alltag. Sie sind auch eine wichtige Unterstützung meiner Identitätsbildung. Im Buddhismus, so wie ich ihn praktiziere, ist meine weibliche und meine lesbische Sexualität nicht per se mit negativen Konzepten verknüpft, anders als ich das von meiner christlichen Prägung kenne, wo die Erbsünde mir alle meine Würde als Frau genommen hat. Im Gegensatz dazu habe ich im Buddhismus einen Weg gefunden, der es mir ermöglicht, meine Homosexualität mit innerer Freiheit zu leben. Die Vorstellung von Ursache und Wirkung ist für mich viel besser fassbar und moralisch nicht so belastend wie das Konzept der „Sünde“. Maria: Ich wurde nicht zur Lesbe erzogen, habe aber im Lauf meiner Kindheit und Jugend festgestellt, dass ich Frauen liebe und dies meine Wirklichkeit ist. Dadurch — GESPRÄCHE — kam ich schon früh in Konflikt mit den Lebenskonzepten, die mein Umfeld für mich vorsah. Da ich für meine lesbischen Wünsche an das Leben keine Vorbilder fand, suchte und entwickelte ich meinen eigenen Weg. Vor diesem Hintergrund finde ich die Vorstellung von Leerheit sehr hilfreich. Wenn ich mich darin vertiefe, eröffnet sich mir ein Gefühl für den Raum hinter den Konzepten, auch meinen eigenen. Karin: Für mich ist immer wieder die Praxis des stillen Sitzens im Alltag hilfreich, um Abstand von den täglichen Anforderungen zu gewinnen und zu verstehen, was „wirklich ist“, was wirklich zählt. Petra: Die Lehren über Karma helfen mir, andere Menschen besser zu verstehen, und auch, warum gesellschaftliche Aktivitäten für einen echten Wandel nicht ausreichen. Tiefsitzende karmische Spuren lassen sich auch durch die besten Argumente nicht einfach auslöschen. Andererseits sind auch meine Lebensumstände, Vorlieben und Abneigungen Ausdruck meines Karma und damit ein Teil von Samsara. Viele Frauen im Buddhismus sind inspiriert vom Gelübde der weiblichen Buddha Tara, sich immer wieder zum Wohle der Wesen als Frau zu inkarnieren. Eine Aktive aus den Anfängen des Netzwerks hat das so ausgedrückt: „Kategorien wie männlich und weiblich, hetero- und homosexuell sind leer, aber auf der relativen Ebene gibt es Diskriminierung, und so möchte ich als Lesbe zum Wohl der Wesen wirken, bis Samsara leer ist.“ Auch ich hoffe, dass ich – so wie mir anfangs andere buddhistische Frauen geholfen haben, Vertrauen in die Tradition zu entwickeln – möglichst vielen nützlich sein werde, die mit mir karmisch verbunden sind. austauschen muss, um nicht meinen eigenen „blinden Flecken“ aufzusitzen. Eine wichtige Gelegenheit für solch einen Austausch bietet mir unser Netzwerk. Petra: Der Buddhismus ist in einer patriarchalen Gesellschaft entstanden und in patriarchalen Gesellschaften überliefert worden, und das ist nach wie vor vielfach wahrnehmbar. Andererseits ist der Buddhismus aber auch ein Weg zu einem Zustand, der tatsächlich jenseits aller unserer Urteile und Schablonen ist. Da sich Buddhas in jeder erdenklichen Form manifestieren, die Wesen auf ihrem Weg zur Befreiung unterstützen kann, habe ich keinen Zweifel, dass sich mit der Änderung der Gesellschaft auch der Buddhismus ändert, und zwar ohne dass wir das zum Programm machen müssen. Da es lesbische Praktizierende gibt, die lesbische Lehrerinnen suchen und willkommen heißen, tauchen die auch auf. In dem Maße, in dem sich die tibetische Gesellschaft verändert – und in puncto Vertrauen von Frauen in ihre spirituellen Fähigkeiten sowie in Bezug auf den Wunsch, sich als Frauen zu verwirklichen, tut sich derzeit nicht wenig –, wird es auch innerhalb der engeren Tradition zu einer entsprechenden Entwicklung kommen. Wenn der Buddhismus weiterhin überwiegend von Männern repräsentiert werden würde, verlöre er an Glaubwürdigkeit. Bei den Methoden und Ausdrucksweisen, so scheint mir, ist bereits viel an Veränderung im Gang. In diesem Sinn denke ich, dass auch das Netzwerk wichtig ist: Es macht sichtbar, dass Buddhismus und lesbisch-feministische Identität kein Widerspruch sind. 3 * Seither finden regelmäßige Treffen statt: im Frühjahr ein mehrBA: Wie geht ihr mit den patriarchalen Aspekten des Buddhismus um? Maria: Die Frauenbewegung hat uns den Blick geöffnet für die systematische Abwertung von Frauen in unserer Gesellschaft. Ich empfinde es als großen Reichtum, mit diesem Blick die buddhistische Geschichtsschreibung, Organisationen und auch Lehrende daraufhin hinterfragen zu können, ob sie mich als Frau und Lesbe wertschätzen. Das erleichtert es mir, Dinge zu tun und Einflüsse zu suchen, die mir gut tun. Karin: Wobei ich mir bewusst bin, dass ich mich über solche Einschätzungen immer wieder auch mit anderen tägiges „Netzwerktreffen“, im Herbst die „Praxistage“. Sie stehen jeweils unter einem bestimmten Thema, und meist wird eine buddhistische Lehrerin als Referentin eingeladen. Manche Treffen werden auch von Frauen aus dem Netzwerk geleitet. Es ist nach wie vor eine „Graswurzelaktivität“ ohne formelle Strukturen. Mittlerweile gibt es auch einige Regionalgruppen. Informationen zu den bisherigen und den künftig geplanten Aktivitäten sind auf der Website www.lesbenundbuddhismus.de zu finden. Internationale Netzwerke • Lesbian Buddhist Sangha (Kalifornien, USA - Bay Area) www.lesbianbuddhistsangha.org • Netzwerk buddhistischer Frauen in Europa www.buddhistwomen.eu • Lesbian Meditation Network (Großbritannien) www.lesbianmeditation.co.uk 3 | 15 BUDDHISMUSaktuell 39