Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Prof. Dr. Jörg M. Fegert (Ärztlicher Direktor) Traumatische Erlebnisse, Psychopathologie und Delinquenz bei Heimjugendlichen im Schweizer Jugendhilfe- und Jugendstrafsystem Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Humanbiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm Vorgelegt im März 2010 Dipl.-Psych. Hanneke Singer geboren am 07.05.1980 in Köln Amtierender Dekan: Prof. Dr. Klaus-Michael Debatin 1. Berichterstatter: Prof. Dr. Ferdinand Keller 2. Berichterstatter: Prof. Dr. med. Friedemann Pfäfflin Tag der Promotion: 26. Juli 2010 Inhalt 1 I T H E O R I E .................................................................... 5 1 . 1 P rä va le n z p s yc h is c h e r S tö ru n ge n u nd T ra um a t is ie run ge n b e i He im k in d e rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 . 2 P rä va le n z p s yc h is c h e r S tö ru n ge n u nd T ra um a t is ie run ge n b e i s t raf f ä llige n J uge n d lic h e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1 . 3 Fo lge n t ra um a t is ch e r E rf ah ru n ge n in d e r K ind h e it. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 3 1 . 4 Da s s c h we ize ris c h e J u ge n d st raf re c ht u n d d ie Ref o rm vo m 1 . 1 .2 0 07 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3 1 . 5 Zu s a mm enf a s su n g d e s th eo re t is c h en Hin t e rgru n d s . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 4 1 . 6 A b le it un g d e r Fra ge s t e llu n ge n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 5 2 M E TH O D E N ............................................................... 27 2 . 1 Zie l d e s Mo de llve rs u c h s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 7 2 . 2 S t u d ien de s ign u n d P ro ze d e re . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 8 2 . 3 S t ic h p rob e n re k rut ie ru n g u nd Re p rä se n t at ivit ä t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 9 2 . 4 B e s c h re ibu n g d e r ve r we n d e t e n V e rf ah re n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2 2 . 5 Da t e na uf be re it un g u n d s t a t is t is ch e Ve rf a h ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 9 2 . 6 S t u d ien t e ilna hm e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 0 3 E R G E B N I S S E ............................................................. 43 3 . 1 A llge m e in e S t ic h p ro b en b e s ch re ib un g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3 3 . 2 A k t u e lle st a t ion ä re Ma ßn a hm e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 7 3 . 3 K in d e r- un d ju ge nd p s yc h ia t ris c h e r bz w. p s yc h o t h e rap e ut is c h e r B eh a nd lu n gss t a t u s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3 3 . 4 P s yc h is c h e S ym p to m be la s tu n g – E rge b n is s e d e s Ma ys i -2 . . . . . . . 5 5 3 . 5 E rge b n is s e de r p syc h ia t ris c h e n I n te rvie ws . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 8 3 . 6 T ra um at is c h e L ebe n s e re ign is s e – E rge b n is s e de s E s sen e r T ra um a I n ve n ta rs (E T I ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1 3 . 7 De lin qu e n z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 8 Inhalt II 3 . 8 T ra um a k la s s e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4 3 . 9 V e rgle ic h d e r T ra um a k la s se n n a c h Ge s c h le c ht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4 4 D I S K U S S I O N ............................................................. 107 4 . 1 Zu s a mm enf a s su n g d e r wic h t igs t e n E rge b n is s e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 0 7 4 . 2 Dis k u s s io n d e r m et h o d is ch e n S t ä rk en u nd S ch wä c h e n d e r S t u d ie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 0 8 4 . 3 Dis k u s s io n d e r L eb e n s ze it p rä va le n z t ra u ma t is c h e r E rle b n is s e so wie d e r P rä va le n z d e r Po s t t ra um at is c h e n B e la s t un gs s t ö ru n g b e i de u t s ch s c h we ize ris c h e n He im ju ge n d lic he n. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 5 4 . 4 Dis k u s s io n d e r K las s e n b ild un g a uf Ba s is d e r t ra u ma t is c h en E rleb n is s e d e r He im juge n d lic h e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 0 4 . 5 S c h lu s sf o lge ru n gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 3 2 5 Z U S AM M E N F AS S U N G .................................................. 139 6 L I TE R AT U R .............................................................. 141 7 D AN K S AG U N G .......................................................... 156 8 A N H AN G ................................................................. 159 8 . 1 E s s e n e r T rau ma – I n ve n t a r (ET I ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 5 9 8 . 2 Ma s s a c h u se t t s You t h S c re e n in g In s tru m en t - Ve rs io n 2 (MA YS I -2 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 6 4 8 . 3 K rim in o lo gis c h e Fra ge n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 6 6 III Inhalt Ab k ür z ungs ve r z e i c hni s AD Alkohol- und Drogengebrauch ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e.V. ÄR Ärgerlich-Reizbar ASD Acute Stress Disorder aStGB altes Strafgesetzbuch BIC Bayesian Information Criterion BJ Bundesamt für Justiz CAIC Consistent Akaike's Information Criterion Class.Err Classification Error DÄ Depressiv-Ängstlich DESNOS Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified df degrees of freedom DIJuF Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht DSM-IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4th Edition DSM-III-R Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 3rd Revised Edition ETI Essener Trauma-Inventar GAS Global Assessment Scale ICD-10 International Classification of Diseases, 10th Edition IQ Intelligenzquotient JStG Jugendstrafgesetz JTCI Junior Temperament and Character Inventory Kiddie-SADS-PL Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia for School-Aged Children, Present and Lifetime Version LL Log-Likelihood Value Maysi-2 Massachusetts Youth Screening Instrument, 2nd Edition MAZ. Modellversuch zur Abklärung und Zielerreichung in stationären Maßnahmen MW Mittelwert N Stichprobengröße Npar Number of parameters IV Inhalt PTBS Posttraumatische Belastungsstörung PTSD Post-Traumatic Stress Disorder SB Somatische Beschwerden SD Standardabweichung SG Suizidgedanken SKID-II Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV, Achse II: Persönlichkeitsstörungen SPSS Statistical Package for Social Sciences TE Traumatische Erfahrungen YPI Youth Psychopathic Traits Inventory ZGB Zivilgesetzbuch 5 Theorie 1 Theorie 1.1 Prävalenz psychischer Störungen und Traumatisierungen bei Heimkindern Children and youth residing away from their parents in court-ordered care represent one of the most vulnerable and disadvantaged groups in Western society. (Tarren-Sweeney, 2008, S.345) Das obige Zitat fasst in einem Satz zusammen, was die Forschung der letzten Jahre im Bereich des Heim- und Pflegekinderwesens mit Zahlen eindrucksvoll belegt: Je nach Studie erfüllen 44–96 % der Heim- und Pflegekinder die Diagnosekriterien für mindestens eine psychische Störung (Blower et al., 2004; Ford et al., 2007; McCann et al., 1996; Meltzer et al., 2003b; Schmid et al., 2008). Viele dieser Kinder und Jugendlichen weisen neben einer hohen Symptombelastung zudem eine hohe Komorbidität (d.h. mehr als eine psychische Störung) auf und leiden unter einer komplexen Psychopathologie, die gekennzeichnet ist durch Bindungsprobleme, unsichere Beziehungen, posttraumatischen Stress, Verhaltensauffälligkeiten, deutlichen Aufmerksamkeitsproblemen und Hyperaktivität sowie selbstverletzendes Verhalten (Tarren-Sweeney, 2008). Eine aktuelle Studie in Deutschland konnte zeigen, das von 557 Jungen und Mädchen einer Heimstichprobe fast 60 % mindestens eine und 37,7 % mehr als eine ICD-10-Diagnose aufweisen. Die häufigsten Diagnosen waren mit 26 % die Störung des Sozialverhaltens und mit 22 % die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (Schmid, 2007). Insgesamt gleichen Heimkinder damit in Ausprägung und Häufigkeit psychischer Belastungen eher klinischen Stichproben als Kindern aus der Allgemeinbevölkerung. In Deutschland finden sich bei Kindern und Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung Prävalenzen psychiatrischer Diagnosen von 15 bis 22 % (Ihle & Esser, 2002). Im Kinderund Jugendgesundheitssurvey 2007 wurden in einer deutschlandweiten, repräsentativen Stichprobe die Eltern von 7102 Mädchen und 7376 Jungen im Alter von 0-17 Jahren zu Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder befragt (Hölling et al., 2007). Es zeigte sich, dass bei 9,1 % der Kinder und Jugendlichen von den Eltern deutliche emotionale Probleme und bei 14,8 % deutliche Verhaltensprobleme angegeben wurden (Hölling et al., 2007). Ford et al. (2007) verglichen die Stichproben drei großer Untersuchungen von Heim- und Pflegekindern in England, Schottland und Wales mit Kindern, die in privaten Haushalten bei ihren Eltern leben (Meltzer et al., 2003a; Meltzer et al., 2000; Meltzer et al., 2004a, Theorie 6 2004b). Der Vergleich ergab, dass die vom Jugendhilfesektor betreuten Kinder nicht nur gegenüber Kindern aus sozial gut gestellten Haushalten, sondern auch gegenüber Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus eine sehr viel höhere psychosoziale Belastung und Prävalenz psychiatrischer Diagnosen aufwiesen. Insgesamt erfüllten ca. 46 % der platzierten Jungen und Mädchen die Kriterien für eine psychiatrische Diagnose, bei der Gruppe der stationär untergebrachten Kinder („residential care“, n = 279) waren es 71 %. Dagegen wurde „nur“ bei 14,6 % der Jungen und Mädchen aus den sozial benachteiligten Haushalten eine Diagnose festgestellt; auch fanden sich seltener Lernschwierigkeiten und Probleme beim Lesen und Rechnen. In der Gruppe der Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus zeigte sich mit 8,5 % die niedrigste Prävalenz psychiatrischer Störungen. Ford et al. (2007) kommen zu dem Schluss, dass Kinder innerhalb des Betreuungssystems des Jugendhilfesektors insgesamt eine signifikant geringere psychische Gesundheit aufweisen als die am meisten sozial benachteiligten Kinder außerhalb des Systems. Solche Ergebnisse sind für die Praxis der Heimerziehung von hohem Interesse, da die Effekte von Erziehungsmaßnahmen bei psychisch stark belasteten Jugendlichen sehr viel schwächer ausfallen bzw. Maßnahmen häufiger abgebrochen werden (Baur et al., 1998; IKJ - Institut für Kinder und Jugendhilfe Mainz, 2002; Joshi & Rosenberg, 1997; Macsenaere & Herrmann, 2004; Schmidt et al., 2002). Dies belegt beispielsweise die Jugendhilfe-Effekte-Studie (Hohm & Petermann, 2000; Schmidt et al., 2002; Schmidt et al., 2000), eine große prospektiv angelegte Längsschnittsuntersuchung in Deutschland. Die Ergebnisse dieser Studie machen deutlich, dass Heimerziehung zwar wirkt, jedoch die Erfolge bei psychopathologisch stark belasteten Jugendlichen geringer sind und die Abbruchquote mit 28 % sehr hoch ist. Die hohe psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen in Heimeinrichtungen wird unter anderem auf die schwierigen Entwicklungsbedingungen im Werdegang der Betroffenen zurückgeführt. Es gilt mittlerweile als belegt, dass kumuliert auftretende Risikofaktoren generell die Entwicklung psychischer Belastungen und Störungen begünstigen (z.B. Cicchetti & Toth, 2000; Drabick et al., 2006; Hanson et al., 2006; Ihle et al., 2002; Kopp & Beauchaine, 2007; Laucht et al., 2001; Rutter & Quinton, 1977; TarrenSweeney, 2008). Solche Risikofaktoren stellen neben genetisch bedingten Prädispositionen z. B. eine niedrige Sozialschicht, wenig soziale Unterstützung, Alkoholabhängigkeit der Bezugspersonen sowie psychische Erkrankungen in der Herkunftsfamilie, zerrüttete Familienverhältnisse und Traumatisierungen durch Vernachlässigung und Misshandlung dar (z.B. Burns et al., 2004; Ihle et al., 2002). Der Zusammenhang zwischen in der Theorie 7 Kindheit erlebten Traumata und Psychopathologie wird an späterer Stelle noch genauer dargestellt (siehe Kapitel 1.3). Die intuitive Vermutung, dass Heim- und Pflegekinder verstärkt solchen Risikofaktoren und traumatischen Erlebnissen ausgesetzt sind, ist auch empirisch bereits mehrfach belegt worden: So wurden etwa im Rahmen der Kinderdorf-Effekte-Studie (Klein et al., 2003) die untersuchten Kinder unter anderem auf der Achse V des multiaxialen Klassifikationsschemas (Remschmidt et al., 2001) eingestuft. Auf dieser Achse werden gravierende psychosoziale Belastungsfaktoren wie etwa eine abweichende Elternsituation, sexueller Missbrauch, psychische Erkrankung eines Elternteils sowie unzureichende Aufsicht und Steuerung erfasst. Es zeigte sich, dass durchschnittlich über 6 der 8 psychosozialen Risikofaktoren auf die in der Studie untersuchten Mädchen und Jungen aus den Kinderdörfern zutrafen. Burns et al. (2004) berichten, dass in ihrer amerikanischen Stichprobe von Kindern und Jugendlichen, die Kontakt mit dem Jugendamt hatten, 63,6 % Vernachlässigung, 53 % Schläge und 55 % sexuellen Missbrauch erlebt hatten. Zudem konnte bei 60,7 % der Eltern ein gravierender Risikofaktor gefunden werden (Sucht, andere psychische Störungen, körperliche Erkrankung, Gewalttätigkeit). In Großbritannien konstatierte das Department of Health im Jahr 2001, dass über 60 % der in das Jugendhilfesystem aufgenommenen Kinder und Jugendlichen zuvor körperlich misshandelt, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden waren (vgl. Richardson & Lelliott, 2003). Hukkanen et al. (2003) untersuchten die Kinder mehrerer kleiner Kinderheime („children’s homes“) in Finnland und stellten fest, dass 70 % mehr als ein traumatisches Erlebnis vor der Platzierung hatten. Häusliche Gewalt wurde mit 58 % am häufigsten berichtet, ca. 20 % waren körperlich misshandelt, weitere 20 % sexuell missbraucht worden. Bei Kindern und Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung liegt die Prävalenz traumatischer Erfahrungen dagegen niedriger: Perkonigg et al. (2000) zeigten, dass 26 % der Jungen und 18 % der Mädchen einer repräsentativen Stichprobe von 3021 deutschen Jugendlichen im Alter von 14 bis 24 Jahren mindestens ein traumatisches Ereignis erlebt hatten. 21 % berichteten von mehr als einem traumatisches Erlebnis; ein Geschlechtsunterschied fand sich hier nicht. Die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung erfüllten in der gleichen Stichprobe 0,1 % der männlichen und 1,2 % der weiblichen Teilnehmer (12-Monats-Prävalenz). In einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe in der Schweiz fand sich eine Lebenszeitprävalenz potentiell 8 Theorie traumatischer Erfahrungen von 27,5 % bei erwachsenen Männern und von 28,5 % bei erwachsenen Frauen (Hepp et al., 2006a); von diesen gaben insgesamt 29 % mehr als eine traumatische Erfahrung an. Die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung erfüllte in der Schweizer Stichprobe niemand (12-Monats-Prävalenz) – allerdings zeigte sich eine Prävalenz von 1,3 % (0,26 % für Männer, 2,21 % für Frauen) für die Diagnose einer subklinischen PTBS. In beiden Studien mussten die benannten traumatischen Ereignisse dem DSM-IV-Kriterium A1 (potentielle oder reale Todesdrohung, ernsthafte Verletzung oder Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder anderen) genügen. In den USA fanden sich dagegen sehr viel höhere Prävalenzraten in der Allgemeinbevölkerung, obwohl die gleichen Kriterien angelegt wurden: In einer longitudinale Studie von Copeland et al. (2007) wurden 1420 US-amerikanische Kinder und Jugendliche im Alter von 9, 11 und 13 Jahren bis zum 16. Lebensjahr jährlich befragt. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Lebenszeitprävalenz für mindestens ein traumatisches Erlebnis von knapp 68 %: Etwa ein Viertel gab an, bereits eine Gewalterfahrung gemacht zu haben, 11 % berichteten von einem Sexualtrauma wie sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung. Insgesamt 37 % der befragten Kinder und Jugendlichen gaben mehr als ein traumatisches Erlebnis an. Allerdings erfüllten nur 0,4 % der Befragten die Diagnose einer PTBS. Zusammenfassend wird deutlich, dass es sich bei Kindern und Jugendlichen in der stationären Jugendhilfe im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung um eine Hochrisikopopulation handelt und dementsprechend großer Bedarf an adäquater Behandlung besteht. 1.2 Prävalenz psychischer Störungen und Traumatisierungen bei straffälligen Jugendlichen Ähnlich hohe Prävalenzraten psychischer Auffälligkeiten wie bei Heimkindern berichten Studien mit jugendlichen Straftätern. So zeigte beispielsweise eine Untersuchung von Cauffman (2004) an 18.607 Jugendlichen im Strafvollzug in den USA, dass 70 % der männlichen und 81 % der weiblichen Jugendlichen auf mindestens einer Symptomskala eines standardisierten klinischen Fragebogens (The Massachusetts Youth Screening Instrument Version 2 (Maysi-2) – siehe S. 36) mehr als eine Standardabweichung über dem Mittelwert lagen (vgl. Grisso & Barnum, 2006). Damit bestätigt bzw. übertrifft diese Studie andere mit klinischen standardisierten Interviews erhobene Prävalenzraten Theorie 9 psychiatrischer Diagnosen von zwischen 60 % und 70 % (Abram et al., 2003; Desai et al., 2006; Teplin et al., 2002; Vreugdenhil et al., 2004; Wasserman et al., 2002). So fanden beispielsweise Teplin et al. (2002) bei einer Stichprobe von 1.829 inhaftierten Jugendlichen anhand des Diagnostic Interview Schedule for Children (DISC) heraus, dass 66,3 % der Jungen und 73,8 % der Mädchen mindestens eine psychiatrische Störung aufwiesen. Diese Ergebnisse können jedoch nicht ausschließlich durch externalisierende Verhaltensstörungen erklärt werden, da die Prävalenzraten ähnlich hoch blieben, wenn die Störung des Sozialverhaltens („Conduct Disorder (CD)“) aus den Auswertungen ausgeschlossen wurde. Neben Substanzabhängigkeit und Störungen des Sozialverhaltens zeigten viele der Jugendlichen zudem eine Posttraumatische Belastungsstörung (11–14 %) und/oder eine Affektive Störung (19–28 %) (Teplin et al., 2002). Angesichts dieser Zahlen kommen Desai et al. (2006) zu dem Schluss, dass – selbst wenn ein gewisser Anteil der berichteten Symptome auf die stressvolle Situation der Inhaftierung zurückzuführen ist – die Mehrzahl der Jugendlichen im Strafvollzug an einer psychiatrischen Störung leidet. Weitere Auswertungen der Arbeitsgruppe um Teplin ergaben ein hohe Komorbidität: 75 % der Jugendlichen mit einer psychiatrischen Diagnose erfüllten auch die Kriterien für zwei oder mehr Störungen (Abram et al., 2003). In einer Untersuchung in der Schweiz mit 45 delinquenten jungen Männern (18–25 Jahre) in Maßnahmenzentren (früher: Arbeitserziehungsanstalten) wurden neben Achse-1Diagnosen des DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Version 4, APA - American Psychiatric Association, 1994; Sass et al., 2003) auch Persönlichkeitsstörungen über die Achse 2 erfasst (Möller et al., 2001). Während eine Achse-1-Diagnose bei nur 87 % der Insassen gestellt wurde, erfüllten alle die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung. Am häufigsten wurden mit 47 % bzw. 44 % BorderlineStörungen und antisoziale Persönlichkeitsstörungen beschrieben. Alle Störungen zusammengefasst, ergab sich ein Mittelwert von 2,8 Diagnosen je Insassen. Die Arbeitsgruppe um Möller beschreibt zudem, dass 31 % der jungen Männer mindestens einen Suizidversuch in der Vergangenheit angaben. Penn et al. (2003) berichten hierzu von einer zwar niedrigeren, aber immer noch hohen Rate von 12 % bei 12- bis 18-jährigen inhaftierten Straftätern in den USA, von denen 60 % eine gewaltsame Methode für den Suizidversuch wählten. Solche Zahlen sind alarmierend – nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass bei Theorie 10 straffälligen Jugendlichen eine diagnostizierte psychische Störung mit einer höheren Rückfallrate einhergeht (Überblick bei Grisso et al., 2005). In den USA zeigte sich, dass straffällige Jugendliche mit psychischen Symptomen im Durchschnitt länger inhaftiert blieben als diejenigen ohne Belastungen (U. S. House of Representatives Committee on Government Reform, 2004). Möller et al. (2001) ziehen aus den Ergebnissen ihrer Untersuchungen in Schweizer Maßnahmenzentren unter anderem das Fazit, dass angesichts der festgestellten psychischen Störungen nicht anzunehmen ist, „dass Arbeitsmaßnahmen als solche auf die psychiatrische Morbidität Einfluss nehmen und das inskünftige Deliktrisiko verringern (Möller et al., 2001, S. 152)“. Hier ergibt sich implizit die Frage nach der Bedeutung und Wirksamkeit forensisch-psychiatrischer/psychologischer Behandlungsansätze, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann (für weitere Lektüre siehe beispielsweise Braham et al., 2008; Hollin & Palmer, 2009; Loeber & Farrington, 1998; McGuire et al., 2008; Trupin et al., 2002). In noch stärkerem Ausmaß als Heim- und Pflegekinder berichten straffällige Jugendliche von traumatischen Erlebnissen: In einigen Studien geben ca. 90 % der Befragten an, mindestens ein traumatisches bzw. belastendes Erlebnis gehabt zu haben (Abram et al., 2004; Carrion & Steiner, 2000; Cauffman et al., 1998; Ruchkin et al., 2002), andere finden Raten von ca. 70–75 % (Ariga et al., 2008; Chapman & Ford, 2008; Steiner et al., 1997). Viele Studien berichten, dass Ereignisse wie „Zeuge von häuslicher Gewalt“ bzw. „Zeuge eines Gewaltverbrechens“ und „Bandengewalt“ am häufigsten genannt werden, aber auch „Opfer von Gewalt“, „körperlicher Missbrauch“ und „Vernachlässigung“ werden beschrieben; in weiblichen Stichproben sind die Raten von Erlebnissen wie sexueller Missbrauch und Vergewaltigung sehr viel höher als in Erhebungen mit männlichen Delinquenten (Abram et al., 2004; Ariga et al., 2008; Burton et al., 1994; Cauffman et al., 1998; Dixon et al., 2005; Ruchkin et al., 2002; Steiner et al., 1997). Abram et al. (2004) stellten bei ihrer Befragung von 898 inhaftierten Jugendlichen anhand des PTSD-Moduls des DISC-IV fest, dass signifikant mehr Jungen (92,5 %) als Mädchen (84 %) von einem traumatischen Erlebnis berichten. “Seen or heard someone get hurt very badly or be killed” war das von beiden Geschlechtern am häufigsten angegebene Erlebnis, gefolgt von “threatened with a weapon” und “you thought you or someone close to you was going to be hurt very badly or die” (Abram et al., 2004, S.406). Die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erfüllten in ihrer Stichprobe allerdings „nur“ 11,2 % (Abram et al., 2004); Geschlechtsunterschiede stellten sie dabei keine fest. Eine Übersicht zur Studienlage bezüglich der Prävalenz traumatischer Erlebnisse, von Theorie 11 posttraumatischem Stress sowie der Posttraumatischen Belastungsstörung bei delinquenten Jugendlichen findet sich in Tabelle 1. Die Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung bei jugendlichen Straftätern fällt je nach Studie sehr unterschiedlich aus. So wurde in der Untersuchung von männlichen jugendlichen Straftätern (14–19 Jahre) in Russland eine Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung nach DSM-IVKriterien von 25 % gefunden, 42 % erfüllten die Diagnose teilweise (Ruchkin et al., 2002). Dagegen wurde bei den männlichen Insassen (18–25 Jahre) schweizerischer Maßnahmezentren in der Studie von Möller et al. (2001) keine PTBS diagnostiziert und „nur“ 40 % berichteten von einem lebensgeschichtlichen Ereignis, das nach Maßgabe des A1-Diagnosekriteriums des DSM-IV eine akute Belastungsreaktion induzieren könnte. Allerdings unterscheiden sich diese beiden Studien insbesondere im Hinblick auf das Alter der Teilnehmer. In Untersuchungen mit weiblichen Straftätern werden PTBS-Prävalenzen von 30–50 % berichtet (Ariga et al., 2008; Cauffman et al., 1998; Dixon et al., 2005). Beim Vergleich der Untersuchungen, der in Tabelle 1 dargestellt wird müssen insbesondere die verschiedenen Instrumente berücksichtigt werden. Hierbei spielt eine große Rolle, ob ein Erlebnis beispielsweise erst dann als traumatisch eingestuft wird, wenn es die DSM-IV-A-Kriterien (z. B. lebensbedrohlich, schwere Verletzung, hilflos, starke Angst und Entsetzen) erfüllt. 12 Theorie Tabelle 1: Übersicht zur Prävalenz traumatischer Erlebnisse sowie der (Partial-)PTBS bei straffälligen Jugendlichen Studie Stichprobe Mind. 1 belast. Erlebnis 96 % PartialPTBS PTBS 42 % 25 % 92,5 % k. A. 11,2 % SCID-I (4) 40 % k. A. keine 93 PDI-R (5) 75 % 20 % 32 % 96 PDI-R (5) 89 % 11,7 % 48,9 % 91 Symptom Checklist nach DSMIII-R (Selbsturteil) CAPS (6), MINI-kid (7) InterviewFragen basierend auf ICD-10Kriterien K-SADS-PL (1) k. A. k. A. 24 % 76,5 % 3% 29,7 % 23 % (m) 40 % (w) k. A. 4 % (m) 7 % (w) k. A. k. A. 37 % Maysi-2 (5) 70 % k. A. nicht erhoben Straftäter (11–16 J.) 65 in den USA CTQ (8), CTI (9) 96,8 % k. A. nicht erhoben Sexualstraftäter (12–17 J.) in den USA Interview auf Basis des DSM-IV durch Kliniker 95 % k. A. 65 % Ruchkin et al. (2002) Abram et al. (2004) Möller et al. (2001) Männliche Inhaftierte (14–19 J.) in Russland Inhaftierte (10–18 J.) in den USA Männliche Insassen (18–25 J.) Schweiz. Maßnahmezentren Steiner et Männliche al. (1997) Straftäter (13–20 J.) in den USA Cauffman Weibliche Straftäter et al. (13–22 J.) in den (1998) USA Burton et Männliche al. (1994) Straftäter (13–18 J.) in den USA N Instrumente 370 898 K-SADS-PL (1), CPTS-RI (2) DISC-IV (3) 45 Ariga et al. (2008) Singleton et al. (1998) Weibliche Straftäter 64 (16–19 J.) in Japan Inhaftierte 590 Straftäter (16–20 J.) in England Dixon et al. (2005) Weibliche Straftäter 100 (13,5–19 J.) in Australien Straftäter (10–17 J.) 757 in den USA Chapman & Ford (2008) Carrion & Steiner (2000) Mc Mackin et al. (2002) 40 (1) Kiddie-SADS (Chambers et al., 1985), (2) Child Posttraumatic Stress Reaction Index (Pynoos et al., 1987), (3) Diagnostic Interview Schedule for Children, Version IV (Schaffer et al., 2000), (4) Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse I und II (Wittchen & Frydrich, 1990), (5) Psychiatric Diagnostic Interview Revised (Othmer et al., 1981), (6) Clinician-Administered PTSD Scale for DSM-IV (Blake et al., 1995), (7) Mini-International Neuropsychiatric Interview for Children and Adolescents (Sheehan et al., 1998), (8) Childhood Trauma Questionnaire (Bernstein et al., 1994), Childhood Trauma Interview (Fink et al., 1995) Theorie 1.3 13 Folgen traumatischer Erfahrungen in der Kindheit Die Folgen traumatischer bzw. belastender Erfahrungen in der Kindheit sind vielfältig und können sich auf verschiedene Lebensbereiche des/der Heranwachsenden auswirken. Die Auswirkungen werden beeinflusst von Faktoren wie Schwere, Art und Häufigkeit der belastenden Erfahrungen sowie Entwicklungsstadium und Prädispositionen des Kindes (siehe Seite 18). Außerdem spielen sowohl die spezifischen Eltern-Kind-Interaktionen im Zusammenhang mit etwa Missbrauch und Vernachlässigung als auch der kulturelle und evolutionäre Kontext von Traumatisierungen eine wichtige Rolle (Belsky, 1993; Malinosky-Rummell & Hansen, 1993). In diesem Kapitel werden mögliche Folgen von Traumatisierungen in der Kindheit dargestellt. Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist nur in dem Maße umfassend, in dem es für die vorliegende Arbeit sinnvoll erscheint. Zu berücksichtigen ist, dass sich die meisten Untersuchungen mit den Folgen von körperlichem und/oder sexuellem Missbrauch sowie von Vernachlässigung in der Kindheit befassen. Somit handelt es sich in den meisten Fällen um Kinder, die weniger einmalige belastende Ereignisse als vielmehr eine Geschichte chronischer Traumatisierung erlebt haben. Psychopathologie Die Bedeutung insbesondere von Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch für die Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern ist gut belegt (Cicchetti & Toth, 1995; Finkelhor et al., 2007a, 2009; Ford, 2002; Kaplow & Widom, 2007; Kim & Cicchetti, 2006; Nelson et al., 2002; Putnam, 2003; Rutter et al., 2006; Turner et al., 2006). Besonders dann, wenn traumatische Erfahrungen in einem kritischen Entwicklungsstadium gemacht werden (Cicchetti & Rogosch, 2002) und Missbrauch durch Bezugspersonen stattfindet (Freyd et al., 2007; Schore, 2001; Ullman, 2007), ist das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Störung bzw. einer Posttraumatischen Belastungsstörung sehr hoch. In der Studie von Kessler et al. (1995) lag bei 50–75 % der befragten Jugendlichen und Erwachsenen, die Missbrauch und Gewalt in der Kindheit erlebt hatten, eine PTBS vor. Ebenso zeigten sich bei Kindern mit traumatischen Erlebnissen höhere Prävalenzraten von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen und Störungen des Sozialverhaltens (Famularo et al., 1996; Famularo et al., 1992), Substanzmissbrauch, Ängstlichkeit, Depression und Dissoziation (Finkelhor et al., 2007a; Gordon, 2002; Malinosky-Rummell & Hansen, 1993; Mazza & Reynolds, 1999; Turner et al., 2006). Thornberry et al. (2001) befragten für ihre Längsschnittstudie 738 Jugendliche in den USA Theorie 14 und fanden Zusammenhänge zwischen Misshandlung in der Kindheit und erhöhtem Risiko für Delinquenz, Substanzmissbrauch, Alkoholmissbrauch, depressive Symptome sowie internalisierende und externalisierende Verhaltensauffälligkeiten. Andere Studien zeigen Zusammenhänge zwischen körperlichem bzw. sexuellem Missbrauch in der Kindheit und suizidalem und selbstverletzendem Verhalten im Jugend- und Erwachsenenalter (Bergen et al., 2003; Hukkanen et al., 2003; Malinosky-Rummell & Hansen, 1993). Die Arbeitsgruppe um Bergen et al. (2003) befragte hierzu 2.603 australische High-SchoolSchüler: Die Gruppe der Schüler, die sexuellen Missbrauch berichtete, wies ein höheres Risiko für Suizidalität (Suizidgedanken und -pläne, Selbstverletzung, Suizidversuche), Hoffnungslosigkeit und depressive Symptome auf. Afifi et al. (2009) konnten feststellen, dass posttraumatische Syndrome eng mit suizidalen Gedanken und Suizidversuchen zusammenhängen. Frühe Missbrauchserfahrungen scheinen zudem ein möglicher Prädiktor für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung – insbesondere der Borderline- und antisozialen Persönlichkeitsstörung – zu sein (Carlson et al., 2009; Goodman & Yehuda, 2002; Luntz & Widom, 1994; Natsuaki et al., 2009; Rogosch & Cicchetti, 2004; Salzman et al., 1993; Zanarini, 2006; Zlotnick et al., 2001). Kim et al.(2009a) verglichen in ihrer Längsschnittstudie Kinder mit und ohne Missbrauchserfahrungen hinsichtlich der Entwicklung von Persönlichkeitszügen und Verhaltensweisen. Dabei stellten sie fest, dass Kinder mit multiplen Missbrauchserfahrungen und erlebtem körperlichen/sexuellen Missbrauch eine geringere Selbstkontrolle sowie eine höhere Ausprägung externalisierender Symptome aufwiesen. Dagegen zeigte sich bei Kindern, die bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt Missbrauch erlebt hatten, eine niedrige und über die Zeit abnehmende Selbstresilienz sowie eine höhere Ausprägung internalisierender Symptome. Bindung Die aufgeführten Studien machen deutlich, dass die psychopathologischen Folgen traumatischer Kindheitserlebnisse nicht nur vielfältig, sondern auch langwierig sein können, da sie sich häufig in Form einer psychischen Störung im Jugend- und Erwachsenenalter äußern. Neben psychischen Auffälligkeiten entstehen außerdem häufig Schwierigkeiten in den Bereichen Schule und Arbeit sowie Beeinträchtigungen des Selbstwertsystems und der Beziehungsfähigkeit (Cicchetti & Barnett, 1991; Cicchetti & Cohen, 1995; Kim & Cicchetti, 2004; Kim et al., 2009b; Malinosky-Rummell & Hansen, 1993). Die mangelnde Beziehungsfähigkeit, die sich vor allem in Problemen mit Gleichaltrigen und der Unfähigkeit zur Aufnahme unterstützender Freundschaften äußert, hat ihre Grundlage meist in einer gestörten Bindungsentwicklung. Insbesondere Kinder, Theorie 15 die Missbrauch und Vernachlässigung durch nahe stehende Bezugspersonen erfahren haben, sind in ihren Möglichkeiten eine sichere Bindung aufzubauen stark eingeschränkt (Cicchetti & Toth, 1995; Kim & Cicchetti, 2004; Weinfield et al., 2000; Ziegenhain & Fegert, 2004). Kinder entwickeln ihre Bindungsfähigkeit sowie Repräsentationen von sich selbst in Relation zu anderen, also in der Interaktion und Beziehungsgeschichte mit ihren ersten Bezugspersonen (Bowlby, 1982). Etliche Studien konnten zeigen, dass Kinder mit einer von Missbrauch, Vernachlässigung und familiärem Stress geprägten Vergangenheit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein unsicheres Bindungsverhalten entwickeln als Kinder ohne solche Erfahrungen (Kim & Cicchetti, 2004; Schleiffer & Muller, 2002; Wallis & Steele, 2001; Zegers et al., 2008). Main & Solomon (1990) stellten bei ihren Untersuchungen mit misshandelten Kindern fest, dass diese häufig einen Bindungsstil zeigten, der sich nicht einem der 3 „klassischen“, von Ainsworth et al. (1978) definierten Typen (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent) zuordnen ließ. Stattdessen fanden sie eine Kombination von mittlerer bis hoher Suche nach Nähe, mittlerer bis hoher Vermeidung sowie mittlerer bis hoher Ambivalenz, die sie „desorganisiert/desorientiert“ benannten und die nach neuerer Klassifizierung zum „hochunsicheren“ Bindungsverhalten gezählt wird (Ziegenhain & Fegert, 2004). Doch nicht nur bei Kindern mit Misshandlungsund Vernachlässigungserfahrungen, sondern auch bei Kindern mit psychisch kranken bzw. alkohol- oder drogenabhängigen Eltern zeigt sich gehäuft ein hoch unsicherer Bindungsstil (Ziegenhain & Fegert, 2004). In einer Untersuchung von Zegers et al. (2008), die 61 Jugendliche in Heimeinrichtungen auf der Basis des Adult Attachment Interviews (AAI, Main et al., 1985) befragten, wiesen nur knapp 10 % der Jugendlichen einen sicheren Bindungsstil auf. Vor dem Hintergrund, dass viele Heimkinder zudem häufige Abbrüche und Neuplatzierungen erleben, so dass Kontinuität in Beziehungen kaum oder gar nicht erfahren wird, erscheint dieses Ergebnis besonders tragisch. Kognitive Verzerrungen Eine gestörte Bindungsentwicklung hat, wie bereits erwähnt, weitreichende Konsequenzen für alle weiteren zwischenmenschlichen Beziehungen, die in der Phase des Heranwachsens eine wichtige Rolle spielen. Die mit dem hoch unsicheren Bindungsstil einhergehenden kognitiven Strukturen, die die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung der Umwelt bestimmen, werden auf neue Beziehungserfahrungen projiziert und äußern sich in negativen Erwartungen an das Verhalten anderer (Cicchetti & Toth, 1995). Bei Kindern mit einer unsicheren Bindung unterliegen soziale Wahrnehmungsprozesse kognitiven Verzerrungen, die geprägt sind durch Misstrauen, Ärger, Feindseligkeit und/oder Furcht Theorie 16 (Guttmann-Steinmetz & Crowell, 2006). Dieser Zusammenhang gilt als eine mögliche Erklärung, warum viele Kinder mit erlebter Misshandlung – insbesondere mit Gewalterfahrungen – in sozialen Interaktionen häufiger aggressiv reagieren (Dodge et al., 1990a; Dodge et al., 1990b; Dodge & Schwartz, 1997; Guttmann-Steinmetz & Crowell, 2006; Lansford et al., 2006a; Shahinfar et al., 2001). So entsteht ein Teufelskreis, da ein Kind mit impulsivem, aggressivem Verhalten bei Gleichaltrigen auf Ablehnung und Zurückweisung stößt und sich damit seine negativen Beziehungserfahrungen wiederholen. Als Konsequenz hiervon steigt das Risiko, dass die Nähe zu anderen aggressiven, delinquenten Peers bzw. „Gangs“ gesucht wird, die die Bereitschaft zur Delinquenz steigern (Dodge et al., 2003; Kupersmidt et al., 1990; Maschi et al., 2008; Shields et al., 2001). Neben kognitiven Verzerrungen spielt bei der Entwicklung von aggressivem und delinquentem Verhalten außerdem eine gestörte Regulation von Emotionen eine zentrale Rolle, die ebenfalls im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit betrachtet werden kann. Im Folgenden wird hierauf näher eingegangen. Regulation von Affekten, Aggression und delinquentes Verhalten Die Regulation von Affekten ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Leben eines Kindes, aus deren Bewältigung sich weitreichende Implikationen für die weitere Entwicklung ergeben (Cicchetti & Barnett, 1991; Thompson, 1990). Affektregulation wird definiert durch Faktoren innerhalb und außerhalb des Organismus, die affektive Erregung zuordnen, kontrollieren, modulieren und modifizieren, um so das Individuum zu befähigen, sich in emotional erregenden Situationen adaptiv zu verhalten (Cicchetti & Toth, 1995). Das Kind lernt die ersten Schritte zur Regulation seiner Emotionen in der frühen ElternKind-Interaktion, weshalb Misshandlung und Vernachlässigung durch die Bezugspersonen seine Entwicklung besonders beeinträchtigen (Lewis, 1993). Affektive Dysregulation stellt eine der schwerwiegendsten Folgen von Kindheitstraumata dar, da sie Einschränkungen in der Kontrolle von Emotionen, Impulsivität und Ärger bedeutet (Paivio & Laurent, 2001; Schore, 2001, 2003). Kinder mit einer gestörten Affektregulation reagieren häufig impulsiv und aggressiv auf emotional erregende Stimuli, zeigen unangemessen starke Wut und/oder Furcht in Situationen, in denen eher Gefühlsäußerungen der Empathie oder Sorge zu erwarten wären (Day, 2009; Ford, 2002; Paivio & Laurent, 2001). Etliche Studien konnten zeigen, dass misshandelte bzw. missbrauchte Kinder sehr viel häufiger und stärker solche Verhaltensauffälligkeiten und Theorie 17 delinquentes Verhalten aufweisen als Kinder, die keine Misshandlung erlebt haben (Alessandri, 1991; Greenwald, 2002; Haskett & Kistner, 1991; Jaffee et al., 2004; Lansford et al., 2007; Roy, 2005; Schore, 2003; Shields & Cicchetti, 1998; Smith et al., 2005; Stouthamer-Loeber et al., 2002; Stouthamer et al., 2001). So fanden beispielsweise Brodsky et al. (2001) bei 136 depressiven stationär untergebrachten erwachsenen Patienten höhere Impulsivitäts- und Aggressivitäts-Scores sowie häufiger Suizidversuche, wenn Missbrauch in der Kindheit erlebt wurde. Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Impulsivität und Aggressivität auch genetisch bedingte Persönlichkeitsmerkmale sind, die mit den Umweltbedingungen in Interaktion stehen und dementsprechend durch traumatische Erlebnisse verstärkt werden können (Brodsky et al., 2001). Connor et al. (2003) verglichen in ihrer retrospektiven Studie eine klinische Stichprobe von Kindern mit sexueller und/oder physischer Missbrauchserfahrung mit einer klinischen Stichprobe von Kindern ohne Missbrauchserfahrungen sowie mit einer Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung anhand verschiedener Maße für aggressives Verhalten. Die Teilnehmer waren im Alter von 6 bis 17 Jahren. Es zeigte sich, dass die Kinder in klinischer Behandlung mit Missbrauchserfahrung in den Maßen für reaktive und verbale Aggression höhere Werte erreichten als die Kinder aus den anderen beiden Gruppen. Plattner et al. (2007) stellten in einem Vergleich zwischen einer Gruppe von delinquenten Jugendlichen und einer Gruppe von High-School-Schülern fest, dass die straffälligen Jugendlichen höhere Level sowohl negativer „state emotions“ als auch „trait emotions“ aufwiesen. Bei „trait emotions“ handelt es sich um Langzeit-, d. h. eher stabile Persönlichkeitsvariablen, „state emotions“ repräsentieren dagegen akute Reaktionen auf Stimuli, die nur in entsprechenden Situationen auftreten. In einer weiteren Analyse zeigte sich, dass diejenigen aus der Gruppe der delinquenten Jugendlichen, die chronischen körperlichen Missbrauch erlebt hatten, höhere Level von negativer „trait emotion“, insbesondere Traurigkeit, sowie niedrigere Level positiver „trait emotion“ angaben. Dagegen hing die Schwere der traumatischen Ereignisse – vorwiegend emotionaler Missbrauch sowie „Zeuge von Gewalt“ – eher mit negativer „state emotion“ zusammen, insbesondere mit stärkerem Furcht- und Ärger-Erleben. Plattner et al. (2007) schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass straffällige Jugendliche ein von nicht delinquenten Jugendlichen verschiedenes Erlebnismuster negativer Emotionen aufweisen, das mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit zusammenhängt. Kindesmissbrauch, der zumeist mit weiteren Arten von Traumata sowie Chronizität einhergeht (Green et al., 2000; Theorie 18 Margolin & Gordis, 2000), stellt somit ein großes Risiko für die Entwicklung emotionaler Dysregulation, von Aggression und delinquentem Verhalten dar (Plattner et al., 2007). Auch Plattner et al. (2007) weisen auf die Vorläufigkeit ihrer Ergebnisse und Schlussfolgerungen hin, da diese auf Korrelationsberechnungen beruhen. Insbesondere genetisch bedingte Prädispositionen sind als wichtige Moderatorvariable bei der Interpretation zu berücksichtigen. Die Ergebnislage zu den Zusammenhängen zwischen Kindesmissbrauch und vernachlässigung, affektiver Dysregulation und negativer Emotionalität liefert somit interessante Hinweise zu der Ätiologie delinquenten Verhaltens (siehe auch Ford, 2002; Schore, 2003), auch wenn der Einfluss weiterer wichtiger Faktoren wie Genetik, Geschlecht, Familien- und Umweltbedingungen, Resilienz etc. – insbesondere in ihrem Zusammenspiel – noch geklärt werden muss. Auf mögliche Moderatoren zwischen Traumata und ihren Folgen wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Moderatorvariablen zwischen Traumata und ihren Folgen Nicht jedes Kind mit einer traumatischen Vergangenheit entwickelt psychische Auffälligkeiten, wird delinquent oder hat Einschränkungen in seinen sozialen Beziehungen (siehe z.B. Jaffee et al., 2007; Jaffee et al., 2004; Lansford et al., 2006b). Einige Studien haben sich mit Moderatorvariablen befasst, die den Zusammenhang zwischen Traumata und ihren Folgen beeinflussen. Allerdings ergibt eine genauere Analyse der Ergebnisse bisher kein einheitliches Bild, da aufgrund der hohen Komplexität möglicher Einflussvariablen meist nur einzelne Moderatoren in die Untersuchungen mit aufgenommen werden können. Caspi et al. (2002) untersuchten beispielsweise in ihrer Längsschnittstudie, inwiefern der Genotyp den Zusammenhang zwischen Misshandlung in der Kindheit und antisozialem Verhalten moderiert: Dabei stellten sie fest, dass Kinder mit einer hohen Expression des Gens, das für das Enzym MAOA (Monoamine Oxidase A) kodiert, mit geringerer Wahrscheinlichkeit antisoziale Probleme entwickeln als solche mit einer niedrigen Expression. Die Autoren sehen hierin eine mögliche Erklärung dafür, dass nicht alle Opfer von Kindesmisshandlung später delinquentes Verhalten zeigen, da der Genotyp die Vulnerabilität gegenüber Umweltbedingungen beeinflusst (Caspi et al., 2002). In einer longitudinalen Zwillingsstudie von Jaffee et al. (2005) zeigte sich für Kinder mit erlebter physischer Misshandlung und genetischem Risiko für eine Störung des Sozialverhaltens eine um 24 % höhere Wahrscheinlichkeit, Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln, als für Theorie 19 diejenigen mit geringem genetischem Risiko. Geschlechtsunterschiede bei den Folgen von Kindesmisshandlung zeigten sich in einer retrospektiven Untersuchung von Wolfe et al. (2001), bei der 1.419 High-School-Schüler zu erlebtem Missbrauch, sozialer Anpassung sowie partnerschaftlicher Gewalt befragt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass Mädchen, die Misshandlung erlebt hatten, sehr viel häufiger emotionalen Stress wie Ärger, depressive Stimmung und Ängstlichkeit sowie delinquentes Verhalten berichteten als ihre Altersgenossinnen ohne Misshandlungserlebnisse. Bei Jungen mit erlebter Misshandlung war die Anfälligkeit für emotionalen Stress und Delinquenz im Vergleich zu Jungen ohne derartige Erlebnisse dagegen weniger stark erhöht als bei den Mädchen. Dafür gaben sie sehr viel häufiger an, in ihrer Partnerschaft Gewalt und Misshandlung anzuwenden (Wolfe et al., 2001). Diese Ergebnisse können den Autoren zufolge ein Hinweis darauf sein, dass bei Mädchen erlebte Kindesmisshandlung eine noch größere Rolle bei der Entwicklung von Delinquenz spielt als bei Jungen, die unabhängig von solchen Erlebnissen generell häufiger delinquentes Verhalten zeigen. Eher gegenläufige Schlüsse ziehen Krischer & Sevecke (2008) aus ihrer Studie, in der sie einen Zusammenhang zwischen frühen Missbrauchserfahrungen und Psychopathie (erhoben anhand der Psychopathy Checklist – Youth Version (PCL-V, Hare, 2003)) nur bei männlichen und nicht bei weiblichen inhaftierten Straftätern (15–19 Jahre) fanden. Die Autorinnen schließen daraus, dass bei der Entwicklung von psychopathischen Persönlichkeitsmerkmalen bei Mädchen eher andere Faktoren als frühe Traumatisierung eine Rolle spielen. Allerdings unterscheidet sich die Studie von Krischer & Sevecke (2008) von der von Wolfe et al. (2001) nicht nur im Hinblick auf die Stichprobe (inhaftierte Jugendliche vs. Schüler) und die angewendeten Verfahren; eine Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse findet sich sicherlich auch in dem von Krischer & Sevecke erhobenen Konstrukt „Psychopathie“: Psychopathische Persönlichkeitsmerkmale stellen eine mögliche Ursache delinquenten Verhaltens dar, so dass die Ergebnisse von Krischer & Sevecke (2008) darauf hinweisen könnten, dass der Zusammenhang zwischen Trauma und Delinquenz bei männlichen Jugendlichen unter anderem in der Entwicklung psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale begründet ist. Allerdings besteht in der relevanten Literatur Uneinigkeit über den Zusammenhang zwischen traumatischen Erfahrungen und Psychopathie. Blair et al. (2006) schlussfolgern in ihrem Review von Studien zur Entwicklung von Psychopathie, dass psychopathische Persönlichkeitsmerkmale eher genetisch determiniert sind und weniger auf physische oder sexuelle Missbrauchserfahrungen in der Kindheit zurückzuführen sind. Theorie 20 Lewis (1993) zieht aus ihren Untersuchungen die Schlüsse, dass Jungen, die neben Missbrauchserfahrungen auch psychiatrische, neurologische und kognitive Einschränkungen haben, mit größerer Wahrscheinlichkeit aggressives Verhalten zeigen als Jungen ohne bzw. mit nur einer der genannten Einschränkungen. Art und Schwere der traumatischen Erlebnisse spielen in diesem Zusammenhang natürlich eine wichtige Rolle. Chronischer sexueller und körperlicher Missbrauch durch eine bekannte Bezugsperson beinhaltet ein größeres Risiko für negative Folgen als beispielsweise eine einmalige Traumatisierungen durch eine unbekannte Person bzw. einen Unfall (Cicchetti & Toth, 1995; Ford et al., 2006). Mehr noch als die Art der Traumatisierung erhöhen das über einen langen Zeitraum wiederholte Auftreten von traumatischen Stressoren sowie das Erleben vieler verschiedener traumatischer Ereignisse das Risiko und die Schwere posttraumatischer Probleme (Briere et al., 2008; Finkelhor et al., 2007a, 2007b; Green et al., 2000; Tarren-Sweeney, 2008). Terr (1991) unterscheidet zwischen einmaligen Traumatisierungen (z. B. Unfälle oder Naturkatastrophen (Typ I)) und sequentiellen Traumatisierungen (z. B. Vernachlässigung und Kindesmisshandlung (Typ II)), die oft durch nahe stehende Personen über einen langen Zeitraum erfolgen. Während Traumata vom Typ I eher mit den klassischen Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung einhergehen, können Typ-II-Traumata häufig Störungen der gesamten Persönlichkeitsentwicklung zur Folge haben (Terr, 1991; Terr, 1995). In der Untersuchung von Manly et al. (2001) zum Einfluss von Misshandlungszeitpunkt und -art zeigte sich, dass sowohl die Schwere der emotionalen Misshandlungserfahrungen im Kleinkindalter als auch körperlicher Missbrauch im Vorschulalter eine Rolle in der Entwicklung von externalem und aggressivem Verhalten spielen. Dagegen hing die Schwere der körperlichen Misshandlung besonders während der Vorschulphase mit internalisierenden Symptomen und sozialem Rückzug zusammen: Kinder mit chronischen Misshandlungserfahrungen zeigten häufiger unangepasste Verhaltensweisen. In einigen Studien wurde zur Bildung von Gruppen, die sich in Art und Schwere traumatischer Erlebnisse unterscheiden, eine Latente Klassenanalyse (McCutcheon 1998) verwendet. Hebert et al. (2007) fanden auf diese Art und Weise in einer Stichprobe von 149 straffälligen erwachsenen Frauen zwei Klassen, die sich nicht in der Art, sondern in der Häufigkeit traumatischer Erlebnisse unterschieden. In der Gruppe der Frauen, die häufiger belastende Erfahrungen gemacht hatten, zeigten sich u. a. größere Einschränkungen im Funktionsniveau sowie mehr Alkohol- und Drogenprobleme. Romano et al. (2006) untersuchten die Missbrauchserfahrungen in einer Stichprobe aus Theorie 21 schwangeren Jugendlichen und fanden mit einer Latenten Klassenanalyse ebenfalls zwei Gruppen: Hier zeigte sich, dass die Gruppe der Jugendlichen mit multipler Traumatisierung ein vierfach erhöhtes Risiko für eine Störung des Sozialverhaltens aufwies. Interessante Ergebnisse zur Rolle des Zeitpunkts fanden Thornberry et al. (2001) in ihrer Längsschnittstudie, in der sie die Gruppen „Misshandlung nur im frühen Kindesalter (bis 5 Jahre)“, „nur im späten Kindesalter (6–11 Jahre)“, „nur in der Adoleszenz (12–17 Jahre)“ und „chronische Misshandlung“ mit einer Gruppe von Kindern ohne Misshandlungserfahrungen verglichen. Die Outcomes, die im frühen und späten Jugendalter gemessen wurden, waren selbstberichtete Delinquenz, Substanzmissbrauch, Alkoholmissbrauch, depressive Symptome, Teenager-Schwangerschaften, Schulabbrüche sowie internalisierende und externalisierende Verhaltensauffälligkeiten im Fremdurteil. Es zeigte sich, dass diejenigen, die „nur“ in der frühen Kindheit Misshandlung (Vernachlässigung, körperlicher bzw. sexueller Missbrauch) erlebt hatten, sich im späten Jugendalter nicht weiter von Kindern ohne Misshandlungserfahrungen unterschieden. Dagegen fanden sich bei der Gruppe „Misshandlung im späten Kindesalter“ höhere Raten externalisierender Probleme sowie mehr Schulabbrüche; erlebte Misshandlung in der Adoleszenz brachte ein erhöhtes Risiko von delinquentem Verhalten und von externalisierenden und internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten im späten Jugendalter mit sich. Die Gruppe der Kinder mit chronischer Missbrauchserfahrung wies eine erhöhte Delinquenz, einen höheren Substanzmissbrauch sowie mehr Teenager-Schwangerschaften auf. Bei der Interpretation muss jedoch berücksichtigt werden, dass nur eine Auswahl möglicher Outcomes erhoben wurde und Kurzzeiteffekte nicht gemessen wurden. In der Untersuchung von Keiley et al. (2001) finden sich dagegen Hinweise darauf, dass körperliche Misshandlung in der frühen Kindheit (unter 5 Jahren) im Gegensatz zu Misshandlung in der späten Kindheit (älter als 5 Jahre) ein größeres Risiko für externalisierendes und internalisierendes Verhalten in sich birgt. Allerdings wurde in dieser Studie nicht die Gruppe der Kinder mit chronischer Missbrauchserfahrung differenziert. Weitere Studien konnten zeigen, dass etwa ethnische Identität (Bruce & Waelde, 2008) sowie wahrgenommene internale Kontrolle (Bolger & Patterson, 2001) als Resilienzfaktoren wirken, während Kontakte zu delinquenten Gleichaltrigen bei traumatisierten Kindern die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese selbst kriminell werden (Maschi et al., 2008). Bei Heimkindern fanden Ryan & Testa (2005), dass Theorie 22 Instabilität in der Platzierung – d.h. häufige Wechsel zwischen Institutionen – bei männlichen Kindern mit Misshandlungserfahrungen das Risiko von delinquentem Verhalten erhöhen. Bei misshandelten Mädchen fand sich ein solcher Effekt nicht; für sie war das Risiko von delinquentem Verhalten im Vergleich zu Mädchen, die in ihrer Familie bleiben konnten, bereits mit einer Platzierung erhöht. Die Reaktion auf traumatische Erlebnisse scheint zudem durch Persönlichkeitsvariablen moderiert zu werden, zumal diese die individuelle Wahrnehmung der Ereignisse und damit die Schwere der posttraumatischen Stresssymptome beeinflussen (Yehuda & McFarlane, 1995). Schnurr et al. (1993) zeigten bei ihrer Untersuchung von Vietnam-Veteranen, die vor ihrem Militär-Dienst den MMPI (Minnesota Multiphasic Personality Inventory) ausgefüllt hatten, dass die Skalen „Hypochondrie“, „Psychopathie“, „Männliche vs. Weibliche Interessen“ und „Paranoia“ durch Kriegserfahrungen bedingte PTBS-Symptome vorhersagten. Ruchkin et al. (2002) stellten fest, dass bei männlichen delinquenten Jugendlichen ein erhöhtes Neugierverhalten (gemessen mit dem Junior Temperament and Character Inventory (JTCI, Cloninger, 1994)) mit einem erhöhten Risiko für Gewalterfahrungen einherging. Von den Jugendlichen, die traumatische Erfahrungen angaben, zeigten diejenigen häufiger PTBS-Symptome, die hohe Werte in der Skala „Schadensvermeidung“ und niedrige Werte in der Skala „Selbstlenkung“ erreichten. Die Autoren ziehen hieraus den Schluss, dass hohes Neugierverhalten (explorative Aktivität) in Verbindung mit niedriger Schadensvermeidung (Verhaltenshemmung) möglicherweise zu einer Desensibilisierung gegenüber Gewalt und damit zu antisozialem Verhalten führen kann, während hohes Neugierverhalten in Kombination mit hoher Schadensvermeidung die Vulnerabilität bei traumatischen Erfahrungen und damit die Wahrscheinlichkeit für internalisierende Probleme erhöhen kann. Ebenso bedeutet eine niedrige Selbstlenkungsfähigkeit, die Ausdruck psychischer Unreife und mangelnder CopingStrategien ist, dass ein Individuum sensibler auf Umwelteinflüsse reagiert (Ruchkin et al., 2002). Die Liste möglicher Variablen, die den Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und ihren Folgen moderieren, ist mit der obigen Darstellung sicher nicht vollständig behandelt. Sie soll einen ersten Einblick in die Komplexität der Thematik geben, die sich aus der Individualität und besonderen Geschichte jedes einzelnen Kindes ergibt. Angesichts der quantifizierenden und damit automatisch „vereinfachenden“ Ergebnisse von Studien sollte an diese Komplexität immer wieder erinnert werden. Theorie 1.4 23 Das schweizerische Jugendstrafrecht und die Reform vom 1.1.2007 Da die vorliegende Studie in deutschweizerischen Heimeinrichtungen mit sowohl zivil- als auch strafrechtlich untergebrachten Jugendlichen durchgeführt wurde, soll das schweizerische Jugendstrafgesetz mit seiner Reform im Jahr 2007 im Folgenden kurz dargestellt werden. Das schweizerische Jugendstrafrecht ist seit dem 1.1.2007 nicht mehr Bestandteil des schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB), sondern in einem selbständigen Gesetz (Jugendstrafgesetz, JStG) geregelt. Es ist als Sonderstrafrecht jedoch nach wie vor dem Erziehungs- und Betreuungsgedanken verpflichtet und legt somit den Schwerpunkt auf die Spezialprävention (entsprechende Erziehungsmaßnahmen statt Maßnahmenvollzug). Im neuen schweizerischen Jugendstrafgesetz (nJStG) sind Veränderungen im Umgang mit jugendlichen Straftätern festgelegt, wie z. B. die Forderung nach Abklärung der persönlichen Verhältnisse mit Beobachtung und Begutachtung (Artikel 9 nJStG), nach Begutachtung vor der Unterbringung (Artikel 15 nJStG) und nach jährlicher Überprüfung und Evaluation der Schutzmaßnahmen (Artikel 19 nJStG). Die Neuerungen sollen dazu beitragen, den adäquaten Einsatz von geeigneten Maßnahmen bei straffälligen Jugendlichen sicherzustellen. Dies bedeutet, dass im Falle der Straffälligkeit eines Jugendlichen neben der Ermittlung des Sachverhaltes unter Einbezug von Fachpersonen eine eingehende Abklärung zur Person des Jugendlichen sowie zu seinen persönlichen, familiären, schulischen, beruflichen und freizeitlichen Verhältnissen durchgeführt wird. Weiterhin wird geprüft, ob der Jugendliche irgendwelcher Erziehungs-, Betreuungs- oder Therapiemaßnahmen bedarf. Ist dies der Fall, so ordnet die Jugendstrafbehörde eine Schutzmaßnahme an (Aufsicht, persönliche Betreuung, ambulante Maßnahme oder Unterbringung). Sind Schutzmaßnahmen nicht notwendig, so spricht die Jugendstrafbehörde eine Strafe aus (Freiheitsentzug von bis zu einem Jahr – in Ausnahmefällen von bis zu vier Jahren –, eine Buße oder persönliche Leistung oder ein Verweis). Zu jeder Schutzmaßnahme ist zusätzlich eine Strafe auszusprechen, wenn die Tat schuldhaft begangen wurde (so genannter Dualismus: Strafe und Erziehung). Die Bestrafung soll auf den Täter maßgeschneidert sowie erzieherisch und präventiv ausgerichtet sein. Das Strafmündigkeitsalter wurde mit der Reform von 7 auf 10 Jahre hoch gesetzt. Buße und Freiheitsentzug können jedoch nur dann ausgesprochen werden, wenn der Jugendliche zum Tatzeitpunkt 16 Jahre alt war. Alle Schutzmaßnahmen enden spätestens mit dem zurückgelegten 22. Lebensjahr. Theorie 24 Der Erziehungsgedanke im schweizerischen Jugendstrafrecht stand bereits vor der Strafrechtsreform im Vordergrund. Trotz der zuvor niedrig gesetzten Strafmündigkeit (ab 7 Jahre) wurde bis zur Reform auf eine Inhaftierung von Jugendlichen fast gänzlich verzichtet; stattdessen wurden Platzierungen in Heimen oder Pflegefamilien vorgezogen. Fast alle Einrichtungen in der Deutschschweiz haben eine „gemischtes“ Klientel: Es werden sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich eingewiesene Jugendliche betreut. Nur wenige Einrichtungen werden geschlossen geführt bzw. halten eine bestimmte Anzahl an Plätzen für eine geschlossene Platzierung bereit. Einige Einrichtungen – Beobachtungsund Durchgangsheime genannt – nehmen Jugendliche „nur“ zur näheren Abklärung auf. Hier werden Jugendliche für maximal 3 Monate in Krisensituationen platziert, um das weitere Vorgehen zu klären. Des Weiteren gibt es Einrichtungen nur für männliche, straffällige junge Erwachsene ab 18 Jahren, die so genannten „Maßnahmenzentren“. Vergleichbare Einrichtungen für junge Frauen existieren dagegen nicht. 1.5 Zusammenfassung des theoretischen Hintergrunds Es ist deutlich geworden, dass Kinder und Jugendliche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen eine Hochrisikopopulation darstellen, die angesichts einer Prävalenz psychischer Störungen von um die 60 % massiv belastet scheint. Die Studienlage zeigt zudem, dass Heimkinder mehrheitlich mindestens ein traumatisches Erlebnis in ihrer Vergangenheit angeben und dass etliche sogar unter traumatisierenden Bedingungen (z. B. chronische Misshandlung oder Vernachlässigung) aufgewachsen sind. Ähnliche, zum Teil sogar noch höhere Prävalenzraten psychischer Störungen und Traumatisierungen lassen sich bei straffälligen Jugendlichen in Haft finden. Je nach Untersuchung und Definition von traumatischem Stress geben bis zu 96 % der befragten Jugendlichen an, mindestens ein traumatisches Erlebnis gehabt zu haben. Folglich handelt es sich bei Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfemaßnahmen und straffälligen Jugendlichen in Haft um eine hoch belastete, vulnerable Population. Betrachtet man die möglichen Folgen traumatischer Erlebnisse, so wird deutlich, dass ein Großteil der erlebten Belastungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Heimkindern auf traumatischen Stress zurückzuführen ist. In Kapitel 1.3 wurde gezeigt, dass es sich bei den möglichen Folgen um psychische Störungen, Anpassungsschwierigkeiten, Bindungsentwicklungsstörungen, selbstverletzendes und suizidales Verhalten sowie Suchtproblematiken handelt; doch auch aggressives und Theorie 25 delinquentes Verhalten, moduliert durch affektive Dysregulation und kognitive Verzerrungen, steht mit einer traumatisierenden Vergangenheit in Zusammenhang. Allerdings ist bei der Interpretation solcher Zusammenhänge zu berücksichtigen, dass viele weitere Faktoren die jeweils individuelle Reaktion auf traumatischen Stress und damit dessen mögliche Folgen moderieren. Solche Moderatoren sind vielfältig und umfassen neben Variablen wie Geschlecht sowie Art, Schwere und Zeitpunkt des Traumas beispielsweise auch Faktoren wie Genotyp, Persönlichkeit oder ethnische Identität. Die Theorierecherche ergab zudem, dass bisher in nur wenigen Studien statistische Verfahren (z. B. Cluster-Analysen oder Latente Klassenanalysen) zur Bildung von Subgruppen auf Basis von berichteten traumatischen Erlebnissen eingesetzt wurden (Hebert et al., 2007; Romano et al., 2006; Shevlin & Elklit, 2008). Keine der Studien, in der diese Verfahren angewendet wurden, bezieht sich auf Heimjugendliche bzw. straffällige Jugendliche. Ebenfalls wurden bislang keine Zusammenhänge zwischen den gebildeten Gruppen und Delinquenz untersucht. 1.6 Ableitung der Fragestellungen Vor dem Hintergrund der aktuellen Studienlage leiten sich für die vorliegende Arbeit mehrere Fragestellungen ab: (1) Wie hoch liegt die Prävalenz traumatischer Erlebnisse sowie der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Heimkindern und -jugendlichen in der Deutschschweiz? Zeigen sich Unterschiede nach Geschlecht (a)? (2) Gibt es Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die eine ähnlich traumatische Vergangenheit haben, also ein ähnliches „Profil“ im Hinblick auf Art und Anzahl der erlebten traumatischen Ereignisse aufweisen? Unterscheiden sich die Kinder und Jugendlichen mit unterschiedlichen „Traumaprofilen“ in Psychopathologie und Funktionseinschränkung (a) sowie in Delinquenz (b)? (3) Wirken sich unterschiedliche „Traumaprofile“ von Kindern und Jugendlichen in Heiminstitutionen auf die stationäre Maßnahme aus? Das bedeutet: Hat die jeweilige traumatische Vergangenheit Auswirkungen auf die Zufriedenheit mit der Maßnahme (a), auf die Häufigkeit vorheriger Institutionswechsel (b), den aktuellen kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungsstatus und die Einschätzung der Betreuer nach Behandlungsbedarf (c)? Theorie 26 Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Hypothesen: Bisher existiert keine epidemiologische Erfassung der Prävalenz von traumatischen Erlebnissen und Posttraumatischen Belastungsstörungen in der Heimpopulation der Deutschschweiz. In der vorliegenden Arbeit soll dieser Themenkomplex umfassend dargestellt werden. Dabei wird angenommen, dass sowohl die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse als auch die Prävalenz der PTBS bei der Heimpopulation höher als bei Kindern und Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung liegen (Hypothese 1). Während kein Unterschied in der Prävalenz traumatischer Erfahrungen zwischen Jungen und Mädchen erwartet wird (Hypothese 1a), wird eine höhere Prävalenz der PTBS bei weiblichen Kindern und Jugendlichen angenommen (Hypothese 1b). Es wird erwartet, dass sich die Kinder und Jugendlichen der Stichprobe in dem Ausmaß, in dem sie in der Vergangenheit traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren, unterscheiden, so dass sich auf Basis von Art und Anzahl erlebter traumatischer Ereignisse Subgruppen bilden lassen (Hypothese 2). Da die Zusammenhänge zwischen traumatischen Erfahrungen, Psychopathologie und Delinquenz von der Art und Anzahl der erlebten traumatischen Ereignisse beeinflusst werden, wird zudem angenommen, dass sich die gebildeten Subgruppen hinsichtlich der folgenden Parameter unterscheiden: Psychopathologie und Funktionseinschränkung (Hypothese 2a), Delinquenz (Hypothese 2b) Außerdem wird davon ausgegangen, dass sich die Kinder und Jugendlichen in den verschiedenen „Trauma-Subgruppen“ in ihrer Zufriedenheit (Selbst- und Fremdbeurteilung) mit der aktuellen stationären Maßnahme (Hypothese 3a) unterscheiden und in unterschiedlicher Häufigkeit bereits eine vorherige Fremdunterbringung erlebt haben (Hypothese 3b). Ebenso wird angenommen, dass sich die Subgruppen in ihrem kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungsstatus (Hypothese 3c) voneinander unterscheiden. Methoden 27 2 Methoden 2.1 Ziel des Modellversuchs Die Daten der vorliegenden Arbeit wurden im Rahmen des Modellversuchs zur Abklärung und Zielerreichung bei Jugendlichen in stationären Maßnahmen (MAZ.) erhoben. Dieser wird im Folgenden dargestellt. Im Modellversuch werden zwei psychometrische Verfahren implementiert, mit deren Hilfe die zentralen Anforderungen des neuen Jugendstrafrechts (siehe Kapitel 1.4) nach Abklärung und jährlicher Verlaufsbeurteilung in die Praxis umgesetzt werden können: Mit dem Screeningverfahren BARO (Basis Raads Onderzoek) (Gutschner & Doreleijers, 2004) liegt ein strukturiertes und für die Schweiz adaptiertes Untersuchungsinstrument vor, mit dem geklärt werden kann, wann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine psychische Störung vorliegt, wann eine intensivere psychologische oder kinder- und jugendpsychiatrische Abklärung oder die Begutachtung zu platzierender Jugendlichen indiziert ist (Art. 9 nJStG) und/oder welche strafrechtlichen Schutzmassnahmen notwendig sind (Art. 12 bis 20 nJStG). Mit einem speziell für den Modellversuch weiterentwickelten Zielerreichungsinstrument wird den Maßnahmevollzugsinstitutionen ein Instrument angeboten, das es unter Einbeziehung der Jugendlichen und des sozialpädagogischen Personals ermöglicht, die Wirkung der angeordneten Maßnahmen zu überprüfen (Singer et al., 2009). Mit dem Zielerreichungsinstrument können sowohl allgemeingültige pädagogische Ziele von Maßnahmen als auch individuelle Ziele operationalisiert werden. Auf diese Weise können bei Beginn einer Maßnahme für jeden Jugendlichen individuelle Ziele definiert werden, die seine spezifische Situation und die Möglichkeiten der jeweiligen Einrichtung berücksichtigen. Im weiteren Verlauf kann dann das Erreichen dieser Ziele in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um den Vollzugsbehörden eine Entscheidungshilfe zur Klärung der Frage anzubieten, „ob und wann die Maßnahme aufgehoben werden kann“ (Artikel 19 nJStG). Ein wesentliches Ziel des Modellversuchs ist es daher, die Praktikabilität der beiden angewendeten Verfahren zu überprüfen. Durch den Einsatz weiterer psychometrischer Instrumente soll zudem die Stichprobe im Hinblick auf Psychopathologie, Persönlichkeitsmerkmale, psychiatrische Diagnosen sowie Substanzmissbrauch und Delinquenz genau beschrieben werden. Durch die Anwendung der Verfahren zu zwei Methoden 28 Messzeitpunkte (in einem Abstand von einem Jahr) können außerdem die Effekte der stationären pädagogischen Maßnahmen in der untersuchten Stichprobe abgebildet werden. 2.2 Studiendesign und Prozedere Alle teilnehmenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen (siehe Kapitel 2.3) sowie ihre pädagogischen Betreuer wurden zu zwei Messzeitpunkten im Abstand von maximal einem Jahr bzw. bei Beendigung oder Abbruch der Maßnahme befragt. Zwischen den beiden Messzeitpunkten fand eine vertiefte Diagnostik statt, bei der durch ein strukturiertes Interview unter anderem das Vorliegen einer psychiatrischen Diagnose abgeklärt wurde. Die vertiefte Diagnostik wurde von geschulten Diplom-Psychologen/-innen bzw. einem Kinder-/Jugendpsychiater in den Heimeinrichtungen selbst durchgeführt. Die erste Erhebung und die vertiefte Diagnostik fanden zwischen Herbst 2007 und Herbst 2008 statt und sind bereits abgeschlossen. Die zweite Messung wird zurzeit beendet. Für die Selbst- und Fremdeinschätzungen stand den Heimeinrichtungen eine dafür entwickelte Computerdatenbank zur Verfügung, so dass die Teilnehmer und Betreuer den Zeitpunkt ihrer Eingaben selbst wählen konnten. Da viele verschiedene Verfahren eingesetzt wurden, erhielten die Jugendlichen die Möglichkeit, Pausen einzulegen bzw. die Dateneingabe auf mehrere Tage zu verteilen. Die Teilnehmer konnten bei einigen Verfahren nach dem Ausfüllen auf einen „Anonym“-Button klicken, so dass die Ergebnisse für die Betreuer der jeweiligen Institution nicht sichtbar waren. Bei anderen Verfahren war die Anonymität von vorneherein festgelegt, um Einflüsse wie soziale Erwünschtheit zu reduzieren und damit die Ehrlichkeit der Teilnehmer zu erhöhen. Dies war besonders bei der Erhebung der Dunkelfelddelinquenz wichtig, bei der Jugendliche alle begangenen Delikte angeben sollten. In den jeweiligen Testanleitungen wurden die Jugendlichen über Anonymität bzw. die Möglichkeit zur anonymen Auswertung informiert. Erst nach Bestätigung, dass die jeweilige Erklärung gelesen und verstanden wurde, konnte der Test ausgefüllt werden. Bei der Auswahl der Verfahren wurden sowohl Fremd- als auch Selbstbeurteilungsinstrumente berücksichtigt, da sich der kombinierte Einsatz dieser Instrumente für eine sichere Abschätzung der Psychopathologie bei Kindern und Jugendlichen bewährt hat (Achenbach, 1991; Achenbach & McConaughy, 1987; Plück et al., 1997). Methoden 29 Die Termine für die vertiefte Diagnostik wurden mit den Teilnehmern jeweils individuell vereinbart. Die Befragung dauerte bis zu 4 Stunden. 2.3 Stichprobenrekrutierung und Repräsentativität Das Bundesamt für Justiz (BJ) subventioniert in allen Sprachregionen der Schweiz 177 Heime mit insgesamt 3.793 Heimplätzen. Alle Einrichtungen sind im Heimverzeichnis des BJ aufgeführt. Das Verzeichnis beinhaltet Erziehungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Institutionen für junge Erwachsene, die aufgrund des Bundesgesetzes zu den Leistungen des Bundes für den Straf- und Maßnahmenvollzug anerkannt sind. Kriterien für die Rekrutierung der Stichprobe • Möglichst viele Einrichtungen aus der gesamten deutschsprachigen Schweiz mit stark unterschiedlichen Altersstrukturen, Konzepten und Klienteln. • Weibliche und männliche Jugendliche und junge Erwachsene in stationären Einrichtungen, unabhängig von der Rechtsgrundlage der Maßnahmen (zivil- sowie strafrechtlich). Kriterien für die Selektion der Stichprobe • Jugendliche aus vom Bundesamt für Justiz zertifizierte und subventionierte Einrichtungen in der deutschsprachigen Schweiz. • Teilnehmer im Alter zwischen 10 und 26 Jahren (bei Mädchen aufgrund der früher einsetzenden Vorpubertät auch jüngeres Alter möglich – je nach individuellem Entwicklungsstand). • Voraussichtliche Aufenthaltsdauer mindestens 1–3 Monate. • Unterhaltung muss auf Deutsch möglich sein. • Schriftliche Einverständniserklärung (bei Unter-18-Jährigen Einwilligung der Sorgeberechtigten erforderlich). Von den insgesamt 177 Einrichtungen des Heimverzeichnisses des BJ mit ihren knapp 3.800 Plätzen wurden alle 91 Einrichtungen der Deutschschweiz zu Informationsveranstaltungen eingeladen. 71 der 91 Einrichtungen zeigten daraufhin Interesse an der MAZ.-Studie; 32 Einrichtungen verpflichteten sich letztlich zur Teilnahme. Eine Einrichtung beendete während der Erhebungsphase zum ersten Methoden 30 Messzeitpunkt aufgrund fehlender personeller und zeitlicher Ressourcen die Teilnahme. So nehmen derzeit insgesamt 31 Einrichtungen mit einem Platzangebot von 773 Plätzen an der MAZ.-Studie teil. Nach der Rekrutierungsphase konnten in den Einrichtungen 329 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zur Teilnahme motiviert werden. Die Rekrutierungsrate von ca. 43 % der Jugendlichen war somit zufrieden stellend. Teilweise gestaltete es sich schwierig, eine Einverständniserklärung der Eltern zu erhalten: Eltern, deren Kinder nach vielfachen Beziehungsabbrüchen in einer Institution untergebracht sind, fällt es meist schwer, ihre formal noch vorhandenen Elternrechte auszuüben. In den Untersuchungen hierzu zeigte sich jedoch im anonymen Erzieherurteil, dass die Nichtteilnahme aufgrund der nicht vorhandenen Einwilligung der Eltern nicht zu systematischen Verzerrungen der Stichprobe in Heimkinderpopulationen führt (Schmid 2007). Die Rekrutierungsrate innerhalb der Institutionen variiert stark. In einigen Institutionen konnte nur ein relativ kleiner Teil der Probanden mit einbezogen werden. Insbesondere bei Beobachtungsstationen mit sehr kurzen und oft nicht genau absehbaren Aufenthaltsdauern war es trotz hoher Motivation schwierig, die zusätzlichen Ressourcen für das Projekt über längere Zeiträume hinweg bereitzustellen. Zudem zeigte sich, dass Institutionen, die viele Jugendliche rekrutierten, eine größere Sicherheit im Umgang mit dem erforderlichen Computerprogramm entwickelten und dann tendenziell noch mehr Teilnehmer rekrutierten. Institutionen, die nur wenige Jugendliche stellten, konnten dagegen keine Routine mit dem Computerprogramm entwickeln. In einigen Institutionen war es nicht möglich, mehrere Computer zeitgleich zu verwenden, was intensive Absprachen erforderte und ebenfalls dazu führte, dass nicht mehr Jugendliche innerhalb der teilnehmenden Institutionen rekrutiert werden konnten. Die Einrichtungen repräsentieren die Palette des institutionellen Erziehungsangebots in der Deutschschweiz im Hinblick auf das pädagogische und therapeutische Angebot, die Art der Erziehungsmaßnahmen, die geplante Aufenthaltsdauer sowie die Institutionsgröße und die Anzahl der stationären Plätze: Die größte Einrichtung verfügt über 56, die kleinste über 7 Plätze. Die durchschnittliche Anzahl der Plätze liegt bei 24. Geographisch sind die Einrichtung über neun Kantone der Deutschschweiz und den deutschsprachigen Teil des Wallis verteilt. Methoden 31 Gründe für Nichtteilnahme Die Resonanz in der Heimlandschaft kann insgesamt als sehr positiv beschrieben werden. Insgesamt 25 von 71 interessierten Einrichtungen meldeten sich nach den Informationsveranstaltungen für die Heimleiter/-innen ab, davon 17 unter Angabe von Gründen, die im Folgenden in der Reihenfolge der Häufigkeit der Nennung aufgelistet werden: • Keine zeitlichen und personellen Ressourcen für MAZ. (16 Einrichtungen) • Fehlende EDV-Infrastruktur (3 Einrichtungen) • Eigene Abklärungsinstrumente und „Bewohnernachuntersuchung“, auch in interdisziplinärer Zusammenarbeit (Pädagogen/Therapeuten) (3 Einrichtungen) • Zeitliche Anforderung an die Jugendlichen wird als zu große Belastung eingeschätzt (2 Einrichtungen) • Eigene Qualitätserfassung und -entwicklung implementiert (2 Einrichtungen) • Skepsis gegenüber MAZ.: Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer statistischen Erfassung von „Entwicklungsprozessen“; Kritik an fehlender Nachhaltigkeit und Befürchtung, dass wenig Rückschlüsse möglich sind (2 Einrichtungen) Art der Einrichtungen Die an der Studie teilnehmenden Einrichtungen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Größe bzw. der Anzahl der stationären Plätze, sondern auch in der Art des therapeutischen und pädagogischen Angebots bzw. der Erziehungsmaßnahmen. So nahmen sowohl Erziehungsheime für schulpflichtige Kinder mit Grundschule als auch Maßnahmenzentren für straffällige junge Erwachsene teil. Die Institutionstypologie entspricht der vom BJ vorgenommenen Einteilung. Da in der Studie nicht alle Institutionstypen vertreten sind (Heim für schulentlassene Jugendliche ohne internes Beschäftigungs- und Ausbildungsangebot, Untersuchungshaft, Freiheitsentzug, begleitetes Wohnen), werden diese im Folgenden auch nicht aufgeführt. Zudem handelt es sich bei einigen Einrichtungen um Kombinationen aus verschiedenen Institutionstypen; in diesem Fall treten sie bei den Aufzählungen mehrfach auf. 2 Einrichtungen werden nicht vom BJ finanziert (Kategorie „andere/trifft nicht zu“), wurden jedoch aufgrund ihres großen Interesses an der Studie mit aufgenommen. 32 Methoden 2.4 Beschreibung der verwendeten Verfahren 2.4.1 Erfassung des psychosozialen Funktionsniveaus: Kinder-GAS (Children’s Global Assessment Scale) / ICD-10, Achse VI Die Kinder-GAS wurde aus der Global Assessment Scale for Adults entwickelt (Shaffer et al., 1983) und dient der globalen Erfassung des Grades des Funktionsniveaus bei Kindern und Jugendlichen. Die Skala zwischen 0 und 100 Punkten beschreibt ein hypothetisches Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit und bezieht sich auf Funktionsbeeinträchtigungen, die als Folge einer psychischen Störung, einer spezifischen Entwicklungsstörung oder einer intellektuellen Beeinträchtigung entstanden sind. Die Bewertung bezieht sich auf den letzten Monat. Im Folgenden werden die Skala und ihre Übersetzung in die Achse VI der ICD-10 beschrieben. Letztere dient ebenfalls der globalen Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus. 100–91 (ICD-10 = 0) Hervorragende Funktionsfähigkeit 90–81 (ICD-10 = 0) Gute Funktionsfähigkeit 80–71 (ICD-10 = 1) Leichte Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit 70–61 (ICD-10 = 2) Leichte Schwierigkeiten auf einem Gebiet 60–51 (ICD-10 = 3) Wechselnde Funktionsfähigkeit 50–41 (ICD-10 = 4) Mäßige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit 40–31 (ICD-10 = 5) Erhebliche Funktionsbeeinträchtigung 30–21 (ICD-10 = 6) Funktionsbeeinträchtigung in fast allen Bereichen 20–11 (ICD-10 = 7) Benötigt erhebliche Beaufsichtigung 10–1 Benötigt ständige Beaufsichtigung (24-Stunden-Pflege) (ICD-10 = 8) 2.4.2 Erfassung traumatischer Lebensereignisse und der posttraumatischen Symptombelastung: Das Essener Trauma-Inventar (ETI) Das Essener Trauma-Inventar wurde von Tagay et al. (2007) auf der Grundlage von Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Psychotraumatologie entwickelt (Tagay et al., 2004, 2005). Das Inventar ist ein Selbstbeurteilungsverfahren und setzt sich aus 58 Items zusammen, die aus den Kriterien des DSM-IV für die Posttraumatische Belastungsstörung (Post Traumatic Stress Disorder, PTSD) und die Akute Belastungsstörung (Acute Stress Disorder, ASD) abgeleitet sind. Der Fragebogen besteht aus fünf Teilen: Im ersten Teil werden 14 Methoden 33 Traumata vorgegeben, bei denen der Befragte angeben soll, ob er sie entweder „persönlich“ oder „als Zeuge“ jemals erlebt hat. Als 15. Punkt wird die Möglichkeit gegeben, noch ein anderes, in der Liste nicht enthaltenes Ereignis kurz zu beschreiben. Werden mehrere Traumata angegeben, muss anschließend die Nummer desjenigen Ereignisses genannt werden, das den Befragten am meisten belastet. Im zweiten Teil wird mit Hilfe von 6 Antwortvorgaben eine zeitliche Einordnung dieses Ereignisses vorgenommen. Schließlich werden 6 Ja-Nein-Fragen zu den DSM-IV-Stressorkriterien (AKriterien) in Bezug auf dieses Trauma gestellt um festzustellen, ob das „schlimmste Ereignis“ diese Stressorkriterien erfüllt. Im dritten Teil wird über 23 Items die posttraumatische Symptomatik erhoben: 5 Items zu Symptomen des Wiedererlebens, 7 Items zum Vermeidungsverhalten, 5 Items zum Hyperarousal und 6 Items zur Dissoziation. Diese Items entsprechen den verschiedenen Symptomclustern von PTSD und ASD im DSM-IV. Die Antwortmöglichkeiten zu den Items sind vierfach abgestuft, von „überhaupt nicht (0)“ bis „sehr oft (3)“ – hohe Werte bedeuten somit eine größere posttraumatische Symptomatik. Im vierten Teil werden Symptome körperlicher Beschwerden und die Schwere der aktuellen Gesamtsymptomatik abgefragt; ebenso wird der zeitliche Rahmen der posttraumatischen Symptomatik spezifiziert. Im fünften Teil werden über acht Ja-Nein-Fragen Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Funktionsbereichen erhoben. In einer Studie von Tagay et al. (2007) fanden sich für die einzelnen Skalen Reliabilitätskennwerte zwischen r = .82 und r = .87. Die Gesamtskala (23 Items) wies eine innere Konsistenz (Chronbachs α) von α = .95 auf. Die 4-Faktoren-Struktur (Intrusion, Vermeidung, Hyperarousal und Dissoziation) konnte bestätigt werden. Hinweise auf eine sehr gute Konstruktvalidität zeigten sich durch signifikante Korrelationen des ETI mit weiteren Traumaskalen und Maßen der psychischen Befindlichkeit. 2.4.3 Erfassung der Delinquenz: Kriminologische Fragen im Selbsturteil Zur Erhebung des delinquenten Verhaltens der Jugendlichen in der MAZ.-Stichprobe wurden Fragen aus der Münsteraner Längsschnittstudie zum Dunkelfeld von Delinquenz in einer Schülerpopulation herangezogen (Boers & Reinecke, 2007), wobei noch drei Fragen zu sexuellen Delikten sowie weitere 10 Fragen zu Gesetzeswidrigkeiten im Medienbereich (z. B. Internetraubkopien) hinzugefügt wurden. Die Jugendlichen wurden befragt, ob sie die jeweiligen Delikte jemals begangen haben. Vor Beantwortung der Fragen wurden sie darauf hingewiesen, dass ihre Antworten anonym bleiben; die Fragen konnten erst nach Methoden 34 abgegebener Bestätigung, dass dieser Hinweis gelesen und verstanden wurde, ausgefüllt werden. Die kriminologischen Fragen erfassen sowohl leichte Vergehen wie den Konsum von Gewaltfilmen, Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung als auch schwere Delikte wie KfzDiebstahl und Körperverletzung mit und ohne Waffen. Um eine Einteilung der Jugendlichen aufgrund der von ihnen begangen Delikte vornehmen zu können, wurde eine bereits bestehende Kategorisierung bezüglich des Schweregrads der Delikte aus der Münsteraner Längsschnittstudie übernommen und um Kategorien zu sexuellen Delikten erweitert. Diese Kategorienbildung orientiert sich an einigen Überlegungen zu Prävalenz und Inzidenz, hauptsächlich jedoch am Strafrahmen, der für die jeweiligen Delikte im deutschen Strafgesetzbuch bzw. Betäubungsmittelgesetz festgelegt ist. Die sexuellen Delikte, die in der vorliegenden Stichprobe zusätzlich zu den anderen Delikten abgefragt wurden, wurden nach Strafrahmen in die jeweiligen Gruppen eingefügt, woraus sich folgende Deliktklassen ergeben: • Leichte Delikte: Graffitisprayen, Sachbeschädigung, Scratching, Ladendiebstahl und sexuelle Belästigung • Mittelschwere Delikte: Körperverletzung ohne Waffen, Zwang zu Prostitution, Hehlerei, Fahrraddiebstahl und Drogenhandel • Schwere Delikte: Automatenaufbruch, Kfz-Aufbruch, Kfz-Diebstahl, Einbruchsdiebstahl, Körperverletzung mit Waffen, Raub, Handtaschenraub und Zwang bzw. Nötigung zu sexuellen Handlungen mit jüngeren bzw. gleichaltrigen oder älteren Opfern Die Einordnung eines Jugendlichen in eine der beiden Gruppen erfolgt nach dem „schwersten“ angegebenen Delikt. Wird keines der Delikte angegeben, zählt der Jugendliche zur Gruppe „keine Delikte“. 2.4.4 Erfassung psychopathischer Merkmale: Youth Psychopathic Traits Inventory (YPI) Der YPI ist ein Selbstbeurteilungsverfahren, das zur Messung psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale für Jugendliche ab 12 Jahren entwickelt wurde (Andershed et al., 2002). Er besteht aus 50 Items, die über eine 4-stufige Skala von „stimmt überhaupt nicht“ bis „stimmt genau“ eingeschätzt werden; jeweils 5 Items bilden eine der 10 folgenden Subskalen (mit jeweils einem Beispielitem): Methoden • 35 Oberflächlicher Charme („Mir fällt es leicht, andere zu beeindrucken und zu verführen, um das zu bekommen, was ich von ihnen will.“) • Grandiosität („Ich bin in fast allem besser als alle anderen.“) • Lügen („Manchmal lüge ich, nur weil es Spaß macht.“) • Manipulation („Ich kann Leute dazu bringen, mir fast alles zu glauben.“) • Hartherzigkeit („Schuld und Bedauern zu empfinden, wenn man etwas falsch gemacht hat, ist Zeitverschwendung.“) • Geringe Emotionalität („Nervös und ängstlich zu sein, ist ein Zeichen von Schwäche.“) • Gefühlskälte („Ich bin oft traurig oder bewegt, wenn ich traurige Dinge im Fernsehen oder im Kino sehe.“) • Reizsuche („Ich bin gerne da, wo aufregende Dinge passieren.“) • Impulsivität („Es passiert oft, dass ich zuerst rede und dann nachdenke.“) • Verantwortungslosigkeit („Ich bin oft zu spät zur Arbeit oder zur Schule gekommen.“) Anhand exploratorischer und konfirmatorischer Faktorenanalysen wurden die Subskalen zu drei Faktoren zusammengefasst, die mit dem theoretischen Wissenstand zu Psychopathie übereinstimmen und entsprechend benannt wurden (Andershed et al., 2002): • Interpersonaler Faktor (Oberflächlicher Charme, Grandiosität, Lügen, Manipulation) • Affektiver Faktor (Hartherzigkeit, Geringe Emotionalität, Gefühlskälte) • Behavioraler Faktor (Reizsuche, Impulsivität, Verantwortungslosigkeit) Die internen Konsistenzen der Subskalen (Cronbachs α) reichen von α = .61 bis α = .84; für die 3 übergeordneten Faktoren wurden Konsistenzen von α = .82 (Interpersonal), α = .81 (Affektiv) und α = .68 (Behavioral) nachgewiesen (Andershed et al., 2007). Für die Auswertung kann aus den 3 Oberskalen durch Aufsummierungen der Rohwerte zudem ein Gesamtwert gebildet werden. Eine Normierung existiert bisher nicht. Methoden 36 2.4.5 Screening der psychischen Symptombelastung: Massachusetts Youth Screening Instrument – Second Version (Maysi-2) Der Maysi-2 ist ein kurzes Screeninginstrument, das entwickelt wurde, um Jugendliche mit psychischen Belastungen bei Eintritt in den Jugendstrafvollzug zu identifizieren (Grisso et al., 2001). Es besteht aus 52 Items, die der Jugendliche selbst mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten muss – je nachdem, ob die Frage auf ihn in den letzten Monaten zutrifft oder nicht. Die Items werden 7 Skalen zugeordnet (mit Beispielitem): • Alkohol- und Drogengebrauch („Bist du in Schwierigkeiten geraten, als du betrunken oder high warst?“) • Ärgerlich-Reizbar („Hast du dich schnell aufgeregt?“) • Depressiv-Ängstlich („Hast du dich die meiste Zeit sehr einsam gefühlt?“) • Somatische Beschwerden („Hattest du starke Kopfschmerzen?“) • Suizidgedanken („Hattest du das Gefühl, dass das Leben nicht mehr lebenswert sei?“) • Denkstörungen („Hast du Dinge gesehen, von denen andere sagen, dass sie nicht wirklich vorhanden sind?“) • Traumatische Erlebnisse („Ist dir in deinem gesamten Leben einmal etwas sehr Schlimmes oder Schreckliches passiert?“) Für jede Skala (außer „Traumatische Erlebnisse“) wurden zwei Cut-offs entwickelt, die eine mögliche klinische Auffälligkeit („Caution“-Cut-off) bzw. ein Ergebnis im deutlich auffälligen Bereich („Warning“-Cut-off) anzeigen (Grisso et al., 2001). Aufgrund der Faktorstruktur und der psychometrischen Eigenschaften wurde die Skala „Denkstörungen“ nur für Jungen konzipiert; die Skala „Traumatische Erlebnisse“ besteht aus geschlechtsspezifischen Items. Bisher existieren nur amerikanische Normen für die Altersgruppe 12–17 Jahre. Die Normierung des Maysi-2 fand anhand einer großen amerikanischen Stichprobe (N = 749) im Jugendstrafrechtssystem statt (Grisso & Barnum, 2006). Die internen Konsistenzen (Cronbachs α) der Subskalen des Maysi-2 liegen zwischen α = .61 und α = .86; die Retest-Reliabilität der meisten Skalen ist mit r = .73 bis r = .89 zufrieden stellend, für die Skalen „Somatische Beschwerden“, „Ärgerlich-Reizbar“ und „Denkstörungen“ liegen sie zwischen r = .53 und r = .67 (Grisso et al., 2001). Die faktorielle Validität ließ sich in derselben Studie nachweisen. Methoden 37 2.4.6 Erfassung psychiatrischer Diagnosen: Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia for School-Aged Children, Present and Lifetime Version (Kiddie-SADS-PL) Bei dem Kiddie-SADS-PL handelt es sich um ein semistrukturiertes diagnostisches Interview, das der Erfassung gegenwärtiger und zurückliegender Episoden psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach DSM-III-R und DSM-IV dient (Chambers et al., 1985). Anhand vorformulierter fakultativer Fragen und obligatorisch zu erfassender Symptomkriterien können folgende Diagnosen und Störungen erfragt werden: Major Depression, Dysthymie, Manie, Hypomanie, Zyklothymie, bipolare Störung, schizoaffektive Störung, Schizophrenie, schizophrenieforme Störung, kurze reaktive Psychose, Panikstörung, Agoraphobie, Störung mit Trennungsangst, Vermeidungsstörung im Kindes- und Jugendalter, einfache Phobie, soziale Phobie, Überängstlichkeit, generalisierte Angststörung, Zwangsstörung, Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung, Verhaltensstörung, oppositionelles Trotzverhalten, Enuresis, Enkopresis, Anorexia nervosa, Bulimie, vorübergehende Tic-Störung, Tourette-Syndrom, chronische motorische oder vokale Tics, Alkoholmissbrauch, Substanzmissbrauch, posttraumatische Stressstörung und Anpassungsstörung. Es werden sowohl gegenwärtige Episoden psychischer Störungen als auch die schwerste Episode in der Vergangenheit beurteilt und codiert. Anhand eines anfänglichen ScreeningInterviews werden zunächst die Hauptsymptome für jede Störung erfragt. Zeigt das Kind Symptome einer Störung, folgt das jeweilige diagnostische Erweiterungsinterview. Die Codierung der meisten Items des Kiddie-SADS-PL erfolgt über eine Skala von 0 bis 3. Eine 0 bedeutet dabei, dass keine Angaben gemacht wurden; eine 1 bedeutet, dass das Symptom nicht vorhanden ist. Mit einer 2 werden unterschwellige und mit einer 3 überschwellige Symptomausprägungen codiert. Die übrigen Items werden auf einer Skala von 0 bis 2 eingeschätzt: Die 0 bedeutet „keine Informationen“, die 1 gibt an, dass ein Symptom nicht vorhanden ist, und mit der 2 wird das Vorhandensein des Symptoms codiert. Bei der vorliegenden Studie wurden die Interviews von geschulten Psychologinnen bzw. von einem Kinder- und Jugendpsychiater und einer Sozialpädagogin durchgeführt. Methoden 38 2.4.7 Erfassung von Persönlichkeitsstörungen: Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV, Achse II: Persönlichkeitsstörungen (SKID II) Das SKID II dient der Diagnostik der auf Achse II sowie der zwei im Anhang des DSM-IV aufgeführten Persönlichkeitsstörungen: selbstunsichere, dependante, zwanghafte, negativistische, depressive, paranoide, schizotypische, schizoide, histrionische, narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung sowie Borderlinestörung. Die Anwendung erfolgt in zwei Stufen: Zuerst wird ein Fragebogen eingesetzt, dessen Items die Kriterien des DSM-IV repräsentieren und die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden müssen. Die Items sind sehr allgemein formuliert, so dass für die Erfassung der Kriterien eine hohe Sensitivität besteht. Im nachfolgenden Interview müssen dann nur noch diejenigen Fragen gestellt werden, die im Fragebogen mit „Ja“ beantwortet wurden. Auf einer 3-stufigen Skala von 1 = „Kriterium nicht erfüllt“ bis 3 = „Kriterium erfüllt“ werden die Kriterien codiert. Ein „Cut-off“ gibt an, wie viele Kriterien für die jeweilige Persönlichkeitsstörung erfüllt sein müssen: „Anzahl erfüllt“ enthält die Anzahl der mit „3“ („Kriterium erfüllt“) codierten Kriterien. Bei der Auswertung zeigt sich anhand des „Cut-off“ und der Anzahl der erfüllten Kriterien, ob die Diagnose der jeweiligen Persönlichkeitsstörung zu vergeben ist oder nicht („Diagnose-Index“). Des Weiteren kann ein dimensionaler Score – der „D-Score“ – berechnet werden, der sich aus der Summe der Codierungen auf Kriterienebene ergibt. Bei der vorliegenden Studie wurden die Interviews von geschulten Psychologinnen bzw. von einem Kinder- und Jugendpsychiater und einer Sozialpädagogin durchgeführt. 2.4.8 Biographische Daten Die soziodemographischen Daten wurden in einem eigens entwickelten Anamnesebogen im Fremdurteil durch die Betreuer der Institutionen erfasst. Da den Betreuern oftmals Informationen zu einzelnen Jugendlichen fehlten bzw. nur lückenhafte Informationen vorhanden waren, wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, einzelne Anamnesebögen notfalls unvollständig auszufüllen. Aus diesem Grund sind fehlende Werte bei den biographischen und anamnestischen Daten möglich. Die Fragen zu „Ursache der Maßnahme“ wurden auf einer Skala von 1 (nicht zutreffend) bis 4 (zutreffend) erhoben. Für die Stichprobenbeschreibung wurde die Skala dichotomisiert in „nicht zutreffend“ (Skalenpunkte 1 und 2) sowie „zutreffend“ (Skalenpunkte 2 und 3). Methoden 39 2.4.9 Fragen zur Zufriedenheit Die Fragen zur Zufriedenheit wurden von Keller et al. (2003) entwickelt: In 5 Fragen wird der Jugendliche nach seiner Zufriedenheit mit der Maßnahme befragt, 2 weitere Fragen dienen der Einschätzung der Zufriedenheit des Jugendlichen durch den Betreuer. Die Einschätzungen findet auf einer 5-stufigen Skala von „stimmt nicht“ (1) bis „stimmt vollkommen“ (5) statt. 2.5 Datenaufbereitung und statistische Verfahren Die statistische Datenauswertung erfolgte mit Hilfe der Software-Programmpakete SPSS (Statistical Package for Social Sciences – Version 16.0) und Latent GOLD (Version 4.5). Nach Plausibilitätsprüfung wurden die Rohdaten aus den eingesetzten Fragebögen anhand der Normwerte in Standardwerte überführt. 2.5.1 Deskriptive Statistiken und Mittelwertsvergleiche Neben deskriptiven Statistiken (Mittelwerte, Standardabweichungen, Häufigkeitsverteilungen) wurden Mittelwertsvergleiche zwischen Gruppen mit t-Tests für unabhängige Stichproben durchgeführt. Zur Überprüfung von Gruppenunterschieden in der Verteilung von nominalskalierten Variablen wurdenχ²-Tests eingesetzt. Bei allen Analysen wurde ein zweiseitiges Signifikanzniveau von 5 % zugrunde gelegt, bei multiplen Tests wurden zudem Alpha-Korrekturen nach Bonferroni durchgeführt. Bei Varianzanalysen wurde im Falle nicht homogener Varianzen der Welch-Test und bei Post-HocMehrfachvergleichen der Tamhane-T2 eingesetzt.χ²-Tests wurden bis zu einer erwarteten Zellenbesetzung von mindestens 20 % ausgewertet, bei geringeren Zellenbesetzungen wurde der Exakte Test nach Fisher verwendet. Bei schiefen Verteilungen wurden nonparametrische Tests (Mann-Whitney-U-Test bei zwei Stichproben, Kruskal-WallisTest bei mehr als zwei Stichproben) gerechnet. Zum Vergleich der gebildeten „Trauma-Klassen“ wurden (je nach Skalenniveau der Variablen) Varianzanalysen, Chi-Quadrat-Tests sowie nichtparametrische Tests (KruskalWallis-Test) eingesetzt. 2.5.2 Latente Klassenanalyse Eine Latente Klassenanalyse (Latent Class Analysis (LCA)) (McCutcheon, 1987; Vermunt & Magidson, 2002) wurde mit Hilfe der Software Latent GOLD (Version 4.5) (Vermunt & Magidson, 2000) durchgeführt um zu testen, ob sich in der Stichprobe Klassen von Methoden 40 Teilnehmern mit ähnlichen Profilen traumatischer Erlebnisse finden. Der Latenten Klassenanalyse liegt die Annahme zugrunde, dass Personen aufgrund einer unbeobachteten (latenten) Variablen ähnliche Profile im Hinblick auf kategoriale Indikatoren aufweisen und somit zu Klassen zusammengefasst werden können. In der vorliegenden Studie wurde mithilfe der Latenten Klassenanalyse die Hypothese getestet, dass sich auf Basis ähnlicher „Traumaprofile“ Gruppen von Teilnehmern bilden lassen. Dafür wurden die im ETI (Essener Trauma-Inventar, siehe Kap. 2.4.2) erhobenen 12 traumatischen Erlebnisse, die mit „Ja“ (erlebt) bzw. „Nein“ (nicht erlebt) beantwortet wurden, in die Analyse einbezogen. Die Latente Klassenanalyse berechnet über die Maximum-Likelihood-Schätzung zwei Parameter: Die Prozentanteile der Personen, die den jeweiligen Klassen zugeordnet werden, sowie die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass ein Item von den Personen innerhalb einer Klasse mit „Ja“ beantwortet wird (McCutcheon, 2002). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, das Modell mit der besten Anpassung und der größten Sparsamkeit zu identifizieren. Dafür wurden 1- bis 4-Klassen-Modelle für die 10 Trauma-Items berechnet und anhand verschiedener Parameter hinsichtlich ihrer Modellpassung und ihrer theoretischen Aussagefähigkeit verglichen. Folgende Parameter wurden dabei verwendet: Bayesian Information Criterion (BIC, Schwarz, 1978), und Bozdogan’s CAIC (Consistent Akaike's Information Criterion, Bozdogan, 1987). 2.6 Studienteilnahme Es konnten nur diejenigen Teilnehmer, die das Essener Trauma-Inventar (ETI) ausgefüllt hatten, in die Berechnungen einbezogen werden. Daher mussten 84 Jugendliche von den Analysen ausgeschlossen werden. Aufgrund der generell bei Mädchen früher einsetzenden Pubertätsentwicklung wurden 2 Mädchen im Alter von 8 Jahren sowie 2 Mädchen im Alter von 9 Jahren angesichts ihres Entwicklungsstandes in die Stichprobe mit aufgenommen. Männliche Teilnehmer mussten dagegen das Aufnahmekriterium „Mindestalter 10“ erfüllen. Insgesamt wurden 245 Jugendliche in die allgemeinen Auswertungen aufgenommen. 41 Methoden Latente Klassenanalyse Für die Latente Klassenanalyse wurden weitere Teilnehmer ausgeschlossen. Das Flussdiagramm (Abbildung 1) gibt einen Überblick über die Anzahl der Studienteilnehmer 329 Jugendliche aus insgesamt 31 Einrichtungen rekrutiert Ausgeschlossen: 84 Jugendliche (ETI nicht ausgefüllt) Ausgeschlossen: 5 Jugendliche, da über 20 Jahre alt Ausgeschlossen: 11 Jugendliche, die ausschließlich eines der Ereignisse 10, 11 oder 15 angegeben haben Weitere Ausschlüsse für die Latente Klassenanalyse Ausgeschlossen: 19 Jugendliche, da in Maßnahmezentrum Ausgeschlossen: 2 Jugendliche, da nur 11 der 12 ETI-Items beantwortet 208 Jugendliche werden in die Bildung der Traumaklassen eingeschlossen Ab b i l d u n g 1 : F l u s s d i a g r a m m d e r e i n g e s c h l o s s e n e n F a l l z a h l e n und die Selektion für die Bildung der Trauma-Klassen. Da in den Institutionstyp „Maßnahmezentrum“ ausschließlich männliche junge Erwachsene über 18 Jahre mit strafrechtlicher Einweisung aufgenommen werden, wurden dieser bei der Klassenbildung nicht berücksichtigt, um entsprechende Verzerrungen zu vermeiden. Damit waren in der Stichprobe nur noch 5 Jugendliche über 20 vertreten, die ebenfalls ausgeschlossen wurden, um die Altersverteilung homogener zu gestalten und den Altersbereich einzugrenzen. Das ETI gibt bei 14 Items vordefinierte belastende Lebensereignisse vor, bei Item 15 haben die Teilnehmer die Möglichkeit, ein „anderes belastendes Ereignis“ selbst zu beschreiben. Um Methoden 42 die Jugendlichen in ihren Angaben vergleichen zu können, wurden in die Bildung der Trauma-Klassen nur diejenigen mit aufgenommen, die eines der ETI-Items 1 bis 9 und 12 beantwortet hatten – in diesen Items werden eindeutige traumatische Ereignisse vorgegeben. Die Items 13 („als Erwachsener sexueller Angriff durch fremde Person“) und 14 („als Erwachsener sexueller Angriff durch jemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis“) wurden in der ausgewählten Stichprobe aufgrund des Altersbereiches ausgeschlossen; zudem wurden diese Items von keinem Teilnehmer mit „ja“ beantwortet. Weiterhin wurden die Items 10 („Kampfeinsatz im Krieg oder Aufenthalt im Kriegsgebiet“) und 11 („Folter“) nicht in die Latente Klassenanalyse mit aufgenommen, da nur sehr wenige Jugendliche bei diesen Items „Ja“ angekreuzt hatten, weshalb sie für die Differenzierung der Klassen keine Rolle spielten. Weitere10 Jugendliche wurden aus den Auswertungen ausgeschlossen, das sie zwar ein „anderes belastendes Ereignis“ beschreiben, jedoch keines der Items 1 bis 9 und 12 mit „Ja“ beantwortet hatten. Ein Jugendlicher, der zwar bei Item 10, jedoch bei keinem anderen Item „Ja“ angegeben hatte, wurde ebenfalls ausgeschlossen. Weitere 2 Jugendliche konnten ebenfalls nicht aufgenommen werden, da sie jeweils nur 9 der 10 Items beantwortet hatten; bei der Klassenanalyse ist jedoch das Profil über die 10 Items hinweg interessant. Insgesamt wurden somit 208 Jugendliche in die Latente Klassenanalyse aufgenommen. 43 Ergebnisse 3 Ergebnisse 3.1 Allgemeine Stichprobenbeschreibung 3.1.1 Soziodemographische Merkmale Von den 245 Jugendlichen, die das ETI ausgefüllt haben, sind über ein Viertel weiblich (N = 64, 26 %). Der Altersbereich reicht von 8 bis 25 Jahre mit einem Mittelwert von 16,84 Jahren (SD = 2,83); Jungen (MW = 17,3, SD = 2,7) und Mädchen (MW = 15,4, SD = 2,6) unterscheiden sich in ihrem durchschnittlichen Alter signifikant voneinander (t = 4,91 (243), p <= 0,000). 30% 25% männlich (N= 181) 20% 15% weiblich (N= 64) 10% 5% 0% 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 Ab b i l d u n g 2 : A l t e r s v e r t e i l u n g n a c h G e s c h l e c h t In Abbildung 2 wird deutlich, dass dieser Unterschied auf die im Altersbereich über 20 Jahre unterrepräsentierten weiblichen Teilnehmer zurückzuführen ist. Die meisten männlichen Teilnehmer in diesem Altersbereich stammen aus Maßnahmezentren, in denen ausschließlich junge männliche Erwachsene mit strafrechtlicher Einweisung untergebracht sind. Eine entsprechende Einrichtung für junge Frauen existiert in der Deutschschweiz bisher nicht. In Tabelle 2 sind die wichtigsten soziodemographischen Merkmale dargestellt. 44 Ergebnisse Tabelle 2: Soziodemographische Merkmale Soziodemographische Merkmale (N = 245) N % männlich weiblich 181 64 73,9 26,1 8 – 13 14 – 15 16 – 17 18 – 20 älter als 20 21 69 81 58 16 8,6 28,2 33,1 23,7 6,5 31 55 34 12,7 22,4 13,9 105 42,9 19 7,8 1 0,4 64 27,4 M SD 96,19 14,4 Geschlecht Alter Institution Durchgangs-/Beobachtungsheim Erziehungsheim (mit Grundschule) Erziehungsheim (ohne Grundschule) Erziehungsheim (schulentl. Jgdl. mit internem Beschäftigungs-/ Ausbildungsangebot Maßnahmenzentrum andere Ausländerstatus IQ (N = 219) Der mittlere Intelligenzquotient (IQ) in der Stichprobe liegt mit 96,19 signifikant unter dem Bevölkerungsdurchschnitt (MW = 100) (t = -3,92 (218), p <= 0,000); zwischen den verschiedenen Institutionstypen und den Geschlechtern ergaben sich keine Unterschiede im mittleren IQ. Genauere Analysen zeigen, dass ein größerer Anteil der Teilnehmer im unterdurchschnittlichen Intelligenzbereich (18 %) sowie im Bereich der Debilität (3 %) liegt als in der Allgemeinbevölkerung (14 % bzw. 2 %). Es fällt auf, dass der Anteil der Jugendlichen im weit überdurchschnittlichen Intelligenzbereich (2,7 %) über dem der Allgemeinbevölkerung (2 %) liegt. Etwas mehr als ein Viertel der Jugendlichen hat einen Ausländerstatus, der damit unter dem Durchschnitt der Angaben des Bundesamts für Statistik in der Schweiz für Personen mit Jugendstrafurteil (30,3 %; Bundesamt für Statistik Schweiz, 2008) liegt. 45 Ergebnisse Familiäre Situation Knapp 64 % (N = 169) der Teilnehmer stammen aus Familien, deren Eltern geschieden bzw. getrennt sind. Nur in ca. einem Viertel der Fälle sind die Eltern verheiratet bzw. leben unverheiratet zusammen. Dennoch ist fast die Hälfte (47 %) der Jugendlichen bei beiden Eltern aufgewachsen (Tabelle 3). Das Sorgerecht bis zur Volljährigkeit der Teilnehmer lag zum Zeitpunkt der Erhebung zu 50 % bei der Kindsmutter. Tabelle 3: Familiäre Situation Familiäre Situation (N = 243) N % 67 27,6 155 63,8 17 7 Tod beider Elternteile 3 1,2 unbekannt 1 0,4 Eltern 114 46,9 Mutter 86 35,4 Vater 11 4,5 4 1,6 13 5,3 Heim 6 2,5 anderes 9 3,7 beiden Eltern 74 30,2 Vater 15 7,8 122 49,8 27 11 2 0,8 Eltern verheiratet/ unverheiratet zusammen lebend Eltern getrennt lebend/ geschieden Tod eines Elternteils Aufgewachsen bei Pflegefamilie Verwandte/ Bekannte Sorgerecht bei Mutter Vormund unbekannt Die Daten zu familiären Auffälligkeiten (Tabelle 4) sind insgesamt sehr unvollständig. Neben einem großen Anteil an fehlenden Werten, gaben die Betreuer in vielen Fällen (40 – 60 %) an, dass entsprechende Informationen über den Jugendlichen „nicht bekannt“ seien. Häufiger konnten Aussagen über die Mutter gemacht werden als über den Vater oder die 46 Ergebnisse Geschwister. So war bei 28 % (N = 32) der Jugendlichen, über die Angaben vorliegen, dem Betreuer eine Suchterkrankung der Mutter sowie bei 35 % (N = 41) eine psychiatrische Auffälligkeit der Mutter bekannt. Während nur bei 2 Teilnehmern (2 %) eine bekannte Delinquenz der Mutter angegeben wurde, wussten die Betreuer in 22 Fällen (19 %) von einer Delinquenz des Vaters. Tabelle 4: Familiäre Auffälligkeiten Familiäre Auffälligkeiten (N = 116) N % nicht bekannt Suchterkrankung Delinquenz Inhaftierung Psychiatrische Auffälligkeit 40 22 16 16 34,5 19 13,8 15 50 (43,1 %) 58 (50 %) 61 (52,6 %) 69 (59,5 %) Stationäre Behandlung wegen psychiatrischer Auffälligkeit 6 5,2 72 (62,1 %) Suchterkrankung Delinquenz Inhaftierung Psychiatrische Auffälligkeit 32 2 1 41 27,6 1,7 0,9 35,3 41 (35,3 %) 52 (44,8 %) 46 (39,7 %) 42 (36,2 %) Stationäre Behandlung wegen psychiatrischer Auffälligkeit 18 15,5 46 (39,7 %) 8 20 14 6,9 17,2 12,1 59 (50,9 %) 52 (44,8 %) 58 (50 %) Vater Mutter Geschwister Suchterkrankung Delinquenz Psychiatrische Auffälligkeit Schule und Ausbildung Laut Angaben der Betreuungspersonen bilden die Jugendlichen mit Realschulbesuch (28 %) bzw. in Berufslehre (23 %) die größten Anteile in der Stichprobe; nur 3 Jugendliche (1 %) besuchen aktuell das Gymnasium (Abbildung 3). 47 Ergebnisse 4% 1% Realschule 9% Sekundarschule 28% Gymnasium Anlehre 15% Berufslehre Internat Heiminterne Schule 0% kein Schulbesuch 13% andere 1% 23% unbekannt 6% Ab b i l d u n g 3 : A k t u e l l e r S c h u l b e s u c h Ca. 9 % der Teilnehmer besucht aktuell keine Schule bzw. befindet sich auch in keiner Ausbildung oder Lehre. Dreiviertel haben bereits mindestens einen Schulwechsel hinter sich, für den in 51 % der Fälle disziplinarische Probleme verantwortlich waren (Tabelle 5). Tabelle 5: Gründe für Schulwechsel Gründe für Schulwechsel (N = 238) mind. einen Schulwechsel Disziplinarische Probleme Wohnortwechsel Schulleistungen 3.2 N % 182 93 62 26 76,5 51,4 34,3 14,4 Aktuelle stationäre Maßnahme Knapp ein Drittel der Jugendlichen in der vorliegenden Stichprobe hat einen strafrechtlichen Einweisungshintergrund in die jeweilige Institution. Die meisten der zivilrechtlichen Einweisungen (48 %) stellen Erziehungsbeistandschaften nach schweizerischem ZGB Art. 308 dar (Tabelle 6). 43 % der Teilnehmer (N = 105) ist in einem Erziehungsheim für schulentlassene Jugendliche mit internem Beschäftigungs/Ausbildungsangebot untergebracht; insgesamt 19 junge Erwachsene (8 %) leben in einem Maßnahmenzentrum (Tabelle 2). Das durchschnittliche Alter zu Beginn der jetzigen Maßnahme liegt bei ca. 15 Jahren (SD = 2,9). 48 Ergebnisse Tabelle 6: Einweisungshintergrund Einweisungshintergrund (N = 241) N % Zivilrechtlich insgesamt ZGB Art. 307, Abs. 1-3 (Kindesschutz, geeignete Maßnahme) 115 47,7 8 3,3 ZGB Art. 308, Abs. 3 (Erziehungsbeistandschaft) 50 20,7 ZGB Art. 310 (Aufhebung der elterlichen Obhut) 46 19,1 ZGB Art. 314a (Bei fürsorglichem Freiheitsentzug) 5 2,1 5 2,1 1 0,4 75 30,1 10 4,1 aStGB Art. 91 (Erziehungsmaßnahmen für Jugendliche, altes Jugendstrafrecht) 26 10,8 aStGB Art. 100 (Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt, altes Jugendstrafrecht) 8 3,3 JStG Art. 15 (Unterbringung, gemäß neuem Jugendstrafrecht) 21 8,7 JStG Art. 61 (Einweisung in ein Maßnahmezentrum, gemäß neuem Strafrecht) 10 4,1 Andere 51 21,2 ZGB Art. 405a (Bei fürsorglichem Freiheitsentzug bei Vormundschaft) ZGB Art. 406 (Bei Entmündigung) Strafrechtlich insgesamt aStGB Art. 84 (Erziehungsmaßnahmen für Kinder, altes Jugendstrafrecht) Ursache der Maßnahme Als Maßnahmen-Ursachen werden von den Betreuern am häufigsten „Überforderung der elterlichen Bezugspersonen“ (93 %) sowie „Verhaltensauffälligkeiten des Jugendlichen“ (88 %) angegeben. Bei knapp 60 % der Jugendlichen spielte „Delinquentes Verhalten“ eine Rolle bei der Entscheidung für eine Maßnahme; nur in 11 bzw. 3 Fällen wurde eine „Körperliche Beeinträchtigung“ bzw. eine „Körperliche Behinderung“ als Grund für die Einweisung genannt (Tabelle 7). Tabelle 7: Ursachen der aktuellen Maßnahmen Maßnahmen-Ursache (N = 221) Elterliche Bezugspersonen scheinen überfordert Soziale oder finanzielle Probleme der Herkunftsfamilie N % unbekannt 206 93,2 4 (1,8 %) 121 54,8 14 (6,3 %) 49 Ergebnisse Körperliche Erkrankung in der Herkunftsfamilie Suchproblematik oder psychische Erkrankung der Eltern/Bezugsperson 41 18,6 45 (20,4 %) 98 44,3 39 (17,6 %) 181 81,9 10 (4,5 %) 69 31,2 37 (16,7 %) 11 3 5 1,2 24 (10,9 %) 18 (8,1 %) 61 27,6 30 (13,6 %) Schulische/berufliche Leistungsprobleme 160 72,4 2 (0,9 %) Verhaltensauffälligkeiten des Jugendlichen 194 87,8 2 (0,9 %) Delinquentes Verhalten des Jugendlichen 131 59,3 6 (2,7 %) Konflikthafte Eltern-Kind-Interaktion Vernachlässigung oder Missachtung kindlicher Bedürfnisse Körperliche Beeinträchtigung Körperliche Behinderung Kinder- und jugendpsychiatrische Symptomatik ADHS Lebenssituation vor der Maßnahme und vorherige Fremdunterbringungen Über die Hälfte (54 %) der teilnehmenden Jugendlichen lebte vor Beginn der Maßnahme bei den Eltern, während 23 % in einem anderen Heim untergebracht worden waren. 19 Jugendliche (8 %) befanden sich vor der jetzigen Maßnahme in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. in der Psychiatrie. Tabelle 8: Lebenssituation vor der Maßnahme Lebenssituation vor der Maßnahme (N = 243) N % 132 7 54,3 2,9 2 0,8 Pflegefamilie 14 5,8 Heim/ betreute Wohnform 55 22,6 Kinder- und Jugendpsychiatrie 18 7,4 Psychiatrie 1 0,4 Untersuchungshaft 4 1,6 ohne festen Wohnsitz 1 0,4 andere 9 3,7 117 47,8 69 29 Eltern Verwandte/Bekannte eigene Wohnung vorherige Fremdunterbringung vorherige Fremdunterbringung > 1 Knapp die Hälfte (48 %) der Teilnehmer hat laut Angaben der Heimbetreuer bereits eine 50 Ergebnisse vorherige Fremdunterbringung hinter sich; ca. 29 % sind mehr als einmal vor der jetzigen Maßnahme stationär untergebracht worden (Tabelle 8). Delikte Im Anamnesebogen wurden die Betreuer nach begangenen Delikten – benannt wie im Strafregister – der teilnehmenden Jugendlichen befragt. Für 239 Jugendliche konnten die Fragen nach einem Delikt beantwortet werden, bei 6 Jugendlichen sind die Antworten fehlend. Bei 130 (54 %) Jugendlichen wurde vom ausfüllenden Betreuer ein Delikt nach Strafregister angegeben. Am häufigsten wurden dabei strafbare Handlungen gegen das Vermögen (38 %) – insbesondere Diebstahl (29 %) – Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (29 %) oder strafbare Handlungen gegen die Freiheit (17 %) bejaht (Tabelle 9). Zwei Jugendliche wurden wegen vorsätzlicher Tötung, 1 Jugendlicher wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. 81 % (N = 105) der 130 Jugendlichen mit Delikt haben mehrere unterschiedliche Delikte begangen, 95 % (N = 124) sind insgesamt mehr als einmal straffällig geworden. Das angegebene Alter bei erstem Delikt liegt durchschnittlich bei 14,6 (SD = 2,15) und reicht von 6 bis 20 Jahren. Geschlechtsunterschiede sind ebenfalls in Tabelle 9 dargestellt. Tabelle 9: Begangene Delikte (Einteilung nach Strafregister) N (Total) % Jungen (N = 176) % Mädchen (N = 63) % χ² (df), p 41 17,2 22,2 3,2 11,8 (1), 0,001** Drohung Nötigung Freiheitsberaubung und Entführung Hausfriedensbruch Strafbare Handlung gegen das Vermögen Unrechtmäßige Aneignung Veruntreuung Raub Diebstahl 28 15 11,7 6,3 14,8 8 3,2 1,6 0 0 0 0 22 9,2 12,5 0 90 37,7 44,3 19 37 2 29 69 15,5 0,8 12,1 28,9 18,8 1,1 15,9 33 6,3 0 1,6 17,5 Sachbeschädigung 54 22,6 27,3 9,5 Erpressung 8 3,3 4,5 0 Betrug 8 3,3 3,4 3,2 Hehlerei 7 2,9 4 0 Delikte (N = 239) Strafbare Handlung gegen die Freiheit 12,6 (1), 0,000** 51 Ergebnisse Strafbare Handlung gegen die Ehre 16 6,7 8 3,2 Beschimpfung Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen Brandstiftung Strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität Sexuelle Nötigung 16 6,7 8 3,2 9 3,8 4,5 1,6 10 3,8 4,5 1,6 17 7,1 9,7 0 10 4,2 5,7 0 Sexuelle Belästigung 10 4,2 5,7 0 Sexuelle Handlung mit Kindern 7 2,9 4 0 Versuchte Vergewaltigung 3 1,2 1,7 0 Vergewaltigung Strafbare Handlung gegen Leib und Leben Vorsätzliche Tötung 0 0 0 0 33 13,8 16,5 6,3 2 0,8 1,1 0 Mord 0 0 0 0 Totschlag 0 0 0 0 Fahrlässige Tötung 1 0,4 0,6 0 Einfache Körperverletzung 16 6,7 8 3,2 Schwere Körperverletzung 8 3,3 4 1,6 Fahrlässige Körperverletzung 5 2,1 2,3 1,6 Tätlichkeiten 21 8,8 10,2 4,8 Raufhandel 9 3,8 5,1 0 Angriff 11 4,6 5,1 3,2 4 1,7 1,1 3,2 68 28,5 29 27 68 28,5 29 27 15 6,3 8 1,6 32 13,4 17 3,2 20 8,4 10,8 1,6 Fahren in fahrunfähigem Zustand 12 5 6,2 1,6 Entwendung zum Gebrauch Fahren ohne Führerausweis oder trotz Entzug 23 9,6 11,9 3,2 25 10,5 13,1 3,2 Irreführung der Rechtspflege Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz Konsum von Betäubungsmitteln Handel mit Betäubungsmitteln Verstoß gegen das Straßenverkehrsgesetz Verletzung der Verkehrsregeln a Mindestens 25 % der Zellen haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. a a a 3,6 (1), 0,059 a 0,2 (1), 0,763 7,7 (1), 0,006* 52 Ergebnisse Aufgrund der Annahme von 5 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,01 ausgegangen, unter dem die in Tabelle 9 dargestellten Unterschiede signifikant bleiben. Prognose Befragt nach der Prognose der gesamten Maßnahme für den einzelnen Jugendlichen zeigt sich der Großteil der Betreuer optimistisch (Abbildung 4). Bei 65 % der teilnehmenden Jugendlichen ist der jeweilige Betreuer der Meinung, dass die Prognose mindestens „eher gut“ ausfällt. 0% 8% 1% 5% 9% sehr schlecht 0% 2% 4% schlecht 29% eher schlecht 20% mittel 34% 40% eher gut gut 23% sehr gut 25% Ab b i l d u n g 4 : P r o g n o s e d e r M a ß n a h m e i n s g e s a m t ( l i n k e D a r s t e l l u n g ) s o w i e Legalprognose (rechte Darstellung) nach Einschätzung der Betreuer Nur in 6 % der Fälle ist der Betreuer der Annahme, dass die Prognose „eher schlecht“ oder „schlecht“ ist. Ein ähnliches Bild, wenn auch etwas verhaltener, zeigt sich bei der Legalprognose. Für 53 % der Teilnehmer wird diese als mindestens „eher gut“, nur für knapp 6 % als „eher schlecht“ und schlechter eingeschätzt. Alters- und Geschlechtseffekte fanden sich nicht. Zufriedenheit Die Auswertung der Fragen zur Zufriedenheit mit der Maßnahme zeigt, dass die Teilnehmer auf der Skala von 1 („stimmt nicht“) bis 5 („stimmt vollkommen“) ihre Zufriedenheit mit mittleren Werten von 3,2 bis 3,6 einschätzen. Das gleiche gilt für die Beurteilung durch die Betreuer (Tabelle 10). 53 Ergebnisse Tabelle 10: Zufriedenheit m it der Maßnahm e im Frem d- und Selbsturteil M SD Jungen (N = 172) M (SD) Mädchen (N = 64) M (SD) Zufriedenheit insgesamt 3,59 1,1 3,63 (1,1) 3,47 (1,1) Konnte Dinge mitgestalten/ mitbestimmen 3,38 1,1 3,33 (1,1) 3,5 (0,8) Fühlte sich ernst genommen 3,57 1,2 3,62 (1,2) 3,42 (1,1) Zufriedenheit (N = 236) t (df), p Selbstbeurteilung 1,1 (234), 0,292 -1,3 (234), 0,209 1,2 (234), 0,236 Fühlte sich über Maßnahme informiert Sinnvoll, weiterhin in der Einrichtung zu bleiben Fremdbeurteilung 3,5 1,2 3,5 (1,2) 3,5 (1) 0 (234), 1 3,15 1,5 3,29 (1,5) 2,77 (1,5) 2,4 (234), 0,018* Wirkt zufrieden mit sich 3,29 1 3,42 (1) 2,92 (0,9) Ist motiviert, in der Einrichtung zu bleiben 3,46 1 3,49 (1) 3,35 (1) 3,5 (233), 0,001** 0,9 (233), 0,358 Ein Geschlechtervergleich verdeutlicht, dass die Mädchen es durchschnittlich für signifikant weniger sinnvoll halten, weiterhin in der jeweiligen Institution zu bleiben als die Jungen (t = 2,4 (234), p = 0,018). Weiterhin beurteilen die Betreuer die weiblichen Teilnehmer im Mittel als signifikant weniger zufrieden mit sich als die männlichen Jugendlichen (t = 3,5 (233), p < 0,001). Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 7 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,007 ausgegangen werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten), unter dem nur der Geschlechtsunterschied bezüglich des Items „Wirkt zufrieden mit sich“ signifikant wird. Alterseffekte fanden sich nicht. 3.3 Kinder- und jugendpsychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlungsstatus Die Frage nach einer aktuellen kinder- und jugendpsychiatrischen bzw. – psychotherapeutischen Behandlung wurde für 62 % der Teilnehmer bejaht (Tabelle 11). 40 % dieser Behandlungen werden intern in der jeweiligen Institution durchgeführt. Es zeigt sich, dass von denjenigen Jugendlichen, die keine aktuelle Behandlung bekommen, 54 Ergebnisse der Großteil (88 %) bereits eine Therapie abgebrochen hat. Werden diese Zahlen der Einschätzung der Heimbetreuer gegenübergestellt, ob sie den entsprechenden Jugendlichen für behandlungsbedürftig halten, finden sich große Differenzen (Tabelle 11). T abelle 11: Ak tueller k inder- und jugendpsyc hiatrischer/ p s yc h o t h e r a p e u t i s c h e r B e h a n d l u n g s s t a t u s Behandlungsstatus N (%) N % 9 3,7 2 0,8 80 33,1 60 24,8 extern, bei niedergel. Kinder- und JugPsych/ Psychoth. 91 37,6 1 Med. 23 9,4 2 Med. 8 3,3 3 Med. 4 1,6 5 Med. 1 0,4 Aktuelle kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung (N = 242) Nein Ja 91 (37,6) 151 (62,4) Keine installiert Therapie regulär beendet Therapie abgebrochen intern Halten Sie den Jugendlichen für kinder- und jugendpsychiatr./ psychotherapeutisch behandlungsbedürftig? (N = 239) Nein 79 (33,1) Ja 160 (66,9) Nein 209 (85,3) Ja 36 (14,7) Aktuelle medikamentöse Behandlung (N = 245) Insgesamt werden 160 Jugendliche für behandlungsbedürftig eingestuft, von diesen erhalten aktuell jedoch nur 79 (49 %) tatsächlich eine Behandlung. Dagegen werden 70 (89 %) der Jugendlichen behandelt, die nach Auffassung der jeweiligen Betreuungsperson nicht behandlungsbedürftig sind. Eine aktuelle medikamentöse Behandlung erhalten insgesamt nur 36 (15 %) Teilnehmer. Von diesen nehmen 36 % mehr als ein Medikament, 1 Jugendlicher wird aktuell sogar mit 55 Ergebnisse 5 verschiedenen Medikamenten behandelt. 15 Jugendliche mit medikamentöser Behandlung erhalten zusätzlich eine kinder- und jugendpsychiatrische bzw. – psychotherapeutische Behandlung. 3.4 Psychische Symptombelastung – Ergebnisse des Maysi-2 Im Selbstbeurteilungsverfahren Maysi-2 beschreiben die Jugendlichen der Stichprobe sich insgesamt als sehr belastet. Werden die auf der amerikanischen Normstichprobe (straffällige Jugendliche in Haft) beruhenden Cut-offs angelegt, zeigt sich in allen Skalen, dass ein Großteil der Jugendlichen im klinisch auffälligen „Caution“-Bereich oder sogar im „Warning“-Bereich liegt. Letzterer gibt an, ob sich ein Teilnehmer mit seinem Skalenwert im Bereich der 10 % auffälligsten Jugendlichen der Normstichprobe befindet. 72 % derjenigen, die den Maysi-2 ausgefüllt haben, sind in mindestens einer Maysi-Skala auffällig. Der größte Anteil über dem Caution-Cutoff zeigt sich mit 45 % in der Skala „Ärgerlich-Reizbar“. Tabelle 12: Mittelwerte sowie Anteile der Jugendlichen im auffälligen Bereich j e n a c h S u b s k a l a d e s M a ys i - 2 Maysi (N = 234) Caution Cut-off Warning Cut-off (%) (%) M SD Alkohol –Drogengebrauch (AD) 2,83 2,9 36,3 ≥ 4 17,5 ≥ 6 Ärgerlich – Reizbar (ÄR) 4,08 2,7 44,9 ≥ 5 12,8 ≥ 8 Depressiv – Ängstlich (DÄ) 2,37 2,3 37,6 ≥ 3 11,1 ≥ 6 Somatische Beschwerden (SB) 1,57 1,5 23,9 ≥ 3 2,1 ≥ 6 Suizidgedanken (SG) 1,46 1,8 38,9 ≥ 2 26,9 ≥ 3 Denkstörungen (nur Jungen) (DS) 0,66 1,1 36,8 ≥ 1 4,1 ≥ 2 Traumatische Erlebnisse (TE) 2,16 1,5 Mindestens 1 Skala auffällig keine Cut-offs 72,2 38,9 In allen anderen Skalen findet sich ein Anteil von 24 bis 39 % auffälliger Teilnehmer. Diese Ergebnisse liegen in den meisten Skalen leicht höher als in der amerikanischen Normstichprobe; insbesondere der große Anteil an Jugendlichen mit auffälligen Werten in der Skala „Suizidgedanken“ (39 %) ist bemerkenswert, bei den weiblichen Teilnehmern liegt dieser Anteil sogar bei 57 % (im Vergleich die weibliche amerikanische Normstichprobe: 35 %). Allein im Warning-Bereich der Skala „Suizidgedanken“ befinden sich insgesamt 27 % aller teilnehmenden Jugendlichen. 56 Ergebnisse Ein Mittelwertsvergleich zeigt Geschlechtsunterschiede in den Skalen „DepressivÄngstlich“ (F = 23,05 (1, 232), p <= 0,000), „Somatische Beschwerden“ (F = 32,63 (1, 232), p <= 0,000) sowie „Suizidgedanken“ (F = 23,25 (1, 232), p <= 0,000) mit jeweils signifikant höheren mittleren Werten bei den Mädchen (Abbildung 5). mittlerer Skalenwert 5 4 3 männlich (N= 171) 2 weiblich (N= 63) 1 0 AD ÄR DÄ SB SG TE Ab b i l d u n g 5 : M i t t e l w e r t e i n d e n S u b s k a l e n d e s M a y s i - 2 n a c h G e s c h l e c h t Ein Alterseffekt findet sich in der Skala „Alkohol- und Drogengebrauch“, in der sich die über 20 jährigen (MW = 4,62, SD = 2,34) von den unter 14 jährigen (MW = 1,43, SD = 2,79) und den 14-15 jährigen (MW = 2,18, SD = 2,73) signifikant unterscheiden (F = 4,44 (4, 229), p = 0,002), sowie in der Skala „Somatische Beschwerden“, in der sich die 16 bis 17 jährigen mit MW = 2,03 (SD = 1,67) als signifikant belasteter einschätzen als die über 20 jährigen (MW = 1,28, SD = 1,08) (F = 3,153 (4, 67), p = 0,019). Ein direkter Vergleich der Mittelwerte der vorliegenden Stichprobe mit denen der amerikanischen Normstichprobe (Grisso et al. 2001) zeigt in einigen Skalen signifikante Unterschiede (Abbildung 6). Hierbei ist zu bedenken, dass die Normierung an einer Stichprobe von 12-17 jährigen Jugendlichen bei Eintritt in das amerikanische Jugendstrafsystem stattfand. 57 Ergebnisse mittlerer Skalenwert 5 Heimstichprobe männlich (N= 171) 4 Normstichprobe männlich (N= 862) 3 2 Heimstichprobe weiblich (N= 63) 1 Normstichprobe weiblich (N= 408) 0 AD ÄR DÄ SB SG TE DS Ab b i l d u n g 6 : V e r g l e i c h d e r M i t t e l w e r t e i n d e n S u b s k a l e n d e s M a y s i - 2 d e r Heim stichprobe m it denen der am erik anischen Norm stichprobe Die männlichen Teilnehmer der vorliegenden Stichprobe beurteilen sich im Mittel höher belastet in der Skala „Suizidgedanken“ (t = -6,12 (884), p < 0,050), sowie weniger auffällig in der Skala „Somatische Beschwerden“ (t = 4,4 (884), p < 0,050). Die Mädchen liegen dagegen höher in den Skalen „Depressiv-Ängstlich“ (t = -2,39 (469), p < 0,050) und „Suizidgedanken“ (t = -4,65 (469), p < 0,50) als die Mädchen der amerikanischen Stichprobe. Ein anderes Bild zeigt sich bei einem Vergleich mit einer Studie, in der der Maysi-2 von österreichischen Jugendlichen von 14 bis 21 in Untersuchungshaft ausgefüllt wurde (Plattner et al. 2007) (Abbildung 7). In der Skala „Suizidgedanken“ ergeben sich hier keine Unterschiede. mittlerer Skalenwert 6 Heimstichprobe männlich (N= 171) 5 Stichprobe "Plattner" männlich (N= 265) 4 3 Heimstichprobe weiblich (N= 63) 2 1 0 AD ÄR DÄ SB SG TE DS Stichprobe "Plattner" weiblich (N= 53) Ab b i l d u n g 7 : V e r g l e i c h d e r M i t t e l w e r t e i n d e n S u b s k a l e n d e s M a y s i - 2 d e r Heimstichprobe mit denen einer Stichprobe straffälliger Jugendlicher in Österreich 58 Ergebnisse Dagegen weisen die Jungen der vorliegenden Stichprobe im Mittel signifikant höhere Werte auf als die männlichen österreichischen Jugendlichen in der Skala „ÄrgerlichReizbar“ (t = -2,01 (434), p < 0,050) und liegen niedriger in den Skalen „DepressivÄngstlich“ (t = 3,25 (434), p < 0,050), „Somatische Beschwerden“ (t = 6,58 (434), p < 0,050), „Denkstörungen“ (t = 2,1 (434), p < 0,050), sowie „Traumatische Erlebnisse“ (t = 5,8 (434), p < 0,050). Die weiblichen Teilnehmer der vorliegenden Stichprobe unterscheiden sich mit durchschnittlich niedrigeren Ergebnissen in den Skalen „Alkoholund Drogengebrauch“ (t = 2,98 (114), p < 0,050), und „Somatische Beschwerden“ (t = 3,06 (114), p < 0,050) von den österreichischen weiblichen Jugendlichen. 3.5 Ergebnisse der psychiatrischen Interviews 3.5.1 Prävalenz psychischer Störungen Tabelle 13 gibt einen Überblick der auf Basis der psychiatrischen Interviews gestellten Diagnosen. Insgesamt weisen 75 % der Teilnehmer mindestens eine ICD-10 Diagnose auf. Mädchen (72 %) und Jungen (76 %) unterscheiden sich in dieser Häufigkeit nicht. Die mit Abstand am häufigsten diagnostizierte Diagnose sowohl für männliche als auch weibliche Jugendliche war mit 53,5 % die Störung des Sozialverhaltens (F90.1, F91, F92 zusammengefasst), davon 18 % als kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F 92). An zweiter Stelle folgen die Persönlichkeitsstörungen mit 23 %, von denen es sich in 45 % der Fälle um eine „Persönlichkeitsstörung, nicht näher bezeichnet“ handelte (F60.9). Weitere, häufiger diagnostizierte Störungen waren die substanzgebundene Störung (20 %), Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (8,2 %), Depressive Störungen (7,3 %), Angststörungen (7,3 %) sowie ADHS (5,7 %). T abelle 13: Ps ychiatr ische Diagnosen erhoben m it Kiddie-SAD S Diagnosen (N = 245) Mindestens eine ICD-10 Diagnose Substanzgebundene Störung (F10-F14) Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis (F2x) Depressive Störungen (F23, F33,F38, F39) Jungen Mädchen (N = 181) (N = 64) % % N (Total) % 184 75,1 76,2 71,9 49 20 21,5 15,6 3 1,2 1,7 0 a 18 7,3 7,2 7,8 a χ² (df), p 0,5 (1), 0,487 1 (1), 0,309 59 Ergebnisse Zyklothymia (F34) Angststörungen (F40 – F42) Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43) Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) Dissoziative, Somatisierungs- und sonst. Neurotische Störungen (F44, F45, F48) a 9 18 3,7 7,3 3,9 5,5 3,1 12,5 20 8,2 6,1 14,1 10 4,1 7 (3,9 %) 3 (4,7 %) 2 0,8 0,6 1,6 a 2 0,8 0 3,1 a 1 0,4 0,6 0 a 14 5,7 6,1 4,7 a 44 18 21,5 7,8 64 26,1 28,2 20,3 23 9,4 7,2 15,6 3 1,2 1,7 0 a 1 0,4 0,6 0 a 2 0,8 1,1 0 a 56 23 24,4 18,8 Paranoide (F60.0) 3 1,3 1,7 0 a Schizoide (F60.1) 1 0,4 0,6 0 a Dissoziale (F60.2) 12 5 6,9 0 a Emotional instabile (F60.3) 8 3,4 1,7 7,9 a Ängstliche (F60.6) 1 0,4 0,6 0 a 25 10,5 12 6,3 Kombinierte (F61.0) 5 2,1 1,1 4,8 a Andere spezifische Persönlichkeitsstörung (negativistische, depressive, schizotypische, narzisstische) 2 0,8 1,1 0 a Persönlichkeitsänderung (F62) 1 0,4 0,6 0 a Essstörungen (F50) Sexuelle Störungen (F52, F64, F65, F66) ADHS (F90.0, F90.8-F90.9) Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) Störung des Sozialverhaltens (F91) Kombinierte Störung des Sozialverhaltens (F92) Ticstörung (F95) Ausscheidungsstörungen (F98.0, F98.1) Sonstige psychische Störung Persönlichkeitsstörung (mind. eine) Nicht näher bezeichnete (F60.9) a 4 (1), 0,045* 0,08 (1), 0,724 6,1 (1), 0,014* 1,5 (1), 0,218 4 (1), 0,047* 0,87 (1), 0,352 1,6 (1), 0,210 a mindestens 25 % der Zellen haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Geschlechtsunterschiede fanden sich mit einer signifikant größeren Häufigkeit an erkrankten Mädchen bei der kombinierten Störung des Sozialverhaltens (χ² = 4 (1), p = 0,047); dagegen wurde bei den männlichen Jugendlichen signifikant häufiger eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert (χ² = 6,1 (1), p = 0,014). Bei den Persönlichkeitsstörungen wiesen die weiblichen Jugendlichen eher eine Emotional- 60 Ergebnisse Instabile Persönlichkeitsstörung auf (7,9 %), die männlichen Jugendlichen dagegen eher eine nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung (12 %). Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 9 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,006 ausgegangen werden, unter dem kein Geschlechtsunterschied signifikant wird. Insgesamt sind die Jugendlichen, die mindestens eine ICD-10 Diagnose aufweisen im Mittel signifikant älter (MW = 17,1, SD = 2,9) als diejenigen ohne Diagnose (MW = 16, SD = 2,6) (t = -2,6 (243), p = 0,009). 3.5.2 Komorbidität Bei der Auswertung der Komorbidität (Abbildung 8), d.h. das Erfüllen der Kriterien für mehr als eine Diagnose, wurden die im ICD-10 möglichen Kombinationsdiagnosen (Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F.90.1), Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F. 92)) als jeweils zwei getrennte Diagnosen gerechnet. Von denjenigen Teilnehmern, die mindestens eine Störung diagnostiziert bekamen, erfüllen 64 % (N = 118) die Kriterien für mehr als eine Diagnose. Davon leidet fast die Hälfte (45 %) der Jugendlichen an zwei verschiedenen Störungen, 27 % weisen drei Diagnosen auf. 35 30 Prozent 25 männlich (N= 181) 20 15 weiblich (N= 64) 10 5 0 keine Diagn. 1 Diagn. 2 Diagn. 3 Diagn. 4 Diagn. 5 Diagn. 6 Diagn. 7 Diagn. Ab b i l d u n g 8 : A n z a h l d e r p s y c h i a t r i s c h e n D i a g n o s e n n a c h G e s c h l e c h t Im Mittel sind unter den Jugendlichen mit Diagnose die männlichen Teilnehmer an 2,34 (SD = 1,34), die weiblichen Jugendlichen an 2,15 (SD = 1,35) verschiedenen Störungen erkrankt. Dieser Unterschied wird nicht signifikant (U = 5244, p = 0,249). Alterseffekte zeigen sich bei der Komorbidität nicht. 61 Ergebnisse 3.5.3 Globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus 67 % der Teilnehmer weisen eine wechselnde Funktionsfähigkeit bis zu mäßigen sozialen Beeinträchtigungen auf, 8 % sind erheblich beeinträchtigt in ihrem psychosozialen Funktionsniveau (Abbildung 9). Nur 2 Jugendliche (0,8 %) bzw. 11 Jugendliche (5 %) zeigen eine herausragende Funktion bzw. nur leichte Beeinträchtigungen. 50 Prozent 40 männlich (N= 181) 30 20 weiblich (N= 64) 10 erhebliche Beeinträchtigung mäßige Beeinträchtigung wechselnde Funktionsfähigkeit leichte Schwierigk. auf einem Gebiet leichte Beeinträchtigung hervorragend/ gut 0 Ab b i l d u n g 9 : S o z i a l e s F u n k t i o n s n i v e a u n a c h G e s c h l e c h t e r h o b e n ü b e r d i e GAS Geschlechts- und Altersunterschiede fanden sich nicht. 3.6 Traumatische Lebensereignisse – Ergebnisse des Essener Trauma Inventars (ETI) 3.6.1 Prävalenz traumatischer Ereignisse 199 Jugendliche (81 %) geben an, mindestens eins der im ETI aufgeführten belastenden Ereignisse erlebt zu haben. Jungen (81 %) und Mädchen (83 %) unterscheiden sich hierin nicht signifikant voneinander (χ² = 0,1 (1), p = 0,705). Tabelle 14 gibt einen Überblick, in welcher Häufigkeit die einzelnen Ereignisse auftreten. Es zeigt sich, dass mit 42 % unter den Jugendlichen der Stichprobe am häufigsten „Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ erlebt wurde, wobei mehr als die Hälfte der Mädchen (53 %) und 39 % der Jungen davon berichten (χ² = 4 (1), p = 0,044). An zweiter Stelle folgt „gewalttätiger Angriff durch eine fremde Person“ (37 %), ein Geschlechtsunterschied findet sich hier nicht. Weitere 36 % beschreiben ein „anderes belastendes Ereignis“ (siehe unten). In nur 6 Fällen (3 %) wird „Folter“ bejaht, 8 (3 %) männliche Jugendliche geben „Kampfeinsatz im Krieg oder Aufenthalt im Kriegsgebiet“ an. 62 Ergebnisse Tabelle 14: Häufigkeiten traumatischer Erlebnisse erhoben über das ETI N (Total) % 199 81,2 43 16,1 Persönlich 22 51,2 Zeuge 9 20,9 beides Schwerer Unfall, Feuer oder Explosion Persönlich 12 27,9 69 28,2 25 36,2 Zeuge 27 39,1 beides 17 24,6 59 24,1 Persönlich 16 27,1 Zeuge 41 69,5 beides Gewalttätiger Angriff (fremde Person) Persönlich 2 3,4 91 37,1 41 45,1 Zeuge 25 27,5 beides 25 27,5 Gewalttätiger Angriff (Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis) 77 31,4 Persönlich 38 49,4 Zeuge 16 20,8 beides Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson Gefangenschaft 23 29,9 104 ETI (N = 245) Mindestens ein traumatisches Erlebnis Naturkatastrophe Jungen Mädchen (N = 181) (N = 64) % % 80,7 82,8 χ² (df), p 0,1 (1), 0,705 18,8 14,1 0,7 (1), 0,393 31,5 18,8 3,8 (1), 0,051 22,7 28,1 0,8 (1), 0,379 38,1 34,4 0,3 (1), 0,594 24,9 50 13,9 (1), 0,000** 42,4 38,7 53,1 4 (1), 0,044* 46 18,8 22,1 9,4 5 (1), 0,025* Persönlich 32 69,6 Zeuge 9 19,6 beides Als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch (fremde Person) Persönlich 5 10,9 34 14,3 6,7 34,4 30,2 (1), 0,000** 23 67,6 Zeuge 5 14,7 beides 6 17,6 Schwere Krankheit 63 Ergebnisse Als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch (Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis) 18 7,3 Persönlich 16 88,9 Zeuge 1 5,6 beides Kampfeinsatz im Krieg oder Aufenthalt im Kriegsgebiet Persönlich 1 5,6 8 3,3 7 87,5 Zeuge 1 12,5 beides 0 0 6 2,9 Persönlich 2 33,3 Zeuge 3 50 beides 1 16,7 56 22,9 Persönlich 42 75 Zeuge 5 8,9 beides 9 16,1 6 2,4 3 50 Zeuge 3 50 beides 0 0 5 2 1 4 20 80 0 0 88 35,9 Persönlich 46 52,3 Zeuge 18 20,5 beides 24 27,3 Folter Vernachlässigung, Verwahrlosung Als Erwachsener sexueller Missbrauch (fremde Person) Persönlich Als Erwachsener sexueller Missbrauch (Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis) Persönlich Zeuge beides Anderes belastendes Ereignis 3,3 18,8 16,5; 0,000**a 4,4 0 2,9; 0,116a 3,3 0 2,2; 0,345a 23,8 20,3 0,3 (1), 0,573 2,2 3,1 0,2; 0,653a 2,2 1,6 0,1; 1a 33,7 42,2 1,5 (1), 0,224 a Exkater Test nach Fisher Signifikante Geschlechtsunterschiede fanden sich insbesondere bei den Erlebnissen „gewalttätiger Angriff durch jemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis“ sowie „als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch durch fremde Person“ und „als Kind/Jugendlicher 64 Ergebnisse sexueller Missbrauch durch bekannte Person“. Der Anteil an weiblichen Jugendlichen liegt jeweils höher. Aufgrund der Annahme von 16 Tests muss hier von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,003 ausgegangen werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten), unter dem die beschriebenen Geschlechtsunterschiede außer bezüglich der Ereignisse „Tod/Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ sowie „Gefangenschaft“ signifikant bleiben. Die Teilnehmer, die mindestens eines der belastenden Ereignisse berichten, unterscheiden sich in ihrem mittleren Alter (MW = 16,95, SD = 2,72) nicht von denjenigen, die kein solches Erlebnis (Alter MW = 16,3, SD = 3,2) angeben. Von denjenigen Teilnehmern, die ein belastendes Erlebnis angeben, berichtet jeweils ca. ein Fünftel zwei oder drei verschiedene der im ETI aufgeführten Ereignisse (Abbildung 10). Weitere 41 % berichten 4 und mehr solche Erlebnisse. Die mittlere Anzahl belastender Erlebnisse unterscheidet sich nicht nach Geschlecht (Mädchen MW = 3,96, SD = 2,45; Jungen MW = 3,42, SD = 2,26) (U = 5104,5; p = 0,192). 20% ein Trauma 41% 2 Traumata 19% 3 Traumata ≥ 4 Traumata 20% Ab b i l d u n g 1 0 : A n z a h l v e r s c h i e d e n e r t r a u m a t i s c h e r E r f a h r u n g e n Die im ETI möglichen Antworten, ein belastendes Ereignis zu bejahen, sind „persönlich“, „als Zeuge“ oder „beides“. Die Daten zeigen, dass eine „schwere Krankheit“ häufiger als Zeuge (70 %) erlebt wird als persönlich (27 %) oder beides (3 %); das gleiche gilt für „schwerer Unfall“, „als Erwachsener sexueller Missbrauch durch eine bekannte Person“ und „Folter“ (Tabelle 14). Alle anderen Ereignisse wurden jeweils von 50 % bis 90 % der Betroffenen als „persönlich“ oder „beides“ bejaht. Anderes belastendes Ereignis Neben den 14 vorgegebenen Ereignissen gibt es im ETI die Möglichkeit, ein weiteres 65 Ergebnisse „anderes belastendes Ereignis“ (Item 15) anzugeben und zu beschreiben. Insgesamt 88 Jugendliche berichten, ein solches weiteres Erlebnis gemacht zu haben, 70 % nutzten die Möglichkeit, das Erlebnis zu beschreiben. In einer genaueren Analyse dieser Angaben zeigt sich, dass 27 % der 88 Teilnehmer „Scheidung bzw. Trennung“ der Eltern schildern, weitere 11 % berichten von „Trennung/Tod/Verlust einer wichtigen Bezugsperson“, 10 % von „Mobbing“. Die restlichen Angaben lassen sich kaum noch in Überkategorien fassen, es finden sich etwa Erfahrungen wie „psychische und/oder Suchterkrankung der Eltern“, „Selbstmord beobachtet“ oder „Krieg“ und „Bandenrivalität“; aber auch Angaben wie „Liebeskummer“ oder „Verlust meiner Hunde“. Schlimmstes Erlebnis Im ETI wird gefragt, welches der angegebenen belastenden Erlebnisse das „schlimmste“ für den Teilnehmenden war. Tabelle 15 zeigt auf, wie viel Prozent derjenigen, die ein jeweiliges Ereignis erlebt haben, dieses auch als das schlimmste bewerten. Es fällt auf, dass die „Naturkatastrophe“ in 100 % der Fälle als das schlimmste Ereignis eingestuft wurde, sofern es bejaht worden war. Ebenfalls häufig wurden „schwerer Unfall, Feuer oder Explosion“ (73 %) und „schwere Krankheit“ (51 %) als das schlimmste Erlebnis berichtet. Im Vergleich dazu werden Erfahrungen wie „als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch durch eine fremde Person“ (8,8 %), „als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch durch eine Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis“ (5,6 %) und „Vernachlässigung/ Verwahrlosung“ (5,4 %) eher selten als schlimmste Erlebnisse wahrgenommen. Tabelle 15: Häufigkeit, in der eine jeweilige traum atische Erfahrung als schlimmstes Erlebnis angegeben wurde Schlimmstes Erlebnis (N = 199) N % von Teilnehmern, die jeweiliges Trauma erlebt Naturkatastrophe 43 100 Schwerer Unfall, Feuer oder Explosion 50 72,5 Schwere Krankheit 30 50,8 Gewalttätiger Angriff (fremde Person) Gewalttätiger Angriff (Person aus dem Familienoder Bekanntenkreis) Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson 27 29,7 16 20,8 14 13,5 2 4,3 3 8,8 1 5,6 Gefangenschaft Als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch (fremde Person) Als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch (Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis) 66 Ergebnisse Kampfeinsatz im Krieg oder Aufenthalt im Kriegsgebiet Folter 1 12,5 0 0 Vernachlässigung, Verwahrlosung Als Erwachsener sexueller Missbrauch (fremde Person) Als Erwachsener sexueller Missbrauch (Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis) 3 5,4 1 16,7 0 0 Anderes belastendes Ereignis 8 9,1 3.6.2 Klinische Auffälligkeit und PTSD – Symptome Klinische Auffälligkeit Von den 199 Jugendlichen, die mindestens ein belastendes Erlebnis berichtet und das schlimmste Ereignis angegeben haben, beantworteten 194 Teilnehmer die weiteren Fragen des ETI. Die Gesamtpunktzahl des ETI setzt sich aus den Werten in den Skalen Intrusion, Vermeidung, Dissoziation, und Übererregung zusammen. Der Cut-off zur klinischen Auffälligkeit liegt bei 40 von 69 möglichen Punkten und wird von 7,7 % der 194 Jugendlichen erfüllt; 22 % liegen im Grenzbereich. Die Hälfte der Mädchen erreichen Werte, die mindestens im Grenzbereich liegen und unterscheiden sich damit signifikant von den Jungen (22 %) (χ² = 14,4 (2), p < 0,001). In den Cut-off für einen Verdacht auf PTBS wird die Skala Dissoziation ausgenommen, da diese kein DSM-IV Kriterium darstellt. Insgesamt 12 % der Jugendlichen erreichen diesen Cut-off (=> 27 Punkte), dabei 23 % der Mädchen sowie 9 % der Jungen. Im Grenzbereich liegen weitere 21 % der Teilnehmer (33 % der Mädchen, 17 % der Jungen). Der Geschlechtsunterschied wird signifikant (χ² = 16,4 (2), p < 0,000). Alterseffekte zeigen sich nicht. Ergebnisse in den Subskalen In die Subskalen Intrusion, Vermeidung, Übererregung und Dissoziation gehen jeweils unterschiedlich viele Items ein, so dass sie miteinander in ihren Mittelwerten nicht direkt vergleichbar sind. Es zeigt sich, dass die Mädchen in allen Skalen signifikant höhere Werte erreichen als die Jungen. Ein Altersunterschied lässt sich dagegen nicht finden (Abbildung 11). 67 Ergebnisse 7 Mittelwert 6 männlich (N= 142) 5 4 weiblich (N= 52) 3 2 1 0 Intrusion (max. 5) Vermeidung Übererregung Dissoziation (max. 7) (max. 5) (max. 6) Ab b i l d u n g 1 1 : M i t t e l w e r t e i n d e n S u b s k a l e n d e s E T I n a c h G e s c h l e c h t DSM-IV A Kriterium und Verdacht auf PTBS Das DSM-IV A Kriterium umfasst die beiden Ereigniskriterien A1 (potenzielle oder reale Todesdrohung, ernsthafte Verletzung oder Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder anderen) und A2 (die Reaktion intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzens), die das genannte Erlebnis erfüllen muss, um eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren zu können. Von den 194 Jugendlichen erfüllen über die Hälfte (54 %) das DSM-IV A Kriterium. Es finden sich keine Unterschiede nach Alter und Geschlecht. Insgesamt wird das DSM-IVA2 Kriterium häufiger (77 %) erfüllt als das Kriterium A1 (68 %). 11 % (N = 21) der Teilnehmer liegen mit ihren Werten im ETI sowohl über dem Cut-off zum Verdacht auf PTBS und erfüllen gleichzeitig das DSM-IV A Kriterium. Das bedeutet, 10 Mädchen (19 %) und 11 Jungen (7,7 %) erhalten nach den ETI-Ergebnissen die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Sensitivität und Spezifität des ETI Verglichen mit der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung erhoben über Kiddie-SADS, klassifiziert der ETI 44,4 % (Sensitivität) der Fälle richtig (Tabelle 16). Die Sensitivität des ETI liegt damit eher niedrig. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass nur sehr wenige Fälle von PTBS in der Stichprobe vorliegen. Die Spezifität von 91 % liegt relativ hoch. 68 Ergebnisse Tabelle 16: Sensitivität und Spezifität des ETI PTBS (ETI) Sensitivität/ Spezifität (ETI) (N = 194) Nein Ja Gesamt Nein 168 (90,8 %) 17 (9,2 %) 185 Ja 5 (55,6 %) 4 (44,4 %) 9 Gesamt 173 21 PTBS (K-SADS) Wird die Variable „Verdacht auf PTBS“ des ETI herangezogen, zeigt sich, dass knapp 78 % der Jugendlichen mit einer diagnostizierten PTSB im mindestens grenzwertigen Bereich des ETI liegen (Tabelle 17). Tabelle 17: Sensitivität und Spezifität der Variable „Verdacht auf PTBS“ des ETI Sensitivität/ Spezifität (ETI) (N = 199) Nein Ja Gesamt Nein 127 (68,6 %) 58 (36,4 %) 185 Ja 2 (22,2 %) 7 (77,7 %) 9 Gesamt 129 65 PTBS (K-SADS) 3.7 Verdacht auf PTBS (ETI) Delinquenz Die Auswertung der kriminologischen Fragen im Selbsturteil (Tabelle 18) zeigt, dass insgesamt 205 (87,6 %) Jugendliche angeben, mindestens eins der abgefragten Delikte begangen zu haben. Mädchen (82,5 %) und Jungen (90 %) unterscheiden sich hierbei nicht. Mit fast 83 % wurden am häufigsten Eigentumsdelikte verübt. Dieser hohe Anteil erklärt sich vorwiegend durch das Delikt „Ladendiebstahl“, das von 73 % der weiblichen und von 78,4 % der männlichen Jugendlichen mindestens einmal begangen worden ist. Es folgen nach der Häufigkeit die „Mediendelikte“ (79 %), bei denen ein signifikanter Geschlechtseffekt deutlich wird, indem fast doppelt so viele der männlichen (91 %) im Vergleich zu den weiblichen Teilnehmern (48 %) eines dieser Vergehen, insbesondere Konsum von Gewalt- oder Pornofilmen und Gewaltcomputerspiele, bejahen. Sachbeschädigungen (62 %) und Gewaltdelikte (62 %) wurden in der Stichprobe ca. gleich häufig verübt. Ein signifikanter Geschlechtsunterschied findet sich bei den schweren 69 Ergebnisse Eigentumsdelikten (62 % der Jungen, 30 % der Mädchen) (χ² = 16,7 (1), p <= 0,000) sowie bei den Mediendelikten (79 % der Jungen, 48 % der Mädchen) (χ² = 51,5 (1), p <= 0,000). Die männlichen Teilnehmer geben außerdem an, insgesamt signifikant häufiger jemals (MW = 85,8 SD = 138) eines der abgefragten Delikte verübt zu haben als die Mädchen (MW = 37,78, SD = 56,81) (U = 4303, p = 0,018). Tabelle 18: Häufigkeiten einzelner Deliktarten im Selbsturteil (kriminologische Fragen) % Jungen (N = 171) % Mädchen (N = 63) % 205 87,6 89,5 82,5 145 62 63,7 57,1 73 96 118 31,2 41 50,4 29,2 43,3 52 36,5 34,9 46 193 82,5 84,8 76,2 Ladendiebstahl 180 76,9 78,4 73 Fahrraddiebstahl 98 41,9 46,2 30,2 Sonstiger Diebstahl 79 33,8 36,3 27 Hehlerei 84 34,3 40,9 22,2 Kfz-Aufbruch 34 14,5 18,1 4,8 Automatenaufbruch 66 28,2 36,3 6,3 Kfz-Diebstahl 77 32,9 40,9 11,1 Einbruchsdiebstahl schweres Eigentumsdelikt (s.o. kursiv gedruckt) 89 38 43,9 22,2 122 52,1 60,2 30,2 144 61,5 65,5 50,8 Körperverletzung ohne Waffen 126 53,8 55,6 49,2 Körperverletzung mit Waffen 57 24,4 25,7 20,6 Handtaschenraub 28 12 14 6,3 Raub 55 23,5 27,5 12,7 schweres Gewaltdelikt (s.o. kursiv gedruckt) 91 38,9 42,7 28,6 Sexuelles Delikt 18 7,7 10,5 0 13 5,6 7,6 0 0 0 0 0 1 0,4 0,6 0 Kriminologische Fragen (N = 234) N (Total) mind. 1 Delikt begangen Sachbeschädigung Graffiti Scratching Sachbeschädigung Eigentumsdelikt Gewaltdelikt Sexuelle Belästigung Zwang zu sexuellen Handlungen (Opfer jünger) Nötigung zu sexuellen Handlungen (Opfer jünger) χ² (df), p 2 (1), 0,153 0,9 (1), 0,356 2,4 (1), 0,125 16,7 (1), 0,000** 4,2 (1), 0,040* 3,9 (1), 0,049* a 70 Ergebnisse Zwang zu sexuellen Handlungen (Opfer gleich alt oder älter) Nötigung zu sexuellen Handlungen (Opfer gleich alt oder älter) Zwang zu Prostitution 2 0,9 1,2 0 3 1,3 1,8 0 3 1,3 1,8 0 Mediendelikt 185 79,1 90,6 47,6 Internet Raubkopien Konsum Gewaltfilme (TV, Video) Konsum Gewaltfilme (Computer) 101 43,2 46,8 33,3 154 65,8 71,3 50,8 122 52,1 59,6 31,7 Gewaltspiele (Computer) 122 52,1 62 25,4 Gewaltinhalte auf Handy 51 21,8 24,6 14,3 Filmen von Gewalt 47 20,1 22,2 14,3 Konsum Pornofilme Konsum pornographische Inhalte (Computer) Pornographische Inhalte auf Handy Filmen von pornographischen Szenen 134 57,3 69 25,4 120 51,3 62,6 20,6 62 26,5 33,9 6,3 35 15 18,1 6,3 51,5 (1), 0,000** a Mindestens 25 % der Zellen haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Aufgrund der Annahme von 8 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,0063 ausgegangen werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten), unter dem die im Text erwähnten Geschlechtsunterschiede signifikant bleiben. Ein Teil der Geschlechtseffekte könnte allerdings durch die ungleiche Altersverteilung bei Jungen und Mädchen der Stichprobe erklärt sein, da die Jugendlichen, die Mediendelikte bejahen durchschnittlich ein bis anderthalb Jahre älter sind als diejenigen, die angegeben, bisher keines der Delikte aus diesen Gruppen begangen zu haben (Tabelle 19). T abelle 19: Altersunterschiede (Mittelwert) in den Angaben zu einzelnen Deliktarten (Kriminologische Fragen) Kriminologische Fragen – Alter (N = 234) M SD Mind. 1 Delikt begangen t (df), p -1,9 (232), 0,056 nein 15,86 2,29 ja 16,94 2,91 Sachbeschädigung -1,1 (232),0,269 nein 16,54 2,62 71 Ergebnisse ja 16,96 2,99 Eigentumsdelikt -2,5 (232), 0,012* nein 15,79 2,35 ja 17,02 2,92 Gewaltdelikt -3,3 (232), 0,001** nein 16,05 2,41 ja 17,28 3,02 Sexuelles Delikt -1 (232), 0,322 nein 16,75 2,91 ja 17,44 2,19 -2,9 (232), 0,004* Mediendelikt nein 15,77 2,25 ja 17,08 2,94 Abbildung 12 verdeutlicht, dass die männlichen Teilnehmer zudem eine höhere DeliktVariabilität aufweisen, indem sie deutlich mehr verschiedene Delikte insgesamt begangen haben als die weiblichen Jugendlichen (U = 3935, p = 0,002). Dieser Unterschied zwischen Jungen und Mädchen fällt ebenfalls für die einzelnen Deliktarten – außer Sachbeschädigungen und (schwere) Gewaltdelikte - signifikant aus. 7 6 Anzahl 5 4 männlich (N= 171) 3 2 1 weiblich (N= 63) 0 e e e te te te te ng te) likt likt li kt elik elik nhal elik eli k digu de de d d de D t t D i l s l s n r ä t a e e al wa tum Gew sch entum en el le Medi ew Ge en xu be ed i G r g g ( e h i i h e s c r E te rE r sc Sa we ve elik ere ch d s w n die sch Me Ab b i l d u n g 1 2 : M i t t l e r e H ä u f i g k e i t b e g a n g e n e r D e l i k t a r t e n n a c h G e s c h l e c h t (Kriminologische Fragen) Delinquenz und Einweisungsgrund Tabelle 20 stellt die Delinquenz – erhoben über die Kriminologischen Fragen im Selbsturteil – dem Einweisungshintergrund (strafrechtlich vs. zivilrechtlich) gegenüber. 72 Ergebnisse Tabelle 20: Delinquenz im Selbsturteil vs. Einweisungsgrund. Die Prozentzahlen geben an, wie viele der jeweils zivilrechtlich bzw. strafrechtlich eingewiesenen Teilnehm er angeben, das jeweilige Delikt begangen zu haben. Total % Zivilrechtlich eingewiesen (N = 113) Strafrechtlich eingewiesen (N = 70) χ² (2), p mind. 1 Delikt begangen 87,6 96 (85 %) 68 (97 %) 6,9 (1), 0,009 Sachbeschädigung 62 31,2 41 50,4 69 (61 %) 37 (33 %) 47 (42 %) 57 (50 %) 48 (69 %) 26 (37 %) 34 (49 %) 38 (54 %) 1,1 (1), 0,304 0,4 (1), 0,543 0,8 (1), 0,356 0,23 (1), 0,613 82,5 91 (80 %) 65 (93 %) 5,2 (1), 0,022 Ladendiebstahl 76,9 88 (78 %) 60 (86 %) 1,7 (1), 0,190 Fahrraddiebstahl 41,9 43 (38 %) 39 (56 %) 5,4 (1), 0,020 Sonstiger Diebstahl 33,8 36 (32 %) 28 (40 %) 1,3 (1), 0,262 Hehlerei 34,3 36 (32 %) 38 (54 %) 9 (1), 0,003 Kfz-Aufbruch 14,5 12 (11 %) 19 (27 %) 8,4 (1), 0,004 Automatenaufbruch 28,2 27 (24 %) 30 (43 %) 7,2 (1), 0,007 Kfz-Diebstahl 32,9 28 (25 %) 39 (56 %) Einbruchsdiebstahl 38 39 (35 %) 41 (59 %) schweres Eigentumsdelikt (s.o. kursiv gedruckt) 52,1 50 (44 %) 53 (76 %) Gewaltdelikt 61,5 63 (56 %) 57 (81 %) Körperverletzung ohne Waffen 53,8 57 (50 %) 49 (70 %) 6,8 (1), 0,009 Körperverletzung mit Waffen 24,4 25 (22 %) 27 (39 %) 5,7 (1), 0,017 Handtaschenraub 12 10 (9 %) 13 (19 %) 3,7 (1), 0,054 Raub schweres Gewaltdelikt (s.o. kursiv gedruckt) Sexuelles Delikt 23,5 23 (20 %) 24 (34 %) 4,4 (1), 0,036 38,9 39 (34 %) 38 (54 %) 6,9 (1), 0,008 7,7 9 (8 %) 8 (11 %) 0,6 (1), 0,433 Sexuelle Belästigung Nötigung zu sexuellen Handlungen (Opfer jünger) Zwang zu sexuellen Handlungen (Opfer gleich alt oder älter) Nötigung zu sexuellen Handlungen (Opfer gleich alt oder älter) 5,6 7 (6 %) 5 (7 %) a 0,4 1 (1 %) 0 a 0,9 0 2 (3 %) a 1,3 2 (2 %) 1 (1 %) 0,3 (1), 0,860 Zwang zu Prostitution 1,3 0 3 (4 %) a Kriminologische Fragen und Einweisungsgrund (N = 138) Graffiti Scratching Sachbeschädigung Eigentumsdelikt 17,8 (1), 0,000** 10,2 (1), 0,001** 17,4 (1), 0,000** 12,6 (1), 0,000** 73 Ergebnisse 79,1 79 (70 %) 67 (96 %) 17,8 (1), 0,000** Internet Raubkopien 43,2 40 (35 %) 39 (56 %) 7,3 (1), 0,007 Konsum Gewaltfilme (TV, Video) 65,8 68 (60 %) 57 (81 %) 9 (1), 0,003 Konsum Gewaltfilme (Computer) 52,1 53 (47 %) 49 (70 %) 9,3 (1), 0,002 Gewaltspiele (Computer) 52,1 45 (40 %) 50 (71 %) Gewaltinhalte auf Handy 21,8 22 (20 %) 22 (31 %) Filmen von Gewalt 20,1 24 (21 %) 15 (21 %) Konsum Pornofilme 57,3 53 (47 %) 59 (84 %) Konsum pornographische Inhalte (Computer) 51,3 48 (43 %) 51 (73 %) Pornographische Inhalte auf Handy 26,5 22 (20 %) 28 (40 %) 9,2 (1), 0,002 Filmen von pornographischen Szenen 15 9 (8 %) 29 (29 %) 13,8 (1), 0,000** Mediendelikt 17,3 (1), 0,000** 3,4 (1), 0,066 0,001 (1), 0,976 25,4 (1), 0,000** 16,1 (1), 0,000** a Keine Auswertung aufgrund zu kleiner Zellenbesetzung Die Selbstangaben der Jugendlichen können als „Dunkelfeld“ definiert werden, da die Kriminologischen Fragen unter Zusicherung von Anonymität beantwortet wurden, so dass von ausreichend ehrlichen Angaben ausgegangen werden kann. Der Einweisungsgrund stellt dagegen das „Hellfeld“ dar: Bei den strafrechtlich eingewiesenen Teilnehmern liegt ein bekanntes „offizielles“ Delikt vor. Es zeigt sich, dass die Jugendlichen mit strafrechtlichem Einweisungsgrund zwar signifikant häufiger mindestens ein Delikt begangen haben (χ² = 6,9 (1), p = 0,009); jedoch bejahen mit 85 % über Dreiviertel der zivilrechtlich untergebrachten Jugendlichen ebenfalls mindestens ein Delikt. Dieser hohe Prozentsatz ergibt sich vorwiegend dadurch, dass 80 % der zivilrechtlich eingewiesenen Teilnehmer das Begehen eines Ladendiebstahls angeben. Insgesamt zeigt sich vorwiegend in der Häufigkeit der Angaben leichterer Delikte wie „Sachbeschädigungen“ kein signifikanter Unterschied zwischen zivil- und strafrechtlich untergebrachten Jugendlichen (χ² = 1,1 (1), p = 0,304). Allerdings findet sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied im Begehen „sexueller Delikte“ (χ² = 0,6 (1), p = 0,433); das bedeutet, Jugendliche mit zivilrechtlichem Einweisungsgrund bejahen ein solches Delikt etwa gleich häufig wie strafrechtlich eingewiesene Teilnehmer. Weiterhin wird deutlich, dass strafrechtlich untergebrachte Jugendliche signifikant häufiger schwere Eigentums- und Gewaltdelikte angeben; mit 44 % bzw. 34 % ist dieser Anteil jedoch auch bei den zivilrechtlich eingewiesenen Teilnehmern sehr hoch. Insgesamt zeigt sich demnach, dass insbesondere 74 Ergebnisse bei den leichten, jedoch auch deutlich bei den schweren Delikten ein großer Anteil an begangen Taten entweder nicht zu einer strafrechtlichen Einweisung geführt hat oder zumindest nicht „offiziell“ bekannt ist. Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 38 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,0013 ausgegangen werden, unter dem nur ein Teil der beschriebenen Unterschiede signifikant wird (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten). 3.8 Traumaklassen 3.8.1 Beschreibung der Teil-Stichprobe Da für die Berechnung der Traumaklassen aus oben genannten Gründen die jungen Erwachsenen aus den Maßnahmenzentren sowie weitere Teilnehmer über 20 ausgeschlossen wurden, unterscheidet sich die folgende Teil-Stichprobe leicht in Alter und Geschlecht (Tabelle 21) von der Gesamtstichprobe. Die Jugendlichen sind durchschnittlich etwas jünger (MW = 16,5 vs. MW = 16,8), der Altersbereich ist mit 10 bis 20 Jahren enger gefasst; der Mädchenanteil liegt um 3 % höher (26 % vs. 29 %). Tabelle 21: Beschreibung der Teilstichprobe, die zur Bildung der Traum aklassen eingeschlossen wurde Gesamt (N = 245) N Stichprobenbeschreibung % Teilstichprobe (N = 208) N % Geschlecht männlich weiblich 181 64 73,9 26,1 148 60 71,2 28,8 8 – 13 14 – 15 16 – 17 18 – 20 älter als 20 21 69 81 58 16 8,6 28,2 33,1 23,7 6,5 14 67 80 47 0 6,7 32,2 38,5 22,6 0 31 55 34 12,7 22,4 13,9 25 61 25 12 29,3 12 105 42,9 96 46,2 19 7,8 0 0 Alter Institution Durchgangs-/Beobachtungsheim Erziehungsheim (mit Grundschule) Erziehungsheim (ohne Grundschule) Erziehungsheim (schulentl. Jgdl. mit internem Beschäftigungs-/ Ausbildungsangebot Maßnahmenzentrum 75 Ergebnisse andere 1 0,4 1 0,5 Strafrechtliche Einweisung 75 30,1 49 24 Ausländerstatus 64 27,4 52 26 Der Ausländeranteil in der Teilstichprobe (27,4 %) bleibt ähnlich hoch wie in der Gesamtstichprobe (26 %), genauso wie der durchschnittliche IQ (MW = 96,2 vs. MW = 96,7); dagegen sinkt der Anteil an Jugendlichen mit strafrechtlichem Einweisungsgrund von 30 auf 24 % ab. Letzteres ist ebenfalls darauf zurückzuführen, dass die jungen Erwachsenen aus den Maßnahmezentren, die allesamt einen strafrechtlichen Einweisungsgrund haben, ausgeschlossen wurden. 3.8.2 Feststellung der Klassenanzahl Für die Bildung der Traumaklassen mit Latenter Klassenanalyse wurde die Gruppe derjenigen, die im ETI keines der aufgeführten Ereignisse bejahen, als „known class“ definiert. Damit wurden diese Teilnehmer von vorne herein zu einer festen Gruppe – „Klasse 1“ – zusammengefasst. Die dafür vorgesehene Funktion „known class“ wird in dem Software Programm LatentGold 4.5 zur Verfügung gestellt. Anschließend wurde eine 1 – 4 – Klassenlösung getestet. Der Vergleich der Modelle hinsichtlich ihres Fits ergab den niedrigsten BIC-Wert für die 3-Klassenlösung (Tabelle 22) legt damit drei Subgruppen nahe. Tabelle 22: Modellindizes für die 1 – 4-Klassenlösung auf Basis der traumatischen Erfahrungen BIC(LL) CAIC (LL) Npar df Class. Err -1094,0077 2241,3908 2251,3908 10 198 0,0000 2 Kl. -1062,6445 2237,3773 2258,3773 21 187 0,0000 3 Kl. -1032,5200 2235,8412 2267,8412 32 176 0,0609 4 Kl. -1007,5400 2244,5940 2287,5940 43 165 0,0753 Model LL 1 Kl. In der Literatur gilt der BIC als inzwischen gemeinhin als das beste informationstheoretische Kriterium, um zu ermitteln, welches Modell das in Bezug auf die Daten relativ beste ist (Hunter et al., in press; Uher et al., 2009). Da der BIC-Wert für die 2-Klassenlösung nur knapp zwei Punkte höher liegt als für die 76 Ergebnisse 3-Klassenlösung, spielten des Weiteren theoretische Überlegungen bei der Modell-Wahl eine Rolle. Eine 2-Klassenlösung teilt die Stichprobe nur in die Gruppen „kein Trauma erlebt“ (die vorher definierte „known class“) und „Trauma erlebt“ und liefert somit keinen weiteren Erkenntnisgewinn über mögliche Subgruppen traumatisierter Heimjugendlicher. Abschließend wurde daher die 3-Klassenlösung als die insbesondere aus theoretischer Sicht beste gewählt. Alle folgenden Analysen dienen zum Vergleich und damit auch der Validierung der drei Gruppen. 3.8.3 Beschreibung der 3 Traumaklassen Abbildung 13 zeigt die drei Klassen und die durch die latente Klassenanalyse berechneten Auftretens-Wahrscheinlichkeiten für jedes Trauma. Wahrscheinlichkeit 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 ) ) l ) n n) e ng on eit on af t fal on so so ph s h s h r s n r r r o k r c i gu e e r e e U e s s n t p P r P P s a s n s P e ta te Kr te ge ug hlä ere de nn rka re m d kann ez an ac m f hw a e e u B e n e t r c k f s er (fr G hw be be en Na ff ( sc ch g/V ff ( ti g h( i gri u n h r c n a u c g u br wi ra rA los An iss sb er hr i ge i ger s n t a i M i ä r e rw lt t rM tät ll e st Ve ll e wa alt ue rl u e e x w e u G x se Ge d/V se To ohne Traumatisierung (Klasse 1, N= 41) mittlere Traumatisierung (Klasse 2, N= 131) schwere Traumatisierung (Klasse 3, N= 36) Ab b i l d u n g 1 3 : A u f t r e t e n s - W a h r s c h e i n l i c h k e i t e n d e r e i n z e l n e n t r a u m a t i s c h e n Erfahrungen je Klasse Die größte Gruppe bildet mit 131 Jugendlichen (63 %) Klasse 2; ein Fünftel der Teilnehmer befindet sich in Klasse 1, der „known class“, mit N = 41, die restlichen 36 (17 %) Jugendlichen wurden Klasse 3 zugeordnet. Klasse 2 erhielt aufgrund der von den Jugendlichen im Mittel 2,4 (SD = 1,22) angegebenen Traumata das Label „Mittlere Traumatisierung“; eine signifikant noch höhere Anzahl erlebter Traumata berichten die Teilnehmer in Klasse 3 mit M = 5,4 (SD = 1,66) (χ² = 64,5 (1), p <= 0,000). Diese hohe Trauma-Anzahl als auch die Art der häufig angegebenen Erlebnisse der Jugendlichen in Klasse 3 führte zu dem Label „Schwere Traumatisierung“. Klasse 1 wird folgerecht „Ohne Traumatisierung“ bezeichnet. In Tabelle 23 ist aufgeführt, wie häufig sich die jeweilige 77 Ergebnisse Trauma-Anzahl in den einzelnen Klassen verteilt. Es wird deutlich, dass die Jugendlichen der Klasse „mittlere Traumatisierung“ am häufigsten 1 bis 3 Traumata erlebt haben; dagegen die „schwer traumatisierten“ Teilnehmer häufiger 5 bis 6 verschiedene Traumata angeben. Tabelle 23: Verteilung der Anzahl verschiedener Traumata je Klasse Anzahl Traumata (N = 208) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 412) Klasse 2 Multiple Traumatisierung (N = 131) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) 0 41 0 0 1 0 38 0 2 0 39 0 3 0 29 5 4 0 17 5 5 0 7 11 6 0 1 6 7 0 0 3 8 0 0 5 9 0 0 1 Die Überprüfung des Zusammenhangs der 10 verschiedenen Traumata, die als Variablen in die Latente Klassenanalyse eingegangen sind, ergab ein Cronbach’s alpha von 0,6. Tabelle 24 zeigt, welche belastenden Ereignisse die Jugendlichen je nach zugeordneter Klasse erlebt haben. Die Jugendlichen der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ geben am häufigsten „Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ (41 %) an, gefolgt von „Gewalttätiger Angriff durch eine fremde Person“ (39 %). Relativ wenige Jugendliche aus dieser Klasse haben „sexuellen Missbrauch durch eine bekannte Person“ (2,3 %) oder „sexuellen Missbrauch durch eine fremde Person“ (8,4 %) erlebt. 78 Ergebnisse Tabelle 24: Unterschiede in den Häufigkeiten der einzelnen traumatischen Erlebnisse zwischen den Klassen „Mittlere“ und „Schwere Traum atisierung“ ETI (N = 208) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 131) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) χ² (df), p N % N % Naturkatastrophe 28 21,4 10 27,8 0,66 (1), 0,417 Schwerer Unfall, Feuer, Explosion 46 35,1 11 30,6 0,26 (1), 0,609 Schwere Krankheit 34 26 18 50 7,62 (1), 0,006* 51 38,9 27 75 14,76 (1), 0,000** 33 25,2 33 91,7 52,21 (1), 0,000** Tod/Verlust einer wichtigen Bezugsperson 54 41,2 36 100 39,26 (1), 0,000** Gefangenschaft 21 16 11 30,6 3,85 (1), 0,050 11 8,4 21 58,3 45,46 (1), 0,000** 3 2,3 13 36,1 37,29 (1), 0,000** 31 23,7 16 44,4 6 (1), 0,014* Gewalttätiger Angriff (fremde Person) Gewalttätiger Angriff (bekannte Person) sexueller Missbrauch (fremde Person) sexueller Missbrauch (bekannte Person) Vernachlässigung, Verwahrlosung Klasse 3 ist dadurch charakterisiert, dass alle Teilnehmer den „Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ berichten. Weiterhin geben 92 % der „schwer traumatisierten“ Jugendlichen an, bereits einen „gewalttätigen Angriff durch eine bekannte Person“ erlebt zu haben; 75 % berichten einen „gewalttätigen Angriff durch eine fremde Person“ und fast 60 % „sexuellen Missbrauch durch eine fremde Person“. Die Jugendlichen aus der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ haben die meisten belastenden Ereignisse signifikant häufiger erlebt im Vergleich zu den Jugendlichen in der Klasse „Mittlere Traumatisierung“; allerdings werden die Erlebnisse „Naturkatastrophe“ bzw. „schwerer Unfall“ in beiden Klassen etwa gleich häufig berichtet. Der Unterschied bezüglich des Ereignisses „Gefangenschaft“ wird ebenfalls nicht signifikant. Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 10 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,005 ausgegangen werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten), unter 79 Ergebnisse dem die Unterschiede bezüglich der Ereignisse „Schwere Krankheit“ und Vernachlässigung“ nicht signifikant werden. Soziodemographische Merkmale Die drei Klassen unterscheiden sich in Geschlecht und Alter (Tabelle 25). Mit 64 % findet sich der größte Anteil weiblicher Teilnehmer in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“, während in den anderen beiden Klassen die weiblichen Teilnehmer 27 bzw. 20 % ausmachen. Unter den Jugendlichen „Ohne Traumatisierung“ finden sich signifikant mehr 10-13 jährige als in der Klasse „Mittlere Traumatisierung“. Tabelle 25: Unterschiede in soziodemographischen Merkmalen zwischen den Traum aklassen Soziodemographische Merkmale (N = 208) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 41) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 131) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) χ² (df), p/ Post-HocVergleich N % N % N % 11 26,8 26 19,8 23 63,9 10 – 13 8 19,5 6 4,6 0 0 2<1 14 – 15 16 39 40 30,5 11 30,6 - 16 – 17 12 29,3 53 40,5 15 41,7 - 18 – 20 5 12,2 32 24,4 10 27,8 - Geschlecht (weiblich) Alter 26,79 (2), 0,000** 1,2 < 3 17,73 (8) 0,007** 22,7; 0,002**a Institution Durchgangs/Beobachtungsheim Erziehungsheim (mit Grundschule) Erziehungsheim (ohne Grundschule) Erziehungsheim (schulentl. Jgdl. mit internem Beschäftigungs-/ Ausbildungsang.) andere Strafrechtliche Einweisung (N = 227) 8 19,5 10 7,6 7 19,4 19 46,3 36 27,5 6 16,7 6 14,6 14 10,7 5 13,9 8 19,5 70 53,4 18 50 0 0 1 0,8 0 0 3<1 1 < 2,3 1,7 (4), 0,783 80 Ergebnisse Zivilrechtlich 20 51,3 68 52,3 21 60 Strafrechtlich 8 20,5 34 26,2 7 20 anderes Ausländerstatus (N = 200) 11 28,2 28 21,5 7 20 12 32,4 33 26 7 19,4 N = 39 IQ N = 116 1,6 (2), 0,449 N = 30 M SD M SD M 99,41 14,55 95,97 13,85 96,07 F (df1, df2), p 0,93 (2, 182), 13,08 0,395 SD a Exakter Test nach Fisher Teilnehmer der Klassen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ befinden sich im Vergleich zu Jugendlichen „Ohne Traumatisierung“ signifikant häufiger in Erziehungsheimen für schulentlassene Jugendliche mit internem Beschäftigungs-/ Ausbildungsangebot. Dagegen sind die Jugendlichen „Ohne Traumatisierung“ signifikant häufiger in Erziehungsheimen mit Grundschule untergebracht. Jugendliche mit einem strafrechtlichen Einweisungshintergrund wurden am häufigsten der Klasse 2 zugeordnet, der Unterschied zu den anderen Klassen wird jedoch nicht signifikant (χ² = 1,7 (4), p = 0,783). Vorherige Fremdunterbringungen Auffallend ist des Weiteren der hohe Anteil (61 %) von Teilnehmern in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“, für die eine vorherige Fremdunterbringung bejaht wird; dieser Anteil fällt für die beiden anderen Klassen geringer aus, liegt jedoch für die Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ mit 49 % ebenfalls hoch (Tabelle 26). Der Post-Hoc Vergleich zeigt einen signifikanten Unterschied der Klasse 1 zu den anderen beiden Gruppen. Tabelle 26: Unterschiede in der Häufigkeit einer vorherigen Frem dunterbringung zwischen den Traum aklassen N = 208 vorherige Fremdunterbringung Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 41) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 131) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) N % N % N % 11 26,8 64 48,9 22 61,1 χ² (df), p/ Post-HocVergleich 9.75 (2), 0,008** 1 < 2,3 81 Ergebnisse Kinder- und jugendpsychiatrischer/ –psychotherapeutischer Behandlungsstatus Tabelle 27 macht deutlich, dass sich die drei Traumagruppen hinsichtlich ihres kinder- und jugendpsychiatrischen/ -psychotherapeutischen Behandlungsstatus signifikant unterscheiden: Die Jugendlichen der Klasse 3 befinden sich seltener in aktueller Behandlung als die der Klasse 2. Allerdings zeigt die Einschätzung der Heimbetreuer, dass für die „schwer traumatisierten“ Jugendlichen (81 %) tendenziell häufiger ein entsprechender Behandlungsbedarf gesehen wird verglichen mit den Jugendlichen in den anderen beiden Klassen, auch wenn der Unterschied nicht statistisch bedeutsam ist. Demzufolge hängt die aktuelle Versorgungssituation der Teilnehmer nicht mit der Wahrnehmung der jeweiligen Betreuer - und wie nachfolgend aufgezeigt wird – ebenfalls nicht mit der höheren psychopathologischen Belastung der Jugendlichen in den Klassen 2 und 3 zusammen. T abelle 27: Unterschiede im ak tuellen k inder- und jugendps ychiatrischen/ p s yc h o t h e r a p e u t i s c h e n B e h a n d l u n g s s t a t u s z w i s c h e n d e n Traum aklassen Behandlungsstatus Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 41) N Aktuelle kinder/jugendpsychiatr. oder psychotherap. Behandlung (N = 206) Aktuelle medikamentöse Behandlung (N = 208) Halten Sie den Jgdl. für kinder-/ jugendpsychiatr. oder psychotherap. behandlungsbedürftig? (N = 204) % Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 131) N % Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) N % χ² (df), p/ Post-HocVergleich 7 (2), 0,030* 29 72,5 90 69,2 17 47,2 3<2 6 14,6 20 15,3 7 19,4 0,4 (2), 0,808 26 66,7 76 58,9 29 80,6 5,9 (2), 0,053 Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 3 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten 82 Ergebnisse Signifikanzniveau von p < 0,02 ausgegangen werden, unter dem keiner der in Tabelle 27 dargestellten Unterschiede signifikant wird. Prognose Die Legalprognose, beurteilt durch die Heimbetreuer, fällt für die Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ schlechter aus als für die der anderen beiden Gruppen (F = 4,6 (2; 203), p < 0,011) (Abbildung 14). Der Post-Hoc Vergleich zeigt weiterhin, dass sich die Klassen „Ohne Traumatisierung“ und „Mittlere Traumatisierung“ bezüglich der legalprognostischen Einschätzung nicht unterscheiden. Keine Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen ergeben sich hinsichtlich der Prognose der Maßnahme insgesamt. 6 ohne Traumatisierung (Klasse 1, N= 40) Mittelwert 5 4 mittlere Traumatisierung (Klasse 2, N= 130) 3 2 schwere Traumatisierung (Klasse 3, N= 36) 1 0 Prognose insgesamt Legalprognose Ab b i l d u n g 1 4 : P r o g n o s e d e r M a ß n a h m e i n s g e s a m t s o w i e d e r L e g a l p r o g n o s e nach Einschätzung der Betreuer je Traum aklasse Zufriedenheit Abbildung 15 zeigt die Zufriedenheit der Teilnehmer im Selbst (S)- und Fremdurteil (F) bezüglich ihrer Unterbringung und Maßnahme pro Klasse. Befragt nach der Zufriedenheit in den letzten Wochen insgesamt finden sich keine Unterschiede zwischen den Traumaklassen. Allerdings fühlen sich die „schwere traumatisierten“ Jugendlichen von den Betreuern weniger ernst genommen (F = 6,1 (2; 196), p = 0,002) sowie schlechter über die Maßnahme informiert (F = 3,4 (2; 196), p = 0,035). 83 Ergebnisse 4 Mittelwert 3 2 1 0 ) F) S) S) (S ) ( S) ( F) t (S n( n( n( n n n r e e e e e e e t i d d l ib ib rm mm frie fri e sta bl e bl e no zu zu nfo u u i tge e t z i z k g h r r st em wir sic hi e hi e ll, er n ing lte r t, o h e D h i v fü n te tiv sic sin nn mo lte t h ko s ü i f ohne Traumatisierung (Klasse 1, N= 41) mittlere Traumatisierung (Klasse 2, N= 123) schwere Traumatisierung (Klasse 3, N= 35) Ab b i l d u n g 1 5 : Z u f r i e d e n h e i t m i t d e r a k t u e l l e n M a ß n a h m e j e T r a u m a k l a s s e Die Einschätzung der Betreuer verdeutlicht, dass sie die Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ für insgesamt weniger zufrieden (F = 9,5 (2; 77), p <= 0,000) als auch weniger motiviert (F = 3,2 (2; 196), p = 0,043) beurteilen als die Teilnehmer in den Klassen „Mittlere Traumatisierung“ und „Ohne Traumatisierung“. Die Jugendlichen „ohne Traumatisierung“ schätzen sie dagegen am meisten motiviert und zufrieden ein. Schlimmstes Erlebnis Eine beschreibende Auswertung der als „schlimmstes Erlebnis“ angegebenen Ereignisse in den beiden Traumaklassen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ ist in Tabelle 28 dargestellt. Es wird deutlich, dass diejenigen Jugendlichen, die schwere, interpersonale Traumatisierungen wie etwa sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung erlebt haben, diese seltener als andere Ereignisse als das „schlimmste Ereignis“ berichten. In der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ gibt es keinen Teilnehmer, der ein solches traumatisches Erlebnis als das „schlimmste“ kennzeichnet, obwohl in dieser Klasse diese Ereignisse am häufigsten bejaht werden. Dagegen werden von den „schwer traumatisierten“ Jugendlichen vorwiegend Erfahrungen wie „Naturkatastrophe“, „Schwerer Unfall“ und „Schwere Krankheit“ als am „schlimmsten“ wahrgenommen. 84 Ergebnisse Tabelle 28: Die Häufigkeit der Angabe der einzelnen traumatischen Erfahrungen als schlimmstes Erlebnis in den beiden Traum aklassen „Mittlere“ und „Schwere Traum atisierung“ Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 131) Schlimmstes Erlebnis (ETI) (N = 167) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) N % N % Naturkatastrophe 28 21,4 10 27,8 schwerer Unfall 34 26 7 19,4 schwere Krankheit 22 16,8 7 19,4 gewalttätiger Angriff (fremde Person) 18 13,7 5 13,9 7 5,3 7 19,4 13 9,9 0 0 Gefangenschaft 2 1,5 0 0 als Kind sexueller Missbrauch (fremde Person) 3 2,3 0 0 als Kind sexueller Missbrauch (bekannte Person) 1 0,8 0 0 Vernachlässigung/Verwahrlosung 3 2,3 0 0 gewalttätiger Angriff (bekannte Person) Tod oder Verlust (wichtige Bezugsperson) DSM-IV A Kriterium und Verdacht auf PTBS im ETI Die Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ wurden in den weiteren ETI-Variablen, die sich auf das angegebene „schlimmste Erlebnis“ beziehen, verglichen (Tabelle 29). Es zeigt sich, dass sich die beiden Klassen in der Häufigkeit des erfüllten DSM-IV A Kriteriums unterscheiden: Während fast dreiviertel der „Schwere Traumatisierung“ Jugendlichen das Kriterium erfüllen, gilt dies für immer noch viele (46 %), aber signifikant weniger Teilnehmer aus der Gruppe „mittlere Traumatisierung“ (χ² = 7,7 (1), p = 0,006). Tabelle 29: Unterschiede in der Erfüllung des DSM-IV A Kriteriums und der Kriterien der PTBS erhoben über das ETI zwischen den Traum aklassen „Mittlere“ und „Schwere Traum atisierung“ ETI Ergebnisse (N = 164) DSM-IV Kriterium A erfüllt Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 128) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 36) N % N % 59 46,1 26 72,2 χ² (df), p 7,7 (1), 0,006* 85 Ergebnisse DSM-IV Kriterium A 1 erfüllt DSM-IV Kriterium A 2 erfüllt ETI Gesamtwert 80 62,5 30 83,3 5,5 (1), 0,019* 91 71,1 32 88,9 4,7 (1), 0,029* 22,9 (2), 0,000** nicht auffällig 102 79,7 15 41,7 grenzwertig 22 17,2 14 38,9 klinisch auffällig Verdacht auf PTBS nicht auffällig 4 3,1 7 19,4 98 76,6 14 38,9 grenzwertig 22 17,2 11 30,6 klinisch auffällig 8 6,2 11 30,6 7 5,5 10 27,8 PTBS (ETI) 22,7 (2), 0,000** 15,1 (1), 0,001** Die Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ erreichen zudem deutlich höhere Werte in allen Subskalen des ETI und weisen demzufolge häufiger einen Verdacht auf PTBS auf (χ² = 22,7 (2), p <= 0,000). Insgesamt erfüllen damit 28 % in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ im ETI die Kriterien für eine PTBS, dagegen 5,5 % in der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ (χ² = 15,1 (1), p = 0,001). Geschlechtereffekte sind hier zu diskutieren. Aufgrund der Annahme von 6 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,008 ausgegangen werden, unter dem die meisten in Tabelle 29 dargestellten Unterschiede signifikant werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten). 3.8.4 Vergleich der Traumaklassen: Psychopathologie und psychiatrische Diagnosen Psychopathologie Zur Berechnung der Unterschiede zwischen den Traumaklassen in den einzelnen Subskalen des Maysi wurde „Geschlecht“ als zweiter Faktor in die Varianzanalyse mit aufgenommen, um etwaige Interaktionseffekte prüfen zu können. Für keine der Skalen ergab sich ein signifikanter Interaktionseffekt. Die Jugendlichen der „Schwere Traumatisierung“ Gruppe beschreiben sich in fast allen Maysi-2 Skalen als signifikant belasteter verglichen mit den anderen beiden Gruppen 86 Ergebnisse (Tabelle 30). Post-Hoc Vergleiche zeigen, dass sich die drei Gruppen in den Skalen „Alkohol- und Drogengebrauch“, „Ärgerlich-Reizbar“, „Depressiv-Ängstlich“ und „Traumatische-Erlebnisse“ alle voneinander unterscheiden, indem die Skalenwerte von Klasse 1 zu Klasse 3 hin ansteigen. In der Skala „Somatische Beschwerden“ zeigt sich dagegen nur ein signifikanter Unterschied zwischen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ im Vergleich zu Klasse 1 und 2; in der Skala „Denkstörung“ unterscheiden sich die Klassen 1 und 2 signifikant. T abelle 30: Mittelwer tsunterschiede in den Subsk alen des Mays i-2 zwischen den Traum aklassen Maysi-2 (N = 197) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 41) M Alkohol- und Drogengebrauch ÄrgerlichReizbar DepressivÄngstlich Somatische Beschwerden 1,44 SD 2,21 Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 122) M 2,73 SD 2,9 Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 34) M 4,29 Post-HocSD Vergleich 2,74 7,9 (2, 191), 0,001** 1<2<3 2,8 2,26 4,01 2,77 5,65 2,39 7,6 (2, 191), 0,001** 1<2<3 1,22 1,51 2,15 2,03 4,06 2,69 10,09 (2, 191), 0,000** 1 < 2< 3 1,1 1,3 1,47 1,39 2,62 1,86 5,1 (2, 191), 0,007** 1, 2 < 3 Suizidgedanken 0,95 Denkstörungen (Jungen) 0,33 0,66 0,85 1,2 0,36 0,92 Traumatische Erlebnisse 1,05 1,28 2,09 1,35 3,41 1,23 1,6 1,29 1,71 2,79 2,04 5,7 (2, 191), 0,004** 1,2 < 3 3,1 (2, 191), 0,049* 1<2 27,63 (2, 191), 0,000** 1<2<3 N Mind. 1 Skala auffällig F (df1, df2), p/ 20 % 48,8 N 85 % 69,7 N 33 % 97,1 χ² (df), p 20,7 (2), 0,000** 1<2<3 87 Ergebnisse Psychiatrische Diagnosen und Komorbidität Der Anteil an Teilnehmern, die mindestens eine psychiatrische Diagnose erfüllen, liegt mit 73 % in der Stichprobe insgesamt sehr hoch. Dennoch zeigt sich hier ein signifikanter Unterschied zwischen den drei Gruppen: 89 % der „schwer traumatisierten“ Jugendlichen erfüllen mindestens eine ICD-10 Diagnose, während dies für 73 % in der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ sowie 59 % in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“ zutrifft (χ² = 9 (2), p = 0,011) (Tabelle 31). T a b e l l e 3 1 : U n t e r s c h i e d e i n d e n H ä u f i g k e i t e n p s yc h i a t r i s c h e r D i a g n o s e n zwischen den Traum aklassen Diagnosen (N = 208) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 41) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 131) Klasse 3 Schwere Traumatisier. (N = 36) χ² (df), p/ Post-HocVergleich N % N % N % 24 58,5 96 73,3 32 88,9 Substanzgeb. Störung (F10-F14) 5 12,2 31 23,7 7 Depressive Störungen (F23, F33, F38, F39) 3 7,3 5 3,8 7 19,4 a Angststörungen (F40 – F42) 1 2,4 12 9,2 4 11,1 a Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstör. (F43) 4 9,8 7 5,3 6 16,7 a Dissoziative, Somatisierungs- und sonst. Neurotische Störungen (F44, F45, F48) 0 0 0 0 2 5,6 a 3 7,3 8 6,1 2 5,6 a 5 12,2 22 16,8 5 13,9 0,6 (2), 0,747 7 17,1 38 29 7 19,4 3,1 (2), 0, 213 Mindestens eine ICD-10 Diagnose ADHD (F90.0, F90.8 - F90.9) Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) Störung des Sozialverhaltens (F91) 9 (2), 0,011* 1<3 2,5 (2), 19,4 0,280 88 Ergebnisse Kombinierte Störung des Sozialverhaltens (F92) Persönlichkeitsstörung (mind. eine) Dissoziale (F60.2) Emotional instabile (F60.3) Nicht näher bezeichnete (F60.9) Kombinierte (F61.0) 3 3 7,3 7,3 11 27 8,4 20,6 7 17 a 19,4 47,2 18,3 (2), 0,000** 1,2 < 3 0 0 6 4,7 1 2,8 a 1 2,8 2 1,6 5 13,9 a 1 2,8 13 10,1 7 19,4 a 0 0 1 0,8 3 8,3 a a Mindestens 25 % der Zellen haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Unterschiede in der gleichen Richtung finden sich für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung. Auch hier weisen Teilnehmer, die der Klasse „Schwere Traumatisierung“ zugeordnet sind, häufiger eine Persönlichkeitsstörung auf im Vergleich zu den Jugendlichen in den anderen beiden Klassen (χ² = 18,3 (2), p <= 0,000). Der Vergleich der Klassen in den häufigsten Störungsgruppen ist ebenfalls in Tabelle 31 aufgeführt. Da die Zellenbesetzungen hier zumeist sehr klein werden, können Unterschiede in den Häufigkeitsverteilungen nicht statistisch ausgewertet werden. Weiterhin findet sich unter den „schwer traumatisierten“ Jugendlichen eine höhere Komorbidität, definiert durch die Erfüllung mehr als einer psychiatrischen Diagnose: Durchschnittlich 2,33 (SD = 1,81) Störungen wurden in dieser Gruppe diagnostiziert, dagegen signifikant weniger in den Klassen „Mittlere Traumatisierung“ (MW = 1,69, SD = 1,53) und „Ohne Traumatisierung“ (MW = 1,1, SD = 1,2) (χ² = 10,6 (2), p = 0,005). Abbildung 16 zeigt, für wie viele Jugendliche je Klasse die jeweilige Anzahl an Störungen diagnostiziert wurde. Allerdings muss bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 5 Tests, muss hier von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,01 ausgegangen werden, unter dem der in Tabelle 31 dargestellte Unterschied bezüglich der Persönlichkeitsstörungen signifikant bleibt (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Ergebnisse). 89 Ergebnisse 50% ohne Traumatisierung (Klasse 1, N= 41) 40% mittlere Traumatisierung (Klasse 2, N= 131) 30% 20% schwere Traumatisierung (Klasse 3, N= 36) 10% 0% keine 1 2 3 4 5 6 7 Diagn. Diagn. Diagn. Diagn. Diagn. Diagn. Diagn. Diagn. Ab b i l d u n g 1 6 : A n z a h l v e r s c h i e d e n e r D i a g n o s e n j e T r a u m a k l a s s e Soziales Funktionsniveau Die Einstufung der Teilnehmer auf der Globalen-Anpassungs-Skala (GAS) durch die Projektmitarbeiter verdeutlichen eine im Mittel größere Einschränkung im sozialen Funktionsniveau der Jugendlichen der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ verglichen mit den Jugendlichen in den anderen Klassen (χ² = 8,6 (2), p = 0,013). Abbildung 17 zeigt, wie viele Jugendliche je Klasse in den einzelnen GAS-Stufen eingeschätzt worden sind. 50% ohne Traumatisierung (Klasse 1, N= 41) 40% 30% mittlere Traumatisierung (Klasse 2, N= 131) 20% 10% 0% rvo he t gu d/ n ge rra it g g ke un un g i tig h t ig h h ä f c c rä em rä ns tr int in tio int ein e k e e f Be un Be Be au te k. he eF ge h i g c d i i c l ß r ä ie lei eln eb m rh hs hw c e c e S w te ch i e l g un tig h äc t bie e G schwere Traumatisierung (Klasse 3, N= 36) Ab b i l d u n g 1 7 : S o z i a l e s F u n k t i o n s n i v e a u e r h o b e n ü b e r d i e G A S j e Traum aklasse 3.8.5 Vergleich der Traumaklassen: Delinquenz und Psychopathie Deliktart Die drei Klassen unterscheiden sich signifikant darin, wie viele der Jugendlichen jeweils 90 Ergebnisse angeben, mindestens eins der abgefragten Delikte begangen zu haben (χ² = 6,4 (2), p = 0,041). Eine genauere Analyse der Deliktarten zeigt, dass weit über zwei Drittel der Jugendlichen aus der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ die Tat einer Sachbeschädigung (85 %) sowie ein Gewaltdelikt (71 %) angeben, während dieser Anteil in der Gruppe „Ohne Traumatisierung (37 %) signifikant niedriger liegt (Tabelle 32). Ebenfalls signifikant häufiger werden Sachbeschädigungen, Gewalt- und Eigentumsdelikte von Jugendlichen mit „mittlerer Traumatisierung“ begangen als von denjenigen „ohne Traumatisierung“. Bei schweren Gewaltdelikten zeigt sich, dass 24 % in Klasse 1 und 34 % in Klasse 2 berichten, ein schweres Gewaltdelikt begangen zu haben, während dies für mehr als die Hälfte der Teilnehmer in Klasse 3 zutrifft. Signifikant wird der Unterschied jedoch nur zwischen Klasse 1 und Klasse 3. Tabelle 32: Unterschiede in der Deliktschwere sowie in den Häufigkeiten einzelner Deliktarten zwischen den Traum aklassen Kriminologische Fragen (N = 197) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 41) N mind. ein Delikt 31 % 75,6 % Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 122) N 108 % 88,5 % Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 34) N 32 % 94,1 % χ² (df), p/ Post-HocVergleich 6,4 (2), 0,041* 19,63 (4), 0,001** Deliktschwere Kein/leicht 22 53,7 28 23 4 11,8 mittel 4 9,8 20 16,4 6 17,6 schwer 15 36,6 74 60,7 24 70,6 Sachbeschädigung Eigentumsdelikt 15 36,6 79 64,8 29 85,3 2,3 < 1 1 < 2,3 19,54 (2), 0,000** 1 < 2,3 26 63,4 107 87,7 28 82,4 12,13 (2), 0,002** 1<2 Eigentumsdelikt (schwer) Gewaltdelikt 14 15 34,1 36,6 66 78 54,1 63,9 18 24 52,9 5,1 (2), 0,080 70,6 11,65 (2), 0,003** 1 < 2,3 91 Ergebnisse Gewaltdelikt (schwer) Sexuelle Delikte Mediendelikte 10 24 41 33,6 19 8,57 (2), 0,014* 55,9 1<3 1 2,4 10 8,2 1 2,9 1,83; 0,389a 27 65,9 101 82,8 27 79,4 5,3 (2), 0,072 a Exakter Test nach Fisher Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 9 Tests muss hier streng genommen von einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,006 ausgegangen werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen markierte Wahrscheinlichkeiten), unter dem die Unterschiede bezüglich „schweres Gewaltdelikt“ sowie „mind. 1 Delikt“ nicht signifikant werden. Die „schwer traumatisierten“ Jugendlichen weisen zudem eine höhere Variabilität in ihrer Delinquenz auf. Durchschnittlich haben sie 6,4 (SD = 3,8) unterschiedliche Delikte begangen, dagegen die Teilnehmer der Klassen „Ohne Traumatisierung“ (M = 3,2, SD = 3,7) und „Mittlere Traumatisierung“ (M = 5,7, SD = 4) signifikant weniger (χ² = 16,2 (2), p <= 0,000) (Abbildung 18). Auf der Ebene der Anzahl verschiedener begangener Delikte in den einzelnen Deliktarten werden die Unterschiede zwischen den Klassen bezüglich Sachbeschädigungen, Eigentumsdelikten, (schwerer) Gewaltdelikten und Mediendelikten signifikant. Die Teilnehmer „Ohne Traumatisierung“ bejahen jeweils im Mittel am wenigsten verschiedene Delikte. 7 Mittelwert 6 5 4 3 2 1 mittlere Traumatisierung (Klasse 2, N= 122) schwere Traumatisierung (Klasse 3, N= 34) ve rs ch ie de ne Sa D ch el ikt be e sc hä di Ei gu sc ge ng hw nt um er er sd Ei el ge ik te nt um sd el ikt G e sc ew hw al t er de er lik G te ew al td el se ikt xu e el le rD M el ed ikt M ie e ed nd i el en ik de te lik (G te ew al tin ha l te ) 0 ohne Traumatisierung (Klasse 1, N= 41) Ab b i l d u n g 1 8 : M i t t l e r e A n z a h l v e r s c h i e d e n e r b e g a n g e n e r D e l i k t e ( j e D e l i k t a r t ) je Traum aklasse Ergebnisse 92 Deliktschwere Zur Beantwortung der Frage, ob die Heimjugendlichen in Abhängigkeit von Art und Häufigkeit belastender Ereignisse nicht nur andere, sondern auch schwerere Delikte begehen, wurden die Traumaklassen den Deliktschwere-Gruppen gegenübergestellt. Die drei Klassen unterscheiden sich signifikant darin, wie viele der Jugendlichen jeweils angeben, mindestens eins der abgefragten Delikte begangen zu haben (χ² = 6,4 (2), p = 0,041). Eine genauere Analyse der Deliktarten zeigt, dass weit über zwei Drittel der Jugendlichen aus der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ die Tat einer Sachbeschädigung (85 %) sowie ein Gewaltdelikt (71 %) angeben, während dieser Anteil in der Gruppe „Ohne Traumatisierung (37 %) signifikant niedriger liegt (Tabelle 32). Ebenfalls signifikant häufiger werden Sachbeschädigungen, Gewalt- und Eigentumsdelikte von Jugendlichen mit „mittlerer Traumatisierung“ begangen als von denjenigen „ohne Traumatisierung“. Bei schweren Gewaltdelikten zeigt sich, dass 24 % in Klasse 1 und 34 % in Klasse 2 berichten, ein schweres Gewaltdelikt begangen zu haben, während dies für mehr als die Hälfte der Teilnehmer in Klasse 3 zutrifft. Signifikant wird der Unterschied jedoch nur zwischen Klasse 1 und Klasse 3 (Tabelle 32). Es zeigt sich deutlich, dass über zwei Drittel der „schwer traumatisierten“ Jugendlichen schwere Delikte bejahen; dies gilt für immer noch 61 % der Klasse „Mittlere Traumatisierung“. Der Anteil schwerer Delikte sinkt dagegen bei den Teilnehmern „Ohne Traumatisierung“ auf 37 %. Während die Jugendlichen mit einem mittelschweren Delikt in den Gruppen „Ohne Traumatisierung“ und „Mittlere Traumatisierung“ den kleinsten Anteil ausmachen, wurden von den „schwer traumatisierten“ Jugendlichen am seltensten keine/leichte Vergehen (12 %) angegeben. Insgesamt unterscheiden sich damit die Traumaklassen nach Deliktschwere signifikant (χ² = 19,63 (4), p = 0,001); der Post-Hoc Vergleich verdeutlicht hier einen signifikanten Unterschied zwischen Klasse 1 zu den beiden anderen Klassen. Strafrechtlicher Einweisungsgrund Kein signifikanter Unterschied zwischen den Traumaklassen zeigt sich bezüglich des strafrechtlichen Einweisungsgrundes (Tabelle 33). 93 Ergebnisse Tabelle 33: Unterschied in der Häufigkeit einer strafrechtlichen Einweisung der Jugendlichen zwischen den Traum aklassen Strafrechtliche Einweisung (N = 204) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 39) Strafrechtliche Einweisung Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 130) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 35) N % N % N % 8 20 34 26 7 20 χ² (df), p/ Post-HocVergleich 0,9 (2), 0,639 Hier ist zu berücksichtigen, dass sich in der Gesamtstichprobe ein Geschlechtsunterschied in der Häufigkeit der strafrechtlichen Platzierung findet. Nur 5 % der Mädchen, dagegen 32 % der Jungen weisen einen strafrechtlichen Einweisungshintergrund (χ² = 16,3 (1), p <= 0,000) auf. Psychopathie Zur Überprüfung der Unterschiede zwischen den Traumaklassen in den Subskalen des YPI wurde das Geschlecht als zweiter Faktor in die Varianzanalyse mit aufgenommen, um Interaktionseffekte zu testen. Kein Interaktionseffekt wurde signifikant. In Tabelle 34 wird deutlich, dass trotz eines Zusammenhangs zwischen den Traumaklassen und Deliktschwere, keine Unterschiede zwischen den Klassen in der Ausprägung psychopathischer Persönlichkeitsfaktoren besteht. Tabelle 34: Mittelwertsunterschiede in den Skalen des YPI zwischen den Traum aklassen YPI (N = 197) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 40) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 122) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 35) Post-HocSD Vergleich M SD M SD M 10,6 2,1 11,4 2,3 11,3 2,4 9,7 2,9 10,6 2,8 10,2 3,1 Affektiv 10,4 2,3 11,2 2,6 10,5 2,2 Behavioral 11,7 2,7 12,6 2,6 13,3 3,2 Gesamtwert Interpersonal F (df1, df2), p/ 2,2 (2, 191), 0,114 1,3 (2, 191), 0,264 1,4 (2, 191), 0,255 2,4 (2, 191), 0,098 94 Ergebnisse 3.9 Vergleich der Traumaklassen nach Geschlecht Die Traumaklassen wurden für eine weitere Analyse nach Geschlecht getrennt und verglichen. Allerdings werden hier – insbesondere bei den Mädchen – die Gruppen teilweise sehr klein, so dass Unterschiede nur in ausgewählten, übergeordneten Variablen statistisch getestet wurden. Speziell interessierte, ob die Zusammenhänge zwischen den Traumaklassen und Psychopathologie, psychiatrische Diagnosen sowie Delinquenz bestehen blieben. 3.9.1 Weibliche Traumaklassen Die größte Gruppe der weiblichen Klassen - „Mittlere Traumatisierung“ - besteht aus 26 (43 %) weiblichen Teilnehmern; es folgt die „Schwere Traumatisierung“ Klasse mit 23 (38 %) Mädchen, 11 (18 %) weitere befinden sich in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“. Es zeigen sich keine Unterschiede in den soziodemographischen Variablen (Tabelle 35). Tabelle 35: Soziodemographische Merkm ale der weiblichen Traum aklassen Soziodemographische Merkmale – Mädchen (N = 60) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 11) N % Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 26) N % Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 23) N % χ² (df), p/ Post-HocVergleich 9,3; 0,112a Alter 10 – 13 2 18,2 1 3,8 0 0 14 – 15 7 63,6 11 42,3 8 34,8 16 – 17 1 9,1 11 42,3 12 52,2 18 – 20 1 9,1 3 11,5 3 13 4,8; 0,849a Institution Durchgangs/Beobachtungsheim Erziehungsheim (mit Grundschule) Erziehungsheim (ohne Grundschule) Erziehungsheim (schulentl. Jgdl. mit internem Beschäftigungs-/ Ausbildungsang. andere 4 36,4 6 32,1 6 26,1 3 27,3 5 19,2 4 17,4 2 18,2 3 11,5 5 21,7 2 18,2 11 42,3 8 34,8 0 0 1 3,8 0 0 95 Ergebnisse Strafrechtliche Einweisung 1,1; 0,979a Zivilrechtlich 8 72,7 20 76,9 17 77,3 Strafrechtlich 1 9,1 1 3,8 1 4,5 anderes 2 18,2 5 19,2 4 18,2 1 11,1 9 36 6 26,1 Ausländerstatus N = 10 IQ N = 24 2,1 (2), 0,349 N = 20 M SD M SD M SD 102,6 19,56 94,29 11,55 92,3 12,8 F (df1, df2), p 1,9 (2, 51), 0,153 a Exakter Test nach Fisher Psychopathologie und psychiatrische Diagnosen In den Maysi-2 Skalen bleiben die Unterschiede zwischen den Traumaklassen bei den weiblichen Teilnehmern größtenteils bestehen (Tabelle 36). Durchgängig in jeder Skala steigt der Wert von Klasse 1 zu Klasse 2 hin an; die „schwer traumatisierten“ Mädchen beschreiben sich demnach belasteter verglichen mit den Mädchen der anderen Gruppen. Außer in der Skala „Somatische Beschwerden“ werden die Unterschiede signifikant. Die Post-Hoc Vergleiche verdeutlichen die klinische Auffälligkeit der weiblichen Jugendlichen in der Klasse „Schwere Traumatisierung“. T abelle 36: Mittelwer tsunterschiede in den Subsk alen des Mays i-2 je Traum aklasse (weiblich) Maysi-2 – Mädchen (N = 59) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 11) M Alkohol- und Drogengebrauch ÄrgerlichReizbar DepressivÄngstlich 1,82 SD 2,6 Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 25) M 2,12 SD 2,68 Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 23) M 4,3 F (df1, df2), p/ Post-HocSD Vergleich 2,85 4,9 (2, 56), 0,011* 1,2 < 3 3,27 1,74 4,16 2,85 5,83 2,39 6,34 (2, 32,2), 0,005** 1<3 1,91 1,87 2,84 2,46 4,65 2,64 5,7 (2, 56), 0,005** 1,2 < 3 96 Ergebnisse Somatische Beschwerden 1,91 1,76 2,24 1,48 2,87 1,91 1,4 (2, 56), 0,250 Suizidgedanken 1,82 2,09 1,84 1,8 3,17 2 3,4 (2, 56), 0,042* Traumatische Erlebnisse 0,82 1,08 2 1,41 3,3 14,1 (2, 56), 0,000** 1,33 1,2 < 3 Mind. 1 Skala auffällig N % N % N % χ² (df), p 6 54,5 18 72 23 100 12,3; 0,002**a a Exakter Test nach Fisher Tabelle 37 zeigt, für wie viele der Mädchen in den einzelnen Traumagruppen eine psychiatrische Störung diagnostiziert wurde. Für den statistischen Vergleich werden die Gruppen bereits sehr klein. Auch wenn der Anteil der Mädchen mit Diagnose von Klasse 1 (54 %) zu Klasse 3 (87 %) ansteigt, wird der Unterschied nicht signifikant (χ² = 4,7 (2), p = 0,093). Dagegen zeigt sich für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ein signifikanter Unterschied zwischen den „schwer traumatisierten“ Mädchen (39 %) und den Mädchen „ohne Traumatisierung“ (7,7 %). Dieser Unterschied bleibt auch unter einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,025 (bei einer Annahme von 2 Tests) signifikant. T a b e l l e 3 7 : U n t e r s c h i e d e i n d e r H ä u f i g k e i t p s yc h i a t r i s c h e r D i a g n o s e n zwischen den Traum aklassen (weiblich) Diagnosen – Mädchen (N = 60) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 11) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 26) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 23) N % N % N % 6 54,5 17 65,4 20 87 Substanzgeb. Störung (F10-F14) 1 9,1 5 19,2 3 13 Depressive Störungen (F23, F33, F38, F39) 2 18,2 0 0 3 13 Mindestens eine ICD-10 Diagnose χ² (df), p/ Post-HocVergleich 4,7 (2), 0,093 97 Ergebnisse Angststörungen (F40 – F42) Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstör. (F43) Dissoziative, Somatisierungsund sonst. Neurotische Störungen (F44, F45, F48) ADHD (F90.0, F90.8 – F90.9) Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) 0 0 5 19,2 3 13 1 9,1 2 7,7 5 21,7 0 0 0 0 1 4,3 0 0 2 7,7 1 4,3 1 9,1 0 0 4 14,4 Störung des Sozialverhaltens (F91) 2 18,2 8 30,8 2 8,7 Kombinierte Störung des Sozialverhaltens (F92) 1 9,1 4 15,4 4 17,4 Persönlichkeitsstörung (mind. eine) Emotional instabile (F60.3) Nicht näher bezeichnete (F60.9) Kombinierte (F61.0) 1 9,1 2 7,7 9 39,1 7,64; 0,019*a 2<3 1 10 1 3,8 3 13 0 0 1 3,8 3 13 0 0 0 0 3 13 a Exakter Test nach Fisher Die weiblichen Teilnehmer in der Klasse „Schwere Traumatisierung“ leiden durchschnittlich an 2,04 (SD = 1,64) verschiedenen Störungen und zeigen damit eine höhere Komorbidität als die der Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ (MW = 1,31, SD = 1,4) und „Ohne Traumatisierung“ (MW = 1,1, SD = 1,2), der Unterschied ist jedoch nicht statistisch bedeutsam (χ² = 3,9 (2), p = 0,143). Soziales Funktionsniveau Die „schwer traumatisierten“ Mädchen werden in ihrem sozialen Funktionsniveau im Mittel als beeinträchtigter (M = 3,6, SD = 0,8) eingeschätzt als diejenigen der Klassen 98 Ergebnisse „Mittlere Traumatisierung“ (MW = 3,1, SD = 0,8) und „Ohne Traumatisierung“ (MW = 2,6, SD = 0,9) (χ² = 8,5 (2), p = 0,014). Delinquenz 91 % der „schwer traumatisierten“ Mädchen geben an, bereits eins der abgefragten Delikte begangen zu haben; dies gilt für 88 % der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ sowie 55 % der Mädchen „ohne Traumatisierung“. Damit unterscheiden sich die Klassen 1 und 3 signifikant voneinander. Die Klassen unterschieden sich zudem in den meisten Deliktarten signifikant (Tabelle 38). Die weiblichen Teilnehmer der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ geben sowohl signifikant häufiger Sachbeschädigungen sowie Taten aus dem Bereich der Medien an als die Mädchen „Ohne Traumatisierung“. Die Hälfte der „schwer traumatisierten“ Mädchen bejaht zudem ein schweres Gewaltdelikt und damit signifikant häufiger als diejenigen der Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ (16 %) und „Ohne Traumatisierung“ (9 %). Bei den Eigentumsdelikten zeigt sich ein etwas anderes Bild: Mit 88 % findet sich in der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ verglichen mit den anderen Gruppen der größte Anteil von weiblichen Teilnehmern, die ein Eigentumsdelikt angeben (χ² = 7,7 (2), p = 0,021). Dagegen bejahen mehr der Mädchen in der Klasse „Schwere Traumatisierung“ (43 %) ein schweres Eigentumsdelikt als in den anderen Klassen (27 bzw. 20 %), allerdings ohne statistisch bedeutsamen Unterschied. Tabelle 38: Unterschiede in der Deliktschwere sowie der Häufigkeit einzelner Deliktarten zwischen den Traum aklassen (weiblich) Kriminologische Fragen – Mädchen (N = 59) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 11) N % Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 25) N % Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 23) N % χ² (df), p/ Post-HocVergleich 11,9, 0,15*a Deliktschwere Kein/leicht 7 63,6 10 40 3 13 mittel 1 7,1 8 32 5 21,7 schwer 3 27,3 7 28 15 65,2 Sachbeschädigung 4 Eigentumsdelikt 5 36,4 11 44 29 82,6 3<1 1<3 9,82 (2), 0,007* 1,2 < 3 45,5 22 88 18 78,3 7,7 (2), 0,021* 99 Ergebnisse 1<2 Eigentumsdelikt (schwer) Gewaltdelikt 3 3 27,3 27,3 5 11 20 44 10 16 43,5 3,2 (2), 0,204 69,6 6,1 (2), 0,046* - Gewaltdelikt (schwer) Mediendelikte 1 9,1 4 16 12 52,2 10,2 (2), 0,006* 1,2 < 3 2 18,2 11 44 16 69,6 8,3 (2), 0,016* 1<3 a Exakter Test nach Fisher Des Weiteren weisen die „Schwere Traumatisierung“ Mädchen eine höhere DeliktVariabilität auf: Sie haben im Mittel 5,5 (SD = 3,5) verschiedene Delikte begangen, während diese Angaben für Klasse 1 (MW = 2,6, SD = 3,7) und Klasse 2 (MW = 3,2, SD = 2,7) niedriger liegen (χ² = 8,5 (2), p = 0,014). Es zeigt sich außerdem, dass der Anteil der Mädchen in der Klasse „Schwere Traumatisierung“, die ein schweres Delikt bejahen (65 %) signifikant höher ausfällt, als der in der Klasse „Ohne Traumatisierung“ (27 %). Der größte Anteil derjenigen, die keine/leichte Vergehen angeben, befindet sich unter den Mädchen „Ohne Traumatisierung“ (64 %). Es muss bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 9 Tests muss streng genommen ein korrigiertes Signifikanzniveau von p < 0,006 angelegt werden, unter dem keiner der in Tabelle 38 dargestellten Unterschiede signifikant wird. Strafrechtlicher Einweisungsgrund Kein signifikanter Unterschied zwischen den weiblichen Traumaklassen zeigt sich bezüglich des strafrechtlichen Einweisungsgrundes (Tabelle 33). 100 Ergebnisse Tabelle 39: Unterschied in der Häufigkeit einer strafrechtlichen Einweisung der Jugendlichen zwischen den weiblichen Traum aklassen Strafrechtliche Einweisung (N = 59) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 11) Strafrechtliche Einweisung Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 26) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 22) χ² (df), p/ N % N % N % 1 9 1 4 1 5 Post-HocVergleich 0,5; 0,780a a Exakter Test nach Fisher 3.9.2 Männliche Traumaklassen Die männlichen Traumaklassen unterscheiden sich stark in ihren Größen: Während insgesamt nur 13 (9 %) Jungen die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ bilden, befinden sich 71 % (N = 105) in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“; die restlichen 20 % (N = 30) wurden der Klasse „Ohne Traumatisierung“ zugeordnet (Tabelle 40). In der Klasse „Ohne Traumatisierung“ befinden sich signifikant mehr 10-13 jährige als in der Klasse „Mittlere Traumatisierung“. Dagegen ist der Anteil der 18-20 jährigen bei den „schwer traumatisierten“ Jungen signifikant höher als bei den Jungen „Ohne Traumatisierung“. Tabelle 40: Soziodemographische Merkm ale der m ännlichen Traum aklassen Soziodemographische Merkmale – Jungen (N = 148) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 30) N % Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 105) N % Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 13) N % χ² (df), p/ Post-HocVergleich 12,26, 0,041*a Alter 10 – 13 6 20 5 4,8 0 0 14 – 15 9 30 29 27,6 3 23,1 16 – 17 11 36,7 42 40 3 23,1 18 – 20 4 13,3 29 27,6 7 53,8 1<3 18,7; 0,002**a Institution Durchgangs/Beobachtungsheim Erziehungsheim (mit Grundschule) 2<1 4 13,3 4 3,8 1 7,7 16 53,3 31 29,5 2 15,4 2<1 101 Ergebnisse Erziehungsheim (ohne Grundschule) Erziehungsheim (schulentl. Jgdl. mit internem Beschäftigungs-/ Ausbildungsang. Strafrechtliche Einweisung 4 13,3 11 10,5 0 0 6 20 59 56,2 10 76,9 2,84, 0,592a Zivilrechtlich 12 42,9 48 46,2 4 30,8 Strafrechtlich 19 42,2 36 33,3 6 42,9 anderes 11 24,4 22 20,4 4 28,6 11 39,3 24 23,5 1 7,7 Ausländerstatus N = 29 IQ 1 < 2,3 N = 92 5,2 (2), 0,074 N = 10 M SD M SD M SD 98,31 12,63 96,41 14,41 103,6 10,53 F (df1, df2), p 1,3 (2, 128), 0,274 a Exakter Test nach Fisher Psychopathologie und psychiatrische Diagnosen Auch die männlichen Teilnehmer in der „Schwere Traumatisierung“ Gruppe beschreiben sich in allen Skalen, außer „Denkstörungen“, als durchschnittlich belasteter im Vergleich zu den anderen Klassen (Tabelle 41). Statistisch bedeutsame Unterschiede ergeben sich insgesamt für die Skalen „Alkohol- und Drogengebrauch“, „Ärgerlich-Reizbar“, „Depressiv-Ängstlich“, „Somatische Beschwerden“, „Denkstörungen“, und „Traumatische Erlebnisse“. Post-Hoc Vergleiche weisen auf eine signifikant höhere klinische Auffälligkeit der Gruppe„Mittlere Traumatisierung“ in den Bereichen „Alkohol- und Drogengebrauch“, „Depressiv-Ängstlich“, „Denkstörungen“ und „Traumatische Erlebnisse“ verglichen mit den Jungen „Ohne Traumatisierung“ hin. In den Skalen „Alkohol- und Drogengebrauch“, Ärgerlich-Reizbar“, „Somatische Beschwerden“ und „Traumatische Erlebnisse“ unterscheiden sich außerdem die „Schwere Traumatisierung“ Jungen mit einer signifikant höheren Belastung. 102 Ergebnisse T abelle 41: Mittelwer tsunterschiede in den Subsk alen des Mays i-2 zwischen den Traum aklassen (m ännlich) Maysi-2 – Jungen (N = 183) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 30) M Alkohol- und Drogengebrauch ÄrgerlichReizbar DepressivÄngstlich Somatische Beschwerden Suizidgedanken Denkstörungen Traumatische Erlebnisse 1,3 2,1 M 2,89 SD 2,96 Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 11) M 4,27 F (df1, df2), p/ Post-HocSD Vergleich 8 (2, 26), 0,002** 2,65 1 < 2,3 2,63 2,43 3,97 2,76 5,27 4,7 (2, 135), 0,010* 2,45 1<3 0,97 1,3 1,97 1,87 2,82 6,65 (2, 25), 0,005** 2,44 1<2 0,8 0,96 1,27 1,3 2,09 4,3 (2, 135), 0,016* 1,7 1<3 0,63 0,33 1,27 0,66 1,14 0,85 1,67 1,2 2 0,36 3 (2, 25), 0,070 1,95 4,6 (2, 28), 0,018* 0,92 1<2 1,13 1,36 2,11 1,34 3,64 1,03 15,2 (2, 135), 0,000** 1<2<3 N Mind. 1 Skala auffällig SD Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 97) 14 % 46,7 N 67 % 69,1 N 10 % χ² (df), p 90,9 8,44 (2), 0,015* 1<3 Tabelle 42 zeigt, für wie viele der Jungen in den einzelnen Traumaklassen eine psychiatrische Störung diagnostiziert wurde. Der Anteil der Jungen mit Diagnose steigt von Klasse 1 (60 %) über Klasse 2 (75 %) zu Klasse 3 (92 %) an, die Unterschiede sind jedoch nicht statistisch bedeutsam. Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung findet sich ein deutlicheres Bild: 62 % der „schwer traumatisierten“ Jungen weisen eine Persönlichkeitsstörung auf und damit signifikant häufiger als diejenigen der Klassen „Ohne 103 Ergebnisse Traumatisierung“ (17 %) und „Mittlere Traumatisierung“ (24 %). Dieser Unterschied bleibt auch unter einem korrigierten Signifikanzniveau von p < 0,025 (bei einer Annahme von 2 Tests) signifikant. T a b e l l e 4 2 : U n t e r s c h i e d e i n d e n H ä u f i g k e i t e n p s yc h i a t r i s c h e r D i a g n o s e n zwischen den Traum aklassen (m ännlich) Diagnosen – Jungen (N = 148) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 30) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 105) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 13) N % N % N % 18 60 79 75,2 12 92,3 4 13,3 26 24,8 4 30,8 1 3,3 5 4,8 4 30,8 1 3,3 7 6,7 1 7,7 3 10 5 4,8 1 7,7 0 0 0 0 1 7,7 3 10 6 5,7 1 7,7 4 13,3 22 21 1 7,7 Störung des Sozialverhaltens (F91) 5 16,7 30 28,6 5 38,5 Kombinierte Störung des Sozialverhaltens (F92) 2 6,7 7 6,7 3 23,1 Mindestens eine ICD-10 Diagnose Substanzgeb. Störung (F10-F14) Depressive Störungen (F23, F33, F38, F39) Angststörungen (F40 – F42) Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstör. (F43) Dissoziative, Somatisierungsund sonst. Neurotische Störungen (F44, F45, F48) ADHD (F90.0, F90.8 – F90.9) Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) Persönlichkeitsstörung (mind. eine) 2 6,7 25 23,8 8 61,5 χ² (df), p/ Post-HocVergleich 5,3 (2), 0,069 15,1 (2), 0,001** 1,2 < 3 104 Ergebnisse Dissoziale (F60.2) Emotional instabile (F60.3) Nicht näher bezeichnete (F60.9) Kombinierte (F61.0) 0 0 6 5,8 1 7,7 0 0 1 1 2 15,4 1 3,8 12 11,7 4 30,8 0 0 1 1 0 0 Die männlichen Teilnehmer in der Klasse „Schwere Traumatisierung“ zeigen mit durchschnittlich 2,85 (SD = 2) verschiedenen Störungen eine höhere Komorbidität auf als die Jungen der Klassen „Mittlere Traumatisierung“ (MW = 1,79, SD = 1,6) und „Ohne Traumatisierung“ (MW = 1,1, SD = 1,2). Der Unterschied wird signifikant (χ² = 9,5 (2), p = 0,008). Soziales Funktionsniveau Die Beeinträchtigung im sozialen Funktionsniveau wird zwar für die Jungen der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ (MW = 3,6, SD = 1) größer eingeschätzt, ein signifikanter Unterschied zu den anderen Klassen (Klasse 1: MW = 3, SD = 1; Klasse 2: MW = 3, SD = 1,1) findet sich jedoch nicht (χ² = 2,9 (2), p = 0,231). Delinquenz 100 % der „schwer traumatisierten“ Jungen geben an, bereits eins der abgefragten Delikte begangen zu haben; dies gilt für 89 % der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ sowie 83 % der Jungen „ohne Traumatisierung“. Die Unterschiede werden nicht signifikant. Von den männlichen Teilnehmern der Gruppen „Schwere Traumatisierung“ und „Mittlere Traumatisierung“ geben signifikant mehr Sachbeschädigungen an als diejenigen „Ohne Traumatisierung“. Zudem haben signifikant mehr Jungen der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ Eigentums- und Gewaltdelikte begangen als die der Klasse „Ohne Traumatisierung“; bei den anderen Deliktarten zeigt sich zwar eine ähnliche Verteilung, jedoch kein statistisch bedeutsamer Unterschied (Tabelle 43). Des Weiteren weisen die „schwer traumatisierten“ Jungen mit durchschnittlich 8 und die der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ mit durchschnittlich 6 verschiedenen Delikten eine höhere Delikt-Variabilität auf als die der Klasse „Ohne Traumatisierung“ (M = 3,4, SD = 3,8). Der Unterschied wird signifikant (χ² = 14,7 (2), p = 0,001). 105 Ergebnisse Tabelle 43: Unterschiede in der Deliktschwere sowie der Häufigkeit einzelner Deliktarten zwischen den Traum aklassen (m ännlich) Kriminologische Fragen – Jungen (N = 138) Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 30) N % Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 97) N % Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 11) N % χ² (df), p/ Post-HocVergleich 12,6; 0,008*a Deliktschwere Kein/leicht 15 50 18 18,6 1 9,1 mittel 3 10 12 12,4 1 9,1 schwer 12 40 67 69,1 9 81,8 Sachbeschädigung 11 Eigentumsdelikt 21 70 85 87,6 10 90,9 Eigentumsdelikt (schwer) 11 36,7 61 62,9 8 72,7 Gewaltdelikt 12 40 67 69,1 8 72,7 36,7 68 70,1 10 2<1 1<2 14,8 (2), 0,001** 90,9 1 < 2,3 5,1; 0,064a 7,5 (2), 0,023* 1<2 8,8 (2), 0,012* 1<2 Gewaltdelikt (schwer) 9 30 37 38,1 7 63,6 3,9 (2), 0,145 Sexuelle Delikte 1 3,3 10 10,3 1 9,1 1,3; 0,596a 25 83,3 90 92,8 11 100 3; 0,208a Mediendelikte a Exakter Test nach Fisher Zudem haben signifikant mehr Jungen der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ (69 %) bereits ein schweres Delikt begangen als diejenigen „Ohne Traumatisierung“ (40 %). Der größte Anteil derjenigen, die keine/leichte Vergehen angeben, befindet sich unter den Jungen „Ohne Traumatisierung“ (39 %); dagegen liegt der größte Anteil derjenigen, die ein schweres Delikt begangen haben in der Klasse „Schwere Traumatisierung“ (82 %) (Tabelle 43). Es muss bedacht werden, dass diese Ergebnisse exploratorisch sind. Aufgrund der Annahme von 9 Tests muss streng genommen ein korrigiertes Signifikanzniveau von p < 0,006 angelegt werden (siehe sowohl fett als auch mit Sternchen 106 Ergebnisse markierte Wahrscheinlichkeiten), unter dem nur der Vergleich bezüglich „Sachbeschädigungen“ signifikant bleibt. Strafrechtlicher Einweisungsgrund Kein signifikanter Unterschied zwischen den männlichen Traumaklassen zeigt sich bezüglich des strafrechtlichen Einweisungsgrundes (Tabelle 44). Tabelle 44: Unterschied in der Häufigkeit einer strafrechtlichen Einweisung der Jugendlichen zwischen den m ännlichen Traum aklassen Strafrechtliche Einweisung (N = 145) Strafrechtliche Einweisung Klasse 1 Ohne Traumatisierung (N = 28) Klasse 2 Mittlere Traumatisierung (N = 104) Klasse 3 Schwere Traumatisierung (N = 13) N % N % N % 7 25 33 32 6 46 χ² (df), p 1,8 (2), 0,400 Diskussion 107 4 Diskussion Im Folgenden werden die beschriebene Studie und ihre wichtigsten Ergebnisse diskutiert. Nach einer kurzen Zusammenfassung werden einerseits die methodischen Grenzen und andererseits die Stärken der Studie dargestellt. Anschließend werden die traumatischen Belastungen der Kinder und Jugendlichen in deutschschweizerischen Heimeinrichtungen und ihre Zusammenhänge mit Delinquenz und Psychopathologie erörtert. Anhand der zu Anfang aufgestellten Hypothesen werden die beschriebenen Ergebnisse diskutiert und in den aktuell wissenschaftlichen Forschungsstand eingeordnet. Die Einteilung der Jugendlichen in Klassen anhand ihrer traumatischen Erlebnisse wird schließlich hinsichtlich ihrer Nützlichkeit und Aussagefähigkeit betrachtet. 4.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Vor dem Hintergrund, dass bisher für die Deutschschweiz ein Überblick zur psychischen Gesundheit sowie der traumatischen Erfahrungen der Jugendlichen in stationären Maßnahmen fehlt, lag ein wichtiges Ziel der Studie in der Beschreibung der traumatischen Belastungen deutschschweizerischer Heimjugendlicher. Weitergehend sollte durch die Bildung von Gruppen auf Basis von selbstberichteten traumatischen Ereignissen geprüft werden, ob sich Jugendliche mit ähnlichen „Trauma-Profilen“ zu Klassen zusammenfassen lassen, die sich in Psychopathologie und Delinquenz unterscheiden. Es zeigte sich, dass die Prävalenz traumatischer Erlebnisse in der Stichprobe sehr hoch liegt. Mindestens ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben gehört unter den Heimjugendlichen zur „Normalität“; nur wenige verneinten alle der abgefragten Erlebnisse. Die Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung fiel mit 4 % im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ebenfalls hoch aus. Bei der anschließenden Bildung der „Trauma-Klassen“ anhand der Latenten Klassenanalyse fanden sich drei Gruppen mit sehr unterschiedlicher Größe: Die meisten Teilnehmer wurden der Klasse mit „Mittlerer Traumatisierung“ zugeordnet und gaben mindestens ein, oftmals jedoch mehr als zwei verschiedene traumatische Erlebnisse an. Eine kleine Gruppe von Jugendlichen, die keines der abgefragten Ereignisse bejahten, wurde zu der Klasse „Ohne Traumatisierung“ zusammengefasst. Die dritte Gruppe wurde mit „Schwere Traumatisierung“ benannt, da die Jugendlichen hier mindestens 4 verschiedene traumatische Erlebnisse sowie oftmals interpersonale Traumata (z. B. „sexueller Missbrauch“) angaben. Im anschließenden Vergleich fanden sich in den meisten Maßen zur Psychopathologie Unterschiede zwischen den Klassen. So war die Klasse Diskussion 108 „Schwere Traumatisierung“ durch das höchste Maß an psychopathologischer Auffälligkeit gekennzeichnet. Insgesamt zeigten die Jugendlichen „Ohne Traumatisierung“ die geringste Belastung von allen drei Gruppen. Weiterhin fanden sich Unterschiede zwischen den Klassen im Hinblick auf Delinquenz: Auch hier stieg der Anteil der Jugendlichen, die (schwere) Delikte begangen hatten, von der Klasse „Ohne Traumatisierung“ über die Klasse „Mittlere Traumatisierung“ bis hin zu „Schwere Traumatisierung“ an. Die Klasse „Schwere Traumatisierung“ fiel zudem dadurch auf, dass die dieser Gruppe zugehörigen Jugendlichen häufiger bereits schwere Gewaltdelikte begangen hatten. Es zeigte sich weiterhin, dass sich die Gruppen auch hinsichtlich der Zufriedenheit der Jugendlichen mit der Maßnahme unterschieden sowie in ihrem aktuellen kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungsstatus. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass bei den Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ zwar häufiger ein Behandlungsbedarf gesehen wird, sie sich jedoch seltener aktuell in Behandlung befinden. 4.2 Diskussion der methodischen Stärken und Schwächen der Studie 4.2.1 Selektionsprozesse 35 % der vom Bundesamt für Justiz geförderten Heimeinrichtungen in der Deutschschweiz nahmen an der vorliegenden Studie teil, weshalb Selektionsprozesse nicht ausgeschlossen werden können. So ist vorstellbar, dass sich vorwiegend jene Institutionen für eine Teilnahme entschlossen, die sich insgesamt durch hohes Engagement der Mitarbeiter sowie Kooperationsbereitschaft mit anderen Bereichen auszeichnen. Möglicherweise fühlten sich auch einige der Einrichtungen zu einer Mitarbeit an dem Forschungsprojekt „genötigt“, da es durch das Bundesamt für Justiz mitfinanziert wurde. Um Selektionseffekte ausschließen zu können, müsste eine Zufallsstichprobe aus den nicht teilnehmenden Einrichtungen gezogen und mit der Gesamtstichprobe verglichen werden. Ein solches Vorgehen ist allerdings nicht nur mit einem hohen Aufwand verbunden, sondern auch deshalb schwer realisierbar, weil bei den nicht teilnehmenden Einrichtungen kaum mit der Motivation zur Mitarbeit gerechnet werden kann. Allerdings zeigen die durch die Studie abgedeckten Institutionstypen, dass ein repräsentativer Querschnitt der deutschschweizerischen Heimlandschaft erhoben werden konnte: Von 12 möglichen Institutionstypen sind 11 in der Studie vertreten. Weitere Selektionsprozesse betreffen die Jugendlichen, die ihr schriftliches Einverständnis für eine Teilnahme an der Studie gaben. Insgesamt nahmen 43 % aller Jugendlichen teil, Diskussion 109 die sich zum fraglichen Zeitpunkt in einer der teilnehmenden Einrichtungen aufhielten. Es wäre möglich, dass nur diejenigen Jugendlichen zu einer Mitarbeit bereit waren, die sich auch im Heimalltag kooperativer zeigen. Ebenso ist vorstellbar, dass die jeweiligen Heimbetreuer nur einen Teil der Jugendlichen ihrer Institution für eine Teilnahme an dem Projekt ansprachen. Folglich ist denkbar, dass eher unauffällige Jugendliche gewählt wurden, bei denen eine Mitarbeit für wahrscheinlicher gehalten wurde; ebenso ist vorstellbar, dass insbesondere sehr auffällige Jugendliche gefragt wurden, um im Rahmen der Studie eine gründliche Abklärung ihrer Psychopathologie zu erhalten. Aufgrund der insgesamt großen Anzahl von insgesamt 329 teilnehmenden Jugendlichen kann jedoch von einer ausreichenden Repräsentativität ausgegangen werden. 4.2.2 Erfassung der traumatischen Erfahrungen Kritisch zu betrachten ist, dass die traumatischen Erfahrungen nur über die Selbstbeurteilung der Heimjugendlichen erhoben wurden. Da keine Fremdbeurteilung vorliegt, können mögliche Verzerrungseffekte nur diskutiert, jedoch nicht aufgedeckt werden. Es ist möglich, dass einige Erfahrungen von den Jugendlichen nicht erinnert wurden. Insbesondere traumatische Erlebnisse in der frühen Kindheit sind oftmals nicht bewusst abrufbar; schwere traumatische Erfahrungen wie etwa sexueller Missbrauch können Amnesien zur Folge haben. Dies würde für eine Unterschätzung der Prävalenz traumatischer Erlebnisse in der vorliegenden Stichprobe sprechen. Ebenfalls ist möglich, dass Erlebnisse fälschlicherweise bejaht wurden, was zu einer Überschätzung der Prävalenz führen würde. Allerdings ist letzteres eher unwahrscheinlich, da sich die vorliegenden Daten mit denen anderer Studien decken bzw. teilweise eher unter den Zahlen anderer Untersuchungen liegen. McGee et al. (1995) konnten feststellen, dass die Fremd- und Selbstbeurteilungen zum Vorliegen traumatischer Erfahrungen zwischen Jugendlichen und ihren jeweiligen Betreuern teilweise stark voneinander abwichen, da die Jugendlichen eher seltener entsprechende Erlebnisse bejahten. Insgesamt erwiesen sich jedoch die Selbstbeurteilungen als die besseren Prädiktoren sowohl für internalisierende als auch für externalisierende Symptome im Fremd- und Selbsturteil. Weiterhin muss erwähnt werden, dass keine Daten zu Schwere, Dauer und Zeitpunkt der traumatischen Erlebnisse erhoben wurden. Somit kann z. B. „sexueller Missbrauch“ sowohl von einer Jugendlichen mit chronischen Missbrauchserfahrungen angegeben worden sein als auch von einer Person, die nur einmal sexuellen Missbrauch erlebt hat. Auch der Zeitpunkt, zu dem eine bestimmte Erfahrung gemacht wurde, kann die Folgen Diskussion 110 des Erlebnisses beeinflussen (Manly et al., 2001; Thornberry et al., 2001). Folglich können keine Aussagen darüber getroffen werden, ob die Angaben der Jugendlichen zu traumatischen Erlebnissen untereinander in Schwere, Dauer und Zeitpunkt vergleichbar sind. Es kann nur vermutet werden, dass interpersonale Traumata wie etwa „sexueller Missbrauch durch eine bekannte Person“ oder „Vernachlässigung/Verwahrlosung“ häufig mehrfach oder chronisch erlebt wurden und seltener nur einmalig vorkamen. 4.2.3 Sonstige methodische Schwächen Die Erfassung aller biographischen sowie anamnestischen Faktoren (wie z. B. der Behandlungsstatus eines Jugendlichen) fand ausschließlich über die Betreuer statt. Dies schließt mögliche Fehlerquellen bzw. die Gefahr fehlender Werte ein, da viele der abgefragten Informationen über die Heimjugendlichen oft nicht bekannt waren. Besonders auffällig zeigte sich dies bei den „familiären Auffälligkeiten“, die teilweise für bis zu 70 % der Jugendlichen nicht beantwortet werden konnten. Neben den vielen fehlenden Werten sind jedoch auch fehlerhafte Antworten möglich – z. B. wenn der jeweilige Betreuer falsch informiert war. Eine zusätzliche Befragung der Eltern hätte hier entsprechende Lücken in den biographischen Angaben schließen können; diese konnte jedoch aufgrund des erheblichen Mehraufwands nicht realisiert werden. Weiterhin ergibt sich aus den vielen eingesetzten Verfahren der Nachteil, dass nicht für jeden Jugendlichen jeder Test ausgefüllt wurde. Viele Betreuer und Jugendliche beantworteten nur einen Teil der gesamten Testbatterie. Dies bedeutet, dass bei der Auswertung unterschiedlicher Tests – meist jedoch nur minimal – verschiedene Stichproben vorliegen, so dass die Vergleichbarkeit untereinander leicht eingeschränkt sein kann. So wurden etwa Tests wie der Maysi-2 von 234 Jugendlichen ausgefüllt – dagegen liegen für die „Ursache der Maßnahme“ nur Daten zu 221 Jugendlichen vor. Dennoch kann die Datenlage als sehr gut bewertet werden, da Ergebnisse für eine große Anzahl von Verfahren für eine große Stichprobe vorliegen. Positiv ist zudem, dass aufgrund der computerbasierten Erhebung in den Fragebogenverfahren keine Werte fehlen. Eine methodische Schwäche, die allerdings zugleich eine Stärke darstellt, ist die große Heterogenität der Stichprobe: Aufgrund der vielen verschiedenen Institutionstypen, der großen Altersverteilung und insbesondere der sehr unterschiedlichen Maßnahmen, die in Art und Dauer stark differieren, sind viele nicht zu kontrollierende Störvariablen möglich. Entgegen einer standardisierten, experimentellen Laborsituation ist eine Kontrolle solcher Faktoren in einem realen Setting, das zudem die breite Heimlandschaft der Diskussion 111 Deutschschweiz abbilden soll, nicht möglich. Nur aufgrund der großen Heterogenität kann die Stichprobe repräsentativ für dieses Feld sein, da die Heimjugendlichen sich in den Gründen für ihre Einweisung stark voneinander unterscheiden. Dementsprechend stellt die Heterogenität auch eine große Stärke der Studie dar, da sie Voraussetzung für die Repräsentativität der Ergebnisse ist. Aufgrund der großen Stichprobe ist zudem damit zu rechnen, dass sich etwa bei Gruppenvergleichen die Störvariablen gleich verteilen und somit die Ergebnisse nicht verzerren. Für kausale Schlussfolgerungen muss zudem einschränkend bedacht werden, dass es sich in der vorliegenden Studie um Querschnittsdaten handelt. Alle Daten wurden zu einem Messzeitpunkt erhoben, so dass ein kausaler Zusammenhang zwischen traumatischen Erfahrungen und Psychopathologie bzw. Delinquenz nur mit Vorsicht hergestellt werden darf. Theoretisch wäre es möglich, dass eine psychopathologische Auffälligkeit bereits vor den traumatischen Erlebnissen existierte oder dass ein delinquentes Verhalten erst zu traumatisierenden Erfahrungen geführt hat. Die zeitliche Abfolge ist demnach nicht bekannt, zumal nicht gefragt wurde, wann ein entsprechendes Ereignis erlebt wurde bzw. wann es zum ersten Mal erlebt wurde. Folglich kann nur aufgrund der Ergebnisse vieler anderer Studien in diesem Bereich, insbesondere von Längsschnittstudien, der vorsichtige Schluss gezogen werden, dass die in der vorliegenden Studie gefundenen Zusammenhänge auch kausalen Charakter haben. Weiterhin muss der Alters- und Geschlechtsunterschied zwischen den gebildeten Klassen bei der Interpretation berücksichtigt werden. In einigen Maßen (z. B. zur Psychopathologie) zeigten sich ebenfalls Alters- und Geschlechtsunterschiede, so dass bei der Auswertung von Zusammenhängen zwischen den Klassen und den jeweiligen abhängigen Variablen Konfundierungen möglich sind. Eine Möglichkeit zur Kontrolle solcher „Störvariablen“ – in diesem Falle „Geschlecht“ und „Alter“ – ist die Berechnung einer Kovarianzanalyse, bei der der auf die Kovariate zurückgehende Einfluss auf die abhängige Variable herausgerechnet wird. Es wurde überlegt, die Variablen „Geschlecht“ und „Alter“ als Kovariate in die Analyse der Unterschiede zwischen den Klassen einzufügen, um die Geschlechts- und Altersverteilung nachträglich auszugleichen. Da jedoch die Gruppen aufgrund ihrer Bildung durch die Latente Klassenanalyse logischerweise nicht randomisiert zusammengestellt wurden, kann nicht nachvollzogen werden, ob die Gruppenunterschiede in Geschlecht und Alter zufällig oder „wahr“ sind. Da jedoch sowohl das Geschlecht als auch das individuelle Alter Faktoren darstellen, die auf natürliche Art und Weise mit der Erfahrung traumatischer Erlebnisse zusammenhängen, ist Diskussion 112 von einer „wahren“ Differenz auszugehen. Ein statistisches „Gleichmachen“ der Klassen würde somit nicht den natürlichen Bedingungen der Klassenzusammensetzung entsprechen und zum Verlust der Repräsentativität der Ergebnisse führen. Unterscheiden sich nicht randomisierte Gruppen in einer „Störvariable“ signifikant, kann die Kovarianzanalyse demnach nicht das geeignete Verfahren darstellen, um die störende Kovariate zu kontrollieren (Miller & Chapman, 2001). Die so genannte Störvariable ist unter Umständen ein mit der abhängigen Variable wesentlich zusammenhängender Faktor, der nicht künstlich auspartialisiert werden darf. Die Bildung der Klassen ergab sehr ungleiche Gruppengrößen: Während der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ 63 % der Jugendlichen zugeordnet wurden, entfielen auf die anderen beiden Klassen nur 20 % bzw. 17 % – somit fanden die statistischen Vergleiche zwischen Klassen statt, die sich in ihrer Größe stark unterschieden. Da die kleinste Klasse nur 36 Jugendliche enthielt, besteht die Möglichkeit, dass statistische Vergleiche aufgrund der kleinen Substichproben nicht signifikant sind. Dies fällt insbesondere bei den nach Geschlecht getrennten Trauma-Klassen ins Gewicht, da hier die Gruppengröße auf bis zu 11 Jugendliche in einer Klasse abfiel. Es wurde auch überlegt, inwiefern die Verwendung des Maysi-2 – also eines computerbasierten Verfahrens – Verzerrungen bewirkt haben könnte, da die zu diesem Instrument vorliegenden Normen per „Paper and Pencil“ erhoben wurden. Hier besteht die Möglichkeit, dass am Computer die Bereitschaft zum wahrheitsgemäßen Antworten anders ausfiel als bei der Papierversion. So zeigte sich etwa in einer Studie mit männlichen Jugendlichen, dass am Computer häufiger selbstschädigendes und riskantes Verhalten (wie z. B. Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Suizidgedanken) angegeben wurde als in den Papierversionen der Fragebögen (Turner et al., 1998). Es ist denkbar, dass ein Computer das Gefühl für die Anonymität der Untersuchungsergebnisse erhöht und die Beantwortung der Fragen weniger Scham hervorruft ist als bei „Paper-and-Pencil“-Versionen. Allerdings konnten Hayes et al. (2005) zeigen, dass die computerbasierte Audio-Version des Maysi-2 signifikant mit der Papierversion korreliert und ähnliche Alpha-Koeffizienten für die einzelnen Skalen aufweist. Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass die Computer- und die Papierversion des Maysi-2 vergleichbare Instrumente sind. Allerdings sind sie der Ansicht, dass die Computerversion zu bevorzugen ist, da fehlende Werte reduziert werden, die Bereitschaft zur Angabe stigmatisierten Verhaltens steigt und Auswertungen automatisch erstellt werden können (Hayes et al., 2005). Diskussion 113 4.2.4 Diskussion der methodischen Aspekte der Klassenbildung durch die Latente Klassenanalyse Die Latente Klassenanalyse wurde mit einer „known class“ durchgeführt, da die Klasse „Ohne Traumatisierung“ im Voraus als feste Gruppe definiert wurde. Andere Studien zur Klassenbildung auf Basis von traumatischen Erlebnissen gehen in dieser Hinsicht anders vor: Alle Jugendlichen – ob nun mit traumatischem Erlebnis oder ohne traumatisches Erlebnis – werden in die Klassenbildung einbezogen, so dass „gemischte“ Klassen entstehen (Hebert et al., 2007; Romano et al., 2006; Shevlin & Elklit, 2008). In der vorliegenden Studie wurde gegen ein solches Vorgehen entschieden, da die Jugendlichen ohne die Angabe eines traumatischen Ereignisses keine qualitative Information zur Klassenbildung beitragen konnten. Um sie dennoch nicht vollständig aus der Klassenanalyse ausschließen zu müssen, wurde die Funktion „known class“ verwendet: Bei dieser Funktion werden auch diejenigen Personen, die aufgrund ihrer Item-Werte zur „known class“ zusammengefasst werden, bei der Berechnung der Auftretenswahrscheinlichkeiten der einzelnen Items mit einbezogen. Dies bedeutet, dass auch für die Jugendlichen, die keines der Erlebnisse bejahten, geringe Wahrscheinlichkeiten für das Erleben der einzelnen Ereignisse ausgegeben werden. Dieses Vorgehen trägt zu einer schlechteren Vergleichbarkeit mit anderen Studien bei und beeinflusst die Klassenbildung entscheidend. Dennoch wurde nach sorgfältiger Abwägung für die Festlegung einer „known class“ entschieden, da sich Jugendliche ohne ein traumatisches Ereignis aufgrund anderer Studienergebnisse und theoretischen Vorannahmen von Jugendlichen mit solchen Erlebnissen unterscheiden. Weiterhin wurde vor Klassenbildung die Verwendung von Kovariaten bei der Latenten Klassenanalyse besprochen. Es wurde überlegt, Geschlecht und Alter als Kovariate in die Analyse einzuschließen, da bei diesen Faktoren ein Einfluss auf die Anzahl verschiedener und das Vorhandensein bestimmter traumatischer Erfahrungen angenommen wurde. Da es sich bei ihnen jedoch um natürliche Einflussfaktoren (so genannte „organismische“ Faktoren) handelt, wurde davon abgesehen. Alter und Geschlecht hängen auf natürliche Weise mit der Erfahrung traumatischer Erlebnisse zusammen – Mädchen erleben häufiger andere Ereignisse als Jungen wie etwa sexuellen Missbrauch (z.B. Abram et al., 2004; Adam & Peters, 2003; Ariga et al., 2008; Burton et al., 1994; Cauffman et al., 1998; Dixon et al., 2005; Hepp et al., 2006b; Perkonigg et al., 2000; Ruchkin et al., 2002), ältere Jugendliche haben häufig schon mehr Erfahrungen gemacht als jüngere – und sollten sich daher entsprechend auf die Klassenbildung auswirken. Diskussion 114 Weitere Überlegungen betrafen die Anzahl der verwendeten Items für die Bildung der Klassen. Hier fiel letztlich die Entscheidung, nur diejenigen Items einzuschließen, die qualitative Informationen zur Klassenbildung beitragen konnten, so dass Items wie „Folter“ oder „Krieg“ ausgeschlossen wurden, da kaum ein Jugendlicher diese Erlebnisse bejahte. Schwieriger gestaltete sich die Entscheidung bezüglich des Items „Gefangenschaft“. Da viele der Jugendlichen aufgrund delinquenten Verhaltens straffrechtlich in die jeweilige Institution eingewiesen wurden, ist eine Konfundierung des Erlebnisses „Gefangenschaft“ mit der aktuell erlebten Gefangenschaft infolge von Straffälligkeit möglich: Somit ist nicht klar, ob „Gefangenschaft“ bejaht wurde, weil sie vor der Heimeinweisung erlebt wurde oder weil die aktuelle Situation bewertet wurde. Ebenfalls ist möglich, dass auch ein zivilrechtlich eingewiesener Jugendlicher seine Situation im Heim als eine Art Gefangenschaft empfindet. Der Aufenthalt in einem geschlossenen Heim stellt durchaus eine traumatische Erfahrung dar – dementsprechend wurde die Aufnahme des Items „Gefangenschaft“ in die Klassenbildung beschlossen, zumal immerhin 19 % der Jugendlichen dieses Erlebnis bejahten. Allerdings wurde damit in Kauf genommen, dass die Vergleiche der gebildeten Klassen in Delinquenz durch das Item „Gefangenschaft“ konfundiert sind, da der Faktor „delinquentes Verhalten“ die Klassenbildung indirekt beeinflusst haben könnte. Diese Möglichkeit muss demnach bei der Interpretation der Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen den Klassen und Delinquenz bedacht werden. Allerdings zeigte sich auch, dass sich die beiden TraumaKlassen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ bezüglich des Erlebnisses „Gefangenschaft“ nicht signifikant unterschieden, so dass eine zu starke Konfundierung ausgeschlossen werden kann. 4.2.5 Diskussion der methodischen Stärken Eine wesentliche Stärke der vorliegenden Studie ist die Größe der Stichprobe. Mit insgesamt 329 Jugendlichen konnten 43 % aller Heimjugendlichen der teilnehmenden Einrichtungen rekrutiert werden; mit 266 Jugendlichen wurden psychiatrische Interviews durchgeführt. Bisher liegt für die Deutschschweiz keine vergleichbare Stichprobe vor; noch nie konnte eine so große Anzahl an Heimjugendlichen in der Schweiz für eine Studie gewonnen werden. Somit können erstmals repräsentative Aussagen über Psychopathologie, Delinquenz, traumatische Erfahrungen und viele weitere Faktoren bei Jugendlichen in deutschschweizerischen Heimen getroffen werden. Die große Heterogenität der Stichprobe kann ebenfalls als Stärke betrachtet werden, da sie die Heterogenität der Heimlandschaft in der Schweiz widerspiegelt. Sowohl Jugendliche mit zivil- als auch mit strafrechtlichem 115 Diskussion Einweisungshintergrund aus den unterschiedlichsten Institutionstypen nahmen an der Studie teil, so dass mit den Ergebnissen eine Aussage über den größten Teil der deutschschweizerischen Heime getroffen werden kann. Die Größe der Stichprobe zeigt sich zudem eindrucksvoll im Vergleich zu internationalen Studien im Bereich der Forschung zur Heimerziehung bzw. zu inhaftierten Jugendlichen: Eine Stichprobengröße mit N > 200 wurde nur selten erreicht (z. B. Blower et al., 2004; Fazel et al., 2008; Hellinckx & Grietens, 2003; Hukkanen et al., 1999; McCann et al., 1996; Meltzer et al., 2003a; Mount et al., 2004). Wird dabei noch berücksichtigt, dass die Deutschschweiz im Vergleich zu den meisten Ländern ein vergleichsweise kleines Gebiet umfasst, wird die Dimension der Stichprobengröße in vorliegender Studie deutlich. Eine weitere methodische Stärke stellt die Diagnosestellung der psychiatrischen Störungen dar. Die Erhebung der Diagnosen anhand strukturierter klinischer Interviews, die durch geschulte Psychologinnen bzw. einen Kinder- und Jugendpsychiater durchgeführt wurden, stellt den Goldstandard kinder- und jugendpsychiatrischer Diagnostik dar. Viele epidemiologische Studien nutzen zur Erhebung der psychischen Belastung dagegen meist nur Fragebogen- und/oder Screeningverfahren (z. B. Blower et al., 2004; Burns et al., 2004; Schmid et al., 2008). Gesicherte psychiatrische Diagnosen lassen sich jedoch nur anhand strukturierter klinischer Interviews stellen. Die Prävalenzen der vorliegenden Studie wurden demnach mit der derzeit besten verfügbaren Methode erhoben. Weiterhin stellt die computerbasierte Erhebung der Daten einen methodischen Vorteil dar, da in allen Fragebogenverfahren keine fehlenden Werte möglich sind. Um einen Test abspeichern zu können, mussten alle Fragen beantwortet werden. Damit konnten ausnahmslos alle ausgefüllten Fragebogen verwendet werden. 4.3 Diskussion der Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse sowie der Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung bei deutschschweizerischen Heimjugendlichen Zur Einschätzung der Prävalenz traumatischer Erlebnisse sowie der Posttraumatischen Belastungsstörung werden im Folgenden die zu Beginn aufgestellten Hypothesen bewertet. Hypothese 1: Liegt die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse sowie die Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung bei deutschweizerischen Heimjugendlichen höher als bei Kindern und Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung? Diskussion 116 Erwartungsgemäß liegt in der Stichprobe deutschschweizerischer Heimjugendlicher eine sehr hohe Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse vor. 80 % der Jugendlichen bejahen mindestens ein solches Erlebnis; 54 % erfüllen nach eigenen Angaben mit mindestens einem Erlebnis das DSM-IV-A-Kriterium. Damit ist die Lebenszeitprävalenz vergleichbar mit Daten aus anderen Heimkinder-Stichproben und zum Teil ähnlich hoch wie in Studien mit straffälligen Jugendlichen (Burns et al., 2004; Hukkanen et al., 1999; Richardson & Lelliott, 2003; Steiner et al., 1997). Im Vergleich zu den meisten Studien mit inhaftierten Jugendlichen liegt sie jedoch niedriger (Abram et al., 2004; Carrion & Steiner, 2000; Chapman & Ford, 2008). Der Prävalenz traumatischer Erlebnisse von (je nach Studie) ca. 20 % bis 30 % in der Allgemeinbevölkerung gegenübergestellt (Hepp et al., 2006b; Perkonigg et al., 2000), fallen die Zahlen der vorliegenden Stichprobe erwartungsgemäß sehr viel höher aus. Des Weiteren verdeutlicht die hohe Anzahl an Jugendlichen, die multipel traumatisiert sind, die hohe Belastung und Benachteiligung der Heimjugendlichen: Zwei Drittel geben mehr als ein traumatisches Ereignis an – bei Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung findet sich diesbezüglich ein Anteil von 21 % (Perkonigg et al., 2000). Wird berücksichtigt, dass für einen jungen Menschen die Einweisung in ein Heim (unabhängig vom Grund) bereits eine erhebliche Belastung darstellt, veranschaulichen die hohen Prävalenzen weiterer belastender Erlebnisse die große Vulnerabilität der Heimjugendlichen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass das Ausmaß der psychiatrischen Morbidität bei Heimjugendlichen dem von klinischen Stichproben ähnelt (Schmid, 2007). Beim Vergleich spezifischer Ereignisse zeigen sich in der vorliegenden Stichprobe niedrigere Raten von erlebtem sexuellen Missbrauch (14 %), Gewalt durch jemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis (31 %) und Vernachlässigung (23 %) als in anderen Studien im Bereich der Jugendhilfe, z. B. in Finnland oder den USA (Burns et al., 2004; Hukkanen et al., 2003). In den USA etwa fanden sich Zahlen von 64 % für Vernachlässigung sowie 55 % für sexuellen Missbrauch bei Kindern und Jugendlichen, die Kontakt mit dem Jugendamt hatten (Burns et al., 2004). Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass diese Erlebnisse nicht über Selbstbeurteilungen erhoben wurden, sondern von den jeweiligen Sozialarbeitern eingeschätzt wurde, ob ein Ereignis vorlag oder nicht. McGee (1995) konnte feststellen, dass sich die Angaben zu traumatischen Ereignissen zwischen Jugendlichen und Betreuern stark unterscheiden. Insbesondere häusliche Gewalt, emotionaler Missbrauch und Vernachlässigung wurden von den Jugendlichen selbst sehr viel seltener angegeben als von ihren jeweiligen Betreuern; bei sexuellem Missbrauch lagen die Angaben der Jugendlichen dafür nur Diskussion 117 geringfügig niedriger. Diese Unterschiede je nach Erhebungsart können mitunter erklären, warum in der vorliegenden Stichprobe z. B. die Prävalenz von 23 % für erlebte Vernachlässigung im Vergleich zu anderen Studien sehr „niedrig“ ausfällt. Es überrascht kaum, dass Kinder und Jugendliche die eigene Vernachlässigung bzw. Verwahrlosung nicht bewusst wahrnehmen, da sie oftmals in solchen Verhältnissen groß geworden sind. Vernachlässigung ist somit nicht als ein klar umgrenztes Ereignis erinnerbar (wie z. B. ein „Unfall“), so dass die Beurteilung, ob das „Ereignis“ eigentlich erlebt wurde, sehr viel schwerer fallen muss. Studien in den USA zeigten, dass straffällige Jugendliche am häufigsten Erlebnisse wie „Zeuge von häuslicher Gewalt“, „Zeuge eines Gewaltverbrechens“ und „Bandengewalt“ angeben (Abram et al., 2004; Chapman & Ford, 2008; Steiner et al., 1997). Dies deckt sich insofern mit den vorliegenden Ergebnissen, als die Ereignisse „Gewalttätiger Angriff durch eine fremde Person“ bzw. „…durch eine bekannte Person“ ebenfalls zu den am häufigsten genannten Erlebnissen gehören. Noch häufiger wurde allerdings der „Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ erlebt, was in einer Stichprobe von Heimjugendlichen nicht verwundert. Hypothesengemäß konnte weiterhin bestätigt werden, dass die Prävalenz der PTBS in der vorliegenden Heimstichprobe mit ca. 4 % höher liegt als in der Allgemeinbevölkerung. So fanden sich bei einer Untersuchung in der Schweizer Allgemeinbevölkerung Prävalenzraten der PTBS (Diagnose einer subklinischen PTBS) von 0 % und 1,3 % (Hepp et al., 2006b). Eine Schulstichprobe in Deutschland ergab Raten von ca. 0,7 % (Perkonigg et al., 2000), in der Bremer Jugendstudie fand sich bei den 11- bis 17-Jährigen mit 1 % eine ähnliche Häufigkeit (Essau et al., 1999). Allerdings liegt die Prävalenz in der vorliegenden Stichprobe niedriger als bei Studien an straffälligen Jugendlichen: Hier finden sich mit Raten von 0 % bis 65 % sehr starke Schwankungen zwischen den einzelnen Studien. Die meisten Ergebnisse liegen jedoch zwischen 20 % und 35 % (Abram et al., 2004; Ariga et al., 2008; Burton et al., 1994; Carrion & Steiner, 2000; Cauffman et al., 1998; Chapman & Ford, 2008; Dixon et al., 2005; McMackin et al., 2002; Möller et al., 2001; Ruchkin et al., 2002; Steiner et al., 1997). Studien mit genauen Prävalenzangaben für Jugendliche in der stationären Jugendhilfe existieren bisher nicht. Die Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung in einer so schwer belasteten Stichprobe, die aus oftmals multipel traumatisierten Jugendlichen besteht, ist jedoch nur bedingt aussagekräftig: Das Vollbild einer PTBS wird von traumatisierten Kindern nur selten erfüllt, da sich die Diagnosekriterien an erkrankten Erwachsenen orientieren (Riedesser, 2005; Schmid, 2008; Simons & Herpertz Dahlmann, 2008). Zudem entsprechen viele Diskussion 118 (interpersonelle) Traumata wie seelische Misshandlung, Vernachlässigung und Trennung von den Eltern nicht dem DSM-IV-A Kriterium, das zunächst erfüllt sein muss, um eine PTBS überhaupt diagnostizieren zu können (Simons & Herpertz Dahlmann, 2008). Insbesondere multipel bzw. komplex traumatisierte Kinder unterscheiden sich in ihrer Symptomatik von der PTBS-Diagnose nach ICD-10 oder DSM-IV, so dass mittlerweile Vorschläge für die Symptomatik einer „komplexen PTBS“ bzw. eines „Developmental Trauma Disorder“ zur Aufnahme in die einschlägigen Kategoriensysteme diskutiert werden (Herman, 1992; Sack, 2004; van der Kolk, 2005). Die betroffenen Kinder leiden eher an tief greifenden Ängsten und Misstrauen sowie an Defiziten in der Regulation von Gefühlen und Verhalten als an Intrusionen (Simons & Herpertz Dahlmann, 2008). Generell prädisponieren frühkindliche, insbesondere beziehungsabhängige Traumata wie Missbrauch oder Vernachlässigung zu verschiedenen psychischen Störungen und nicht nur zur PTBS, weshalb die PTBS auch üblicherweise mit einer umfangreichen Komorbidität einhergeht. Die hohe Komorbidität in der vorliegenden Stichprobe (48 % der Jugendlichen erfüllen die Kriterien für mehr als eine Diagnose), insbesondere bei Kindern mit traumatischen Erfahrungen, kann als Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen multiplen Traumatisierungen und der Entwicklung komplexer Störungsbilder gewertet werden. Fazit: Die zentrale Hypothese 1 kann als bestätigt angesehen werden. Sowohl die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse als auch die Prävalenz der PTBS fallen bei den Heimjugendlichen sehr viel höher aus als in der Allgemeinbevölkerung. Die im Vergleich zur hohen Komorbidität dennoch niedrige Prävalenz der PTBS in der vorliegenden Stichprobe könnte ein Hinweis darauf sein, dass die amerikanischen Kriterien des DSM-IV der PTBS den komplexen Störungsbildern multipel traumatisierter Kinder nicht gerecht werden (siehe auch Schmid et al., 2010). Hypothese 1a: Ist die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen bei Jungen und Mädchen in deutschschweizerischen Heimeinrichtungen ähnlich hoch? Die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse unterscheidet sich in der vorliegenden Stichprobe nicht nach Geschlecht. Jungen geben mit 81 % etwa gleich häufig wie Mädchen (83 %) an, mindestens ein solches Ereignis erlebt zu haben. Dieses Ergebnis deckt sich sowohl mit anderen Studien über straffällige Jugendliche (Abram et al., 2004; Ariga et al., 2008; Cauffman et al., 1998; Chapman & Ford, 2008; Steiner et al., 1997) als auch mit Zahlen im Hinblick auf die Allgemeinbevölkerung (Hepp et al., 2006b). Ebenfalls Diskussion 119 vergleichbar zu anderen Studien ist, dass die weiblichen Teilnehmer sehr viel häufiger sexuellen Missbrauch angeben als die männlichen Teilnehmer (Abram et al., 2004; Ariga et al., 2008; Burton et al., 1994; Cauffman et al., 1998; Dixon et al., 2005; Ruchkin et al., 2002; Steiner et al., 1997). Der in der vorliegenden Stichprobe höhere Anteil an Mädchen, die Gewalt durch jemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis erlebt haben, ist allerdings in keiner anderen Studie beschrieben. Fazit: Die Hypothese 1a ist bestätigt: Es finden sich keine Geschlechtsunterschiede bei der Lebenszeitprävalenz traumatischer Erlebnisse deutschschweizerischer Heimjugendlicher. Hypothese 1b: Ist die Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung bei weiblichen Heimjugendlichen höher als bei männlichen? Die Prävalenz der PTBS liegt mit 4,7 % bei den weiblichen Teilnehmern zwar etwas höher als bei den männlichen (3,9 %), jedoch wird der Unterschied nicht signifikant. In der Allgemeinbevölkerung fällt dieser Unterschied mit einer höheren Prävalenz für das weibliche Geschlecht größer aus (Hepp et al., 2006b; Kessler et al., 1995; Perkonigg et al., 2000); allerdings fand sich in der Bremer Jugendstudie eine ähnlich hohe Prävalenz für beide Geschlechter (Essau et al., 1999). Werden Studien zu weiblichen straffälligen Jugendlichen mit Untersuchungen zu männlichen jugendlichen Straftätern verglichen, so finden sich meist höhere Prävalenzen der PTBS bei den weiblichen Jugendlichen (Burton et al., 1994; Cauffman et al., 1998; Dixon et al., 2005; Möller et al., 2001; Ruchkin et al., 2002). Dagegen konnten Abram et al. (2004) in ihrer gemischten Stichprobe inhaftierter Jugendlicher keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Insgesamt überwiegen damit die Studien, in denen die PTBS-Raten bei weiblichen Befragten höher liegen; allerdings zeigen sich (je nach Stichprobe) auch gegenteilige Ergebnisse. Ein möglicher Grund hierfür könnten die verschiedenen Diagnoseinstrumente sein, die in den einzelnen Studien eingesetzt wurden – auch wenn in den meisten Untersuchungen die Diagnose nach DSM-III oder DSM-IV gestellt wurde. Dennoch können die verschiedenen Diagnoseinstrumente eine Ursache für unterschiedliche Abklärungen der zu erfüllenden Kriterien darstellen. Hier besteht offensichtlich noch Forschungsbedarf: Der Einfluss von Faktoren wie Stichprobenmerkmalen und Diagnoseinstrumenten auf die Erhebung von Prävalenzen der PTBS muss weiter untersucht werden. Fazit: Die Hypothese 1b muss zurückgewiesen werden. Es zeigt sich in der vorliegenden Stichprobe zwar eine höhere Prävalenz für das weibliche Geschlecht, jedoch wird dieser Unterschied nicht signifikant. Die Studienlage zu Geschlechterunterschieden bei der Diskussion 120 Prävalenz der PTBS ist uneinheitlich; weitere Forschung zu den Einflussvariablen bei der Diagnosestellung der PTBS scheint notwendig. 4.4 Diskussion der Klassenbildung auf Basis der traumatischen Erlebnisse der Heimjugendlichen Hypothese 2: Lassen sich auf Basis von Art und Anzahl der erlebten traumatischen Ereignisse bei den untersuchten deutschschweizerischen Heimjugendlichen Subgruppen bilden? Erwartungsgemäß ließen sich die Jugendlichen anhand ihrer traumatischen Erlebnisse in mehrere Gruppen einteilen. Die Latente Klassenanalyse ergab 3 Subklassen: Hierbei wurde die Gruppe derjenigen, die keines der Erlebnisse bejahten, von vorneherein als eine feste Klasse definiert und mit dem Namen „Ohne Traumatisierung“ versehen. Hierzu wurde die Funktion „known class“ der Statistiksoftware Latent GOLD 4.5 verwendet: Die Items wurden auf Null fixiert, wenn keines der Ereignisse erlebt worden war. Die meisten Teilnehmer wurden der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ zugeordnet und gaben mindestens ein, oftmals jedoch mehr als zwei verschiedene traumatische Erlebnisse an. Die dritte Gruppe erhielt den Namen „Schwere Traumatisierung“, da die Jugendlichen hier mindestens 4 verschiedene traumatische Erlebnisse sowie oftmals interpersonale Traumata (z. B. „sexueller Missbrauch“) angaben. Aufgrund der Bildung von drei Klassen unterscheiden sich die Ergebnisse der vorliegenden Studie von denen zweier anderer Studien, die ebenfalls mit Hilfe der Latenten Klassenanalyse Gruppen auf Basis erlebter Traumata bildeten und jeweils zwei Subgruppen identifizieren konnten (Hebert et al., 2007; Romano et al., 2006). Während in der Studie von Hebert at al. (2007) die Teilnehmer in beiden Klassen traumatische Ereignisse berichteten – und sich die Gruppen somit nur in der Häufigkeit dieser Erlebnisse unterschieden –, fand sich in der Studie von Romano et al. (2006) dagegen eine Klasse mit weiblichen Jugendlichen, die keine Misshandlungen in der Kindheit erlebt hatten. Allerdings untersuchten Hebert et al. (2007) straffällige erwachsene Frauen, bei Romano et al. (2006) bestand die Stichprobe aus schwangeren Jugendlichen, so dass die Studien sowohl untereinander als auch mit der vorliegenden Stichprobe nicht verglichen werden können. Zudem wurden in den beiden genannten Studien (im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung) Teilnehmer ohne traumatisches Erlebnis nicht von vorneherein als feststehende Gruppe definiert. Außerdem wurde die Wahl der Klassenlösung in der Studie von Hebert et al. (2007) nicht anhand des Diskussion 121 niedrigsten BIC-Wertes getroffen, was in der vorliegenden Studie der Fall war. In einer weiteren Studie mit einem ähnlichen Vorgehen, jedoch einer ebenfalls nicht vergleichbaren Stichprobe, wurde bei dänischen Schülern eine Einteilung in vier Klassen vorgenommen (Shevlin & Elklit, 2008). Allerdings wurde auch hier nicht der BIC-Wert zur Identifizierung der Klassenanzahl eingesetzt. In dieser Studie zeigten sich nicht nur bei der Anzahl der verschiedenen Erlebnisse, die von den Jugendlichen bejaht wurden, sondern auch bei der Art der traumatischen Ereignisse Unterschiede zwischen den Klassen: Jugendliche aus verschiedenen Klassen berichteten mit signifikant unterschiedlicher Häufigkeit von bestimmten Erlebnissen. Allerdings fanden sich diese Unterschiede vorwiegend bei schweren, interpersonalen Traumata und nicht bei öffentlichen, vermutlich einmaligen Erlebnisse wie „Unfall“ oder „Tod einer bekannten Person“ (Shevlin & Elklit, 2008). Die vorliegende Stichprobe zeigt ein ähnliches Bild: Die Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ bejahten signifikant häufiger interpersonale Erlebnisse wie „sexueller Missbrauch“, „Vernachlässigung“ oder „gewalttätiger Angriff“ als Jugendliche in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“. Dagegen fanden sich zwischen den Gruppen keine Unterschiede im Hinblick auf Erlebnisse wie „schwerer Unfall“ oder „Naturkatastrophe“. Dies bedeutet, dass bei Heimjugendlichen mit traumatischen Erfahrungen nicht nur quantitative (also die Anzahl der verschiedenen Erlebnisse betreffende), sondern auch qualitative Unterschiede bestehen. Die beiden Klassen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ weisen qualitativ unterschiedliche „Trauma-Profile“ auf: Die (zu 64 % weiblichen) Jugendlichen in der Klasse „Schwere Traumatisierung“ haben nicht nur eine höhere Anzahl verschiedener Ereignisse, sondern auch besonders häufig interpersonale, vermutlich sequentielle Traumata des Typ II (Terr, 1991; Terr, 1995) erlebt. Insbesondere dieser qualitative Unterschied zwischen den Trauma-Profilen unterstreicht die Aussagefähigkeit der Klassenbildung, da sonst auch eine Einteilung der Jugendlichen allein auf Basis der Anzahl der verschiedenen Erlebnisse erfolgen könnte. Eine mögliche Erklärung dafür, dass die Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ nicht nur eine Art von Trauma, sondern viele verschiedene schwere Traumatisierungen erlebt haben, liefern z. B. Widom et al. (2008): Die Autoren konnten feststellen, dass Kinder mit erlebtem körperlichen/sexuellen Missbrauch und/oder erlebter Vernachlässigung ein höheres Lebenszeitrisiko für eine Retraumatisierung haben als Kinder ohne solche Erfahrungen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Classen et al. (2005) in ihrem Review zur Retraumatisierung von Kindern mit frühen sexuellen Missbrauchserfahrungen. Die Gründe hierfür liegen Diskussion 122 vermutlich unter anderem darin, dass Kinder mit frühen sexuellen Missbrauchserfahrungen die adäquate Deutung von Hinweisreizen für „Gefahr“ nicht rechtzeitig erlernen und sich daher nicht ausreichend selbst schützen können (z.B. Schmid et al., 2010). Aus den Ausführungen wird deutlich, dass die Klassenanzahl je nach Studie und Stichprobe schwankt. Damit ist die Bildung von Klassen auf Basis von traumatischen Erfahrungen stark stichprobenabhängig; die in der vorliegenden Studie gefundenen drei Subgruppen können demnach nicht als universal, sondern als spezifisch für stationär untergebrachte Jugendliche in der Jugendhilfe bzw. für das Jugendstrafsystem der Deutschschweiz angesehen werden. Da bisher keine vergleichbare Studie existiert, können erst Replikationsstudien zeigen, ob sich dieses Ergebnis für Heimstichproben wiederholen lässt. Fazit: Hypothese 2 konnte bestätigt werden. Auf Basis der traumatischen Ereignisse der Heimjugendlichen wurden drei Klassen festgestellt, die sich in Art und Anzahl verschiedener Erlebnisse unterscheiden. Die Unterschiede zwischen den Klassen hinsichtlich der Art der Erfahrungen fanden sich vorwiegend im Bereich der interpersonalen Traumata des Typ II nach Terr (1991, 1995). In verschiedenen Studien wurden unterschiedliche Klassenanzahlen festgestellt; allerdings scheint eine DreiKlassen-Lösung für die Gruppe der 10- bis 20-jährigen deutschschweizerischen Heimjugendlichen eine zumindest vorläufige Gültigkeit zu besitzen. Hypothese 2a: Unterscheiden sich die bei den Heimjugendlichen gebildeten „TraumaKlassen“ in Psychopathologie und Funktionseinschränkung? Erwartungsgemäß unterscheiden sich die Trauma-Klassen in ihrem jeweiligen Ausmaß der psychopathologischen Belastung, die mit dem Massachusetts Youth Screening Instrument – Version 2 (Maysi-2) erhoben wurde. In den meisten Skalen des Maysi-2 zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen allen drei Klassen: Die psychische Belastung bzw. Auffälligkeit steigt von der Gruppe „Ohne Traumatisierung“ über die Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ bis hin zur Gruppe „Schwere Traumatisierung“ stark an. Dieser „Treppeneffekt“ veranschaulicht eindrucksvoll die Validität der Drei-Klassen-Lösung, da nicht nur zwischen traumatisierten und nicht traumatisierten Jugendlichen ein Unterschied in der psychischen Belastung besteht, sondern auch die beiden Klassen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ differieren. Interessant ist, dass sich die Jugendlichen in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ auf den Skalen „Somatische Beschwerden“ und „Suizidgedanken“ dagegen nicht von den Jugendlichen in der Gruppe Diskussion 123 „Ohne Traumatisierung“ unterscheiden. Die Vulnerabilität insbesondere der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ zeigt sich zudem darin, dass fast 90 % der Jugendlichen mindestens eine psychiatrische Diagnose aufweisen. Obwohl die Prävalenz psychiatrischer Störungen in der vorliegenden Stichprobe insgesamt sehr hoch liegt, unterscheidet sich die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ (90 % mit mindestens einer Diagnose) signifikant von der Gruppe „Ohne Traumatisierung“. Zudem weisen fast 50 % der Jugendlichen in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ eine Persönlichkeitsstörung auf; mit diesem Anteil unterscheiden sie sich signifikant von den Jugendlichen in den anderen beiden Gruppen. Auch in ihrem sozialen Funktionsniveau sind die Jugendlichen der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ stärker beeinträchtigt als die Jugendlichen in den anderen Gruppen. Etliche Studien konnten bereits zeigen, dass zwischen multipler Traumatisierung und psychischer Belastung bzw. psychiatrischer Auffälligkeit ein Zusammenhang besteht (Briere et al., 2008; Follette et al., 1996; Green et al., 2000; Tarren-Sweeney, 2008), zumal multiple Traumatisierung zumeist die Erfahrung interpersonaler Traumata (also durch nahe Bezugspersonen begangene Taten) beinhaltet. Allerdings gibt es insgesamt nur wenige Studien, in denen die Auswirkungen von mehr als einem Trauma-Typ untersucht wurden: Auch wenn in einigen Studien Teilnehmer mit verschiedenen Trauma-Typen verglichen wurden, wurde dabei meist nicht berücksichtigt, dass viele der Probanden neben dem zu untersuchenden Erlebnis weitere traumatische Erfahrungen gemacht hatten. Studien, in denen die Folgen multipler Traumatisierung überprüft wurden, zielten meist auf Patienten mit mehrjähriger Missbrauchserfahrung ab oder bildeten und verglichen die Gruppen hinsichtlich der Anzahl erlebter traumatischer Erfahrungen. Allerdings werden derartige Vorgehen nicht der Tatsache gerecht, dass Individuen sich nicht nur in der Anzahl von erlebten Traumata, sondern auch in den Erlebnisarten unterscheiden. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass Heimjugendliche zu Gruppen mit ähnlichen TraumaProfilen zusammengefasst werden können, bei denen sowohl die Anzahl der verschiedenen Ereignisse als auch die Art der erlebten Ereignisse ähnlich sind, und dass sich diese Gruppen in ihrer Psychopathologie und psychiatrischen Auffälligkeit voneinander unterscheiden. Somit verdeutlichen die vorliegenden Ergebnisse nicht nur, dass multiple Traumatisierung eine größere psychopathologische Belastung zur Folge hat als eine einmalige Traumatisierung, sondern auch, dass verschiedene Muster einer traumatisierenden Vergangenheit in einem weiteren Unterschied resultieren: Heimjugendliche, die interpersonale Traumata wie Missbrauch oder Vernachlässigung erlebt haben, sind Diskussion 124 offenbar zumeist auch multipel traumatisiert, da sie mehrere verschiedene belastende Ereignisse erlebt haben. Damit sind Studien, die die Auswirkungen einzelner interpersonaler Trauma-Typen untersuchen, augenscheinlich nur schwer zu realisieren – auch vor dem Hintergrund, dass frühkindliche Traumatisierung das Lebenszeitrisiko für Retraumatisierungen wesentlich erhöht (Classen et al., 2005; Widom et al., 2008). Insgesamt weisen diese Ergebnisse auf die Bedeutsamkeit einer sorgfältigen TraumaAnamnese hin, da diese wichtige Implikationen nicht nur für therapeutische Interventionen, sondern auch für den pädagogischen Alltag im Heim beinhalten kann. Auf die Bedeutung der Ergebnisse für den Heimalltag wird zu einem späteren Zeitpunkt näher eingegangen. Wie bereits in der Diskussion der methodischen Grenzen der Studie erwähnt, unterscheiden sich die Klassen in Geschlecht und Alter, so dass diese Faktoren als mögliche Einflussvariablen mit diskutiert werden müssen. In der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ finden sich mehr weibliche Jugendliche als in den anderen beiden Gruppen. Dies kann auch ein Grund für die höhere Symptomausprägung in den Maysi-2Skalen „Depressiv-Ängstlich“, „Somatische Beschwerden“ und „Suizidgedanken“ bei der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ sein, da in diesen Skalen die Mädchen der Stichprobe höhere Werte aufweisen als die Jungen. Interaktionseffekte zwischen Geschlecht und Trauma-Klassen sowie bezüglich einzelner Skalen finden sich jedoch nicht. Weiterhin befinden sich in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ weniger Teilnehmer unter 14 Jahren als in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“; dieser Altersunterschied kann bei den höheren Werten der Jugendlichen in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ auf der Maysi-2-Skala „Alkohol- und Drogengebrauch“ im Vergleich zur Gruppe „Ohne Traumatisierung“ eine Rolle spielen. Allerdings sind Geschlechts- und Altersunterschiede auf natürliche Art und Weise eng verbunden mit der Erfahrung traumatischer Erlebnisse. So ist gut belegt, dass Mädchen sehr viel häufiger sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung erfahren, Jungen dagegen öfter Unfälle erleben oder Zeuge von Gewalt oder Tötung einer anderen Person werden (z.B. Hepp et al., 2006b; Kessler et al., 1995; Perkonigg et al., 2000). In der vorliegenden Stichprobe zeigte sich, dass die weiblichen Teilnehmer häufiger „sexuellen Missbrauch“, „gewalttätigen Angriff durch eine bekannte Person“ sowie „Tod oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ angeben. Auch Altersunterschiede in der Häufigkeit traumatischer Erlebnisse sind insofern natürlich, als ein älterer Jugendlicher über eine längere Zeitspanne die Möglichkeit zu entsprechenden Erfahrungen hat als ein jüngeres Kind. Insofern müssen die Alters- und Diskussion 125 Geschlechtsunterschiede zwischen den Trauma-Klassen als Folge eines natürlichen Zusammenhangs zwischen diesen Faktoren und der Erfahrung traumatischer Erlebnisse betrachtet werden. Eine Auspartialisierung dieser Effekte erscheint damit nicht sinnvoll – hierauf wurde bei der Diskussion der methodischen Stärken und Schwächen der Studie bereits eingegangen. Allerdings wurden die Trauma-Klassen in einer weiteren Analyse nach Geschlecht getrennt verglichen: Viele der Unterschiede, die sich für die Gesamtklassen zeigten, blieben auch hier bestehen. In den Maysi-2-Skalen zeigte sich jedoch häufig nicht mehr der bereits beschriebene „Treppeneffekt“; meist ergab nur der Vergleich der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ mit den anderen beiden Gruppen signifikante Ergebnisse, indem diese Gruppe eine höhere Belastung aufweist. Die nach Geschlecht gebildeten Gruppen unterscheiden sich nicht mehr in der Häufigkeit des Vorliegens mindestens einer psychiatrischen Diagnose; das signifikant häufigere Auftreten einer Persönlichkeitsstörung in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ bleibt dagegen für beide Geschlechter bestehen. Hierbei muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass die Gruppen bei der Trennung nach Geschlecht zum Teil sehr klein werden, so dass einige Vergleiche möglicherweise mit einem größeren N signifikant werden würden. Fazit: Die Hypothese 2a konnte bestätigt werden: Die gebildeten Trauma-Klassen unterscheiden sich im Hinblick auf das Ausmaß, in dem die Jugendlichen psychopathologisch belastet bzw. psychiatrisch auffällig und in ihrem Funktionsniveau beeinträchtigt sind. Damit unterscheiden sich nicht nur traumatisierte von nicht traumatisierten Jugendlichen, sondern traumatisierte Heimjugendliche zeigen auch unterschiedliche Trauma-Profile, die mit unterschiedlichen psychopathologischen Folgen einhergehen. Hypothese 2b: Unterscheiden sich die bei den Heimjugendlichen gebildeten „TraumaKlassen“ in ihrer Delinquenz? Erwartungsgemäß zeigten sich im Vergleich der verschiedenen Trauma-Klassen Unterschiede in der Delinquenz. Bei der Schwere der Delinquenz fand sich wieder ein „Treppeneffekt“, da die Jugendlichen in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ häufiger schwere Delikte begangen hatten. Allerdings unterschied sich hier die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ von der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ im Post-hoc-Vergleich nicht signifikant; beide Gruppen gaben jedoch signifikant häufiger schwere Delikte an als die Jugendlichen in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“. Folglich ergab sich zwar insgesamt ein Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und Deliktschwere, jedoch Diskussion 126 unterschieden sich die traumatisierten Jugendlichen nicht im Hinblick auf ihre TraumaProfile. Ein weniger einheitliches Bild fand sich bei den Deliktarten: Sachbeschädigungen und Gewaltdelikte wurden sowohl in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ als auch in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ häufiger angegeben als in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“. Anders verhielt es sich bei Eigentumsdelikten und schweren Gewaltdelikten. Eigentumsdelikte wurden nur in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ häufiger angegeben als in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“, jedoch nicht in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“. Damit fällt die Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ gegenüber den anderen Gruppen durch eine erhöhte Nennung von Eigentumsdelikten auf. Allerdings muss hierbei der Alterseffekt berücksichtigt werden: Zwischen den ersten beiden Gruppen besteht ein Altersunterschied und die Jugendlichen mit Eigentumsdelikten in der Gesamtstichprobe sind im Mittel älter als diejenigen ohne eine solche Tat. Die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ ist dagegen insbesondere durch die Angabe schwerer Gewaltdelikte gekennzeichnet; ein Unterschied zeigte sich hier nur zwischen den Gruppen „Schwere Traumatisierung“ und „Ohne Traumatisierung“. In der Stichprobe fand sich bei den Angaben zu schweren Gewaltdelikten kein Geschlechtsunterschied, so dass dieser Faktor trotz des hohen Mädchenanteils in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ das Ergebnis nicht wesentlich verzerrt haben kann. Da die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ zu über 60 % weiblich ist, weist dieses Ergebnis vorwiegend auf einen Zusammenhang zwischen schwerer, multipler Traumatisierung und schweren Gewaltdelikten bei Mädchen hin – besonders angesichts der Tatsache, dass dieser Zusammenhang bei den ausschließlich weiblichen Trauma-Klassen deutlich bestehen bleibt, bei den männlichen dagegen nicht. Kein Unterschied zwischen den Trauma-Klassen zeigte sich bei der Häufigkeit einer strafrechtlichen Platzierung. Allerdings muss hier der Geschlechtsunterschied berücksichtigt werden, da sich nur bei wenigen weiblichen Jugendlichen ein strafrechtlicher Einweisungsgrund fand; bei den männlichen Jugendlichen war dies signifikant häufiger der Fall. Da zwischen den Trauma-Klassen ebenfalls ein Geschlechtsunterschied besteht (die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ ist zu 60 % weiblich), ist der Zusammenhang zwischen den Trauma-Klassen und strafrechtlicher Einweisung konfundiert. Bei den männlichen Trauma-Klassen zeigte sich zwar ein Anstieg der Häufigkeit strafrechtlicher Einweisungen im Vergleich zwischen den Gruppen „Ohne Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“, jedoch wird der Unterschied auch hier nicht signifikant. Bei den weiblichen Trauma-Klassen fiel auf, dass insgesamt nur drei Mädchen strafrechtlich platziert wurden, wodurch das Ergebnis wenig Aussagekraft hat. Diskussion 127 Allerdings wirft es die Frage auf, ob delinquentes Verhalten bei Mädchen insgesamt seltener strafrechtliche als zivilrechtliche Maßnahmen nach sich zieht. Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich ein Zusammenhang zwischen Delinquenz und TraumaKlassen nur im Hinblick auf das „Dunkelfeld“ (Selbstangaben der Teilnehmer), nicht jedoch in Bezug auf das „Hellfeld“ (strafrechtliche Platzierung) zeigte. Zahlreiche Studien konnten bereits zeigen, dass traumatische Erfahrungen – insbesondere Missbrauch in der Kindheit – mit aggressivem und delinquentem Verhalten zusammenhängen (z.B. Cicchetti & Toth, 1995; Jaffee et al., 2004; Manly et al., 2001; Roy, 2005). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie weisen allerdings darauf hin, dass spezifische Trauma-Profile mit spezifischen Formen der Delinquenz einhergehen. Weitere Forschung ist hier notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen und zu erweitern. So gibt es bereits Hinweise darauf, dass Kinder mit körperlichen und/oder sexuellen Missbrauchserfahrungen insbesondere stärker zu reaktiver und verbaler Aggression neigen als Kinder mit klinischer Auffälligkeit, jedoch ohne Missbrauchserfahrungen (Connor et al., 2003). So wäre z. B. zu prüfen, ob der Zusammenhang zwischen Trauma-Profilen und bestimmten Deliktarten durch die Neigung zu reaktiver vs. instrumentaler Aggression (Dodge & Coie, 1987) moduliert wird. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass eine sorgfältige Trauma-Anamnese dazu beitragen kann, Zusammenhänge zwischen Traumata und delinquentem Verhalten aufzudecken und bessere Voraussetzungen für therapeutische und pädagogische Interventionen zu schaffen – besonders auch im Hinblick auf das Ergebnis, dass die legalprognostische Einschätzung der Betreuer für die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ schlechter ausfiel als für diejenigen der anderen Klassen. Fazit: Die Hypothese 2b konnte teilweise bestätigt werden. Es zeigten sich Unterschiede zwischen den Klassen und den Häufigkeiten von verübten Eigentumsdelikten und schweren Gewaltdelikten. Während die Jugendlichen der Klasse „Mittlere Traumatisierung“ häufiger Eigentumsdelikte angaben, fielen die Jugendlichen in der Klasse „Schwere Traumatisierung“ insbesondere durch die Angabe schwerer Gewaltdelikte auf. Dies weist – vor dem Hintergrund, dass die Klasse „Schwere Traumatisierung“ zu über 60 % weiblich ist – insbesondere auf einen engen Zusammenhang zwischen multipler, schwerer Traumatisierung und schweren Gewaltdelikten bei Mädchen hin. Unterschiede in der Deliktschwere zeigten sich dagegen nur zwischen traumatisierten („Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“) und nicht traumatisierten Jugendlichen, jedoch nicht zwischen den Klassen „Schwere Traumatisierung“ und „Mittlere Traumatisierung“. Kein Unterschied Diskussion 128 zwischen den Trauma-Klassen fand sich bei der Häufigkeit einer strafrechtlichen Platzierung: Ein Zusammenhang zwischen Delinquenz und Trauma-Klassen zeigte sich nur im Hinblick auf das „Dunkelfeld“ (Selbstangaben der Teilnehmer), nicht jedoch in Bezug auf das „Hellfeld“ (strafrechtliche Platzierung). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Zusammenhang zwischen Platzierungsart und Trauma-Klassen vermutlich durch eine unterschiedliche „Einweisungspraxis“ bei Jungen und Mädchen konfundiert ist. Hypothese 3a: Unterscheiden sich die Trauma-Klassen in ihrer Zufriedenheit (Selbst- und Fremdbeurteilung) mit der aktuellen stationären Maßnahme? Die Jugendlichen in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ zeigten sich weniger zufrieden mit der aktuellen Maßnahme als die Jugendlichen in den anderen beiden Gruppen. Sie fühlten sich laut Selbsturteil weniger gut über die Maßnahme informiert und hielten es außerdem für weniger sinnvoll, weiterhin in der jeweiligen Einrichtung zu bleiben. Im Fremdurteil wurde die Gruppe „Schwere Traumatisierung“ zudem als weniger zufrieden mit sich selbst und als weniger motiviert eingeschätzt, weiterhin in der Einrichtung zu bleiben. Bei zwei der Zufriedenheits-Items müssen allerdings Geschlechtereffekte berücksichtigt werden, da die Mädchen der Stichprobe es insgesamt für weniger sinnvoll hielten, weiterhin in der Einrichtung zu bleiben (Selbsturteil), und als weniger zufrieden mit sich selbst eingeschätzt wurden (Fremdurteil). Dennoch verdeutlichen die Ergebnisse, dass offensichtlich ein Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der Maßnahme und dem spezifischen Trauma-Profil der Jugendlichen in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ besteht. Das Wissen um den Einfluss der traumatischen Vergangenheit eines Jugendlichen auf die Maßnahme kann für den Betreuer entlastend sein und zudem hilfreiche Ansätze für die pädagogische Arbeit liefern. Gleichzeitig können die geringe Motivation der Jugendlichen in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ und das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, auch Ausdruck mangelnder pädagogischer Konzepte für multipel traumatisierte Jugendliche sein. In vielen Einrichtungen besteht eine große Hilflosigkeit im Umgang mit hochauffälligen, psychisch stark belasteten Heimjugendlichen, wobei diese Auffälligkeit meist das Resultat einer schwer traumatisierenden Vergangenheit ist. Spezifische pädagogische Konzepte – z. B. Trauma-Pädagogik (Schmid, 2008) – können Mitarbeitern in Heimeinrichtungen hier wichtige Hilfestellungen bieten und das notwendige Verständnis für die Verhaltensweisen der Betroffenen fördern. Fazit: Die Hypothese 3a ließ sich teilweise bestätigen. Die Jugendlichen in der Gruppe Diskussion 129 „Schwere Traumatisierung“ zeigten sich weniger zufrieden mit der Maßnahme als die Jugendlichen in den anderen beiden Gruppen. Dies weist auf einen Zusammenhang zwischen dem Trauma-Profil „Schwere Traumatisierung“ und der Zufriedenheit mit der Maßnahme hin. Dagegen fanden sich keine Unterschiede in der Zufriedenheit zwischen den Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ und „Ohne Traumatisierung“. Hypothese 3b: Haben die Heimjugendlichen je nach Trauma-Klasse in unterschiedlicher Häufigkeit bereits eine vorherige Fremdunterbringung erlebt? In der Studie zeigte sich, dass die Jugendlichen in den Gruppen „Schwere Traumatisierung“ und „Mittlere Traumatisierung“ bereits häufiger eine vorherige Fremdunterbringung erlebt hatten als die Jugendlichen in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“. Somit unterscheiden sich in dieser Hinsicht die (schwer/mittel) traumatisierten von den nicht traumatisierten Jugendlichen. Allerdings fand sich kein Unterschied innerhalb der Gruppe der traumatisierten Jugendlichen – auch wenn der prozentuale Anteil der Jugendlichen mit vorheriger Fremdunterbringung bei der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ mit 49 % niedriger liegt als bei der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ (61 %). Die Bewertung der Hypothese gestaltet sich jedoch vor dem Hintergrund, dass die Jugendlichen in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“ jünger sind als die in der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“, nicht unproblematisch: Ältere Jugendliche haben schon allein aufgrund ihres Alters häufiger einen Institutionswechsel erlebt als jüngere. Damit wird der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen durch den Faktor „Alter“ beeinflusst. Dennoch wird deutlich, dass multipel traumatisierte Heimjugendliche häufiger die Einrichtung wechseln als diejenigen ohne eine solche Vergangenheit. Vor dem Hintergrund, dass Instabilität in der Platzierung, d. h. häufige Wechsel zwischen Institutionen, bei männlichen Heimjugendlichen mit Misshandlungserfahrungen das Risiko zu delinquentem Verhalten erhöhen können (Ryan & Testa, 2005), stellt dies ein wichtiges Ergebnis dar. Angesichts der Tatsache, dass traumatisierte Kinder zum Schutz vor Retraumatisierungen einen „sicheren Ort“ für ihren Rückzug benötigen und weitere Beziehungsabbrüche die Bindungsproblematik noch verschärfen, erscheinen häufige Institutionswechsel besonders folgenreich (Schmid, 2008). Möglicherweise sind mangelnde pädagogische Konzepte für den Umgang mit schwer traumatisierten Heimkindern und die damit einhergehende Überforderungen der Betreuer mitverantwortlich für häufige Einrichtungswechsel. Fazit: Die Hypothese 3b konnte teilweise bestätigt werden. Es zeigte sich, dass die Diskussion 130 traumatisierten Jugendlichen der Stichprobe bereits häufiger einen Einrichtungswechsel erlebt hatten als die nicht traumatisierten. Allerdings fand sich kein Unterschied zwischen den Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“. Hypothese 3c: Unterscheiden sich die Trauma-Klassen in ihrem kinder- und jugendpsychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsstatus? Es fand sich ein Unterschied im kinder- und jugendpsychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlungsstatus zwischen den Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“. Die Jugendlichen in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“ erhielten zwar mit einem Anteil von 73 % am häufigsten eine aktuelle Behandlung, unterschieden sich jedoch nicht signifikant von den anderen beiden Gruppen. Erstaunlich ist allerdings nicht nur, dass der Anteil der Jugendlichen mit einer aktuellen Behandlung in der Gruppe „Ohne Traumatisierung“ am höchsten war, sondern auch, dass die Jugendlichen der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ signifikant häufiger in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung waren als die Jugendlichen der Gruppe „Schwere Traumatisierung“. Dies bedeutet, dass sich diese Gruppe trotz größter psychopathologischer Auffälligkeit mit einem Anteil von 47 % von allen drei Gruppen am seltensten in aktueller Behandlung befand. Auch wenn der Unterschied zwischen den Klassen bei der Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit durch die Betreuer knapp nicht signifikant wurde, wurden die Jugendlichen der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ mit 81 % am häufigsten von den Betreuern als behandlungsbedürftig eingeschätzt. Diese Zahlen verdeutlichen sehr eindrücklich, dass der Behandlungsbedarf und die tatsächliche Versorgung bei Heimjugendlichen oftmals stark auseinander gehen. Bereits andere Studien konnten einen entsprechenden Mangel in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung von Heimkindern aufzeigen. Schmid (2007) stellte in seiner Studie mit Heimkindern in Deutschland fest, dass sich ca. 50 % der Kinder mit einer psychiatrischen Diagnose auch in Behandlung befanden. Ähnliche Zahlen berichtet Meltzer et al. (2003a) für Großbritannien. Angesichts dieser Versorgungslücke liefert die vorliegende Studie ein interessantes Detail: Besonders Jugendliche mit besonders schweren Traumatisierungen und damit einhergehenden komplexen Störungsbildern erhalten insgesamt seltener eine Behandlung als weniger traumatisierte Jugendliche. Allerdings zeigte sich in der vorliegenden Stichprobe auch, dass 88 % derjenigen, die aktuell keine Behandlung erhielten, die Therapie abgebrochen hatten. Eine Erklärung für das oben beschriebene Phänomen scheint also zu sein, dass insbesondere Jugendliche mit einer massiv traumatisierenden Vergangenheit und komplexen Störungen schwer in der Behandlung zu Diskussion 131 halten sind bzw. dass die Art der Behandlung der spezifischen Problematik traumatisierter Jugendlicher nicht gerecht wird. Dies deckt sich mit der These von Blower et al. (2004), dass die mangelnde kinder- und jugendpsychiatrische Versorgungssituation in Heimen ihre Ursache vorwiegend in einer für Kinder mit massiven psychiatrischen Auffälligkeiten zu geringen Behandlungskontinuität und -intensität hat. Ohne diese Behandlungskontinuität und -intensität kann die besonders bei schwer traumatisierten Kindern und Jugendlichen erforderliche Grundlage für eine vertrauensvolle und stabile Beziehung zwischen Therapeut und Patient kaum geschaffen werden. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie erforderlich, was bereits Schmid (2007) in seiner Studie zur psychischen Gesundheit von Heimkindern feststellte. Neben Behandlungskontinuität und -intensität muss zudem die Art der Behandlung den spezifischen Anforderungen traumatisierter Jugendlicher angepasst werden, indem die Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Trauma-Therapie entsprechend ausgebaut wird. Fazit: Die Hypothese 3c konnte teilweise bestätigt werden. Die Jugendlichen in den Gruppen „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ unterschieden sich in ihrem aktuellen kinder- und jugendpsychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlungsstatus. Trotz der psychopathologisch höheren Auffälligkeit der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ befanden sich die Jugendlichen der Gruppe „Mittlere Traumatisierung“ signifikant häufiger in Behandlung. Keine signifikanten Unterschiede zeigten sich dagegen im Vergleich zur Gruppe „Ohne Traumatisierung“. Eine Erklärung für die im Vergleich seltenere Behandlung der Jugendlichen der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ liegt darin, dass hier die Therapien häufiger abgebrochen wurden und dass diese Jugendlichen demnach schwerer in der Behandlung zu halten sind. Diskussion 4.5 132 Schlussfolgerungen Abschließend werden aus den vorliegenden Daten Schlussfolgerungen für die Jugendhilfe und den Maßnahmenvollzug bei Jugendlichen gezogen. 4.5.1 Bedeutung der Ergebnisse für die Diagnosestellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei multipel traumatisierten Heimjugendlichen Die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung wird seit einiger Zeit in mehrfacher Hinsicht diskutiert: Zum einen zeigte sich, dass das Vollbild einer PTBS von traumatisierten Kindern nur selten erfüllt wird, da sich die Diagnosekriterien an erkrankten Erwachsenen orientieren (Riedesser, 2005; Schmid, 2008; Schmid et al., 2010; Simons & Herpertz Dahlmann, 2008). Zum anderen wird das Symptomspektrum von Patienten mit schwersten interpersonalen und sequentiellen Traumatisierungen vom Typ II (Terr, 1991; Terr, 1995) durch die Diagnosekriterien der einfachen PTBS nur unzureichend erfasst. Daher wurden neue Störungsbilder wie die „komplexe PTBS“ (Sack, 2004), die „Developmental Trauma Disorders“ (van der Kolk, 2005; van der Kolk et al., 2009) und die „Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS)“ (Herman, 1992) für die Aufnahme in die einschlägigen Kategoriensysteme vorgeschlagen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können als unterstützend für die Aufnahme solcher diagnostischen Kategorien interpretiert werden. Die im Vergleich zur Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen relativ geringe Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung in der vorliegenden Stichprobe ist auffällig. Die Komorbidität liegt dagegen sehr hoch – 48 % der Jugendlichen erfüllen die Kriterien für mehr als eine Diagnose; insbesondere Jugendliche mit traumatischen Erlebnissen weisen häufig mehr als eine psychiatrische Störung auf. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die oftmals multipel traumatisierten Heimjugendlichen komplexe Störungsbilder entwickelt haben, die sich in einer hohen Komorbidität psychischer Störungen äußern. Die Befürworter neuer Diagnosekategorien weisen vielfach darauf hin, dass sich multipel bzw. komplex traumatisierte Kinder in ihrer Symptomatik von der einer PTBS-Diagnose nach ICD-10 oder DSM-IV unterscheiden (Schmid et al., 2010). So leiden die Kinder z. B. eher an tief greifenden Ängsten und Defiziten in der Regulation von Gefühlen und Verhalten als an Erinnerungen an ein umschriebenes belastendes Erlebnis (Simons & Herpertz Dahlmann, 2008). Zudem entsprechen viele interpersonelle Traumata wie seelische Misshandlung, Vernachlässigung und Trennung Diskussion 133 von den Eltern nicht dem DSM-IV-A Kriterium, das für die Diagnose einer PTBS nach DSM-IV zunächst erfüllt sein muss (Simons & Herpertz Dahlmann, 2008). In ihrem Vorschlag zur Aufnahme einer „Developmental Trauma Disorder (DTD)“-Diagnose für Kinder und Jugendliche in das DSM-V schreiben van der Kolk et al. (2009), dass das Ereigniskriterium der DTD nur einen Teil des DSM-IV-Ereigniskriteriums A1 enthält. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass die Prävalenz der PTBS in der vorliegenden Stichprobe relativ niedrig liegt, da teilweise die traumatischen Erfahrungen der Jugendlichen das Ereigniskriterium der PTBS nicht erfüllen, so dass im Weiteren auch nicht die Symptome der PTBS abgefragt werden. Zudem weisen van der Kolk et al. (2009) darauf hin, dass mit dem Erfüllen der Diagnose einer DTD nicht unbedingt auch eine einfache PTBS in ihrem Vollbild verbunden sein muss. Herman (1992) schreibt hierzu: This previously undefined syndrome may coexist with simple PTSD, but extends beyond it. The syndrome is characterized by a pleomorphic symptom picture, enduring personality changes, and high risk for repeated harm, either self-inflicted or at the hands of others. Die komplexe Störungssymptomatik (einschließlich einer hohen Prävalenz an Persönlichkeitsstörungen) insbesondere bei den multipel traumatisierten Jugendlichen der vorliegenden Stichprobe unterstreicht damit die Notwendigkeit einer neuen Diagnosekategorie, mit der der speziellen Problematik dieser Jugendlichen Rechnung getragen werden kann. Nicht umsonst ist Teil des Ereigniskriteriums A2 der vorgeschlagenen „Developmental Trauma Disorders“, dass in der Versorgung des Betroffenen eine bedeutende Unterbrechung von Schutz und Fürsorge aufgrund wiederholter Wechsel von Bezugspersonen vorliegen müsse. Es ist davon auszugehen, dass dieser Teil des Kriteriums vom größten Teil der Jugendlichen der vorliegenden Stichprobe erfüllt wird. Wenn die Diagnose einer komplexen PTBS in die Diagnosesysteme aufgenommen und gestellt werden kann, so ist dies auch von großer Bedeutung für die weitere Therapie, da bereits spezielle psychotherapeutische Behandlungsverfahren zur Verfügung stehen (Sack, 2004; van der Kolk, 2002). Oftmals erhalten z. B. extrem aggressive Kinder mit traumatisierender Vergangenheit die Hauptdiagnose „Störung des Sozialverhaltens“; diese Diagnose vernachlässigt allerdings die Komplexität der sich hinter dem aggressiven Verhalten verbergenden emotionalen Prozesse und führt unter Umständen zu einem unpassenden Therapieangebot. Zudem können die für die einfache PTBS vorliegenden Behandlungskonzepte bei einer komplexen Problematik kontraindiziert sein (van der Kolk, 2003). Auch für die Forschung zu den Folgen und der Behandlung von schwerer multipler Traumatisierung kann eine neue diagnostische Kategorie als Diskussion 134 Referenzpunkt dienen. Weitere Vorteile und Nachteile der Einführung einer TraumaEntwicklungsstörung werden bei Schmid et al. (2010) diskutiert. 4.5.2 Bedeutung der Ergebnisse für die stationäre Jugendhilfe Die Ergebnisse verdeutlichen eindrucksvoll die hohe Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen bei deutschschweizerischen Heimjugendlichen. Die Erkenntnis der hohen Prävalenz bei Heimkindern ist im internationalen Vergleich nicht neu und wurde bereits in anderen Studien belegt (z.B. Burns et al., 2004; Hukkanen et al., 2003; Hukkanen et al., 1997). Die – in den meisten Fällen multipel – traumatisierende Vergangenheit von Heimjugendlichen schafft Anforderungen an Heimeinrichtungen und ihre Mitarbeiter, denen aufgrund der gegenwärtigen Strukturen meist nicht ausreichend entsprochen werden kann. Konzepte traumapädagogischer Behandlungsstrukturen in Heimeinrichtungen sind eine relative neue Entwicklung der letzten Jahre (Boyd Webb, 2006; Schmid, 2008). Sie berücksichtigen die spezifische Entwicklungspsychopathologie sequentieller Traumatisierungen und früher Vernachlässigung, indem strukturelle und personelle Veränderungen geschaffen werden, die es den Heimmitarbeiter ermöglichen, den pädagogischen Herausforderungen besser zu begegnen. Vor dem Hintergrund der Bindungsproblematik traumatisierter Heimjugendlicher, die meist mehrere Beziehungsabbrüche erlebt haben, steht die Gewährleistung einer hohen Beziehungskontinuität im Mittelpunkt: Häufige Institutionswechsel sollten vermieden und dem Jugendlichen viele verschiedene Bindungen angeboten werden, so dass er ein ganzes Netzwerk sicherer Beziehungen knüpfen kann. Die Einrichtung muss einen „sicheren Ort“ bieten, an dem der Jugendliche Verlässlichkeit und Transparenz erfährt und positive Beziehungserfahrungen machen kann (Schmid, 2008). Die vorliegenden Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass in der stationären Jugendhilfe ein großer Bedarf an solchen Konzepten besteht, da die Mehrheit der Heimjugendlichen bereits traumatische Erfahrungen gemacht und in den Heimen häufig noch Institutionswechsel und Therapieabbrüche erfahren hat. Dies erfordert die Etablierung „milieutherapeutischer“ Einrichtungen mit Mitarbeitern, die in der pädagogischen Betreuung komplex traumatisierter Kinder geschult sind. Die Unterbringung in einer Heimeinrichtung sollte zudem vor weiteren traumatischen Erfahrungen schützen, da gerade Kinder mit frühen Missbrauchserfahrungen ein höheres Lebenszeitrisiko für Retraumatisierungen aufweisen (Classen et al., 2005; Widom et al., 2008). Die Gewährleistung von Schutz und Beziehungskontinuität in einer Heimeinrichtung stellt daher für traumatisierte Kinder eine wichtige Voraussetzung für ihre weiteren Entwicklungsmöglichkeiten dar. In diesem Diskussion 135 Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass die Platzierung von Kindern und Jugendlichen in Heimen nicht zwangsläufig zu einer Entlastung des/der Betroffene/n führen muss, sondern durchaus auch weitere Traumatisierung bedeuten kann. Nicht selten beginnt – wie bereits erwähnt – mit einer Platzierung eine regelrechte „Heimkarriere“ mit häufigen Institutionswechseln und den daraus resultierenden Beziehungsabbrüchen. Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass die Unterbringung in einer Heimeinrichtung nicht immer Schutz und Fürsorge für das Kind bedeutet. So kam z. B. im Jahr 2003 der Film „Die unbarmherzigen Schwestern“ (Regie: Peter Mullan) in die Kinos, in dem Menschenverachtung und Sadismus in einer irischen Fürsorgeanstalt während der 60erJahre eindrücklich dargestellt werden. Der Film gilt als ein wesentlicher Auslöser für die Debatte um die Fürsorgeerziehung während der 50er-, 60er- und 70-Jahre. Wensiersiki (2006) lässt in seinem Buch „Schläge im Namen des Herrn. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik“ Betroffene zu Wort kommen, die während dieser Jahrzehnte in Deutschland institutionell untergebracht waren: Neben dem Einsatz als unentgeltliche Arbeitskräfte waren körperliche Züchtigung sowie emotionale Erniedrigung häufig an der Tagesordnung. Wer ins Heim kam, musste durch „Zucht und Ordnung“ wieder gesellschaftsfähig gemacht werden; die hierfür eingesetzten „Erziehungsmethoden“ waren meist menschenverachtend. Die Debatte um die Führsorgeerziehung in der alten Bundesrepublik dauert somit weiterhin an. In den letzten beiden Jahren erarbeitete der AFET (Bundesverband für Erziehungshilfe e.V.) gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) auf Bitte des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestags eine Rahmenkonzeption zur Aufarbeitung der Thematik (AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e.V., 2008, 2009). Ziel der Bemühungen ist es, baldmöglichst mit einer fundierten Bearbeitung „individueller Entschädigungsformen“ für die Betroffenen zu beginnen (AFET - Bundesverband für Erziehungshilfe e.V., 2009, S.1). Heimerziehung steht jedoch nicht erst seit dieser Debatte immer wieder im Fokus kritischer Reflektion. Zurzeit wird diese zudem angeheizt durch die Enthüllungen über Gewalt und Missbrauch in kirchlichen Institutionen wie Schulen und Internaten in Deutschland (z. B. Mohr, 2010). Umso bemerkenswerter sind die Bereitschaft zu Mitarbeit und Transparenz sowie das große Engagement der Einrichtungen, die an dieser Studie teilnehmen. Die vorliegende Studie konnte weiterhin zeigen, dass innerhalb der Gruppe traumatisierter Heimjugendliche Unterschiede bestehen. Durch die Einteilung der Jugendlichen in Gruppen auf Basis ihrer traumatischen Erfahrungen konnten neben der Gruppe „Ohne Diskussion 136 Traumatisierung“ zwei weitere Gruppen mit unterschiedlichen Trauma-Profilen gebildet werden: „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“. Die Jugendlichen in der Gruppe „Schwere Traumatisierung“ wiesen eine größere psychopathologische Belastung und ein teilweise unterschiedliches Delinquenzverhalten auf, befanden sich seltener in kinder- und jugendpsychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung und zeigten zudem eine größere Unzufriedenheit mit der aktuellen Maßnahme. Diese Ergebnisse können als Hinweis darauf gewertet werden, dass insbesondere für schwer traumatisierte Jugendliche in Heimeinrichtungen bisher kein adäquates Behandlungsangebot besteht. Insgesamt zeigte sich in der Stichprobe, dass Jugendliche ohne aktuelle Behandlung die Therapie in den meisten Fällen abgebrochen hatten. Eine Erklärung hierfür kann sein, dass insbesondere Jugendliche mit einer massiv traumatisierenden Vergangenheit und komplexen Störungen schwer in der Behandlung zu halten sind bzw. dass die Art der Behandlung der spezifischen Problematik traumatisierter Jugendlicher nicht gerecht wird. Die notwendige Therapiemotivation kann – erst recht bei Jugendlichen mit einer Bindungsproblematik – nur dann geschaffen werden, wenn eine tragfähige und vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten aufgebaut wird. Blower et al. (2004) führen die mangelnde kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung in Heimen gerade auf eine zu geringe Behandlungskontinuität und -intensität zurück. Ohne diese Komponenten kann die erforderliche Grundlage für eine vertrauensvolle und stabile Beziehung zwischen Therapeut und Patient kaum gelegt werden. Die Schlussfolgerung muss also zum einen sein, dass ein Großteil der Heimjugendlichen mit traumatischen Erfahrungen spezieller traumapädagogischer Konzepte bedarf. Zum anderen gibt es noch eine Untergruppe multipel traumatisierter Jugendlicher, die besondere Behandlungsbedingungen benötigt, damit kinder- und jugendpsychiatrische bzw. psychotherapeutische Maßnahmen erfolgreich durchgeführt werden können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des alarmierenden Ergebnisses, dass die legalprognostische Einschätzung der Betreuer für die Gruppe der schwer traumatisierten Jugendlichen schlechter ausfiel als für die anderen Gruppen. Neben traumapädagogischen Konzepten ist somit eine engere Verknüpfung der stationären Jugendhilfe mit der Kinderund Jugendpsychiatrie bzw. Psychotherapie durch aufsuchende Behandlungskonzepte erforderlich, um die erforderliche Behandlungskontinuität und -intensität gewährleisten zu können. Besier (2008) konnte bereits zeigen, dass ein aufsuchendes, multimodales ambulantes Behandlungsprogramm für Heimkinder stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Aufenthalte verringern kann. Eine Vermeidung solcher Aufenthalte Diskussion 137 in der Psychiatrie ist gerade bei traumatisierten Kindern hilfreich, da bei Krisen nicht das unterstützende Beziehungsnetz im Heim verlassen werden muss. Neben der Kontinuität und Intensität der Behandlung muss zudem die Art der Behandlung der spezifischen Problematik traumatisierter Jugendlicher angepasst werden. Zentral ist dabei der Ausbau der Schnittstelle zwischen Trauma-Pädagogik und Trauma-Therapie, da hierdurch wirksame psychotherapeutische Interventionen mit der traumapädagogischen Arbeit im Heimalltag besser verknüpft werden können. Die psychotherapeutischen Interventionen können langfristig nur dann zum Erfolg führen, wenn sie im Heimalltag durch die Betreuer mitgetragen werden. Der Bereich der traumatherapeutischen Interventionen bei Kindern und Jugendlichen hat sich besonders während der letzten Jahre erfolgreich weiterentwickelt. Einen Überblick zur Wirksamkeit von Behandlungsansätzen der PTBS bei Kindern und Jugendlichen findet sich beispielsweise bei Kraft et al. (2006). Insbesondere die Ansätze von Cohen et al. (Cohen et al., 2009; Cohen et al., 2004; Deblinger et al., 2006) werden für die Behandlung selbst komplex traumatisierter Kinder und Jugendlicher erfolgreich eingesetzt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass für einen Großteil der betroffenen Heimkinder/-jugendlichen solche Behandlungskonzepte bisher noch nicht zugänglich sind. Aus den vorliegenden Daten lässt sich weiterhin schlussfolgern, dass bei der Arbeit mit schwer traumatisierten Kindern Konzepte für den Umgang mit delinquentem Verhalten entwickelt werden müssen. Die hinter der Delinquenz verborgenen emotionalen Prozesse müssen im pädagogischen und psychotherapeutischen Umgang Berücksichtigung finden, um nicht durch unangemessene Maßnahmen Retraumatisierungen auszulösen. Insbesondere schwere Gewaltdelikte bei Mädchen sollten auf ihren Zusammenhang mit eigenen Missbrauchserfahrungen überprüft werden: Wie bereits erwähnt, fiel insbesondere bei der Gruppe „Schwere Traumatisierung“, die durch das Begehen schwerer Gewaltdelikte gekennzeichnet ist, die Legalprognose durch die Betreuer sehr viel schlechter aus als für die anderen Gruppen. Die Relevanz der Thematik des Umgangs mit Traumatisierungen im Bereich der Jugendhilfe zeigt sich zudem in der Tatsache, dass sie bereits auf politischer Ebene diskutiert wird. Im „13. Kinder- und Jugendbericht“, der zum Thema „Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe“ als Bundestagsdrucksache der Bundesregierung veröffentlicht wurde, wird auch auf das Thema „Traumatisierte Kinder und Jugendliche“ eingegangen (Deutscher Bundestag - 16. Wahlperiode, 2009). In dem Bericht wird festgestellt, dass traumatisierte Diskussion 138 Kinder und Jugendliche in Deutschland bisher noch viel zu wenig Beachtung und Unterstützung erhalten. Zudem wird explizit auf die notwendige Sensibilisierung der jeweiligen Fachkräfte für Traumatisierungen (Traumasensibilität, siehe z.B. Schmid, in press) sowie die Berücksichtigung der Umsetzung traumapädagogischer Konzepte in der Jugendhilfe hingewiesen. Am Ende steht das Fazit, dass die hierfür notwendigen Strukturen noch nicht geschaffen sind: Diese Grenzen der normalen Fachpraxis verweisen einerseits auf die bislang nur unzureichend vorhandenen interdisziplinären und -professionellen Angebote, in denen sich stabile pädagogische Settings und therapeutische Unterstützung gegenseitig ergänzen. Zum anderen wird erheblicher Weiterbildungs- und Beratungsbedarf aufseiten der Fachkräfte sichtbar. (Deutscher Bundestag - 16. Wahlperiode, 2009) Es ist nicht neu, dass Heimeinrichtungen mit einer psychisch stark belasteten, verhaltensauffälligen Klientel konfrontiert sind. Erst in den letzten Jahren reifte sowohl auf wissenschaftlicher und pädagogisch/psychologischer als auch auf politischer Ebene die Erkenntnis, dass viele Einrichtungen und Mitarbeiter auf die Folgen der massiv traumatisierenden Erfahrungen vieler Heimjugendlicher und der darauf folgenden Psychopathologie nicht ausreichend vorbereitet sind, so dass strukturelle und personelle Veränderungen geschaffen werden müssen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie unterstreichen diese Notwendigkeit eindrücklich. Zusammenfassung 139 5 Zusammenfassung Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in der stationären Jugendhilfe sowie im Jugendstrafsystem ist groß; je nach Studie erfüllen 44–96 % der Heim- und Pflegekinder die Diagnosekriterien für mindestens eine psychische Störung. Ähnlich hohe Prävalenzraten psychischer Auffälligkeiten schildern Studien mit jugendlichen Straftätern. Vor dem Hintergrund der oftmals extrem traumatisierenden Vergangenheit vieler Jugendlicher im Jugendhilfe- und Jugendstrafsystem erscheint dies nicht verwunderlich. Die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen liegt bei mindestens 60–70 %; bei straffälligen Jugendlichen finden sich teilweise Prozentsätze von über 90 %. Da für die Deutschschweiz bisher Angaben zur Häufigkeit traumatischer Erfahrungen sowie zur Posttraumatischen Belastungsstörung sowohl bei zivil- als auch bei strafrechtlich eingewiesenen Heimjugendlichen fehlen, sollte mit der vorliegenden Studie ein entsprechender Überblick geschaffen werden. Ein weiteres Ziel bestand darin, auf Basis der Angaben der Jugendlichen zu traumatischen Erlebnissen verschiedene Muster bzw. Profile traumatisierender Vergangenheiten zu identifizieren und diese in Zusammenhang mit Psychopathologie, Delinquenz und Merkmalen der aktuellen Maßnahme zu setzen. Die traumatischen Erfahrungen wurden über das Selbsturteil der Jugendlichen erhoben; die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung wurde anhand eines strukturierten klinischen Interviews durch geschulte Mitarbeiter gestellt. Eine Latente Klassenanalyse wurde auf Basis der angegebenen traumatischen Erfahrungen durchgeführt, um so Klassen von Jugendlichen zu bilden, die ein ähnliches „Trauma-Profil“ aufweisen. Weiterhin wurden Daten zu Psychopathologie über das Massachusetts Youth Screening Instrument Version 2 (Maysi-2), Daten zu delinquentem Verhalten über die kriminologischen Fragen sowie Daten zur Zufriedenheit mit der Maßnahme erhoben. Biographische und anamnestische Informationen wurden von den jeweiligen Betreuern erfragt. Insgesamt 245 Jugendliche aus 31 Einrichtungen füllten das Essener Trauma-Inventar (ETI) aus. Der Altersbereich reichte von 8 bis 25 Jahre, mit einem Mittelwert von 16,8. Ein Viertel der Jugendlichen war weiblich. 75 Jugendliche (30 %) wiesen einen strafrechtlichen Einweisungshintergrund auf. Wie erwartet gab der Großteil (81 %) der Heimjugendlichen an, bereits mindestens eine traumatische Erfahrung gemacht zu haben; 54 % erfüllten nach eigenen Angaben mit mindestens einem Ereignis das DSM-IV-A-Kriterium. Damit liegt die Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen bei deutschschweizerischen Heimjugendlichen sehr viel höher Zusammenfassung 140 als in der Allgemeinbevölkerung. Mit 4 % (Mädchen 4,7 %, Jungen 3,9 %) liegt die Prävalenz der Posttraumatischen Belastungsstörung ca. viermal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Im Vergleich zur hohen Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen erscheint die Prävalenz der PTBS jedoch gering. Dagegen lag die Prävalenz psychischer Störungen mit 75 % insgesamt sehr hoch. Zudem zeigte sich eine sehr hohe Komorbidität: 48 % der Jugendlichen wiesen mehr als eine Diagnose auf. Bei der Bildung von „Trauma-Klassen“ durch die Latente Klassenanalyse fanden sich drei Gruppen, die „Ohne Traumatisierung“, „Mittlere Traumatisierung“ und „Schwere Traumatisierung“ benannt wurden. Die Jugendlichen der Klasse „Schwere Traumatisierung“ waren durch das höchste Maß an psychopathologischer Auffälligkeit sowie insbesondere durch das Begehen schwerer Gewaltdelikte charakterisiert. Es wurde außerdem deutlich, dass bei den Jugendlichen in dieser Gruppe zwar häufiger ein Behandlungsbedarf gesehen wird, sie sich jedoch seltener in aktueller Behandlung befinden. Die Prävalenz der PTBS erwies sich im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung als sehr hoch – angesichts der hohen Lebenszeitprävalenz traumatischer Erfahrungen bei Heimjugendlichen fiel sie allerdings relativ niedrig aus. Im Hinblick auf die hohe Komorbidität sowie die hohe Prävalenz psychischer Störungen insgesamt (insbesondere bei den schwer traumatisierten Jugendlichen) scheinen die Diagnosekriterien der einfachen Posttraumatischen Belastungsstörung den komplexen Störungsbildern massiv traumatisierter Jugendlicher nicht gerecht zu werden. Die Bildung der drei TraumaKlassen verdeutlicht, dass sich Heimjugendliche mit ähnlichen „Trauma-Profilen“ zu Gruppen zusammenfassen lassen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen im Hinblick auf Psychopathologie, Delinquenz und Merkmale der Maßnahme belegen eindrucksvoll die Aussagefähigkeit der Klassenbildung. Der Großteil der traumatisierten Jugendlichen in der stationären Jugendhilfe benötigt spezifische pädagogische Konzepte, um den Jugendlichen den notwendigen Halt bieten zu können und die Betreuer vor Überforderung zu schützen. Der Anteil an schwer traumatisierten Heimjugendlichen in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung weist auf die Notwendigkeit einer engeren Verknüpfung zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie hin; nur so kann die notwendige Behandlungskontinuität und -intensität für massiv belastete Jugendliche gewährleistet werden. Sinnvoll erscheinen zudem spezifische pädagogische Konzepte für Untergruppen traumatisierter Heimjugendlicher. Eine Entwicklung traumapädagogischer Konzepte sollte demnach mögliche Subgruppen traumatisierter Heimjugendlicher berücksichtigen. Literatur 141 6 Literatur Abram, K. M., Teplin, L. A., Charles, D. R., Longworth, S. L., McClelland, G. M., & Dulcan, M. K. (2004). Posttraumatic Stress Disorder and Trauma in Youth in Juvenile Detention. Arch Gen Psychiatry, 61(4), 403-410. Abram, K. M., Teplin, L. A., McClelland, G. M., & Dulcan, M. K. (2003). Comorbid psychiatric disorders in youth in juvenile detention. 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Mein herzlicher Dank gilt ebenso Herrn Dr. Marc Schmid - die „Seele“ der Studie -, ohne dessen großes Engagement die Studie nicht so erfolgreich verlaufen würde, der stets ein offenes Ohr hatte und mich inhaltlich mit vielen sehr wertvollen Anregungen und Literaturquellen bedeutend unterstützt hat. Herrn Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert danke ich herzlich für das Lesen meiner Arbeit in Rekordzeit und den wertvollen inhaltlichen Input. Mein besonderer Dank geht an meine Kollegin und Freundin Anja Prestel, die mir über die letzten Jahre ein sehr wichtiger Mensch geworden ist und deren emotionale und auch inhaltliche Unterstützung die gesamte Zeit leichter und heiterer werden ließ. Bedanken möchte ich mich außerdem bei meinen Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, die in unermüdlichem Einsatz die Heimeinrichtungen vor Ort betreut und immer wieder zur Mitarbeit motiviert haben und in ausführlichen Interviews mit den Jugendlichen viele Daten gesammelt haben. Mein Dank gilt hier Bettina Breymaier, Sarah Jäggi, Kaspar Scheidegger, Hilde Rapprich, Nils Jenkel und Pia Niklaus. Danksagung 157 Rita Kleinrahm möchte ich herzliche danken, die durch kollegiale und freundschaftliche Begleitung seit Anbeginn immer wieder zur Aufmunterung beigetragen hat. Mein besonderer Dank geht nicht zuletzt an meine Familie und Freunde, die mir mit lieben Worten und einem immer offenen Ohr eine wichtige Stütze waren und sind. Hier gilt mein Dank ganz besonders Benjamin Duncker, der mich mit viel Verständnis und emotionalem Beistand die ganze Zeit begleitet hat. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Schwester Lena, die zu jeder Tag- und Nachtzeit für mich erreichbar ist sowie bei meinen Eltern, die mich mit dem Korrekturlesen des Manuskripts und wertvollen Hinweisen unterstützten. Abschließend möchte ich mich ganz besonders bei all denen bedanken, ohne die diese Studie gar nicht erst möglich gewesen wäre: Den Heimleitern und –leiterinnen für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit, bei allen Mitarbeitern in den Heimeinrichtung, die neben ihrer Arbeit viele Fragebögen beantwortet haben sowie bei den Kindern und Jugendlichen, die an der Studie teilgenommen haben. Mein Dank gilt hier: Jugendstation Alltag, Summaprada Arxhof, Niederdorf Jugendstätte Bellevue, Altstätten Sozialpädagogische Jugendwohngruppe Anderledy, Brig Jugendheim Schenkung Dapples, Zürich Schulheim Effingen, Effingen Erlenhof, Reinach Foyer Neubad, Basel Kinder- und Jugendheim Sunnehus, Frutigen Jugenddorf Knutwil, Knutwil Bad Jugendheim Lory, Münsingen Victoria-Stiftung, Richigen Danksagung Schulheim Röserental, Liestal Stiftung Juvenat der Franziskaner, Flüeli-Ranft Massnahmenzentrum Uitikon, Uitikon-Waldegg Kantonales Jugendheim, Aarburg Basler Aufnahmeheim, Basel Bürgerliches Weisenhaus, Basel Foyer in den Ziegelhöfen, Basel Foyer Rütimeyerstrasse, Basel BEO Heimgarten, Bern Kantonale BEObachtungsstation, Bolligen Schlössli Ins, Ins Therapieheim Sonnenblick, Kastanienbaum Kinder- und Jugendheim Laufen, Laufen Kantonales Jugendheim Platanenhof, Oberuzwil Foyer d’education, Prèles Durchgangswohngruppe Sennwald, Sennwald Durchgangsstation Winterthur, Winterthur Modellstation Somosa, Winterthur Sozialpädagogisches Zentrum, Zürich 158 Anhang 159 8 Anhang 8.1 Essener Trauma – Inventar (ETI) Instruktion: Sie finden nachstehend eine Liste von belastenden Ereignissen, die Menschen irgendwann einmal in Ihrem Leben erleben können. Bitte kreuzen Sie für jedes der folgenden Ereignisse an, ob Sie es erlebt haben (JA) oder nicht (NEIN). Wenn Sie mit JA antworten können, kreuzen Sie bitte an, ob Sie es entweder persönlich oder als Zeuge erlebt haben. Haben Sie ein belastendes Ereignis sowohl persönlich als auch als Zeuge erlebt, kreuzen Sie bitte beides an. Es sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass alle Ihre Antworten der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Bitte beantworten Sie jede Frage. 1. Naturkatastrophe (z.B. Flutkatastrophe, Gewittersturm, Erdbeben) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 2. schwerer Unfall, Feuer oder Explosion (z.B. Verkehrsunfall, Arbeitsunfall, Flugzeug- oder Schiffsunglück) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 3. schwere Krankheit (z.B. Schlaganfall, Krebs, Herzinfarkt, schwere Operation) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 4. gewalttätiger Angriff durch fremde Person (z.B. körperlich angegriffen, ausgeraubt, mit einer Schusswaffe bedroht werden) NEIN: |JA: Persönlich.. Zeuge 5. gewalttätiger Angriff durch jemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis (z.B. körperlich angegriffen, ausgeraubt, mit einer Schusswaffe bedroht werden) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 6. Tod einer wichtigen Bezugsperson (z.B. durch Unfall, Suizid, Mord) NEIN: |JA: Zeuge 7. Gefangenschaft (z.B. Strafgefangener, Kriegsgefangener, Geisel) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 8. als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch durch fremde Person (z.B. ungewollter oder aufgedrängter sexueller Kontakt, Vergewaltigung) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 9. als Kind/Jugendlicher sexueller Missbrauch durch eine Person aus dem Familien- oder Bekanntenkreis (z.B. ungewollter oder aufgedrängter sexueller Kontakt, Vergewaltigung) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 10. Kampfeinsatz im Krieg oder Aufenthalt im Kriegsgebiet NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 11. Folter (z.B. tagelanger Schlafentzug, Elektroschocks, Erstickungsversuche) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 12. Vernachlässigung, Verwahrlosung (z.B. ständige Ablehnung erfahren, wenig Zuwendung von den Eltern bekommen) Anhang 160 NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 13. als Erwachsener sexueller Angriff durch fremde Person (z.B. Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 14. als Erwachsener sexueller Angriff durch jemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis (z.B. Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung) NEIN: |JA: Persönlich Zeuge 15. anderes belastendes Ereignis NEIN: |JA: Persönlich Zeuge Welches:________________________________________ 16. Welches war Ihr schlimmstes Erlebnis? (Frage bezieht sich auf eines der oben aufgelisteten Ereignisse; bitte die entsprechende Nummer angeben. Wenn Sie vorher nur für eines der Ereignisse JA angekreuzt haben, ist mit „schlimmstes Erlebnis“ dieses Ereignis gemeint. Falls Ihr „schlimmstes Erlebnis“ nicht oben aufgelistet ist, geben Sie es bitte hier an) Bitte beantworten Sie nun die folgenden Fragen FÜR DIESES SCHLIMMSTE ERLEBNIS. 17. Wann hat dieses schlimmste Ereignis stattgefunden? Tage: Wochen: Monate: Jahre: 18. Während dieses schlimmsten Erlebnisses…? (bitte jeweils JA oder NEIN ankreuzen) A1. Wurden Sie körperlich verletzt…………………………………………………… A2. Dachten Sie, dass Ihr Leben in Gefahr war……………………………………. A3. Wurde jemand anderes körperlich verletzt……………………………………... A4. Dachten Sie, dass das Leben einer anderen Person in Gefahr war.………… A5. Fühlten Sie sich hilflos…………………………………………………………….. A6. Hatten Sie starke Angst…………………………………………………………… A7. Waren Sie voller Entsetzen ……………………………………………………… A8. Fühlten Sie sich machtlos………………………………………………………… Instruktion: Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Problemen, die Menschen manchmal nach sehr belastenden Erlebnissen haben. Bitte lesen Sie sich jedes der Probleme sorgfältig durch. Wählen Sie diejenige Antwortmöglichkeit (Gar nicht (0), Selten (1), Häufig (2), Sehr oft (3)) aus, die am besten beschreibt, wie stark Sie IM LETZTEN MONAT (d.h. in den letzten vier Wochen bis einschließlich heute) von diesem Problem betroffen waren. Die Fragen sollten sich dabei auf Ihr schlimmstes Erlebnis beziehen. 1. Hatte das Geschehene belastende Gedanken oder Erinnerungen in Ihnen hervorgerufen, die ungewollt auftraten und Ihnen durch den Kopf gingen, obwohl Sie nicht daran denken wollten? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 2. Haben Sie versucht, nicht an das Geschehene zu denken, nicht darüber zu reden oder damit verbundene Gefühle zu unterdrücken? Anhang 161 Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 3. Hatten Sie Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 4. Hatten Sie Momente, in denen Sie nicht mehr wussten, was vor sich ging oder fühlten Sie sich so, als ob Sie nicht Teil von dem waren, was passierte? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 5. Hatten Sie Alpträume über das Geschehene? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 6. Haben Sie versucht Situationen zu vermeiden, die Sie an das Erlebnis erinnern (z.B. Aktivitäten, Menschen oder Orte)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 7. Hatten Sie Wutausbrüche oder waren Sie häufiger gereizt? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 8. War Ihr Zeitgefühl verändert, so als ob alles wie im Zeitlupentempo zu passieren schien? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 9. War es so, als würden Sie das Ereignis plötzlich noch einmal durchleben? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 10. Konnten Sie sich an einen wichtigen Bestandteil des Geschehenen nicht erinnern? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 11. Hatten Sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren (z.B. vergessen, was Sie gerade tun wollten, vergessen, was Sie gerade gelesen oder im Fernsehen gesehen haben)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 12. Erschien Ihnen das Geschehene unwirklich, so als ob Sie in einem Traum seien oder einen Film oder ein Theaterstück sehen? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 13. Belastete es Sie, wenn Sie an das Geschehene erinnert wurden (fühlten Sie sich z.B. hilflos, wütend, traurig, schämten Sie sich)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 14. Hatten Sie starkes Interesse an Aktivitäten, die vor dem Geschehenen für Sie wichtig waren, verloren? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 15. Waren Sie übermäßig wachsam (z.B. Leute in der Umgebung prüfen, die verdächtig aussehen, ein Telefon in der Nähe haben, um schnell Hilfe rufen zu können)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 16. Erlebten Sie gelegentlich, dass Sie in den Spiegel schauen und sich nicht erkennen? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 Anhang 162 17. Hatten Sie körperliche Reaktionen, wenn Sie an das Geschehene erinnert wurden (z.B. innere Unruhe, Zittern oder Herzrasen)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 18. Fühlten Sie sich Menschen Ihrer Umgebung gegenüber entfremdet oder isoliert? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 19. Waren Sie leicht zu erschrecken oder sehr unruhig (z.B. durch laute Geräusche)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 20. Fühlten Sie sich desorientiert? Gab es Momente, in denen Sie sich unsicher waren, wo Sie sich befanden und welche Zeit es gerade war? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 21. Hatten Sie das Gefühl von emotionaler Taubheit (z.B. nicht weinen können, keine positiven Gefühle erleben können)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 22. Hatten Sie das Gefühl, dass sich Ihre Zukunftspläne und Hoffnungen nicht erfüllen werden (z.B. dass Sie keine Familie haben werden, weniger Glück im Leben oder Beruf als andere haben werden)? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 23. Hatten Sie manchmal das Gefühl, dass Ihr Körper nicht zu Ihnen zu gehören scheint? Gar nicht 0 Selten 1 Häufig 2 Sehr oft 3 24. Hatten Sie nach diesem Erlebnis vermehrt körperliche Beschwerden? Wenn ja welche? (Mehrere Kreuze sind möglich) Bauchschmerzen a Kopfschmerzen b Übelkeit c Durchfall d Zittern e Schwindel f Herzrasen g Atemnot h Krampfanfälle i Weitere /Sonstige: Wenn ja, Welche?:_______________________________________________ 25. Wie belastend fühlt sich das Geschehene für Sie zur Zeit an? gar nicht belastend……………………………………… 1 sehr wenig belastend…………………………….………2 wenig belastend ………………………………………… 3 mittelmäßig belastend ………………………………… 4 stark belastend ………………………………………… 5 extrem stark belastend ………………………………… 6 26. Wie lange haben Sie die oben angegebenen Beschwerden (Frage 1-23)? (bitte eine Antwortmöglichkeit ankreuzen) weniger als einen Monat…………..……... 1 bis 3 Monate………………………........... 2 über 3 Monate…………………………… 3 27. Wann nach dem traumatischen Erlebnis traten diese Beschwerden auf Frage 1- 23)? (bitte eine Antwortmöglichkeit ankreuzen) innerhalb der ersten 6 Monate……….…. 1 163 Anhang nach 6 Monaten oder später………….… 2 Instruktion: Bitte geben Sie an, ob die oben angegebenen Probleme Sie IM LETZTEN MONAT in den unten aufgeführten Bereichen beeinträchtigt haben. Wählen Sie die Antwort, die am besten beschreibt, welche Schwierigkeiten Sie in den jeweils genannten Bereichen hatten (gar keine, wenige, mittelmäßige, starke). 28. Schwierigkeiten Mittel / gar keine / wenige / mäßige / starke a. Schule/ Ausbildung / Beruf……………..………………………… b. Hausaufgaben und Aufgaben im Haushalt………………… c. Hobbies und Freizeitaktivitäten………………………………… d. Beziehungen zu Freunden, Kollegen, Mitschülern………. e. Beziehungen zu Familienmitgliedern………………………… f. Sexualität………………………………………………………………… 164 Anhang 8.2 Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Massachusetts Youth Screening Instrument - Version 2 (MAYSI-2) Frage Haben Sie mit Einschlafen oder Durchschlafen häufig Schwierigkeiten gehabt? Haben Sie leicht Ihre Fassung verloren oder Wutausbrüche gehabt? Haben Sie nervöse oder beunruhigende Gefühle daran gehindert, Dinge zu tun, die Sie eigentlich tun wollten? Hatten sie große Probleme, sich zu konzentrieren oder Ihre Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten? Haben Sie es genossen zu kämpfen oder turnte Sie das Kämpfen an? Haben Sie sich schnell aufgeregt? Haben Sie oft daran gedacht, sich an jemandem zu rächen, auf den Sie wütend waren? Waren Sie motorisch sehr unruhig, zappelig oder hyperaktiv? Haben Sie Dinge gesehen, von denen andere sagen, dass sie diese Dinge nicht gesehen haben? Haben Sie etwas gemacht, als Sie betrunken oder high waren, das 10. Sie nicht zu tun gewünscht haben? Haben Sie sich gewünscht, tot zu sein? 11. 9. 12. 13. Haben Sie in der Schule viele Tagträume gehabt? Waren Sie besonders häufig in schlechter Stimmung? Hatten Sie so starke Alpträume, dass Sie Angst vor dem Schlafengehen hatten? Haben Sie sich zu müde gefühlt, um sich zu vergnügen/Spass zu 15. haben? Hatten Sie das Gefühl, dass das Leben nicht mehr lebenswert sei? 16. 14. 17. 18. 19. Haben Sie sich die meiste Zeit sehr einsam gefühlt? Hatten Sie das Bedürfnis, sich selbst zu verletzten? Haben Ihre Eltern oder Freunde gedacht, dass Sie zuviel trinken? Haben Sie Stimmen oder Dinge gehört, die andere Menschen nicht hören konnten? Gab es den Anschein, als ob ein Körperteil von Ihnen ständig 21. schmerzt? Hatten Sie das Bedürfnis, sich umzubringen? 22. 20. 23. 24. Sind Sie in Schwierigkeiten gekommen, während Sie high oder betrunken waren? Falls, ja wurden Sie in Schlägereien verwickelt? Konnten andere Personen Ihr Gehirn oder Ihre Gedanken 25. kontrollieren? Ja Nein 165 Anhang Hatten Sie das unangenehme Gefühl, dass Dinge nicht real erscheinen, sondern als ob Sie sich in einem Traum befänden? Wenn sie sich nervös oder ängstlich fühlten: 27. Fühlten Sie sich dann zitterig oder schwindelig? Hatten Sie Herzrasen? 28. 26. 29. 30. 31. Fühlten Sie sich kurzatmig? Wurden Ihre Hände feucht oder taub? Verspürten Sie Übelkeit im Bauch? Waren Sie in der Lage, allein durch Ihre Gedanken andere Menschen dazu zubringen, bestimmte Dinge zu tun? Haben Sie Drogen genommen oder Alkohol getrunken, um sich 33. besser zu fühlen? Hatten Sie das Gefühl, dass Sie keinen Spass mit Ihren Freunden 34. mehr haben? Haben Sie sich häufig wütend gefühlt? 35. 32. Hatten Sie das Gefühl, nicht mehr zur Schule / zum Ausbildungsplatz gehen zu wollen? Waren Sie betrunken oder unter dem Einfluss von Drogen in der 37. Schule oder an Ihrem Arbeitsplatz? Hatten Sie das Gefühl, dass Sie nichts richtig machen können? 38. 36. 39. 40. 41. 42. 43. Wurden Sie oft frustriert? Haben Sie Alkohol und Drogen zur gleichen Zeit konsumiert? Fiel es Ihnen schwer, sich Personen ausserhalb Ihrer Familie emotional verbunden oder nahe zu fühlen? Wenn Sie wütend waren, blieben Sie dann über längere Zeit wütend? Haben Sie starke Kopfschmerzen gehabt? Haben Sie verletzt oder absichtlich etwas zerstört, (nur) weil Sie wütend waren? Waren Sie schon so betrunken oder high, dass Sie sich nicht mehr 45. daran erinnern konnten, was geschehen war? Haben andere Menschen viel über Sie geredet, wenn Sie nicht dabei 46. waren? Haben Sie die Hoffnung für Ihr Leben aufgegeben? 47. 44. Ist Ihnen in ihrem gesamten Leben einmal etwas sehr Schlimmes oder sehr Furcht Einflössendes passiert? Waren Sie jemals schwer verletzt oder in Gefahr, schwer verletzt oder 49. getötet zu werden? Wurden Sie jemals vergewaltigt oder waren in Gefahr, vergewaltigt zu 50 werden? Haben Sie viele schlechte Gedanken oder Träume über ein 51. schlimmes oder beängstigendes Ereignis, das Ihnen widerfahren ist? Haben Sie jemals jemanden gesehen, der ernsthaft verletzt oder 52. getötet worden ist (in echt, nicht im Film)? 48. 166 Anhang 8.3 Kriminologische Fragen Nr. Frage Ist es dir persönlich jemals passiert, dass dir jemand mit Gewalt, oder indem er mit Gewalt drohte, etwas weggenommen hat oder dich gezwungen hat, etwas herauszugeben? Damit ist auch das „Abziehen“ gemeint. Bist du jemals so geschlagen oder getreten worden, dass du eine Verletzung hattest? Dabei wurden aber keine Waffe und kein Gegenstand verwendet. Bist du jemals mit einem Gegenstand (z. B. Knüppel) oder einer Waffe (z. B. Messer, Tränengas) angegriffen und verletzt worden, oder wurde dabei versucht, dich zu verletzen? Es kommt manchmal vor, dass man von anderen Personen in sexueller Absicht auf unverschämte Art belästigt wird (z. B. durch verbale „Anmache“ oder durch „Grapschen“). Das kann in der Schule, zu Hause oder anderswo passieren. Hat dies jemand jemals mit dir persönlich gemacht? Hast du jemals an verbotenen Orten Graffitis gesprayt oder Tags gesetzt? Hast du jemals etwas absichtlich zerkratzt, um es zu zerstören oder zu beschädigen (scratchen)? Es kommt vor, dass Telefonzellen, Bushaltestellen, Fahrzeuge, Briefkästen, Sitze in Bus oder Bahn, Parkbänke, Schulmöbel oder Ähnliches beschädigt oder zerstört werden. Hast du jemals solche oder auch andere Sachen, die dir nicht gehörten, absichtlich beschädigt oder zerstört? Hast du schon einmal einen Automaten oder ein Münztelefon geknackt und Geld oder Waren rausgenommen? Hast du jemals etwas aus einem Supermarkt, einem Laden oder Kaufhaus mitgenommen, ohne zu bezahlen? Hast du jemals ein fremdes Fahrrad weggenommen, um es für dich zu behalten, es zu verkaufen oder kaputt zu fahren? Hast du jemals ein fremdes Auto, Motorrad, Moped oder ein Mofa weggenommen, um es für dich zu behalten, es zu verkaufen oder kaputt zu fahren? Hast du jemals ein Auto geknackt und irgendwelche Sachen herausgenommen (z. B. Radio, Geld, Handy oder anderes)? Hast du jemals einer Person eine Handtasche, Einkaufstasche oder einen Geldbeutel aus der Hand oder vom Arm gerissen? Hast du jemals jemandem mit Gewalt Geld oder irgendwelche Sachen abgenommen oder jemanden gezwungen, Geld oder Sachen herauszugeben? Damit ist auch das „Abziehen“ gemeint. Bist du jemals in ein Gebäude eingebrochen, um etwas zu stehlen? Zum Beispiel: Wohnung, Laden, Kiosk, Garage, Gartenhaus, Wochenendhaus, Schule, Kindergarten, Baubaracke, Werkstatt, Büro oder Ähnliches? Hast du jemals etwas anderes gestohlen, was bis jetzt noch nicht erwähnt wurde? Zum Beispiel eine Jacke oder Tasche beim Sport. Hast du jemals etwas verkauft, gekauft oder getauscht, von dem du wusstest, dass es gestohlen war? Hast du jemals jemanden so geschlagen oder getreten, dass er verletzt wurde? Aber ohne eine Waffe oder einen anderen Gegenstand zu benutzen. Damit meinen wir jedoch nicht solche 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. Ja Nein 167 Anhang Situationen, bei denen Jugendliche nur aus Spaß miteinander raufen. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. Hast du jemals jemanden mit einem Gegenstand (z. B. Knüppel) oder einer Waffe (z. B. Messer oder Tränengas) angegriffen und verletzt oder versucht, ihn zu verletzen? Hast du jemals Drogen wie Ecstasy, Haschisch, Marihuana, Heroin, Kokain usw. genommen oder geraucht (Zigaretten und Alkohol sind hier nicht gemeint)? Hast Du jemals Drogen wie Ecstasy. Haschisch, Marihuana, Kokain usw. verkauft? Hast du jemals Raubkopien von Musikstücken, Filmen, Fotos, Computerprogrammen (Software) usw. aus dem Internet heruntergeladen, von denen du also wusstest, dass diese Kopien gegen den Willen des Künstlers oder Herstellers ins Internet gestellt worden sind? Hast du jemals am TV (Video, DVD) aussergewöhnlich gewalttätige Filme konsumiert? Hast du jemals am Computer Bilder oder Filme mit Gewaltinhalten konsumiert? Hast du jemals am Computer Gewaltspiele gespielt, in welchen der Spieler den Eindruck haben kann, selbst zu töten (Ego-Shooter)? Hast du dir jemals Material mit Gewaltinhalten auf dein Handy geladen? Hast du jemals gewalttätige Übergriffe gefilmt oder photographiert (Handy, Kamera etc.)? 28. Hast du jemals am TV pornografische Filme konsumiert? 29. Hast du jemals am Computer Bilder oder Filme mit pornografischen Inhalten konsumiert? 30. Hast du dir jemals pornografisches Material auf dein Handy geladen? 31. Hast du jemals pornografische Szenen gefilmt oder photographiert (Handy, Kamera etc.)? 32. Hast du jemals andere Personen sexuell belästigt? 33. Hast du jemals unter Androhung von Gewalt unter 16jährige (und mindestens 3 Jahre jüngere Jugendliche oder Kinder) zu sexuellen Handlungen gezwungen? 34. Falls Ja, kam es dabei zur Penetration? 35. 36. 37. 38. 39. Hast du jemals unter 16jährige (und mindestens 3 Jahre jüngere Jugendliche oder Kinder) zu sexuellen Handlungen genötigt? Hast du jemals unter Androhung von Gewalt einen anderen gleichaltrigen oder älteren Menschen (weniger als 3 Jahre jünger) zu sexuellen Handlungen gezwungen? Hast du jemals unter Androhung von Gewalt einen anderen gleichaltrigen oder älteren Menschen (weniger als 3 Jahre jünger) zum sexuellen Verkehr (Penetration) gezwungen? Hast du jemals einen anderen gleichaltrigen oder älteren Menschen (weniger als 3 Jahre jünger), der von dir abhängig war, zu sexuellen Handlungen gezwungen? Hast du jemals andere Menschen zur Prostitution genötigt?