Das Eis verschwindet Schmelzende Polkappen, steigende Pegel Das Eis wird dünn, und zwar viel schneller als gedacht: Die Pole sind massiv vom Klimawandel betroffen. Das einst ewige Eis schmilzt, die Gletscher schrumpfen und Permafrostböden tauen auf. Das bedroht nicht nur Eisbär & Co. Stand: 18.05.2015 Es muss nicht erst ein Eisberg am Nordseestrand vorbeidriften, bis wir merken, wie eng unser Verhältnis zu Arktis und Antarktis ist. Die Polarregion spürt sie längst, die Gegenwart des Menschen: Der Klimawandel lässt sie buchstäblich verschwinden. Rekord-Eisschmelze in Grönland und der Antarktis Eis-Volumen Nach Berechnungen von Forschern hat das grönländische Eisschild ein Gesamtvolumen von rund 2,96 Millionen Kubikkilometern und das der Antarktis von etwa 27 Millionen Kubikkilometern. Ein Kubikkilometer (km³) entspricht dem Rauminhalt eines Würfels, der eine Kantenlänge von einem Kilometer besitzt. Und zwar immer schneller: Laut einer Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) vom August 2014 schmilzt das Eis in Grönland und der Antarktis gerade schneller als je zuvor in den vergangenen zwanzig Jahren. Messungen des ESA-Satelliten CryoSat-2 zeigten, dass die dortigen Eisschilde aktuell zusammen rund 500 Kubikkilometer Volumen pro Jahr verlieren. Der größere Anteil entfällt mit 375 Kubikkilometern auf das grönländische Eis. Seit 2009 habe sich der jährliche Eisverlust in der Westantarktis verdreifacht und in Grönland verdoppelt. Für den Osten der Antarktis konnten die Wissenschaftler einen Eiszuwachs nachweisen - der jedoch die Verluste im Westen nicht aufwiegen kann. Das Eis verabschiedet sich massenweise Riesige Tunnel im Schelfeis Mit 250 Metern sind sie fast so hoch wie der Eiffelturm, dazu mehrere hundert Meter breit und mehrere hundert Kilometer lang: Britische Wissenschaftler von der University of Exeter haben im antarktischen Schelfeis riesige Kanäle entdeckt, die wahrscheinlich von Schmelzwasser gegraben wurden. Anfang Oktober 2013 haben sie ihre Erkenntnisse, die sie durch Satellitenaufnahmen, Radarmessungen und Luftbilder erlangt haben, veröffentlicht. Sie hoffen, dass ihnen das neuentdeckte Kanalsystem Hinweise darüber liefert, wie es sich auf die Stabilität des Schelfeises auswirkt, wie das Eis auf sich ändernde Umweltbedingungen reagiert und wie und wohin das Schmelzwasser abfließt. Die Eisschilde in der Antarktis und in Grönland haben in knapp zwanzig Jahren etwa 4.000 Milliarden Tonnen an Masse verloren. Deren Schmelzwasser hat den Meeresspiegel um rund elf Millimeter steigen lassen, was etwa einem Fünftel des Gesamtanstiegs entspricht. Das geht aus einer Studie hervor, an der unter anderem Forscher der Technischen Universität München und der Universität München beteiligt waren. Das Team analysierte die Daten von mehr als dreißig auf Satellitenbeobachtungen basierenden Untersuchungen zur Eisdicke an den Polkappen aus den Jahren 1992 bis 2011. Weiche Gletscher-Rutschbahn Gletscherspalte in Grönland Um die schmelzenden Gletscher und den dadurch steigenden Meeresspiegel vorherzusagen, nehmen Klimaforscher oft stark vereinfachte Modelle. Dabei gehen sie davon aus, dass die Gletscher einen harten, felsigen Untergrund haben. Neuere Daten sagen aber, dass sich die grönländischen Gletscher über weiches, poröses Sediment bewegen. Wissenschaftler der University of Cambridge untersuchten, wie das die Gletscherschmelze beeinflusst. Marion Bougamont und Poul Christoffersen simulierten dafür, wie sich die Bewegung des Eises verändert, wenn das Schmelzwasser durch Eisspalten von der Oberfläche in die Gletscherbasis sickert. Das Ergebnis im September 2014: Wenn das weiche Sediment das Wasser aufnimmt, wird es instabil und der Gletscher rutscht schneller. Noch ist der Eisabfluss relativ stabil, aber sickert zu viel Wasser ins Sediment, könnte sich der Eisabbau rapide beschleunigen. "Das grönländische Eisschild ist nicht annähernd so stabil wie wir denken." Poul Christoffersen, University of Cambridge Permafrostboden taut auf Vorheriges Bild Nächstes Bild Erosion des Eiskliffs im Garwood Valley seit 2001 Wenn sich die Antarktis im Laufe des Jahrhunderts wie von den Wissenschaftlern vorherberechnet erwärmt, könnte das Bodeneis künftig noch deutlich schneller abtauen und sich die Landschaft dramatisch verändern. Auch der Klimawandel beschleunigt sich in diesem Fall möglicherweise. Das Wasser steigt Die Sendung zum NachhörenWenn das Eis in der Arktis schmilzt Doch auch die Gletscher der Antarktis wandern immer schneller zum Meer und verlieren in jedem Jahr über 100 Milliarden Tonnen Eismasse. Das entspricht 100 Billionen Liter Wasser. Schon jetzt steigt der Meeresspiegel jährlich um drei Millimeter. Und es wird noch schlimmer: Eine Studie vom Mai 2011 sagt voraus: Bis zum Ende des Jahrhunderts soll der globale Meeresspiegel laut der Prognose des Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP) um 0,9 bis 1,6 Meter steigen. Die Amundsen-See und sechs vom Abschmelzen gefährdete Gletscher in der Antarktis Insbesondere der für die Westantarktis entscheidende Thwaites-Gletscher könnte schon in 200 bis 1.000 Jahren verschwunden sein. Forscher um Ian Joughin an der Universität von Washington in Seattle schreiben im Mai 2014, dass sich die schnelle Schmelze des Thwaites-Gletschers aus Computersimulationen ergebe, die sich wiederum auf Radaraufnahmen und Satellitenmessungen stützen. Der Thwaites-Gletscher, der in die Amundsen-See mündet, dient als Stütze der benachbarten Eismassen. Kollabiert er, könnten weitere Gletscher rasch folgen. Der globale Meeresspiegel steige in der Folge um rund 60 Zentimeter, so die Forscher. Eine Studie von einem Forscherteam um Eric Rignot von der Universität von Kalifornien in Irvine unterstreicht diese Ergebnisse. Daten aus vier Jahrzehnten zeigten, dass die sechs in die AmundsenSee mündenden Gletscher den Punkt "of no return" schon überschritten hätten. Allein das schmelzende Eis dieser Gletscher könne die Meeresspiegel um rund 1,2 Meter ansteigen lassen. Bis 2300 ist ein Anstieg von 3,5 Metern möglich Einen globalen Anstieg um 80 Zentimeter bis zum Jahr 2100 sagt auch ein internationales Forscherteam in einer Studie vom Juni 2012 voraus: Die Wissenschaftler vom Forschungsinstitut Climate Analytics in Berlin, vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der Universität Wageningen in den Niederlanden und der Aalto-Universität in Finnland haben für ihre Prognosen Klimamodelle mit Messwerten des Meerresspiegelanstiegs der letzten tausend Jahre verknüpft. Damit ermittelten sie auch Langzeitprognosen für die Pegel bis zum Jahr 2300: Wird die Erwärmung auf zwei Grad begrenzt, würde der Meeresspiegel immer noch rund 2,7 Meter über dem Niveau des Jahres 2000 liegen. Wenn es gelänge, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würden die Pegel bis 2300 um etwa 1,5 Meter ansteigen, nur gut halb so viel. Eine Katastrophe wäre dagegen eine Erwärmung um zwei bis drei Grad: Dann wäre mit einem Anstieg von durchschnittlich 3,5 Metern zu rechnen. Als Hauptgrund für den rasanten Anstieg wird vor allem das beschleunigte Abschmelzen der arktischen Gletscher und des grönländischen Inlandeises ausgemacht. 2014 machte eine internationale Studie deutlich, dass auch die bisher als stabil geltenden Gletscher im Nordosten Grönlands riesige Eismassen verlieren. Schmelzende Arktis verstärkt Wetterextreme Schmelzendes Eis auf Grönland Ein internationales Forscherteam untersuchte den nordöstlichen Eisstrom in Grönland, der mehr als 600 Kilometer vom Landesinneren bis an die Küste führt. Für die Studie werteten die Forscher Daten von Eisdickenmessungen von 1978 bis 2012 aus. 25 Jahre lang sei der Eisstrom stabil gewesen, so die Autoren - bis zum Jahr 2003. In dem ungewöhnlich warmen Sommer 2003 ging das Meereis zurück und das Gletschereis begann zu schmelzen. Von April 2003 bis 2012 verlor der nordöstliche Eisschild im Durchschnitt zehn Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. Der Zachariae Eisstrom hat sich seit 2003 um 20 Kilometer zurückgezogen - in nur zehn Jahren. Zum Vergleich: Einer der bisher am schnellsten schwindenden Gletscher Grönlands, der Jakoshavn Isbrae im Südwesten der Insel, benötigte für 35 Kilometer immerhin 150 Jahre. Bedenklich sei zudem, dass das Eis nicht nur in Küstennähe stärker taut, auch im Landesinneren hat sich der Abfluss des nordöstlichen Eisstroms beschleunigt. "Das bedeutet, dass Veränderungen an den Rändern auch die Massenbilanz tief im Zentrum des Eisschilds beeinflussen können", so der Autor der Studie, Shfaqat Abbas Khan von der Technischen Universität Dänemark in Kopenhagen. So sei auch der künftige Anstieg des Meeresspiegels bisher gravierend unterschätzt worden. Das Ausmaß der Veränderungen in den letzten zehn Jahren verblüffte den Forscher und sein Team enorm. Die Studie wurde im März 2014 in "Nature Climate Change" veröffentlicht. Flutkatastrophen und Klimaflüchtlinge Wenn die zwei großen Süßwasserreservoirs der Erde schmelzen, drohen weltweit Flutkatastrophen. Tief liegende Regionen wie Bangladesch könnten komplett überflutet werden. Aber auch die flachen Küstenregionen Polens sind gefährdet. Und die deutsche Insel Sylt muss schon jetzt jedes Jahr frischen Sand heranbaggern, weil die Fluten die Insel buchstäblich abtragen. Dazu wird das Ökosystem Ozean aus dem Gleichgewicht gebracht, weil beispielsweise der Salzgehalt des Wassers abnimmt. Landunter: Die ersten Klimaflüchtlinge Wie viele Menschen genau ihre Heimat verlassen, weil sich das Klima dort verändert hat, weiß niemand. Das liegt daran, dass es keine genaue wissenschaftliche Definition für Klimaflüchtlinge gibt. Unbestritten ist aber: Menschen nehmen reißaus, weil ihnen das Trinkwasser fehlt, Trockenheit den Böden zu schaffen macht oder ihr Hab und Gut immer wieder weggeschwemmt wird. November 2005: 980 Menschen werden von den Carteret-Inseln (Papua Neuguinea) auf 100 Kilometer entfernte Inseln umgesiedelt - die ersten Klimaflüchtlinge. 2005: Die 11.000 Bewohner der Inselkette Tuvalu (Pazifischer Ozean) erbitten Klimaasyl. Australien verweigert die Aufnahme. 19. Februar 2007: Arktische Stürme überschwemmen wiederholt die Siedlung Shishmaref (Alaska). Die Bevölkerung gibt auf und packt die Koffer. seit 2008: Der Präsident der Malediven spart, um Land in Indien oder anderswo im Ernstfall zu kaufen. Denn den 385.000 Maledivern steht das Wasser bis zum Halse. Immer mehr Menschen verlassen die Südpazifikinsel Nauru wegen ständiger Überflutungen. Indonesien will auf seinen unbewohnten Inseln Klimaflüchtlingen Zuflucht gewähren, obwohl rund 2.000 der insgesamt rund 17.000 indonesischen Inseln bis Mitte des Jahrhunderts ebenfalls verschwinden könnten. August 2014: Die Familie Alesana aus dem Inselstaat Tuvalu, der vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist, bekommt Asyl in Neuseeland. Damit sind sie die weltweit ersten anerkannten Flüchtlinge des Klimawandels, denn Neuseeland hat die Gefahr des Klimawandels im Antrag mit berücksichtigt . Ein Präzedenzfall ist das aber nicht, die Familie hat Verwandte in Neuseeland und die Kinder sind ebenfalls dort geboren. Bedrohtes Paradies Die Malediven gelten als Urlaubsparadies. Doch die Inseln im Indischen Ozean sind bedroht. Der Klimawandel lässt den Meeresspiegel steigen und Stürme stärker werden. Das hat schon jetzt Auswirkungen. Gletscherdaten aus dem All: Weniger Eis, mehr Meer Von Axel Bojanowski EGU/ Helm et al/ The Cryosphere Wie viel Eis liegt in Grönland und der Antarktis? Radarmessungen über den beiden abgelegensten Landschaften der Erde zeigen: Beide Polkappen schmelzen schneller als gedacht. Was bedeutet das für den Anstieg der Ozeane? Hamburg - Kaum eine Flugreise ist eindrucksvoller als die Querung Grönlands oder der Antarktis. Bis zum Horizont glitzert weiße Landschaft, nur stellenweise ragt dunkler Fels aus den Gletschern - es sind die Gipfel kilometerhoher Berge. Neue Daten zeigen die Höhe der Eismassen in erstaunlicher Präzision. Das bedenkliche Ergebnis: Das Eis schmilzt schneller als zuvor. Wissenschaftler um Heinrich Miller vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) haben nach eigenen Angaben 214 Millionen Messungen des Satelliten "CryoSat-2" von Januar 2011 bis Januar 2014 ausgewertet. Die Sonde schickt Radarwellen zur Erde, sie geben Aufschluss über die Höhe des Eises: Je schneller die Wellen vom Eis zurückgeworfen werden, desto höher ist der Gletscher. Die Daten zeigten die weißen Polkappen auf etwa drei Meter genau, berichten die Forscher im Fachblatt "The Cryosphere". "Unsere Messungen decken eine Eisfläche von 16 Millionen Quadratkilometer ab, das sind 500.000 Quadratkilometer mehr als in bisherigen Höhenmessungen", sagt der Glaziologe Veit Helm vom AWI.