WISSEN Das große K limaforscher schlagen Alarm: Das Schmelzen der Gletscher zeigt klar, wie dramatisch sich unsere Erde ­erwärmt. Der Autor und TV-Journalist Franz Alt hat in den vergangenen fünf Jahren an fünf „Tatorten“ der Gletscherschmelze ermittelt: an Süd- und Nordpol, in Island, Grönland und Alaska. Hier berichtet er exklusiv von seinen Erlebnissen. Mitte August dieses Jahres stehen wir am Fuß des Mendenhall-Gletschers in Alaska. Der nördlichste Bundesstaat der USA ist fünfmal größer als Deutschland, aber es leben nur 700.000 Menschen hier. Unsere Reiseführerin zeigt uns Fotos, auf denen sie vor 25 Jahren am Rand des Gletschers stand. Jetzt wachsen an derselben Stelle Bäume und Sträucher. Jahreszahlen im Wald markieren den dramatischen Rückzug: Alaskas „weiße Tempel“ werden jedes Jahr um 150 bis 200 Meter kleiner. Das „ewige Eis“ verschwindet immer schneller. Hier berichtet Autor und TV-Journalist Franz Alt exklusiv von Schauplätzen des Klimawandels Wenn der Meeresspiegel steigt Forscher schätzen, dass seit 1950 allein in Alaska das Gletschereis um 3000 Kubik­ kilometer abgeschmolzen und in den ­Ozean geflossen ist. Folge: Der Meeresspiegel steigt. Schon bei einem Anstieg von ­einem Meter würden etwa 150 Millionen Menschen weltweit den Boden unter ihren Füßen verlieren – und fliehen müssen. Was aber, wenn der Meeresspiegel in 100 Jahren um bis zu fünf Meter steigt, wie manche ­E xperten befürchten? Der renommierte Klimaforscher Mojib Latif, mit dem wir­ 2014 die Arktisregion besuchten, sagte uns schon damals: „Globale Erwärmung, schmelzende Gletscher, ansteigender Meeresspiegel – es besteht kein Zweifel mehr: Bitte umblättern ❱ Kalbende Gletscher Weil sich unsere Erde erwärmt, brechen immer wieder große Eismassen von Gletschern ab, hier im Süden Argentiniens 18 6° Celsius wärmer als im Durchschnitt war der Winter 2015/16 in weiten Teilen der Arktis Mahner Franz Alt ging mit Forschern in der Arktis und Antarktis auf Expedition WISSEN Wasserfälle im ewigen Eis 1958 Der Klimawandel ist in vollem Gang, und der Mensch hat in zunehmendem Ausmaß Anteil daran.“ In den Gletscherregionen der Arktis und Antarktis sahen wir in den letzten Jahren ständig gewaltige Wasserfälle, die es vor zehn, 20 Jahren noch nicht gab. 2006 2016 Ein Gletscher zieht sich zurück Vergleichsfotos zeigen, wie der MendenhallGletscher in der Nähe von Juneau, der Hauptstadt Alaskas, schrumpft. In einigen Regionen schreitet der Prozess noch schneller voran 20 Wird Grönland ganz grün? Bei unserem Besuch auf Grönland, der größten Insel der Welt, bewundern wir grandiose Landschaften, Fjorde mit blauweißen und türkisfarbenen Eisbergen, vielfarbige Eskimosiedlungen. 85 Prozent der Insel sind vom „ewigen Eis“ bedeckt. Noch. Die Eiskappe ist rund 2000 Kilometer lang, 1000 Kilometer breit und bis zu 3000 Meter dick. Wir sind überwältigt von dieser weißen Unendlichkeit. Im Juli 2012 jedoch geschah in Grönland etwas Unerwartetes, für die Gletscherforscher ein Albtraum: Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte begann der gesamte Eisschild zu schmelzen. Riesige Brocken lösten sich und stürzten ins Meer. Wir flogen im Hubschrauber über den Ilulissat-Gletscher und waren entsetzt, weil sich eine dünne Eisschicht erstmals in Schneematsch verwandelt hatte. In Grönland haben wir zwei Julitage ­erlebt, an denen es wärmer war als in Deutschland. Schon der Sommer 2011 hatte die ­Insel im Schwitzkasten. Im ersten Halbjahr lag die Temperatur durchschnittlich um 1,5 bis 2,5 Grad über dem Niveau der letzten 30 Jahre. Regional waren es sogar bis zu sieben Grad. Die uns begleitenden Wissenschaftler erwarten einen völlig eisfreien Arktissommer schon bis 2020. Die gesamte Nordost-Schifffahrtsroute zwischen Grönland und Ostasien ist jetzt im Sommer ohne Eisbrecher befahrbar. Das Gleiche gilt für die Nordwestpassage zwischen Grönland, Alaska und Kanada. Im vorletzten Bericht des UN-Klimarats (IPCC) aus dem Jahr 2006 war diese Situation für 2070 erwartet worden. Der Meeresspiegel könnte bis zum Ende unseres Jahrhunderts nicht nur um 60 Zentimeter ansteigen wie vom IPCC angenommen, sondern um einen bis fünf Meter. Betroffen wären vor allem Menschen in Millionenstädten an den Küsten rund um den Globus: etwa in Schanghai und Hongkong, in Kalkutta und Bombay, in Kairo und Alexandria, in Rio und in Buenos Aires, aber auch in Bangladesch und Afrika. Viele dürften ihre Heimat verlieren und zu Klimaflüchtlingen werden. Im Boden tickt eine Zeitbombe In der Arktis taut bereits der Permafrost­ boden auf und setzt den Klimakiller Me­ than frei. Ein Methangasmolekül zerstört das Klima etwa 22-mal mehr als das Haupt- treibhausgas CO2. In Grönlands Eisschichten sind gewaltige Kohlenstoffvorkommen eingelagert, die sich dort in Jahrhunderten aus absterbenden Pflanzen gebildet haben. Eine Zeitbombe. Beim Flug über Grönland lassen wir uns zeigen, wie der Ilulissat-­ Gletscher vor 150 Jahren fast den ganzen Fjord bedeckte. Der ist heute voller Eis­ berge, die vom Gletscher abge­ brochen sind. Sie „kalben“ – so nennen die Wissenschaftler das Phänomen. Der ganze Fjord ist voller solcher „Kälber“. Schließlich stehen wir am Rand der Abbruchkante. Es kracht und poltert hier pausenlos. Auf acht Kilometer Länge kalbt hier der Gletscher täglich mehr Eis ins Meer, als von allen ­A lpengletschern in einem Jahr abbricht oder schmilzt. Wird Grönland grün? Jetzt kommt es auf eine rasche Energiewende an. Immerhin: Wir haben weltweit den Solarstrom seit dem Jahr 2000 verhundertfacht, den Windstrom verzehnfacht. China, die USA und Japan sind in großem Stil in Sonnen- und Wind­energie eingestiegen. Vielleicht hat unsere fiebernde Erde ja doch noch eine Chance. FRANZ ALT SA7.1. ARD-ALPHA 16.45 UHR GLETSCHERSCHMELZE Reportage über den weltweiten Klimawandel im Hochgebirge Warum die Erde zum Treibhaus wird In der Geschichte unseres Planeten gab es immer wieder gravierende Klimaveränderungen. Wissenschaftlich belegt ist allerdings, dass für den jetzigen Anstieg der welt­ weiten Mittel­temperatur der Mensch mitverantwortlich ist. Denn seit der Industria­lisierung nimmt die Konzen­tration der soge­ nannten Treibhausgase messbar zu. Zu ihnen g­ ehören Kohlen­dioxid, das durch das Verbrennen etwa von ­Kohle und Öl freigesetzt wird, Methan sowie Distickstoff­ monoxid. Aber auch die ­großflächige ­Ent­waldung der Erde trägt zu dieser unheil­vollen Ent­wicklung bei. Die Z­ unahme der Treibhaus­ gase führt n­ ämlich zu einer deut­lichen ­Erwärmung der unteren Luftschichten. Februar-Mittel der Meereis-Ausdehnung in der Arktis von 1979 bis 2016 Februar-Mittel der Meereis-Ausdehnung in der Arktis von 1979 bis 2016 km2 17 Mio. 17 Mio. km2 16 16 15 15 14 14 13 13 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 September-Mittel der Meereis-Ausdehnung in der Arktis von 1979 bis 2016 September-Mittel der Meereis-Ausdehnung in der Arktis von 1979 bis 2016 2 km 8 Mio. 8 Mio. km2 7 7 6 6 5 5 4 4 3 3 1980 1980 1985 1985 1990 1990 1995 1995 2000 2000 2005 2005 2010 2010 2015 2015 Das große Schmelzen in Zahlen Der Trend ist deutlich: Das Meereis der Arktis schmilzt im Sommer immer schneller. Doch auch der Winter 2015/ 2016 brachte die geringste Ausdehnung seit Beginn der Messungen. Aktuelle Infos unter meereisportal.de QUELLE: ALFRED WEGENER INSTITUT, UNIVERSITÄT BREMEN 21 FOTOS: S. 18-19: OLIVER BOLCH/ANZENBERGER (GR.), BIGGI ALT; S. 20-21: ROUSE/GETTY IMAGES, MILLETT/NATIONAL SNOW AND ICE DATA CENTER BOULDER, ALAMY, BOSWELL/DDP IMAGES; GRAFIKEN: GONG Der Austfonna auf Spitzbergen ist mit 8000 Quadratkilometern größter Gletscher Europas. Auch hier stürzt Schmelzwasser ins Meer