ZSR 53 (2007), Heft 1, S. 103-122 © Lucius & Lucius, Stuttgart Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen Der Kampf um die Vermögenssteuer Ergebnisse einer Medieninhaltsanalyse zur öffentlichen Deutungspolitik Die Vermögenssteuer galt lange als ein Garant einer hohen Steuergerechtigkeit. Trotzdem ist sie seit 1997 nicht mehr erhoben worden und scheint auch heute keine Chance auf eine Wiedereinführung zu haben. Im Rückblick scheinen dafür vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die später fehlende Mehrheit für eine Reform im Bundesrat verantwortlich zu sein. Gleichwohl basiert die fehlende politische Mehrheitsfähigkeit der Vermögenssteuer auf einer zwischen 1994 und 2003 heftig umkämpften öffentlichen „Deutungspolitik“, die zum „Aus“ der Vermögenssteuer mit beigetragen hat. Der Beitrag rekonstruiert deshalb mit einer Medieninhaltsanalyse der FAZ und der taz diese Debatten als Beispiel für die Art und Weise, wie Verteilungskämpfe in demokratischen Öffentlichkeiten geführt werden. Er legt dar, was genau den Deutungsaspekt dieser Politik zwischen 1994 und 2003 ausmacht und wie seine mögliche Auswirkung auf das letztendliche Scheitern der Vermögenssteuer herausgearbeitet werden kann. Dazu skizziert er zunächst die Hintergründe zur Vermögenssteuer bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995. Dann werden die Methodik der Medieninhaltsanalyse sowie die Ergebnisse der Inhaltsanalyse präsentiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Vermögenssteuer ein ungeliebtes Kind war. In der Öffentlichkeit wurde zwar heftig über sie diskutiert, aber letztlich gab es keine echte Chance auf eine Wiedereinführung. 1. Der Kampf um die Vermögenssteuer Wie 2005 im Rahmen der „großen“ Koalitionsverhandlungen die Reichensteuer, so stand in den 1990er Jahren die Vermögenssteuer im Zentrum heftiger öffentlicher Diskussionen. Gerade die Vermögenssteuer galt lange als Garant einer gerechten Besteuerung. Wie keine andere Steuer verdeutlicht sie, dass größere Vermögen im Dienste des sozialen Ausgleichs in die Pflicht genommen werden. Für den Bürger verbinden sich mit hohem Vermögen zunächst Namen wie Bill Gates (als Dauerspitzenreiter des FORBES-Rankings der reichsten Menschen der Welt) oder in Deutschland der ALDI-Mitgründer Karl Albrecht als Drittplatzierter dieser Liste. Gleichzeitig ist bekannt, dass die Ungleichheit der Vermögensverteilung im Zeitablauf im Vergleich zur Einkommensverteilung zugenommen hat und auch grundsätzlich höher liegt, weil Vermögen sich in gewissem Maße von allein vermehrt, während Einkommen auf begrenzter Arbeitskraft beruht (Geißler 2002: 104-109). Trotzdem ist die Vermögenssteuer seit 1997 nicht mehr erhoben worden und scheint auch heute keine Chance auf eine Wiedereinführung zu haben. Im Rückblick scheinen dafür insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ihrer teilweisen Verfassungswidrigkeit aus dem Jahr 1995 und die später fehlende Mehrheit für eine Reform im Bundesrat verantwortlich zu sein. Gleichwohl scheint zumindest die fehlende parlamentarische Mehrheitsfähigkeit der Vermögenssteuer mit einer 104 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen zwischen 1994 und 2003 heftig umkämpften öffentlichen „Deutungspolitik“ zusammenzuhängen (Gerhards et al. 1998: 115). Uns interessieren im Weiteren deshalb diese Debatten als Beispiel für die Art und Weise, wie Verteilungskämpfe in demokratischen Öffentlichkeiten geführt werden. In politischen Diskussionen engagieren sich Akteure mit dem Ziel, das Publikum von ihren Themen und Meinungen zu überzeugen. Wir werden darlegen, was genau den Deutungsaspekt dieser Politik ausmacht, wie dieser möglichst genau gemessen und seine Flankierung des Scheiterns der Vermögenssteuer herausgearbeitet werden kann. Dazu haben wir eine Inhaltsanalyse der Deutungen durchgeführt, die zwischen 1994 und 2003 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der tageszeitung (taz) vorgebracht worden sind. Diese beiden Zeitungen bieten sich als Repräsentanten der öffentlichen Meinung an, weil sie in ihrer Grundorientierung den „rechten“ und den „linken“ Flügel des Meinungsjournalismus vertreten. Es geht uns in unserer Rekonstruktion nicht um eine eigene Stellungnahme zu dieser Diskussion, sondern nur um die Herausarbeitung der jeweils von den Sprechern subjektiv für richtig gehaltenen Kausalvorstellungen. Deshalb stellen wir die jeweiligen Deutungen kompakt vor, ohne sie normativ zu kommentieren. Wir werden zunächst kurz die Hintergründe zur Vermögenssteuer bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 skizzieren (2). Dann stellen wir die Methodik unserer Medieninhaltsanalyse sowie die typischen Deutungen der massenmedialen Debatte vor (3). Auf dieser Basis präsentieren wir die Ergebnisse der Inhaltsanalyse (4) und diskutieren Schlussfolgerungen zu Deutungen in öffentlichen Verteilungskämpfen und ihren möglichen Folgen in politischen Entscheidungsfindungen (5). 2. Hintergründe und Verlauf der Debatten Anfang der neunziger Jahre legte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob der § 10 Nr. 1 Vermögenssteuergesetz, der für die Besteuerung einheitswertgebundenen und nicht einheitswertgebundenen Vermögens einen einheitlichen Steuersatz festlegt, den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Juni 1995: § 10 Nummer 1 des Vermögensteuergesetzes vom 17. April 1974 (…) ist jedenfalls seit dem Veranlagungszeitraum 1983 in allen seinen seitherigen Fassungen mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes insofern unvereinbar, als er den einheitswertgebundenen Grundbesitz, dessen Bewertung der Wertentwicklung seit 1964/74 nicht mehr angepasst worden ist, und das zu Gegenwartswerten erfasste Vermögen mit demselben Steuersatz belastet (BVerfGE 1995: 2). Das Gericht verpflichtete deshalb den Gesetzgeber, dieser Ungleichheit bis Ende 1996 in einer Neuregelung Rechnung zu tragen. Gleichzeitig formulierte es die Richtlinie, dass Steuern auf das Vermögen aus seinen erwartbaren Erträgen bezahlbar sein müssten („Sollerträge“). Darüber hinaus dürften unter Berücksichtigung aller weiteren Steuern nicht mehr als die Hälfte aus diesen Erträgen an den Fiskus abgeführt werden („Halbteilungsgrundsatz“).1 1 Dazu reichte der Verfassungsrichter Böckenförde ein Sondervotum ein, wonach er dem Senat nicht darin zu folgen vermochte, dass er diese Vorlage zum Anlass nehme, maßstäb- Der Kampf um die Vermögenssteuer 105 Abbildung 1: Aussagen zur Vermögenssteuer pro Jahr 1996 800 700 1999 600 Häufigkeit 500 2002 400 300 1995 200 1997 2003 1998 1994 100 2000 2001 0 Erscheinungsjahr Quelle: eigene Erhebungen Dieses Urteil löste vor dem Hintergrund der evidenten sozialen Ausgleichsfunktion der Vermögenssteuer umfassende öffentliche Diskussionen aus (vgl. Abbildung 1). Aus den folgenden Debatten (einschließlich der zwischenzeitlich immer auch debattierten „Vermögensabgabe“) ragt das Jahr 1996 heraus, in dem alleine 748 Aussagen oder 28 % aller erfassten Artikel gefunden wurden. 1996 befassten sich zunächst Bundestag und Bundesrat mit der Reform. Im Frühjahr 1996 erklärte die Regierungskoalition aus Union und FDP, sie wolle die Vermögenssteuer nicht reformieren, sondern abschaffen. Die parteipolitische Diskussion erreichte im Mai/Juni 1996 ihren Höhepunkt. Die Anzahl der Aussagen ging dann merklich zurück, bevor sie im Oktober wieder stark zunahm, als die SPD sich mit ihrer Bundesratsmehrheit einer Abschaffung der Vermögenssteuer widersetzte. Die Koalition setzte wiederum das Druckmittel ein, dass auch ohne die Zustimmung der SPD-Länder die Vermögenssteuer ab 1.1.1997 nicht mehr erhoben werde, falls keine Reform stattfände. Das mit der Abschaffung der Vermögenssteuer verbundene Jahressteuergesetz 1997 bedurfte der Zustimmung des Bundesrats. Die Koalition verweigerte sich weiterhin einer Reform der Vermögenssteuer, die SPD-Länder ihrerseits einer Abschaffung. Um den Preis einer teilweisen Gegenfinanzierung über die Erbschafts- und Grunderwerbssteuer gaben die Sozialdemokraten schließlich ihre Reformversuche auf, verweigerten jedoch auch weiterhin eine Abschaffung. Die Vermögenssteuer als lich festzulegen, dass eine Vermögenssteuer unter den Bedingungen des gegenwärtigen Steuerrechts von Verfassungswegen nur als Sollertragsteuer verstanden und ausgestaltet werden könne. Darüber hinaus finde die vom Senat vorgenommene Begrenzung der Vermögenssteuer auf eine Besteuerung der (Soll-)Erträge in der Verfassung auch sachlich keine Grundlage. Vielmehr stelle sie einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des Gesetzgebers dar, so Böckenförde. 106 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen solche wurde aus dem Jahressteuergesetz herausgenommen, blieb unreformiert und wurde nicht mehr erhoben. Erneut in die Diskussion geriet die Steuer, als der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt im Juli 1999 die zuvor auch vom DGB-Chef Dieter Schulte aufgestellte Forderung nach einer Vermögensbesteuerung aufgriff. In der Folgezeit erzeugte Klimmt ein medienwirksames Gegeneinander mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Debatte erhielt Mitte Oktober neue Nahrung durch Überlegungen zur Erhebung einer Vermögensabgabe, bis der SPD-Parteitag im Dezember 1999 schließlich die von immer mehr Vertretern der SPD-Linken unterstützte Forderung ablehnte. Im November/Dezember 2001 versuchten schließlich einige Sozialdemokraten und Gewerkschafter erneut, die Debatte auf den Weg zu bringen. Diese versandete allerdings, bevor im September 2002 Heide Simonis (Schleswig-Holstein), Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) und Sigmar Gabriel (Niedersachsen) erfolgreicher waren. Hinzu kam der Streik im öffentlichen Dienst, in dessen Verlauf der Vorsitzende von ver.di, Frank Bsirske, nicht nur eine Refinanzierung der Haushalte über die Vermögenssteuer forderte, sondern auch noch Namen derer nannte, die er damit treffen wollte. Diese Diskussionen erhielten durch die anstehenden Landtagswahlen Verstärkung: Während sich der hessische SPD-Spitzenkandidat Gerhard Bökel mit der Vermögenssteuer gegenüber Amtsinhaber Roland Koch zu profilieren versuchte, zielte Sigmar Gabriel auf Gerhard Schröder. Beendet wurde die Debatte schließlich mit der „Abgeltungssteuer“. Der Steuerpflichtige solle nur noch 25 % der Zinsen an den Fiskus abführen, nicht mehr nach dem individuellen Steuersatz, der bis zu 48,5 % betragen konnte. Parallel dazu verkündete Schröder eine „Rückkehrmöglichkeit für Steuersünder“, wenn diese im Gegenzug eine einmalige Steuer von 25 % des betroffenen Vermögens zu bezahlen bereit wären (taz v. 17.12.2002: 8). In den Monaten Juli bis Oktober 1998 ging es um die insbesondere von der FAZ und der konservativ-liberalen Regierung behauptete Einführung der Vermögenssteuer im Falle eines rot-grünen Wahlsieges. Letzterer trat tatsächlich ein, allerdings ohne Ersteres zu bewirken. Die Sozialdemokraten verwarfen auf ihrem Sonderparteitag im Juni 2003, wie schon drei Jahre zuvor, einen Antrag zur Erhebung der Vermögenssteuer, die Grünen dagegen stimmten halbherzig im November 2003 dafür. 3. Die typischen Deutungen im Zeitablauf Die für die Debatte relevanten Aussagen in den untersuchten Medien FAZ und taz wurden aus den digitalen CD-Rom Archiven beider Zeitungen über die Stichworte „Vermögenssteuer“, „Vermögensteuer“ und „Vermögensabgabe“ ausgewählt. In der FAZ wurden 1923 und der taz 746 verwertbare Aussagen gefunden. Alle Aussagen, die sich mit diesen Stichworten verbanden, wurden berücksichtigt. Die Codierung wurde von Personen vorgenommen, die die Hypothesen der Untersuchung nicht kannten. Die Inter-Coder-Reliabilität wurde als Übereinstimmung der erfolgten Zuordnung zu den vorgesehenen Klassifikationen gemessen. Sie lag durchgängig bei über 90 %. Nicht konsistente Codierungen wurden einer dritten Kraft zur Kontrolle vorgelegt.2 2 Vgl. zum Vorgehen die einschlägige Arbeit von Iyengar (1991). Der Kampf um die Vermögenssteuer 107 Die Aussagen wurden in zwei Schritten codiert: Zunächst wurde die Grundaussage als Contra oder Pro erfasst. Darüber hinaus wurden Grundaussagen als Forderung nach einer Gegenfinanzierung oder Reform der Vermögenssteuer differenziert. In Tabelle 1 wird so ein deutliches Übergewicht an Aussagen, die sich gegen eine Vermögenssteuer aussprechen, erkennbar. Erst im zweiten Schritt wurden die weiterführenden Aussagen in Form von inhaltlichen Begründungen der Grundaussage geordnet, die den uns interessierenden Aspekt der Deutungspolitik ausmachen. Fehlte jegliche Begründung oder Konkretisierung, wurde Contra ohne Begründung oder Pro ohne Begründung codiert. Wurden die Aussagen Gegenfinanzierung oder Reform nicht inhaltlich konkretisiert, wurde als Begründung erneut Gegenfinanzierung bzw. Reform codiert. So forderten die SPD-regierten Bundesländer 1996, „die Abschaffung der Vermögensteuer sei nicht ohne einen weiter als bisher geplant gehenden Ausgleich für die Länder durchzuhalten“ (FAZ v. 3.6.1996: 13). Wurde gegen die Vermögenssteuer argumentiert, gleichzeitig aber die Notwendigkeit einer Gegenfinanzierung betont, codierten wir als Grundaussage Contra und als weiterführende Aussage Gegenfinanzierung. Dadurch wird die Grundaussage inhaltlich spezifiziert: Wer sich etwa gegen die Vermögenssteuer ausspricht, dies aber mit der Notwendigkeit einer Gegenfinanzierung kombiTabelle 1: Häufigkeit der Grundaussagen zur Vermögenssteuer Contra Pro Gegenfinanzierung Reform Objekive Information Sonstige Gesamt Häufigkeit 1146 760 53 84 235 391 2669 Prozent 42,9 28,5 2,0 3,1 8,8 14,6 100,0 Quelle: eigene Erhebungen Tabelle 2: Häufigkeit der weiterführenden Aussageinhalte Contra ohne Begründung Ablehnende Deutungen Contra sonstige Pro ohne Begründung Befürwortende Deutungen Pro sonstige Gegenfinanzierung Reform Informationen Sonstige Aussagen Gesamt Häufigkeit 242 942 60 253 514 35 136 46 130 311 2669 Prozent 9,1 35,3 2,2 9,5 19,2 1,3 5,1 1,7 4,9 11,7 100,0 Quelle: eigene Erhebungen 108 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen niert, vertritt nachvollziehbar andere Positionen zur Vermögenssteuer als ein Sprecher, der die Vermögenssteuer einfach – ohne oder mit weiterführenden Begründungen – ablehnt (vgl. Tabelle 2, Seite 107). 1456 oder 54,5 % aller Aussagen konnten nach vier Kategorien geordnet werden: wirtschaftspolitische, ethisch-sozialpolitische, steuertechnische und steuerrechtliche Deutungen. Bevor wir die Auftritte dieser vier Gruppen genauer darstellen, können die mit ihnen verbundenen Stoßrichtungen umrissen werden. Die vier Kategorien lassen sich auf einer Achse anordnen, an deren Enden interne und externe Zurechnungen der „subjektiv“ jeweils für plausibel gehaltenen Ursachen für die jeweilige Befürwortung oder Ablehnung der Vermögenssteuer liegen. Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen befinden sich auf der Seite der internen Zurechnungen. Diese sind „intern“ insofern, als sie sich als Repräsentant einer imaginären Gemeinschaft von Sprechern darstellen, die über ein gemeinsames, als gerecht und normativ korrekt empfundenes Wollen verfügen. Inwieweit dieser Appell an eine Gemeinschaft den Tatsachen entspricht, ist für unsere Analyse nicht von Interesse. Es geht nur um die Begründungsrichtung, die in die öffentliche Deutungspolitik eingebracht wird. Auf der Seite der externen Faktoren finden sich die steuertechnischen Deutungen. Sie sind „extern“ insofern, als Sprecher mit ihrer Hilfe darlegen, dass die Ursachen für eine Befürwortung oder Ablehnung der Vermögenssteuer gar nicht in einem etwaigen gemeinsamen Wollen einer gerechten Wohlstandsverteilung o. Ä. liege, sondern eben außerhalb der eigenen Beeinflussbarkeit anzusiedeln sei. Auch hier wollen wir nicht im Geringsten entscheiden, inwieweit diese Zurechnungen stichhaltig sind, sondern nur, wer sie in welchem Zeitraum und in welchem Umfang in die öffentlichen Debatten eingebracht hat. Zwischen diesen beiden als Kontinuum zu verstehenden Polen liegen die wirtschaftspolitischen Deutungen, allerdings eher in Richtung interne Zurechnungen, und die steuerrechtlichen, diese jedoch eher auf Seiten der externen Zurechnungen (Abbildung 2). Abbildung 2: Kausale Richtung der befürwortenden und ablehnenden Begründungen Interne Zurechnung Ï Ï Ð ethisch-sozialpolitische Deutungen wirtschaftspolitische Deutungen steuerrechtliche Deutungen Ð Externe Zurechung steuertechnische Deutungen Interne Zurechnungen beziehen sich also kurz gesagt auf ein vorgestelltes, gemeinsames Wollen einer Gemeinschaft der Zuhörer, während die externen Deutungen nicht beeinflussbare Größen hervorheben: (1) Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen (vgl. Abbildung 3/Tabelle 3, gegenüber) verdeutlichen, welcher Umgang mit Reichtum nach Überzeugung der Sprecher gerecht Der Kampf um die Vermögenssteuer 109 sei. Die Deutung Solidarität umfasst alle Äußerungen, die die Notwendigkeit einer Vermögenssteuer aufgrund der unerwünschten Spaltung von Arm und Reich und/ oder wegen der notwendigen Finanzierung der Sozialsysteme betonen. Das gleiche Ziel hat die Aussage, Vermögende seien wenig belastet und könnten mehr zum Gemeinwohl beitragen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Deutungen liegt darin, dass die auf Solidarität bezogenen Aussagen auf beide Seiten der viel beschworenen Schere zwischen Arm und Reich verweisen und für Umverteilungen argumentieren, während die zweite Deutung den Schwerpunkt auf die Möglichkeit steuerlicher Belastungen setzt. Eher eine Frage der Ethik ist der Appell an die Verantwortung der materiell Bessergestellten gegenüber den weniger betuchten Mitbürgern (Eigentum verpflichtet). Wer Reichtum nur als Folge von Herkunft, Erbschaft oder Glück betrachtet, entkleidet den Reichtum seiner positiven Zuschreibungen und desavouiert ihn als eben nicht auf Leistung, Fleiß oder Sparsamkeit, sondern auf für den Einzelnen tatsächlich nicht kontrollierbaren Faktoren wie Geburt oder glückliche Umstände beruhend. Abbildung 3/ Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen (entsprechend ihres Anteils Tabelle 3: in den jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums) 35 gegen Neid 30 Verantwortung 25 Verm. wenig belastet 20 Solidarität 15 Leistung Enteignung 10 Neid 5 Sparer 0 Doppelbesteuerung 4-7 96 10-12 96 7-12 99 10-12 02 ethisch-sozialpolitisch ablehnend gesamt Doppelbesteuerung Sparer Neid Leistung Enteignung ethisch-sozialpol. befürwortend gesamt Solidarität Vermögende wenig belastet Verantwortung Gegen Neid 4-7 96 8,2 3,8 3,2 0,6 0,0 0,6 24,0 11,4 12,0 0,6 0,0 10-12 96 5,1 1,3 1,9 1,9 0,0 0,0 19,3 11,6 7,7 0,0 0,0 7-12 99 6,7 2,1 0,0 3,5 0,4 0,7 24,1 15,5 7,1 1,1 0,4 10-12 02 10,9 1,7 2,3 1,1 5,2 0,6 15,5 6,3 5,2 2,9 1,1 ethisch-sozialpolitisch gesamt 32,2 24,4 30,8 25,4 1994-2003 7,7 1,9 1,7 1,6 1,6 0,9 20,1 12,3 6,7 0,8 0,3 27,8 Quelle: eigene Erhebungen 110 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen Auch die Vermögenssteuergegner bedienen sich ethisch-sozialpolitischer Aussagen. Leistung als Deutung betrachtet die Vermögenssteuer als eine Bestrafung der Leistungsträger, also derjenigen, die durch ihr Verhalten den derzeitigen Wohlstand nach Überzeugung des jeweiligen Sprechers maßgeblich erzeugen. Dass die Vermögenssteuer Sparer bestrafe, dient ebenfalls der Ablehnung einer neuen oder reformierten Vermögenssteuer. Der Hinweis auf die Sparer hält dem Staat Inkonsistenz vor, weil er zugleich die private Altersvorsorge fordere und sie steuerlich wieder in Frage stelle. Grundsätzlich verbinden sich auf Seiten der Befürworter einer Vermögenssteuer meist ethische und sozialpolitische Argumente, während auf Seiten ihrer Gegner eher die Unmöglichkeit ihrer Erhebung angesichts unbeeinflussbarer Widrigkeiten hervorgehoben wird – so auch die Deutung Enteignung, die den staatlichen Zugriff auf private Vermögen eher pauschal und polemisch ablehnt. Gegner der Vermögenssteuer beklagen ferner die von ihr angeblich bewirkte Doppelbesteuerung. Darin liegt allerdings nur eine Frage des Gerechtigkeitsempfindens, bietet diese doch weder ein wirtschaftspolitisch zwingendes Argument noch lässt sie steuertechnische oder -rechtliche Probleme entstehen. Das Verfassungsgericht fordert in seinem Urteil zwar eine allenfalls hälftige Teilung der Gesamterträge unter Berücksichtigung aller zu zahlenden Steuern, widerspricht aber nicht der im Zeitablauf „doppelten“ Besteuerung von Vermögen und Einkommen an sich. Schließlich gibt es noch zwei weitere ethisch motivierte Deutungen, die zu den ablehnenden Argumenten zu zählen sind. Der Vorwurf, die Vermögenssteuer sei dem Neid der weniger Vermögenden geschuldet, impliziert, dass hier aus unlauteren Motiven eine materielle Umverteilung gefordert wird (Neckel 2001). Die ausdrückliche Zurückweisung dieses Vorwurfs erfassten wir mit dem Deutungsmuster gegen Neid. Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen erreichten 27,8 % aller weiterführenden Aussagen. Allerdings liegt der größte Teil der tatsächlich verwendeten ethischen Argumente auf Seiten der Befürworter. Die Dominanz der beiden Deutungen, die Solidarität einfordern und die Vermögenden als wenig belastet betrachten, ist deutlich. Sie allein machen 19 % aller Deutungen und damit auch mehr als zwei Drittel der ethisch-sozialpolitischen aus. In allen Debatten dominieren die Deutungen, die auf mehr Solidarität und eine Umverteilung zielen, wobei diese beiden Deutungen 2002 stark abfallen. In den beiden Debatten, die vor allem innerhalb der SPD geführt wurden, gewinnt dagegen der Hinweis auf die Verantwortung der Reichen hinzu; der Neidvorwurf – 1999 noch des Öfteren erhoben – geht zurück und liegt 2002 auf dem gleichen Niveau wie dessen explizite Ablehnung. (2) Zu den wirtschaftspolitischen Deutungen (vgl. Abbildung 4, Tabelle 4, gegenüber) gehört das Argument, Vermögende tätigten Investitionen und eine Vermögensbesteuerung schade dieser für die Allgemeinheit nützlichen Tätigkeit. In die gleiche Richtung geht die Standort-Deutung: Höhere Steuern benachteiligten die Unternehmer und verhinderten die Ansiedlung finanzkräftiger Investoren aus dem Ausland. Doch nicht nur die Gegner bedienen sich wirtschaftspolitischer Argumente, denn nicht alle ökonomisch argumentierenden Sprecher akzeptieren die Annahme, die Reichen und die Unternehmer brächten die Volkswirtschaft voran. Diese Argumentation wird der Deutung nicht investiv zugeordnet, die behauptet, dass großes Der Kampf um die Vermögenssteuer 111 Abbildung 4/ Die wirtschaftspolitischen Deutungen (entsprechend ihres Anteils in Tabelle 4: den jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums) 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 nicht invest. Konj.'förd. Standort Investitionen 4-7 96 10-12 96 7-12 99 wirtschaftspolitisch befürwortend gesamt Investitionen Standort wirtschaftspolitisch ablehnend gesamt Konjunkturförderung nicht investiv 4-7 96 12,1 8,9 3,2 2,5 0,0 2,5 wirtschaftspolitisch gesamt 14,6 10-12 96 18,7 13,5 5,2 0,0 0,0 0,0 18,7 10-12 02 7-12 99 7,4 4,9 2,5 1,1 0,7 0,4 8,5 10-12 02 14,1 13,2 2,9 1,7 0,6 1,1 15,8 1994-2003 15,3 10,6 4,7 2,0 1,2 0,8 17,3 Quelle: eigene Erhebungen Vermögen kaum in die Belebung der Wirtschaft eingebracht würde. In eine ähnliche Richtung geht die zweite Deutung, die im Sinne von John M. Keynes behauptet, der Staat müsse die Kaufkraft stärken. In Abgrenzung zur Deutung Investitionen nennen wir die nachfrageorientierte Deutung Konjunkturförderung. Abbildung 4 und Tabelle 4 zeigen, dass das Investitionsargument am häufigsten verwendet wurde. Auf niedrigerem Niveau liegen das Standort-Argument und der Hinweis auf die Investitionen. Die wirtschaftspolitischen Deutungsmuster, die eine Vermögenssteuer befürworten, sind nur marginal vertreten. (3) Die Unterscheidung zwischen steuertechnischen und steuerrechtlichen Deutungen bezweckt eine Differenzierung zwischen den Argumenten, die sich auf die fiskalischen und budgetären Interessen des Staates und deren praktische Umsetzbarkeit auf der einen und die rechtlichen Hürden auf der anderen Seite beziehen. Dabei nehmen die steuerrechtlichen Deutungen (vgl. Abbildung 5, Tabelle 5, Seite 112) fast ausschließlich Bezug auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 1995 und behaupten, die Steuer dürfe nicht den Vermögensstamm angreifen (Substanz), nicht gegen den Halbteilungsgrundsatz verstoßen oder sei rundheraus verfassungswidrig. Umgekehrt wurde der Halbteilungsgrundsatz im Sinne des abweichenden Votums von Richter Böckenförde abgelehnt. Insgesamt wurden die steuerrechtlichen Deutungen in 23,1 % aller 1456 Aussagen verwendet. Der bloße und inhaltlich nicht näher er- 112 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen Abbildung 5/ Die steuerrechtlichen Deutungen (entsprechend ihres Anteils in den Tabelle 5: jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums) gegen Halbteilung 35 Ungleichbehandlung 30 Halbteilungsgrundsatz 25 Substanz 20 verfassungswidrig 15 10 5 0 4-7 96 10-12 96 7-12 99 10-12 02 steuerrechtlich ablehnend gesamt Verfassungswidrigkeit Substanz Halbteilungsgrundsatz Ungleichbehandlung steuerrechtlich befürwortend gesamt Gegen Halbteilung 4-7 96 29,1 13,9 7,6 4,4 3,2 0,6 0,6 10-12 96 30,4 18,1 5,8 2,6 3,9 0,0 0,0 7-12 99 21,9 12,7 3,5 3,2 2,5 2,8 2,8 10-12 02 13,8 2,3 5,2 4,0 2,3 0,6 0,6 1994-2003 21,7 8,9 5,1 4,1 3,6 1,4 1,4 steuerrechtlich gesamt 30,5 30,4 24,7 14,4 23,1 Quelle: Eigene Erhebungen läuterte Hinweis auf die angebliche Verfassungswidrigkeit verlor mit zunehmendem Abstand zum Urteil an Bedeutung. Darüber hinaus spielte die ursprünglich vom Verfassungsgericht problematisierte Ungleichbehandlung von Grundbesitz und liquidem Kapital nur eine kleine Rolle. Der Halbteilungsgrundsatz verlor in den weiteren Debatten leicht an Bedeutung, sein explizites Gegenargument fand in der Debatte von 1999 fast ebenso viele Vertreter. (4) Im Gegensatz zu den steuerrechtlichen Deutungen geht es bei den steuertechnischen nicht um gesetzgeberische Handlungsspielräume, sondern um die praktische Umsetzung der Steuer (vgl. Abbildung 6, Tabelle 6, gegenüber). Dabei stehen KostenNutzen-Fragen und politische Handlungsoptionen im Vordergrund. Das Argument Steuerwiderstand betrifft nicht nur Fragen der Investitionen unter internationalen Gesichtspunkten, sondern auch Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerhinterziehung. Bei der Erfassung der Aussagen zur Kapitalflucht wurde die Trennlinie zwischen solchen Aussagen gezogen, die sich allgemein auf den Schaden einer Vermögenssteuer für den Wirtschaftsstandort bezogen, und solchen, die auf die Abwanderung von Kapital abhoben. Ebenfalls steuertechnisch zu verstehen ist die Deutung, die Vermögenssteuer treffe die Falschen und würde nach einer Reform nur mittelständische Ein- Der Kampf um die Vermögenssteuer 113 Abbildung 6/ Die steuertechnischen Deutungen (entsprechend ihres Anteils in den Tabelle 6: jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums) 40 35 geg. Steuerwiderst. 30 Öffentl. Haushalt 25 Steuervereinfachung 20 Keine Mehrheit 15 trifft die Falschen Steuerwiderstand 10 Erhebung 5 0 4-7 96 10-12 96 7-12 99 steuertechnisch ablehnend gesamt Erhebung Steuerwiderstand Trifft die Falschen Keine Mehrheit Steuervereinfachung steuertechnisch befürwortend gesamt Öffentlicher Haushalt Gegen Steuerwiderstand 4-7 96 13,3 5,7 3,2 1,9 0,0 2,5 8,2 8,2 0,0 steuertechnisch gesamt 21,5 10-12 02 10-12 96 8,9 5,2 0,6 1,9 0,6 0,6 11,0 11,0 0,0 19,9 7-12 99 19,4 5,3 4,9 2,1 6,7 0,4 6,4 6,4 0,0 10-12 02 14,9 5,7 2,9 4,0 2,3 0,0 18,9 17,2 1,7 25,8 33,8 1994-2003 15,4 5,1 3,9 2,5 2,4 1,5 11,1 10,9 0,2 26,5 Quelle: eigene Erhebungen kommen belasten. Steuertechnisch begründet ist auch das Argument, die Erhebung der Vermögenssteuer sei zu aufwändig und stünde einer Steuervereinfachung im Weg. Schließlich behauptet die Deutung Keine Mehrheit, dass sich die Steuer aufgrund fehlender Mehrheiten nicht wieder einführen lasse. Auf Seiten der Befürworter ist die Deutung „gegen Steuerwiderstand“ von Bedeutung, die den Zusammenhang zwischen höheren Steuern und zunehmender Unterschlagung von steuerpflichtigem Kapital bestreitet. Auf den öffentlichen Haushalt verweist, wer staatliche Aufgaben wie etwa die Bildung über die Vermögenssteuer refinanzieren will. Insgesamt liegt der Anteil an steuertechnischen Deutungen bei fast einem Drittel. Wie Abbildung 6 und Tabelle 6 zeigen, verweist mehr als jede zehnte Aussage auf die leeren Kassen. 2002 verwies gar fast jede fünfte Deutung auf die Knappheit der Mittel in den öffentlichen Haushalten. Im Zeitablauf nahm die Bedeutung der steuerrechtlichen Deutungen ab, während die der steuertechnischen immer größer wurde. Dominierten 1996 die steuerrechtlichen Deutungen gegenüber den steuertechnischen, so kehrte sich dieses Ver- 114 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen hältnis schon 1999 um. 2002 dominierten die steuertechnischen Deutungen (33,8 %) sogar erstmals gegenüber den ethisch-sozialpolitischen, welche in allen Debatten eine substanzielle Rolle spielten (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7: Die Kategorien in Prozent 100% 90% 21,5 80% 19,9 25,8 33,8 70% 60% 30,5 steuertechn. 30,4 24,7 50% 14,4 40% 30% 32,2 26,4 24,4 14,6 18,7 4-7 1996 10-12 1996 8,5 steuerrechtl. ethisch-soz. wirtschaftl. 30,8 20% 10% sonstige 17,8 0% 7-12 1999 10-12 2002 Quelle: eigene Erhebungen Insgesamt standen sich im gesamten Zeitraum die Pro- und Contra-Lager als Blöcke scheinbar mehr oder minder ausgeglichen gegenüber. Innerhalb der ethischsozialpolitischen Deutungen dominierten die befürwortenden Argumente, bei den wirtschaftspolitischen und steuerrechtlichen Deutungen überwogen die ablehnenden. Während die erste Welle 1996 noch klar im Zeichen der Hürden stand, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hatte, überwogen im Weiteren immer mehr die steuertechnischen Deutungen. Die ethisch-sozialpolitisch befürwortenden Deutungen gingen deutlich zurück, während die wirtschaftspolitisch ablehnenden Argumente fast ebenso große Bedeutung erlangten. Diese Zunahme der wirtschaftspolitischen und steuertechnischen Deutungshoheit zeigt die Kraft jener, die schließlich ihr Ziel mit der Aussetzung der Vermögenssteuer erreicht haben. 4. Die Sprecher und ihre Argumente in FAZ und taz Nachdem wir die Verteilung der Deutungsmuster beschrieben haben, gilt angesichts des Scheiterns der Vermögenssteuer unser weiteres Interesse den argumentativen Verschiebungen der Deutungspolitik, die im Zeitablauf zwischen den beiden Zeitungen, den beteiligten Sprechern und ihrer jeweiligen Nähe zum politischen Zentrum zu erkennen waren. In diesem Sinne haben wir folgende Hypothesen formuliert und geprüft: 1) Die Medien lassen im Sinne der „Medienbiashypothese“ verstärkt Sprecher zu Wort kommen, die der Redaktionslinie entsprechen. 2) Die Ablehnung bzw. Befürwortung der Vermögenssteuer orientiert sich an den traditionellen politischen Konfliktlinien zwischen Links und Rechts. Der Kampf um die Vermögenssteuer 115 3) Je näher allerdings die Sprecher den zentralen Entscheidungsinstanzen stehen, desto mehr nehmen auch Grüne und Sozialdemokraten, insbesondere nach der Regierungsübernahme, Bezug auf externe, scheinbar unbeeinflussbare Faktoren, etwa Umsetzungsschwierigkeiten. Die Befürworter verwenden demgegenüber weiterhin eher Deutungen, die Bezug nehmen auf ein geglaubtes gemeinsames Wollen einer Gemeinschaft der Sprecher. Hierzu gehören insbesondere ethisch-sozialpolitische Gerechtigkeitsvorstellungen. Zu 1) Die in der Forschung gut etablierte Medienbiashypothese sieht neben dem Input an Informationen und den Nachrichtenfaktoren die ideologische Ausrichtung der Medien als einen dritten Faktor, welcher die Selektivität der Medien bestimmt (Gerhards 1998: 42). Der Umfang einer Nachricht ist nicht allein abhängig von der Intensität der Nachrichtenfaktoren, sondern auch davon, welche Intensität der Journalist einer Nachricht bewusst zuschreibt. Die FAZ folgte seit ihrer Entstehung aus dem Erbe der Frankfurter Zeitung im Jahre 1949 einer konservativ-liberalen Grundhaltung. Dazu gehört die Präferenz für eine konsequente Angebotspolitik, einen Staat als „Nachtwächter“ und die Idee der Leistungsgerechtigkeit. Die taz dagegen wusste zwar die Struktur und das Niveau der FAZ zu schätzen, verstand sich aber als Zeitung, die auf ähnlichem Niveau wie das große bürgerliche Vorbild alternative, bis dahin in den Massenmedien ignorierte Inhalte und Perspektiven präsentieren sollte (Flieger 1992: 194). Das Selbstverständnis der FAZ ist auf Unternehmer und gut verdienende Angestellte ausgerichtet. So reagierte die FAZ nach der Bundestagswahl 1998 auf den Regierungswechsel, indem sie Unternehmer, Arbeitgebervertreter, Wissenschaftler und konservative Steuerexperten in speziellen Artikeln und Gastbeiträgen gegen die Vermögenssteuer argumentieren ließ. In dieser Zeit sammelte die FAZ 26 Aussagen gegen und vier für die Steuer. Die taz zitierte im gleichen Monat nur zwei befürwortende Aussagen. Darüber hinaus nehmen die Journalisten als Kommentatoren auch direkt an den Debatten teil. 17,7 % der Aussagen in der FAZ sind Aussagen eigener Journalisten, in der taz sind es 21,8 %. Dazu gehören allerdings nicht nur Aussagen in Kommentaren, sondern auch ergänzende Informationen in anderen Artikeln. Der Anteil von Aussagen in Kommentaren liegt bei 10,4 % bzw. 11,2 %. Dabei handelt es sich aber nicht nur um Aussagen von Journalisten, sondern auch um Zitate anderer Sprecher innerhalb der Kommentare. Journalisten-Aussagen in Kommentaren haben in der FAZ nur einen Anteil von 6,1 %, in der taz nur von 2,3 % an den insgesamt 2669 Aussagen. Innerhalb der Kommentare selbst haben die Journalisten-Aussagen einen Anteil von 81,5 % bzw. 73,5 %. Einschließlich der Journalisten-Aussagen stammt etwa jede fünfte Aussage aus dem eigenen Hause (vgl. Tabelle 7, Seite 116). Die Präferenzen sind deutlich erkennbar. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass beide Zeitungen viele Sach- und sonstige Informationen übermitteln. Der Anteil an beiden Aussagen zusammen ist in der taz (75,3 %) höher als in der FAZ (53,2 %). Die taz hat einen sehr hohen Anteil von Journalisten-Statements in den Berichten: 40,7 % der Journalisten-Aussagen der taz werden in Berichten gemacht; das sind mehr als in Kommentaren (37,7 %). Demgegenüber sind in der FAZ nur 25 % aller Journalisten-Aussagen in Berichten zu finden, 47,9 % dagegen, wie zu erwarten, in Kommentaren. Der Grund für die zahlreichen Statements von taz-Journalisten au- 116 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen ßerhalb der eigentlich für journalistische Meinungsäußerungen reservierten Artikel (Kommentare, Essays etc.) liegt darin, dass die taz auch in Berichten einen essayistischeren Stil pflegt. Die FAZ dagegen bedient sich eines formalen Stils, der eigene Aussagen weitgehend vermeidet. Tabelle 8 zeigt, dass sich auch die FAZ der Dominanz der SPD in den Debatten nicht entziehen konnte. Allerdings ist der Anteil der SPD-Sprecher und vor allem auch der Grünen in der taz nochmals höher, so dass die Medienbiashypothese in dieser Hinsicht Bestätigung findet. Der hohe Anteil grüner Politiker in der taz verdeutlicht, dass hier Übereinstimmungen bestehen. In der FAZ ist wiederum unübersehbar, dass sie dem konservativ-liberalen Spektrum mehr Raum gibt. Beide Zeitungen verschaffen ihrer Redaktionslinie also durch eigene Statements Geltung, aber auch dadurch, dass sie solche Sprecher zitieren, die der Redaktionslinie entsprechen. In noch stärkerem Ausmaß als bei der taz ist dies bei der FAZ der Fall, die über Kommentare, Essays, Leserbriefe, die „Presseschau“ mit Zitaten aus anderen Medien und Gastbeiträgen nachhaltig Meinungen im Sinne der Redaktionslinie proteTabelle 7: FAZ (N = 340) taz (N = 162) Aussagen der FAZ- und taz-Journalisten (in Prozent) Ablehnung 45,6 4,9 Pro Information Sonstige 0,0 Gegenfinanzierung/ Refinanzierung 0,6 27,1 26,8 19,8 0,0 40,1 35,2 Quelle: eigene Erhebungen Tabelle 8: Union SPD FDP Grüne PDS Verteilung der Aussagen nach Parteien (in Prozent) FAZ Taz 28,9 49,7 9,4 8,4 3,6 100,0 (N = 925) 14,0 60,7 3,1 18,4 3,8 100,0 % (N = 392) Gesamt 24,5 53,0 7,5 11,4 3,6 100,0 (N = 1317) Quelle: eigene Erhebungen Tabelle 9: Grüne FDP Union SPD PDS Positionen der Parteien (Aussagen insgesamt) Ablehnung 29,5 91,9 79,6 23,6 0,0 Befürwortung 53,7 3,0 1,5 59,2 97,9 Sonstige ( %) 16,8 5,0 18,8 17,2 2,1 Quelle: eigene Erhebungen Der Kampf um die Vermögenssteuer 117 giert. Bei der taz finden sich dagegen sowohl in der eigenen Redaktion einige und in der Presseschau sogar überwiegend von der „Generallinie“ abweichende Meinungen. Zu 2) Bezüglich der klassischen Konfliktlinien zeigt Tabelle 9 (gegenüber) eine eindeutige Präferenz der Mitte und der Rechten gegen die Vermögenssteuer. Die Haltung der im linken Spektrum zu verortenden Parteien dagegen tendiert pro Vermögenssteuer. Allerdings positioniert sich hier nur die PDS so klar wie umgekehrt die Mitte und die Rechte. SPD und Grüne sind weniger überzeugt von der Vermögenssteuer, als CDU und FDP sich in ihrer Ablehnung sicher sind. Die Grünen sind dabei gegenüber der SPD weniger eindeutige Befürworter. Werden die Aussagen jedoch im Zeitablauf und unter dem Aspekt betrachtet, welche Parteien die Bundesregierung stellen, ergibt sich eine bemerkenswerte Verteilung (vgl. Tabelle 10). Während die Verteilungen für die Union und FDP konstant bleiben, fällt der Anteil der Befürwortungen bei der SPD ab dem ersten Jahr nach der Regierungsübernahme auf Bundesebene um 23,3 %. Die ablehnenden Aussagen steigen gleichzeitig um 27,8 %. Bei den Grünen nimmt der Anteil der befürwortenden Aussagen gar um 31,9 % ab, die ablehnenden Statements steigen um 27,1 %. Darüber hinaus findet sich im Wahljahr 1998 keine einzige Aussage eines Sozialdemokraten, die die Vermögenssteuer verwirft. Umso interessanter ist die Beobachtung, dass 1999 SPD-Sprecher die Vermögenssteuer fast ebenso häufig ablehnen (41,3 %) wie sie sie befürworten (43,3 %). Dieser Wandel ist weniger auf den Austausch von Sprechern als auf tatsächlichen Meinungswandel zurückzuführen. Prominente Beispiele für die gekippte Stimmung in der SPD nach der Regierungsübernahme liefern • Hans Eichel, der als hessischer Ministerpräsident drei Mal befürwortend, ab 1999 als Bundesfinanzminister jedoch 24 Mal ablehnend zitiert wird; • Wolfgang Clement, der bis 2002 als NRW-Ministerpräsident sieben Pro-, ab 2002 als Bundeswirtschaftsministers drei Contra-Zitate erreicht; • Gerhard Schröder, der von 1996 bis 1999 als niedersächsischer Ministerpräsident fünf Mal befürwortend zitiert wird, allerdings auch schon 1996 zwei Mal ablehnend. Ab 1999 finden sich 54 ablehnende Aussagen, wobei diese Häufigkeit durch die Wiederholung einzelner Zitate entsteht. Dennoch kann nicht übersehen werden, wie er von einer zunächst zögerlichen, als SPD-Kanzlerkandidat Tabelle 10: Contra und Pro Vermögenssteuer (in %, fehlende Werte = Sonstige) Partei des Sprechers CDU/CSU FDP SPD Grüne PDS Aussage Contra Pro Contra Pro Contra Pro Contra Pro Contra Pro 1994-1998 78,1 2,1 92,1 2,6 7,1 73,1 14,1 71,9 0 100 1999-2003 83,5 0,0 91,3 4,3 34,9 49,8 41,2 40,0 0 96,6 Gesamt 79,6 1,5 91,9 3,0 23,6 59,2 29,5 53,7 0 97,9 Quelle: eigene Erhebungen 118 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen auch die traditionellen Interessen bedienenden Haltung zu einem klaren Nein als Bundeskanzler kommt. Bei den Grünen kippt die Stimmung auf einem anderen Niveau: Schon im Wahljahr sind 26,3 % aller grünen Aussagen der ablehnenden Seite zuzuordnen. 1999 sind es gar 79,4 %. Insgesamt vertreten die Grünen als Regierungspartei eine knapp ablehnende Position. Signifikant ist demnach der zunehmende Verzicht der linken Parteien auf die Steuer mit der Übernahme der Regierungsverantwortung. SPD-Regierungsmitglieder wurden insgesamt 90 Mal ablehnend zitiert. Der damit entstandene Konflikt zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und der Parteibasis löste heftige Diskussionen aus. Hatte die SPD zwischen 1994 und 1998 noch einen Anteil von 41,6 % an allen Aussagen der parteipolitischen Sprecher, so stieg er in den folgenden fünf Jahren auf 65,2 %. Die interne Differenzierung der Lager wurde zunehmend zum Integrationsproblem (Fuchs 1991: 83). Zu 3) Wir möchten diese Verschiebung der Deutungspolitik nun genauer auf ihre Lokalisierung zwischen politischem Zentrum und Peripherie untersuchen. Auf der Achse Zentrum – Peripherie stehen sich strategische Überlegungen und normative Forderungen einerseits, politische Regelungsfragen und Ideen andererseits gegenüber (Gerhards u.a. 1998: 108). Normative Ideen finden sich am ehesten bei den ethisch-sozialpolitischen Deutungen, strategische Überlegungen am stärksten auf Seiten der steuertechnischen Argumentation (vgl. Abbildung 2, Seite 108). Die ökonomischen Argumente nehmen Bezug sowohl auf Ideen und normative Forderungen als auch auf aus den Ideen abgeleitete strategische Überlegungen bzw. Verweise auf angenommene externe Effekte. Vertreter der Exekutive konzentrieren sich zu 36,2 % auf steuertechnische und nur zu 15,4 % auf ethisch-sozialpolitische Argumente (Abbildung 8); dagegen bezieAbbildung 8: Politische Sprecher und Deutungen I (prozentualer Anteil in den vier Kategorien, fehlende Prozent = sonstige) 70 58,2 60 Exekutive Legislative 50 Parteien 40 36,2 30,3 30 20 23,6 15,4 21,7 31,6 21,0 19,0 14,1 13,6 7,4 10 0 sozial wirtschaftlich rechtlich technisch Quelle: eigene Erhebungen Der Kampf um die Vermögenssteuer 119 hen sich die Sprecher der Parteien zu 58,2 % auf ethisch-sozialpolitische Fragen und nur zu 21 % auf steuertechnische. Im politischen Zentrum spielen die ethisch-sozialpolitischen Deutungen eine weniger wichtige und die steuerrechtlichen und -technischen eine wichtigere Rolle. Allerdings sind auch die wirtschaftspolitischen Argumente im Zentrum am stärksten und in den Parteien außerhalb des politischen Zentrums am schwächsten vertreten. Betrachtet man die Sprecher für sich, ist der Zusammenhang nicht ganz linear (Abbildung 9). So sind innerhalb der Exekutive die wirtschaftspolitischen Deutungen etwas stärker vertreten als die steuerrechtlichen. Dies dürfte daran liegen, dass die Exekutive als verantwortlich gilt für die wirtschaftliche Lage. In den Parteien sind wiederum die steuertechnischen Deutungen stärker vertreten als die wirtschaftspolitischen und steuerrechtlichen. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Linie der Regierungsverantwortlichen durchaus auch von exponierten Sprechern aus den Parteien verteidigt wird, etwa den Vorsitzenden der regierungsverantwortlichen Parteien oder deren Generalsekretäre bzw. Bundesgeschäftsführer. Abbildung 9: Politische Sprecher und Deutungen II (prozentualer Anteil, fehlende Prozente = sonstige) 70 sozial wirtschaftlich rechtlich technisch 58,9 60 50 36,2 40 15,9 31,6 30,8 22,9 30 21,7 20 21,0 13,6 19,0 11,7 7,4 10 0 Exekutive Legislative Parteien Quelle: eigene Erhebungen Grundsätzlich bleibt aber der Zusammenhang insbesondere zwischen den ethischsozialpolitischen und den steuertechnischen Deutungen klar erkennbar. Die Legislative liegt mit ihren Aussagen zwischen den beiden anderen Sprecherkategorien. Sie benutzt ethisch-sozialpolitische Argumente fast ebenso häufig (30,8 %) wie steuertechnische (31,6 %). Die Legislative ist einerseits näher an den Entscheidungsgremien als die Parteienvertreter, andererseits aber nicht mehr so stark wie einst an die Lobbyarbeit der Verbände und Interessenvertreter gebunden (Alemann 2000: 4). Die Exekutive ist der Einflussnahme verschiedener Interessenverbände am stärksten ausgesetzt und auf die Legislative angewiesen, deren Akteure wiederum zum einen in den Ausschüssen eng mit Interessengruppen zusammenarbeiten, zum anderen aber auch auf die Interessen ihrer Basis achten müssen. Die Parteien sind dagegen inso- 120 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen fern weniger wechselnden Interessen ausgesetzt, als sie eine enger umrissene Klientel bedienen müssen. Abbildung 10: Die parteipolitischen Sprecher und ihre ablehnenden Aussagen (prozentuales Verhältnis innerhalb der Sprecherkategorien) 40 37,9 34,4 35 33,1 Exekutive 30 Legislative 25 Parteien 36,4 31,3 28,6 25,8 23,2 22,7 20 13,6 15 9,1 10 5 3,9 0 eth.-soz. wirtschaftl. st.rechtl. st.techn. Quelle: eigene Erhebungen Abbildung 11: Die parteipolitischen Sprecher und ihre befürwortenden Aussagen (prozentuales Verhältnis innerhalb der Sprecherkategorien) 90 77,4 80 70 Exekutive Legislative 61,0 Parteien 60 60,8 50 40 37,8 28,6 30 18,5 20 10 1,4 3,9 3,4 0 eth.-soz. wirtschaftl. 6,5 0 0,7 st.rechtl. st.techn. Quelle: eigene Erhebungen Der Kampf um die Vermögenssteuer 121 Die Verteilung der Deutungen auf die parteipolitischen Sprecher verdeutlicht, dass auch auf Seiten der ablehnenden Aussagen diese Sprecher am wenigsten steuertechnische und steuerrechtliche Deutungen verwenden: Die ethisch-sozialpolitisch ablehnenden Deutungen werden von der Exekutive am seltensten und von den Parteien am häufigsten benutzt. Die steuerrechtlichen Deutungen verlaufen umgekehrt (Abbildung 10, gegenüber). Andere lineare Zusammenhänge sind bei der Legislative erkennbar, die verstärkt auf externe Argumente und kaum auf ethisch-sozialpolitische Zusammenhänge verweist. Die Dominanz der ethisch-sozialpolitischen Deutungen ist bei den befürwortenden Stellungnahmen sehr deutlich. Durchschnittlich liegt sie bei 58,7 %, bei den Sprechern aus den Parteien gar bei 77,4 % (Abbildung 11, gegenüber). Der in der Abbildung 11 erkennbare hohe Anteil steuertechnisch befürwortender Aussagen innerhalb der Exekutive resultiert aus der Wichtigkeit des öffentlichen Haushalts für die Länderregierungen. Jene, die diesen verwalten, benutzen sie am häufigsten. Dadurch bestätigt sich auch bei den befürwortenden Deutungen, dass die Exekutive sich am häufigsten externer Zurechnungen bedient (60,8 %) – der externe Faktor ist hier die unabweisbare Notwendigkeit der Haushaltsfinanzierung –, die Legislative denen aber seltener folgt (28,5 %) und die Parteien noch seltener (18,5 %). Grundsätzlich verweisen die Sprecher der Exekutive verstärkt auf externe Faktoren, die Sprecher der Peripherie dagegen häufiger auf interne Zurechnungen. Die öffentliche Deutungspolitik wird – je näher man an das politische Zentrum rückt – immer konservativer, so dass Chancen für Gestaltungen auf der Basis eines vorgestellten gemeinsamen Wollens sinken. Die Differenzierung des politischen Systems scheint also wichtiger zu sein als die in der Öffentlichkeit immer wieder hervorgehobene Spaltung in „Links“ und „Rechts“. 5. Schlussfolgerungen: Die Vermögenssteuer – das ungeliebte Kind Die Vermögenssteuer war, so zeigen unsere Daten, ein ungeliebtes Kind. In der Öffentlichkeit wurde zwar heftig über sie diskutiert. Aber sie hatte trotz des intensiven politischen Kampfes letztlich keine echte Chance auf eine Wiedereinführung, weil die Deutungen, die wir als externe Deutungen bezeichnet haben, zu zahlreich, attraktiv und letztlich mit steigender Nähe zum politischen Entscheidungszentrum auch dominant waren. So betrachtet erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass im Zeitverlauf der Kampf um die Lufthoheit in der Deutungspolitik sogar eher das letztendliche „Aus“ der Vermögenssteuer mit vorbereitet hat, denn die Öffentlichkeit wurde Schritt für Schritt für das Scheitern präpariert. Wer in den Jahren zwischen 1994 und 2003 genau zugehört hat, welcher Sprecher wann welche kausale Zurechnung als Begründung seiner Befürwortung oder Ablehnung der Vermögenssteuer ausdrückt, hat das nahende Ende der Vermögensbesteuerung eigentlich nicht übersehen können. Je näher der Sprecher am politischen Zentrum lokalisiert gewesen ist, desto externer und damit auch ablehnender haben sich die Argumente gestaltet. Wer sich demgegenüber – wie die meisten Befürworter – auf das gemeinsame Wollen einer „gerechten“ Verteilung von Lasten berufen hat, konnte zwar durchaus Aufmerksamkeit in den Medien fin- 122 Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen den. Aber eine Eroberung der tatsächlichen politischen Entscheidungsmacht war für dieses Lager in immer größere Ferne gerückt. Folglich konnte die SPD nach der Machtübernahme die Vermögenssteuer vergleichsweise leicht aufgeben. Sie machte dafür externe Zwänge verantwortlich und schob die Verantwortung mit dem Hinweis auf eine fehlende Mehrheit im Bundesrat auf die konservativ-liberale Opposition ab. Auch die sozialdemokratische Klientel fand sich mit dieser rhetorischen Wendung ab. Literaturverzeichnis Alemann, Ulrich von (2000): „Vom Korporatismus zum Lobbyismus? Die Zukunft der Verbände zwischen Europäisierung und Berlinisierung“, Aus Politik und Zeitgeschichte B2627: 3-6. Bundesverfassungsgericht (1995): Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, Karlsruhe. Flieger, Wolfgang (1992): Die TAZ. Vom Alternativblatt zur linken Tageszeitung. Berlin: Ölschläger. Fuchs, Dieter (1991): „Zum Wandel politischer Konfliktlinien: Ideologische Gruppierungen und Wahlverhalten“, in: Werner Süß (Hg.): Die Bundesrepublik in den achtziger Jahren. Opladen: Leske+Budrich, 69-86. Geißler, Rainer (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Gerhards, Jürgen (1998): „Öffentlichkeit“, in: Otfried Jarren; Ulrich Sarcinelli; Ulrich Saxer (Hg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, 267-274. Gerhards, Jürgen; Neidhardt, Friedhelm; Rucht, Dieter (1998): Zwischen Palaver und Diskurs. Strukturen öffentlicher Meinungsbildung am Beispiel der deutschen Diskussion zur Abtreibung. Opladen: Westdeutscher Verlag. Iyengar, Shanto (1991): Is anyone responsible? How television frames political issues. Chicago: University of Chicago Press. Neckel, Sighard (2001): „Deutschlands gelbe Galle. Eine kleine Wissenssoziologie des teutonischen Neides“, in: Karl Markus Michel; Ingrid Karsunke; Tilman Spengler (Hrsg.): Die Neidgesellschaft. Kursbuch 143. Berlin: Rowohlt, 2-10. Korrespondenz: E-Mail: PD Dr. Gerd Nollmann Universität Duisburg-Essen Institut für Soziologie Lotharstraße 65 47057 Duisburg [email protected] Roelf Bleeker-Dohmen Universität Duisburg-Essen Institut für Soziologie Lotharstraße 65 47057 Duisburg