Der Kampf um die Vermögenssteuer

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ZSR 53 (2007), Heft 1, S. 103-122
© Lucius & Lucius, Stuttgart
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
Der Kampf um die Vermögenssteuer
Ergebnisse einer Medieninhaltsanalyse zur öffentlichen Deutungspolitik
Die Vermögenssteuer galt lange als ein Garant einer hohen Steuergerechtigkeit. Trotzdem ist sie seit
1997 nicht mehr erhoben worden und scheint auch heute keine Chance auf eine Wiedereinführung
zu haben. Im Rückblick scheinen dafür vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die
später fehlende Mehrheit für eine Reform im Bundesrat verantwortlich zu sein. Gleichwohl basiert
die fehlende politische Mehrheitsfähigkeit der Vermögenssteuer auf einer zwischen 1994 und 2003
heftig umkämpften öffentlichen „Deutungspolitik“, die zum „Aus“ der Vermögenssteuer mit beigetragen hat. Der Beitrag rekonstruiert deshalb mit einer Medieninhaltsanalyse der FAZ und der taz
diese Debatten als Beispiel für die Art und Weise, wie Verteilungskämpfe in demokratischen
Öffentlichkeiten geführt werden. Er legt dar, was genau den Deutungsaspekt dieser Politik zwischen
1994 und 2003 ausmacht und wie seine mögliche Auswirkung auf das letztendliche Scheitern der
Vermögenssteuer herausgearbeitet werden kann. Dazu skizziert er zunächst die Hintergründe zur
Vermögenssteuer bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995. Dann werden die Methodik
der Medieninhaltsanalyse sowie die Ergebnisse der Inhaltsanalyse präsentiert. Im Ergebnis zeigt
sich, dass die Vermögenssteuer ein ungeliebtes Kind war. In der Öffentlichkeit wurde zwar heftig
über sie diskutiert, aber letztlich gab es keine echte Chance auf eine Wiedereinführung.
1.
Der Kampf um die Vermögenssteuer
Wie 2005 im Rahmen der „großen“ Koalitionsverhandlungen die Reichensteuer, so
stand in den 1990er Jahren die Vermögenssteuer im Zentrum heftiger öffentlicher
Diskussionen. Gerade die Vermögenssteuer galt lange als Garant einer gerechten
Besteuerung. Wie keine andere Steuer verdeutlicht sie, dass größere Vermögen im
Dienste des sozialen Ausgleichs in die Pflicht genommen werden. Für den Bürger
verbinden sich mit hohem Vermögen zunächst Namen wie Bill Gates (als Dauerspitzenreiter des FORBES-Rankings der reichsten Menschen der Welt) oder in
Deutschland der ALDI-Mitgründer Karl Albrecht als Drittplatzierter dieser Liste.
Gleichzeitig ist bekannt, dass die Ungleichheit der Vermögensverteilung im Zeitablauf im Vergleich zur Einkommensverteilung zugenommen hat und auch grundsätzlich höher liegt, weil Vermögen sich in gewissem Maße von allein vermehrt, während
Einkommen auf begrenzter Arbeitskraft beruht (Geißler 2002: 104-109).
Trotzdem ist die Vermögenssteuer seit 1997 nicht mehr erhoben worden und
scheint auch heute keine Chance auf eine Wiedereinführung zu haben. Im Rückblick
scheinen dafür insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ihrer teilweisen Verfassungswidrigkeit aus dem Jahr 1995 und die später fehlende Mehrheit
für eine Reform im Bundesrat verantwortlich zu sein. Gleichwohl scheint zumindest
die fehlende parlamentarische Mehrheitsfähigkeit der Vermögenssteuer mit einer
104
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
zwischen 1994 und 2003 heftig umkämpften öffentlichen „Deutungspolitik“ zusammenzuhängen (Gerhards et al. 1998: 115).
Uns interessieren im Weiteren deshalb diese Debatten als Beispiel für die Art und
Weise, wie Verteilungskämpfe in demokratischen Öffentlichkeiten geführt werden. In
politischen Diskussionen engagieren sich Akteure mit dem Ziel, das Publikum von ihren
Themen und Meinungen zu überzeugen. Wir werden darlegen, was genau den Deutungsaspekt dieser Politik ausmacht, wie dieser möglichst genau gemessen und seine
Flankierung des Scheiterns der Vermögenssteuer herausgearbeitet werden kann. Dazu
haben wir eine Inhaltsanalyse der Deutungen durchgeführt, die zwischen 1994 und 2003
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der tageszeitung (taz) vorgebracht worden
sind. Diese beiden Zeitungen bieten sich als Repräsentanten der öffentlichen Meinung an,
weil sie in ihrer Grundorientierung den „rechten“ und den „linken“ Flügel des Meinungsjournalismus vertreten. Es geht uns in unserer Rekonstruktion nicht um eine eigene
Stellungnahme zu dieser Diskussion, sondern nur um die Herausarbeitung der jeweils
von den Sprechern subjektiv für richtig gehaltenen Kausalvorstellungen. Deshalb stellen wir die jeweiligen Deutungen kompakt vor, ohne sie normativ zu kommentieren.
Wir werden zunächst kurz die Hintergründe zur Vermögenssteuer bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 skizzieren (2). Dann stellen wir die Methodik
unserer Medieninhaltsanalyse sowie die typischen Deutungen der massenmedialen
Debatte vor (3). Auf dieser Basis präsentieren wir die Ergebnisse der Inhaltsanalyse
(4) und diskutieren Schlussfolgerungen zu Deutungen in öffentlichen Verteilungskämpfen und ihren möglichen Folgen in politischen Entscheidungsfindungen (5).
2.
Hintergründe und Verlauf der Debatten
Anfang der neunziger Jahre legte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob der § 10 Nr. 1 Vermögenssteuergesetz, der für die
Besteuerung einheitswertgebundenen und nicht einheitswertgebundenen Vermögens
einen einheitlichen Steuersatz festlegt, den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1
GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Juni 1995:
§ 10 Nummer 1 des Vermögensteuergesetzes vom 17. April 1974 (…) ist jedenfalls seit dem Veranlagungszeitraum 1983 in allen seinen seitherigen Fassungen
mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes insofern unvereinbar, als er den einheitswertgebundenen Grundbesitz, dessen Bewertung der Wertentwicklung seit
1964/74 nicht mehr angepasst worden ist, und das zu Gegenwartswerten erfasste Vermögen mit demselben Steuersatz belastet (BVerfGE 1995: 2).
Das Gericht verpflichtete deshalb den Gesetzgeber, dieser Ungleichheit bis Ende
1996 in einer Neuregelung Rechnung zu tragen. Gleichzeitig formulierte es die Richtlinie, dass Steuern auf das Vermögen aus seinen erwartbaren Erträgen bezahlbar sein
müssten („Sollerträge“). Darüber hinaus dürften unter Berücksichtigung aller weiteren Steuern nicht mehr als die Hälfte aus diesen Erträgen an den Fiskus abgeführt
werden („Halbteilungsgrundsatz“).1
1
Dazu reichte der Verfassungsrichter Böckenförde ein Sondervotum ein, wonach er dem
Senat nicht darin zu folgen vermochte, dass er diese Vorlage zum Anlass nehme, maßstäb-
Der Kampf um die Vermögenssteuer
105
Abbildung 1: Aussagen zur Vermögenssteuer pro Jahr
1996
800
700
1999
600
Häufigkeit
500
2002
400
300
1995
200
1997
2003
1998
1994
100
2000
2001
0
Erscheinungsjahr
Quelle: eigene Erhebungen
Dieses Urteil löste vor dem Hintergrund der evidenten sozialen Ausgleichsfunktion
der Vermögenssteuer umfassende öffentliche Diskussionen aus (vgl. Abbildung 1).
Aus den folgenden Debatten (einschließlich der zwischenzeitlich immer auch debattierten „Vermögensabgabe“) ragt das Jahr 1996 heraus, in dem alleine 748 Aussagen
oder 28 % aller erfassten Artikel gefunden wurden. 1996 befassten sich zunächst
Bundestag und Bundesrat mit der Reform. Im Frühjahr 1996 erklärte die Regierungskoalition aus Union und FDP, sie wolle die Vermögenssteuer nicht reformieren,
sondern abschaffen. Die parteipolitische Diskussion erreichte im Mai/Juni 1996
ihren Höhepunkt. Die Anzahl der Aussagen ging dann merklich zurück, bevor sie im
Oktober wieder stark zunahm, als die SPD sich mit ihrer Bundesratsmehrheit einer
Abschaffung der Vermögenssteuer widersetzte. Die Koalition setzte wiederum das
Druckmittel ein, dass auch ohne die Zustimmung der SPD-Länder die Vermögenssteuer ab 1.1.1997 nicht mehr erhoben werde, falls keine Reform stattfände.
Das mit der Abschaffung der Vermögenssteuer verbundene Jahressteuergesetz
1997 bedurfte der Zustimmung des Bundesrats. Die Koalition verweigerte sich weiterhin einer Reform der Vermögenssteuer, die SPD-Länder ihrerseits einer Abschaffung. Um den Preis einer teilweisen Gegenfinanzierung über die Erbschafts- und
Grunderwerbssteuer gaben die Sozialdemokraten schließlich ihre Reformversuche
auf, verweigerten jedoch auch weiterhin eine Abschaffung. Die Vermögenssteuer als
lich festzulegen, dass eine Vermögenssteuer unter den Bedingungen des gegenwärtigen
Steuerrechts von Verfassungswegen nur als Sollertragsteuer verstanden und ausgestaltet
werden könne. Darüber hinaus finde die vom Senat vorgenommene Begrenzung der Vermögenssteuer auf eine Besteuerung der (Soll-)Erträge in der Verfassung auch sachlich keine Grundlage. Vielmehr stelle sie einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des Gesetzgebers dar, so Böckenförde.
106
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
solche wurde aus dem Jahressteuergesetz herausgenommen, blieb unreformiert und
wurde nicht mehr erhoben.
Erneut in die Diskussion geriet die Steuer, als der saarländische Ministerpräsident
Reinhard Klimmt im Juli 1999 die zuvor auch vom DGB-Chef Dieter Schulte aufgestellte Forderung nach einer Vermögensbesteuerung aufgriff. In der Folgezeit erzeugte
Klimmt ein medienwirksames Gegeneinander mit Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Die Debatte erhielt Mitte Oktober neue Nahrung durch Überlegungen zur Erhebung
einer Vermögensabgabe, bis der SPD-Parteitag im Dezember 1999 schließlich die von
immer mehr Vertretern der SPD-Linken unterstützte Forderung ablehnte.
Im November/Dezember 2001 versuchten schließlich einige Sozialdemokraten
und Gewerkschafter erneut, die Debatte auf den Weg zu bringen. Diese versandete
allerdings, bevor im September 2002 Heide Simonis (Schleswig-Holstein), Kurt Beck
(Rheinland-Pfalz) und Sigmar Gabriel (Niedersachsen) erfolgreicher waren. Hinzu
kam der Streik im öffentlichen Dienst, in dessen Verlauf der Vorsitzende von ver.di,
Frank Bsirske, nicht nur eine Refinanzierung der Haushalte über die Vermögenssteuer forderte, sondern auch noch Namen derer nannte, die er damit treffen wollte.
Diese Diskussionen erhielten durch die anstehenden Landtagswahlen Verstärkung: Während sich der hessische SPD-Spitzenkandidat Gerhard Bökel mit der Vermögenssteuer gegenüber Amtsinhaber Roland Koch zu profilieren versuchte, zielte
Sigmar Gabriel auf Gerhard Schröder. Beendet wurde die Debatte schließlich mit der
„Abgeltungssteuer“. Der Steuerpflichtige solle nur noch 25 % der Zinsen an den
Fiskus abführen, nicht mehr nach dem individuellen Steuersatz, der bis zu 48,5 %
betragen konnte. Parallel dazu verkündete Schröder eine „Rückkehrmöglichkeit für
Steuersünder“, wenn diese im Gegenzug eine einmalige Steuer von 25 % des betroffenen Vermögens zu bezahlen bereit wären (taz v. 17.12.2002: 8).
In den Monaten Juli bis Oktober 1998 ging es um die insbesondere von der
FAZ und der konservativ-liberalen Regierung behauptete Einführung der Vermögenssteuer im Falle eines rot-grünen Wahlsieges. Letzterer trat tatsächlich ein, allerdings
ohne Ersteres zu bewirken. Die Sozialdemokraten verwarfen auf ihrem Sonderparteitag
im Juni 2003, wie schon drei Jahre zuvor, einen Antrag zur Erhebung der Vermögenssteuer, die Grünen dagegen stimmten halbherzig im November 2003 dafür.
3.
Die typischen Deutungen im Zeitablauf
Die für die Debatte relevanten Aussagen in den untersuchten Medien FAZ und taz
wurden aus den digitalen CD-Rom Archiven beider Zeitungen über die Stichworte
„Vermögenssteuer“, „Vermögensteuer“ und „Vermögensabgabe“ ausgewählt. In der
FAZ wurden 1923 und der taz 746 verwertbare Aussagen gefunden. Alle Aussagen, die
sich mit diesen Stichworten verbanden, wurden berücksichtigt. Die Codierung wurde
von Personen vorgenommen, die die Hypothesen der Untersuchung nicht kannten. Die
Inter-Coder-Reliabilität wurde als Übereinstimmung der erfolgten Zuordnung zu den
vorgesehenen Klassifikationen gemessen. Sie lag durchgängig bei über 90 %. Nicht
konsistente Codierungen wurden einer dritten Kraft zur Kontrolle vorgelegt.2
2
Vgl. zum Vorgehen die einschlägige Arbeit von Iyengar (1991).
Der Kampf um die Vermögenssteuer
107
Die Aussagen wurden in zwei Schritten codiert: Zunächst wurde die Grundaussage
als Contra oder Pro erfasst. Darüber hinaus wurden Grundaussagen als Forderung nach
einer Gegenfinanzierung oder Reform der Vermögenssteuer differenziert. In Tabelle 1 wird
so ein deutliches Übergewicht an Aussagen, die sich gegen eine Vermögenssteuer aussprechen, erkennbar. Erst im zweiten Schritt wurden die weiterführenden Aussagen in Form
von inhaltlichen Begründungen der Grundaussage geordnet, die den uns interessierenden Aspekt der Deutungspolitik ausmachen. Fehlte jegliche Begründung oder Konkretisierung, wurde Contra ohne Begründung oder Pro ohne Begründung codiert.
Wurden die Aussagen Gegenfinanzierung oder Reform nicht inhaltlich konkretisiert, wurde als Begründung erneut Gegenfinanzierung bzw. Reform codiert. So forderten
die SPD-regierten Bundesländer 1996, „die Abschaffung der Vermögensteuer sei
nicht ohne einen weiter als bisher geplant gehenden Ausgleich für die Länder durchzuhalten“ (FAZ v. 3.6.1996: 13). Wurde gegen die Vermögenssteuer argumentiert,
gleichzeitig aber die Notwendigkeit einer Gegenfinanzierung betont, codierten wir als
Grundaussage Contra und als weiterführende Aussage Gegenfinanzierung. Dadurch
wird die Grundaussage inhaltlich spezifiziert: Wer sich etwa gegen die Vermögenssteuer ausspricht, dies aber mit der Notwendigkeit einer Gegenfinanzierung kombiTabelle 1:
Häufigkeit der Grundaussagen zur Vermögenssteuer
Contra
Pro
Gegenfinanzierung
Reform
Objekive Information
Sonstige
Gesamt
Häufigkeit
1146
760
53
84
235
391
2669
Prozent
42,9
28,5
2,0
3,1
8,8
14,6
100,0
Quelle: eigene Erhebungen
Tabelle 2:
Häufigkeit der weiterführenden Aussageinhalte
Contra ohne Begründung
Ablehnende Deutungen
Contra sonstige
Pro ohne Begründung
Befürwortende Deutungen
Pro sonstige
Gegenfinanzierung
Reform
Informationen
Sonstige Aussagen
Gesamt
Häufigkeit
242
942
60
253
514
35
136
46
130
311
2669
Prozent
9,1
35,3
2,2
9,5
19,2
1,3
5,1
1,7
4,9
11,7
100,0
Quelle: eigene Erhebungen
108
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
niert, vertritt nachvollziehbar andere Positionen zur Vermögenssteuer als ein Sprecher, der die Vermögenssteuer einfach – ohne oder mit weiterführenden Begründungen – ablehnt (vgl. Tabelle 2, Seite 107).
1456 oder 54,5 % aller Aussagen konnten nach vier Kategorien geordnet werden: wirtschaftspolitische, ethisch-sozialpolitische, steuertechnische und steuerrechtliche Deutungen.
Bevor wir die Auftritte dieser vier Gruppen genauer darstellen, können die mit ihnen
verbundenen Stoßrichtungen umrissen werden. Die vier Kategorien lassen sich auf
einer Achse anordnen, an deren Enden interne und externe Zurechnungen der „subjektiv“
jeweils für plausibel gehaltenen Ursachen für die jeweilige Befürwortung oder Ablehnung der Vermögenssteuer liegen. Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen befinden
sich auf der Seite der internen Zurechnungen. Diese sind „intern“ insofern, als sie
sich als Repräsentant einer imaginären Gemeinschaft von Sprechern darstellen, die
über ein gemeinsames, als gerecht und normativ korrekt empfundenes Wollen verfügen. Inwieweit dieser Appell an eine Gemeinschaft den Tatsachen entspricht, ist für
unsere Analyse nicht von Interesse. Es geht nur um die Begründungsrichtung, die in
die öffentliche Deutungspolitik eingebracht wird.
Auf der Seite der externen Faktoren finden sich die steuertechnischen Deutungen. Sie sind „extern“ insofern, als Sprecher mit ihrer Hilfe darlegen, dass die Ursachen für eine Befürwortung oder Ablehnung der Vermögenssteuer gar nicht in einem
etwaigen gemeinsamen Wollen einer gerechten Wohlstandsverteilung o. Ä. liege,
sondern eben außerhalb der eigenen Beeinflussbarkeit anzusiedeln sei. Auch hier
wollen wir nicht im Geringsten entscheiden, inwieweit diese Zurechnungen stichhaltig sind, sondern nur, wer sie in welchem Zeitraum und in welchem Umfang in die
öffentlichen Debatten eingebracht hat.
Zwischen diesen beiden als Kontinuum zu verstehenden Polen liegen die wirtschaftspolitischen Deutungen, allerdings eher in Richtung interne Zurechnungen,
und die steuerrechtlichen, diese jedoch eher auf Seiten der externen Zurechnungen
(Abbildung 2).
Abbildung 2: Kausale Richtung der befürwortenden und ablehnenden Begründungen
Interne Zurechnung
Ï
Ï
Ð
ethisch-sozialpolitische Deutungen
wirtschaftspolitische Deutungen
steuerrechtliche Deutungen
Ð
Externe Zurechung
steuertechnische Deutungen
Interne Zurechnungen beziehen sich also kurz gesagt auf ein vorgestelltes, gemeinsames Wollen einer Gemeinschaft der Zuhörer, während die externen Deutungen nicht
beeinflussbare Größen hervorheben:
(1) Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen (vgl. Abbildung 3/Tabelle 3, gegenüber)
verdeutlichen, welcher Umgang mit Reichtum nach Überzeugung der Sprecher gerecht
Der Kampf um die Vermögenssteuer
109
sei. Die Deutung Solidarität umfasst alle Äußerungen, die die Notwendigkeit einer
Vermögenssteuer aufgrund der unerwünschten Spaltung von Arm und Reich und/
oder wegen der notwendigen Finanzierung der Sozialsysteme betonen. Das gleiche
Ziel hat die Aussage, Vermögende seien wenig belastet und könnten mehr zum Gemeinwohl beitragen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Deutungen liegt darin, dass
die auf Solidarität bezogenen Aussagen auf beide Seiten der viel beschworenen Schere zwischen Arm und Reich verweisen und für Umverteilungen argumentieren, während die zweite Deutung den Schwerpunkt auf die Möglichkeit steuerlicher Belastungen setzt. Eher eine Frage der Ethik ist der Appell an die Verantwortung der materiell
Bessergestellten gegenüber den weniger betuchten Mitbürgern (Eigentum verpflichtet).
Wer Reichtum nur als Folge von Herkunft, Erbschaft oder Glück betrachtet, entkleidet
den Reichtum seiner positiven Zuschreibungen und desavouiert ihn als eben nicht
auf Leistung, Fleiß oder Sparsamkeit, sondern auf für den Einzelnen tatsächlich nicht
kontrollierbaren Faktoren wie Geburt oder glückliche Umstände beruhend.
Abbildung 3/ Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen (entsprechend ihres Anteils
Tabelle 3:
in den jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums)
35
gegen Neid
30
Verantwortung
25
Verm. wenig belastet
20
Solidarität
15
Leistung
Enteignung
10
Neid
5
Sparer
0
Doppelbesteuerung
4-7 96
10-12 96
7-12 99
10-12 02
ethisch-sozialpolitisch ablehnend gesamt
Doppelbesteuerung
Sparer
Neid
Leistung
Enteignung
ethisch-sozialpol. befürwortend gesamt
Solidarität
Vermögende wenig belastet
Verantwortung
Gegen Neid
4-7 96
8,2
3,8
3,2
0,6
0,0
0,6
24,0
11,4
12,0
0,6
0,0
10-12 96
5,1
1,3
1,9
1,9
0,0
0,0
19,3
11,6
7,7
0,0
0,0
7-12 99
6,7
2,1
0,0
3,5
0,4
0,7
24,1
15,5
7,1
1,1
0,4
10-12 02
10,9
1,7
2,3
1,1
5,2
0,6
15,5
6,3
5,2
2,9
1,1
ethisch-sozialpolitisch gesamt
32,2
24,4
30,8
25,4
1994-2003
7,7
1,9
1,7
1,6
1,6
0,9
20,1
12,3
6,7
0,8
0,3
27,8
Quelle: eigene Erhebungen
110
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
Auch die Vermögenssteuergegner bedienen sich ethisch-sozialpolitischer Aussagen. Leistung als Deutung betrachtet die Vermögenssteuer als eine Bestrafung der
Leistungsträger, also derjenigen, die durch ihr Verhalten den derzeitigen Wohlstand
nach Überzeugung des jeweiligen Sprechers maßgeblich erzeugen. Dass die Vermögenssteuer Sparer bestrafe, dient ebenfalls der Ablehnung einer neuen oder reformierten Vermögenssteuer. Der Hinweis auf die Sparer hält dem Staat Inkonsistenz
vor, weil er zugleich die private Altersvorsorge fordere und sie steuerlich wieder in
Frage stelle.
Grundsätzlich verbinden sich auf Seiten der Befürworter einer Vermögenssteuer
meist ethische und sozialpolitische Argumente, während auf Seiten ihrer Gegner eher
die Unmöglichkeit ihrer Erhebung angesichts unbeeinflussbarer Widrigkeiten hervorgehoben wird – so auch die Deutung Enteignung, die den staatlichen Zugriff auf private Vermögen eher pauschal und polemisch ablehnt. Gegner der Vermögenssteuer
beklagen ferner die von ihr angeblich bewirkte Doppelbesteuerung. Darin liegt allerdings
nur eine Frage des Gerechtigkeitsempfindens, bietet diese doch weder ein wirtschaftspolitisch zwingendes Argument noch lässt sie steuertechnische oder -rechtliche Probleme entstehen. Das Verfassungsgericht fordert in seinem Urteil zwar eine
allenfalls hälftige Teilung der Gesamterträge unter Berücksichtigung aller zu zahlenden Steuern, widerspricht aber nicht der im Zeitablauf „doppelten“ Besteuerung von
Vermögen und Einkommen an sich.
Schließlich gibt es noch zwei weitere ethisch motivierte Deutungen, die zu den
ablehnenden Argumenten zu zählen sind. Der Vorwurf, die Vermögenssteuer sei dem
Neid der weniger Vermögenden geschuldet, impliziert, dass hier aus unlauteren Motiven eine materielle Umverteilung gefordert wird (Neckel 2001). Die ausdrückliche
Zurückweisung dieses Vorwurfs erfassten wir mit dem Deutungsmuster gegen Neid.
Die ethisch-sozialpolitischen Deutungen erreichten 27,8 % aller weiterführenden Aussagen. Allerdings liegt der größte Teil der tatsächlich verwendeten ethischen
Argumente auf Seiten der Befürworter. Die Dominanz der beiden Deutungen, die
Solidarität einfordern und die Vermögenden als wenig belastet betrachten, ist deutlich.
Sie allein machen 19 % aller Deutungen und damit auch mehr als zwei Drittel der
ethisch-sozialpolitischen aus. In allen Debatten dominieren die Deutungen, die auf
mehr Solidarität und eine Umverteilung zielen, wobei diese beiden Deutungen 2002
stark abfallen. In den beiden Debatten, die vor allem innerhalb der SPD geführt
wurden, gewinnt dagegen der Hinweis auf die Verantwortung der Reichen hinzu; der
Neidvorwurf – 1999 noch des Öfteren erhoben – geht zurück und liegt 2002 auf dem
gleichen Niveau wie dessen explizite Ablehnung.
(2) Zu den wirtschaftspolitischen Deutungen (vgl. Abbildung 4, Tabelle 4, gegenüber)
gehört das Argument, Vermögende tätigten Investitionen und eine Vermögensbesteuerung schade dieser für die Allgemeinheit nützlichen Tätigkeit. In die gleiche Richtung
geht die Standort-Deutung: Höhere Steuern benachteiligten die Unternehmer und
verhinderten die Ansiedlung finanzkräftiger Investoren aus dem Ausland.
Doch nicht nur die Gegner bedienen sich wirtschaftspolitischer Argumente,
denn nicht alle ökonomisch argumentierenden Sprecher akzeptieren die Annahme,
die Reichen und die Unternehmer brächten die Volkswirtschaft voran. Diese Argumentation wird der Deutung nicht investiv zugeordnet, die behauptet, dass großes
Der Kampf um die Vermögenssteuer
111
Abbildung 4/ Die wirtschaftspolitischen Deutungen (entsprechend ihres Anteils in
Tabelle 4:
den jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums)
20
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
nicht invest.
Konj.'förd.
Standort
Investitionen
4-7 96
10-12 96
7-12 99
wirtschaftspolitisch befürwortend gesamt
Investitionen
Standort
wirtschaftspolitisch ablehnend gesamt
Konjunkturförderung
nicht investiv
4-7 96
12,1
8,9
3,2
2,5
0,0
2,5
wirtschaftspolitisch gesamt
14,6
10-12 96
18,7
13,5
5,2
0,0
0,0
0,0
18,7
10-12 02
7-12 99
7,4
4,9
2,5
1,1
0,7
0,4
8,5
10-12 02
14,1
13,2
2,9
1,7
0,6
1,1
15,8
1994-2003
15,3
10,6
4,7
2,0
1,2
0,8
17,3
Quelle: eigene Erhebungen
Vermögen kaum in die Belebung der Wirtschaft eingebracht würde. In eine ähnliche
Richtung geht die zweite Deutung, die im Sinne von John M. Keynes behauptet, der
Staat müsse die Kaufkraft stärken. In Abgrenzung zur Deutung Investitionen nennen
wir die nachfrageorientierte Deutung Konjunkturförderung.
Abbildung 4 und Tabelle 4 zeigen, dass das Investitionsargument am häufigsten
verwendet wurde. Auf niedrigerem Niveau liegen das Standort-Argument und der
Hinweis auf die Investitionen. Die wirtschaftspolitischen Deutungsmuster, die eine
Vermögenssteuer befürworten, sind nur marginal vertreten.
(3) Die Unterscheidung zwischen steuertechnischen und steuerrechtlichen Deutungen
bezweckt eine Differenzierung zwischen den Argumenten, die sich auf die fiskalischen und budgetären Interessen des Staates und deren praktische Umsetzbarkeit auf
der einen und die rechtlichen Hürden auf der anderen Seite beziehen. Dabei nehmen
die steuerrechtlichen Deutungen (vgl. Abbildung 5, Tabelle 5, Seite 112) fast ausschließlich Bezug auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 1995 und
behaupten, die Steuer dürfe nicht den Vermögensstamm angreifen (Substanz), nicht
gegen den Halbteilungsgrundsatz verstoßen oder sei rundheraus verfassungswidrig. Umgekehrt wurde der Halbteilungsgrundsatz im Sinne des abweichenden Votums von
Richter Böckenförde abgelehnt. Insgesamt wurden die steuerrechtlichen Deutungen
in 23,1 % aller 1456 Aussagen verwendet. Der bloße und inhaltlich nicht näher er-
112
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
Abbildung 5/ Die steuerrechtlichen Deutungen (entsprechend ihres Anteils in den
Tabelle 5:
jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums)
gegen Halbteilung
35
Ungleichbehandlung
30
Halbteilungsgrundsatz
25
Substanz
20
verfassungswidrig
15
10
5
0
4-7 96
10-12 96
7-12 99
10-12 02
steuerrechtlich ablehnend gesamt
Verfassungswidrigkeit
Substanz
Halbteilungsgrundsatz
Ungleichbehandlung
steuerrechtlich befürwortend gesamt
Gegen Halbteilung
4-7 96
29,1
13,9
7,6
4,4
3,2
0,6
0,6
10-12 96
30,4
18,1
5,8
2,6
3,9
0,0
0,0
7-12 99
21,9
12,7
3,5
3,2
2,5
2,8
2,8
10-12 02
13,8
2,3
5,2
4,0
2,3
0,6
0,6
1994-2003
21,7
8,9
5,1
4,1
3,6
1,4
1,4
steuerrechtlich gesamt
30,5
30,4
24,7
14,4
23,1
Quelle: Eigene Erhebungen
läuterte Hinweis auf die angebliche Verfassungswidrigkeit verlor mit zunehmendem
Abstand zum Urteil an Bedeutung. Darüber hinaus spielte die ursprünglich vom
Verfassungsgericht problematisierte Ungleichbehandlung von Grundbesitz und liquidem
Kapital nur eine kleine Rolle. Der Halbteilungsgrundsatz verlor in den weiteren Debatten leicht an Bedeutung, sein explizites Gegenargument fand in der Debatte von
1999 fast ebenso viele Vertreter.
(4) Im Gegensatz zu den steuerrechtlichen Deutungen geht es bei den steuertechnischen
nicht um gesetzgeberische Handlungsspielräume, sondern um die praktische Umsetzung der Steuer (vgl. Abbildung 6, Tabelle 6, gegenüber). Dabei stehen KostenNutzen-Fragen und politische Handlungsoptionen im Vordergrund. Das Argument
Steuerwiderstand betrifft nicht nur Fragen der Investitionen unter internationalen Gesichtspunkten, sondern auch Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerhinterziehung.
Bei der Erfassung der Aussagen zur Kapitalflucht wurde die Trennlinie zwischen
solchen Aussagen gezogen, die sich allgemein auf den Schaden einer Vermögenssteuer für den Wirtschaftsstandort bezogen, und solchen, die auf die Abwanderung von
Kapital abhoben. Ebenfalls steuertechnisch zu verstehen ist die Deutung, die Vermögenssteuer treffe die Falschen und würde nach einer Reform nur mittelständische Ein-
Der Kampf um die Vermögenssteuer
113
Abbildung 6/ Die steuertechnischen Deutungen (entsprechend ihres Anteils in den
Tabelle 6:
jeweiligen Debatten bzw. des gesamten Zeitraums)
40
35
geg. Steuerwiderst.
30
Öffentl. Haushalt
25
Steuervereinfachung
20
Keine Mehrheit
15
trifft die Falschen
Steuerwiderstand
10
Erhebung
5
0
4-7 96
10-12 96
7-12 99
steuertechnisch ablehnend gesamt
Erhebung
Steuerwiderstand
Trifft die Falschen
Keine Mehrheit
Steuervereinfachung
steuertechnisch befürwortend gesamt
Öffentlicher Haushalt
Gegen Steuerwiderstand
4-7 96
13,3
5,7
3,2
1,9
0,0
2,5
8,2
8,2
0,0
steuertechnisch gesamt
21,5
10-12 02
10-12 96
8,9
5,2
0,6
1,9
0,6
0,6
11,0
11,0
0,0
19,9
7-12 99
19,4
5,3
4,9
2,1
6,7
0,4
6,4
6,4
0,0
10-12 02
14,9
5,7
2,9
4,0
2,3
0,0
18,9
17,2
1,7
25,8
33,8
1994-2003
15,4
5,1
3,9
2,5
2,4
1,5
11,1
10,9
0,2
26,5
Quelle: eigene Erhebungen
kommen belasten. Steuertechnisch begründet ist auch das Argument, die Erhebung der
Vermögenssteuer sei zu aufwändig und stünde einer Steuervereinfachung im Weg.
Schließlich behauptet die Deutung Keine Mehrheit, dass sich die Steuer aufgrund fehlender Mehrheiten nicht wieder einführen lasse. Auf Seiten der Befürworter ist die
Deutung „gegen Steuerwiderstand“ von Bedeutung, die den Zusammenhang zwischen
höheren Steuern und zunehmender Unterschlagung von steuerpflichtigem Kapital
bestreitet. Auf den öffentlichen Haushalt verweist, wer staatliche Aufgaben wie etwa die
Bildung über die Vermögenssteuer refinanzieren will.
Insgesamt liegt der Anteil an steuertechnischen Deutungen bei fast einem Drittel. Wie Abbildung 6 und Tabelle 6 zeigen, verweist mehr als jede zehnte Aussage auf
die leeren Kassen. 2002 verwies gar fast jede fünfte Deutung auf die Knappheit der
Mittel in den öffentlichen Haushalten.
Im Zeitablauf nahm die Bedeutung der steuerrechtlichen Deutungen ab, während die der steuertechnischen immer größer wurde. Dominierten 1996 die steuerrechtlichen Deutungen gegenüber den steuertechnischen, so kehrte sich dieses Ver-
114
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
hältnis schon 1999 um. 2002 dominierten die steuertechnischen Deutungen (33,8 %)
sogar erstmals gegenüber den ethisch-sozialpolitischen, welche in allen Debatten eine
substanzielle Rolle spielten (vgl. Abbildung 7).
Abbildung 7: Die Kategorien in Prozent
100%
90%
21,5
80%
19,9
25,8
33,8
70%
60%
30,5
steuertechn.
30,4
24,7
50%
14,4
40%
30%
32,2
26,4
24,4
14,6
18,7
4-7 1996
10-12 1996
8,5
steuerrechtl.
ethisch-soz.
wirtschaftl.
30,8
20%
10%
sonstige
17,8
0%
7-12 1999
10-12 2002
Quelle: eigene Erhebungen
Insgesamt standen sich im gesamten Zeitraum die Pro- und Contra-Lager als Blöcke
scheinbar mehr oder minder ausgeglichen gegenüber. Innerhalb der ethischsozialpolitischen Deutungen dominierten die befürwortenden Argumente, bei den
wirtschaftspolitischen und steuerrechtlichen Deutungen überwogen die ablehnenden.
Während die erste Welle 1996 noch klar im Zeichen der Hürden stand, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hatte, überwogen im Weiteren immer mehr die
steuertechnischen Deutungen. Die ethisch-sozialpolitisch befürwortenden Deutungen gingen deutlich zurück, während die wirtschaftspolitisch ablehnenden Argumente
fast ebenso große Bedeutung erlangten. Diese Zunahme der wirtschaftspolitischen
und steuertechnischen Deutungshoheit zeigt die Kraft jener, die schließlich ihr Ziel
mit der Aussetzung der Vermögenssteuer erreicht haben.
4.
Die Sprecher und ihre Argumente in FAZ und taz
Nachdem wir die Verteilung der Deutungsmuster beschrieben haben, gilt angesichts
des Scheiterns der Vermögenssteuer unser weiteres Interesse den argumentativen Verschiebungen der Deutungspolitik, die im Zeitablauf zwischen den beiden Zeitungen,
den beteiligten Sprechern und ihrer jeweiligen Nähe zum politischen Zentrum zu erkennen waren. In diesem Sinne haben wir folgende Hypothesen formuliert und geprüft:
1) Die Medien lassen im Sinne der „Medienbiashypothese“ verstärkt Sprecher zu
Wort kommen, die der Redaktionslinie entsprechen.
2) Die Ablehnung bzw. Befürwortung der Vermögenssteuer orientiert sich an den
traditionellen politischen Konfliktlinien zwischen Links und Rechts.
Der Kampf um die Vermögenssteuer
115
3) Je näher allerdings die Sprecher den zentralen Entscheidungsinstanzen stehen,
desto mehr nehmen auch Grüne und Sozialdemokraten, insbesondere nach der Regierungsübernahme, Bezug auf externe, scheinbar unbeeinflussbare Faktoren, etwa
Umsetzungsschwierigkeiten. Die Befürworter verwenden demgegenüber weiterhin
eher Deutungen, die Bezug nehmen auf ein geglaubtes gemeinsames Wollen einer
Gemeinschaft der Sprecher. Hierzu gehören insbesondere ethisch-sozialpolitische
Gerechtigkeitsvorstellungen.
Zu 1) Die in der Forschung gut etablierte Medienbiashypothese sieht neben dem
Input an Informationen und den Nachrichtenfaktoren die ideologische Ausrichtung
der Medien als einen dritten Faktor, welcher die Selektivität der Medien bestimmt
(Gerhards 1998: 42). Der Umfang einer Nachricht ist nicht allein abhängig von der
Intensität der Nachrichtenfaktoren, sondern auch davon, welche Intensität der Journalist einer Nachricht bewusst zuschreibt. Die FAZ folgte seit ihrer Entstehung aus
dem Erbe der Frankfurter Zeitung im Jahre 1949 einer konservativ-liberalen Grundhaltung. Dazu gehört die Präferenz für eine konsequente Angebotspolitik, einen Staat
als „Nachtwächter“ und die Idee der Leistungsgerechtigkeit. Die taz dagegen wusste
zwar die Struktur und das Niveau der FAZ zu schätzen, verstand sich aber als Zeitung, die auf ähnlichem Niveau wie das große bürgerliche Vorbild alternative, bis
dahin in den Massenmedien ignorierte Inhalte und Perspektiven präsentieren sollte
(Flieger 1992: 194).
Das Selbstverständnis der FAZ ist auf Unternehmer und gut verdienende Angestellte ausgerichtet. So reagierte die FAZ nach der Bundestagswahl 1998 auf den
Regierungswechsel, indem sie Unternehmer, Arbeitgebervertreter, Wissenschaftler
und konservative Steuerexperten in speziellen Artikeln und Gastbeiträgen gegen die
Vermögenssteuer argumentieren ließ. In dieser Zeit sammelte die FAZ 26 Aussagen
gegen und vier für die Steuer. Die taz zitierte im gleichen Monat nur zwei befürwortende Aussagen.
Darüber hinaus nehmen die Journalisten als Kommentatoren auch direkt an den
Debatten teil. 17,7 % der Aussagen in der FAZ sind Aussagen eigener Journalisten,
in der taz sind es 21,8 %. Dazu gehören allerdings nicht nur Aussagen in Kommentaren, sondern auch ergänzende Informationen in anderen Artikeln. Der Anteil von
Aussagen in Kommentaren liegt bei 10,4 % bzw. 11,2 %. Dabei handelt es sich aber
nicht nur um Aussagen von Journalisten, sondern auch um Zitate anderer Sprecher
innerhalb der Kommentare. Journalisten-Aussagen in Kommentaren haben in der
FAZ nur einen Anteil von 6,1 %, in der taz nur von 2,3 % an den insgesamt 2669
Aussagen. Innerhalb der Kommentare selbst haben die Journalisten-Aussagen einen
Anteil von 81,5 % bzw. 73,5 %. Einschließlich der Journalisten-Aussagen stammt
etwa jede fünfte Aussage aus dem eigenen Hause (vgl. Tabelle 7, Seite 116).
Die Präferenzen sind deutlich erkennbar. Gleichzeitig wird aber auch deutlich,
dass beide Zeitungen viele Sach- und sonstige Informationen übermitteln. Der Anteil
an beiden Aussagen zusammen ist in der taz (75,3 %) höher als in der FAZ (53,2 %).
Die taz hat einen sehr hohen Anteil von Journalisten-Statements in den Berichten:
40,7 % der Journalisten-Aussagen der taz werden in Berichten gemacht; das sind
mehr als in Kommentaren (37,7 %). Demgegenüber sind in der FAZ nur 25 % aller
Journalisten-Aussagen in Berichten zu finden, 47,9 % dagegen, wie zu erwarten, in
Kommentaren. Der Grund für die zahlreichen Statements von taz-Journalisten au-
116
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
ßerhalb der eigentlich für journalistische Meinungsäußerungen reservierten Artikel
(Kommentare, Essays etc.) liegt darin, dass die taz auch in Berichten einen essayistischeren Stil pflegt. Die FAZ dagegen bedient sich eines formalen Stils, der eigene
Aussagen weitgehend vermeidet.
Tabelle 8 zeigt, dass sich auch die FAZ der Dominanz der SPD in den Debatten
nicht entziehen konnte. Allerdings ist der Anteil der SPD-Sprecher und vor allem
auch der Grünen in der taz nochmals höher, so dass die Medienbiashypothese in
dieser Hinsicht Bestätigung findet. Der hohe Anteil grüner Politiker in der taz verdeutlicht, dass hier Übereinstimmungen bestehen. In der FAZ ist wiederum unübersehbar, dass sie dem konservativ-liberalen Spektrum mehr Raum gibt.
Beide Zeitungen verschaffen ihrer Redaktionslinie also durch eigene Statements
Geltung, aber auch dadurch, dass sie solche Sprecher zitieren, die der Redaktionslinie
entsprechen. In noch stärkerem Ausmaß als bei der taz ist dies bei der FAZ der Fall, die
über Kommentare, Essays, Leserbriefe, die „Presseschau“ mit Zitaten aus anderen
Medien und Gastbeiträgen nachhaltig Meinungen im Sinne der Redaktionslinie proteTabelle 7:
FAZ
(N = 340)
taz
(N = 162)
Aussagen der FAZ- und taz-Journalisten (in Prozent)
Ablehnung
45,6
4,9
Pro
Information
Sonstige
0,0
Gegenfinanzierung/
Refinanzierung
0,6
27,1
26,8
19,8
0,0
40,1
35,2
Quelle: eigene Erhebungen
Tabelle 8:
Union
SPD
FDP
Grüne
PDS
Verteilung der Aussagen nach Parteien (in Prozent)
FAZ
Taz
28,9
49,7
9,4
8,4
3,6
100,0 (N = 925)
14,0
60,7
3,1
18,4
3,8
100,0 % (N = 392)
Gesamt
24,5
53,0
7,5
11,4
3,6
100,0 (N = 1317)
Quelle: eigene Erhebungen
Tabelle 9:
Grüne
FDP
Union
SPD
PDS
Positionen der Parteien (Aussagen insgesamt)
Ablehnung
29,5
91,9
79,6
23,6
0,0
Befürwortung
53,7
3,0
1,5
59,2
97,9
Sonstige ( %)
16,8
5,0
18,8
17,2
2,1
Quelle: eigene Erhebungen
Der Kampf um die Vermögenssteuer
117
giert. Bei der taz finden sich dagegen sowohl in der eigenen Redaktion einige und in
der Presseschau sogar überwiegend von der „Generallinie“ abweichende Meinungen.
Zu 2) Bezüglich der klassischen Konfliktlinien zeigt Tabelle 9 (gegenüber) eine
eindeutige Präferenz der Mitte und der Rechten gegen die Vermögenssteuer. Die Haltung der im linken Spektrum zu verortenden Parteien dagegen tendiert pro Vermögenssteuer. Allerdings positioniert sich hier nur die PDS so klar wie umgekehrt die
Mitte und die Rechte. SPD und Grüne sind weniger überzeugt von der Vermögenssteuer, als CDU und FDP sich in ihrer Ablehnung sicher sind. Die Grünen sind dabei
gegenüber der SPD weniger eindeutige Befürworter.
Werden die Aussagen jedoch im Zeitablauf und unter dem Aspekt betrachtet,
welche Parteien die Bundesregierung stellen, ergibt sich eine bemerkenswerte Verteilung (vgl. Tabelle 10). Während die Verteilungen für die Union und FDP konstant
bleiben, fällt der Anteil der Befürwortungen bei der SPD ab dem ersten Jahr nach der
Regierungsübernahme auf Bundesebene um 23,3 %. Die ablehnenden Aussagen
steigen gleichzeitig um 27,8 %. Bei den Grünen nimmt der Anteil der befürwortenden Aussagen gar um 31,9 % ab, die ablehnenden Statements steigen um 27,1 %.
Darüber hinaus findet sich im Wahljahr 1998 keine einzige Aussage eines Sozialdemokraten, die die Vermögenssteuer verwirft. Umso interessanter ist die Beobachtung,
dass 1999 SPD-Sprecher die Vermögenssteuer fast ebenso häufig ablehnen (41,3 %)
wie sie sie befürworten (43,3 %). Dieser Wandel ist weniger auf den Austausch von
Sprechern als auf tatsächlichen Meinungswandel zurückzuführen. Prominente Beispiele für die gekippte Stimmung in der SPD nach der Regierungsübernahme liefern
• Hans Eichel, der als hessischer Ministerpräsident drei Mal befürwortend, ab 1999
als Bundesfinanzminister jedoch 24 Mal ablehnend zitiert wird;
• Wolfgang Clement, der bis 2002 als NRW-Ministerpräsident sieben Pro-, ab
2002 als Bundeswirtschaftsministers drei Contra-Zitate erreicht;
• Gerhard Schröder, der von 1996 bis 1999 als niedersächsischer Ministerpräsident
fünf Mal befürwortend zitiert wird, allerdings auch schon 1996 zwei Mal ablehnend. Ab 1999 finden sich 54 ablehnende Aussagen, wobei diese Häufigkeit
durch die Wiederholung einzelner Zitate entsteht. Dennoch kann nicht übersehen werden, wie er von einer zunächst zögerlichen, als SPD-Kanzlerkandidat
Tabelle 10:
Contra und Pro Vermögenssteuer (in %, fehlende Werte = Sonstige)
Partei des Sprechers
CDU/CSU
FDP
SPD
Grüne
PDS
Aussage
Contra
Pro
Contra
Pro
Contra
Pro
Contra
Pro
Contra
Pro
1994-1998
78,1
2,1
92,1
2,6
7,1
73,1
14,1
71,9
0
100
1999-2003
83,5
0,0
91,3
4,3
34,9
49,8
41,2
40,0
0
96,6
Gesamt
79,6
1,5
91,9
3,0
23,6
59,2
29,5
53,7
0
97,9
Quelle: eigene Erhebungen
118
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
auch die traditionellen Interessen bedienenden Haltung zu einem klaren Nein als
Bundeskanzler kommt.
Bei den Grünen kippt die Stimmung auf einem anderen Niveau: Schon im Wahljahr
sind 26,3 % aller grünen Aussagen der ablehnenden Seite zuzuordnen. 1999 sind es
gar 79,4 %. Insgesamt vertreten die Grünen als Regierungspartei eine knapp ablehnende Position.
Signifikant ist demnach der zunehmende Verzicht der linken Parteien auf die
Steuer mit der Übernahme der Regierungsverantwortung. SPD-Regierungsmitglieder
wurden insgesamt 90 Mal ablehnend zitiert. Der damit entstandene Konflikt zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und der Parteibasis löste heftige Diskussionen aus. Hatte die SPD zwischen 1994 und 1998 noch einen Anteil von 41,6 % an
allen Aussagen der parteipolitischen Sprecher, so stieg er in den folgenden fünf Jahren auf 65,2 %. Die interne Differenzierung der Lager wurde zunehmend zum Integrationsproblem (Fuchs 1991: 83).
Zu 3) Wir möchten diese Verschiebung der Deutungspolitik nun genauer auf ihre
Lokalisierung zwischen politischem Zentrum und Peripherie untersuchen. Auf der
Achse Zentrum – Peripherie stehen sich strategische Überlegungen und normative Forderungen
einerseits, politische Regelungsfragen und Ideen andererseits gegenüber (Gerhards u.a.
1998: 108). Normative Ideen finden sich am ehesten bei den ethisch-sozialpolitischen
Deutungen, strategische Überlegungen am stärksten auf Seiten der steuertechnischen
Argumentation (vgl. Abbildung 2, Seite 108). Die ökonomischen Argumente nehmen
Bezug sowohl auf Ideen und normative Forderungen als auch auf aus den Ideen abgeleitete strategische Überlegungen bzw. Verweise auf angenommene externe Effekte.
Vertreter der Exekutive konzentrieren sich zu 36,2 % auf steuertechnische und
nur zu 15,4 % auf ethisch-sozialpolitische Argumente (Abbildung 8); dagegen bezieAbbildung 8: Politische Sprecher und Deutungen I
(prozentualer Anteil in den vier Kategorien, fehlende Prozent = sonstige)
70
58,2
60
Exekutive
Legislative
50
Parteien
40
36,2
30,3
30
20
23,6
15,4
21,7
31,6
21,0
19,0
14,1 13,6
7,4
10
0
sozial
wirtschaftlich
rechtlich
technisch
Quelle: eigene Erhebungen
Der Kampf um die Vermögenssteuer
119
hen sich die Sprecher der Parteien zu 58,2 % auf ethisch-sozialpolitische Fragen und
nur zu 21 % auf steuertechnische. Im politischen Zentrum spielen die ethisch-sozialpolitischen Deutungen eine weniger wichtige und die steuerrechtlichen und -technischen eine wichtigere Rolle. Allerdings sind auch die wirtschaftspolitischen Argumente im Zentrum am stärksten und in den Parteien außerhalb des politischen Zentrums am schwächsten vertreten.
Betrachtet man die Sprecher für sich, ist der Zusammenhang nicht ganz linear
(Abbildung 9). So sind innerhalb der Exekutive die wirtschaftspolitischen Deutungen
etwas stärker vertreten als die steuerrechtlichen. Dies dürfte daran liegen, dass die
Exekutive als verantwortlich gilt für die wirtschaftliche Lage. In den Parteien sind
wiederum die steuertechnischen Deutungen stärker vertreten als die wirtschaftspolitischen und steuerrechtlichen. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die
Linie der Regierungsverantwortlichen durchaus auch von exponierten Sprechern aus
den Parteien verteidigt wird, etwa den Vorsitzenden der regierungsverantwortlichen
Parteien oder deren Generalsekretäre bzw. Bundesgeschäftsführer.
Abbildung 9: Politische Sprecher und Deutungen II
(prozentualer Anteil, fehlende Prozente = sonstige)
70
sozial
wirtschaftlich
rechtlich
technisch
58,9
60
50
36,2
40
15,9
31,6
30,8
22,9
30
21,7
20
21,0
13,6 19,0
11,7 7,4
10
0
Exekutive
Legislative
Parteien
Quelle: eigene Erhebungen
Grundsätzlich bleibt aber der Zusammenhang insbesondere zwischen den ethischsozialpolitischen und den steuertechnischen Deutungen klar erkennbar. Die Legislative liegt mit ihren Aussagen zwischen den beiden anderen Sprecherkategorien. Sie
benutzt ethisch-sozialpolitische Argumente fast ebenso häufig (30,8 %) wie steuertechnische (31,6 %). Die Legislative ist einerseits näher an den Entscheidungsgremien
als die Parteienvertreter, andererseits aber nicht mehr so stark wie einst an die Lobbyarbeit der Verbände und Interessenvertreter gebunden (Alemann 2000: 4). Die
Exekutive ist der Einflussnahme verschiedener Interessenverbände am stärksten
ausgesetzt und auf die Legislative angewiesen, deren Akteure wiederum zum einen in
den Ausschüssen eng mit Interessengruppen zusammenarbeiten, zum anderen aber
auch auf die Interessen ihrer Basis achten müssen. Die Parteien sind dagegen inso-
120
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
fern weniger wechselnden Interessen ausgesetzt, als sie eine enger umrissene Klientel
bedienen müssen.
Abbildung 10: Die parteipolitischen Sprecher und ihre ablehnenden Aussagen
(prozentuales Verhältnis innerhalb der Sprecherkategorien)
40
37,9
34,4
35
33,1
Exekutive
30
Legislative
25
Parteien
36,4
31,3
28,6
25,8
23,2
22,7
20
13,6
15
9,1
10
5
3,9
0
eth.-soz.
wirtschaftl.
st.rechtl.
st.techn.
Quelle: eigene Erhebungen
Abbildung 11: Die parteipolitischen Sprecher und ihre befürwortenden Aussagen
(prozentuales Verhältnis innerhalb der Sprecherkategorien)
90
77,4
80
70
Exekutive
Legislative
61,0
Parteien
60
60,8
50
40
37,8
28,6
30
18,5
20
10
1,4 3,9 3,4
0
eth.-soz.
wirtschaftl.
6,5
0
0,7
st.rechtl.
st.techn.
Quelle: eigene Erhebungen
Der Kampf um die Vermögenssteuer
121
Die Verteilung der Deutungen auf die parteipolitischen Sprecher verdeutlicht,
dass auch auf Seiten der ablehnenden Aussagen diese Sprecher am wenigsten steuertechnische und steuerrechtliche Deutungen verwenden: Die ethisch-sozialpolitisch
ablehnenden Deutungen werden von der Exekutive am seltensten und von den Parteien am häufigsten benutzt. Die steuerrechtlichen Deutungen verlaufen umgekehrt
(Abbildung 10, gegenüber). Andere lineare Zusammenhänge sind bei der Legislative
erkennbar, die verstärkt auf externe Argumente und kaum auf ethisch-sozialpolitische
Zusammenhänge verweist.
Die Dominanz der ethisch-sozialpolitischen Deutungen ist bei den befürwortenden Stellungnahmen sehr deutlich. Durchschnittlich liegt sie bei 58,7 %, bei den
Sprechern aus den Parteien gar bei 77,4 % (Abbildung 11, gegenüber). Der in der
Abbildung 11 erkennbare hohe Anteil steuertechnisch befürwortender Aussagen
innerhalb der Exekutive resultiert aus der Wichtigkeit des öffentlichen Haushalts für
die Länderregierungen. Jene, die diesen verwalten, benutzen sie am häufigsten. Dadurch bestätigt sich auch bei den befürwortenden Deutungen, dass die Exekutive sich
am häufigsten externer Zurechnungen bedient (60,8 %) – der externe Faktor ist hier
die unabweisbare Notwendigkeit der Haushaltsfinanzierung –, die Legislative denen
aber seltener folgt (28,5 %) und die Parteien noch seltener (18,5 %).
Grundsätzlich verweisen die Sprecher der Exekutive verstärkt auf externe Faktoren, die Sprecher der Peripherie dagegen häufiger auf interne Zurechnungen. Die
öffentliche Deutungspolitik wird – je näher man an das politische Zentrum rückt –
immer konservativer, so dass Chancen für Gestaltungen auf der Basis eines vorgestellten gemeinsamen Wollens sinken. Die Differenzierung des politischen Systems
scheint also wichtiger zu sein als die in der Öffentlichkeit immer wieder hervorgehobene Spaltung in „Links“ und „Rechts“.
5. Schlussfolgerungen: Die Vermögenssteuer – das ungeliebte Kind
Die Vermögenssteuer war, so zeigen unsere Daten, ein ungeliebtes Kind. In der Öffentlichkeit wurde zwar heftig über sie diskutiert. Aber sie hatte trotz des intensiven
politischen Kampfes letztlich keine echte Chance auf eine Wiedereinführung, weil die
Deutungen, die wir als externe Deutungen bezeichnet haben, zu zahlreich, attraktiv
und letztlich mit steigender Nähe zum politischen Entscheidungszentrum auch dominant waren.
So betrachtet erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass im Zeitverlauf der
Kampf um die Lufthoheit in der Deutungspolitik sogar eher das letztendliche „Aus“
der Vermögenssteuer mit vorbereitet hat, denn die Öffentlichkeit wurde Schritt für
Schritt für das Scheitern präpariert. Wer in den Jahren zwischen 1994 und 2003 genau zugehört hat, welcher Sprecher wann welche kausale Zurechnung als Begründung seiner
Befürwortung oder Ablehnung der Vermögenssteuer ausdrückt, hat das nahende
Ende der Vermögensbesteuerung eigentlich nicht übersehen können. Je näher der
Sprecher am politischen Zentrum lokalisiert gewesen ist, desto externer und damit
auch ablehnender haben sich die Argumente gestaltet. Wer sich demgegenüber – wie
die meisten Befürworter – auf das gemeinsame Wollen einer „gerechten“ Verteilung
von Lasten berufen hat, konnte zwar durchaus Aufmerksamkeit in den Medien fin-
122
Gerd Nollmann, Roelf Bleeker-Dohmen
den. Aber eine Eroberung der tatsächlichen politischen Entscheidungsmacht war für
dieses Lager in immer größere Ferne gerückt.
Folglich konnte die SPD nach der Machtübernahme die Vermögenssteuer vergleichsweise leicht aufgeben. Sie machte dafür externe Zwänge verantwortlich und
schob die Verantwortung mit dem Hinweis auf eine fehlende Mehrheit im Bundesrat
auf die konservativ-liberale Opposition ab. Auch die sozialdemokratische Klientel
fand sich mit dieser rhetorischen Wendung ab.
Literaturverzeichnis
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und Wahlverhalten“, in: Werner Süß (Hg.): Die Bundesrepublik in den achtziger Jahren.
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Gerhards, Jürgen (1998): „Öffentlichkeit“, in: Otfried Jarren; Ulrich Sarcinelli; Ulrich Saxer
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Neidgesellschaft. Kursbuch 143. Berlin: Rowohlt, 2-10.
Korrespondenz:
E-Mail:
PD Dr. Gerd Nollmann
Universität Duisburg-Essen
Institut für Soziologie
Lotharstraße 65
47057 Duisburg
[email protected]
Roelf Bleeker-Dohmen
Universität Duisburg-Essen
Institut für Soziologie
Lotharstraße 65
47057 Duisburg
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