Architektur & Farbe - Kreative Lösungen mit Glas Rohfassung ohne Abbildungen und Tabellen – Veröffentlicht: GFF (11/2007), o. Jg., S. 40-45. Text und Abbildungen: Dipl.- Ing. (FH) – Dipl.- REFA- Ing. Jens Baumgartner (VDI) Teil 4: Mediatecture - Inszenierte Architektur Weltweit breiten sich die internationalen Ketten mit ihrer Einheitsgestaltung und eine oftmals langweilige Investorenarchitektur aus. Doch im Imagewettwettbewerb der Städte und Unternehmen zählt das Bild und so erhält die Ikonografie, die Inhaltsdeutung von Bildwerken, im Rahmen einer Medienarchitektur - kurz Mediatecture, also Botschaften vermittelnde Architektur - bei Bauwerken samt Fassaden ein immer größeres Gewicht. Noch am Ende des 20. Jahrhunderts hat ein Blick in die Zentren großer Städte gezeigt, dass weniger das Glas Farbe in den Stadtraum bringt als vielmehr die große Anzahl von Baumaterialien mit ihren spezifischen Farben. Und dennoch: An der Schwelle zum 3. Jahrtausend wird zwar immer mehr kristallklares Glas eingesetzt, doch geht damit immer öfter eine dezente bis grelle Farbgestaltung der Glasfassaden einher. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob die Glas- Architektur - nach der Gotik - vor einem neuen farbigen Zeitalter steht. Architektur & Farbe in der ersten Hälfte des 20. Jh. Die Historie der Glasverwendung in den letzten 2000 Jahren ergibt insgesamt ein sehr differenziertes Bild [1]. In einer vereinfachenden Zusammenfassung kann in eine Verwendung durch klerikale Institutionen, die farbiges Glas bevorzugt für die Vermittlung biblischer Botschaften einsetzt, und säkulare Bauherren, die ihren Reichtum zur Schau stellen, unterschieden werden. In vielen Fällen erfolgt eine Verwendung nach dem antiken Grundsatz, dass Macht Medien zu ihrer Kommunikation braucht. Die Trennung zwischen kirchlichem und profanem Einsatz von farbigem Glas bleibt bis zum Anfang des 20. Jahrhundert weitgehend bestehen. Mit dem Beginn der architekturhistorischen Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es zunächst Entwicklungen, die einen vermehrten Einsatz von Farbe in der (Glas-)Architektur hätten erwarten lassen. So entsteht ab 1909 in der Malerei durch Braque und Picasso der Kubismus, welcher insbesondere mit rechteckigen, farbigen Flächen experimentiert. Dieses Prinzip überträgt sich bald auf den Entwurf von Häusern, deren Baukörper sich z.B. bei Malewitch aus kleinen und lang gezogenen Rechtecken zusammensetzen. Van der Rohe setzt mit seinem Deutschen Pavillon für die Weltausstellung 1929 in Barcelona ebenso wie Rietveld mit dem Schröder- Haus aus demselben Jahr in Utrecht dieses architektonische Prinzip um. Bei Van der Rohe tragen im Wesentlichen die Eigenfarben der Materialien zur Gesamtästhetik bei, Rietveld hingegen betont einige schmale senk- und waagerechte Elemente farbig. Die neue Farbigkeit überträgt sich somit zwar kaum auf die (Glas-)Fassaden der Gebäude, der Kubismus wird aber zu einem der wesentlichen Ursprünge des industrialisierten Bauens im rechten Winkel. Mit dem Jugendstil entsteht die 'Art nouveau' als Reaktion auf den Historismus, die in der Architektur - konträr zum Kubismus - organische, geschwungene Formen und eine vegetabile Ornamentik hervorbringt. In handwerklicher Arbeit erhalten so Fenster kleinformatige und auch farbige Verglasungen. Der Ruf Scheerbarts, eines Idealisten und Vordenkers des Bauens mit Glas, nach Wänden 'ganz aus Glas - aus farbigen Gläsern' darf als vom Jugendstil inspiriert gelten. Der Expressionismus in Deutschland wird durch das grausame Massensterben im ersten industrialisierten Weltkrieg ausgelöst, weshalb viele seiner Anhänger antiindustriell und antikapitalistisch sind. Auf Schemata und Ordnungen will dieser Architekturstil verzichten, als dessen erstes Gebäude Tauts Glashaus auf der Werkbundausstellung 1914 in Köln gilt, das, entgegen dem Wunsch seines Freundes Scheerbart, ganz ohne farbiges Glas auskommt. Mit dem Expressionismus kommen erste Tendenzen zur Zerstörung der Fassaden auf, denn räumliche Grenzen gelten als Zeichen für Unterdrückung und die Forderung nach 'Licht, Luft und Sonne' für jedermann verändert nachhaltig das Aussehen der Fassaden. Die großen Glasflächen schützen nicht länger das Innere und Private und stellen die alte Kommunikation mit dem öffentlichen Raum in Frage. Die neuen Membranen bewirken ein Innen-ist-gleich-außen, die Verträglichkeit mit dem Stadtraum nimmt ab [2]. Dem Jugendstil und Expressionismus folgt das Bauhaus. Dessen Apologeten der 'neuen Sachlichkeit' in Weimar und Dessau sowie der Schweizer Le Corbusier in Paris richten endgültig das 'Diktat des rechten Winkels' aus ökonomischen Erwägungen auf. Aus bis heute nicht ausreichend geklärten Gründen kommt es zur 'révolution du mur blanc' - zur Revolution der weißen Wand - und dem vorläufigen Ende der Beziehung zwischen Architektur und Farbe. [3] Architektur & Farbe seit den 1960er Jahren Der Bauhausstil setzt sich in den 1960er Jahren als Internationaler Stil weltweit durch. Am Ende der medialen Schwarz-Weiß-Ära wird die Weiterentwicklung der Fassade u.a. in den kriegszerstörten Städten durch die Auflösung der zwei Prinzipien der Raumbildung, die durch freistehende oder umschließende Bauvolumen erfolgt, geprägt. So entstehen zum einen solitäre Bauten, die keinen Bezug zu ihrer Umgebung, der traditionellen wie der neuen Stadt, mehr suchen. Zum anderen kommt eine moderne Alltags- oder Gebrauchsarchitektur aus Stahl, Beton und Glas auf, die eine spannungsreiche Auseinandersetzung mit dem Erbe sucht - ohne besondere Farbgestaltung. Das Ende der 1960er sowie die 1970er Jahre werden durch eine Protestkultur gekennzeichnet, die bunt ist - und bis heute geblieben ist. Die Flower-Power-Zeit bringt eine neue Kultur hervor mit vorher nicht bekannten Trancebildern, die Szenen und Figuren in einer psychedelischen Farbigkeit enthalten. Die Gesellschaft reagiert verunsichert, die Wirtschaftsleistung verringert sich nach dem Boom der Nachkriegsjahre. Rethfeld und Singer geben die These wieder, dass Menschen in Bären-Märkten (sinkende Kurse = Pessimismus) dazu neigen, kräftige helle Farben vorzuziehen. Psychologisch ist dieses Phänomen dadurch zu erklären, dass sich Menschen in schlechten Zeiten, in denen sie Zurückhaltung bei der Selbstverwirklichung üben müssen um ihren Grundbedarf zu decken, in einer bunten Farbenwelt eine Ersatzbefriedigung suchen. So bleiben aus der Bären-Markt-Zeit von 1966 - 1982 vor allem die bunten VW- Käfer, gelbgeblümte Badezimmer und farbenreiche Tapeten in Erinnerung [4]. Die 1980er Jahre erscheinen heute als goldene Ära, der Rundum- Versorger- Staat ist weitgehend verwirklicht. Die (Pop-) Kultur spiegelt den grenzenlosen Optimismus der Gesellschaft wieder und der folgenreiche Siegeszug des bunten Bildes über das Wort beginnt. Diese eineinhalb Dekaden sind von einem Bullen-Markt (steigende Kurse = Optimismus) geprägt und nach der These von Rethfeld und Singer braucht diese von Selbstvertrauen geprägte Ära keine auffällige Farbigkeit. Medien und Konsumartikel werden zwar bunter, in der Architektur herrscht jedoch der Schwarz- Weiß- Kontrast vor. 1992 endet diese euphorische Epoche, obwohl der Kalte Krieg offiziell beigelegt wird. Die Globalisierung - und damit eine neue, neoliberal interpretierte Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen (Beck: 'Weltrisikogesellschaft' [5]) - beginnt und ein Jahr später erfolgt der erste Bombenanschlag auf das World Trade Center. Zeitlich versetzt schließt sich seit 1999 ein Bären-Markt an und die Menschen bevorzugen wieder kräftige, helle Farben. Dieses Mal setzt sich der seit langem latent in der (Glas-)Architektur vorhandene Wunsch nach mehr Farbigkeit durch. Resümee: Gestaltung mit Farbglas ist im 20. Jahrhundert out. In der ersten Hälfte bringen weder Jugendstil noch Expressionismus Farbe in das moderne Bauen mit Glas, obwohl durch die kubistische und expressionistische Malerei eine große Farbenvielfalt entsteht. Während der Bauhausära gilt die Gestaltung mit Farbglas ebenfalls als obsolet, denn Farbglas wird mit historischen Sakralbauten in Beziehung gebracht. Die zweite Hälfte prägt der vom 'New Bauhaus' inspirierte Internationale Stil sowie die folgende Postmoderne, aus der eine Vielzahl von Stilrichtungen hervorgehen, die von der Betonung des Materials (Brutalismus) bis zur bunten Hervorhebung technischer Auf- und Einbauten (Hightech- Stil) reicht. Architektur & Farbe heute Traditionelle Gebäude und ihre Fassaden haben eine anthropomorphe Ausrichtung und weisen eine Dreiteiligkeit aus einem auf dem Gelände stehenden Sockel (=Fuß), den in die Höhe wachsenden Geschossen (=Körper) und einen Abschluss durch das in den Himmel ragende Dach (=Haupt) auf. Die Fassade ist deshalb eine konstruktive Notwendigkeit und wird durch ihre Tektonik selbst zum Raum [6]. Sichtbar wird dies in der alten europäischen Stadt, die überwiegend aus Häusern mit bis zu 6 Geschossen in unregelmäßigen Blöcken besteht. Hier sorgen die Tektonik der Häuser, die Materialen sowie eine wechselhafte natürliche Belichtung für genügend Sinnesreize, so dass eine bunte Beleuchtung oder der Einsatz von viel farbigem Glas nicht notwendig ist. Erst die modernen Hochhäuser mit Stahlskelett und dünner Glashaut geben den menschlichen Maßstab zugunsten einer einzigen geometrischen Primärform - dem senkrecht aufgestellten Rechteck - auf [7]. Dieser bedeutendste Umbruch in der neueren Baugeschichte führt zum Verlust der Fassadentektonik und des Dialogs mit dem umgebenden Stadtraum Ohne Fassadenschichtungen ist das konstruktive Wesen eines Gebäudes nicht länger lesbar und ohne Vor- und Rücksprünge u.v.m. bieten sich dem Auge des Betrachters kein Halt mehr. Die 'Neue Sachlichkeit', deren Triumph die Abschaffung der historischen Stilelemente ist, übersieht, dass die an Impressionen (Sinnesreizen) armen 'Kästen' das Publikum nicht überzeugen. Die Apologeten verkennen lange Zeit, dass glatte Gebäudehüllen zwar von der traditionellen Gestaltungsarbeit statischer Fassaden befreien, die neuen reizlosen Fronten aber die verloren gegangene Spannung nur durch ihre Dynamisierung überwinden können. An die Stelle der Bildungsarbeit tritt nun vielmehr eine Designtätigkeit, die auf bestimmte natürliche Lichtsituationen reagieren muss. Denn der neue Fassadentypus ist janusgesichtig, hat also zumindest ein Tages- und ein Nachtgesicht. Das macht den Einsatz z.B. (schaltbarer) farbiger Gläser für die Taggestaltung und changierenden farbigen Lichtes während der Nacht zur Notwendigkeit. Zwei parallel verlaufende Entwicklungen reagieren zurzeit auf diese Erfordernis: Zum einen nimmt langsam - aufgrund der bis vor kurzem hohen Preise für Beleuchtungssysteme und Energie - die Farbigkeit in den Städten durch Lichtmasterpläne (siehe z.B. Köln) infolge des immer härter werdenden Standortwettbewerbes zu. Zum anderen begreifen Architekten, Bauherren und Investoren langsam, dass in Zeiten immensen materiellen Reichtums institutioneller Organisationen ökonomisch begründeter Gestaltungsminimalismus die Menschen - die häufig auch Kunden sind - abschreckt. Zusätzlich fordert heute der medial ausgerichtete Zeitgeist einen hohen Wiedererkennungswert im Sinne des Corporate Identity (CI) und Corporate Design (CD). Die Architektenavantgarde antwortet darauf einerseits mit dem Bau kostspieliger Solitäre in einem gefälligen Hightech- Expressionismus. Diese Megatürme, die in organischer Form in den neuen Stadtteilen Shanghais, Abu Dabis, Moskaus und weiterer Städten entstehen, erhalten mehr Struktur, die nur dezent mit Farbe unterstützt werden muss. Andererseits entwickeln die Planer im Auftrag der Unternehmen aufgrund des Imagewettbewerbs Immobilien, die - wie von den Bauhauslehrern befürchtet - farbigen Arbeiter- und Konsumten- Kathedralen gleichen. Resümee: Städte und Bauwerke stehen im Wettbewerb und müssen zur Identifizierung für Marketingzwecke (Branding) einzigartige Wirkungen erzielen sowie Unternehmenskulturen und -designs im Rahmen des CI und CD kommunizieren. Der Zwang zur Gestaltung bei großen Glasflächen zur Vermeidung eintöniger Ansichten führt entweder zu einer prägnanten skulpturalen Formensprache oder einer neuen, bisweilen grellen Farbigkeit der Gebäude. Diese Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da, nachdem zuerst die Fassaden eine maximale Transparenz erreicht haben und sich zurzeit die Tragkonstruktionen immer weiter entmaterialisieren, nun das 'gebaute Nichts' durch eine fortlaufend ausgefeiltere Medien- und Farbgestaltung wieder sichtbar gemacht wird. Zusammenfassung und Ausblick Steht also nach der Gotik ein neues farbiges Zeitalter in der Glasarchitektur bevor? Die Gotik nutzt die zu ihrer Zeit neuen konstruktiven Möglichkeiten, bei denen mit Steinen Gewölbe und Bögen großer Spannweite entstehen, die durch Fenster mit farbigen Darstellungen auf Glas geschlossen werden. Es entstehen die ersten Medienfassaden, deren Standbilder Botschaften über viele Jahrhunderte zu den Menschen transportieren. Die Moderne nutzt heute neue Bautechniken, die mit Stahl- und Betonkonstruktionen Vorhangfassaden ermöglichen, die häufig als transparente Ganzglashüllen ausgeführt werden. Der Verlust von Impressionen bei modernen Fassaden führt zu einer dynamischen Farbgestaltung moderner Gebäude aus Glas. Das ist jedoch erst in einer Zeit notwendig, in der die Macht des Bildes als Botschaftsträger alles beherrschend wird und die Bedeutung der Ikonografie und des Marketings wächst. Die entstehen Medienfassaden mit ständig wechselnden Bildern führen tatsächlich ein neues farbiges Glaszeitalter herauf. Zur Umsetzung steht eine breite Palette an Systemen zur Verfügung, die in den Teilen 1 bis 3 beschrieben ist. Der Einsatz von Klarglas wird aufgrund seines Symbolwertes und wegen seiner besonderen Eignung für dynamische Inszenierung in Medienfassaden weiter steigen. Farbglas bleibt weniger gefragt, auch wenn es viele Möglichkeiten zur Gestaltung bietet (Abb. 6). Und ob insbesondere gezielte Lichtplanungen für Fassaden und Stadträume immer zielführend sind, muss im Einzelfall entschieden werden (Abb. 7). Insgesamt bieten sich aber rund um den Baustoff Glas ganz neue Chancen, die es zu nutzen gilt. Literatur: [1] Vgl. hierzu: Jung, Christine: Kunst im Fenster - Von der Antike bis zur Gegenwart. Serie in der GFF ab 06/2007. [2] Vgl.: Colguhoun, Alan: Die Fassade in ihren modernen Varianten. In: werk, bauen + wohnen, XX. Jg. (12/2005), S. 13 - 19. [3] Vgl.: Scharf, Armin: Rot, Gelb, Blau. In: db deutsche bauzeitung, XX. Jg. (4/1995), S. 96 - 98. [4] Vgl.: Rethfeld, Robert; Singer, Klaus: Weltsichten/ Weitsichten, 1. Aufl., München: Finanzbuch Verlag, 2004. [5] Vgl.: Beck, Ulrich: Individualisierung, Globalisierung und Politik - Eigenes Leben in einer entfesselten Welt. In: ARCH+ 158 (2001), S. 28 - 33. [6] Vgl.: Trentin, Luigi: Fassade als Darstellung. In: werk, bauen + wohnen, XX.Jg. (12/2005), S. 30 - 36. [7] Vgl.: Klotz, Heinrich: Geschichte der Architektur, München; New York: Prestel, 2. Aufl., 1995.