Energierückgewinnung in der Papierindustrie

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Dipl.-Ing. Holger Jung
Energierückgewinnung in der Papierindustrie
Übersicht
1.
Prozess der Papierherstellung
2.
Energiebedarf in der deutschen Papier- und Zellstoffindustrie
3.
Möglichkeiten der Energierückgewinnung in der Papierindustrie
4.
Pinch-Analyse und Prozesssimulation
5.
Beispiele für die Energierückgewinnung
5.1
Wärmerückgewinnung in der Trockenpartie
5.2
Optimierung Energiebedarf einer Zellstofffabrik
5.3
Reduzierung der Temperatur im Abwasser einer Kartonfabrik
5.4
Energierückgewinnung aus dem Abwasser - Biogasnutzung
6.
Weitergehende Verfahren zur Energierückgewinnung
Autoren:
Dipl.-Ing. Holger Jung
Dipl.-Ing. (FH) Achim Hutter
Anschrift der Autoren:
PTS
Heßstraße 134
80797 München
Tel.: 089-12146-131
Fax: 089-12146-36
Email: [email protected]
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1.
Prozess der Papierherstellung
Papier ist ein flächiger, im Wesentlichen aus Fasern meist pflanzlicher Herkunft
bestehender Werkstoff, der durch Entwässerung einer Faserstoffsuspension auf
einem Sieb gebildet wird. Der dabei entstehende Faserverbund wird durch
mechanischen Druck und mit Hilfe von Dampf weiter entwässert.
Der Papiererzeugungsprozess lässt sich in vier Hauptbereiche aufteilen:
Halbstofferzeugung (Zell-, Holz- oder Altpapierstoff), Stoffaufbereitung,
Papiermaschine und Veredelung (Abbildung 1).
Rohstoff
Holz/(Einjahrespflanzen)/Altpapier
Aufschluss- bzw.
Aufbereitungsverfahren
chemisch/thermisch/mechanisch
Halbstoff
Aufbereitungsverfahren
(suspendieren/sortieren/mahlen)
Additive
Fertig (Ganz-) Stoff
Produktionsverfahren
Papier/Pappe
Fertigprodukt
Veredelungs- und
Verarbeitungsverfahren
Abbildung 1 Verfahrensschritte der Papierherstellung
Primärfasern, wie Zellstoff und Holzstoff werden durch chemischen bzw.
mechanischen Aufschluss aus Holz und einjährigen Pflanzen gewonnen. Während
Holzstoff normalerweise am Standort der Papiermaschine erzeugt wird, wird
Zellstoff häufig in speziellen Zellstofffabriken erzeugt und in trockener Form an die
Papierfabriken geliefert. Sekundärfasern werden aus Altpapier gewonnen.
Stoffaufbereitung
Unter Stoffaufbereitung versteht man das Maschinenfertigmachen des Halbstoffes,
d. h. die Arbeitsgänge Suspendieren, Reinigen und Mahlen der Halbstoffe
(Faserstoffe). In der Stoffzentrale erfolgt je nach produzierter Papiersorte die
Mischung der verschiedenen Rohstoffe. Hier werden auch Füll- und Hilfsstoffe
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zugegeben, die der Verbesserung der Papierqualität und der Erhöhung der
Produktivität dienen. Das Ergebnis ist der sogenannte Fertig- oder Ganzstoff.
Papiermaschine
Papiermaschinen sind anspruchsvolle technische Anlagen. Trotz ihrer konstruktiven
Vielfalt setzen sich alle Maschinen im Prinzip aus den gleichen Hauptelementen
zusammen: Stoffauflauf und Siebpartie, Pressenpartie, Trockenpartie und
Aufrollung (Abbildung 2). Die größten Papiermaschinen, die heute im Einsatz sind,
können eine Breite von über zehn Metern und eine Länge bis zu 120 Metern haben.
Pro Minute produzieren sie bis zu 2.000 Meter Papier.
Abbildung 2 Schematische Darstellung einer Papiermaschine [1]
Stoffauflauf und Siebpartie
Im Verhältnis 1:100 mit Wasser verdünnt, werden die Faserstoffe zusammen mit
Hilfsstoffen (chemische Additive) auf die Papiermaschine aufgebracht. Der
Stoffauflauf der Papiermaschine hat die Aufgabe die Faserstoff-Wasser-Suspension
gleichmäßig auf die gesamte Breite der Papiermaschine zu verteilen. Auf dem Sieb
lagern sich die Fasern neben- und aufeinander ab. Das endlose Blatt wird durch
einen Filtrationsvorgang gebildet, das Wasser läuft durch das Sieb hindurch bzw.
wird mit Hilfe von Vakuumaggregaten abgesaugt. Die Blattbildung ist
abgeschlossen, wenn die Entwässerung soweit fortgeschritten ist, dass sich die
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Fasern in der Stoffsuspension nicht mehr frei bewegen können. Am Ende der
Siebpartie enthält die Papierbahn immer noch ca. 80 % Wasser.
Pressenpartie
In der Pressenpartie wird die Papierbahn durch mechanischen Druck weiter
entwässert. Dabei wird die Papierbahn mittels eines saugfähigen endlosen
umlaufenden Filztuches zwischen Walzen hindurchgeführt. Der Pressvorgang
verdichtet das Papiergefüge, die Festigkeit erhöht sich und die Oberflächengüte
wird entscheidend beeinflusst. Auch aus energetischer Sicht kommt der
mechanischen Entwässerung große Bedeutung zu, da eine Steigerung des
Trockengehaltes um einen Prozentpunkt eine Einsparung an thermischer Energie in
der Trockenpartie von bis zu 4 % zulässt. Heutzutage sind Trockengehalte nach der
Pressenpartie von über 50 % erreichbar.
Trockenpartie
Im Anschluss an die Pressenpartie gelangt die Papierbahn in die Trockenpartie.
Diese ist in der Regel das längste Bauteil einer Papiermaschine. Slalomartig
durchläuft die Papierbahn bis zu 100 dampfbeheizte Trockenzylinder. Das
verbliebene Restwasser wird in der Trockenpartie aus dem Papier verdampft. Der
entstandene Wasserdampf wird aus der geschlossenen Trockenhaube abgesaugt
und in eine Wärmerückgewinnungsanlage geführt.
Ein Teil der Papiermaschinen besitzt im Anschluss an die Trockenpartie ein
Glättwerk (bestehend aus mehreren Walzen), um die nahezu trockene Papierbahn
zu verdichten und zu glätten. Die fertige Papierbahn mit einer Restfeuchte von etwa
5-8 % wird auf einem Tambour aufgewickelt.
Veredelung
Die unterschiedlichen Ansprüche, die vom Endverbraucher und von der
weiterverarbeitenden Industrie gestellt werden, erfordern oft eine Veredelung des
Papiers. Ein wichtiges Verfahren zur Veredelung ist das Streichen. Hierbei wird eine
Streichfarbe bestehend aus Pigmenten und Bindemitteln auf das Rohpapier
aufgetragen. Durch den Strich wird eine geschlossene und gut bedruckbare
Oberfläche erzielt. Eine nachträgliche Glättung der Papieroberfläche lässt sich
durch das Satinieren der Papierbahn in einem Kalander erreichen. Dabei läuft das
Papier unter Druck durch mehrere beheizte Walzen. Dies verleiht dem Papier Glätte
und Glanz und macht es noch besser bedruckbar (Abbildung 3).
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Abbildung 3 Veredelung von Papier – Streichen und Glätten [1]
2.
Energiebedarf in der deutschen Papier- und Zellstoffindustrie
Die Papier- und Zellstoffindustrie gehört in Deutschland zu den fünf größten
industriellen Energieverbrauchern. Bezogen auf die Herstellungskosten beträgt der
Anteil der Energiekosten im Mittel etwa 12 % [2]. Vor dem Hintergrund von
Klimaschutz und Wettbewerbsdruck gewinnen die effiziente Energienutzung und
der rationelle Umgang mit Ressourcen zunehmend an Bedeutung.
Die Papierindustrie ist daher seit Jahren bestrebt, den Energieeinsatz zu verringern.
So wuchs seit 1990 der absolute Energiebedarf lediglich um 58 %, während im
gleichen Zeitraum die Produktionsmengen an Papier, Karton und Pappe um 87 %
zunahmen. Dies zeigt sich in der Entwicklung des spezifischen Energiebedarfs
(Abbildung 4). Der spezifische Energiebedarf, d. h. die zur Produktion einer Tonne
Papier, Karton und Pappe benötigte Energie, sank von 8.242 kWh/t im Jahr 1955
auf 2.891 kWh/t im Jahr 2008. Allerdings ging die Senkung des spezifischen
Energiebedarfs in den letzten Jahren nur noch in kleineren Schritten voran.
Wie Abbildung 4 zu entnehmen ist, beruht diese Abnahme im Wesentlichen auf der
Reduktion des spezifischen Wärmebedarfs. Dafür sind im Wesentlichen folgende
Faktoren verantwortlich:
o Verstärkter Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung in den industrieeigenen
Kraftwerken
o Ausbau von Wärmerückgewinnungsanlagen
o Verbesserung der mechanischen Entwässerung in der Pressenpartie durch
den Einsatz neuer Aggregate
o Einsatz von Aggregaten mit höheren Wirkungsgraden
Seite 6
o
o
Zunehmende Substitution der energieintensiven Holzstofferzeugung durch
Altpapiereinsatz
Verstärkter Füllstoff- und Pigmenteinsatz bei grafischen Papieren
Spezifischer Energiebedarf / kWh/t
8.000
Strom
Wärme
7.000
6.000
5.000
4.000
3.000
2.000
1.000
0
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Abbildung 4 Entwicklung des spezifischen Energiebedarfs in der deutschen Papierund Zellstoffindustrie [3]
Abbildung 5 zeigt eine typische Verteilung des gesamten Energiebedarfs auf die
Subsysteme bei einer Produktionsanlage zur Herstellung holzfreier Druckpapiere.
Der Anteil des Wärmebedarfs am gesamten Energiebedarf ist dabei stark abhängig
vom produzierten Papier. Bei Druckpapieren beträgt der Anteil zwischen 70 und
75 %, während er bei Tissuemaschinen nur etwa 50 % beträgt [4].
Pulper
Mahlung
Wasserkreislauf
Pressenpartie und Vakuum
Trocknung
Ausrüstung
Hilfsbetriebe (ARA, Druckluft)
Abbildung 5 Verteilung des Energiebedarfs auf Subsysteme der Papierherstellung
[5]
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3.
Möglichkeiten der Energierückgewinnung in der Papierindustrie
Als energieintensiver Wirtschaftszweig emittiert die Papierindustrie – wie viele
andere Prozessindustrien auch – Niedertemperaturabwärme in hohem Maße.
Abbildung 6 zeigt beispielhaft Abwärmeströme einer Papierfabrik. Die Nutzung der
Abwärmeströme (Wärmeintegrationsmaßnahmen) ermöglicht eine Reduzierung des
Energiebedarfs. Dies kann durch direkte Energieeinsparungen – zum Beispiel durch
Eliminierung von dampfbetriebenen Heizungen – und durch indirekte Einsparungen
wie
Dampfeinsparungen
in
der
Trockenpartie
aufgrund
höherer
Prozesstemperaturen erreicht werden.
Trockenhaube
1000 kWh/t
Strom
900 kWh/t
Abstrahlung und Konvektion
800 kWh/t
Abwasser
300 kWh/t
Dampf
Produktion
ARA
1200 kWh/t
Zahlenangaben beispielhaft, Bezugsgröße: Produktionsmenge
Abbildung 6 Beispielhafte Abwärmeströme einer Papierfabrik
Da die Temperaturen der Produktionsprozesse in der Papiererzeugung im
Vergleich zu anderen industriellen Prozessen relativ niedrig sind, entsteht auch
Abwärme auf einem vergleichbar niedrigen Temperaturniveau (Abbildung 7).
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Temperatur in °C
Abbildung 7: Temperaturniveaus und Mengen industrieller Abwärme in Deutschland
[6]
Eine wirtschaftliche Abwärmenutzung bedarf einer sorgfältigen Analyse, um eine
optimale Ausbeute zu gewährleisten. Die folgende Aufstellung gibt einen Überblick
über die typischen Abwärmequellen und deren Temperaturniveaus.
Tabelle 1: Temperaturniveaus
Papierproduktion [7]
von
typischen
Abwärmestrom
Abwärmeströmen
Temperaturbereich
Abwasser Papiermaschine
20 - 40 °C
Abwasser Stoffaufbereitung mit Deinking
40 - 60 °C
Abwasser Stoffaufbereitung ohne Deinking
30 - 50 °C
Abwasser Schleiferei/TMP-Anlage
60 - 70 °C
Abluft Produktionshalle
30 - 40 °C
Abluft Vakuumpumpen
40 - 50 °C
Abluft Vakuumgebläse
130 - 160 °C
Abluft Trockenpartie Papiermaschine
60 - 80 °C
Abluft Trockenpartie Streichmaschine
100 - 140 °C
aus
der
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Aufgrund des niedrigen Temperaturniveaus in der Papierindustrie ist in erster Linie
eine optimale Wärmeintegration im Prozess anzustreben. Die Nutzung zur
Stromerzeugung aus Abwärme ist aus heutiger Sicht nur selten möglich.
Niedertemperaturabwärme kann prinzipiell mittels drei Arten von Wärmetausch
verfügbar gemacht werden:
o Wärmetausch Wasser gegen Wasser
o Wärmetausch Wasser gegen Luft
o Einsatz von Wärmepumpen und Kältemaschinen zur Aufwertung von
Abwärmeströmen für interne und externe Nutzung
Damit sind drei grundlegende Möglichkeiten der Niedertemperaturabwärmenutzung
denkbar:
o Nutzung zur Einsparung von Prozessdampf
o Externe Nutzung
o Nutzung zur Erzeugung von Kälte
Sind Angebot und Bedarf von Niedertemperaturabwärme zeitlich nicht
deckungsgleich, bieten sich Wärmespeicher an. Der Verlauf von Wärmeabgabe,
Wärmebedarf und die zu erwartenden Speichertemperaturen müssen im Vorfeld
abgeschätzt werden.
In Abbildung 8 werden die grundsätzlichen Möglichkeiten der Nutzung von
Niedertemperaturabwärme dargestellt.
Es zeigt sich, dass die Nutzung der Wärme aus dem Wasserkreislauf von
Deinkinganlagen (DIP), der Einsatz von überschüssiger Wärme zur internen
Heizung von Lager- und Büroräumen sowie zur externen Heizung z. B. eines
Schwimmbades von eher nachrangiger Bedeutung ist. Attraktiv für die Nutzung von
Abwärme ist deren Einbindung in das Wassersystem (Frischwasser und
Siebwasser). Ökonomisch vorteilhaft sind hier vor allem die Wärme des Filtrats der
Schleiferei und die Abluft der Trockenpartie. Wegen des hohen zu tauschenden
Wärmeinhalts ist das Abwasser eine interessante Wärmequelle für den WasserWasser-Wärmetausch, jedoch hängt die Wirtschaftlichkeit stark von der Entfernung
zur passenden Wärmesenke ab. Die Nutzung der Wärme aus dem Wasserkreislauf
von Deinkinganlagen (DIP) und von Filtrat der Schleiferei ist selbstverständlich nur
möglich, wenn der entsprechende Anlagenteil vorhanden ist.
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Wasser
Konzeptvarianten
- Matrix -
extern
intern
Wasser
Wärme
Abwasser
Wärme
Kreislauf DIP
Luft
Wärme
Filtrat
Schleiferei
Wärme
Trockenpartie
Wärme
Pressenpartie
Aufwärmung
Frischwasser
Aufheizung
Siebwasser
Kühlung
Warte, EDV,
etc.
Heizung
Büro-/
Lagerräume
Heizung
Schwimmbad
Fernwärme
Abbildung 8 Möglichkeiten der Nutzung von Niedertemperaturabwärme unter
Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Wärmemenge (unteres Dreieck)
und der Wirtschaftlichkeit (oberes Dreieck): schwarz = hoch; grau = mittel; weiß =
gering [8]
Zusammenfassend lässt sich sagen:
o Die lokale wärmetechnische Verbindung von Wärmequellen und –senken
ergibt in der Regel eine hohe Wirtschaftlichkeit. Der investive Aufwand steigt
mit zunehmender Entfernung von Quelle und Senke stark an und ist von
Standort zu Standort verschieden.
o Die Wirtschaftlichkeit einer externen Nutzung ist in hohem Maße von den
gegebenen Randbedingungen abhängig, z. B. der Entfernung zu Abnehmern
wie Hallenbädern oder der Existenz von Fernwärmenetzen.
o Kühlbedarf besteht an vielen über den Standort verteilten Stellen und wird
vorwiegend mit Wasser abgedeckt. Weitergehender Kühlbedarf besteht
häufig nur für Messwarten und Schalträume. Die Erzeugung von Kälte aus
Abwärme ist daher fallweise zu prüfen und häufig unattraktiv.
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4.
Pinch-Analyse und Prozesssimulation
Pinch-Analyse und Prozesssimulation sind hilfreiche Werkzeuge bei der
Optimierung des Energiebedarfs. Die Pinch-Analyse gehört zu den wichtigsten
Werkzeugen der Prozessintegration in allen Branchen der verfahrenstechnischen
Industrie. Das grundlegende Ziel der Pinch-Analyse ist es, den Wärmebedarf eines
Prozesses durch nutzbare Abwärme möglichst gut zu bedienen. Die Eignung der
einzelnen Abwärmeströme ist dabei bedingt durch die jeweilige Temperatur. Die
Pinch-Analyse stellt somit eine gute Möglichkeit dar, Ansatzpunkte für Optimierung
des Wärmehaushalts von Papierfabriken zu identifizieren. Ein wesentlicher Schritt
bei der Pinch-Analyse ist die Erstellung der sogenannten Composite Curves im
Temperatur-Enthalpie-Diagramm. Diese stellen Summenkurven der kalten und
warmen Ströme dar. Der Bereich in dem sich die Composite Curves überlappen
stellt die maximale Wärmemenge dar, die bei optimaler Auslegung wieder
gewonnen werden kann. Die darunter bzw. darüber liegenden Bereiche stellen den
unter optimalen Bedingungen minimal erforderlichen Heizmittel- und
Kühlmittelbedarf dar.
Die Prozesssimulation hat als Werkzeug zur Prozessoptimierung in der
Papierindustrie in den letzten Jahren Akzeptanz gewonnen, findet jedoch im
Vergleich zu anderen Industriesparten immer noch relativ wenig Anwendung. Als
geeignetes Simulationswerkzeug für die Papierindustrie hat sich die
objektorientierte Simulation erwiesen. Um die Auswirkungen von Maßnahmen zur
Optimierung des Wärmehaushalts und hinsichtlich Temperaturführung und
Energiebedarf zu quantifizieren eignen sich Simulationsmodelle, in denen die Stoff-,
Wasser- und Wärmebilanzen realitätsnah simuliert werden können.
5.
Beispiele für die Energierückgewinnung
5.1 Wärmerückgewinnung in der Trockenpartie
Bei der Papiererzeugung wird in der Trocknung der weitaus größte Energieanteil
benötigt. Meist erfolgt die Trocknung mit Dampf. Bei ungestrichenen Papieren kann
der Anteil des Dampfbedarfs für die Trockenzylinder mehr als 80 % betragen. Der
Dampfbedarf für die Lufttechnik zur Luftvorwärmung liegt in der Regel bei nur 5 bis
10 %. Dennoch lohnt auch eine Betrachtung der Lufttechnik, da die in den
Trockenzylindern abgegebene Wärme nahezu vollständig mit der Haubenabluft
abgeführt wird. Aus energetischer Sicht besteht also eine wesentliche Aufgabe bei
der lufttechnischen Optimierung darin, die zur Trocknung eingesetzte Energie
möglichst weitgehend im Prozess zu halten.
Die Wärmeabgabe des Dampfes erfolgt bei Drücken in der Größenordnung von 200
bis 70 kPa. Dem entsprechen Kondensationstemperaturen von 120 bis 90 °C. Die
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abgegebene Wärme ist zum größten Teil als latente Wärme im verdampften
Wasser enthalten und trägt mit etwa 75 % zur Enthalpie der Haubenabluft bei. Die
Partialdrücke von Wasserdampf in der Haubenabluft liegen bei etwa 13 bis 22 kPa,
so dass sich Taupunkttemperaturen von lediglich 50 bis 62 °C ergeben. Dieser
Effekt führt dazu, dass die Rückgewinnung der Wärme bei einem erheblich
niedrigeren Temperaturniveau erfolgen muss als die ursprüngliche Wärmeabgabe.
Daraus ergeben sich zwei Folgerungen:
o Um möglichst viel Wärme im Prozess zu halten, muss der Wasseranteil der
Haubenabluft in Wärmerückgewinnungsanlagen kondensiert werden.
o Um Wärme auf möglichst hohem und damit wertvollem Temperaturniveau
zurück zu gewinnen, muss der Luftanteil möglichst gering sein. Das führt zu
hohen Taupunkttemperaturen in der Abluft.
Die Vorwärmung der Haubenzuluft ist eine naheliegende Abwärmenutzung, die in
der Regel bei allen Wärmerückgewinnungsanlagen installiert ist. Da Luft-LuftWärmetauscher einen schlechteren Wärmeübergang haben als Luft-WasserWärmetauscher, ist es sinnvoll, ab einer bestimmten Temperatur die Wärme in
Wasser zu übertragen. Abbildung 9 zeigt beispielhaft eine dreistufige
Wärmerückgewinnungsanlage
in
der
Abluft
der
Trockenpartie
einer
Papiermaschine.
Abluft
Trockenpartie
Luft / Heizwasser
30°C=>50°C
Luft / Siebwasser
SWBehälter
Zuluft
Trockenpartie
D
K
z.B. 50°C=>53°C
Luft / Luft
Abbildung 9
Abwärmenutzung
Wärmerückgewinnung [9]
aus
der
Trockenpartie:
Dreistufige
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Einen weiteren Ansatz zur Vorwärmung der Haubenzuluft stellt die Nutzung der
Abwärme von Vakuumgebläsen (mehrstufige Radialventilatoren) anstelle von
Dampfregistern dar. Bei Vakuumgebläsen liegen Temperaturen von circa 140 °C
und sehr niedrige relative Feuchten vor.
Temperatur / °C
5.2 Optimierung Energiebedarf einer Zellstofffabrik
Abbildung 10 zeigt die Composite Curves der kalten und heißen Ströme einer von
PTS untersuchten Zellstofffabrik. Der Überlappungsbereich der Composite Curves
entspricht der maximalen Wärmemenge, die bei thermodynamisch optimaler
Auslegung wieder gewonnen werden könnte. Die darunter bzw. darüber liegenden
Bereiche zeigen den unter optimalen Bedingungen minimal erforderlichen
Heizmittel- und Kühlmittelbedarf. Als Ergebnis der Pinch-Analyse wurden folgende
theoretische Ansatzpunkte für eine Optimierung des Energiebedarfs ermittelt:
o Externe Wärmezufuhr unterhalb des Pinch-Punktes (zur Hackschnitzelvorwärmung)
o Installierte Wärmetauscher tauschen Wärme zum Teil über den Pinch-Punkt
hinweg.
o Nicht alle Abwärmequellen für Wärmerückgewinnung genutzt.
o Ein Teil der Wärmequellen wird nicht ganzjährig genutzt.
Cold Composite Curve
Hot Composite Curve
Enthalpie / kW
Abbildung 10 Composite Curves Zellstofffabrik
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Die Theorie der Pinch-Analyse geht davon aus, dass alle heißen und kalten Ströme
miteinander kombiniert werden können. Dies ist jedoch technologisch und
wirtschaftlich nicht immer sinnvoll. Somit lässt sich dieses Potenzial in der Regel
nicht voll ausschöpfen (Abbildung 11). Zur Optimierung des Energiebedarfs wurden
insgesamt 21 Maßnahmen vorgeschlagen. Diese beinhalteten unter anderem:
Ganzjährige Nutzung der vorhandenen Abwärmequellen, Ausnutzung weiterer
Abwärmequellen, Reduzierung der über den Pinch-Punkt getauschten
Wärmemenge. Durch diese Optimierung der Abwärmenutzung können 10 % des
Wärmebedarfs mittelfristig wirtschaftlich realisierbar eingespart werden.
Gesamter Wärmebedarf
Minimaler
theoretischer
Wärmebedarf nach
Pinch Analyse
Abbildung 11
Derzeit nicht
wirtschaftlich
nutzbar
10% Einsparungen
mittelfris tig
wirtschaftlich
realisierbar durch
Abwärm enutzung
Wirtschaftlich realisierbares Einsparpotenzial
5.3 Reduzierung der Temperatur im Abwasser einer Kartonfabrik
Zur Reduzierung der Temperatur im Abwasser gibt es prinzipiell vier
Handlungsoptionen.
o Reduzierung des Energieeintrags in Prozess und Abwasser
o Separation der Wärmeeinträge von Nebenanlagen von Prozess und
Abwasser
o Verbesserung des Wärmehaushaltes durch integrierte Prozessoptimierung
o Kühlung des Abwassers durch Installation eines Kühlturmes
Abbildung 12 fasst die jeweiligen Vor- und Nachteile der Optionen für eine
Abwasserkühlung zusammen.
K
rü api
ck ta
flu lss
G
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iss ch
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In
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Seite 15
W
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1 Abwasserkühlturm
2 Separation d.
Kühlung von
Nebenanlagen
3 Wärmetausch
AW FW
4 Wärmepumpe
Abbildung 12 Vor- und Nachteile verschiedener Optionen zur Abwasserkühlung
Im Fall einer Altpapier verarbeitenden Fabrik zur Herstellung von
Faltschachtelkarton waren die Projektziele wie folgt: Reduzierung der
Abwassertemperatur und Wärmefracht in den Vorfluter. Aufgrund der Lage der
Fabrik in einem Erholungsgebiet wurde die Option Kühlturm von Vornherein
ausgeschlossen. Basierend auf einer Simulationsstudie wurde eine integrierte
Lösung zur Optimierung des Wärmehaushalts vorgeschlagen: Kühlung des
Rohabwassers mit Prozessfrischwasser (Abbildung 13). Dies hat zur Folge, dass
einerseits die Abwassertemperatur nach Wärmetausch sinkt und andererseits die
Temperatur im Prozess steigt. Damit erhöht sich der Wärmeaustrag aus dem
System durch Konvektion und Abstrahlung. Scheinbar widersprüchliche
Zielstellungen, wie die Erhöhung der Prozesstemperatur bei gleichzeitiger Senkung
der Abwassertemperatur können somit durch eine Optimierung des
Wärmehaushaltes erreicht werden.
Seite 16
Wasserverteilung
∆T
+ 20 °C
KW
STA KM2
STA KM3
∆T
+ 10 °C
KM2
Ölkühler
Hiko und
Luftkühler
KM3
4750 kW
Karton
Vorfluter
Kühler KM3
∆T
- 3 °C
Karton
ARA
Abbildung 13 Vorschlag für den Einbau eines Wärmetauschers zwischen Abwasser
und Frischwasser
Nach Installation des Wärmetauschers konnte eine deutliche Erhöhung der
Prozesstemperatur sowie eine deutliche Reduzierung der Abwassertemperatur
beobachtet werden. Damit konnte eine Einhaltung des Einleite-TemperaturGrenzwertes sowie eine Reduzierung der Wärmefracht in den Vorfluter erzielt
werden. Nachteil des Konzeptes war jedoch, dass ein separates Kaltwassernetz für
Kühler der Papiermaschinen erforderlich wurde.
5.4 Energierückgewinnung aus dem Abwasser - Biogasnutzung
Bei der anaeroben Reinigung von Abwässern aus der Papierproduktion wird ein
methanhaltiges Gas frei. Dieses entsteht als Stoffwechselprodukt bei der
Umsetzung von Substanzen aus dem Abwasser durch in den Reaktoren enthaltene
Mikroorganismen. Eine anaerobe Abwassereinigung ist grundsätzlich bei hoch
belasteten Abwässern oder hoch belasteten Teilströmen möglich, was vor allem bei
Werken mit hohem Altpapiereinsatz oder integrierter Holzstofferzeugung der Fall
ist. Dabei entstehen etwa 0,35 Nm³ Gas pro kg abgebautem CSB. Das Gas besteht
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aus ca. 70 – 80 % Methan und 20-30 % Kohlendioxid sowie geringeren Anteilen von
Schwefelwasserstoff von < 1 % [10]. Je nach Anwendungsfall muss das Biogas
entschwefelt werden.
Abbildung 14 zeigt mögliche Verwertungsmöglichkeiten von Biogas. Beim Einsatz in
Gaskesseln und Blockheizkraftwerken ist im Allgemeinen neben der
Feststoffabtrennung eine Entschwefelung und Entfeuchtung des Biogases
notwendig. Bei einer Verwertung in Brennstoffzellen oder einer Netzeinspeisung
sind die an das Biogas gestellten Qualitätsanforderungen entsprechend dem
Verwertungsweg sehr viel differenzierter. So ist für den Einsatz in ein
Brennstoffzellenmodul das Biogas aufzubereiten und, bis auf Spuren, von Schwefel,
Halogenen und Siloxanen zu reinigen. Für die Einspeisung ins Erdgasnetz ist
neben einer Entschwefelung das Biogas weitestgehend zu entfeuchten und das
enthaltende CO2 zu entfernen.
Eine Verstromung des Biogases in einem Blockheizkraftwerk bietet Vorteile
aufgrund der Einspeiseregelung für Strom aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
kurz EEG. Die rein thermische Nutzung (z. B. Mitverbrennung im vorhandenen
Dampferzeuger) bietet die Möglichkeit zur Substitution von fossilen Brennstoffen
und Generierung von CO2-Zertifikaten.
BIOGAS
Entschwefelung
Gasheizkessel
Wärme
Gasaufbereitung
BHKW
Wärme
Strom
Reformierung
Kompression
Brennstoffzelle
Drucklagerung
Wärme
Strom
Treibstoff /
Erdgasnetz
Abbildung 14 Prinzipielle Möglichkeiten zur Nutzung von Biogas [11]
4.
Weitergehende Verfahren zur Energierückgewinnung
Heute in der Papierindustrie noch nicht oder nur sehr vereinzelt angewandte
Verfahren zur Abwärmenutzung sind:
Seite 18
o
o
o
Einsatz von Wärmepumpen zur Erhöhung des Abwärmetemperaturniveaus
Einsatz von thermischen Kältemaschinen
Stromerzeugung aus Abwärme
Wärmepumpe
Mit Hilfe von Wärmepumpen kann Prozessabwärme durch Erhöhung des
Temperaturniveaus aufgewertet und damit für andere Prozessschritte nutzbar
gemacht werden. Dazu wird jedoch Antriebsenergie benötigt die motorisch, durch
Primärenergie oder durch die Nutzung von heißen Abwärmeströmen bereitgestellt
werden kann. Wärmepumpen können beispielsweise für die Raumheizung
eingesetzt werden. In der Textilindustrie wird als Wärmequelle das Dichtwasser von
Vakuumpumpen eingesetzt [12]. Im kommunalen Bereich existieren schon diverse
Anlagen
in
denen
Wärmepumpen
zur
Gebäudeheizung
und
Warmwassererzeugung unter Nutzung von Abwärme aus Abwasser eingesetzt
werden. Wärmepumpen konkurrieren in der Papierindustrie bisher wegen des
erreichbaren Temperaturniveaus für Heizwasser von 70 bis 80 °C mit vorhandenen
und direkter zugänglichen Wärmequellen.
Kältemaschinen
Der Einsatz von thermischen Kältemaschinen (Sorptionskältemaschinen oder
Dampfstrahlkältemaschinen) zur Kälteerzeugung aus Abwärme ist eine Alternative
zur klassischen Kälteversorgung und reduziert dadurch den Primärenergiebedarf.
Anwendungsfälle der Dampfstrahlkältetechnik in der Papier- und Zellstoffindustrie
finden sich zum Beispiel in [13]. Mit Abwärme betriebene Kältemaschinen scheitern
am dezentralen und oft geringen Kältebedarf sowie an den Investitionskosten.
Stromerzeugung aus Abwärme
Eine interessante Nutzungsvariante ist im Prinzip die Stromerzeugung aus
Abwärme, auch wenn es bislang noch keine großtechnischen Anlagen in der
Papierindustrie gibt. Stromerzeugung aus Abwärme bei niedrigen Temperaturen ist
grundsätzlich mittels des Organic Rankine Cycle (ORC) oder des Kalina-Prozesses
möglich. Hierbei handelt es sich um Anlagen, die nach dem Prinzip des ClausiusRankine Prozesses arbeiten, der auch als klassischer Dampfkraftprozess
(Dampfturbinenprozess) bekannt ist. Statt Wasser wird jedoch ein Arbeitsmedium
mit deutlich niedrigerem Siedepunkt verwendet und somit schon bei relativ niedriger
Temperatur der für Dampfturbinen benötigte Arbeitsdruck erzeugt.
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Seite 19
Literatur
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Götz, B.; Energieeffizienz als Wettbewerbsfaktor; In: Proceedings
„Kostenfaktor Energie in der Papierindustrie - Energiekonzepte für die
Branche“, Düsseldorf, 04.12.2008, www.ea-nrw.de; Zugriff: 01.02.2010
[3]
Verband Deutscher Papierfabriken e.V. (Hrsg.), Das Papier 2009 Ein
Leistungsbericht, VDP, Bonn, 2009
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Kuhasalo, A.; Niskanen, J.; Paltakari, J., Karlsson, M.; Introduction to paper
drying and principles and structure of a dryer section; In: Karlsson, M. (Hrsg.);
Papermaking Part 2, Drying; Fapet, Helsinki, 2000
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Papierfabriken; Allgemeine Papier-Rundschau, 2, 2008, 19-20
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Mauch, VDI Berichte 1296, VDI Verlag 1997, Wirtschaftliche Wärmenutzung
in Industrie und Gewerbe
[7]
Arbeitsgemeinschaft Branchenenergiekonzept Papier (Hrsg.);
Branchenleitfaden für die Papierindustrie - Ausgabe 2008; Duisburg, 2008
[8]
Bayer. Landesamt für Umweltschutz (Hrsg.); Klimaschutz durch effiziente
Energieverwendung in der Papierindustrie - Nutzung von
Niedertemperaturabwärme; Augsburg, 2003
[9]
Wittmann, R.; Neue Optionen und bewährte Lösungen zur Abwärmenutzung
aus der Trockenpartie im Wassersystem; In: Öller, H.-J.; Hutter, A. (Hrsg.);
PTS Wasser- und Umwelttechnik-Symposium, PTS Symposium WU 708,
München, 2007
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