Missionshaus St. Gabriel

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Maria Enzersdorfer
Kulturblätter
Geschichte und Geschichten werden lebendig
St. Gabriel
in den Jahren 1938 bis 1945
Folge 2/2007
Heft 4
M.E. Kulturblätter Folge 2/2007
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Der Autor
Hochschulprofessor P. Dr. Winfried Glade SVD
ist 1941 in Marburg an der Lahn geboren. Er besuchte ab 1953 das
Missionsgymnasium St. Xaver der Steyler Missionare in Bad Driburg.
Dort maturierte er 1961. Im gleichen Jahr trat er in St. Gabriel in das
Dr. Winfried Glade
Noviziat ein. 1967 wurde er in St. Augustin bei Bonn zum Priester geweiht. Anschließend machte er das Promotionsstudium in Trier, 1976
wurde er zum Dr. theol. promoviert. Ende 1975 übersiedelte er
endgültig nach St. Gabriel.
Seit 1977 ist er Prodekan der Theologischen Hochschule St. Gabriel
und lehrt die Fächer Liturgik und Sakramententheologie.
Er ist Archivar im Missionshaus.
Die Maria Enzersdorfer Kulturblätter basieren auf einer Idee von Gemeinderätin Anneliese Mlynek. Ihre Anregung wurde vom Kulturausschuss des Gemeinderates aufgenommen und durch das Kulturreferat der Marktgemeinde Maria Enzersdorf verwirklicht.
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Besetzung durch die neuen Machthaber
Abb. 1
Abb. 2a
Am 11. März 1938 zogen die deutschen Truppen in Österreich ein. Die NSDAP übernahm die Macht im Staat.
Am 12. März erschienen in St. Gabriel unter Führung eines SS-Mannes vier Autos. Zwei blockierten die Pforte,
die anderen fuhren hinter das Haus. Es waren ein Überfallomnibus und ein kleiner Lastwagen. Man wollte Waffen und „antifaschistische“ Drucksachen finden. Die
Hausbewohner wurden 2 Stunden in der Aula festgehalten, währenddessen durchsuchte man das Haus und die
Werkstätten. Man fand in der Schlosserei 13 alte Gewehre, die der Schlosserbruder hätte vernichten sollen.
In der Druckerei glaubte man verdächtiges Material gefunden zu haben. Der Betrieb wurde daraufhin für einige
Tage gesperrt. Der Rektor des Hauses – P. Alois Große-Kappenberg (Abb. 1)- meinte, dass die beanstandeten
Dinge am Vorabend noch nicht illegal gewesen seien.
Ihm wurde bedeutet, sie seien gegen die „rechte Gesinnung“.
Abb. 2b
Abb. 2c
St. Gabriel war in den dreißiger Jahren loyal gegenüber der Regierung. Bundespräsident Miklas, Bundeskanzler Dollfuß, Minister
und späterer Bundeskanzler Schuschnigg und der Wiener Bürgermeister Schmitz weilten oft in St. Gabriel. Wegen der 1000 RM
Sperre für die Einreise von deutschen Staatsbürgern nach Österreich
fanden 3 Priesterweihen in Nitra, Tschechien, jetzt Slowakei, statt.
1934 bezog das Bundesheer im Garten Stellung und schoss gegen die
Sozialisten in Neu-Mödling. Gedenktafeln in der Payergasse und F.
Buchbergergasse erinnern an diese Kämpfe und ihre Opfer (Abb. 2a,
2b, 2c).
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Totale Überwachung.
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Am Sonntag, 13. März, folgte eine zweite Durchsuchung
des Hauses, hauptsächlich durch SS-Leute. P. Rektor
wurde auf seinem Zimmer bewacht. Die Zimmer der Patres Wilhelm Schmidt (Abb. 3) – Ethnologe - und Peter
Schmitz – durch seine sozial-karitative Tätigkeit weiteren Kreisen bekannt – wurden genauer untersucht und
manches wurde mitgenommen. Allerdings hatten die
Patres scheinbar belastendes Material verbrannt. P.
Schmidt durfte „aus besonderen Gründen“ – es war wohl
der Einfluss des Papstes – im Hause bleiben, aber unter
Aufsicht. P. Schmitz wurde von der Polizei mitgenommen. Er wurde bald wieder entlassen. P. Johannes Thauren wollte die von den neuen Behörden zurückgehaltene
Post abholen und wurde verhaftet. Das gleiche passierte
Br. Emanuel, der telefonisch gewarnt hatte, in St. Gabriel
Post aufzugeben. Das Telefon wurde also überwacht, alle
Veröffentlichungen (z.B. Stadt Gottes, Jesusknabe, Michaelskalender, . . .) mussten der Zensur unterworfen
werden.
P. Wilhelm Koppers, Professor der Ethnologie an der
Universität Wien, wurde seiner Professur enthoben. Auf
seine Frage hin ließ man ihn wissen, dass er zu St. Gabriel
gehöre, das ja „Zentrum der legitimistischen Bewegung“
sei. Auch die Patres Wilhelm Schmidt und Johannes
Thauren (Abb. 4) – Missiologe - verloren die Erlaubnis,
Vorlesungen an der Universität Wien zu halten.
In der Umgebung schwirrten die wildesten Gerüchte umher, die Polizei habe bis zu 20 Maschinengewehre und
mehrere Lastwagen mit Schusswaffen gefunden und weggeführt. Diese Gerüchte ließen die Nazis bei jeder Klosterauflösung verbreiten, auch bei Frauenklöstern. Im
Religionsunterricht erzählten Kinder, im Tabernakel der
Kirche sei ein Geheimsender eingebaut.
P. Wilhelm Schmidt fuhr mit Kardinal Innitzer (Abb. 5)
nach Rom. Letzterer war zum Papst bestellt worden wegen seines „Heil Hitler“ im Brief an den „Führer“. Pater
Schmidt kehrte nicht mehr nach Österreich zurück. Die
1906 von P. Schmidt gegründete Zeitschrift "Anthropos"
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(Mensch) und der Unterricht in Ethnologie sollten den
angehenden Missionaren Rüstzeug für die völkerkundliche Arbeit geben.
Kaserne
Am 25. März 1938 belegte eine Kompanie des Panzerregimentes Nr. 3 (Abb. 6), das nach Mödling verlegt worden war, das Erdgeschoss des Südostbaues. Später
verlangten die Truppen weitere Räume. Die Panzer waren im Garten stationiert. Zeitweilig waren auch Landesschützen einquartiert. Das Militär schloss bis zur
Enteignung des Hauses im Jahre 1941 einen Mietvertrag
(Abb. 7). Die Panzersoldaten blieben weiter im Haus,
trotz des Krieges. Sie nahmen am Feldzug gegen Frankreich teil. Die Soldaten waren im Haus noch eher gern
gesehen als Gegenpol zur Partei.
Abb. 6
Abb. 7
Flüchtlingslager
Als sich 1938 die sudetendeutsche Frage zuspitzte, wurden zeitweise 200 Flüchtlinge in St. Gabriel in den Quartieren der Soldaten untergebracht. Sie blieben nicht
lange, dann zog wieder das Militär ein.
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Gefangenenlager
In einem Teil des Hauses war ein Kriegsgefangenenlager.
Hinter Stacheldraht sah man französische Gefangene.
Sie waren hungrig und schwach.
Klosterschließungen
Der vom Reichsleiter der SS, Heinrich Himmler, ausgelöste Klostersturm im Deutschen Reich verschonte natürlich auch die österreichischen Häuser der Gesellschaft
des Göttlichen Wortes nicht.
Im Sommer 1938 wurde das Privatgymnasium St. Rupert
– Bischofshofen – aufgehoben.
1939 wurde der ganze Besitz des Hauses beschlagnahmt
und eine nationalsozialistische Schule (Napola) eröffnet.
1940 wurde auch das Missionshaus St. Severin – Fürstenfeld – enteignet.
St. Gabriel besteht NOCH weiter
Das Leben in St. Gabriel ging zunächst weiter. Insgesamt
hatte das Haus ca. 600 Bewohner, davon waren 335 Studenten. 1938 wurden 32 Diakone zu Priestern
geweiht, ein Jahr später waren es 42 Kandidaten (Abb. 8). Der Ernst der Lage wurde klar, als
Mitte Mai 1939 30 Theologiestudenten zu
„kurzfristiger militärischer Ausbildung“ einberufen wurden (Abb. 9). Die auf dem Südost-Turm gehisste Fahne mit dem Hakenkreuz
erinnerte immer wieder an die drohenden Möglichkeiten (siehe Titelbild).
Abb. 8
Abb. 9
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Am 1. August 1938 hatte in St. Gabriel ein Oberernwechsel stattgefunden. Der bisherige Rektor Große-Kappenberg wurde Provinzial und der bisherige Provinzial
Geretzky wurde Rektor.
P. Heinrich Keck (Abb. 10) kommentierte: "Die Schächer wurden nicht vom Kreuz abgenommen, sie wurden
nur umgetauscht."
Am 1. September 1939 überfielen die deutschen Truppen Polen. Der Rektor (P. Josef Geretzky) berief alle
Hausbewohner in die Aula, machte die nötigen Mitteilungen und erteilte Weisungen. Am 15. September kam
die Nachricht vom ersten Verwundeten der eingezogenen Mitbrüder, am 14. 9. die erste Todesmeldung. Bald
hörte man von den ersten Opfern, die im KZ vergast wurden. Es waren polnische Mitbrüder, die z.T. in St. Gabriel
studiert hatten.
Abb. 10
Schiffe, mit denen Missionare unterwegs waren, mussten
heimkehren. Eine größere Anzahl von Mitbrüdern konnte jedoch noch über Moskau mit der Eisenbahn in ihre
Bestimmungsländer gelangen. Hitler und Stalin hatten ja
einen Pakt geschlossen.
1939 waren schon 65 Mitbrüder zum Militär einberufen,
sie blieben durch amtliche und persönliche Korrespondenz mit St. Gabriel verbunden. Das war schon im Ersten
Weltkrieg so geschehen. Der sich verstärkende Personalmangel machte es notwendig, dass - wie im Ersten Weltkrieg - die Steyler Missionsschwestern von Stockerau
Küche und Wäscherei übernahmen.
In der ersten Oktoberwoche 1939 wurde in bescheidenem Rahmen das Goldene Jubiläum von St. Gabriel gefeiert. Weltliche Behörden erschienen natürlich nicht zu
dieser Feier.
Zwei Festschriften wurden zu diesem Ereignis herausgegeben. 1940 wurden 24 und am Karsamstag 1941 noch
10 Priester geweiht.
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Abb. 11
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Im Dezember 1939 wurde die Kirche
von St. Gabriel von Kardinal Innitzer,
der sehr mit unserem Haus verbunden
war, zur Pfarrkirche erhoben (Abb. 11,
Kardinal Innitzer mit den Brüdern des
Hauses). Das geschah, um sie vor der
Profanierung zu schützen. Ihr wurde ein
Sprengel östlich der Südbahn von ca.
500 Gläubigen zugewiesen. Bald nach
dem Krieg wurde diese Maßnahme
rückgängig gemacht. Innitzer übergab
der SVD auch die Pfarre Obermarkersdorf (Weinviertel). Dort gab es ein großes Pfarrhaus, in dem vor allem ältere Brüder
unterkamen.
Jeder Hausbewohner erhielt im Jahre 1940 100 RM „Reisegeld“ und einen großen Holzkoffer. P. Johannes Kraus
schreibt in seinem Bericht "Die schwersten Jahre von St.
Gabriel": "Es kam mir vor als würde der eigene Sarg hereingetragen, der nur noch auf die Leiche wartet". Für die
älteren Brüder wurde eine Lebensversicherung abgeschlossen.
Es gelang, den Großteil der Spezialbibliothek des Anthropos-Institutes mit der Hilfe von bekannten Zollbeamten über Umwege in die Schweiz zu schaffen. Andere
Materialien versuchte man auszulagern, so z.B. 1500 Meter (schwarzen) Talarstoff ins Burgenland. Der verbrannte allerdings 1945, als die Russen kamen.
Aufhebung und Umzug
Am 2. Mai 1941 um 7 Uhr in der Früh erschien in St. Gabriel eine Abteilung der Gestapo, rund 60 Mann. P. Provinzial wurde mit dem Auto nach Wien gebracht, dort
verhört und davon in Kenntnis gesetzt, dass es keine
rechtlichen Möglichkeiten gegen die Maßnahmen gebe.
Die verschiedenen Gruppierungen des Hauses (Studenten, Brüder und Patres) wurden in Sälen untergebracht.
Der Anführer teilte mit: „Meine Herren, ich habe ihnen
zu eröffnen, dass das Kloster St. Gabriel mit dem heutigen Tag staatspolizeilich beschlagnahmt und geräumt
wird.“ Zum gleichen Zeitpunkt wurde übrigens auch das
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Stift Klosterneuburg aufgehoben.
Eine Notiz über die beiden Beschlagnahmungen erschien im „Völkischen Beobachter“ (Abb. 12).
Abb. 12
Abb. 13
Die Patres mussten am gleichen Tag
noch das Haus verlassen und im
Franziskanerkloster in Wien I. Wohnung nehmen. Betten mussten aus
St. Gabriel mitgebracht werden, da
das Franziskanerkloster nicht für so
viele Personen eingerichtet war. Privateigentum an Wäsche, Kleidung
und Büchern durfte unter Aufsicht
eingepackt werden (Abb. 13, hier
ein Bild von St. Augustin bei Bonn).
P. Provinzial Große-Kappenberg nahm Wohnung bei
den Schulschwestern in der Apostelgasse, Wien III. Hier
war in Folge der Anlaufpunkt aller Mitbrüder. Die Studenten konnten ihren Aufenthaltsort frei wählen. Sie
sammelten sich in der Folge in verschiedenen Häusern in
Wien, wo sie ihre Studien an der Universität fortsetzten.
Die Brüder mussten ihre bisherigen Tätigkeiten weiterführen; sie waren also praktisch zwangsverpflichtet.
Die angekündigte Einziehung des Hauses erfolgte am 5.
März 1942. Der Besitz St. Gabriels wurde der Stadt Wien
zugewiesen. In der Begründung heißt es: St. Gabriel habe
„volks- und staatsfeindlichen Zwecken“ gedient. Ein Protest der SVD-Soldaten blieb erfolglos. Zur Zeit der Aufhebung standen 279 Angehörige von St. Gabriel im
Wehrdienst, 4 davon waren bereits gefallen. Bis zum
Ende des Krieges waren 359 einberufen, davon 66
gefallen und 22 vermisst.
Schon 1940 waren Teile der Bibliothek ins Völkerkundemuseum verbracht worden. Mit der Enteignung des Hauses wurden alle Bücher in Holzkisten verpackt und in die
Nationalbibliothek geschafft. Deren Direktor Heigl wollte die ÖNB zur zweitgrößten Bibliothek im deutschen
Reich machen. Als er seine Hand auch auf die Bibliothek
des Stiftes Klosterneuburg legen wollte, kam ihm das
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Kunsthistorische Museum zuvor und gründete eine „Außenstelle“. Die Schaustücke des Museums von St. Gabriel landeten samt Vitrinen im Völkerkundemuseum.
Nach dem Krieg wurden die meisten Sachen wieder
rückgestellt.
Abb. 14
Abb. 15
Die Pfarre St. Gabriel hatte zwei Mitbrüder als Pfarrer
und Kaplan. Nach kaum 8 Tagen wurden die beiden ersten von der Gestapo vertrieben. P. Josef Loidl (Abb. 14)
wurde der neue Pfarrer, P. Stanislaus Marusczyk Kaplan.
Ihm gelang es überraschenderweise, das Institut der Sängerknaben vom Wienerwald aufrecht zu erhalten (s. Heft
3, S. 9). Er gründete auch einen gemischten Chor. Die
Aufzeichnungen von P. Marusczyk verweisen auf den hohen musikalischen Stand der Kirchenmusik in St. Gabriel. Das Haus neben
der Kirche diente als
Pfarrhaus (Abb. 15).
Es musste dafür, wie
für die Benutzung der
Kirche, Miete an die
Verwaltung gezahlt
werden. Im Jänner
1942 kamen zwei
Steyler Schwestern
und übernahmen die
Küche des Pfarrhauses
und den Dienst in der
Sakristei.
Bomben auf St. Gabriel
Abb. 16
Pfingsten 1944 wurden die Raffinerien in Vösendorf
bombardiert. Man baute die Krypta (Abb. 16) zum Luftschutzraum aus. Am 26. 7. 1944 gingen sieben schwere
amerikanische Fliegerbomben nördlich und südlich der
Kirche nieder. Alle Türen und Fenster des Langhauses
der Kirche wurden zerschmettert, das weitläufige Dach
an vielen Stellen aufgerissen. Es entstanden allerdings
keine ernsthaften Schäden.
Der Gottesdienst wurde in der nächsten Zeit im Hochchor gefeiert. In der Folgezeit kam es durch Bomben zu
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weiteren Schäden, u.a. wurde die Notverglasung wieder
eingedrückt .
Fremdnutzung
Abb. 17
Abb. 18
Die Machthaber hatten mit der Aufhebung des Hauses
die klösterliche Gemeinschaft treffen und zersprengen
wollen. Was mit dem Gebäude geschehen solle, hatte
man wohl nicht bedacht. Es meldeten sich viele Organisationen, die sich für das Objekt interessierten. Eines Tages hing an der Mauersäule des Haupteingangs ein Schild
„Heeresunteroffiziersschule“. Im Haus begannen die
baulichen Veränderungen. An der Säule stand dann unten „Flugmotorenwerke Ostmark“ Auch war dort eine
zeitlang zu lesen: "Museum geschlossen. Buchhandlung
dann und dann geöffnet." Letzteres ist so wie manches in
dieser Zeit verwunderlich! Zuletzt blieb ein Schild übrig
“Werkheim Gabriel“ (Abb. 17).
Die Flugmotorenwerke Ostmark (FO) errichteten bei
Wiener Neudorf ein riesiges Rüstungswerk. Sie mieteten
sich im Großteil des Hauptgebäudes von St. Gabriel ein,
um Büroräume, einen Teil der Belegschaft und Siedlerfamilien aus dem Fabrikgelände unterzubringen. Einen
Teil des Gebäudes bewohnten die zwangsverpflichteten
Brüder von St. Gabriel. Die Innenräume des Hauses wurden großzügig und z.T. auch grobschlächtig für die neuen
Zwecke adaptiert. Im Laufe der Zeit errichtete die FO um
St. Gabriel ein großes Barackenlager (Abb. 18, Das Luftbild von 1956 zeigt die Lage der ehemaligen Baracken). Die 23 großen
Baracken hatten gemauerte Fußböden, Kanalisation samt Wasserleitung. Um die vielen Menschen
verpflegen zu können, wurde die Küche vergrößert. Auch vor der Küche
wurde eine Baracke errichtet. Es
wurden tausende von Mahlzeiten
zubereitet. 1943 brach über dem
Küchenbau ein Dachstuhlbrand aus.
Er konnte gelöscht werden, der
Dachstuhl wurde notdürftig geflickt.
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Hastiger Rückzug
Ostersonntag, 1. 4. 1945, merkten die Brüder eine starke
Bewegung in den Räumen der FO. Der Abtransport wurde vorbereitet, die Lehrlinge verließen das Haus. Am
Ostermontag überreichte der Verwalter des Hauses dem
Pfarrer alle Schlüssel des Hauses. Dieser rief die verbliebenen Brüder (15) zusammen, informierte sie über die
Lage und verteilte die Posten für die einzelnen. Das Verschwinden der FO hatte sich im Handumdrehen in der
Umgebung herumgesprochen. Leute aus den angrenzenden Orten und aus den Baracken kamen mit Karren und
Wagen, um das Lebensmittelmagazin (es lagerten z.B.
2.000 kg Reis) zu plündern. Auch sonst wurde im Haus
geplündert, was man nur mitnehmen konnte. Der Boden
der Räume war zehn Zentimeter hoch von Lebensmittelresten bedeckt. Die nächsten Tage waren hochdramatisch und tief tragisch. Die SS wollte St. Gabriel zu einer
Verteidigungsstellung gegen die russischen Truppen ausbauen, Artilleriegranaten schlugen ein, die Brüder und
die ca. 150 Zivilisten, die sich in die Krypta zurückgezogen hatten, sollten zwangsevakuiert werden, die beabsichtigte Sprengung des Hauses und ein letzter
Luftangriff! ......
Die Russen kommen
Das herbste Leid war der Tod des P. Rektor Josef Loidl
(Abb. 19). Er wurde von einem russischen Soldaten im
Treppenhaus erschossen. Am Tag darauf gingen 2 Brüder zum Franziskanerkloster im Ort,
um die Nachricht
vom Tod P. Loidls
mitzuteilen. Auf
dem
Heimweg
wurden sie erschossen.
Man
fand später ihre
Leichen (Abb.20).
Abb. 19
Abb. 20
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Der Mörder rühmte sich vor dem Mödlinger Spital: "Ich
habe gerade den Pfarrer von Mödling erschossen." Als er
ins Spital eindringen wollte, rief der Primarius die russische Militärpolizei zu Hilfe, die den russischen Soldaten
kurzerhand erschoss.
5 zurück verbliebene Angehörige der FO wurden ebenfalls im Haus erschossen. Mit den russischen Soldaten
kam auch über St. Gabriel der Gräuel der Nachkriegszeit.
Wie überall war nichts vor dem Zugriff der Soldaten sicher. Die beiden Schwestern, die im Pfarrhaus und in der
Sakristei mitarbeiteten, berichten, dass der Inhalt aller
Schränke der beiden Sakristeien (Messkleider und ähnliche Gewänder) auf dem Boden lag. Die Soldaten verrichteten ihre Notdurft gleich in den Räumen. Die Reliquien
hinter dem Hauptaltar wurden zum Teil zerschlagen.
Rückkehr und Neuanfang
Langsam kamen die Mitbrüder aus dem Exil heim. P. Johann Kraus hat nach dem Krieg seine Aufzeichnungen
als "Chronik der Verbannten" in die Maschine geschrieben. Es gibt auch andere Aufzeichnungen, so etwa den
"Bericht über die Ostertage 1945 in St. Gabriel" einer der
beiden genannten Schwestern. Das Haus wurde am 28.
August 1945 der Gesellschaft des Göttlichen Wortes
rückerstattet. Es dauerte lange, bis alles wieder den gewohnten Lauf nehmen konnte. Aus dem Nachhinein gesehen, ist nichts mehr geworden, wie es einmal war.
Am 5. Mai 1946 - nach fast genau fünf Jahren nach der
Vertreibung - veranstaltete St. Gabriel ein großes "Heimkehr-Fest". Die Hausgemeinschaft pilgerte zur Pfarrkirche in Maria Enzersdorf und zog von dort zurück nach St.
Gabriel. Zehntausend bis zwölftausend Gläubige zogen
mit, an der Spitze 2300 Jugendliche mit Bannern. Am
Kirchenportal empfing Kardinal Innitzer die Wallfahrer.
Hohe kirchliche und staatliche Würdenträger nahmen
an dieser Feier teil (Abb. 21).
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Abb. 21
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Quellenhinweis
Literatur:
H. Brunner SVD (Hrsg.), Festschrift, 100 Jahre Missionshaus St. Gabriel / 1889 - 1989, Verlag-St. Gabriel, 2340
Mödling, 1989.
J. Alt SVD, Die Geschichte des Missionshauses St. Gabriel der Gesellschaft des Göttlichen Wortes. Das erste
Jahrhundert 1889 - 1989, Mödling-St. Gabriel. 1990.
J. Kraus SVD, "Chronik der Verbannten" (Bericht).
Sr. Benedette Gottschalk SSpS, "Bericht über die Ostertage 1945 in St. Gabriel" (Bericht).
Bildnachweis:
Fotoarchiv St. Gabriel
Privatarchiv A. Mlynek
Kurt Janetschek - Ernst Schischma, Maria Enzersdorf,
Eine Geschichte in 108 Bildern, Mödling o.J.
Impressum: Medieninhaber, Herausgeber und Herstellung: Marktgemeinde Maria Enzersdorf,
Riemerschmidgasse 7, 2344 Maria Enzersdorf.
Layout: Kommunale Kommunikation KW OG, 2340 Mödling.
Die inhaltliche Verantwortung liegt bei den jeweiligen AutorInnen.
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