BARCELONA BERLIN BRÜNN

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BARCELONA BERLIN BRÜNN
J. JAENSCH & W. Kurtz
ENTWURFSORT, RAUM, MATERIAL
und STRUKTUR:
Drei exemplarische Bauten Ludwig Mies
van der Rohe s betrachtend, werden
verschiedene Gesichtspunkte, die für
Wahrnehmung und Gestaltung von Räumen
relevant zum Mittelpunkt .
Wir untersuchten neben dem Barcelona
Pavillon das zur selben Zeit entstandene
Haus Tugendhat in Brünn , sowie die
Berliner Neue Nationalgalerie .
1998
Der Ort für den entworfen wird, kann nie
„unschuldig“ an den Raumergebnissen sein.
Der Barcelona Pavillon scheint in vielerlei Hinsicht
fast wie eine konsequente Umsetzung seiner
Rahmenbedingungen in Raum. Mies van der Rohe
muß sich sehr intensiv mit dem Ort auseinandergesetzt haben. Er selbst erhandelte sich ja einen
anderen Standort, als die Ausstellungsleitung ihm
ursprünglich zugedachte.
Die Weltausstellung fand 1929 am Berg Montjuic
oberhalb der Altstadt von Barcelona statt. Das
Ausstellungsgelände wurde von dem spanischen
Architekten P. Catafalch kreuzförmig angelegt. An
einer großen Hauptachse gruppierten sich die
Pavillons der ausstellenden Länder. Eine breite
Straße führt über mehrere Treppenanlagen hinauf
zum Nationalpalast. Auf halber Höhe kreuzt eine
zweite Achse in Gestalt eines ebenen, querliegenden
Plateaus, an dessen Südseite die zwei großen
Austellungspaläste im Stil des Historismus erbaut
wurden.
An der westlichen Stirnseite der künstlich
nivellierten Nebenachse wählte Mies van der Rohe
seinen Standort für den Deutschen Pavillon. Der
Platz scheint auf den ersten Blick einige
Schwierigkeiten zu bergen:
Am äußersten Rand der Nebenachse gelegen, war er
etwas abgeschieden vom Hauptgeschehen. Hier war
das Ende der Ausstellung und gleichzeitig ein
Durchgang zum „spanischen Dorf“ (eine 1:1
Nachbildung eines alten spanischen Ensembles,
eine Hauptattraktion der Weltausstellung). Dazu
kommt die Hanglage des Bauplatzes, sowie die
kahle, monumentale Mauer des direkt angrenzenden
Ausstellungspalastes. Mies machte sich all diese
vermeintlich hinderlichen Rahmenbedingungen
zunutze, indem er sie in seinen Entwurf einbezog. Er
deutete auf Bezüge zum Um raum hin und stellte ein
Wechselspiel zwischen seinem Bau und der
Umgebung her. Sein Gebäude richtete er quer zur
Palastwand und damit auch quer zum Platz aus. Der
längliche Baukörper schließt so den Freiraum und
übernimmt die orthogonale Struktur, die vom
Grundstück bereits vorgegeben war.
Bewegt man sich über den langen Vorplatz auf den
Pavillon zu, so hat man Zeit, die einfache Ruhe auf
sich wirken zu lassen, die das niedrige, horizontale
Gebäude von Weitem ausstrahlt.
Die große Wand der Ausstellungshalle zeigt mit
ihren perspektivischen Fluchtlinien geradezu auf das
kleine Gebäude. Dieses steht so selbstverständlich
quer zum Platz, daß es sich von der ungegliederten
Wandfläche nicht im Geringsten beeindrucken zu
lassen scheint.
Etwas erhöht sitzt der Pavillon auf einem 1,2m
hohen Sockel. Dieser läßt ihn einerseits leicht über
den rückwärtigen Hang „herausteigen“ und unterstreicht im Weiteren das erhabene, idealisierte
Selbstverständnis des Pavillons. Das Grün der hinter
dem Hang stehenden Bäume rahmt dieses Bild.
Darüber hinweg konnte der Besucher das „spanische
Dorf“ oben am Berg sehen und ahnen, daß der Weg
dorthin wohl nur durch den Pavillon zu finden ist.
Die Treppe befindet sich genau in der Mittelachse
des Plateaus hinter dem Pa villon. Mies van der Rohe
machte sich diese Tatsache zunutze und leitete jeden
damit durch seine Räume.
Der Pavillon hat auf Grund se iner Lage eine klare
Vorderseite. Links und rechts schirmt er sich selbst
von der Umgebung ab. Zwei „Klammern“ halten die
sonst vorwiegend in Längsrichtung verlaufenden
Wandscheiben quer zusammen. Die rechte
„Klammer“ verdeckt die Sicht auf die Straße und
lenkt den Blick ins Innere. Die linke ist etwas
offener und scheint die dahinterliegende Palastwand
zu „karikieren. Diese ohnehin schmalen Seitenansichten sind formal sehr zurückgenommen, ja fast
nicht existent.
Auf der Rückseite scheint der Raum in die Natur
auszufließen. Das Erdreich wurde hier bündig mit
der Sockeloberkante aufgeschüttet. Büsche und
Bäume überwuchern den Pavillon von hinten.
Die Villa Tugendhat in Brünn liegt ebenfalls an
einem Hang, diesmal jedoch nicht am Fuße sondern
oben. Längs der von Bäumen gesäumten Straße
erstreckt sich ein zuersteinmal länglich und eher
unscheinbar wirkender Baukörper. Man würde
vermutlich weitergehen, ohne von dem leicht hinter
einer Zufahrt zurückversetzten Haus weiter Notiz zu
nehmen, wäre da nicht kurz ein Durchblick auf das
ferne Schloß. Wie durch ein einzelnes Fenster wird
dem Vorbeigehenden eine kleine aber feine
Kostprobe der reizvollen Aussicht geboten.
Der von der Straße eingeschoßig erscheinende
Baukörper verstellt den ganzen Blick auf die
spektakuläre Hangsicht über Brünn. Tritt er durch
den Rahmen, so steht der Besucher mitten in diesem
Bild. Unter der Stadtlandschaft liegt ihm der leicht
abfallende, baumbestandene Garten zu Füßen.
Auch das Haus Tugendhat hat eine eindeutige
Vorder- und Rückseite. Nicht auf die Straße ist das
Haus orientiert, sondern es wendet sein Gesicht
selbstverständlich gegen Süden, dem Ausblick zu.
Hier öffnet sich alles. Die Villa offenbart sich auf
dieser Seite mehrgeschoßig und mit maximaler
Oberfläche. Ganz anders die Rückseite: Der Straße
zeigt das Bauwerk nur die zwei „Schultern“ (Garage
und geschlossene Wand des Kindermädchenzimmers). Die Formensprache ist sehr introvertiert.
Die Schmalseiten sind unterschiedlich, der
Umgebung entsprechend behandelt. Vor das Haus
des westlichen Nachbarn sind Garagen und
Bedienstetenräume als „Schirm“ gestellt, während
die Ostseite wie ein Band in die Vorderseite
übergeht, da hier große Bäume einen schönen
Anblick bieten.
Die Beziehungen zwischen Innen- und Außenraum
sind ambivalent. Natürlich öffnen sich alle Räume
nach Süden und doch wahrt das Haus stets eine
noble Distanz zur Umgebung. Der Sockel hebt die
Villa aus dem Garten heraus, ohne das ein direkter
Weg geradeaus hinunter führt. Keine Freitreppe, ein
sich längs der Terrasse heruntertreppender Abgang
erfüllt diesen Zweck. Die unverhältnismäßig breiten
Stufen sind nicht wie beim Barcelona verdeckt,
sondern im Profil zu sehen.
Auch die Plazierung des Wintergartens schafft
Distanz. Dieser schiebt sich genau an der Stelle
zwischen Garten und Wohnraum, an der der Hang
auf gleiches Niveau mit ihm kommt. Der schmale
Glasraum wirkt wie eine Schleuse.
Wäre Mies der unmittelbare Zugang zum Außenraum wichtig gewesen, so hätte er auch die völlig
versenkbaren Fensterscheiben an einer Stelle
vorgesehen, wo dieser Effe kt, wie etwa bei einer
Terrasse, nutzbar wäre.
So sehr Mies sich beim Barcelona Pavillon mit der
Umgebung des Ortes auseinandergesetzt haben muß,
so wenig konnte er sich wohl auch dem starken Reiz
der Lage in Brünn entziehen.
Anders scheint es gewesen zu sein, als er von
Amerika kommend, die Neue Nationalgalerie in
Berlin baute. Betrachtet man die städtebauliche
Situation, so fragt man sich, ob er sich überhaupt
Gedanken zum unmittelbaren Kontext machte.
Diese Vermutung wird erhärtet, wenn man die
vorangegangenen Projekte seiner „amerikanischen
Periode“ vergleicht und dabei eine geradlinige
Entwicklung zu dem Gebäudetyp der Nationalgalerie feststellt.
Er arbeitete in seinen späten Jahren kontinuierlich an
der Idee eines „neutralen Einraumes“, der sich in
seiner letzten Konsequenz eigentlich ganz von allen
Bezügen lösen muß. So entwarf er bereits 1950 das
50x50ft. House, wo zum ersten Mal das
konstruktive, wie räumliche Konzept der Berliner
Nationalgalerie formuliert wurde. Nachfolgeprojekte
dieser Idee sind der erste Entwurf des BacardiVerwaltugsgebäudes (1957) und das Museum
Schäfer (1960). Bei diesen Projekten existiert von
der Grundkonzeption her eigentlich kein Unterschied mehr zur ausgeführten Nationalgalerie.
Ihr Verhältnis zum Umfeld ist relativ schnell
erläutert:
Auffallend ist, daß fast keine Bezüge aufgenommen
werden. In seiner Form ist das symmetrisch
monumentale Bauwerk sehr auf sich selbst gerichtet.
Auf einem Sockel angehoben, versucht es sich über
alle städtebaulichen Gegebenheiten hinwegzusetzen
und scheint sich selbst als Rahmenbedingung zu
genügen, an der sich die Umgebung messen soll.
Ein solcher Anspruch war natürlich auch Wille der
Bauherren, da die Galerie an der Grenze zur DDR
stand. Als ein Symbol für Macht und Wohlstand
wetteiferte das Monument mit seinen „Artgenossen“
auf der anderen Seite der Mauer.
Mies ließ folgende örtlichen Zusammenhänge
unbeantwortet:
- städtebauliches Konzept von Hans Scharoun
(1957)
- stark befahrene Potsdamerstraße
- politische Vision, daß das Gebiet im Falle einer
Wiedervereinigung Zentrum wird
- direkt angrenzende Mathäuskirche
- z.T. noch im Bau befindliche Gebäude von H.
Scharoun (Philharmonie, Staatsbibliothek.....)
Bei der Realisierung eines Entwurfs definiert
dieser Raum.
Ein Bau setzt Grenzen, kanalisiert Wege; parallel
mit der Ausbildung der Baukörper werden
Zwischenräume geformt.
Aus der Ferne betrachtet wirkt der Barcelona
Pavillon wie ein flächig geschlossener Riegel, der
den Platz an seiner Stirnseite wie einen Schlußstrich
abschließt. Kommt man näher, so kann das Auge
schon eine einfache Räumlichkeit wahrnehmen: Ein
kubischer, flacher Sockel, rechts ein längerer, links
ein gedrungenerer Baukörper; in ihrer Mitte ein nach
oben geöffnetes und hinten von einer Wand
begrenztes Hohlvolumen. Unmittelbar davor gibt
sich der linke „Baukörper“ als Wandschirm zu
erkennen, der den tatsächlich noch größeren Hof
faßt. Dahinter erblickt man nun einen Kubus, der
aber zunächst als Negativraum durch ein Flugdach
angedeutet ist. Der rechte, größere Hauptbaukörper
kann jetzt auch in seiner differenzierten Zusammensetzung aus Marmor-, Glaswand und Hohlraum mit
darüberliegender Dachplatte verstanden werden.
Von Nahem und leicht seitlich geschaut, wird man
erst sehen, daß der Sockel kein einfacher Block ist,
sondern einen relativ komplizierten Grundriß hat.
Die in der Hauptrichtung verdeckte Aufgangstreppe
schneidet sich seitlich in einen leichten Vorsprung
ein. Man muß sich also um 90° drehen und betritt
dann das Gebäude tangential. War es die Richtung
quer zum Gebäude die vorherrschend für die
Wahrnehmung von außen ist, erweist sich innen die
Längsrichtung als die bestimmende Orientierung.
Steigt man das schmale Tre ppchen hinauf, so wird
diese Bewegung gleich oben wieder durch die
„Klammer“ der Tarvertinwand aufgefangen, die
unmißverständlich das Ende des Pavillons aufzeigt.
Man kann nur noch bis zum Rand des
Wasserbeckens gehen, das als eine weitere Barriere
wiederum eine Drehung nahelegt.
Nach dieser Wendung ist zwar noch immer keine
Türe zu sehen, aber die weit über Eck auskragende
Dachplatte deutet einen Eingang an. Dieser ist beim
Pavillon praktisch „vermieden“ worden. Denn
eigentlich befindet man sich ja schon „in“ dem
Gebäude auch wenn man noch im Freien steht. Die
Türe, als Schwelle zwischen Innen und Außen,
wurde bewußt sehr unauffällig und sogar ganz
herausnehmbar gestaltet. Der Besucher wird
langsam durch und nicht in das Gebäude geführt,
wobei unterschiedliche Abstufungen zwischen
offenem und geschlossenem Raum inszeniert
werden. So wird Offenheit und Geschlossenheit
übergangslos vorgeführt, ja oft kann sogar den Weg
gewählt werden, dessen Raumqualität man spontan
bevorzugt.
Der ganze Pavillon ist ein Kontinuum von ineinander übergehenden Bereichen, die einmal mehr
Innenraum einmal eher offener Platz sind. Die
vorwiegend die Längsrichtung betonenden Wandscheiben lassen offen, zu welchem Raum, zu
welcher Seite sie gehören. Die Wände im Pavillon
definieren zwei Seiten und haben meist freie
Stirnseiten; nur selten bilden sie gemeinsam eine
geschlossene Ecke. Mit diesem Mittel schuf Mies
einmal Durchgänge und Öffnungen, einmal
Paravents und Barrieren in unterschiedlicher Wahrnehmungsintensität. Er provozierte Blickachsen und
Durchblicke, er formte Korridore und Zwischenräume.
Daß sich all das nur auf einer räumlichen Ebene
abspielt ist auffallend. Hat man den Sockel, den
einzigen begehbaren Höhensprung einmal betreten,
dann bleibt man durchwegs in einem „horizontalen
Raum“. Damit ist gemeint, daß der Grundriß „in die
Höhe gezogen“ wurde. Die Scheiben, wie die
Stützen; alle Elemente haben die gleiche Höhe,
keines verändert sich dynamisch in seiner vertikalen
Entwicklung. Eigentlich gibt es nichts, was eine
wirkliche plastische dritte Dimension mit ins Spiel
brächte, wie etwa die Raumdiagonale einer Treppe,
Rampe o.ä..
Eine gewisse Ausnahmestellung genießen die
Möbel. Diese unterliegen naturgemäß nicht der oben
festgestellten Regel und sie sind es auch, die den
Raum erst wirklich plastisch erlebbar machen. Die
speziell entworfene „Barcelonagarnitur“ gliedert den
Pavillon mit einem großflächig raumgreifenden
Design. Die möbel setzten Akzente und stellen einen
Maßstab her. Sie ordnen sich dem orthogonalen
System unter und bilden zuweilen einen „Raum im
Raum“. Dann wiederum sind die Möbel wieder
Fixpunkte der Orientierung im „Labyrinth der
Scheiben“.
Eine ähnliche Funktion hat auch die Plastik von
Kolbe. Sie ist von vielen Stellen des Pavillons
sichtbar, wenn auch manchmal halb verdeckt,
angeschnitten oder durch getöntes Glas verfremdet.
Sie weckt Interesse und lenkt so, ähnlich wie die
Möbel, die Besucherströme.
Man kann sich dem Haus Tugendhat nicht wie dem
Barcelona Pavillon aus weiter Ferne frontal nähern,
sondern nimmt es, von der Seite kommend, plötzlich
unmittelbar wahr. Das Haus gibt sich an seiner
Straßenseite als Konstrukt, daß aus mehreren dreidimensionalen Elementen zusammengesetzt wurde:
Links ein abgeschlossener Kubus mit den sehr
schmalen Oberlichten, rechts der bis zum Gehsteig
heranreichende Garagenblock. Dazwischen überspannt eine Dachfläche die Rundung des
Eingangsbereiches, sowie den Durchblick. Einen
vertikalen Akzent setzt die sehr breite, über das
Dach etwas herausragende Kaminwand im
Teilungspunkt des Goldenen Schnittes.
Wie in Barcelona, so ist auch die Tür der Villa
Tugendhat nicht frontal plaziert, sondern seitwärts
versteckt. Eher scheint der verhältnismäßig breite
Durchgang zur Aussichtsterrasse eine Eingangssituation anzudeuten. Die Rundung der
Milchglaswand führt den Besucher schließlich doch
zur Eingangstüre, die wie alle anderen Türen bis
hinauf zur Decke reicht.
Nach dem Eintreten findet man sich in einem
Vorraum, der die Frage offen läßt, „wo es wohin
weiter geht“. Die holzfurnierte Wand, mit der eingelassenen Türe gegenüber des Eingangs, läßt eher
an einen Einbauschrank, denn an den dahinter
befindlichen Zugang zu Schlaf- und Kinderzimmern
oder gar Terrasse schließen. Eigentlich wird der
unbedarfte Besucher, von der durch gleichmäßiges
Nordlicht leuchtenden Milchglaswand, direkt nach
dem Eintreten in das Zimmer des Kindermädchens
geleitet. Denn vermutlich würden die wenigsten
ahnen, daß man sich um 180° wenden und die
unscheinbare Treppe hinabsteigen muß, um in den
Wohnbereich zu gelangen. Schätzt man das Haus,
nach der Straßenseite beurteilend, eingeschoßig ein,
so muß man beim Hinabsteigen der Treppe den
Keller erwarten. Die Kurve der Glaswand
aufnehmend, endet die verhältnismäßig schmale
Treppe in einem engen und ziemlich dunklen Gang,
der von einer Glaswand unter teilt wird. Diese faßt
eine Glastüre, die weder seitlich bis ganz an die
Wand geht, noch oben bis zur Decke reicht (eine
Ausnahme im Haus Tugendhat). Mies verengt also
den Raum extrem, bevor er dem Besucher den
befreienden weiten Ausblick durch den großen
Wohnraum bietet.
Wieder wird man längs einer Wand und nicht frontal
auf die Hauptrichtung geführt, sondern tangential in
den Raum geleitet. Automatisch zieht aber die
durchgehende Fensterfront den Besucher in ihren
Bann. Zwischen die einheitlich hell gestrichenen
Flächen von Decke und Fußboden, scheint sich der
große Raum aus dem Gebäude herauszuschieben.
Um diesen freien, offene n Grundriß realisieren zu
können, verlagerte Mies alle Funktionen, die nicht
mit ihm harmonisierten entweder, in die
angrenzenden „Servicebereiche“, in den Keller oder
in das Obergeschoß. Dieses ist vergleichsweise
konventionell konzipiert.
Eine derartige Wertung der Räume wird sowohl im
Schnitt als auch vom Garten aus sichtbar. Von dort
sieht man nicht das hinter der Terrasse zurückversetzte Obergeschoß, und auf die Existenz des
Kellers wird nur mit einer Tür hingewiesen.
Ansonsten scheint nur das Wohngeschoß als einzig
sichtbarer Raum zwischen zwei Mauerbänder ge-
schoben zu sein. Diese Assoziation verdeutlicht auch
der Schnitt.
Das Innere ist nicht als Einheit zu überblicken und
doch ist der Raum das „Schmuckstück des Hauses“.
Alle Funktionen, wie Arbeiten, Erholen, Essen etc.
werden hier auf repräsentative Weise ineinander
geflochten. Die Gliederung in die unterschiedlichen
Nutzungsbereiche übernimmt die frei im Raum
stehende Onyxwand, die die östliche Hälfte des
Wohnbereiches in zwei emotional völlig unterschiedlich erlebbare Zonen teilt:
Vorne, der Aussicht zugewandt, dominiert eine
außerordentlich offene und extrovertierte Atmosphäre. Obwohl der Raum hinter der Wand eigentlich
auch sehr hell ist, hat er hier einen viel seriöseren,
gedämpften Charakter. Der Vergleich „Vor, bzw.
hinter der Bühne des Hauses“ kommt den unterschiedlichen Stimmungen recht nahe. Die Onyxwand übernimmt die Rolle des Vorhangs.
Dann gibt es noch die halbzylidrische Ebenholzwand; sie umhüllt in erster Linie den Eßbereich. Von
der konvexen Rückseite betrachtet, kann man die
Wand nicht als frei im Raum stehende eigenständige
Form verstehen. Sie ist hier nur unwesentlich an der
Raumführung beteiligt, da direkt die „Leuchtwand“
anschließt und die Zwickel mit Stützen und
Kellertreppe „aufgefüllt“ wurden. So erwecken
auch die Sitzmöbel hinter der konvexen Rundung
eher den Eindruck von „Lückenfüllern“, als gemütliche „Leseecke“. Dem restlichen Mobilar im Raum
kommt eine wesentlich andere Aufgabe zu. Die
Glaskommode z.B. trennt gemeinsam mit einem
Vorhang den „Arbeitsplatz“ vom zuvor beschriebenen, weniger eindeutigen „Leseecke“. Der Flügel
separiert die Bibliothek vom „Musikzimmer“ und
auch die Teppiche haben wieder eine wichtige
raumzuweisende Funktion. Der prominenteste Platz
im Haus ist sicher jener, der von der Onyxwand und
der Sitzgruppe markiert wird. Die hohen Flächen der
Sessellehnen sind es, die den Raum „schließen“. Die
Vertikale der Lehmbruck Plastik dient als
„Raumecke“ und bildet den optischen Mittelpunkt
des Ensembles.
Mies van der Rohe hatte im Haus Tugendhat die
Möglichkeit, diese neuen Gliederungsmittel einzusetzen. Unser heutiges Raumverständnis bedient sich
inzwischen selbstverständlich dieser Zusammenhänge, die er damals so exemplarisch erprobte.
Mit der Nationalgalerie in Berlin errichtete Mies
van der Rohe einen Bau, der in seiner räumlichen
Wirkung schlichter und klarer fast nicht sein kann.
Nicht nur von Weitem ist die als Einheit begreifbare
Großform maßgeblich für das Erscheinungsbild. Es
ist gegliedert in ein paar wenige Elemente: Alles
dominierend das Dach, getragen von 8 Stützen, die
auf dem Sockel stehen. Der Fassade kommt nur eine
untergeordnete Rolle zu. Außer Dach, Stützen und
Sockel gibt es nichts, was das Raumverständnis
zusätzlich mitbestimmt.
Diese Einfachheit wird unterstrichen durch die
Symmetrie des Gebäudes. Eine Ansicht genügt, um
sofort das räumliche, wie konstruktive Konzept zu
verstehen. Ein Sockel, ei n Dach, 8 Stützen- rings
herum das gleiche Schema.
Diese einfache Gliederung ist vermutlich der Grund,
weshalb man das monumentale Gebäude im
Maßstab leicht unterschätzt. Das Dach hat immerhin
die Höhe eines Menschen, und der Umfang der
Stützen wird sich von Zwei en wohl kaum umfassen
lassen. Es ist der umgekehrte Effekt wie beim
Fotografieren eines Modells. Nimmt man dieses aus
seinem maßstäblichen Zusammenhang, so wirkt es
aufgrund der Erfahrung de s Betrachters groß. Die
Neue Nationalgalerie steht wie erwähnt isoliert für
sich und der Betrachter vergleicht sie unbewußt mit
ihm bekannten, ähnlichen Räumen (die aber kleiner
sind).
Der Zugang liegt an der Potsdamerstraße.
Theoretisch wäre er an jeder der vier Fassadenseiten
denkbar: Durch die Symmetrie würde dies keinen
wesentlichen Unterschied bedeuten. Man betritt das
Podest des Gebäudes über eine Freitreppe, die von
der Straße gesehen, auf Grund der Perspektive, die
selbe Breite wie das Dach hat.
Anders als in Barcelona oder Brünn geht man
frontal, das Gebäude fokussierend, die Stufen
hinauf. Diese wirken wi e mehrere „Unterstreichungen“, die das Bauwerk her vorheben. Der Sockel geht
ringsherum; es gibt eigentlich vier Vorplätze,
gleichwertig vor jeder Fa ssade. Die Türen sind fast
nicht auszumachen. Sie ordnen sich wie alle anderen
Glasscheiben im unteren Fassadenstreifen ein. Sucht
man den Haupteingang, so wird man folgerichtig die
beiden Türen in der Symmetrieachse finden.
Wie beim Pavillon in Barcelona, so wird in Berlin
mit anderen Mitteln die Grenze zwischen Innen und
Außen verwischt. Dies geschieht, indem Mies das
Dach an allen Seiten über die Fassade hinauslaufen
läßt. Das orthogonale Raster des Trägerrostes
unterstreicht mit seiner ausgeprägten linearperspektivischen Wirkung die Illusion, das Dach würde über
seine physische Grenze hinweg in den Raum
schweben. So stehen auch die Stützen am äußersten
Rand des Daches. Statisch hätte eine Stützenstellung
in der Fassadenebene erhebliche Vorteile gebracht.
Mies wollte einen neutralen, durchgehenden Raum
schaffen, der bis hinaus fließt. So sehr ihn das Dach
bei der Umsetzung dieses Gedanken unterstützt, so
wirkt doch die große frontal stehende Glasfassade als
klare Schnittstelle zwischen Innen und Außen.
Durchtritt man diese reflektierende Grenze, so
ändert sich wieder alles. Von innen geht das
Konzept wieder auf: das Glas wirkt kaum als Hin-
dernis, und der Raum scheint sich bis an den
Horizont fortzusetzen.
Die große Halle konnte für die Präsentation von
Bildern in beliebige „Ausstellungsgrundrisse“ gegliedert werden, indem eigens von Mies entworfene
Tafeln von der Decke abgehängt wurden. Fließende
Grundrisse, ähnlich der Konzeption in Barcelona
und Brünn, wären also als te mporäre Struktur im
sonst richtungslosen Zentralraum denkbar.
Die offene Wirkung des Raum es wird nur durch die
Garderoben und die zwei sehr massiv wirkenden,
pfeilerartigen Installationsschächte irritiert. Diese
erwecken irrtümlich den Anschein, das an dieser
Stelle schwer erscheinende Dach tragen zu müssen.
Als Zeugen einer Nutzung beeinträchtigen diese
„unvermeidlichen Störfaktoren“ den Traum vom
„idealen Raum“.
Alle Funktionen, die ein Museum braucht, verbannte
Mies in das Untergeschoß. Dieses muß dementsprechend auf solch privilegierte Raumgestaltung
verzichten, wie sie dem „Lieblingskind“ im Obergeschoß zugute kam. Dabei beinhaltet das
Untergeschoß die ständige Sammlung, für die der
ganze Bau überhaupt errichtet wurde. Trotzdem
erscheinen die unteren Räume, im Gegensatz zum
darüberliegenden, geradezu schäbig. Die Raumhöhe
genügt gerade dem Minimum für Ausstellungsräume
und wirkt beengend. Auch der Grundriß hat nichts
von der oberen Großzügigkeit „abbekommen“; die
Räume sind konventionell aufgeteilt und größtenteils
künstlich beleuchtet. Nur über den abgesenkten
Skulpturengarten kommt an einer Seite Tageslicht
hinein. Dieser wirkt wie eine Insel, die in einer
völlig eigenen Welt existiert. Es führt z.B. auch
keine direkte Treppe von der Plattform in den Hof,
der sich nur dem Himmel öffnet.
Konstruktion und Raumkonzeption verlangen nach
dem Material, das sie entsprechend verwirklicht.
Dabei sind die Oberflächen für das Zusammenspiel
von Raum und Licht verantwortlich.
Mies van der Rohe wählte die Materialien für seinen
Pavillon sehr sorgfältig aus und achtete penibel auf
perfekte Verarbeitung.
Der Pavillon macht einen fast erhabenen Eindruck,
und dabei haben die verwendeten Materialien nicht
unerheblichen Anteil. Folgende „Baustoffe“, die z.T.
eher wie die Materialien eines Kunsthandwerkers
anmuten, wurden sichtbar eingesetzt:
Der Sockel war mit unpolierten Travertinplatten
verkleidet. Fein glattgeschliffen dagegen wurde der
Travertin, der die Wände des Hofes säumt. Drei
weitere Steinarten wurden verwendet:
Der grüne Vert- Antique- Marmor für die Wand
links des Einganges, sowie der gelbe Onyx doré, der
für das „Allerheiligste“, die Wand, vor der die
Empfangszeremonie des spanischen Königspaares
statt fand, verwendet wurde. Vor dieser Wand lag
der schwarze Veloursteppich. Zusammen mit dem
roten Samtvorhang und den ledernen Bezügen der
Polstermöbel, bildete er eine Ausnahme als nicht
mineralischer Stoff. Das Dach gibt sich als
materialisch nicht eindeutig bestimmbare Platte, mit
fein verputzter Oberfläche. Dieses wird getragen von
den Stützen, die mit ihrer
NickelchromUmmantelung direkt in die Decke hineinlaufen. Als
ein zusätzlich optisch wirkendes Material muß das
Wasser der beiden Becken angeführt werden. Sie
waren mit schwarzen Glasscheiben ausgelegt.
Diese unterschiedlichen Materialien wurden raffiniert kontrastierend einander gegenübergestellt.
Mies schafft optisch höchst differenzierte Raumwirkungen, indem er z.B. das Licht durch die
verschiedenen Glasscheiben filtert, es an glatten
Oberflächen reflektiert, es an matten absorbiert, oder
am Wasser bricht. Es gibt ausgewogene Farbkontraste z.B. zwischen dem Rot des Samtvorhanges
und dem tiefen Grün des Marmors (komplementär
Kontrast). Intensive Hell- Dunkelkontraste:
Leuchtende Glas-, dunkle Marmorwand, schwarzer
Teppich auf hellem, sandfarbenen Travertin. Im
ganzen Bau findet man solche „Materialkontraste“;
nie gibt es zwei benachbarte parallele Wände aus
dem gleichen Material.
Mies van der Rohe verwendete all diese kostbaren
Materialien in erster Linie ihrer optisch- ästhetischen
Wirkung wegen. Er setzt nicht die physikalischtechnischen Eigenschaften der Stoffe in Szene,
sondern verleugnet diese z.T.. Das offensichtliche
Tragvermögen einer Steinwand z.B. wird nicht
ausgenutzt. Direkt vor dies er Wand stehen Stützen,
die das Dach tragen. Der Stein wurde glatt poliert,
daß seine Maserung in den Vordergrund tritt.
Zusätzlich werden die einzelnen Platten rhythmisch
zu einem freien, ornamentalen Muster zusammengestellt. Um das teure Material zu sparen sind nur
die Blöcke der Stirnseiten massiv. Die weitere Wand
ist eine Skelettkonstruktion, auf die nur sehr dünne
Steinplatten angebracht wurden.
Ähnliches ist zu den Stützen zu sagen, die ja
tatsächlich das Dach tragen. Die Stahlprofile, denen
man die Tragfähigkeit tatsächlich zugetraut hätte,
wurden von dünnem Blech ummantelt. Durch die
spiegelnden Lichtreflexe scheinen sich die Stützen
fast selber aufzulösen.
Konsequent sind diesem „optischen Materialeinsatz“
entsprechend, alle Verbindungsdetails gelöst: Kein
Knoten ist sichtbar, keine Fuge unverdeckt. Die
eigentlich tragenden Konstruktionen sind alle tief im
Innern der ästhetischen Oberfläche verborgen.
Beispiel hierfür sind die Travertinplatten am Sockel,
die natürlich auf einer Betonunterkonstruktion
befestigt wurden. Oder das Dach; es wirkt auf den
Betrachter wie eine monolithische Platte. In
Wirklichkeit besteht es aus einer Stahlskelettkonstruktion, die mit einer sauber verputzten
Bretterschalung eine glatte Untersicht bietet. Die
biegesteifen Knoten im Übergang zwischen Decke
und Stützen sind eher grobschlächtig detailliert. Sie
verschwanden ja dann vollständig im Dach. Das
Ergebnis scheint einfach, es gibt keine Übergänge
und alles wirkt sehr schlicht und selbstverständlich.
Trotzdem bedeutet die Ausführung solcher „optisch
einfachen“ Details in Wirklichkeit einen enormen
Aufwand.
Im Haus Tugendhat wurden zum großen Teil die
gleichen Materialien wie in Barcelona verwendet.
Hinzu kommt noch das Holz bzw. Holzfurnier,
sowie Korklinoleum. Ein Unterschied liegt vielleicht
darin, daß die Materialien weniger sparsam
eingesetzt wurden (dicke Travertinplatten für die
Stufen, 7cm starke volle Onyxwand).
Beim Entwurf des Hauses hatte Mies praktisch kein
finanzielles Limit. Er konnte es sich leisten, jedes
Ausbauteil, jeden Türbeschlag speziell nach seinen
Entwürfen anfertigen zu lassen. Wie beim Pavillon
wurden auch in Brünn die edelsten Materialien in
kunsthandwerklicher Manier zusammengesetzt und
zur Schau gestellt.
Das Licht scheint hier nicht so spannend wie in
Barcelona arrangiert zu sein. Bis auf die im
Abendlicht rot leuchtende Onyxwand und die bereits
bekannten Elemente, wie Leuchtwand und chromverkleidete Stützen, wird weitgehend auf das
illusionierende Spiel von Licht, Schatten und
Reflexen verzichtet. Eher wird mit Hilfe der vielen
edlen Materialien angestrebt, dem imposanten Bild
der Landschaft, ein abwechslungsreiches ebenbürtiges Innere gegenüberzustellen.
Wieder wurden die Materialien so eingesetzt, daß
rein ihre optischen Qualitäten in den Vordergrund
treten. Die runde Holzwand z.B. ist eine mit dünnen
Ebenholzfurnieren beklebte Ständerwand. Die
Metallteile sind alle verchromt und die Stützen
(diesmal ganz ohne sichtbare Verbindungsmittel)
mit Chromblech ummantelt. Die Wände sind nicht
homogene
Betonscheiben,
sondern
haben
unterschiedliche z.T. recht komplizierte Schichtaufbauten.
Alle Oberflächen des Hauses sind perfekt
gleichmäßig und künstlich bearbeitet. Eine Sichtbetonwand a la Corbusier wäre Mies wohl viel zu
heterogen gewesen. Das Material, wie er es
verwandte, sollte nicht Eigendynamik, keine
konstruktiven Qualitäten offenbaren, sondern mußte
vollkommen berechenbar, in seiner Oberflächenbeschaffenheit
künstlich
perfektioniert
werden.
1250 Tonnen Stahl wurden für das Dach der Neuen
Nationalgalerie benötigt. Das Material wurde
durchwegs schwarz gestrichen und macht einen
unglaublich harten, präzisen und selbstsicheren
Eindruck.
Der Stahl scheint wieder optisch folgerichtig, seine
Konstruktion widerzuspieg eln. Aber wenn man sich
überlegt, wie produktionstechnisch ein Trägerrost
hergestellt werden muß, bemerkt man, was für ein
hoher Aufwand hinter dem augenscheinlich so
einfachen Detail steckt. Das Material eignet sich für
einachsig gerichtete Tragwerke, da Walzprofile in
großer Länge und mit großer Biegesteifigkeit
hergestellt werden können. Mies van der Rohe aber
wollte ein in allen Richtungen gleichrangiges
Tragwerk. Ein solcher Gitterrost kann nur sinnvoll
hergestellt
werden,
wenn
man
zwischen
durchgehende Trägerbahnen einzelne Zwischenstücke schweißt. Es wird also ein zweiachsig
gerichtetes
Tragwerk
als
Ausgangssituation
genommen, dem künstlich mit viel Aufwand eine
biaxiale Statik aufgezwungen wird. Alle daraus
resultierenden Probleme nahm Mies in Kauf, um ein
augenscheinlich „einfaches“ Konstruktionssystem zu
erhalten.
Kontrastierend mit dem „schwebenden Stahldach“
steht das außerordentlich wuchtige Betonsockelgeschoß unter dem Stahl- Glaspavillon. Natürlich
sieht man an keiner Stelle das tragende Material;
Granitplatten decken das ganze Podium ein. Im
Inneren haben die Platten eine spiegelglatte Politur,
was den großen Raum noch weiter wirken läßt.
Strukturen unterschiedlichster Art überlagern sich
während Nutzung und Entwurf von Gebäuden.
Grundrisse können auf unterschiedliche Weise
interpretiert werden:
Der Plan als solcher, kann wie ein eigenständiges
Bild angesehen werden. Die Linien bilden ein
neutrales Gefüge, daß z.B. farbig sein und Flächen
beschreiben könnte. Es wird nach seiner ebenen
Struktur bewertet, die im Falle des
Barcelona
Pavillons ein asymmetrisches System von Linien
und Kreuzen ist. Oft wurden Mies van der Rohes
Pläne mit den Bildern Mondrians verglichen.
Genauso gut kann man doch aber auch Mies Bauten
mit De Stijl Bauten wie z. B. mit dem
„Haus
Schröder“ von G. Rietveld in Verbindung bringen.
Das entspräche der zweiten Möglichkeit einen
Grundriß zu bewerten, die eher Architekten zu eigen
ist. Die Linien der Zeichnung werden als Wände
interpretiert und die Räume bewertet, die im Kopf
entstehen. Dabei werden Nutzungen sofort mit in
Erwägung gezogen, sowie Konstruktionen und
Materialien berücksichtigt. Es handelt sich also bei
einem Gebäude um ein Konstrukt aus mehreren
Strukturgefügen. Diese können einander bedingen,
sich gegenseitig in Frage stellen, sich durchdringen,
verbinden, stören, miteinander kontrastieren etc..
Der Barcelona Pavillon kann als „Raumkomposition“, die (fast) keine Nutzungsvorgaben zu
erfüllen hatte, alle raumrelevanten Strukturen frei
zur Schau stellen Die dynnamische Struktur der
einzelnen Scheiben steht völlig unabhängig von der ,
die von den tragenden Stüt zen vorgegeben wird. Die
Scheiben, wie die Stützen haben wiederum in sich
eine eigene Strukturie rung, die ornamenthaft
hervorgehoben wurde (Maserung und Anordnung
der Steinplatten, Kreuzform der Stützen).
Die Raumstruktur ist wesentlich von der der
Scheiben abhängig. Unterschiedliche Volumen
durchdringen sich teilweise, sind ineinander
verschachtelt.
Als nächste Struktur ist die der Nutzung anzuführen,
sie hat vorwiegend damit zutun, wie man den
Pavillon durchqueren und ihn erleben kann. Dieses
Gefüge überlagert ebenfalls die Raumstruktur der
Volumen. Weitgehend verläuft das Wegenetz in
deren Bahnen. Aber es gi bt auch Abweichungen wie
beispielsweise bei den Wasserbecken.
Als Substruktur ist die Möblierung an der
Raumgliederung beteiligt.
Im Haus Tugendhat war es eigentlich Mies van der
Rohes Absicht, die vertikale Tragstruktur der
Stützen in allen Geschoßen sichtbar zulassen. Auf
Bitten der Tugendhats ließ er sich auf den Kompro-
miß ein, im Obergeschoß nur ein paar wenige
Stützen zu zeigen. Die meisten sind daher in den
Wänden der Nutzräume versteckt. Unten dagegen
zeigen sich die vier Stützenreihen als zusammenhängende eigenständige Struktur, die sich einem
Raster unterordnet. Mies nutzte aber diese Fixpunkte
nicht zusätzlich als Befestigung der raumbildenden
Wände, sondern stellt diese fr ei davor. Selbst da, wo
die Stützen in der Wandebene liegen, bleibt diese
strikte Trennung zwischen Tragen und Raumfassen
bestehen. Nichts hätte vordergründig dagegen
gesprochen, die Wände tragend auszubilden.
Mies versuchte scheinbar nicht immer, seine
Raumstrukturen mit denen der Nutzung in Einklang
zu bringen. Er konzentrierte sich meist auf einen
Teil des Gebäudes, perfektionierte ihn und blendete
alle jene Faktoren aus, die nicht mit der Struktur
seines „Idealraumes“ harmonierten. In seiner Art
war er scheinbar viel zu konsequent, als das er
unliebsame Nutzungskonflikte bereits in sein
Raumkonzept mit einplante. Radikal hielt er „seinen
Raum“ frei von sämtlichen Trivialitäten und es war
ihm scheinbar egal, wenn dafür ein anderer Teil des
Bauwerks hohe Qualitätseinbußen zugunsten des
„Kunstproduktes“ in Kauf nehmen mußte. Ihm lag
daran, ein eigenständiges Kunstwerk zu schaffen, in
dem man wohnen kann, das aber in erster Linie
Raumobjekt bleibt.
Die Struktur wurde bei der Neuen Nationalgalerie
zum obersten Prinzip in der Hierarchie der
Gestaltung.
Das Gefüge der Stahlkassettenplatte, mit seiner
punktsymmetrischen Form dominiert den gesamten
Entwurf. Das Raster der D ecke bestimmt alles: Die
Einteilung der Fassaden, die Position der
Treppenabgänge, der Bodenplatten und natürlich die
Stützenstellung bis hin zu den Leuchten. Die strenge
Struktur des Rasters wurde in der Decke, sich selbst
duplizierend,
bis in die sich verkleinernden
Kassetten innerhalb der „Hauptzellen“ gefeiert. Die
Struktur selber wird in Berlin direkt zu Form. Diese
ist neutral und nur auf den Raum bezogen. Ähnlich
einem kartesischen Koordinatensystem wird jeder
Punkt im Raum durch dieses Bezugssystem objektiv
definiert.
Das Gebäude hat einerseits den Anspruch neutral
und „Nutzungstolerant“ zu sein, auf der anderen
Seite muß sich aber doch jede Nutzung der starken
räumlichen Dominanz der Struktur unterwerfen.
Mies kehrte den damals wohl noch nicht so
abgegriffenen Slogan: „f orm follows function“
kurzer Hand um. Er suchte nicht nach der optimalen
Struktur für die Nutzung, noch nach derjenigen,
welche Nutzung und Konstruktion am besten
miteinander vereint. Bei der Nationalgalerie setzte er
eine eigenständige, fast ornamentale „Strukturidee“
um, und trachtete so, eine flexible große Halle zu
schaffen. Dies ist immer eine Gradwanderung
zwischen völliger Variabilität und einem Raum, der
„für alles nicht zu gebrauchen ist“.
Der monumentale Bau ist ebenso wie der Barcelona
Pavillon ein „Kunstobjekt, das den Raum und sich
selbst präsentiert. Die eindrucksvolle „Raumskulptur“, die unterhalb des Daches von Mies
errichtet wurde, läßt allerdings sicherlich nicht jedes
Kunstwerk neben ihr zu.
Bei unserer Auseinandersetzung mit den Bauten
Mies van der Rohes beeindruckte uns eines
besonders:
Er war offensichtlich in der Lage, seine Raumvisionen auch in die Realität zu übertragen. Lag es
an seiner Persönlichkeit, oder an einem glücklichen
Zusammentreffen von Umständen in einer Zeit, die
für „Anderes“ aufgeschlossener war?
Tatsache ist, daß er scheinbar immer die richtigen
Leute am richtigen Ort fand, die er von seinen Ideen
begeistern konnte. So wurden Gebäude in einer
Konsequenz möglich, die trotz der daraus
resultierenden Einschränkungen,
Ideen in idealer
Weise veranschaulichen.
Literatur- und Fotonachweis:
Gabriela Wachter:
- „M. v. d. Rohes Neue Nationalgalerie in Berlin“
Werner Blaser:
-
Franz Schulze:
- „Mies v. d. Rohe, Leben und Werk“
Wolf Tegethoff
- „Mies v. d. Rohe, Die Villen und
Landhausprojekte“
Brno City Museum:
- „The villa of the Tugendhats“
Heinrich Klotz:
- „Vorbild und Vermächtnis“
- „Architektur“
Nikolaus Pevsner:
- „Europ. Architektur“
Fritz Neumeyer:
- „Das kunstlose Wort“
Jürgen Joedicke:
- „Raum und Form in der Architektur“
Peter Carter:
- „Mies v. d. Rohe at work“
Arnold Schink:
- „Mies v. d. Rohe, Beiträge zur
ästhetischen Entwicklung in der
Wohnarchitektur“
Benedikt Taschen:
- „Barcelona“
Fundacio M v. d. Rohe:
- Wettbewerbsunterlagen
Leonardo Benevole:
- „Die moderne Bewegung“
Jean- Louis Cohen:
- „Mies van der Rohe“
Zeitschriften:
- „Die Form“ 1931, 1933
„West meets east“
„Less is more“
„Die Kunst der Struktur“
„L. Mies v. d. Rohe“
- „Werk, Bauen, Wohnen“ 1988
- „Bauwelt“ 1968, 1969
- „Architectural monographs“ 11
Alle Abbildungen wurden aus den hier angeführten
Büchern, bzw. Zeitschriften entnommen.
Autoren:
© hiddenline 1998
Dipl. -Ing. Janina Jaensch und Dipl. -Ing. Wolfgang Kurtz
[email protected]
http://www.hiddenline-design.com
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