Tagungsbericht Konservatismus in Deutschland nach 1945 – Probleme und Perspektiven Tatjana Vogt Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung am 28. Mai 2008 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Datei eingestellt am 15. Juli 2008 unter www.hss.de/downloads/080528_TB_Konservatismus.pdf Empfohlene Zitierweise Beim Zitieren empfehlen wir hinter den Titel des Beitrags das Datum der Einstellung und nach der URL-Angabe das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse anzugeben. [Vorname Name: Titel. Untertitel (Datum der Einstellung). In: http://www.hss.de/...pdf (Datum Ihres letzten Besuches).] Konservatismus in Deutschland nach 1945 – Probleme und Perspektiven Was für die meisten „Ismen“ gilt, gilt auch für den Konservatismus: die genaue Beschreibung seines Inhaltes ist ein hochkomplexes Unterfangen. Beim Konservatismus kommt noch hinzu, dass es sich um eine historisch gewachsene „politische Kampfvokabel“ handelt. Als solche bedarf sie der Überprüfung, inwiefern sie heute noch in der Lage ist, Realitäten und Lebenswelten zu erfassen. Sich heutzutage als konservativ zu „outen“, ist ein durchaus heikles Unterfangen, will man sich im politischen Diskurs nicht gleich als ewiggestrig, rückwärtsgewandt, spießig oder restaurativ in Verruf bringen lassen. Die negative Konnotation des Begriffes „konservativ“ verdeckt, dass es dem Konservatismus um mehr geht, als nur, etwas um jeden Preis bewahren zu wollen. Entsprechend weist Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung, bei seiner Einführung darauf hin, dass Bewahrung als gemeinsamer Nenner für Konservatismus allein nicht ausreichend ist, wenn es sich beim Konservatismus nicht um einen völlig sinnentleerten Begriff handeln soll. Konservatismus sei mehr als Traditionalismus. Konservatives Handeln, so betont der früher bayerische Kultusminister, ist „sinnorientiertes Handeln – und zwar orientiert an einem Sinnzusammenhang, an einen Wertekanon, der von Epoche zu Epoche, von einer historischen Phase zur anderen verschiedene Eckpfeiler und Inhalte aufweisen kann“. Bei der Frage nach den Eckpfeilern und Inhalten eines Konservatismus für das 21. Jahrhundert und den möglichen Anknüpfungspunkten bei den Traditionslinien konservativen Denkens ist es unumgänglich, sich mit den beiden zentralen Wendepunkten für den politischen Konservatismus in Deutschland auseinander zusetzen: 1945 und 1968. Den tiefen, aber auch befreienden Kontinuitätsbruch von 1945 und der Diskreditierung der Konservativen durch den kulturellen Umbruch von 1968 erörterte Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Historiker an der Universität Chemnitz, bei der Auftaktveranstaltung zur Reihe „Zukunft braucht Konservative“ die „Probleme und Perspektiven des Konservatismus in Deutschland nach 1945“. Im ersten Teil seines Vortrags arbeitet der Historiker ein Fünferbündel an internen Ursachen heraus, die es den Konservativen nach 1945 schwer machten, sich politisch neu zu formieren, sondern die durchaus bis heute das Image des Konservatismus prägen. Zum einen war es die Diskreditierung der konservativen Führungselite aufgrund ihrer Beteiligung an Hitlers Machtergreifung, die eine Rückkehr zum status quo ante nicht erlaubte. Zahlreiche konservative Politiker hatten die Wende vom 30. Januar 1933 nicht nur begrüßt, sondern auch daran mitgewirkt. Ebenso die Intellektuellen und Publizisten der sogenannten „Konservativen Revolution“ mit ihrer Skepsis gegenüber der Parteiendemokratie und die Verwandtschaft zu spezifischen nationalsozialistischen Auffassungen erweckten den Eindruck einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus. Später konnten auch die zahlreichen Gegner und Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf Seiten der konservativen Eliten diese „denunziatorische Sichtweise“ nicht entkräften. Erschwerend kam hinzu, dass das gesamte Spektrum an konservativen Positionen und Begrifflichkeiten propagandistisch in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt wurde. Konservative Schlüsselbegriffe und Werte wie Tradition, Autorität, Hierarchie und Gemeinwohl wurden von den nationalsozialistischen Ideologen vereinnahmt oder umgedeutet. Die hartnäckig behauptete Wesensverwandtschaft zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus war die Voraussetzung zur späteren Ineinssetzung der beiden Denkhaltungen und der Parallelisierung von Konservativen und Nationalsozialisten, die über das Ende des Regime hinaus wirkt; wodurch die Diskursfähigkeit der Konservativen 1 in der politischen Auseinandersetzung nach 1945 erheblich eingeschränkt wurde und es auch bleib. Kroll machte auch auf einen dritten, oft vernachlässigten demografischen Aspekt aufmerksam, der die Konservativen bei ihrer Neuformierung nach 1945 schwächte. Ein Großteil der konservativen deutschen Führungselite hatte sich im Gefolge der wachsenden Radikalisierung der Kriegsführung zur gewaltsamen Beseitigung des Diktators entschlossen. Ihr Scheitern bezahlten die Gegner, die in überproportional großer Zahl dem Kreis der preußischen Hocharistokratie entstammten, mit ihrem Leben. Damit war die Reaktivierung bestimmter vor 1933 maßgeblich gewesener konservativer Milieus praktisch ausgeschlossen. Nicht nur die Demographie auch die Geographie veränderte nach 1945 die Basis des Konservatismus. Die Vertreibung von sieben Millionen Menschen aus dem ausgeprägt konservativen Regionalmilieu „Ostelbiens“ mit größtenteils noch feudalen Gesellschaftsstrukturen setzte eine gesellschaftliche Mobilität und Dynamik in der noch jungen Bundesrepublik in Gang, die auch im verbleibenden Restdeutschland die tradierten Klassenzuordnungen hinfällig machten. Die alten Milieuunterschiede mit ihren spezifischen Lebensstilen und Verhaltenformen wichen einer neuen Sozialstruktur, für die der Soziologe Helmut Schelsky den Begriff der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ prägte. So fehlte auch in sozio-ökonomischer Hinsicht ein guter Nährboden für ein gedeihliches Wachstum genuin konservativer Ordnungsbilder. Neben diesen fünf skizzierten internen Ursachen, die es den deutschen Konservativen nach 1945 erschwerten, sich in meinungsbildender Breitenwirkung dauerhaft zu etablieren, gab es auch externe Determinanten. So wurden die konservativen Denktraditionen und Denkhaltungen in besonderem Maße, wie es Kroll ausführte, durch die Implantation der Kultur der Sieger kupiert. Es seien dabei zwei Ebenen der „Westernisierung“ zu unterscheiden, so Kroll. Die erste Vermittlungsebene von Westlichkeit war die ideelle Westintegration der Eliten in das westeuropäisch-atlantische Lager. Die zweite, alltagskulturelle Ebene zielte auf breite Bevölkerungsschichten und kann am besten mit dem Begriff der „Amerikanisierung“ beschrieben werden. Die ideelle Neuorientierung, die in erste Linie die intellektuelle Elite Westdeutschlands zum Adressaten hatte, war keineswegs eine bloße Offerte, sondern wurde auch gegen den Widerstand der intellektuellen Eliten durchgesetzt. Kroll erinnerte daran, dass das geistige Leben in Deutschland vollständig von den Alliierten kontrolliert wurde. Dem alten Denken setzten die Alliierten eine neue gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellung entgegen: die Ideologie des Konsensliberalismus. Preußischer Militarismus, Obrigkeitsgläubigkeit, Hochschätzung für staatliche und gesellschaftliche Autorität und Hierarchie, die verschiedenen aufklärungskritischen Denkmuster, die tief verwurzelte Skepsis gegenüber Parteien und Parlamentsherrschaft und die Konzeption von der Freiheit in der Gebundenheit des Dienstes, all diese Elemente der deutschen politischen Kultur waren in den Augen der Alliierten typisch deutsch, nichtwestlich und vor allem defizitär. Das daraus erwachsene spezifisch deutsche Sonderbewusstsein war aus Sicht der Alliierten ursächlich für den Weg in die historische Katastrophe. Diesen Denkmustern alter Prägung setzte die amerikanische Besatzungsmacht deshalb im Rahmen der „Reorientation“ und „Reeducation“ ein relativ kompaktes Bündel von 2 Grundauffassungen und Elementen des Konsensliberalismus entgegen: das parlamentarische Repräsentativsystem, das Prinzip des Verbändelobbyismus, Parteienstaatlichkeit, gesellschaftlicher Pluralismus, Chancengleichheit und nicht zu vergessen die Marktwirtschaft. Die westdeutschen Konservativen sahen sich – auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage – gezwungen, sich mit der konsensliberalen Ideologie zu arrangieren. Unter den Bedingungen der sich verschärfenden Blockkonfrontation erschien ihnen die Westbindung als das kleinere Übel und die liberal-demokratische Ordnungsvorstellung Amerikas als die einzig verbliebene Alternative zum Bolschewismus. In der Konsequenz verstummte die traditionell konservative Amerikakritik und die Vorbehalte gegen die egalisierenden und nivellierenden Tendenzen der Amerikanisierung der Gesellschaft. Entgegen der häufig anzutreffenden Meinung, die kulturrevolutionären Veränderungen im Zuge der 68er-Bewegungen hätten für einen rapiden Rückgang konservativer Deutungsmodelle in Politik, Kultur und Gesellschaft Westdeutschlands gesorgt, bilanziert der Historiker Kroll ganz klar, dass dafür das konsensliberale Leitbild verantwortlich zeichnet. Die konservativen Restbestände wurden schließlich von der studentischen Protestbewegung weiter dezimiert während der Konsensliberalismus durch das radikale Denken der Neuen Linken in die Defensive gedrängt wurde. Im dritten Abschnitt seines Vortrages widmete sich Kroll schließlich den Bestimmungsgrößen konservativen Denkens. Ausgehend von der Feststellung, dass Konservatismus als eine Denkart zu definieren ist, deren Entwicklung erst zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt begann – nämlich Ende des 18. Jahrhunderts als Antipode und Zwillingsbruder der Aufklärung – erläuterte Kroll die Inhalte des historischen Konservatismusbegriffes. Einzelne Inhalte und konservative Gedankenbilder seien an konkrete, historische Rahmenbedingungen geknüpft und könnten sich verflüchtigen, wenn die Bedingungen entfallen. Aus diesem Grund unterscheidet Kroll zwei Kategorien von konservativen Gedankenbilder. „Konservative Variablen“, Begriffe und Gedankenbilder, die sich im Laufe der Zeit verändern, und „konservative Konstanten“, unveränderte inhaltliche Fixpunkte. Zu den variablen Begriffen zählen Freiheit und Nation sowie die Auffassung des Sozialen. Für alle drei Bereiche umreißt Kroll die inhaltlichen Wandlung. So ist die ursprüngliche konservative Auffassung von Freiheit als „Freiheit in der Gebundenheit des Dienstes“ heute kaum mehr vermittelbar. Sie ist grundverschieden von unserer modernen liberalen Freiheitsauffassung von Ungebundenheit und individueller Emanzipation. Wirklich frei galt zu den Anfängen des Konservatismus derjenige, der sich willentlich in eine als sinnvoll und notwendig anerkannt Ordnung einfügte, während derjenige als unfrei galt, der allein seinen Launen und Treiben folgte. Auch die Kategorie der Nation war nicht genuin konservativ. Vergessen scheint, dass bis zum Jahr 1866 der Nationalismus in Deutschland eine unumstrittene Domäne der Linken war. Die Konservativen dagegen wünschten sich die Beibehaltung föderativer Strukturen und propagierten eine europäische Zusammengehörigkeit als eine übernationale Friedensordnung. Die Nation als Bezugsgröße war ihnen fremd und verdächtig. Erst im Bismarck-Reich wurden die Konservativen zu Verfechtern der Nationalstaatsidee und der nationalen Einheit. Eine ebenso drastische Wandlung – aber in die entgegensetzte Richtung – erfuhr die Soziale Frage. Sozialpolitik ist aus historischer Perspektive eine genuin konservative 3 Unternehmung, erinnert sei nur an die Bismarck´sche Sozialgesetzgebung. Heute ist Sozialpolitik eine Kernbestandteil der politischen Linken. Im Unterschied zu diesen gewandelten Einstellungen erweisen sich die „konservativen Konstanten“ über alle zeitlichen Brüche und historischen Veränderungen hinweg als konsistent. Zu diesen Kernmotiven konservativen Denkens zählt der Chemnitzer Historiker den Respekt für Traditionen, Überlieferungen und Kontinuitäten, den Willen zum Erhalt einer metaphysischen Ordnung, die Skepsis gegenüber dem schrankenlosen Gleichheitsprinzip und schließlich die Wertschätzung von Bindungen und Gebundenheiten. Ausgehend von diesen unverrückbaren konservativen Kernmotiven besteht nun die Aufgabe, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zukunft braucht Konservative“ die neuen konservativen Variablen zu identifizieren und diese mit den inhaltlichen Fixpunkten konsistent zu verknüpfen. Gelingt dies, steht außer Frage, dass Konservatismus auch im 21. Jahrhundert in der Lage ist, Realitäten und Lebenswelten zu erfassen. Tatjana Vogt, M.A. 4