Frankreich in den 1870er

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Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte
Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich
1870-1880 Frankreich, Einführung
Frankreich in den 1870er Jahren
In den 1870er Jahren stand Frankreich nach 1792 und 1848 erneut im Zeichen der Republik.
Die Dritte Republik wurde am 4. September 1870 ausgerufen, zwei Tage nach der
französischen Niederlage bei Sedan, welche den Deutsch-französischen Krieg beendet hat.
Die Ausrufung besiegelte den Untergang Napoleons III., der seit 1851 als französischer
Kaiser regiert hatte und bei Sedan in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war.
Auch wenn das mittlere und Kleinbürgertum in der Dritten Republik an Einfluß gewonnen
haben, konnten die traditionellen Eliten mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ihre
sozial dominierende Rolle in vielen Bereichen von Politik und Gesellschaft aufrechterhalten.
Fast das ganze Jahrzehnt hindurch wurde die Republik von konservativen, oftmals
antirepublikanischen Kräften bestimmt. Die Dominanz des konservativen Lagers erklärt sich
aus den Ereignissen unmittelbar nach der militärischen Niederlage. Die Deutschen hatten am
19. September 1870 begonnen, Paris zu belagern, weil die Republikaner für die Fortführung
des Krieges mit allen Mitteln eingetreten waren, während die Konservativen dem
kriegsmüden Volk den Frieden versprochen haben. Diese Haltung brachte den Konservativen
die Mehrheit, als die Franzosen darangingen, nach der Kapitulation von Paris am 28. Januar
1871 eine Nationalversammlung zu wählen. Die in Bordeaux zusammengetretene
Versammlung ernannte den Orléanisten Adolphe Thiers zum Chef der Exekutivgewalt. Mit
Unterstützung einer monarchischen Mehrheit regierte er bis 1873.
Thiers sollte nur solange regieren, bis nach dem Willen der politischen Mehrheit die
Monarchie wieder hergestellt werden konnte. Dieser Umstand war es, der der Republik
paradoxerweise das Überleben sicherte: Hervorgegangen aus einer Situation der nationalen
Verteidigung, konnte sie für die Konservativen nur solange akzeptabel sein, wie sie explizit
ein Provisorium bis zur Restaurierung einer Monarchie blieb. Daß die Restauration jedoch
ausblieb, verhinderte allein die Uneinigkeit des konservativen Lagers: Die Legitimisten und
die Orléanisten waren sich in der Ablehnung der Republik als Staatsform einig, aber gespalten
in der Bestimmung des Herrschers. Die Republikaner wußten diese Konstellation zu nutzen,
indem sie die Republik innerhalb des ersten Jahrzehnts gewissermaßen von innen eroberten.
In Paris herrschte seit dem 4. September 1870 eine revolutionäre Stimmung, die aufgrund der
Not während der deutschen Belagerung noch verstärkt wurde. Die Entscheidung der
Nationalversammlung am 10. März 1871, von Bordeaux nach Versailles und nicht nach Paris
umzusiedeln, wurde als Zeichen der Restauration gewertet. Es bildete sich in Paris die
radikalrepublikanisch geprägte commune. Die militärische Niederschlagung der Kommune
artete zum blutigen Bürgerkrieg aus, der das Land entzweite. Das unerbittliche Durchgreifen
der Regierung erhöhte jedoch im konservativen und bürgerlichen Lager das Ansehen der
Republik, die jetzt erstmals als möglicher Ordnungsfaktor gesehen wurde.
Als Thiers 1873 zurücktrat, nachdem er mit einem Gesetzesvorstoß zur endgültigen
Organisation der Republik gescheitert war, wählte die Volksvertretung den Marschall
MacMahon zu seinem Nachfolger. Dieser Militär, unter dessen Kommando Frankreich die
Schlacht von Sedan verloren und der die Kommune niedergeschlagen hatte, unternahm
sogleich einen Restaurationsversuch, der jedoch nicht einmal im konservativen Lager die
nötige Mehrheit fand. Seine bis 1879 dauernde Regierung hatte den Charakter eines
ausgeprägten Moral-order-governments.
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Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte
Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich
1870-1880 Frankreich, Einführung
Die Niederlage von 1870/71 hatte das Selbstwertgefühl der Nation zutiefst getroffen, zumal
die Siegermacht Preußen am 18. Januar 1871 König Wilhelm I. von Preußen in Versailles
zum deutschen Kaiser ausgerufen hatte. Die französischen Katholiken waren der Ansicht, daß
die Niederlage und die Kommune Strafen Gottes seien, um Frankreich für seine Vergehen zu
züchtigen. Die große Sünde wurde in der oberflächlichen und sittenlosen Zeit des
Kaiserreichs ausgemacht sowie in dem Umstand, daß der Papst durch den Rückzug der
französischen Truppen aus dem Kirchenstaat (1870) diesen verlor. Die Katholiken
versuchten, durch Wallfahrten nach Chartres, Lourdes, Paray-le-Monial Sühne zu leisten.
Höhepunkt dieser Bewegung war die 1877 begonnene Erbauung der Basilika Sacré-Cœur auf
dem Montmartre.
In jenem Jahr hatten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse jedoch bereits zu Gunsten der
Republikaner verschoben: Mit den 1875 verabschiedeten so genannten konstitutionellen
Gesetzen, die in Zukunft die verfassungsmäßige Grundlage der Dritten Republik bildeten, und
der im selben Jahr erlangten Mehrheit der Republikaner im Parlament wurde damit begonnen,
die Republik auch in den politischen Gremien zu verankern. Als 1879 auch der Senat
republikanisch wurde, demissionierte MacMahon und der überzeugte Republikaner Jules
Grévy wurde Präsident. Noch im selben Jahr zogen Abgeordnetenkammer und Senat von
Versailles nach Paris und betonten damit ihre Abwendung vom monarchischen Ort der Macht.
Die Marseillaise wurde sofort zur Nationalhymne, die Trikolore zur Nationalflagge erklärt.
Der 14. Juli konnte im Jahr darauf zum ersten Mal als offizieller Nationalfeiertag begangen
werden. Damit bezog sich die Dritte Republik – zumindest in ihren Symbolen – ausdrücklich
auf die französische Revolution. Das Ziel der Republikaner, Staat und Kirche zu trennen,
wurde 1905 erreicht.
Die Kunst in der Dritten Repbulik
Nach dem Krieg von 1870/71 ist es in der frühen Dritten Republik zu einer konservativen
Wende in der staatlichen Kunstpolitik gekommen, die mit den Moral-order-governments der
Zeit korrespondierte. Stand die bildende Kunst im Zweiten Kaiserreich in erster Linie unter
der Verfügungsgewalt Napoleons III. und im Dienst der kaiserlichen Festkultur, so wurde sie
ab 1870 als Dienerin der Öffentlichkeit gesehen. Da die Akademie die einzige kraftvolle
Institution im Lande war, wurde sie von den ebenfalls konservativen Kunstadministrationen
der Dritten Republik rekultiviert. Parallel dazu versuchten die Republikaner schon während
der 1870er Jahre, ihr Kunstprogramm zu entwerfen. Nach ihren Vorstellungen sollte Kunst
didaktisch sein, die Menschen im republikanischen Geist erziehen und den Geschmack der
Leute bilden.
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