Medizintechnik Magenbeschwerden auf der Spur Ein Atemtester zum Aufspüren von Bakterien Walter Fabinski, Thomas Weyrauch Im Dezember 2005 wurden Barry Marshall und Robin Warren für die Entdeckung des Bakteriums Helicobacter pylori als Hauptursache für Beschwerden wie Gastritis und Magengeschwüre mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet. Diese Entdeckung hat zwar die Behandlung von Magenkrankheiten grundlegend verändert, doch für die Diagnose war man weiterhin auf unangenehme Magenspiegelungen bzw. den Einsatz teurer Massenspektrometer angewiesen. Das nun zu ABB gehörige Unternehmen Hartmann & Braun hatte sich dieser Problematik angenommen und eine einfache und kostengünstige Lösung auf der Grundlage der Infrarot-Spektralanalyse entwickelt, die mittlerweile weltweit im Einsatz ist. ABB Technik 3/2006 25 Magenbeschwerden auf der Spur Medizintechnik M arshall und Warren entdeckten, dass sich H. pylori mit seinen Geißeln in der Magenwand festsetzt und verbreitete Krankheiten wie Gastritis, Geschwüre und im Falle einer chronischen Infektion auch Krebs hervorrufen kann. Da etwa die Hälfte der Weltbevölkerung mit dem H. pylori infiziert ist, gilt dies als eine der häufigsten Bakterienerkrankungen. Allein in Deutschland sind über 30 Millionen Menschen mit dem Bakterium infiziert, 5–10 % davon leiden unter Geschwüren im Magen oder Zwölffingerdarm. Vor der Entdeckung des H. pylori glaubte man, dass kein Lebewesen – auch keine Bakterien – in der extrem sauren Umgebung des Magens überleben könnte. Wer unter Magengeschwüren litt, sollte Rauchen, Stress und Alkohol vermeiden und wurde mit Histaminblockern behandelt. Dies brachte allerdings nur kurzfristige Linderung, aber keine Heilung. Somit kann die Entdeckung von Marshall und Warren nicht hoch genug bewertet werden. Sie brachte nicht nur die feste Weltanschauung der Medizin ins Wanken und löste einen Paradigmenwechsel aus, sondern förderte auch die Suche nach neuen Diagnose- und Behandlungsmethoden durch umfassende Forschungsarbeiten in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft. um die Bakterienzelle, die die sauren Magensäfte neutralisiert und dem Bakterium das Überleben ermöglicht. Das dabei entstehende CO2 gelangt in den Magen und entweicht über die Atemluft. Hier setzen auch die Nachweismethoden an. Untersuchungen haben ergeben, dass das Bakterium Harnstoff absorbiert und in CO2 und Ammoniak umwandelt. Das Ammoniak bildet eine schützende alkalische Hülle um die Bakterienzelle, die die sauren Magensäfte neutralisiert und dem Bakterium das Überleben ermöglicht. Kohlenstoff kommt in der Natur in Form der Isotope 12C, 13C und in Form von radioaktiven Isotopen wie 14C vor. Den größten Anteil hat 12C (fast 99 % des gesamten Kohlenstoffs auf der Welt), gefolgt von 13C (etwa 1 %). Der 1 Rest kommt nur in sehr geringen Mengen vor. Im Gegensatz zum radioaktiven 14C sind 12C und 13C stabil und vollkommen ungefährlich für den Menschen. So kann einem an Gastritis leidenden Patienten problemlos eine geringe Menge Harnstoff verabreicht werden, der mit 13C markiert ist. Da die Bakterien den 13C-Harnstoff in 13CO2 umwandeln, ändert sich nach der Einnahme das Verhältnis von 13CO2 und 12 CO2 in der ausgeatmeten Luft. Dieses Verhältnis kann mit einem Massenspektrometer bestimmt werden. Allerdings handelt es sich hierbei um ein teures Gerät, das mit hohen Betriebs- und Wartungskosten verbunden ist. Was für den klinischen Einsatz fehlte, war ein einfaches, robustes, kostengünstiges und dennoch hoch empfindliches Messgerät. Mit dieser Vorgabe wandte man sich Anfang der 1990er Jahre an den Analysetechnik-Spezialisten Hartmann & Braun, der seit 1998 zum ABB-Konzern gehört. Entwicklung eines Diagnose- und Behandlungskonzepts Als mögliche Ausgangsbasis bot sich der nicht dispersive Infrarot-Analysator Helicobacter pylori, aufgenommen mit einem Rasterelektronenmikroskop Aufklärung und Konzept für Diagnose und Behandlung Anfänglich konzentrierte sich die Forschung auf die Physiologie des Bakteriums und seine Pathogenität (d. h. seine Fähigkeit, Krankheiten hervorzurufen). H. pylori ist ein stäbchenförmiges Bakterium, das sich mit Hilfe seiner Geißeln in der schützenden Schleimhaut der Magenwand einnistet 1 . Hier kann es sich ernähren und fortpflanzen, wobei es giftige Substanzen absondert, die weitere Schäden in der Magenschleimhaut hervorrufen. Dadurch kann die ätzende Magensäure die Magenwand angreifen, was zu Entzündungen und ernsthafteren Beschwerden führen kann. Laut Schätzungen sind nahezu alle Zwölffingerdarmgeschwüre und ca. 80 % aller Magengeschwüre auf H. pylori zurückzuführen. Bei chronischer Entzündung kann es sogar zu einer Krebserkrankung kommen. Untersuchungen haben ergeben, dass das Bakterium Harnstoff absorbiert und in CO2 und Ammoniak umwandelt. Das Ammoniak bildet eine schützende alkalische Hülle 26 ABB Technik 3/2006 Magenbeschwerden auf der Spur Medizintechnik 2 Vibrations-Rotations-Bänder von 12CO2 und 13CO2 im zentralen Infrarotbereich 450 400 350 Absorption Uras an, der sich bereits in der Prozessmesstechnik bewährt hatte. Die Aufgabe bestand darin, die Uras-Messtechnik so zu modifizieren, dass mit ihr das Verhältnis von 13CO2 zu 12CO2 in der vom Patienten ausgeatmeten Luft mit hoher Auflösung und in einem medikamentenverträglichen System bestimmt werden kann. 13CO2 und 12 CO2 haben viele gemeinsame Eigenschaften, unterscheiden sich jedoch deutlich in ihrer Atommasse. Dieser Unterschied lässt sich mithilfe der Infrarot-Spektralanalyse nachweisen 2 . 300 250 200 150 100 50 0 2200 Da beim Uras-Messprinzip keinerlei Dispersion durch Gitter oder Filter erforderlich ist (die Selektion erfolgt durch die Gase selbst), können die Ergebnisse direkt mit dem unveränderten natürlichen Spektrum verglichen werden (siehe Infobox ). Nach ersten viel versprechenden Labortests entwickelte Hartmann & Braun zusammen mit dem Institut für Lasermedizin der Universität Düsseldorf ein modifiziertes Uras-Messgerät für den klinischen Einsatz. Später beteiligten sich weitere MedizintechnikHersteller an dem Projekt und übernahmen den weltweiten Vertrieb der OEM-Module (Original Equipment Manufacturer) von ABB Analytical. Das Infobox Praktische Umsetzung und Verwendung Das endgültige Gerät für den klinischen Einsatz wurde von CO CO Vertriebspartnern entwickelt, doch das Kernstück ist der Uras-Analysator von ABB. Dieser wurde in ein kleines OEM-Modul integriert, das wiederum in einer für den klinischen Einsatz geeigneten Einheit steckt. Die notwendige Empfindlichkeit wurde durch eine Optimierung der Mess- und Systemtechnologie 2220 2240 2260 2280 2300 2320 2340 2360 2380 2400 erreicht. So ist nur eine relativ Wellenzahl (cm ) kleine Menge Substrat nötig (eine 13C-Dosis von 75 mg reicht aus), was – zusammen mit wieErgebnis war ein technisches Gerät, das derverwendbaren Atembeuteln – die in der Lage ist, Atemproben in zwei Kosten für die Tests niedrig hält. Schritten miteinander zu vergleichen. Dazu bläst der Patient einfach in einen Atembeutel (Zero Breath Test) und Da beim Uras-Messprinnimmt dann den mit 13C markierten zip keinerlei Dispersion Harnstoff ein. Zwanzig Minuten später bläst er in einen zweiten Atembeutel. durch Gitter oder Filter Die Kohlenstoffanteile in den beiden erforderlich ist, können Proben werden gemessen und miteinander verglichen. Liegt ein deutlicher die Ergebnisse direkt Unterschied zwischen den beiden Promit dem unveränderten ben vor, deutet dies auf einen Befall natürlichen Spektrum mit Helicobacter hin. Für infizierte Patienten wird üblicherweise eine verglichen werden. siebentägige so genannte «Dreifachtherapie» mit zwei verschiedenen AntibioDeuten die Ergebnisse auf einen Befall tika und einem Säureblocker empfohhin, so wird die Behandlung von weilen. 12 13 2 2 –1 Das Uras-Messprinzip Das Messprinzip des Uras-Gasanalysators basiert auf der Fähigkeit von Gasmolekülen, einen bestimmten Teil der Infrarotstrahlung zu absorbieren. Das bedeutet, dass einem Lichtstrahl in einem bestimmten Frequenzbereich Energie entzogen wird. Dieser Bereich ist abhängig von den Bestandteilen des Gases und ihrer Konzentration sowie von der Länge der Absorptionszelle. Bei den meisten Infrarot-Gasanalysatoren wird dieser Effekt mit einem Photodetektor gemessen. Beim Uras-Analysator ist dies anders. Der Uras-Analysator enthält so genannte optopneumatische Detektoren, die mit der Probe gefüllt sind. Die von dem untersuchten Gas absorbierte Strahlungsenergie ruft eine ABB Technik 3/2006 Temperaturänderung und damit auch eine Druckänderung hervor. Dieser Druckunterschied liegt im Bereich von einigen Nanobar und reicht aus, um über einen Membrankondensator ein elektrisches Signal zu erzeugen. Der Vergleich zwischen dem Detektorgas und der Gasprobe liefert besonders genaue Ergebnisse bei Komponenten wie CO, CO2, SO2, NO, CH4 und N20. Der Uras26 verfügt über mehrere hintereinander angeordnete Detektoren, mit denen sich die Konzentrationen von bis zu vier Komponenten eines Prozessgases zuverlässig bestimmen lassen. Die nachweisbare Konzentration hängt dabei von der Länge der den Detektoren vorgeschalteten Probenzellen ab und reicht von einigen wenigen Teilen je Milliarde Teile Volumenanteil (ppbv) (<10–5 % Vol.) bis zu 100 % des Volumens. Außerdem besitzt der Uras26 integrierte Kalibrierungszellen, die automatisch in den Lichtstrahl geführt werden [1]. Diese erzeugen ein Referenzsignal und gewährleisten eine langfristige Stabilität. Durch die eingebaute Kalibrierung kann auf teure Prüfgaszylinder verzichtet werden, was die Wartungskosten deutlich senkt. Um eine stabile Messung zu gewährleisten, wird die Infrarotstrahlung mit einer Unterbrecherscheibe moduliert und daraufhin frequenz- und phasenselektiv verstärkt. Diese Art der Signalverarbeitung wird auch als «Lock-In-Verfahren» bezeichnet [2]. 27 Magenbeschwerden auf der Spur Medizintechnik Das Messgerät wird seit Mitte der 1990er Jahre in den Industrieländern unter den Namen Fancy bzw. Iris vertrieben und ist inzwischen weltweit im Einsatz. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern werden die Kosten für die Atemtests von den Krankenversicherungen übernommen. Test auf eine Infektion mit Helicobacter pylori 30 CO2 12 CO2 / 13 Verhältnisses (‰) Anstieg des 20 15 10 5 Nicht infiziert 0 0 15 30 45 4 Beispiel eines Lebertests Methacetin-Test 13 CO 2 / 12 CO2 50 40 30 20 10 0 -10 40 90 Zeit (Minuten) 5 Der HeliFANplus 13C-Infrarot-Analysator Da nun eine bequeme Methode zum Nachweis von H. pylori durch Atemtests zur Verfügung steht, erscheint es sinnvoll, diese Methode auch für andere Diagnoseaufgaben anzuwenden. Dies wird zurzeit unter anderem für Leberfunktionstests, die Untersuchung des Aminosäurestoffwechsels und die Untersuchung von mangelhafter Fettabsorption versucht. Hierfür sind mit 13C markierte Substrate, die ausschließlich auf die zu untersuchenden Organe wirken, sowie entsprechende Modifikationen der Gerätesoftware notwendig. Darüber hinaus müssen die neuen Anwendungen klinische Tests durchlaufen und gemäß gesetzlicher Vorschriften zugelassen werden. Neben der Untersu- 140 Die hier beschriebene isotopspezifische Technologie eröffnet zahlreiche neue Möglichkeiten für die Medizin, was zum Teil auf die Effizienz der Uras-Technologie zurückzuführen ist. Als nicht dispersive Methode ist sie kompakt und bietet dennoch die erforderliche Auflösung und Nachweisgrenze sowie die für den klinischen Einsatz notwendige Robustheit. Und da der Nachweis auf dem Verhältnis von zwei stabilen Isotopen basiert, sind keinerlei radioaktive Stoffe erforderlich. Zurzeit ist ABB an klinischen Tests für weitere Anwendungen beteiligt. In einem dieser Projekte mit dem Titel «Multi-Organ Function Test» wird der Einsatz der Technologie auf Intensivstationen geprüft. Die deutschen Partner hierbei sind die Universität Münster, die FAN GmbH (Vertreiber von HeliFANplus), die WAT GmbH (Vertreiber von IRIS), die Universitätskliniken in Ulm und Gießen sowie die Charité in Berlin. Wenn Sie also Magenbeschwerden haben und eine Magenspiegelung vermeiden möchten, sollten Sie Ihren Arzt nach einem Atemtest fragen! Weitere Anwendungen 28 60 Zeit (Minuten) Das Messgerät wird außerdem weltweit in der Tiermedizin und der Tierernährung sowie in der biochemischen Forschung eingesetzt. Die Zukunft Infizierter Patient 25 Verhältnisses (‰) Nachdem die Messtechnik entwickelt war, wurden umfassende klinische Tests durchgeführt und die entsprechenden Zulassungen erteilt. Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass die globale Verbreitung von H. pylori recht unterschiedlich ist. So beträgt die Infektionsrate in Mittel- und Nordeuropa rund 30 %, während sie in Afrika und Asien zum Teil bei über 90 % liegt. Die Versuche ergaben außerdem, dass eine Infektion nicht zwangsläufig zum Krankheitsausbruch führen muss. Laut Schätzungen zeigen sich nur bei etwa 5 % der Betroffenen ernsthafte Auswirkungen. Beispiel eines Tests mit einem nicht infizierten und einem mit Helicobacter pylori infizierten Patienten. Die Proben wurden eine Stunde nach Einnahme des mit 13C markierten Harnstoffs genommen. 3 Anstieg des teren regelmäßigen Atemtests begleitet, um die Wirksamkeit der Therapie zu beurteilen. 3 zeigt die Ergebnisse eines mit H. pylori befallenen und eines «gesunden» Patienten. Walter Fabinski ABB Automation GmbH Frankfurt, Deutschland chung von Magenbeschwerden gibt es bereits über 20 Diagnosemethoden für andere Erkrankungen, die durch die genaue und hoch empfindliche Atemanalyse mit dem Uras-System ermöglicht werden. Ein Beispiel für einen Lebertest ist in 4 dargestellt. Hier wird mit 13C markiertes Methacetin verabreicht. Die obere Kurve stellt den Verlauf von 13 CO2/12CO2 bei einem gesunden Menschen dar. Die untere Kurve zeigt den Verlauf bei schwerer Leberzirrhose. Thomas Weyrauch ABB Automation GmbH Frankfurt, Deutschland [email protected] Literaturhinweise [1] ABB: «Mit langem Atem im Messmarathon», ABB Connect 3 (2002), S. 1, 13. [2] J. H. Scofield: «A frequency-domain description of a Lock-In-Amplifier», American Journal of Physics 62 (1994), S. 2, 129–133. ABB Technik 3/2006