Inhalt Vorwort6 Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster „Wir bekennen uns klar zu unserem zentralen Standort“ 8 Der Vorstandsvorsitzende der LVM Versicherung Jochen Herwig im Gespräch mit Falk Jaeger Nachhaltige Erfolgsgeschichte 12 Vom „Haftpflichtversicherungsverein für Landwirthe der Provinz Westfalen“ 1896 zur heutigen LVM Versicherung 2015 „Eine hohe architektonische Qualität“ 22 Fragen an Stadtdirektor Hartwig Schultheiß zum LVM-Bauprojekt Kristall Stetiges Wachstum 26 Die bauliche Entwicklung der LVM Versicherung auf dem Campus am Kolde-Ring Tanz aus der Reihe 42 Der Neubau Kristall auf dem LVM-Campus Tragen und Lasten 94 Das konstruktive und statische System des Kristalls Heizen und Kühlen übernimmt die Umwelt 106 Das ökologische Konzept des Kristalls Multifunktionshaut114 Das komplexe Fassadensystem des Kristalls Licht ist nicht gleich Licht 126 Das vielfältige Beleuchtungskonzept des Kristalls Natur und Kunst bilden den Rahmen 134 Das gestalterische Umfeld des Kristalls Chronologie148 Daten und Fakten 150 Projektbeteiligte152 Fachplaner154 Beteiligte Firmen 155 Biografien156 Bildnachweis158 Impressum159 Vorwort Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster 6 Mit dem „Kristall“ bereichert die LVM Versicherung die Stadt Münster um ein Bauwerk, das schon jetzt zu den Höhepunkten der architektonischen Vielfalt von Münsters Mitte gezählt wird und dem Viertel rund um den Aasee einen neuen baulichen Glanz verleiht. Die LVM Versicherung erhält damit ein Gebäude für 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um das sie viele beneiden werden. An der modernen Silhouette von Münsters Innenstadt haben bereits viele anerkannte Architekten mitgewirkt. Auch Prof. Duk-Kyu Ryang und HPP Architekten zählen dazu und kennen die Besonderheiten des Standortes sehr genau. Wir sind glücklich, dass die Stadt jetzt mit einem weiteren Werk der Baumeister bereichert worden ist, die weltweit schon viele nationale und internationale Architekturhighlights entworfen und umgesetzt haben. Der Kristall oder „schiefe Turm von Münster“ wird sicher schnell zu einem der Wahrzeichen unserer Stadt werden. Der Neubau war mit dem bereits bestehenden LVMTower und mit der beabsichtigten Erweiterung des LVMCampus durch Nachverdichtung in Einklang zu bringen. Auf diese Weise sind wesentliche städtebauliche Ziele, nämlich die Erhaltung innerstädtischer Dienstleistungsbereiche sowie die Innenentwicklung und städtebauliche Neuordnung, im Bestand optimal umgesetzt worden. Der Kristall fügt sich in die Architektur der Umgebung ein, stellt sich selbstbewusst, aber nicht aufdringlich neben die vorhandenen Bauten. Er ist, wie Ryang betont, ein „Wegweiser des Zeitgeistes“. Der Anbau verleiht dem Viertel zwischen Aasee und Weseler Straße einen markanten Eckstein und ist gleichzeitig ein deutlich sichtbares Bekenntnis der LVM Versicherung zur Stadt Münster, einer Stadt, deren baulicher Entwicklungsprozess aufgrund ihrer Vitalität und ihrer Attraktivität nie zu einem Ende kommen wird. Das beweist nicht zuletzt der hochwertig gestaltete Platz zwischen den Hochhäusern, der den Münsteranerinnen und Münsteranern geschenkt wird. Insofern ist der Kristall ein Geschenk für die architektonische Vielfalt unserer Stadt. Mein Dank gilt der LVM Versicherung sowie allen Projektbeteiligten für ein Gebäude, das Maßstäbe setzt und Münsters Mitte an dieser Stelle vollendet. 7 „Wir bekennen uns klar zu unserem zentralen Standort“ Der Vorstandsvorsitzende der LVM Versicherung Jochen Herwig im Gespräch mit Falk Jaeger 8 Welche Rolle spielen Immobilien im Versicherungswesen. Sind sie Wertanlage, Sicherheit, Rücklage? Für uns als institutionelle Anleger spielen Immobilien eine wichtige Rolle bei der langfristigen Kapitalanlage. Gerade jetzt in der Niedrigzinsphase haben wir diesen Bereich aus Gründen der Wertsicherheit und der Rentabilität ausgeweitet. Bei uns liegt der Anteil der Immobilien seit Jahren über dem Durchschnitt der Branche. Sind eigengenutzte Immobilien ebenso Wertanlage in diesem Sinn? Oder könnte man genauso gut den notwendigen Büroraum mieten oder leasen? Die meisten Versicherer nutzen grundsätzlich eigene Gebäude selbst. Wir halten das auch bei der LVM Versicherung für wichtig, denn sie sind eine rentable und werthaltige Anlage. Wir bekennen uns klar zu unserem zentralen Standort am LVM-Campus in Münster: Freier Mietraum war in direkter Umgebung nicht in entsprechendem Maße, wie wir ihn vor dem Bau des Kristalls benötigt haben, verfügbar. Der Rückbau eines bestehenden fünfstöckigen Hauses und der Bau des 17-stöckigen Turms lagen für uns also auf der Hand. Viel wichtiger ist aber die Identifikation der LVM mit dem Ort und diesem Campus. Die Mitarbeiter wissen, dass wir hier Eigentum haben und leben mit der Sicherheit, dass wir den Sitz des Unternehmens nicht verändern. Das gilt auch für die Stadt Münster. Welche besonderen Wünsche oder Anforderungen hatten Sie als Bauherr den Architekten für den Entwurf ins Pflichtenheft geschrieben, auf die Sie als Mieter eines Investorenobjekts hätten verzichten müssen? Wie schon beim Turm wollten wir eine Doppelfassade, damit alle Mitarbeiter nach Bedarf die Fenster öffnen und Frischluft haben können. Wir haben ein OpenSpace-Konzept entwickelt, um unter anderem für die IT-Abteilung Räume zu bekommen, die ihre kommu- 9 Mit ihrem Hochhaus­ triumvirat ist die LVM Versicherung in der Silhouette von Münster nicht zu übersehen. nikative Projektarbeit unterstützen. Darüber hinaus haben wir die Nachhaltigkeit ganz in den Vordergrund geschoben. Es ist uns ja auch gelungen, eines der ersten Plus-Energie-Bürogebäude in Deutschland von der DGNB zertifiziert zu bekommen. Wir erwarten, dass die Gold-Zertifizierung im Laufe des zweiten Halbjahres 2015 erfolgen wird. Und wir benötigten dringend Besprechungs- und Versammlungsräume. Daraus ist unter anderem die „Akademie“ entstanden, mit einem Hörsaal mit natürlichem Raumklima für Vorträge, Seminare und Veranstaltungen mit dem Außen- und Innendienst, deren Identifikation mit der Zentrale dadurch gestärkt wird. Und wir wünschten uns einen Bereich, um Kunst und Kultur zu präsentieren. Damit wollen wir den Mitarbeitern Gelegenheit geben, sich kulturell mehr zu inte­ ressieren und vielleicht auch zu engagieren. Spielt der Aspekt des repräsentativen Auftritts durch die Baulichkeiten eine Rolle? Oder ist in der Branche eher understatement angesagt? Die LVM ist natürlich nicht zu übersehen. An und für sich sind wir für understatement, aber wir haben mit dem Turm bereits Akzente gesetzt, die wir mit dem Kristall nun weiterführen. Es ist nicht unser Ziel, repräsentativ zu sein, sondern wir wollen sowohl den Zeitgeist der Architektur hervorheben, als auch unser Unternehmen gemäß unserer Philosophie transparent darstellen. Das Wichtigste für mich ist jedoch, dass die Mitarbeiter Arbeitsplätze vorfinden, die für sie gut sind und an denen sie sich wohlfühlen. Und schließlich gehört es für ein Unternehmen mit dazu, Verantwortung für die Stadt zu tragen. In diesem Fall dadurch, dass das Gebäude dazu beiträgt, dass man auch aus architektonischer und städtebaulicher Sicht sagen kann: Münster ist schön! Nachhaltige Erfolgsgeschichte Vom „Haftpflichtversicherungsverein für Landwirthe der Provinz Westfalen“ 1896 zur heutigen LVM Versicherung 2015 12 Obgleich die LVM Versicherung heute als eine Unternehmensgruppe mit weithin bekanntem Namen wahrgenommen wird, die ganz selbstverständlich ihren Kunden Versicherungs- und Finanzdienstleistungen in einem breiten, fast alle Lebenslagen abdeckenden Spektrum anzubieten hat, so verweist doch die Bedeutung des Kürzels LVM „Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster auf Gegenseitigkeit“ darauf, dass man einmal in einer einzelnen Sparte klein angefangen hat. Und zwar bereits vor mehr als einem Jahrhundert. Die Anfänge gehen auf das Jahr 1862 zurück. Damals rief der Mitbegründer der Zentrumspartei, der aufgrund seiner Popularität „Westfälischer Bauernkönig“ genannte Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst die Bauern­ vereine ins Leben. Anfangs in Kreisvereinen organisiert, taten sich die Landwirte im November 1871 zusammen und gründeten den Westfälischen Bauernverein mit Sitz in Münster, dem sich die ebenfalls zum Bistum Münster gehörigen rheinischen Kreise Rees, Essen, Duisburg und Mülheim an der Ruhr anschlossen. Zweck der Bauernvereine war unter anderem, die Interessen der Mitglieder auf politischem Parkett zu vertreten, Einkaufsgemeinschaften zu bilden oder auch günstige Versicherungen zu organisieren. Die erste Geschäftsadresse lag in der Sternstraße, der späteren Heisstraße. 1906 bezog der Verein Diensträume im Haus der Landwirtschaftskammer, einem repräsentativen neobarocken Gebäude an der Schorlemerstraße. Am Ende des 19. Jahrhunderts, nach Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung, wurden zahlreiche Haftpflichtversicherungen gegründet, meist von Berufsverbänden, oft von lokaler Bedeutung. Ob Zuckerfabrikanten oder Tiefbauer, Hausbesitzer oder Bienenzüchter, Ärzte, Apotheker oder Hoteliers, alle konnten sich bei einschlägigen Gesellschaften versichern. Auch in der Landwirtschaft wurde der Bedarf nach einem spezifischen Versicherungsschutz immer dringlicher. Es entstanden zahlreiche Haftpflichtversicherungen, die den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften angegliedert waren. Den Münsteranern war es nicht gelungen, einen Privatversicherer zu finden, der mit dem Bauernverein einen 13 Entlang des Kolde-Rings streben die Baumassen des Kristalls in die Höhe. 18 Erste Handzeichnungen von Duk-Kyu Ryang gaben eine Vorstellung vom künftigen Ensemble. Der LVM-Campus aus der Vogelschau mit Blick nach Südosten der HUK-Coburg Platz drei. Durch diesen Erfolg wurden jedoch strategische Überlegungen des Vorstands, wie man zu einer ausgewogenen Spartenmischung gelangen könnte, zum Dauerthema. Dem Wunsch des Außendienstes nach einem RundumVersicherungsschutz wurde 1982 mit der Gründung einer dritten Tochter, der Krankenversicherungs-AG entsprochen. Damit hatte sich der LVM endgültig vom Bauernverein zur universellen Versicherungsgruppe aufgeschwungen. 1989 beteiligte sich der LVM an der DSL-Holding. In den neunziger Jahren entstand in Zusammenwirken mit der Union Investment die LVMFonds-Union. So war der LVM auch zum Finanzdienstleister geworden, der Kapitalanlagen verwaltete. Heute erweitern die Kooperationen mit der Augsburger Aktienbank und dem amerikanischen Unternehmen Federated Investors sowie der Aachener Bausparkasse das Finanzdienstleistungsangebot. Ebenfalls in den neunziger Jahren trat der LVM in die Reihen der Sozialver­sicherer ein, als die Pflegeversicherung ins Portfolio genommen wurde. Das verhältnismäßig stetige Wachstum der LVM Versicherung, das sich auch in einer kontinuierlich zu nennenden Erweiterung des LVM-Campus am Kolde-Ring zeigte, sollte einen neuerlichen Schub bekommen. Im Juli 1990 erweiterte sich das Geschäftsgebiet schlagartig um die neuen Bundesländer. Wieder sollte die Erweiterung durch Vertrauensleute mit Ausschließlichkeitsverträgen und ohne Filialnetz gemeistert werden. 700 Vertrauensleute wurden angeworben, 109 mobile LVM-Büros waren Anlaufstellen für die neuen Bundesbürger. Nach wenigen Jahren entsprach der auf einem Terrain, zu dem man vorher keinerlei Beziehungen hatte, errungene Marktanteil jenem in Westdeutschland. Nach Öffnung des europäischen Binnenmarkts im Juli 1994 verzichtete der LVM allerdings darauf, sein Tätigkeitsfeld über die deutschen Grenzen hinaus auszuweiten. Als das Unternehmen 1996 sein 100-jähriges Bestehen feiern konnte, zählte es 2,5 Millionen Mitglieder, verzeichnete ein Beitragsaufkommen von über drei Milliarden DM und beschäftigte 2500 Mitarbeiter sowie 2100 hauptberufliche und 300 nebenamtliche Vertrauensleute. 19 5 „Eine hohe architektonische Qualität“ Fragen an Stadtdirektor Hartwig Schultheiß zum LVM-Bauprojekt Kristall 22 Der LVM-Campus von Süden mit Blick Richtung Innenstadt Hat die Stadt Münster eine Rahmenplanung für die Ansiedlung von Hochhäusern erarbeitet? Bereits in den Jahren 2003 und 2007 hat der Rat der Stadt Münster die Entscheidung getroffen, kein Standortkonzept für Hochhäuser als städtebauliche Vorgabe aufzustellen. Die Verwaltung hatte vorab eingehend die Entstehungsgeschichte von Hochhausstandorten im Stadtraum Münster untersucht – mit dem Ergebnis: Prägende „Dominanten“ sind über das Stadtgebiet verstreut. Die Neubauprojekte wurden aus städtebaulichen oder unternehmensstrategischen Gründen zunächst angestoßen und unterlagen beziehungsweise unterliegen auch aktuell jeweils einer intensiven Einzelfallprüfung hinsichtlich struktureller und städtebaulicher Eignung. Bei Aufstellung von (vorhabenbezogenen) Bebauungsplänen, die oft auf Wettbewerbsergebnissen basieren, findet eine Bürgerbeteiligung sowie die Einbindung von Gestaltungsbeirat und politischen Gremien statt. Insofern haben wir – quasi als Prüfschema – einen Strukturplan entwickelt, der sich insbesondere mit den Fragen von Fernwirkung und Blickachsen auseinandersetzt. Ganz bewusst wollten wir damit einen Angebotsplan für Hochhäuser vermeiden. Welche städtebauliche Konzeption verfolgt die Stadt im engeren Quartier und weiteren Stadtbereich des LVMCampus? Ein ganzheitliches städtebauliches Zielkonzept für die LVM Versicherung am Standort Kolde-Ring / We­seler Straße / S perlichstraße / Von-Stauffenberg-Straße gab es vonseiten der Stadt leider nicht. Die Neu­ bau­­­ent­wicklung basiert auf liegenschaft­licher und strate­gischer Vorausschau für die eigene Unternehmensentwicklung im nahen Umfeld und hat bislang zur konzentrierten Erweiterung von Arbeitsplätzen geführt. Alle Bauabschnitte wurden städtebaulich im Rahmen der Vereinbarkeit mit den angrenzenden Wohnquartieren entwickelt, jeweils unter Aufstellung von Bebau- 23 Tanz aus der Reihe Der Neubau Kristall auf dem LVM-Campus 42 Die Brücke zwischen dem Kristall und dem Bauteil von 1998 ist ein prägendes Element des Ensembles. Der Blick vom Aasee aus ist vielleicht der aufschlussreichste. Der „Kristall“ genannte Neubau der LVM Versicherung mit dem internen Kürzel LVM 5 erscheint von dort aus gesehen tatsächlich wie ein überdimensionaler Bergkristall, vielfach schräg abgekantet mit erstaunlicher Neigung nach oben wachsend. Je nach Tageszeit und Wetter spiegeln sich die Umgebung und der Himmel in seinen Flanken oder man kann wie durch einen glasklaren Kristall hindurchschauen. Dann scheint es, als bewegten sich die Menschen in ihren Büros auf dünnen Geschossdecken in offenen Etagen, als habe der Bau gar keine Fassade. Der Effekt ist dem Weißglas zu verdanken, das, anders als das grünlich gefärbte Normalglas, eine maximale Transparenz mit sich bringt. Die Panoramaansicht aus der Distanz zeigt aber auch, wie sich die Hochhäuser des LVM-Campus zu einer Familie zusammenfinden: Der um vier Geschosse erhöhte Altbau, auch er mit einer abgeschrägten Dachpartie, schmiegt sich an den höchsten der drei Türme an; rechter Hand davon befindet sich der Kristall, der sich den beiden Nachbargebäuden zuneigt, zuwendet, und ihnen gar in Form einer gläsernen Brücke, die ihn mit den beiden „Brüdern“ verbindet, die Hand reicht. So ist die Brücke nicht nur ein viele interne Wege verkürzendes Verkehrselement, sie ist auch eine symbolische Geste, die Zusammengehörigkeit signalisiert. Eine kleine „Skyline“ erhebt sich über den Dächern der Stadt – in ihrem Höhenstreben freilich nicht an Großstädte mit Hochhausambitionen wie Frankfurt am Main erinnernd, sondern im moderaten Münsteraner Maßstab bleibend – und bildet einen Nukleus. Auch von Süden her wird die „Zuneigung“ des Kristalls den beiden Nachbartürmen gegenüber deutlich sowie seine Funktion, das Ensemble der LVM Versicherung als eines der stadtbildprägenden Baugruppen am Einfalltor Weseler Straße zu ergänzen. Am Kolde-Ring, von Westen her, ist der Kristall das erste der LVM-Gebäude, das vor Augen tritt. Die entlang der Straße gestaffelten, prismatischen Sockelbauteile, zum Teil metallverkleidet, zum Teil vollkommen gläsern, erscheinen wie ein Feld von Kristallen, aus denen das Hochhaus als größter der Kristalle herauswächst. 43 64 65 Blick in die Höhe des Foyers Auch der Empfangs­ tresen wiederholt die Formensprache der Architektur. Die Silhouette des Kristalls bestimmende gelbe Stützen steigen aus dem Foyer in die Höhe. 82 Die Teppichböden in den Bürogeschossen sind je nach Geschoss von unterschiedlicher Farbigkeit. Aus der Vogelschau sind die wechselnden Farben der Geschosse zu er­kennen. 83 Tragen und Lasten Das konstruktive und statische System des Kristalls 94 Dass die Statik des Kristalls wie bei einem monolithischen Bergkristall funktioniert, wird auch ein bautechnischer Laie nicht erwarten. Und dass das Tragwerk etwas komplizierter zu rechnen und zu bauen war, als das eines schachtelförmigen Hochhauses, erkennt auch er beim genaueren Mustern des Gebäudes. Zu Beginn der Zusammenarbeit mit den Architekten waren die Tragwerksplaner konzeptionell mit zwei verschiedenen Turmentwürfen konfrontiert: mit der Variante „Pisa“, ein geneigter Turm mit gleichmäßig quadratischem Grundriss, und mit der Variante „Kristall“, ein ebenfalls leicht geneigter Turm, der aber aus sich schräg verschneidenden Flächen zusammengesetzt ist, die in ein zweiseitig abgetrepptes Basisgebäude übergehen. Die Entscheidung fiel früh zugunsten des Kristalls, sodass der architektonische Entwurf und der Tragwerksentwurf am Gesamtmodell parallel entwickelt werden konnten. Das bis zu viergeschossige Basisbauwerk mit seiner unregelmäßigen Geometrie wurde in Stahlbetonbauweise mit weit gespannten Unter- und Überzugsdecken und teilweise schräg stehenden aussteifenden Wänden konzipiert. Die den Raumabschluss bildende StahlGlas-Pyramide ist als frei verschiebbarer Dreiecksgitter-­ Trägerrost mit biegesteif verbundenen Stahlhohlprofilen ausgebildet, wobei die unregelmäßige Geometrie teilweise zu komplexen Konstruktionen führt. Die Tragstruktur des Turms besteht aus einem Stahlbetonskelett mit ebenen Flachdecken, Stützen und Kernen. Die Aussteifung gegen Horizontallasten erfolgt durch die vertikal durchlaufenden Treppenhaus- und Aufzugskerne. Die vertikalen Lasten werden über schlanke Rundstützen von Stockwerk zu Stockwerk in die Bodenplatte und den Baugrund abgetragen. Ein konventionelles System also, bei dem die Bemühungen der Ingenieure dahin gingen, die Bauteile zu optimieren. So wurden Flachdecken mit einer Stärke von 30 Zentimetern und einer Stützweite von bis zu acht Metern gewählt, die bei minimierter Bauhöhe eine größtmögliche Flexibilität hinsichtlich des technischen Ausbaus zulassen. Durch die Stützenanordnungen wurde die Deckenspannweite auf acht Meter begrenzt, um die Verformungen der Deckenränder für den Fassadenbau in Grenzen zu halten. 95 Die gelbe Luftstütze ist Bestandteil des Tragwerks. Heizen und Kühlen übernimmt die Umwelt Das ökologische Konzept des Kristalls 106 Die Fenster können individuell geöffnet werden. Vor den Fensterfronten liegen die Luftauslässe der dezentralen Lüftungsgeräte. Bauen ist grundsätzlich Umweltzerstörung und allemal auf vielfältige Weise mit der Beeinträchtigung der Umwelt verbunden. Bauen ist jedoch unumgänglich und so sollte unser Streben dahin gehen, diese Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten. Die LVM Versicherung hat bei ihrem neuesten Bau mit ungewöhnlicher Konsequenz das Ziel verfolgt, ein möglichst ökologisches Gebäude zu errichten. So wurden nicht nur gängige und erprobte Methoden und Techniken des Energiemanagements und der nachhaltigen Bau- und Betriebsweise eingesetzt, sondern auch innovative Techniken ausprobiert wie etwa das PCM-Prinzip oder das noch keineswegs allgemein eingeführte Cradle-to-Cradle-Prinzip. Energiemanagement Es gibt derzeit erst wenige Bürohäuser, die konsequent als Plusenergiegebäude konzipiert und gebaut sind, das heißt, die in der Gesamtenergiebilanz rechnerisch mehr Primärenergie erzeugen, als sie im Betrieb verbrauchen. Beim Kristall liegen die Verbrauchswerte bei der Nutzenergie um 35 Prozent und bei der Primärenergie um 58 Pro- zent unter den Werten des Referenzgebäudes gemäß EnEV und DIN V 18599. Bezieht man in die Bilanz auch die elektrische Energie mit ein, die von der Photovoltaikanlage (Leistung 100 kWpeak) und dem Blockheizkraftwerk (Leistung 70 kWel) erzeugt werden, ergibt sich über ein Jahr bilanziert ein Nettoenergieüberschuss von - 22 kWh/(m²a). Das Gebäude erzeugt also mehr Energie als es benötigt. Diese positive Energiebilanz war ein wesentlicher Faktor für die Erteilung des DGNB-Zertifikats in Gold. Um die angestrebten Werte zu erreichen, wurde zunächst die Gebäudehülle mit hocheffektiver Wärmedämmung, Doppelfassade, Dreifachverglasung der inneren Fenster etc. ausgestattet, sodass sie möglichst geringe Wärmeverluste und möglichst hohe Energieeinträge durch Sonnen- bzw. Tageslicht aufweist. Weitere Voraussetzungen sind auf der Verbrauchsseite individuelle und präsenzabhängige Systeme für die Belichtung und Belüftung. Die doppelschalige Gebäudehülle ermöglicht zudem in einem Großteil des Jahres eine natürliche Belüftung über die Fenster, auch bei Starkwind oder Regen. 107 Ein Schwarm von „Vogelleuchten“ in der Sky Lounge Im Besprechungsraum der Sky Lounge folgt die Form der Leuchte jener des Konferenztisches. 131 136 Die Plastik aus glasklarem Polyäthylen wird am Abend von innen in wechselnden Farben beleuchtet. Ein Computerprogramm steuert die Farbe des Lichts. Nach Süden wird der Platz durch ein den Raum diagonal querendes Fontänenfeld abgegrenzt. Das flache Becken aus dunklem Naturstein lädt im Sommer dazu ein, sich in der Mittagspause die Füße zu kühlen. Die Fahrspur führt über eine flache „Brücke“ aus Granitplatten über die Wasserfläche. Das sich mühelos jeder Form anpassende und doch so machtvolle Wasser spielt in der fernöstlichen Philosophie des Architekten Ryang eine besondere Rolle. So ergibt sich im Entwurf des Landschaftsarchitekten Gordon Brandenfels der Bezug zwischen Innen- und Außenraum durch die Wasser- und Pflanzbecken im Foyer. Schwarze und weiße Findlinge schweben symbolisch auf Wasserfallschürzen über dem Wasserspiegel. Zusammen mit den kleinen Fontänen erzeugen sie optisch und akustisch eine kontemplative Atmosphäre. Selbst der Dachgarten des Sockelgebäudes, den die Besucher der Akademie beim Blick aus den Fenstern sehen, ist der Triangulation unterworfen. Pflanzfelder wechseln sich mit Flächen ab, die mit Glasnuggets in den Grundfarben Rot, Blau und Grün belegt sind. Die Landschaftsarchitekten haben auch den Grünbereich zur benachbarten Wohnbebauung gestaltet, als ruhigen Garten mit Verweilmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Auf dem Dach der neuen Fahrradtiefgarage wiederum ist eine Art fernöstlicher, kontemplativer Steingarten anzutreffen. Die Fläche ist mit weißem Splitt bedeckt, aus dem ein bizarrer Felsen wächst, in dessen Vertiefungen sich Wasser sammelt und verdunstet. Gleditschienbäume wachsen in stählernen Schalen und spenden leichten Schatten im ruhigen Garten. Bambus bildet entlang der Hauswand einen Hain und beschattet die Sitzbänke am Rand des Steingartens, der durch eine Sichtbetonwand vom Verkehr auf dem Kolde-Ring abgeschirmt ist. So ist aus dem gesamten Umfeld des Kristalls aus einer Asphaltstraße zur Erschließung eine einladende Anlage geworden, aus einem Verkehrsraum ein gestalteter Stadtraum mit Aufenthaltsqualität, der sich den Menschen zuwendet und mehr ist als ein Platz, den man auf dem Weg zur Arbeit möglichst rasch überquert. 137 Die „Hand“, eine vier Meter große Kolossalplastik von Duk-Kyu Ryang, beherrscht als einladende Geste den Platz vor dem Kristall. Biografien 156 Markus Lewe Jochen Herwig HPP Architekten geboren 1965 in Münster, studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Verwaltungswissenschaften. Er ist seit 1982 politisch engagiert, zunächst im Vorstand der Jungen Union, dann in der CDU. Von 2007 bis 2009 war er Vorsitzender des CDU-Kreisverbands Münster. Seinen beruflichen Werdegang begann er 1989 beim Landschaftsverband Westfalen Lippe. Später arbeitete er im Bistum Münster als Revisor, übernahm anschließend die Leitung des Referats Controlling und wurde schließlich Chef der Organisationsentwicklung. Von 1999 bis 2009 bekleidete er das Amt des Bezirksbürgermeisters in Münster-Süd-Ost. 2009 wurde er zum Oberbürgermeister der Stadt Münster gewählt. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens Münster/ Osnabrück. geboren 1947 in Braunfels/Lahn, absolvierte die Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Westdeutschen Landesbank Girozentrale Münster. Von 1969 bis 1974 studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 1974 arbeitet er in verschiedenen Funktionen bei der LVM Versicherung, zunächst in der Betriebsorganisation, dann als Datenschutzbeauftragter und Abteilungsleiter der Vermögensanlage. 1988 wurde er Generalbevollmächtigter und Direktor. Seit 1990 ist er Vorstandsmitglied des LVM, danach Vorstandsmitglied der weiteren Unternehmen der LVM-Unternehmensgruppe. Seit 2011 leitet er als Vorstandsvorsitzender die Geschicke der LVM Versicherung. Hartwig Schultheiß Falk Jaeger Dipl.-Ing. Architekt, geboren 1959 in Dülmen/Westfalen, studierte in Münster Geographie und an der Universität Stuttgart Architektur. Nach fünf Jahren Praxis im Stuttgarter Architekturbüro Hoffmann & Kühn schlug er die Laufbahn des höheren bautechnischen Verwaltungsdienstes beim Städtebauministerium NRW ein. 1989 übernahm er die Leitung des Hochbau- und Bauordnungsamtes in Gronau/Westfalen, 1992 wurde er Technischer Beigeordneter der Stadt Erkelenz, 1998 als Erster Beigeordneter Vertreter des Stadtdirektors. Seit 2000 ist er Beigeordneter der Stadt Münster für Planung, Bau und Marketing, seit 2003 deren Stadtdirektor, Beigeordneter für Planung, Bau, Wirtschaft und Marketing sowie allgemeiner Vertreter des Oberbürgermeisters. Prof. Dr.-Ing. (arch.), geboren 1950 in Ottweiler/Saar, studierte in Braunschweig, Stuttgart und Tübingen Architektur und Kunstgeschichte und wurde an der TU Hannover promoviert. Seit 1976 arbeitet er als freier Architekturkritiker. Von 1983 bis 1988 war er Assistent am Institut für Baugeschichte und Bauaufnahme der TU Berlin, übernahm Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen und hatte von 1993 bis 2000 den Lehrstuhl für Architekturtheorie an der TU Dresden inne. Er lebt als freier Publizist, Dozent, Kurator und Fachjournalist für Rundfunk, Tages- und Fachpresse in Berlin. Er wurde unter anderem mit dem DAI-Literaturpreis Baukultur und dem 1. Preis Architekturkritik der Bundesarchitektenkammer ausgezeichnet. Begründet wurde das Büro 1933 durch den Architekten und Regierungsbaumeister Helmut Hentrich. 1953 ergab sich eine Arbeitsgemeinschaft mit Hubert ­Petschnigg, woraus schließlich 1969 mit der Aufnahme neuer Partner das Büro HPP Hentrich-Petschnigg & Partner entstand. 1974 übergaben die Gründungspartner die Leitung an Hans Joachim Stutz und Rüdiger Thoma. 1977 wurde die HPP International Planungsgesellschaft mbH gegründet. 1992 übernahmen Hermann Henkel und ­Rüdiger Thoma als persönlich haftende Gesellschafter die Gesamtleitung; Hans Joachim Stutz und Michael Zotter wurden Kommanditisten, Helmut Hentrich und Hubert ­Petschnigg bildeten den Beirat. Joachim Faust trat 1997 neben Hermann Henkel in die Geschäftsleitung ein. Helmut Hentrich und Hubert Petschnigg übertrugen ihren Beiratssitz auf Hans ­Joachim Stutz und Michael Zotter. Die namensgebenden Gründungspartner Helmut Hentrich und Hubert ­Petschnigg verstarben 2001 bzw. 1997. 2002 trat Gerhard Feldmeyer in die Geschäftsleitung ein, 2005 wechselte Hermann Henkel in den Beirat. 2007 erhielt die KG die Rechtsform einer GmbH & Co. KG mit den geschäftsführenden Gesellschaftern Joachim Faust und Gerhard Feldmeyer sowie den Gesellschaftern Gerd Heise, Remigiusz Otrzonsek und Volker Weuthen, zu denen im Jahr darauf Werner Sübai hinzukam. Mittlerweile wird das Büro von der vierten Architektengeneration geführt, ist mit 320 Mitarbeitern international 157 Duk-Kyu Ryang tätig und realisierte im In- und Ausland über 1100 Bauprojekte. Der Hauptsitz von HPP Architekten liegt im Düsseldorfer Medienhafen, weitere Bürostandorte befinden sich in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Stuttgart, Sofia, Istanbul, Shanghai und Washington. Das Tätigkeitsfeld umfasst sämtliche Architekten- und Generalplanerleistungen, schwerpunktmäßig in den Bereichen Corporate Headquarters, Büro- und Verwaltungsgebäude, Hotel- und Wohnungsbau, Krankenhäuser, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Kulturbauten, Shoppingcenter, Bauten für Lehre und Forschung, Industriebau, Verkehrsbauten, Städtebau, Sanierung und Denkmalschutz. Zu den bekanntesten Bauten des Büros zählen das BASF-Hochhaus in Ludwigshafen, das Dreischeibenhaus in Düsseldorf, die Sanierung des Leipziger Hauptbahnhofes sowie der Düsseldorfer Tonhalle, die Arena AufSchalke und die medizinische Fachbibliothek O.A.S.E. in Düsseldorf. Im Bau befinden sich derzeit unter anderem das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund, die Hochschule Ruhr West in Mülheim an der Ruhr, die Sanierung der Bühnen in Köln und der AND Tower in Istanbul. Die jüngst fertig gestellten Projekte sind unter anderem der Vodafone Campus in Düsseldorf, das maxCologne samt Lanxess Tower in Köln, das Shoppingcenter Hofgarten Solingen, das Clariant Innovation Center in Frankfurt sowie der Komplex Olgahospital und Frauenklinik in Stuttgart. Prof. Dipl.-Ing., M. A., Architekt KIA, BDA, geboren 1938 in Seoul, studierte an der Universität Hanyang in Seoul und erwarb 1962 das Architekturdiplom. Einer ersten Anstellung in Seoul folgte von 1964 bis 1968 die Mitarbeit in den Büros Carl Auböck, Wien und Otto Carl Uhl, Wien. 1964 übernahm er die Leitung der Architekturabteilung Kong Yong, Seoul und studierte gleichzeitig an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er 1968 mit der Magisterprüfung abschloss. Von 1968 bis 1972 arbeitete er im Düsseldorfer Büro Rosskotten & Tritthart und bei HPP Düsseldorf. 1972 eröffnete er sein eigenes Büro in Langenfeld. 1978 wurde er Partner der HPP International Planungsgesellschaft mbH und 1982 Partner der HPP Hentrich-Petschnigg & Partner KG, Düsseldorf. Von 1996 bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden leitete er das Kölner HPP-Büro. Von 2003 bis 2009 bekleidete er eine Professur an der Hanyang Graduated School of Architecture der Hanyang Universität Seoul. 2004 eröffnete er das Architekturbüro Duk-Kyu Ryang in Düsseldorf. Ryang ist Mitglied des Bundes Deutscher Architekten (BDA), der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (AKNW), des Koreanischen Institute of Architecture (KIA), des Industrie-Clubs Düsseldorf und des Förderkreises der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.