Aus Spiegel-Online Kinderlähmung: Polio

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Kinderlähmung: Polio-Impfungen schützen
im Doppelpack besser
AP/dpa
Ein kleines Kind erhält im Irak die Schluckimpfung: Schutz in Kombination mit Spritzimpfung noch
besser
Wie lässt sich die Kinderlähmung endgültig ausrotten? Eine aktuelle Studie
könnte die Antwort auf diese Frage vorantreiben: Demnach schützt die
Kombination aus zwei Impfungen besser gegen das Polio-Virus als die einzelnen
Vakzinen.
Das Polio-Virus schien zunehmend von der Welt zu verschwinden, bis vergangenes Jahr
der Rückschlag kam. Der Erreger, der zur Kinderlähmung führen kann, verbreitet sich
wieder. Von Pakistan gelangte er nach Afghanistan, von Syrien in den Irak, von Kamerun
nach Äquatorialguinea. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie könnten dabei helfen, das
Virus wieder zurückzudrängen.
Laut der Untersuchung mit knapp tausend Kindern im Alter von sechs Monaten bis zehn
Jahren schützt die Kombination von zwei Impfstoffen besser vor der Kinderlähmung als
die beiden einzelnen Mittel. Das berichtet ein Forscherteam um Hamid Jafari vom India
National Polio Surveillance Project der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Neu Delhi
im Fachmagazin "Science".
Gegen den Erreger von Polio oder Poliomyelitis, auch Kinderlähmung genannt, gibt es
zwei gängige Impfstoffe. In Deutschland verwenden Mediziner nur noch die
Spritzimpfung (Salk), die inaktivierte Viren enthält. Weltweit deutlich verbreiteter ist die
Schluckimpfung (Sabin), die durch abgeschwächte, aber noch funktionsfähige Erreger
wirkt. Die Frage, welcher Impfstoff sich wann besser eignet, führt seit Langem zu
Kontroversen.
Besserer Schutz, größeres Risiko
Die Schluckimpfung bringt im Vergleich zur Spritzimpfung viele Vorteile mit sich. Sie ist
preiswert und leicht zu verabreichen. Außerdem reagiert bei der Impfung auch das
Abwehrsystem der Darmschleimhaut stark auf den Erreger - der Geimpfte erlangt
dadurch eine sogenannte Schleimhautimmunität und ist noch besser vor Polio geschützt.
Der größte Nachteil der Schluckimpfung ist jedoch, dass sie - obwohl sie abgeschwächte
Viren enthält - in sehr seltenen Fällen (etwa ein bis zwei Fälle pro eine Million
Erstimpfungen) Polio auslösen kann. Aus diesem Grund, und da das Virus in Europa als
ausgestorben gilt, wird die Schluckimpfung in Deutschland nicht mehr routinemäßig
verwendet. Stattdessen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), allen
Säuglingen, Kindern und Jugendlichen den inaktivierten Impfstoff zu spritzen.
In Ländern hingegen, in denen das Virus noch grassiert, und ein höheres Infektionsrisiko
besteht, wird die Schluckimpfung nach wie vor häufig genutzt. Studien weisen jedoch
darauf hin, dass die Schleimhautimunität schon kurz nach der Impfung wieder
nachlassen kann. Um einen möglichst guten Schutz zu bieten, seien mehrere Dosen der
Schluckimpfung notwendig, schreiben die Autoren der aktuellen Studie. Dies kann
besonders in Krisenregionen zum Problem werden.
Beide Impfungen, höhere Schleimhautimmunität
Um eine Lösung dafür zu finden, prüften die Forscher, ob die Kombination verschiedener
Vakzinen die Schleimhautimmunität erhöht. Hierzu verabreichten die Forscher fast
tausend Kindern aus dem nordindischen Staat Uttar Pradesh zunächst entweder Salk,
Sabin oder keine Impfung. Vier Wochen später erhielten alle die Schluckimpfung.
Jene Kinder, die zuerst die Spritz- und dann die Schluckimpfung bekommen hatten,
erreichten nicht nur eine höhere Schleimhautimmunität im Vergleich zu den anderen
Gruppen. Auch ein weiteres Problem der Schluckimpfung konnte die Kombination beider
Impfstoffe lösen: Es reduzierte die Anzahl der Viren, die Kinder nach der Schluckimpfung
natürlicherweise über den Stuhl ausscheiden.
Die Viren im Stuhl bringen zwar den Vorteil, dass sich Teile der Bevölkerung mit den
Impfviren infizieren können und dadurch möglicherweise ebenfalls immun werden. In
Ländern mit ungenügendem Polio-Impfschutz bergen sie jedoch auch die Gefahr, dass
das ausgeschiedene Virus zu einer gefährlichen Form mutiert, wenn es zu lange kursiert.
"Die Spritzimpfung sollte genutzt werden, um in Ländern, die nur schlechten Zugang zu
Impfungen haben, die Ausrottung des Virus zu beschleunigen", bewertet Studienleiter
Jafari die Ergebnisse.
Internationale Polio-Notlage ausgerufen
Polio-Viren waren früher weltweit verbreitet. Durch Impfungen ist es jedoch gelungen,
den Erreger massiv zurückzudrängen. Die Zahl der Länder, in denen Polio dauerhaft
vorkommt, ist seit Beginn einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im
Jahr 1988 von 125 auf drei gesunken. Nur Nigeria, Pakistan und Afghanistan waren noch
nie poliofrei.
Allerdings kommt es nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vor allem in Afrika
jährlich zu einer Vielzahl an verschleppten Erkrankungen und Ausbrüchen in eigentlich
poliofreien Gebieten. Nachdem sich Polio-Viren Anfang 2014 in zehn Staaten wieder
ausgebreitet hatten - darunter auch vielen asiatischen -, hatte die WHO im Mai eine
internationale Polio-Notlage ausgerufen. Bis 2018 sollte die Krankheit komplett
verschwunden sein, so lautet das Ziel. In Deutschland wurden die letzten beiden
importierten Polio-Fälle laut RKI 1992 registriert.
Die Infektion mit Polio-Viren kann sehr unterschiedlich verlaufen. In der Mehrzahl der
Fälle entwickeln die Infizierten keine Symptome, möglich sind aber auch Magen-DarmBeschwerden, Fieber, Kopfschmerzen oder eine Hirnhautentzündung. Eine von 200
Ansteckungen mit dem Krankheitserreger führt zu dauerhaften Lähmungen etwa von
Bein-, Arm- oder Augenmuskeln.
irb/dpa
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