Gehring_Tiere_im_Boden

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Hornmilben und ihre Nachbarn –
e i n e E x p e d i t i o n z u d e n Ti e r e n i m B o d e n
DOROTHEE GEHRING
Naturraum mit
unendlicher Vielfalt
Dunkelheit und Enge bestimmen das
Leben in diesem eher unbekannten Naturraum, in den ich Sie auf eine Expedition mitnehmen möchte. Alles, was Sie
für diese Reise benötigen, ist ein wenig
Neugier auf eine ganz spezielle Tierwelt, in die wir Menschen nur mit Hilfe
technischer Errungenschaften hineinschauen können. Die Möglichkeit diesen Naturraum zu erkunden, haben wir
uns Schritt für Schritt wissenschaftlich
erobern müssen und wir wissen über
diesen Lebensraum immer noch viel zu
wenig, obwohl sich die Naturwissenschaftler schon seit rund 100 Jahren damit intensiv befassen. Für alle Landlebewesen dieser Erde ist dieser Lebensraum unentbehrlich.
Nun wissen Sie, dass ich Sie auf eine
Entdeckungsreise in den größten und
am dichtesten besiedelten Naturraum
unserer Erde, den Boden mitnehmen
möchte. Der Boden ist uns als Wurzelraum der Pflanzen vertraut, aber als
Lebensraum für unendlich viele meist
winzig kleine Lebewesen ist er uns
immer noch fremd. Oder wussten Sie,
dass ein Gramm gesunder Boden ca.
500.000 Bakterien, 400.000 Pilze,
50.000 Algen und 30.000 einzellige Lebewesen (Protozoen) enthält oder das
in einem Bodenblock von einem Quadratmeter Fläche und 30 cm Tiefe
100.000 bis 400.000 Milben und
50.000 bis 400.000 Springschwänze
leben.
Es ist ebenso kaum vorstellbar, dass
das Gesamtlebendgewicht (Biomasse)
der Regenwürmer die Biomasse der
Rinder, die von der gleichen Wiesenfläche leben können, übertrifft.
Diese schier unvorstellbare Vielfalt
an Bodenlebewesen hat Wolf-Eberhard
Barth in seinem Buch «Naturschutz: das
Machbare» (1995) wie folgt beschrieben: «Eine Handvoll gesunder Humuserde
enthält vielfach mehr Lebewesen, als die
Welt Einwohner hat, und man darf nicht
vergessen, dass das Zusammenspiel dieser
Lebewesen genauso ökologischen und evolutionär vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten
folgt, wie die oberirdische Flora und Fauna».
Der erste, der die Funktion der Lebewesen im Erdboden erkannt hat, war
kein geringerer als Charles Darwin, der
1837 seine Erkenntnisse über die Bildung von Humus durch Regenwürmer
niederschrieb. Kurz vor seinem Tod verfasste er 1881 ein weiteres 236 Seiten
umfassendes Werk über die «Bildung
von pflanzlichem Humus durch die
Aktivität der Regenwürmer». Der Engländer Charles Darwin ist einer der
bedeutendsten Naturwissenschaftler.
Er begründete die moderne Evolutionstheorie mit seiner Erklärung, dass dem
Artenwandel und der Entstehung neuer
Arten eine natürliche Selektion zugrunde läge. Er lebte von 1809 bis 1882.
Durch seine Arbeiten beeinflusste er die
Biologie und die Geologie grundlegend.
Die ersten umfassenden Untersuchungen hat dann 20 Jahre später der
Schweizer K. Diem durchgeführt. Er
unternahm 1903 den Versuch, die gesamte Fauna des Bodens in den Alpen
zu erfassen. Sein Einteilungsprinzip für
die Bodenfauna hat teilweise noch bis
heute Gültigkeit. Die systematische Erfassung von Bodenmilben wurde von
dem Italiener A. Berlese mit seiner 1905
beschriebenen Trockentrichtermethode
eingeführt. Dabei werden die in einer
Bodenprobe lebenden Tiere durch langsame Austrocknung von oben nach unten zum Verlassen des Bodens über ein
Sieb in eine darunter gestellte Fangflüssigkeit gebracht. In technisch verfeinerter Form wird diese Methode (BerleseTrichter) heute immer noch verwendet.
Ein Kreislauf
wird geschlossen
Die Gesamtheit der Bodenorganismen
wird als Edaphon bezeichnet. Die unendlich vielen Bodenorganismen, die
das Edaphon bilden, stehen miteinander in einer engen Beziehung und reagieren bereits auf kleinste Einflüsse.Wir
wissen aber immer noch viel zu wenig
darüber, wie sich diese auf die Bodenlebenswelt auswirken, denn 90 % der Bodenbakterien sind bisher noch nicht erforscht. Bodenorganismen zerkleinern
und zersetzen das tote organische Material (abgestorbene Pflanzen, Pilze und
tote Tiere) und Bakterien und Pilze zerlegen dieses weiter in seine chemischen
Bestandteile, die den Pflanzen dann
wieder als Nährstoff zur Verfügung stehen.
Tiere ernähren sich von Pflanzen,
von Pilzen und die Räuber unter den
Tieren fressen widerum andere Tiere.
Diesen Vorgang beschreiben die Biologen als Nahrungskette. Die Nahrungsketten sind in einem Nahrungskettensystem miteinander vernetzt. Theoretisch könnte ein Ökosystem aus den
beiden Komponenten: 1. den grünen
Pflanzen, die die anorganischen Nährstoffe mit Hilfe des Lichtes in organische Substanz umwandeln und 2. den
Bakterien und Pilzen im Boden, die das
abgestorbene organische Pflanzenmate-
rial wieder zu anorganischen Nährstoffen zurückverwandeln, bestehen. Hierbei darf man nicht vergessen, dass die
Nahrungskette ohne das Zersetzungssystem der Bodenorganismen nicht
funktionieren würde, weil dem ersten
Glied dieser Kette, den Pflanzen, die
zum Wachsen notwendigen anorganischen Nährstoffe fehlen würden, denn
die Bodenbakterien wären allein nicht
in der Lage, das anfallende Pflanzenmaterial in seine chemischen Bestandteile zu zersetzen. Bodenbakterien können nur deshalb so erfolgreich sein, weil
das tote Material durch die vielen verschiedenen Bodentiere, wie Regenwürmer, Asseln, Milben u. a. zerkleinert
und für den letzten Zersetzungsvorgang
vorbereitet wird. Es sind die Prozesse
im Boden und das System der Bodenorganismen, das letztendlich den Kreislauf der Nährstoffe schließt. Aber auch
für die Bodenlebewesen gilt das Prinzip: «Fressen und Gefressen werden».
Denn unter den Bodentieren und seien
sie noch so klein, gibt es Lebewesen, die
zur Beute von Räubern werden oder die
selbst Räuber sind und es gibt Organismen, die sich ausschließlich von Pflanzenmaterial ernähren. Dabei spielt es
keine Rolle, ob sie die Wurzeln der lebenden Pflanzen als Nahrung bevorzugen oder Teile bereits abgestorbener
Pflanzen.
Der Lebensraum der Bodenorganismen wird durch die Bodenstruktur
und Bodenbeschaffenheit bestimmt. Je
lockerer und je humusreicher der Boden ist, desto komfortabler ist es für seine Bewohner. Auch der Wasserhaushalt
des Bodens sollte ausgeglichen sein.
Extreme Bedingungen wie Trockenheit
oder Staunässe vertragen nur sehr wenige Bodenbewohner. Einige Bodenlebewesen wie z. B. die Regenwürmer
prägen sich ihren Lebensraum selbst,
indem sie die Gänge mit ihrem Kot ausbauen und sich ihr Milieu auf diese
Weise selbst gestalten. Welche Voraus-
setzungen müssen aber Organismen
aufweisen, die unter derart eingeschränkten Bedingungen leben können? Das wollen wir uns bei einer Expedition in den Boden eines mittelalten
Kiefern-Eichenwaldes mit einer dicken
Streuauflage aus in Zersetzung begriffenen Blättern und Nadeln anschauen.
Noch einfacher kann man diesen Lebensraum in einem Komposthaufen im
Garten erkunden.
Auf vielen Beinen
unterwegs
Wir starten unsere Expedition, indem
wir die oberste Blätterlage der Humusauflage desWaldbodens abheben. Schon
entdecken wir die ersten Tiere unserer
«Erkundungsreise». Es sind Hundertfüßer oder/und Tausendfüßer (Vielfüßer).
Sie versuchen blitzschnell unter dem
nächsten Blatt oder dem nächsten Stein
Schutz zu suchen. Schnell fangen wir
einige der Tiere mit einem Glas und
können sie nun näher betrachten: Der
Rumpf dieser Tiere besteht aus einer
Vielzahl von gleichartigen Segmenten,
die fast alle ein Paar stummeliger Beine
tragen und die alle von einem festen
Panzer umhüllt sind. Untereinander
sind die Segmente sehr beweglich. Besonders beeindruckend ist, wie die vielen Beinpaare koordiniert funktionieren
und in welcher Geschwindigkeit und
Wendigkeit sich diese Tiere bewegen
können. Hundertfüßer und Tausendfüßer sind relativ einfach voneinander zu
unterscheiden. Die Tausendfüßer, die
auch Doppelfüßer (Diplopoden) genannt werden, haben an jedem Körpersegment jeweils zwei Beinpaare, während die Hundertfüßer nur jeweils ein
Beinpaar pro Körpersegment besitzen.
Weltweit sind mehr als 10.000 Arten
bekannt. Der Bodenbiologe Wolfram
Dunger (1983) bezeichnet die Doppelfüßer als die für die Bodenbiologie interessantesten und wichtigsten Vielfüßer.
Diese Bedeutung liegt für ihn in der
Nahrungswahl und Nahrungsverarbeitung. Nachdem wir uns die Tiere intensiv angeschaut haben und vielleicht
auch noch ein Foto von ihnen gemacht
haben, lassen wir die gefangenen Tausend- und Hundertfüßer wieder frei.
Während wir noch beobachten, wie sie
schnell und geschickt im Boden verschwinden, entdecken wir eine größere
Anzahl von Asseln.
Eine eigene
Wasserleitung
Asseln kennen wir aus unserer Kindheit, weil wir ihnen nicht selten beim
Spielen begegnet sind. Diese steingrauen Krebstiere haben während der Evolution sehr spezielle Funktionen zur
Anpassung an das Leben auf dem Land
entwickelt, denn die überwiegende Zahl
der Krebsarten lebt im Meer. Wie für
Krebstiere üblich, ist der Körper segmentiert. Bei den Asseln sind die Segmente seitlich nach außen abgeflacht.
Dieser Panzer schützt den Körper und
ermöglicht es den Tieren, sich ganz flach
dem Boden anzupassen. Asseln besitzen spezielle und sehr empfindliche
Atmungsorgane. Auf der Körperunterseite der Tiere befindet sich an beiden
Seiten eine feine Rinne, die von Köpersegment zu Körpersegment führt. Je
nach Art handelt es sich dabei um ein
offenes oder geschlossenes Wasserleitsystem. Einige Arten nehmen Wasser
mit den letzten Beinpaaren auf und leiten es in die Wasserleitbahnen auf der
Körperunterseite bis zum Kopf. Dort
gelangt dann auch Flüssigkeit, die mit
der Nahrung aufgenommen wird, in
den «Wasserleitungskreislauf». Dieses
offene Wasserleitungssystem ist so eingerichtet, dass die Tiere immer ausreichend Wasser mit sich führen können
und damit vor allem Ihre Atmungsorgane stets feucht halten können. Als Verdunstungsschutz dient übrigens auch
der oben beschriebene abgeflachte Rückenpanzer. Bei den Kellerasseln ist diese Wasserleitung noch spezieller ausgebildet. Sie nehmen Wasser z. B. ausschließlich mit dem Mund auf. Diese
Art besitzt ein geschlossenes Wasserleitsystem, in dem jedes Wassermolekül genutzt wird. Diese Möglichkeit immer
einen eigenen Wasservorrat mit sich zu
tragen, bewahrt die Tiere einerseits vor
Austrocknung, es schützt sie aber andererseits auch vor Überhitzung, indem
die Körpertemperatur durch Verdunstung des mitgeführten Wassers reduziert werden kann. Ein weiteres Phänomen zeigen Asselmütter, denn sie tragen
ihre Eier bis zum Schlüpfen der Jungen
auf einer Brutplatte auf der Unterseite
des Körpers. Die Brut wird auf diese
Weise vor Austrocknung bewahrt.
Asseln findet man meist in größeren
Gruppen und in verschiedenen Generationen. Auch diese Tiere versuchen
aus dem plötzlichen Licht in die dunkle
Welt ihres Lebensraums zurück zu
flüchten, sie können aber dabei viel besser beobachtet werden, weil sie bei weitem nicht so schnell sind wie die Hundert- oder Tausendfüßer. Gliederfüßer
und Asseln gehören zu den größeren
Bodentieren, so dass sie mit bloßem
Auge beobachtet werden können.
Springende Punkte
Wir graben noch etwas tiefer und finden Humus, der schon stark zerkleinert
ist. Dort und im Übergangsbereich zwischen Humus und festem Boden begegnen wir den ersten Regenwürmern.
Diese Tiere sind uns schon vertraut,
denn wir begegnen Ihnen nicht selten
beim Umgraben im Garten oder bei
Regenwetter auf Wegen und Straßen.
Deshalb wollen wir uns mit ihnen nicht
näher befassen. Uns interessieren vielmehr die unendlich vielen und winzig
kleinen Pünktchen, die wir auf den
Rückseiten der zersetzten Blätter er-
kennen können und die hin und her zu
springen scheinen. Nachdem wir uns
mit einer Lupe ausgestattet haben, können wir sehen, dass es sich um weiße
längliche insektenartige Tiere handelt.
Aber erst unter dem Mikroskop erkennen wir, dass diese Tiere flügellos sind
und nie mehr als drei Beinpaare besitzen und am Kopf meist zwei viergliedrige Fühler besitzen. Jetzt ist klar, dass
es sich bei diesen winzigen weißen
Pünktchen um Springschwänze (Collembolen) handelt, die zu der Tiergruppe der Urinsekten gehören. Im Bestimmungsschlüssel für Bodentiere
(Dunger, 1983) können wir nachlesen,
dass einige Arten Einzelaugenzellen,
sogenannte Augenflecken besitzen, die
bei anderen Arten, die in tiefen Bodenschichten leben, wieder zurückgebildet
sind. Die drei ersten Segmente des
Körpers tragen je ein Beinpaar. Am
Hinterleib besitzen die Springschwänze
eine Sprunggabel, die am vorletzten
Segment in eine Haltevorrichtung eingehängt wird, wenn sie nicht gerade im
Betrieb ist (siehe Abbildung 1 aus dem
Fachbuch:Tiere im Boden von Wolfram
DUNGER). Beim Springen wird zuerst
die Sprunggabel aus der Halterung ausgeklinkt und dann mit kräftigen Muskeln blitzschnell gegen den Boden gedrückt. Die Tiere, die zwischen 3 mm
und 9 mm lang sind, können bis zu
35 cm weit springen. Der Sprung wird
zur Flucht vor Feinden eingesetzt. Die
heftige «Hüpferei» der winzigen Punkte,
die uns bei unserem Graben im Boden
aufgefallen ist, war also in Wirklichkeit
eine Flucht der Tiere vor dem Licht.
Das durch das Öffnen des Bodens einfallende Tageslicht bedeutet für Tiere,
die ausschließlich in der Dunkelheit des
Bodens leben, höchste Gefahr.
Springschwänze ernähren sich von
verrottetem Laub und vom Kot anderer
Tiere. Sie fressen aber auch Pilze und
Aas und fühlen sich in einem feuchten
Komposthaufen so richtig wohl. Wenn
Abbildung 1
es darin nur so von Springschwänzen
wimmelt, dann wird aus den abgestorbenen Pflanzenresten in Kürze eine gute
Komposterde werden.
Über die Springschwänze ließe sich
noch sehr viel mehr berichten, aber uns
sind beim Hineinschauen in den Kompost mit der Lupe noch andere winzig
kleine Tiere aufgefallen, die wir mit bloßem Auge nicht wahrgenommen haben, weil sie in Farbe und Form wie
winzige Erdkrümel aussehen. Es kann
sich auch nicht um Verwandte der Urinsekten handeln, denn diese Tiere besitzen vier Beinpaare. Sie sind eher rundlich und kräftig braun gefärbt. Die vier
Laufbeinpaare lassen uns diese Tiere als
Spinnentiere erkennen, die zur Ordnung der Milben gehören.
«Erdkrümel»,
die sich bewegen
Milben sind in fast allen Lebensräumen
außerordentlich artenreich vertreten.
Sie sind nicht nur sehr klein, sondern
auch sehr anpassungsfähig, so dass sie
überall vorkommen und sich in den allerkleinsten und unwirtlichsten Lebensräumen wohl fühlen.
Für die Bodenbiologie von ganz besonderer Bedeutung sind die «Hornmilben», die lateinisch «Oribatiden» genannt werden. Und nur diese Milbengruppe wollen wir uns näher anschauen.
Weil diese Tiere sehr zahlreich im Moos
vorkommen, werden sie auch als Moosmilben bezeichnet. Schon der Name
Hornmilben verrät uns, dass diese Milben kräftig gepanzert sind. Hornmilben
leben nicht nur im Moos, sondern vor
allem in der Streuauflage aus Kiefernnadeln und Blättern der Waldböden, in
den oberen humusreichen Schichten
des Mineralbodens, in der Rinde von
Bäumen, in der Grasnarbe, in Vogelnestern und natürlich auch im Komposthaufen, denn in diesen Lebensräumen
finden sie ihre Nahrung und geeignete
Lebensbedingungen zur Fortpflanzung.
Einige Hornmilbenarten ernähren sich
ausschließlich von Bakterien, Pilzen
und Algen, andere nur von zersetztem
Holz, Laub oder Nadelstreu und wieder
andere sind nicht auf eine bestimmte
Nahrung spezialisiert. Es gibt aber keine Räuber unter den Hornmilben. Sie
unterscheiden sich dadurch deutlich von
allen anderen Milben, die uns wie die
Zecken als Blutsauger und Krankheitsüberträger bekannt sind. Wegen ihrer
besonderen Bedeutung für die bodenbiologischen Prozesse sind Hornmilben
für uns Menschen von großem Nutzen.
Als ich während meines Studiums
diesen Tieren zum ersten Mal begegnete, hat mich die Formenvielfalt dieser
Milbengruppe sehr beeindruckt. In meiner Diplomarbeit über die Hornmilbenlebensgemeinschaften in unterschiedlich feuchten Waldböden im Raum Berlin konnte ich rund 14.500 Tiere und
88 Arten bestimmen. Hornmilben sind
0,2 mm bis 1,5 mm lang. Die überwiegende Anzahl an Arten hat eine Länge
von 0,4 mm bis 0,9 mm. Als die typische Hornmilbe, kann die Art Nothus
silvestris bezeichnet werden. Kopf und
Brust bilden das Vorderteil (Propodo-
soma) und sind vom braunen leicht
ovalen Hinterteil (Hysterosoma) abgesetzt. Die blinden Tiere haben viele
Borsten am Körper und an den Beinen,
die als Sinnesorgane funktionieren.
Diese Art ist etwa 0,9 mm lang und
kann nur mit Hilfe eines Mikroskops
bestimmt werden. Im Gegensatz zu Nothrus silvestris haben andere Milbenarten diverse Körperanhänge und Mechanismen entwickelt. Die Art Acrogalumna longipluma (deutsche Namen gibt
es für Hornmilben nicht) schützt ihre
langen mehrgliedrigen Beine durch Flügelklappen, wie das Foto 2 zeigt. Einige
der Arten haben seltsam geformte Chitinbildungen am Propodosoma (Vorderteil aus Kopf und Brust) wie wir diese
auch von verschiedenen Käferarten wie
Hirsch- oder Nashornkäfern kennen.
Bei anderen Arten befinden sich ähnlich bizarre Chitinfortsätze wie die Flügelklappen von Acrogalumna longipluma
am ganzen Tier, die weit über den eigentlichen Körper hinausragen. Eine
Reihe von Hornmilbenarten hat einen
Klappmechanismus entwickelt. Bei Gefahr werden Vorder- und Hinterteil zusammengeklappt und dabei Beine und
Mundwerkzeuge eingezogen, so dass
die Tiere zu einer winzig kleinen Chitinkugel werden, die wie ein winziger
ovaler Kiesel aussieht (siehe Abbildung
2 aus dem Fachbuch: Tiere im Boden
von Wolfram Dunger). Eine weitere Artengruppe nutzt die Abfallprodukte der
eigenen Entwicklungsstadien zur Tarnung. Bei jeder Häutung bleibt das verlassene Nymphenhäutchen auf dem
Rücken kleben und wird mit Erdkrümeln beworfen. Im Erwachsenenstadium trägt das Tierchen seine mit Erde
getarnten Nymphenhäutchen wie einen
Rucksack mit sich herum (Foto 3). Dieser Rucksack ist so stabil, dass er in der
Fangflüssigkeit und später im Alkohol,
in den die Tiere zur Betrachtung unter
dem Mikroskop gelegt werden müssen,
meist sogar erhalten bleibt.
Foto 1:
Eine ganz
typische
Hornmilbe
(Nothus silvestris)
Foto 2:
Hornmilbe mit
Schutzschilden
für die fragilen
Beine
(Acrogalumna
longipluma)
Foto 3:
Die Hornmilbe
(Porobelba spinosa) tarnt sich
mit Rucksack
aus Nymphenhäutchen
Für den Nachweis, wie Hornmilben
im Boden leben und wirken, ist es erforderlich, ihre «Fingerabdrücke» zu kennen. Das ist bei Bodentieren, die in
ihrem Lebensraum nicht beobachtet
werden können, sehr kompliziert. Mit
«Fingerabdrücken» sind in diesem Fall
«Erkennungszeichen» gemeint, die eindeutig einem bestimmten Lebewesen
Abbildung 2:
Hornmilbe, die
sich zusammenklappen kann
Foto 4:
Fensterfraß
der Hornmilben
mit Milbenkot
(unter dem
Mikroskop
fotografiert von
Heidi Losert)
zugeordnet werden können. Hornmilben hinterlassen aber keine Fußspuren
oder ähnliches. Lediglich ihre Exkremente scheinen als «Erkennungszeichen»
geeignet zu sein, wenn man weiß, wie
diese aussehen. Mit Aufwand ist es meiner Studienkollegin Heide Losert gelungen, Hornmilben im Labor des «Bodenbiologischen Instituts der Freien
Universität Berlin» zu halten und ihr
Fraßbild an Blättern, die sie als Nahrung erhielten, sowie die Kotballen der
Tiere zu identifizieren und zu fotografieren. Auf Foto 4 ist ein Laubblatt abgebildet, das den Hornmilben als Nahrung diente. Die Milben haben die weichen Blattgewebe zwischen den Blattrippen gefressen und die nicht verdaulichen Teile als Kotballen hinterlassen.
Solche Kotballen findet man auch in
der Laubstreu des Waldbodens.
Hornmilbe
(Archegozetes
longisetosus)
Quelle: Internet
Hornmilben sind in der Naturwissenschaft nicht nur für bodenbiologische
Untersuchungen interessant, sie fallen
auch durch andere herausragende naturwissenschaftlich interessante Leistungen auf, wie am 21. August 2007
in der Tagespresse deutschlandweit zu
lesen war. «Eine blinde Hornmilbe ist
stärkstes Tier der Welt», so lautet die
Überschrift zur Veröffentlichung eines
Forschungsergebnisses in den Tageszeitungen. In der «Berliner Zeitung» konnte man dazu folgenden Text lesen: «Das
stärkste Tier der Welt ist eine blinde Hornmilbe – gemessen an ihrer Körpergröße unter einem Millimeter. Das Spinnentier
kann fast das 1200-fache seines eigenen
Körpergewichtes halten, wie Tübinger Forscher herausgefunden haben.
Die Milbe sei damit fünf Mal stärker
als es für einen Organismus dieser Größe
theoretisch zu erwarten sei, schreiben Michel Heethogg und Lars Körner von der
Universität Tübingen im Journal of Experimental Biology (Bd. 210, S. 3036). Ein
größeres Kräfteverhältnis sei im Tierreich
nicht gemessen worden, sagte Heethoff.
Die in denTropen verbreitete Hornmilbe
Archegozetes longisetosus wiegt nur ein
zehntausendstel Gramm und lebt im Boden
von verfaulenden Organismen. Sie hat
starke, rund einen zwanzigstel Millimeter
lange Grab-Klauen. Die Forscher maßen,
wie stark sie an der Milbe ziehen mussten,
um sie trotz ihrer kräftigen Klauen von einem künstlichen Laborboden hochzuheben. Auf einem rauhen, horizontalen Untergrund kamen sie auf das 1180-fache des
Milbengewichtes.»
Meine kurze Erkundungsreise in den
Lebensraum Boden möchte ich mit dieser Momentaufnahme aus der Welt der
Hornmilben abschließen. Über diese
Tiergruppe ließe sich noch unendlich
mehr Erstaunliches und wenig Bekanntes berichten. Auch die Expedition in
die Lebenswelt des Bodens ließe sich
unvorstellbar lange fortsetzen, wenn
man an die große Anzahl der Lebewesen und die heutigen Möglichkeiten
denkt, die uns durch die moderne Wissenschaft und Technik zum Hineinschauen ermöglicht werden.
Die Böden in der Region Berlin-Brandenburg werden als arm eingestuft, weil
die Erträge der Land- und Forstwirtschaft, die hier geerntet werden können, im Vergleich zu anderen Regionen
sehr gering ausfallen. Das liegt daran,
dass in dieser Region während der letzten Eiszeit großflächig Sand abgelagert
wurde und in sandigen Böden das
Regenwasser schnell versickert. Auch
Nährstoffe werden in sandigen Böden
nur begrenzt gebunden und mit dem
Wasser relativ schnell ausgewaschen.
Auch wenn die Böden in unserer Region
des Naturparks Dahme-Heideseen als
arm gelten, sind sie vielleicht sogar ein
ganz klein wenig reicher an natürlichen
Bodenprozessen, als die Böden anderer
Regionen, die gute Ernteerträge für
Land- und Forstwirtschaft versprechen, denn bisher werden hier die landwirtschaftlichen Flächen überwiegend
nach ökologischen Kriterien bewirtschaftet und bisher ist freiwillig auf den
Anbau genveränderter Pflanzen verzichtet worden. Aber auch bei uns werden
tagtäglich immissionsbedingt Schadstoffe in die Böden eingetragen und gehen Flächen durch Versiegelung verloren. Durch bodenbiologische Untersuchungen konnte festgestellt werden,
dass es insbesondere in den Waldböden
zur Anreicherung von Schadstoffen
kommt und die zunehmende Versauerung dieser Böden mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Bodenorganismen verbunden ist. Wolf-Eberhardt
Barth (1995) schreibt dazu, dass nach
bisherigen Erkenntnissen Regenwürmer durch Versauerung sterben und die
für die Zersetzung wichtigen Bakterien
abnehmen, während die pilzliche Biomasse sogar zunimmt und die sich
davon ernährenden Hornmilben und
Springschwänze ebenfalls zunehmen.
Jede Veränderung im Gefüge des
Lebensraums Boden, jede Beeinträchtigung und jeder Verlust natürlicher Böden bedeutet Reduzierung und Beeinträchtigung der Lebensgrundlagen für
Pflanzen, Tiere und letztendlich auch
für den Menschen. Boden kann und
darf nicht nur als Standort für die
Pflanzen betrachtet werden, er ist auch
der bedeutenste Natur- und Lebensraum der Erde, für den ganz besonders
der Appell von Richard von Weizsäcker
gilt: «Nur wenn wir die Natur um ihrer
selbst willen zu schützen lernen, wird die
Natur auf Dauer uns Menschen erlauben
weiterzuleben».
Literatur:
Barth,W.-E.: Naturschutz: Das Machbare;
Verlag Paul Parey, Hamburg, 1995
Dunger,W.:Tiere im Boden; A. Ziemsen
Verlag, DDR Wittenberg Lutherstadt;
1983
Dunger,W.; Fiedler, J.: Methoden der
Bodenbiologie,VEB Gustav Fischer
Verlag Jena, 1989
Gehring, D.: Die Oribatidensynusien in
Wäldern verschiedener Bodenfeuchtestufen im Raum Berlin, Diplomarbeit;
1992
Knülle,W.: Die Verteilung der Acari:
Oribatei im Boden, Zeitschrift Morphologie und Ökologie der Tiere, BD. 46,
S. 397– 432, 1957
Weigmann, G., Kratz, W.: Die deutschen
Hornmilben und ihre ökologische
Charakteristik, Zoologische Beiträge,
Bd. 27, 2 – 3-Heft, Duncker u. Humblot, Berlin, 1981
Weigmann, G., Kratz, W. u. a.: Untersuchungen zur Bioindikatoreignung von
Bodentieren und bodenökologischen
Prozessen für die Bewertung des Zustandes urbaner Waldsysteme in Berlin,
Senatsverwaltung für Stadtenwicklung
und Umweltschutz Berlin, 1992
Willmann, C.: Moosmilben oder
Oribatiden (Oribatei); in Dahl (ed),
die Tierwelt Deutschlands, Bd. 22,
Die Spinnentiere; 1931
Internet: dpa – Presseinformation
20.8.2007
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