historische Tasteninstrumente der Klassik

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B
KULTURWISSENSCHAFTEN
BH
MUSIK, MUSIKWISSENSCHAFT
BHB
Instrumentalmusik; Musikinstrumente
Klavier
Stiftung Klassik <Weimar>
KATALOG
11-4
Kosmos Klavier : historische Tasteninstrumente der KlassikStiftung-Weimar / hrsg. von Erich Tremmel und Gert-Dieter Ulferts. - Augsburg : Wißner-Verlag, 2011. - 159 S. : Ill. ; 25 cm. (Historische Musikinstrumente der Klassik-Stiftung Weimar ; 2).
- ISBN 978-3-89639-824-6 : EUR 19.80
[#2075]
Das Buch ist ein Produkt des Liszt-Jahres, das zum Anlaß wurde, die Weimarer Klavier-Tradition repräsentativ darzustellen. Nicht ohne Stolz kann
man ja dort neben Liszt auf Größen der Pianistik wie J. S. Bach, J. N.
Hummel u.a.m. hinweisen. Das Liszt-Jahr führte dazu, fünf Instrumente aus
der Sammlung der Klassik Stiftung Weimar zu restaurieren und diese als
Teil der Landesausstellung Franz Liszt - Ein Europäer in Weimar zu präsentieren.
Der Instrumentenkatalog (S. 126 - 149) für diesen Zweck umfaßt zehn Instrumente, die jeweils doppelseitig beschrieben und abgebildet werden. Ziel
war es, „aus dem Zeitraum vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts … solche Instrumente … zeigen zu können, denen für Franz
Liszts Klavierästhetik besondere Bedeutung zukam“ (E. Tremmel, S. 129).
Dies wurde durch Leihgaben ermöglicht. Eine Besonderheit ist der Boisselot-Flügel Listzs von 1847, der für konzertante Zwecke nicht mehr restaurierbar war und deshalb konservatorisch erhalten bleibt, aber einen Nachbau zur Seite gestellt bekam. Diese Auswahl der Instrumente ist natürlich
nicht nur hinsichtlich Liszts sondern für die europäische Klavierkomposition
dieser Zeit überhaupt repräsentativ, die ja in Mitteldeutschland in diesem
Zeitraum mehrere ganz große Namen aufweist. Die Beschreibung nennt die
derzeitigen Besitzverhältnisse, den Hersteller, Signaturen, Maße, instrumententechnische Eigenheiten, die historischen Besitzer, Eigenheiten des Instrumententyps sowie ggf. Kenntnisse über die Verwendung des Instruments. - Der Katalog ist sozusagen der „harte Kern“ dieses Buches, weshalb es auch in instrumentenkundliche Buchbestände gehört.
Die Absicht der Herausgeber geht aber weiter. Der Band hat zum einen ein
lokales Ziel. In dem Abschnitt Historische Tasteninstrumente in Weimar
führt E. Tremmel zunächst in die Problematik von Gebrauch und Abnutzung
eines Musikinstrumentes als Vorfrage für die Problematik möglicher Restaurierung ein (Gibt es einen ‘Stradivari der Klaviere’?). - D. Ulferts bespricht
konkret das Weimarer Restaurierungs-Programm im Blick auf die Ausstellung. R. Hentzschel stellt die Restaurierung der fünf Instrumente unter der
Voraussetzung gegenwärtiger musealer und restauratorischer Vorstellungen dar.1 Die zentrale These lautet; „Bei allen Überlegungen zur Restaurierung einzelner Gegenstände hat der Erhalt der originalen Substanz eine
übergeordnete Stellung. Als Treuhänder ist es eigentlich unmöglich, über
Veränderungen an dem überlieferten Bestand zu befinden. Der Erhalt des
Objektes und die unverfälschte Weitergabe an die kommenden Generationen muss das Handeln aller am Prozess der Restaurierung Beteiligten
bestimmen“ (S. 31). Diese Kernsätze zeigen das Dilemma im Falle von Musikinstrumenten klar auf: Im Zweifelsfalle muß danach die Spielbarkeit des
Instruments zurücktreten. Das Vorgehen beim Boisselot-Flügel zeigt eine
Möglichkeit an (Replikat), die allerdings nur manchmal gegeben ist. Am Beispiel historischer Orgeln, die ja nicht (jedenfalls meist nicht!) museal in Kirchen konserviert werden können, ließe sich das Problem dramatisch darstellen!2 Die konkrete Besprechung des restauratorischen Vorgehens zeigt,
daß es dann doch nicht ganz ohne Kompromisse geht. Es tauchen dabei
hochinteressante Einzelprobleme auf, etwa beim erstangeführten Instrument von J. G. Schenck die unlösbare Frage, ob die hölzernen Hammerköpfe beledert waren, was klanglich natürlich sehr relevant ist. Die Hämmer
wurden im bisherigen unbelederten Zustand belassen. Auch hier wird die
Herstellung eines Replikats für die andere klangliche Version geprüft. Die
Darstellungen sind im übrigen durchaus für den „interessierten Laien“ lesbar
und zur Schärfung des Problembewußtseins in diesem Bereich, in dem vor
nicht langer Zeit und möglicherweise auch heute noch manche nicht wiedergutzumachende Fehlentscheidungen getroffen wurden, von großem Interesse. Sie sprengen jedenfalls insoweit den lokalen Rahmen. Alle fünf Instrumente werden hier – z.T. im Zustand vor der Restaurierung – nochmals
abgebildet.
Der interessante Beitrag von H. Balk Wert und Bedeutung - das Musikinstrument als historische Quelle ist mit dem Titel vielleicht etwas zu umfassend benannt, auch wenn er mit der 2008 in der einer Höhle der Schwäbischen Alb gefundenen mindestens 35.000jährigen Knochenflöte beginnt. Im
wesentlichen geht es um das „Werkzeug“ (Hammer-)Klavier, das Verhältnis
Funktion von Klangidee bzw. von ästhetischer Absicht und instrumentaler
1
Vgl. Konservierung und Restaurierung historischer Tasteninstrumente in
den Sammlungen der Klassik-Stiftung Weimar : Bericht über die internationale
Tagung vom 12. bis 14. September 2008 im Schlossmuseum Weimar / hrsg. von
Franz Körndle und Gert-Dieter Ulferts. - 1. Aufl. - Augsburg : Wißner, 2011. - 208
S. : Ill., graph. Darst. ; 25 cm. - (Historische Musikinstrumente der Klassik-Stiftung
Weimar ; 1). - 978-3-89639-785-0 : EUR 39.80.
2
Die rigoros durchgehaltene These hätte Folgerungen auch für ganz andere Bereiche. Ein Beispiel sind restaurierte Bucheinbände von Corvinen in Wolfenbüttel,
bei denen meiner Erinnerung nach die alte „verschlissene“ Substanz ersetzt, aber
verwahrt wurde. Das wäre immerhin eine ergänzende andere Möglichkeit.
Realisierung, mit einem etwas problematischen Zitat von R. Steglich von
1941 deutlich gemacht.3. Im folgenden wird dies sehr konkret an den Weimarer Instrumenten besprochen, die schon wegen ihrer historischen Zuordnung zu Personen und Räumen interessant sind, deren Verwendungsgeschichte wiederum andere Aufschlüsse gibt, hier etwa auch anhand der
„Belederungs-Frage“ des Instruments von Schenck durchgespielt, das evtl.
in einem möglichen theatralischen Verwendungskontext „alte Klänge“ darstellen mußte. Kurz, der ästhetische Gestaltungswille, der sich in den Instrumenten und ihrer Verwendung zeigt, wird von verschiedenen Seiten angesprochen; die gesellschaftlichen und auch ökonomischen Entwicklungen
des frühen 19. Jahrhunderts spielen eine Rolle usw. Der Beitrag schließt mit
einem Hinweis auf die heutigen Möglichkeiten der Rekonstruktion aufgrund
„zerstörungsfreier Dokumentation“ des Vorhandenen mit modernen technischen Verfahren. Ein wenig erstaunt allerdings doch die Aussage, daß man
mit solcher Rekonstruktion den „feinsten Seelenregungen unserer Vergangenheit so erneut unmittelbar … begegnen“ kann (S. 55). Immerhin sei zugestanden, daß Replikate eine der sinnvollen Möglichkeiten des Umgangs
mit der Tradition sind und daß es genügend Beispiele gibt, die zeigen, wie
viele Einsichten und Erfahrungen man damit gewinnen und natürlich auch
Annäherungen an die Vergangenheit erreichen kann, die bis vor kurzem so
noch nicht denkbar waren.
Der „Weimar-Teil“ führt damit durchaus über den lokalen Rahmen hinaus in
allgemeinere Fragestellungen, die an diesem Muster durchgeführt werden.
Es folgt der umfangreichste Abschnitt des Buches Klaviergeschichte und
Klaviergeschichten von E. Tremmel (S. 57 - 126). Der erste Abschnitt ist
eine Kleine Geschichte des Pianofortes. Brillant geschrieben und vom ersten Satz an auch mit Gags versehen („Das Hammerklavier ist zunächst
nichts anderes als ein großes Hackbrett mit Tasten“). Erstaunlich ist aber
der Informationsgehalt auf neuneinhalb Seiten.
Im folgenden geht es dann eher um „Klaviergeschichten“: Vom Cembalo
zum Pianoforte präsentiert diesen Vorgang wieder weimarerisch: ein Porträt
der Herzogin Anna Amalia mit Cembalo und die Anführung von Kammermusikkompositionen Anna Amalias für die jeweils unterschiedlichen Instrumente demonstrieren gewissermaßen Nebeneinander und Übergang. In
Weimar vorhandene Klaviere werden als Beispiele für die historische Entwicklung dargestellt, die Tafelklaviere erhalten ein eigenes Kapitel, der Klavierbau in England und Wien erhält Abschnitte; der Pariser ist auch ständig
gegenwärtig (die Entwicklung der verschiedenen Mechaniken wird nochmals in einem eigenen Abschnitt dargestellt); mehrere Abschnitte handeln
von Liszts Umgang mit Klavieren, seinen Vorstellungen von Klang und Me3
Daß die „Klagstruktur des Forte-Pianos … das Diesseits, das in der Welt sein,
ohne Ornamentik als Bestimmung erlebbar macht“ scheint mir doch eher ein wenig Pseudo-Heideggerei zu sein und zudem der romantischen Ästhetik der Hochzeit der Klavierkomposition ganz und gar nicht zu entsprechen. In dem angegebenen, etwas „völkisch“ ausgerichteten Aufsatz von Steglich habe ich das Zitat nicht
gefunden. Dort wird im übrigen auch die romantische Klavierästhetik gerade vom
propagierten Mozartklang abgesetzt.
chanik und auch von der Legende des Klavierzerstörers, mit Wilhelm Busch’
Der Virtuos illustriert. Aufschlußreich für ein Publikum, das nicht durch Instrumentenmuseen und entsprechende Vorführungen geschult ist, ist auch
der Abschnitt Veränderungen, d.h. über die verschiedenen Züge oder Pedale, mit denen man im frühen 19. Jahrhundert den Klang intensiv verändern
konnte (Moderator bis Janitscharen-Zug …). Gerade dafür wäre es natürlich
gut gewesen, wenn dem Band eine Demonstrations-CD beigegeben worden
wäre.
Die Machart des Buches ist in den letztgenannten Abschnitten durchaus
„populär“. Daraus resultieren gelegentliche Überspitzungen, etwa: Liszt „besaß also eine heute nahezu unbekannte Sensibilität der Finger“ (S. 98) wer kennt schon die Sensibilitäten heutiger Pianistenfinger? Etwas weiter
geht E. Tremmels Zusammenstellung Was Sie immer schon über das Klavier wissen wollten … (etwa „Pedale zum Bremsen und Gasgeben?“), aber
alles ist niveauvoll geschrieben.
Mag der Haupttitel des Buches etwas zu weit sein, so ist der Untertitel vielleicht zu stark einengend. Auch wer geringeres regionales Interesse hat,
kann aus dem Band über die Entwicklung des Klavierbaus vor allem in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts viel lernen.4. Das Ganze ist zudem gut
lesbar aufbereitet und damit für die instrumententechnische Dokumentation
(Katalog) wie für das Lesevergnügen nutzbar.
Albert Raffelt
QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und
Wissenschaft
http://ifb.bsz-bw.de/
http://ifb.bsz-bw.de/bsz348663072rez-1.pdf
4
Druckfehler: S. 92, vorletzter Absatz ist „erhalten“ zu streichen; S. 154, vorletzte
Zeile: „alte“.
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