Hin zu einem Europäischen Binnenmarkt für Strom und

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SPEECH/07/335
Andris Piebalgs
Kommissar für Energie
Hin
zu
einem
Binnenmarkt für
Strom und Gas
Rede, VDEW-KONGRESS 2007
Berlin, 24. Mai 2007
Europäischen
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
in meinem heutigen Beitrag möchte ich zunächst auf die Ursachen der
energiepolitischen Herausforderungen eingehen, die sich für Europa und letztlich für
die ganze Weltgemeinschaft in den nächsten Jahrzehnten stellen. Sie stehen im
Mittelpunkt der Bemühungen um eine neue Energiepolitik für Europa.
Diese Herausforderungen lassen sich meines Erachtens am besten unter dem
subsumieren, was der niederländische Chemie-Nobelpreisträger Paul J. Crutzen als
„Anthropozän“ bezeichnet hat. Gemeint ist damit die Tatsache, dass die Aktivitäten
des Menschen erstmals in der Erdgeschichte die natürlichen Prozesse unseres
Planeten tiefgreifend und nachteilig beeinflussen.
Vor allem aufgrund des offensichtlich unstillbaren Durstes der Menschheit nach
immer mehr fossiler Energie sind wir im Begriff, unser Klima unwiderruflich zu
verändern. Die CO2-Emissionen im Energiesektor machen rund 80 % aller
Treibhausgase aus. Mit der kontinuierlichen Steigerung unserer Nachfrage nach
den knapper werdenden und immer wertvolleren Öl- und Gasressourcen gefährden
wir zugleich die Stabilität unseres Wirtschaftssystems in gefährlichem Maße. Hinzu
kommt, dass sich diese Ressourcen in den Händen immer weniger Akteure
konzentrieren.
Bei den zwei wichtigsten energiepolitischen Herausforderungen, vor denen wir
stehen, handelt es sich also um den Klimawandel und die Versorgungssicherheit.
Doch unsere energiepolitischen Ziele beschränken sich nicht nur darauf. Letztlich
lautet die Frage: Wie können wir diese Ziele in einer Weise erreichen, die die
Wettbewerbsfähigkeit Europas stärkt? Wie kann es uns gelingen, diese
Herausforderungen in Chancen für Europa umzumünzen?
Lassen Sie mich zunächst auf den Klimawandel eingehen. Zusammen mit der
Bekämpfung der Armut und der Sicherung des Weltfriedens ist der Klimawandel
vermutlich die größte globale Herausforderung unserer Zeit.
Der Internationale Ausschuss zum Klimawandel (International Panel on Climate
Change) wies in seinem Bericht vom 4. Mai dieses Jahres darauf hin, dass sich die
Emissionen von Treibhausgasn seit 1970 um mehr als 70 % erhöht haben. Der
stärkste Zuwachs in dieser Zeit ist auf den Energiesektor zurückzuführen. Dessen
Emissionen sind um 145 % gestiegen. Die Experten des Ausschusses gehen davon
aus, dass die CO2-Emissionen bis 2030 nochmals um 45 - 110 % zunehmen
werden. Zwei Drittel dieses Anstiegs werden dabei auf die Entwicklungsländer
entfallen.
Dies ist nicht nur auf ein höheres Wirtschaftswachstum zurückzuführen, sondern
auch auf den raschen Anstieg der Weltbevölkerung.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung von heute
rund 6,6 Milliarden Menschen auf rund 9 Mrd. im Jahr 2050 ansteigen und sich
damit um fast 50 % erhöhen. Berücksichtigt man das prognostizierte Wohlstandsund Wirtschaftswachstum insbesondere in den Entwicklungsländern, bedeutet dies
grob gesagt, dass die Weltwirtschaft bis 2050 voraussichtlich um das Vier- bis
Sechsfache wachsen wird.
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Bereits heute hat der Druck auf die Erde im Zeitalter des „Anthropozän“ zur Folge,
dass die natürlichen Prozesse unseres Planeten einer enormen Belastungsprobe
ausgesetzt sind. Die Entwicklung ist bereits alles andere als „nachhaltig“. Der Begriff
der „Nachhaltigkeit“ gewinnt in diesem Kontext eine ganz andere Bedeutung. Wir
müssen unser Verhalten ändern, wenn wir verhindern wollen, dass die
Weltwirtschaft
Grenzen
erreicht,
bei
denen
Umweltverschmutzung,
Massenmigration, Klimawandel, Krankheiten und Artensterben zu einer wirklichen
Gefahr für die Menschheit werden. Und mit dieser Veränderung unseres Verhaltens
müssen wir in Europa beginnen, indem wir uns zum Klimaschutz verpflichten.
Es ist gut dokumentiert, welche Folgen es hätte, einfach blind so weiterzumachen,
wie bisher. In Europa begreifen die Menschen endlich, dass der Klimawandel jeden
persönlich angeht.
Er wird keineswegs nur einige entlegene Winkel der Erde betreffen. Durch den
Klimawandel können sich die klimatischen Bedingungen in Europa grundlegend
verändern; so droht Wasser in vielen Gegenden zu einem enormen Problem zu
werden, ganz zu schweigen von den Auswirkungen, die eine weltweite
Massenmigration auf unsere Lebensweise und unser Wirtschaftssystem hätte.
Dabei müssen wir uns klar vor Augen führen, dass uns nur eine kurze Zeitspanne
bleibt, um zu handeln. Wenn die Welt auch nur noch ein Jahrzehnt wartet, wird es
zu spät sein. Unsere Kinder und Enkelkinder werden den Klimawandel als unser
Erbe vorfinden und zu diesem Zeitpunkt absolut nichts mehr dagegen ausrichten
können.
Der Aushandlung eines wirksamen internationalen Übereinkommens über die
Bekämpfung der globalen Erwärmung stehen enorme Schwierigkeiten im Wege.
Ebenso gewaltig sind die Anstrengungen, die zur Lösung des Problems
unternommen werden müssen. Zunächst werden die Industriestaaten die Hauptlast
der Verringerung der Emissionen tragen müssen. Im Hinblick auf die internationale
Wettbewerbsfähigkeit ist dies keineswegs unproblematisch. Da der Pro-KopfEnergieverbrauch in China mehr als zehnmal niedriger ist als in den USA, ist es
jedoch nicht verwunderlich, dass zumindest in der Anfangsphase die Länder die
Vorreiterrolle übernehmen müssen, die das meiste CO2 in die Atmosphäre
ausstoßen und dadurch am reichsten sind.
Doch wir befinden uns meines Erachtens an einem Wendepunkt. Es wird immer
deutlicher, dass die Weltgemeinschaft gemeinsam handeln wird, um dieser
Herausforderung zu begegnen. Es bleibt uns nur zu hoffen, dass nicht zu wenig
getan wird und nicht zu spät gehandelt wird. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass wir
erfolgreich sein werden, und zwar aus einem Grund, den wohl Jeffrey Sachs, der
Direktor des Earth Institute der Universität Colombia, kürzlich in einer
Vorlesungsreihe am besten erläutert hat.
Sachs hat darauf hingewiesen, dass die Welt in den 90er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts durch internationale Zusammenarbeit bereits ein ähnliches Problem
gelöst hat, nämlich das Problem der Fluorchlorkohlenwasserstoffe, der FCKW, die
die Ozonschicht der Erde zerstören. Diese Wirkung der FCKW hatte übrigens auch
Paul Crutzen entdeckt. Nach den Ausführungen von Sachs war ein fünfstufiger
Prozess zur Lösung des Problems erforderlich.
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Zunächst erkannte die Wissenschaft das Problem. In einem zweiten Schritt stellten
die Interessengruppen – in diesem Fall die Hersteller von FCKW und Aerosolen –
die Erkenntnisse der Wissenschaft öffentlich in Frage. Doch die Natur und die
Gesetze der Physik gewinnen letztlich die Oberhand über die Interessengruppen.
Im Falle von FCKW gab dabei ein Foto den Ausschlag, das die NASA vom
Ozonloch aufgenommen hatte. So kam es drittens dazu, dass sich die Öffentlichkeit
der Problematik bewusst wurde: Uns allen wurde klar, dass dieses Problem uns
selbst anging und sich auf das Leben unserer Kinder und Enkelkinder auswirken
würde. Und so wurde der Ruf nach Abhilfemaßnahmen laut.
Daraufhin suchten die Wissenschaftler intensiv nach einer Lösung. So kam es dann,
wie Sachs es formuliert, zur entscheidenden Phase, in der die zuvor skeptischen
Unternehmen den Politikern zuraunten: „Es ist ok, Ihr könnt eine Übereinkunft
schließen, wir kriegen das hin.“ Und danach wurde innerhalb kurzer Zeit eine
internationale Übereinkunft erzielt.
Die Debatte über den Klimawandel folgt dem gleichen Muster. Obwohl die globale
Erwärmung bereits 1896 entdeckt wurde, zählt sie erst seit kurzem zu den
unbestrittenen Erkenntnissen der Wissenschaft. Durch den Hurrikan Katrina, das
Abschmelzen der Gletscher direkt vor unseren Augen sowie den statistisch
relevanten und beunruhigenden Anstieg der Durchschnittstemperaturen hat es die
Natur erneut geschafft, dass der Klimawandel heute von kaum jemandem mehr
bestritten wird. So wächst jetzt allgemein die Erkenntnis, dass der Klimawandel
tatsächlich Folgen für das eigene Leben hat.
Nach der anfänglichen Skepsis gegenüber der Wissenschaft, die von den
Interessengruppen noch verstärkt wurde, besteht also nunmehr weltweit
zunehmend öffentliches Einvernehmen darüber, dass gehandelt werden muss. Die
Wissenschaft ist dem gefolgt, und jetzt beginnt meines Erachtens die von Sachs
ermittelte Schlussphase: Die ersten Unternehmen raunen den Politikern zu: „Es ist
ok, Ihr könnt eine Übereinkunft schließen, wir kriegen das hin.“
Lassen Sie mich nun auf die zweite große energiepolitische Herausforderung
eingehen, die Versorgungssicherheit mit Energie.
Nach den Prognosen der Internationalen Energieagentur wird die Erdölnachfrage in
den nächsten Jahren um 1,9 % pro Jahr steigen. Die Erdölreserven reichen zwar
noch für mehrere Jahrzehnte, doch das heißt nicht, dass die Produktionskapazität
unbegrenzt gesteigert werden kann.
Die jetzigen Verbrauchsstrukturen haben in jedem Fall zur Folge, dass im Verlauf
des nächsten Jahrzehnts nur noch wenige Staaten, darunter vorrangig OPECLänder, ihre Erdölförderkapazität erhöhen können. Dazu hat die Internationale
Energieagentur festgestellt:
„Es ist insbesondere unsicher, in welchem Maße die großen Öl- und
Gasproduzenten in der Lage und gewillt sein werden, ihre Investitionen zu erhöhen,
um die wachsende Nachfrage in der Welt zu decken.“
Diese Entwicklungen können ganz erhebliche Auswirkungen auf Europa haben.
Sollte beispielsweise der Erdölpreis auf 100 USD pro Barrel im Jahr 2030
ansteigen, so würden sich die Energieeinfuhren einer EU der 27 um insgesamt
rund 170 Mrd. € verteuern. Dies entspräche pro EU-Bürger einem jährlichen Anstieg
um 350 €. Dabei würden im Rahmen dieses Vermögenstransfers nur in
geringfügigem Maße zusätzliche Arbeitsplätze in der EU geschaffen.
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Die einfache Antwort auf diese Entwicklungen muss lauten, dass wir, selbst wenn
der Klimawandel kein Thema wäre, in jedem Fall unsere übermäßige Abhängigkeit
von eingeführten fossilen Brennstoffen verringern sollten und verstärkt heimische
Energieträger nutzen sollten, die überwiegend einen geringen Kohlenstoffgehalt
aufweisen. Dies ist nichts anderes als eine vernünftige Antwort der EU auf die
zunehmenden preisbedingten Energieversorgungsrisiken, die sich aus der
wachsenden Nachfrage nach fossiler Energie ergeben.
Dies sind die Schlüsselthemen, die die Kommission bei ihren Bemühungen um die
Ausarbeitung einer neuen Energiepolitik angehen wollte.
Dabei ging es um die Frage, wie wir diese Herausforderungen in eine Chance für
Europa verwandeln können. Das Ergebnis sind eine Vision und ein konkretes
Programm zur ihrer Umsetzung. Der Europäische Rat hat inzwischen vor allem
dank der Bemühungen des deutschen Ratsvorsitzes sein Einverständnis dazu
gegeben.
Die Kommission hat diese Energie- und Umweltpolitik in ihrem Maßnahmenpaket
vom zehnten Januar als „neue industrielle Revolution“ bezeichnet. Wenn die Welt,
wie ich glaube, den Mut und die Entschlossenheit aufbringen wird, gegen die
katastrophalen Folgen des Klimawandels gemeinsam vorzugehen, ist diese
Bezeichnung nicht übertrieben. Sir Nicholas Stern weist in seinem
bemerkenswerten Bericht über die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels nach,
dass die wirtschaftlichen Kosten der Bekämpfung der globalen Erwärmung im
Vergleich zu den voraussichtlichen Kosten eines Nicht-Tätigwerdens nicht ins
Gewicht fallen. Zum anderen unterstreicht er genau wie der Internationale
Ausschuss zum Klimawandel, in welch starkem Maße wir den Energieverbrauch
und die Energieproduktion ändern müssen, um eine Wirkung zu erzielen.
Die EU ist sich darin einig, dass ein wirksames Tätigwerden beinhaltet, den Ausstoß
von Treibhausgasen in den Industrieländern bis 2020 um 30 % zu drosseln. Im
Vorgriff auf die Aushandlung einer entsprechenden internationalen Übereinkunft hat
der Rat beschlossen, dass die EU sich einseitig zu einer Reduzierung um 20 %
verpflichtet. Doch im Grunde gehen wir damit nicht weit genug. Im Grunde müssten
wir bis 2050 eine Reduzierung um 60 % und mehr herbeiführen.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein grundlegender Wandel erforderlich, ein Wandel
hin zu Energieeffizienz, erneuerbaren Energien mit niedrigem Kohlenstoffausstoß
und Kohlenstoff-Sequestrierung, ein Wandel, der wahrlich einer neuen industriellen
Revolution gleichkommt. Wir wissen, dass dieses Ziel erreicht werden kann:
Würden sich zum Beispiel alle EU-Länder der führenden Position Deutschlands und
Dänemarks bei den erneuerbaren Energien anschließen, kämen wir auf die zur
Erreichung unseres 20 %-Ziels erforderlichen Werte. Die KohlenstoffSequestrierung kann rentabel gemacht werden, und zwar zu vertretbaren Kosten
von annähernd 20 EUR je sequestrierter Tonne CO2.
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Das Wichtigste dabei ist jedoch, dass die Regionen der Welt, die jetzt in den
Wandel, in Forschung und Entwicklung und in eine frühzeitige Umsetzung der
neuen
Generation
von
Technologien
mit
geringen
oder
keinen
Kohlenstoffemissionen investieren, einen erheblichen Gewinn an künftiger
Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit für sich verbuchen werden. Diese
Regionen werden künftige Preisschocks besser bewältigen können, da sie in
einheimische Energie mit niedrigem Kohlenstoffausstoß investiert haben, die zu
stabilen Preisen erhältlich ist. Vor allem werden in diesen Regionen die „Microsofts“
der Zukunft entstehen. Dies ist die Vision Europas, die die Kommission mit einer
Energie- und Umweltpolitik verfolgt, die ambitioniert an die Bewältigung der
aktuellen Herausforderungen im Energiebereich herangeht.
Auf der Tagung des Europäischen Rates im März haben die Staats- und
Regierungschefs der Vision der Kommission von einer anderen Zukunft im Energieund Umweltbereich zugestimmt. Ferner wurde die verbindliche Verpflichtung auf die
von mir bereits erwähnte 20 %ige Verringerung der Treibhausgasemissionen bis
zum Jahr 2020 eingegangen.
Ebenso wurde der Kommission die anspruchsvolle Aufgabe zugewiesen, dieses Ziel
so umzusetzen, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas gestärkt wird. Dieser
Herausforderung wollen wir uns alle im Kollegium stellen.
Erstens: Die Kommission wird gegen Ende dieses Jahres ein überarbeitetes
Emissionshandelssystem vorstellen, das über 2012 hinaus gelten soll. Es soll auch
dahingehend weiterentwickelt werden, dass die 20 %ige Verringerung der
Treibhausgasemissionen, zu denen der Rat Europa verpflichtet hat, erreicht wird.
Außerdem wird die Kommission ihre Bemühungen um ein weltweites
Klimaschutzabkommen fortsetzen, ja sogar deutlich intensivieren.
Zweitens: Ich werde, ebenfalls bis Ende dieses Jahres, eine neue übergreifende
Richtlinie für erneuerbare Energien vorlegen. So wird die im Europäischen Rat
erzielte Einigung auf rechtsverbindliche nationale Zielvorgaben auf dem Gebiet der
erneuerbaren Energien konkrete Gestalt annehmen. Besagte Zielvorgaben
wiederum werden gewährleisten, dass wir das im Rat vereinbarte Ziel einen 20 %igen Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix in der EU bis zum
Jahr 2020 - erreichen.
Das 20 % Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 ist natürlich ein
außerordentlich ehrgeiziges Ziel.
Manche meinen, es sei unrealistisch. Wenn wir jedoch einen solchen Wert als
„unmöglich“ betrachten, müssen wir auch akzeptieren, dass wir unseren Kindern
und Enkeln die globale Erwärmung als Erbe hinterlassen. - 20 % sind – sofern die
notwendige Entschlossenheit aufgebracht wird – machbar.
Andere wiederum halten die Kosten für zu hoch. Ich dagegen bin der Meinung, dass
es uns zu teuer zu stehen kommt, diesen Schritt zu unterlassen.
Bei einem Ölpreis von 70 USD und einem CO2-Preis von etwa 20 EUR würde sich
diese Initiative mehr oder weniger selbst tragen. Nicht nur aus diesem Grund ist
diese Politik vernünftig: Sie ermöglicht es Europa zum einen, seine Versorgung im
21. Jahrhundert zu sichern. Zum anderen ist sie mit enormen kommerziellen
Chancen für Europa verbunden. Die Nutzung technologiegetriebener einheimischer
Energieträger schafft in Europa viele hochwertige Arbeitsplätze, etwas, was der
Import von immer größeren Öl- und Gasmengen nicht bewirkt.
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Gelingt es Europa, seine führende Position bei Anlagen im Bereich der
erneuerbaren Energien zu behaupten und weiter auszubauen, ergibt sich ein
riesiges Exportpotenzial. Wenn der Rest der Welt die Probleme des Klimawandels
wirklich in Angriff nimmt, werden die in diesem Bereich tätigen Unternehmen
tatsächlich die neuen „Microsofts“ der Zukunft sein.
Drittens: Ab nächstem Jahr wird die Kommission damit beginnen, eine Reihe von
Initiativen
zur
Energieeffizienz
aufzulegen.
Diese
reichen
von
Mindestproduktnormen über eine bessere Kennzeichnung und bessere Baunormen
bis hin zu effizienteren Verkehrssystemen in den europäischen Städten. Hier
besteht ein enormes Potenzial nicht nur im Hinblick auf die Verringerung der
Emissionen, sondern auch im Hinblick auf die Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit Europas.
Viertens: Ende dieses Jahres wird die Kommission der Aufforderung des
Europäischen Rates zur Ausarbeitung einer europäischen strategischen Initiative für
Energietechnologie nachkommen.
Diese Initiative ist ein grundlegender Baustein der neuen europäischen
Energiepolitik und meiner Ansicht nach der Schlüssel dazu, dass aus der
Herausforderung
des
Klimawandels
und
der
Energiesicherheit
ein
Wettbewerbsvorteil für Europa wird.
Wie alle industriellen Revolutionen wird der Erfolg beim Klimaschutz von der
Technologie abhängen. Dies setzt eine neue Generation energieeffizienter Anlagen,
Technologien für die Kohlenstoff-Sequestrierung und neue Werkstoffe voraus, die
die Windenergie und die Fotovoltaik, um nur einige Beispiele zu nennen,
kostengünstiger machen.
Für Europa macht es keinen Sinn, beim Klimaschutz weltweit führend zu sein, aber
keine führende Position bei der Entwicklung der nächsten Generation von
Technologien mit niedrigen Kohlenstoffemissionen einzunehmen. Genau dies ist
jedoch die Gefahr, vor der Europa mit seinem jetzigen Ansatz steht.
In den ersten Jahren des Siebten Rahmenprogramms werden wird annähernd
250 Mio. EUR
für
erneuerbare
Energien,
Energieeffizienz
und
Kohlenstoffsequestrierung bereitstellen. Bis 2013 werden diese Aufwendungen auf
rund 450 Mio. EUR steigen. Andere verfolgen allerdings ehrgeizigere Pläne als wir.
Dabei geht es nicht nur darum, mehr Geld aufzuwenden; wichtiger ist, dass es
besser verwendet wird. Wir müssen die Koordinierung der in den Mitgliedstaaten
und auf Gemeinschaftsebene betriebenen Forschung verbessern. Wir brauchen
einen stärker zielgerichteten Ansatz, der die zentralen Ziele der EU festlegt und
jedes einzelne geförderte Projekt und jede einzelne Maßnahme an diesen zentralen
Zielen misst. Um hier Fortschritte zu machen, ist die Hilfe der Wirtschaft,
insbesondere des VDEW und seiner Mitglieder, unerlässlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte diesen Teil meines Vortrags beenden, indem ich dem Beispiel von
Jeffrey Sachs, dessen Vorlesungen ich eingangs erwähnte, folge und John F.
Kennedy zitiere.
Das Zitat stammt aus seiner Rede vom Juni 1963, als er der Kubakrise eine andere
Wendung gab. In der Rede geht es um Frieden, in ihr werden aber auch die
wichtigsten Herausforderungen unserer Generation angesprochen.
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„Unsere Probleme sind von Menschen geschaffen, deshalb können sie auch von
Menschen gelöst werden. Die Größe, die der menschliche Geist erreichen kann,
bestimmt der Mensch selbst. Kein schicksalhaftes Problem der Menschheit liegt
außerhalb der Reichweite des Menschen. Die menschliche Vernunft und der
menschliche Geist haben oftmals das scheinbar Unlösbare gelöst - und wir glauben,
dass sie dies erneut tun können.“
Damit hätte ich meine Rede eigentlich gerne beendet, verbunden mit der Bitte an
Sie, die Bemühungen der Kommission zu unterstützen, um die EU zum Vorreiter der
nächsten industriellen Revolution zu machen, und mit der Bitte um Ihren aktiven
Einsatz in diesem Sinne. Dennoch denke ich, sie würden es mir nicht verzeihen,
wenn ich nicht auf den Energiebinnenmarkt zu sprechen käme.
Als die erste Elektrizitätsrichtlinie vor neun Jahren verabschiedet wurde, war sich
die Europäische Gemeinschaft darüber im Klaren, dass ein wirklich vom
Wettbewerb geprägter europaweiter Strom- und Gasmarktes nicht auf einmal
geschaffen werden kann, sondern ein längerer Prozess ist. Dies hat sich in der Tat
bewahrheitet.
Es ist unbestritten, dass mit der zweiten Strom- und der zweiten Erdgasrichtlinie
große Fortschritte gemacht wurden. Sie haben zu Energieregulierungsbehörden in
allen Mitgliedstaaten geführt, zur rechtlichen Entflechtung der Übertragung und
Fernleitung und ab Juli dazu, dass praktisch jeder Strom- und Gasverbraucher in
der gesamten EU seinen Versorger frei wählen kann.
Genauso unbestritten ist jedoch, dass viele unserer grundlegenden Ziele nicht
erreicht worden sind. Wie die Sektoruntersuchung gezeigt hat, sind viele Märkte
nach wie vor rein national ausgerichtet, gestaltet sich der grenzüberschreitende
Handel schwierig und findet nur in begrenztem Umfang statt und haben viel zu
wenige Verbraucher kaum oder überhaupt nicht die Möglichkeit, den Versorger zu
wechseln.
Bei der Entscheidung darüber, wie wir hier Abhilfe schaffen können, müssen wir
stets einen grundlegenden Aspekt beachten. Bei dem Energiebinnenmarkt geht es
um unsere Bürger. Wie können wir Ihnen konkrete Vorteile bieten – als Strom- und
Gasabnehmern und als Beschäftigten von Unternehmen, für die Energie ein
wichtiger, manchmal sogar ein ausschlaggebender Faktor ihrer internationalen
Wettbewerbsfähigkeit ist? Europa nimmt bereitwillig einen Wettbewerbsnachteil bei
den Arbeitskosten und Sozialabgaben in Kauf, Europa kann es sich jedoch nicht
leisten, die Kapitalkosten aufgrund überhöhter Energiepreise, die die Folge von
Märkten mit mangelndem Wettbewerb sind, steigen zu lassen.
Von dieser Maxime müssen wir uns leiten lassen, wenn wir darüber entscheiden,
was jetzt zu tun ist,. Der Europäische Rat hat die Ansicht der Kommission, weitere
Maßnahmen seien jetzt erforderlich, einstimmig gebilligt. Ich plane, solche
Maßnahmen vor Jahresende, voraussichtlich im September oder Oktober,
vorzulegen.
Ich denke, dass in Bezug auf die meisten Gebiete, auf denen gehandelt werden
muss, ein breiter Konsens besteht oder dass sich ein solcher Konsens zumindest
abzeichnet. Deshalb werde ich mich auf zwei Fragen beschränken: auf die
Entflechtung und die regionale Regulierung.
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Wir wissen alle, dass es nach Auffassung der Kommission keine perfekte Lösung
für die Probleme gibt, die aus der vertikalen Integration resultieren. Nach Ansicht
der Kommission ist jedoch die Eigentums-Entflechtung der Übertragungsnetze das
beste Konzept. Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass es vernünftige und
angemessene Lösungen für die Verfassungsbedenken gibt, die zuweilen gegen die
Eigentums-Entflechtung vorgebracht werden, nämlich dass es sich dabei um eine
Enteignung handeln würde.
Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten, die in Betracht kommen, etwa eine
„vertiefte“ Form eines unabhängigen Netzbetreibers in Verbindung mit dem Konzept
eines regionalen Netzes. Dabei handelt es sich jedoch nur um die zweitbeste
Lösung, die mit erheblichen Nachteilen verbunden ist: Sie macht eine ständige,
umfassende Regulierung und einen sehr weit gehenden Rückgriff auf die
gemeinschaftliche und nationale Wettbewerbspolitik erforderlich.
Bei der endgültigen Lösung dieses Problems ist meiner Meinung nach auch die
erforderliche Rechtssicherheit zu bedenken. Das Maßnahmenpaket, das die
Kommission im Verlauf dieses Jahres vorlegen will, sollte das letzte sein.
Es hat keinen Sinn, alle vier bis fünf Jahre den Versuch zu unternehmen, die
Mängel vorheriger Rechtsvorschläge zu beheben. Dieser Grund sowie die
Auffassung der Kommission, dass die Eigentums-Entflechtung der Übertragungsnetze die sauberste, einfachste und effizienteste Lösung ist, haben mich davon
überzeugt, dass sich dieses Problem mit diesem Ansatz am besten lösen lässt.
Was die regionale Regulierung betrifft, so bin ich der Meinung, dass wir keinen
europäischen Regulierer brauchen. Was wir benötigen, ist eine Institution oder
einen Mechanismus mit der Befugnis, einfache, schnelle und rechtsverbindliche
Entscheidungen zu grenzüberschreitenden Fragen zu treffen wie der Zuweisung
grenzüberschreitender Kapazitäten und den Entgelten für die grenzüberschreitende
Übertragung. Das gegenwärtige, auf dem Ausschussverfahren („Komitologie“)
beruhende System ist langsam und schwerfällig und hat nicht die gewünschten
Ergebnisse gebracht.
Im Idealfall sollten die Regulierungsbehörden tätig werden, die in einer neuen
Rechtsform gemeinsam handeln und ausgehend von Vorschlägen der
Übertragungsnetzbetreiber verbindliche Entscheidungen treffen können. Die
nationalen Regulierungsbehörden sollten weiter für die Regulierung der nationalen
Märkte zuständig sein und zum Beispiel die Entgelte und die nationalen Netzcodes
und Netzvorschriften festlegen.
Wie bereits gesagt, gibt es viele andere Fragen, die in Angriff genommen werden
müssen, um zu einem wettbewerblichen Binnenmarkt für Energie zu gelangen.
Hierzu gehören die
unabhängige und einheitlich effektive Regulierung auf nationaler Ebene, die zügige
Entwicklung regionaler Märkte, verbesserte Vorschriften für die Netzsicherheit,
besserer Verbraucherschutz und höhere Dienstleistungsstandards sowie ein
besseres und äquivalentes Transparenzniveau.
Bei diesen Fragen haben wir echte Fortschritte erzielt, wobei wir eng mit der
Branche zusammengearbeitet haben, um die wirksamsten Lösungen zu finden. Von
der Zusammenarbeit bei diesen Fragen, vor allem mit dem VDEW und Eurelectric,
war ich beeindruckt.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich glaube, dieser kurze Überblick hat gezeigt, dass für die Bewältigung der drei
Herausforderungen
Wettbewerbsfähigkeit,
Nachhaltigkeit
und
Versorgungssicherheit das Gleiche gilt wie für die Aussage, dass in jeder
Herausforderung eine Chance steckt. Für die EU besteht die wirkliche
Herausforderung in den nächsten Monaten darin, dass sie den Mut aufbringt, ihre
moralische Führung aufgrund ihrer Vorreiterrolle in einen Wettbewerbsvorteil für ihre
Bürger zu verwandeln.
Hierfür ist nicht nur die Zustimmung von Verbänden wie dem VDEW erforderlich,
sondern auch, dass sie dabei eine führende Rolle spielen.
Erinnern wir uns an Kennedys Worte: „Die menschliche Vernunft und der
menschliche Geist haben oftmals das scheinbar Unlösbare gelöst – und wir
glauben, dass sie dies erneut tun können.“
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.
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