MA-Arbeit_Gutachten

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Institut für Philosophie
Univ.-Prof. Dr. Georg Stenger
Professor für Philosophie in einer
globalen Welt / Interkulturelle
Philosophie
Institutsvorstand
An
Universitätsstraße 7 (NIG)
A-1010 Wien
Herrn
Kollegen Hans Rainer Sepp
und Sekretariat
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Präsident der Gesellschaft für
interkulturelle Philosophie (GIP) Köln
http://www.int-gip.de/index.html
Betreff: Zweitgutachten für Herrn Marcus
Hodec
Wien, am 19.02.2016
Zweitgutachten
zur Masterarbeit
„Versuch einer literarischen Genealogie der Macht
Justine – Der Prozess – Der Ekel
von Herrn Marcus E. Hodec
Anliegen und Ziel der Arbeit
Die vorliegende Masterarbeit von Herrn Hodec versucht am Leitfaden
einer „Typologie der Macht“ eine machtanalytische Sichtweise ins Feld
zu führen, die sich als „methodische“ wie systematische Grundierung der
genealogischen Zugänge von Nietzsche und Foucault versichern möchte.
Erprobt wird dieses Vorhaben anhand einer spezifischen Analyse zu den
Werken „Justine oder die Leiden der Tugend“ von Marquis de Sade,
„Der Prozess“ von Franz Kafka und „Der Ekel“ von Jean-Paul Sartre,
wobei es dem Vf. darauf ankommt, unter dem Vorzeichen
machtanalytischer Diskursstrategien diese drei herausragenden Romane
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sowohl intern wie in ihrer Abfolge jeweils spezifischer
machtimprägnierter Stufen einer genalogischen Analyse zu unterziehen.
Insbesondere auf drei Ebenen sieht Vf. sein Vorhaben virulent werden,
die zugleich eine philosophiekritische Note beinhalten, insoweit man an
einem rein begriffsphilosophischen Verständnis festhält. In der
Ausarbeitung dieser Ebenen ist vermutlich die besondere Sprengkraft
der vorliegenden Arbeit aufzufinden, insoweit diese über ihr internes
Analyseanliegen
hinaus
eine
Erweiterung
und
Vertiefung
philosophischer Selbstverständigung insgesamt anstrebt: 1) Die Frage
nach dem konstitutiven, ja sich wechselseitig erbringenden, evtl. gar
ernötigenden Zusammenhang zwischen Philosophie und Literatur (hier
Romanliteratur) 2) Leitende Begriffsscharniere wie „Subjekt(ivität)“,
„Macht“,
„Geschichte/Geschichtlichkeit“
u.a.
werden
nicht
vorausgesetzt,
weder
als
formale
oder
gar
idealtypische
Begrifflichkeiten, noch als Realitätsbestände oder gar als
Ursprungsszenarien, sondern hinsichtlich ihrer genealogisch sich
erbringenden und hervortreibenden Subjektkonstitution angefragt und
im Wechselspiel zwischen „Tiefenhistorizität von Subjektivität“ (119)
und „hypothetischer Machtgeschichte“ (7), die sich der Forderung nach
der einen Wahrheit entzieht, aufzuweisen versucht. 3) Bei diesem
Unterfangen steht jeder Roman gewissermaßen für eine bestimmte
„Epoche“, die für eine je spezifische Stufe der Machtanalyse fruchtbar
gemacht werden soll. Geschichtlichkeit ist in diesem Sinne nicht ohne
ein genalogisches, sprich „historisch-genetisches“ Verfahren zu haben,
was erst durch Foucaults Machtanalyse ihre auch philosophische
Plausibilität erhält. (Vgl. Schlusskapitel 126ff.)
Unter beständigem Rückgriff v.a. auf Martin Saar’s Arbeit „Genealogie
als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und
Foucault“ versucht Vf. die drei Romane anhand der Zuschreibungen
„Realer Macht“ (Justine), “symbolischer Macht“ (Der Prozess) und
„Imaginärer Macht“ (Der Ekel) zu erhellen. Er liest diese Romane aber
nicht einfach unter diesen Begriffsrastern, sondern lässt diese Schritt für
Schritt aus den literarischen Texten hervortreten, so dass dadurch
der/die Roman/e wenn man so will mit „neuen Augen“ zum Vorschein
kommt. Das intrinsische Verhältnis von Genealogie und Macht lässt
jeglichen Sachverhalt, jede Aussage als jeweiliges „Gewordensein“
ersichtlich werden, was zum einen einen „unsystematischen“ (7,
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passim), jedweder Systematik vorgängigen Denkgestus zum Vorschein
bringt, zum anderen die potentielle Leserschaft selbst mit zum
Hervorbringer dessen werden lässt, was Vf. unter einer „literarischen
Genealogie der Macht“ anzielt.
Durchführung und Beurteilung
Scheint auf den ersten Blick der Vf. jeden Roman für sich selbst
sprechen zu lassen – die Gliederung des Ganzen legt dies nahe, wenn
„Justine“ (8-49), „Der Prozess“ (50-85), „Der Ekel“ (86-119)
nacheinander abgehandelt werden, so erweist sich peu à peu, dass die
Romane gleichsam ineinander verflochten werden dergestalt, dass die
Macht selbst in ihrer genealogischen Ermächtigung im Spannungsfeld
zwischen Macht und Moral „Grundpfeiler“ im Sinne von Dispositive
ihrer selbst zu Tage fördert. Changieren in „Justine“ Moral und „reale
Macht“ in den Verstrickungen zwischen „Starken“ und „Schwachen“,
und zeigen diese in all ihrer Drastik Sinnstiftungspotentiale der Macht
selbst, was zugleich fundamental an den Festen gesellschaftlicher,
sittlich-moralischer wie rechtlich-sozialer Selbstverständigung rüttelt, so
offeriert „Der Prozess“ den Kampf zwischen Macht und Ohnmacht,
Schuld und Strafe, „Schuldner und Gläubiger“, Individuum resp. Subjekt
und Gesetz, was den nicht aufzulösenden „Deutungskampf“ (56)
zwischen Josef K. und dem Gesetz einerseits und zwischen J.K. und sich
selbst in die „Scham“ als verinnerlichter und leiblich aufsässiger Schuld
treibt. Kämpft bei Sade „das Menschliche“ noch mit den „starren
Gesetzen der Natur“, denen es gerade ob seines moralischen Anspruchs
nicht zu entfliehen vermag, so erscheint dieses Verhältnis bei Kafka
jeglicher Grundlage, sprich „Realität“ entzogen, so dass eine „ständig
atemraubende Unberechenbarkeit“ und „nicht kalkulierbare“ Schuld an
der Irrealität der Macht des Lebens selbst zu zerbersten drohen. (Vgl.
v.a. 58f.) „Reale Macht“ wird, wenn man so will, durch „symbolische
Macht“ – Verinnerlichung des Gerichts > Schuldigwerden > Schlechtes
Gewissen - um eine Stufe tiefer gelegt, was die Realität beschleunigt und
aus den überhitzten Geschwindigkeitskurven ihrer selbst zu tragen
beginnt.
Mit „Der Ekel“ schließlich erscheinen jene Sade’schen wie Kafkaesken
Züge auf eine Weise ins Innere und Innerste der Subjektivität selbst
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eingezogen, sodass im Machtzentrum ihrer selbst ein „Nichts von Loch“
aufklafft, wo keine Stelle noch irgendetwas tragen könnte, geschweige
denn ertragen könnte, weder sich, noch andere, weder den Menschen
noch die Gesellschaft, weder die Natur noch die Moral, usw. Der
objektivierte, sprich nach außen gewendete Ekel im Sinne eines „ich
ekele mich vor diesem und jenem“ ist dabei nur das äußere Spiegelbild
des in seiner Existenz radikal getroffenen, sprich auf sein „ex-istere“ hin
losgelassenes Nichts. Der Protagonist Roquentin hat zu tragen, was
nicht zu er-tragen ist, ist er doch nicht mehr nur Opfer, sondern Täter,
und damit auch Kritiker der Macht. (vgl. 97ff.) Reale und symbolische
Macht sehen sich unterwandert von jener „imaginären Macht“, welche
die „körperliche Unterwerfung“ Justines und die „Ordnung des
Sagbaren“ Josef K.s (119) in ein Widerfahrnis ihrer selbst treibt, der
wiederum eine „objektrelative Subjektkritik“ (115) entspringt, die
handeln und wirken kann, d.h. auch als gesellschaftlich und sozial
verankertes Subjekt auftreten kann, obwohl oder gerade weil dieses
Subjekt eher als eine Art „Disnegativ“ imaginärer Macht zugange ist. Mit
den drei Romanen wird hier die Macht in ihrer sie selbst allererst
hervorbringenden Genealogie gezeigt, was besonders deutlich
hervortritt, wenn wie hier die Macht nicht vom Zentrum aus gesteuert
ist – es wären die Leviathans von gestern und heute, es wären
dogmatische und statische Machtverständnisse -, sondern eher als ihr
eigener Randgänger in den Gestalten des „Sadistischen, Kafkaesken und
Ekelhaften“ (112) an den Machtordnungen, Machtgenesen und
Machtgenealogien selbst arbeitet und damit seine Wirksamkeit in Gang
setzt.
Vf. hat diese hier nur angedeutete Komplexität des genealogischen
Machtschaffens und seiner Verschiebungen und Verlagerungen sehr
plastisch herausgearbeitet, wozu auch ein Schuss sprachlicher Brillanz
seinen Beitrag liefert. Ebenso erweist sich sein Bühnenbild-Narrativ als
hilfreich, geht es doch mit der „Macht“ um ein sich-Öffnen und inBewegung-Bringen von Zuschreibungsräumen, die ansonsten als
eigenständige Begriffsgröße ihre „Negativsemantik“ gegenüber den
Umständen, dem Menschen wie der Welt behielte. Passend hierzu wird
Nietzsches Schrift „Zur Genealogie der Moral“ an den markanten Stellen
so eingeführt, dass deren Zitate wie eine Art Regieanweisung hinter der
Bühne die Szene sowohl stützen und justieren als auch inne halten
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lassen und zugleich forcieren. „Die Genealogie“ spricht nie „von oben
herab“, wie es jeder Normativität zu eigen ist, sondern ihr „Also sprach
Z. .....“ tönt aus dem „Off“ szenischer Werdeprozesse und deren
konstitutiven Machtformierungen. Wollte man hier weiter „im Bild
bleiben“, so fungiert Saar eher in der Position des Bühnenbildners, indes
Foucault als Regisseur während der Bühnenproben in den hinteren
Reihen sitzend den „Beobachter von außen“ gibt.
Inspirierend, aber auch etwas schwerfällig wirken sich die Anordnungen
und auch die Anzahl (13/11/11) der einzelnen, meist 2-3-seitigen
Unterpunkte der Kapitel aus. Die Sachkonsequenz ist ebenso wenig
ersichtlich wie die „Logik“ der aufgeführten Punkte. Nun könnte man
sagen, es sei geradezu das Besondere des Szenischen, dass es in seiner
Originarität austauschbar bleibt, und dennoch wird sich der Roman, will
und soll er ein solcher sein, qua Roman dagegen sträuben. Die „ExkursKapitel“ wiederum, jeweils am oder gegen Ende der großen Kapitel
platziert, sind weit mehr als bloße „Exkurse“, da sie, v.a. wie beim ersten
(44-49: „Welche Farbe hat die Genealogie“), eine Zusammenführung
und zugleich einen argumentativ klaren Metadiskurs zum
genealogischen Verfahren selbst durchführen. Ich erwähne diesen Punkt
auch deshalb, weil er dem sonstigen, an vielen Stellen deutlich zum
Vorschein kommenden appellativen und auch suggestiv-thetischen
Sprachstil eine wohltuende Argumentationskultur anempfiehlt. Als
gewisses Desiderat ließe sich auch die ungebrochene Affirmation sowohl
der Nietzsche’schen als auch Saar’schen Arbeit, die so etwas wie den
Leitfaden bilden, anmahnen, was nicht selbst reflektiert erscheint, ganz
im Unterschied etwa im Umgang mit den Arbeiten Ursula Pia Jauchs.
Anders gesagt: man wird und ist gut unterrichtet darüber, was
„Genealogie“ meint, aber man weiß nicht, ob es auch zur Genealogie
selbst eine Distanz gibt, so wie sie diese selbst auf grundsätzliche Weise
„lehrt“. Die ansonsten wohldosierte Einbindung der Sekundärliteratur
läuft manchmal auch Gefahr, dass anhand der Zitate argumentiert wird,
anstatt diese der eigenen Argumentation und Gedankenführung als
Belege beizugeben.
Sein ganzes Können und seine besondere Begabung, komplexe
Sachverhalte prägnant zu fokussieren, zeigt Vf. in den drei
Abschlusskapiteln „Fazit“ (4.1./120-122), „Genealogie als Text“
(4.2./123-125) und „Mit Foucault über Nietzsche hinaus“ (4.3./126-128).
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Die dort zusammen- und ineinandergeführten Machtanalytiken
gewinnen so über ihren „streng relationalen Charakter“ wir ihrer sowohl
performativen wie „historisch-sozialen“ Dispositive in der Tat ihre
„Topologie“ und damit jene ihr entsprechenden Gegenstände
„sadistischer Körper“, „kafkaeskes Wissen“ und „ekelhaftes
Subjekt“.(Vgl. 122) 4.2. macht Ernst damit, dass mit dem Lesen das
„eigene Selbst“ selbst zum Thema der Lektüre wird, was wiederum –
und dies wird mit allen drei Romanen gezeigt - „Wahrheit als politisches
Thema“ fassbar werden lässt. 4.3. verleiht dem Roman jene
philosophischen Weihen, die Literatur nun auch haben kann, ja
vermutlich gar auf eine Weise, die der Begriffsphilosophie verborgen
bleiben muss. „Der Roman ist die nicht-selbstreflexive Genealogie. Er
weiß alles, nur nicht, dass er Teil seiner Geschichte ist.“ Mehr zu sagen
wäre für diese Arbeit weniger.
Abschließende Bewertung
Die Arbeit von Herrn Hodec schlägt einen hohen Ton an, und dies von
Anfang an. So etwas, zumal wenn gar Romane als Herausforderung für
die Philosophie angesehen werden, kann leicht schief gehen, aber es
kann auch gelingen, dann aber auf eine Art und Weise, dass es
mutmaßlich philosophisches Neuland betritt. Obwohl nicht durchweg
bestätigt – einzelne Punkte habe ich oben schon kritisch aufgelistet –
kann man sagen, dass Vf. dies gelungen ist. Und dass dies schon im
Rahmen einer MA-Arbeit möglich ist, lässt für weitere Ergebnisse
Einiges erhoffen. Auch sonstige, für eine MA-Arbeit einschlägige
Kriterien wie etwa das sinnvolle Heranziehen von und der Umgang mit
Sekundärliteratur hat Vf. erfüllt. Bei allen vergleichsweise geringfügigen
Desiderate und Monita bleibt festzuhalten, dass dem Vf. eine sehr gute
Arbeit gelungen ist und er die mit der Themenstellung und dem
Vorhaben verbundenen geradezu auf der Hand liegenden Klippen
bravourös umschifft hat.
Ich schlage für die vorgelegte Master-Arbeit von Herrn Hodec’s daher
ohne jede Einschränkung die Note „sehr gut“ vor.
Gesamtnote: „sehr gut“ (1)
7
Univ.-Prof. Dr. Georg Stenger
Mit freundlichen Grüßen
Univ.-Prof. Dr. Georg Stenger
Professor für Philosophie in einer globalen Welt / Interkulturelle Philosophie
Vorstand des Instituts für Philosophie
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